- Kapitel 1: Der Wirbelsturm
- Kapitel 2: Der Rat mit den Munchkins
- Kapitel 3: Wie Dorothy die Vogelscheuche erlĂśste
- Kapitel 4: Der Weg durch den Wald
- Kapitel 5: Die Rettung des Blechmannes
- Kapitel 6: Der feige LĂśwe
- Kapitel 7: Die Reise zum groĂen Oz
- Kapitel 8: Das tĂśdliche Mohnfeld
- Kapitel 9: Die KÜnigin der Feldmäuse
- Kapitel 10: Der Torwächter
- Kapitel 11: Die wunderbare Stadt Oz
- Kapitel 12: Die Suche nach der bĂśsen Hexe
- Kapitel 13: Die Rettung
- Kapitel 14: Die geflĂźgelten Affen
- Kapitel 15: Die EnthĂźllung von Oz, dem Schrecklichen
- Kapitel 16: Die magische Kunst des groĂen Schwindlers
- Kapitel 17: Wie der Ballon losgeschickt wurde
- Kapitel 18: Auf in den SĂźden
- Kapitel 19: Angriff der kämpfenden Bäume
- Kapitel 20: Das niedliche Porzellanland
- Kapitel 21: Der LĂśwe wird zum KĂśnig der Tiere
- Kapitel 22: Das Land der Quadlinge
- Kapitel 23: Glinda, die gute Hexe, erfĂźllt Dorothys Wunsch
- Kapitel 24: Wieder zu Hause
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Kapitel 1: Der Wirbelsturm
Dorothy lebte inmitten der groĂen Prärie von Kansas bei Onkel Henry, einem Farmer, und Tante Em, der Frau des Farmers. Ihr Haus war klein, denn das Holz fĂźr den Bau musste Ăźber viele Meilen mit dem Fuhrwerk transportiert werden. Es bestand aus vier Wänden, einem Boden und einem Dach, was zusammen einen Raum ergab, und dieser Raum enthielt einen rostig aussehenden Kochherd, einen Schrank fĂźr das Geschirr, ein Tisch, drei oder vier StĂźhle und die Betten. Onkel Henry und Tante Em hatten ein groĂes Bett in einer Ecke und Dorothy ein kleines Bett in einer anderen Ecke. Es gab keinen Dachboden und keinen Keller – auĂer einem kleinen Loch im Boden, das Zyklonkeller genannt wurde, wo sich die Familie hin flĂźchten konnte, falls eines dieser groĂen WirbelstĂźrme entstand, die machtvoll genug waren, jedes Gebäude in seinem Weg zu zerschmettern. Der Zyklonkeller war Ăźber eine FalltĂźr in der Mitte des Bodens zu erreichen, von der aus eine Leiter in das kleine, dunkle Loch hinabfĂźhrte.
Wenn Dorothy in der TĂźr stand und sich umschaute, konnte sie nichts anderes sehen, als auf jeder Seite die groĂe graue Prärie. Kein Baum, kein Haus durchbrach das weite, flache Land, das in allen Richtungen bis zum Himmelsrand reichte. Die Sonne hatte das gepflĂźgte Land zu einer grauen Masse gebacken, die von kleinen Rissen durchzogen war. Selbst das Gras war nicht grĂźn, denn die Sonne hatte die Spitzen der langen Halme verbrannt, bis sie Ăźberall die gleiche graue Farbe hatten, die Ăźberall zu sehen war. Einst war das Haus gestrichen gewesen, aber die Sonne hatte die Farbe verbrannt und der Regen hatte sie weg gewaschen, und nun war das Haus genauso trĂźb und grau wie alles andere.
Als Tante Em dorthin kam, um dort zu leben, war sie eine junge, hßbsche Frau. Die Sonne und der Wind hatten auch sie verändert. Sie hatten ihren Augen den Glanz genommen und sie in ein nßchternes Grau getaucht; sie hatten das Rot aus ihren Wangen und Lippen genommen und auch sie waren grau. Sie war dßnn und hager und lächelte nicht mehr. Als Dorothy, die eine Weise war, das erste Mal zu ihr kam, war Tante Em von dem Lachen des Kindes so erschrocken, dass sie aufschrie und ihre Hand an ihr Herz presste, wann immer Dorothys frÜhliche Stimme ihre Ohren erreichte; und sie blickte immer noch verwundert auf das kleine Mädchen, dass es irgendetwas fand, worßber es lachen konnte.
Onkel Henry lachte nie. Er arbeitete hart von morgens bis abends und wusste nicht, was Freude war. Er war auch grau, von seinem langen Bart bis zu seinen rauen Stiefeln, und er sah streng und ernst aus und sprach selten.
Es war Toto, der Dorothy zum Lachen brachte und sie davor bewahrte, so grau wie ihre Ăźbrige Umgebung zu werden. Toto war nicht grau; er war ein kleiner schwarzer Hund mit langem seidigem Haar und kleinen schwarzen Augen, die auf beiden Seiten neben seiner lustigen kleinen Nase frĂśhlich funkelten. Toto spielte den ganzen Tag und Dorothy spielte mit ihm und liebte ihn innig.
Heute jedoch spielten sie nicht. Onkel Henry saĂ vor der TĂźr und schaute besorgt in den Himmel, der noch grauer als gewĂśhnlich war. Dorothy stand mit Toto im Arm in der TĂźr und schaute ebenfalls zum Himmel. Tante Em spĂźlte das Geschirr.
Weit vom Norden her hÜrten sie ein leises Heulen des Windes und Onkel Henry und Dorothy konnten sehen, wie sich das lange Gras vor dem sich näherndem Sturm in Wellen krßmmte. Jetzt kam von Sßden ein scharfes Pfeifen in der Luft und als sie ihre Augen in diese Richtung richteten, sahen sie Wellen im Gras, die ebenfalls aus dieser Richtung kamen.
PlĂśtzlich stand Onkel Henry auf.
“Ein Wirbelsturm zieht auf, Em”, rief er seiner Frau zu. “Ich schaue nach den Tieren.” Dann rannte er zu den Ställen, in denen die KĂźhe und Pferde untergebracht waren.
Tante Em lieĂ ihre Arbeit sein und kam zur TĂźr. Ein Blick verriet ihr, dass die Gefahr ganz nah war.
“Schnell, Dorothy!”, schrie sie. “Lauft in den Keller!”
Toto sprang aus Dorothys Armen und versteckte sich unter dem Bett und das Mädchen begann ihn hervor zu holen. Tante Em, mächtig verängstigt, klappte die FalltĂźr im Boden auf und kletterte die Leiter hinunter in das kleine, dunkle Loch. Dorothy fing Toto endlich ein und begann, ihrer Tante zu folgen. Als sie den Raum halb durchquert hatte, ertĂśnte ein lautes Kreischen des Windes, und das Haus bebte so stark, dass sie den Halt verlor und plĂśtzlich auf den Boden saĂ.
Dann geschah etwas Seltsames.
Das Haus wirbelte zwei oder drei Mal herum und erhob sich langsam in die Luft. Dorothy fĂźhlte sich, als ob sie in einem Ballon aufsteigen wĂźrde.
Die Nord- und SĂźdwinde trafen dort aufeinander, wo das Haus stand, und machten es zum genauen Zentrum des Zyklons. In der Mitte eines Wirbelsturms ist die Luft im Allgemeinen ruhig, aber der starke Druck des Windes auf jeder Seite des Hauses hob es hĂśher und hĂśher, bis es ganz oben auf dem Zyklon schwebte; und dort blieb es und wurde meilenweit weggetragen, so leicht, wie man eine Feder tragen kĂśnnte.
Es wurde sehr dunkel und der Wind heulte fĂźrchterlich um sie herum, aber Dorothy fand, dass sie ganz bequem reiste. Nach dem ersten Herumwirbeln und einem weiteren Mal, als das Haus stark kippte, hatte sie das GefĂźhl, sanft geschaukelt zu werden, wie ein Baby in einer Wiege.
Toto gefiel das nicht. Er rannte durch das Zimmer, mal hierhin, mal dorthin, und bellte laut, aber Dorothy saĂ ganz still auf dem Boden und wartete ab, was geschehen wĂźrde.
Einmal geriet Toto zu nahe an die offene Falltßr und fiel hinein und zuerst dachte das kleine Mädchen, sie hätte ihn verloren. Doch bald sah sie eines seiner Ohren durch das Loch ragen, denn der starke Luftdruck hielt ihn oben, so dass er nicht fallen konnte. Sie kroch zu dem Loch, packte Toto am Ohr und zog ihn wieder ins Zimmer zurßck.

Stunde um Stunde verging, und langsam Ăźberwand Dorothy ihren Schreck; aber sie fĂźhlte sich sehr einsam, und der Wind kreischte so laut um sie herum, dass sie fast taub wurde. Zuerst hatte sie sich gefragt, ob sie in StĂźcke geschmettert werden wĂźrde, wenn das Haus wieder stĂźrzte; aber als die Stunden vergingen und nichts Schreckliches geschah, hĂśrte sie auf, sich zu sorgen, und beschloss, ruhig abzuwarten, was die Zukunft bringen wĂźrde. SchlieĂlich kroch sie Ăźber den schwankenden FuĂboden zu ihrem Bett und legte sich darauf und Toto folgte ihr und legte sich neben sie.
Trotz des Schwankens des Hauses und dem Heulen des Windes schloss Dorothy bald die Augen und schlief fest ein.

Kapitel 2: Der Rat mit den Munchkins
Sie erwachte durch einen StoĂ, der so plĂśtzlich und heftig war, dass Dorothy, wenn sie nicht auf dem weichen Bett gelegen hätte, vielleicht verletzt worden wäre. So aber verschlug ihr der Schreck nur den Atem und sie fragte sich, was geschehen war, und Toto drĂźckte ihr seine kalte kleine Nase ins Gesicht und winselte kläglich. Dorothy setzte sich auf und bemerkte, dass sich das Haus nicht bewegte; es war auch nicht dunkel, denn der helle Sonnenschein kam durch das Fenster herein und durchflutete den kleinen Raum. Sie sprang von ihrem Bett auf und rannte mit Toto auf den Fersen zur TĂźr, um sie zu Ăśffnen.
Das kleine Mädchen stieĂ einen Schrei des Erstaunens aus und schaute sich um, wobei ihre Augen angesichts der wunderbaren Dinge, die sie sah, immer grĂśĂer wurden.
Der Zyklon hatte das Haus sehr sanft – fĂźr einen Zyklon – inmitten eines Landes von phantastischer SchĂśnheit niedergehen lassen. Ringsum gab es schĂśne Grasflächen mit stattlichen Bäumen, die reiche und Ăźppige FrĂźchte trugen. Ăberall wuchsen prächtige Blumen und in den Bäumen und Sträuchern sangen und flatterten VĂśgel mit seltenem und glänzendem Gefieder. Ein StĂźckchen weiter entfernt floss ein kleiner Bach, der zwischen grĂźnen UferbĂśschungen rauschte und glitzerte und mit einer Stimme rauschte, die fĂźr ein kleines Mädchen, das so lange in der trockenen, grauen Prärie gelebt hatte, sehr dankbar war.
Während sie begierig die seltsamen und schÜnen Anblick betrachtete, bemerkte sie eine Gruppe der seltsamsten Leute, die sie je gesehen hatte, auf sich zukommen. Sie waren nicht so groà wie die Erwachsenen, an die sie immer gewÜhnt war, aber sie waren auch nicht sehr klein. Tatsächlich schienen sie etwa so groà zu sein wie Dorothy, die fßr ihr Alter ein ausgewachsenes Kind war, obwohl sie, was das Aussehen anging, viele Jahre älter waren.

Drei waren Männer und eine Frau und alle waren seltsam gekleidet. Sie trugen runde HĂźte, die sich bis zu einer kleinen Spitze einen FuĂ Ăźber den Kopf erhoben, mit GlĂśckchen an den Krempen, die sßà bimmelten, wenn sie sich bewegten. Die HĂźte der Männer waren blau, der Hut der kleinen Frau war weiĂ, und sie trug ein weiĂes Kleid, das ihr in Falten von den Schultern hing. DarĂźber waren kleine Sterne gestreut, die in der Sonne wie Diamanten funkelten. Die Männer waren in Blau gekleidet, im gleichen Farbton wie ihre HĂźte, und trugen gut polierte Stiefel mit einer tiefen blauen Rolle an den Spitzen. Die Männer, so dachte Dorothy, waren ungefähr so alt wie Onkel Henry, denn zwei von ihnen hatten Bärte. Aber die kleine Frau war zweifellos viel älter. Ihr Gesicht war faltig, ihr Haar war fast weiĂ, und sie ging ziemlich steif.
Als diese Leute sich dem Haus näherten, in dem Dorothy in der Tßr stand, hielten sie inne und flßsterten miteinander, als hätten sie Angst, weiterzugehen. Aber die kleine alte Frau ging auf Dorothy zu, machte eine tiefe Verbeugung und sagte mit sanfter Stimme:
“Willkommen, edelste Zauberin, im Land der Munchkins. Wir sind Euch sehr dankbar, dass Ihr die BĂśse Hexe des Ostens getĂśtet und unser Volk aus der Knechtschaft befreit habt.”
Dorothy hÜrte sich diese Rede mit Verwunderung an. Was konnte die kleine Frau damit meinen, dass sie sie eine Zauberin nannte und sagte, dass sie die BÜse Hexe des Ostens getÜtet hatte? Dorothy war ein unschuldiges, harmloses kleines Mädchen, das von einem Wirbelsturm viele Meilen von zu Hause weggetragen worden war, und sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie etwas getÜtet.
Aber die kleine Frau erwartete offensichtlich eine Antwort von ihr und so sagte Dorothy zĂśgernd: “Sie sind sehr freundlich, aber da muss ein Irrtum vorliegen. Ich habe nichts getĂśtet.”
“Dann eben dein Haus”, erwiderte die kleine alte Frau lachend, “und das kommt aufs selbe hinaus. Siehst du?”, fuhr sie fort und zeigte auf die Ecke des Hauses. “Da schauen noch ihre FĂźĂe unter dem Holzbalken hervor.”
Dorothy sah hin und stieĂ einen kleinen Schreckensschrei aus. Tatsächlich ragten unter der Ecke des groĂen Balkens, auf dem das Haus ruhte, schauten zwei FĂźĂe in spitzen silbernen Schuhen heraus.
“Ach herrjemine! Oh je!”, rief Dorothy und schlug bestĂźrzt die Hände zusammen. “Das Haus muss auf sie gefallen sein. Was sollen wir nur tun?”
“Da kann man nichts machen”, sagte die kleine Frau ruhig.
“Aber wer war sie?”, fragte Dorothy.
“Sie war die bĂśse Hexe des Ostens, wie ich sagte”, antwortete die kleine Frau. “Sie hat alle Munchkins viele Jahre lang in Knechtschaft gehalten und sie Tag und Nacht schuften lassen. Jetzt sind alle frei und dir fĂźr die Gefälligkeit dankbar.”
“Wer sind die Munchkins?”, erkundigte sich Dorothy.
“Sie sind die Leute, die in diesem Land des Ostens leben, in dem die BĂśse Hexe herrschte.”
“Bist du ein Munchkin?”, fragte Dorothy.
“Nein, aber ich bin ihre Freundin, obwohl ich im Land des Nordens lebe. Als sie sahen, dass die Hexe des Ostens tot war, schickten die Munchkins einen schnellen Boten zu mir, und ich kam sofort. Ich bin die Hexe des Nordens.”
“Oh, du meine GĂźte!”, rief Dorothy. “Sie sind eine echte Hexe?”
“Ja, in der Tat”, erwiderte die kleine Frau. “Aber ich bin eine gute Hexe und die Leute lieben mich. Ich bin nicht so mächtig wie die BĂśse Hexe, die hier herrschte, sonst hätte ich die Menschen selbst befreit.”
“Aber ich dachte, alle Hexen sind bĂśse”, sagte das Mädchen, das sich halb davor fĂźrchtete, einer echten Hexe gegenĂźberzustehen. “Oh nein, das ist ein groĂer Irrtum. Es gibt nur vier Hexen im ganzen Land Oz und zwei von ihnen, die im Norden und im SĂźden leben, sind gute Hexen. Ich weiĂ, dass das wahr ist, denn ich bin selbst eine von ihnen und kann mich nicht irren. Diejenigen, die im Osten und im Westen wohnten, waren in der Tat bĂśse Hexen; aber jetzt, da du eine von ihnen getĂśtet hast, gibt es nur noch eine bĂśse Hexe im ganzen Land Oz – die im Westen.”
“Aber”, sagte Dorothy, nachdem sie einen Moment nachgedacht hatte, “Tante Em hat mir erzählt, dass die Hexen alle tot sind, und zwar schon seit vielen Jahren.”
“Wer ist Tante Em?”, erkundigte sich die kleine alte Frau.
“Sie ist meine Tante, die in Kansas lebt, wo ich herkomme.”
Die Hexe des Nordens schien eine Weile nachzudenken, den Kopf gesenkt und den Blick zur Erde gerichtet. Dann blickte sie auf und sagte: “Ich weiĂ nicht, wo Kansas liegt, denn ich habe noch nie gehĂśrt, dass dieses Land erwähnt wurde. Aber sag mir, ist es ein zivilisiertes Land?”
“Oh, ja”, antwortete Dorothy.
“Dann ist das der Grund. Ich glaube, in den zivilisierten Ländern gibt es keine Hexen mehr, keine Zauberer, keine Zauberinnen, keine Magier. Aber du siehst, das Land Oz war nie zivilisiert, denn wir sind von der Ăźbrigen Welt abgeschnitten. Deshalb gibt es immer noch Hexen und Zauberer unter uns.”
“Wer sind die Zauberer?”, fragte Dorothy.
“Oz selbst ist der groĂe Zauberer”, antwortete die Hexe und senkte ihre Stimme zu einem FlĂźstern. “Er ist mächtiger als alle anderen von uns zusammen. Er lebt in der Stadt der Smaragde.”
Dorothy wollte eine weitere Frage stellen, doch in diesem Moment riefen die Munchkins, die schweigend dagestanden hatten, laut und zeigten auf die Ecke des Hauses, in der die BĂśse Hexe gelegen hatte.
“Was ist das?”, fragte die kleine alte Frau, sah nach und begann zu lachen. Die FĂźĂe der toten Hexe waren ganz verschwunden und nichts war Ăźbrig geblieben als die silbernen Schuhe.
“Sie war so alt”, erklärte die Hexe des Nordens, “dass sie in der Sonne schnell eingetrocknet ist. Das ist ihr Ende. Aber die silbernen Schuhe gehĂśren dir und du sollst sie tragen.” Sie griff nach unten, hob die Schuhe auf und nachdem sie den Staub aus ihnen herausgeschĂźttelt hatte, reichte sie sie Dorothy.
“Die Hexe des Ostens war stolz auf diese silbernen Schuhe”, sagte einer der Munchkins, “und es ist ein Zauber mit ihnen verknĂźpft; aber was es ist, haben wir nie erfahren.”
Dorothy trug die Schuhe ins Haus und stellte sie auf den Tisch. Dann kam sie wieder zu den Munchkins heraus und sagte:
“Ich mĂśchte unbedingt zu meiner Tante und meinem Onkel zurĂźckkehren, denn ich bin sicher, dass sie sich Sorgen um mich machen. KĂśnnen Sie mir helfen, meinen Weg zu finden?”
Die Munchkins und die Hexe sahen sich erst gegenseitig und dann Dorothy an und schĂźttelten dann die KĂśpfe.
“Im Osten, nicht weit von hier”, sagte einer, “gibt es eine groĂe WĂźste, und niemand kann sie lebend durchqueren.”
“Im SĂźden ist es genauso”, sagte ein anderer, “denn ich war dort und habe es gesehen. Der SĂźden ist das Land der Quadlinge”.
“Ich habe gehĂśrt”, sagte der dritte Mann, “dass es im Westen genauso ist. Und das Land, in dem die Winkies leben, wird von der BĂśsen Hexe des Westens regiert, die dich zu ihrem Sklaven macht, wenn du ihr Ăźber den Weg läufst.”
“Der Norden ist meine Heimat”, sagte die alte Dame, “und an seinem Rand befindet sich dieselbe groĂe WĂźste, die auch das Land Oz umgibt. Ich fĂźrchte, meine Liebe, du wirst mit uns leben mĂźssen.”
Dorothy begann zu schluchzen, denn sie fĂźhlte sich unter all diesen fremden Menschen einsam. Ihre Tränen schienen die gutmĂźtigen Munchkins zu betrĂźben, denn sie zogen sofort ihre TaschentĂźcher hervor und begannen ebenfalls zu weinen. Die kleine alte Dame nahm ihre MĂźtze ab und balancierte die Spitze auf ihrer Nasenspitze, während sie mit feierlicher Stimme “Eins, zwei, drei” zählte. Sofort verwandelte sich die MĂźtze in eine Schiefertafel, auf der mit groĂen, weiĂen Kreidestrichen geschrieben stand:
“LASS DOROTHY IN DIE STADT DER SMARAGDE GEHEN”
Die kleine alte Frau nahm die Schiefertafel von ihrer Nase und fragte, nachdem sie die Worte darauf gelesen hatte: “HeiĂt du Dorothy, meine Liebe?”
“Ja”, antwortete das Kind, blickte auf und trocknete sich die Tränen.
“Dann musst du in die Stadt der Smaragde gehen. Vielleicht wird Oz dir helfen.”
“Wo ist diese Stadt?”, fragte Dorothy.
“Es liegt genau in der Mitte des Landes und wird von Oz regiert, dem groĂen Zauberer, von dem ich dir erzählt habe.”
“Ist er ein guter Mann?”, fragte das Mädchen besorgt.
“Er ist ein guter Zauberer. Ob er ein Mensch ist oder nicht, kann ich nicht sagen, denn ich habe ihn nie gesehen.”
“Wie kann ich dorthin kommen?”, fragte Dorothy.
“Du musst zu FuĂ gehen. Es ist eine lange Reise, durch ein Land, das manchmal freundlich und manchmal dunkel und schrecklich ist. Ich werde jedoch alle mir bekannten magischen KĂźnste anwenden, um dich vor Schaden zu bewahren.”
“Wollen Sie nicht mit mir gehen?”, flehte das Mädchen, das begonnen hatte, die kleine alte Frau als ihre einzige Freundin zu betrachten.
“Nein, das kann ich nicht”, antwortete sie, “aber ich werde dir meinen Kuss geben, und niemand wird es wagen, jemandem zu schaden, der von der Hexe des Nordens gekĂźsst worden ist.”
Sie trat dicht an Dorothy heran und kĂźsste sie sanft auf die Stirn. Dort, wo ihre Lippen das Mädchen berĂźhrten, hinterlieĂen sie einen runden, glänzenden Abdruck, wie Dorothy bald darauf feststellte.
“Der Weg zur Smaragdstadt ist mit gelben Ziegeln gepflastert”, sagte die Hexe, “du kannst ihn also nicht verfehlen. Wenn du zu Oz kommst, habe keine Angst vor ihm, sondern erzähle deine Geschichte und bitte ihn, dir zu helfen. Auf Wiedersehen, meine Liebe.”
Die drei Munchkins verbeugten sich tief vor ihr und wßnschten ihr eine gute Reise, woraufhin sie durch die Bäume davonzogen. Die Hexe nickte Dorothy freundlich zu, wirbelte dreimal auf dem linken Absatz herum und verschwand auf der Stelle, sehr zum Erstaunen des kleinen Toto, der laut genug nach ihr bellte, als sie gegangen war, denn er hatte Angst, auch nur zu knurren, während sie daneben stand.
Aber Dorothy, die wusste, dass sie eine Hexe war, hatte erwartet, dass sie genau auf diese Weise verschwinden wĂźrde, und war nicht im Geringsten Ăźberrascht.

Kapitel 3: Wie Dorothy die Vogelscheuche erlĂśste
Als Dorothy allein war, wurde sie langsam hungrig. Also ging sie zum Schrank und schnitt sich etwas Brot, das sie mit Butter bestrich. Sie gab Toto etwas davon, nahm einen Eimer vom Regal und trug ihn zum kleinen Bach hinunter, um ihn mit klarem, sprudelndem Wasser zu fĂźllen. Toto rannte zu den Bäumen und bellte die VĂśgel an, die dort saĂen. Dorothy ging zu ihm und sah so kĂśstliche FrĂźchte an den Ăsten hängen, dass sie einige davon pflĂźckte und fand, dass es genau das war, was sie fĂźr ihr FrĂźhstĂźck brauchte.
Dann ging sie zurĂźck ins Haus, trank fĂźr sich und Toto einen guten Schluck des kĂźhlen, klaren Wassers und machte sich daran, die Reise zur Smaragdstadt vorzubereiten.
Dorothy hatte nur noch ein anderes Kleid, aber das war sauber und hing an einem Ständer neben ihrem Bett. Es war kariert, mit weiĂen und blauen Karos, und obwohl das Blau durch viele Wäschen etwas verblasst war, war es immer noch ein hĂźbsches Kleid. Das Mädchen wusch sich sorgfältig, zog sich das saubere Gingham-Kleid an und setzte sich ihre rosa Sonnenhaube auf den Kopf. Sie nahm einen kleinen Korb, fĂźllte ihn mit Brot aus dem Schrank und legte ein weiĂes Tuch darĂźber. Dann schaute sie auf ihre FĂźĂe hinunter und bemerkte, wie alt und abgetragen ihre Schuhe waren.
“FĂźr eine lange Reise sind sie sicher nicht geeignet, Toto”, sagte sie. Und Toto schaute ihr mit seinen kleinen schwarzen Augen ins Gesicht und wedelte mit dem Schwanz, um zu zeigen, dass er wusste, was sie meinte.
In diesem Moment sah Dorothy auf dem Tisch die silbernen Schuhe liegen, die der Hexe des Ostens gehĂśrt hatten.
“Ich frage mich, ob sie mir passen”, sagte sie zu Toto. “Sie wären genau das Richtige fĂźr einen langen Spaziergang, denn sie kĂśnnen nicht ausleiern.”
Sie zog ihre alten Lederschuhe aus und probierte die silbernen Schuhe an, die ihr so gut passten, als wären sie fßr sie gemacht worden.
SchlieĂlich hob sie ihren Korb auf.
“Komm mit, Toto”, sagte sie. “Wir werden in die Smaragdstadt gehen und den GroĂen Oz fragen, wie wir wieder nach Kansas kommen.”
Sie schloss die Tßr, verriegelte sie und steckte den Schlßssel sorgfältig in die Tasche ihres Kleides. Und so machte sie sich mit Toto, der ruhig hinter ihr her trottete, auf den Weg.
Es gab mehrere StraĂen in der Nähe, aber es dauerte nicht lange, bis sie die mit den gelben Ziegelpflastern gefunden hatte. Schon nach kurzer Zeit lief sie zĂźgig auf die Smaragdstadt zu und ihre silbernen Schuhe klapperten frĂśhlich auf dem harten, gelben StraĂenbelag. Die Sonne schien hell und die VĂśgel sangen lieblich und Dorothy fĂźhlte sich nicht annähernd so schlecht, wie man es einem kleinen Mädchen zutrauen wĂźrde, das plĂśtzlich aus seinem eigenen Land weggezaubert und inmitten eines fremden Landes ausgesetzt worden war.
Als sie weiterging, war sie Ăźberrascht, wie schĂśn das Land um sie herum war. Die Zäune am Wegesrand waren in einem zarten Blau gestrichen und dahinter lagen Felder mit Getreide und GemĂźse in HĂźlle und FĂźlle. Offensichtlich waren die Munchkins gute Bauern und konnten groĂe Ernten einfahren. Ab und zu kam sie an einem Haus vorbei und die Leute kamen heraus, um sie anzusehen und sich tief zu verbeugen, wenn sie vorbeikam; denn jeder wusste, dass sie diejenige war, welche die BĂśse Hexe vernichtete und sie aus der Knechtschaft zu befreite. Die Behausungen der Munchkins sahen seltsam aus, denn jedes war rund und hatte eine groĂe Kuppel als Dach. Alle waren blau gestrichen, denn in diesem Land des Ostens war Blau die Lieblingsfarbe.
Gegen Abend, als Dorothy von ihrem langen Spaziergang mĂźde war und sich zu fragen begann, wo sie die Nacht verbringen sollte, kam sie zu einem Haus, das grĂśĂer war als die anderen. Auf dem grĂźnen Rasen davor tanzten viele Männer und Frauen. FĂźnf kleine Fiedler spielten so laut wie mĂśglich und die Leute lachten und sangen, während ein groĂer Tisch in der Nähe mit kĂśstlichen FrĂźchten und NĂźssen, Torten und Kuchen und vielen anderen Leckereien beladen war.
Die Leute begrĂźĂten Dorothy freundlich und luden sie zum Abendessen ein, um die Nacht mit ihnen zu verbringen; denn dies war das Haus eines der reichsten Munchkins im Land, und seine Freunde waren mit ihm versammelt, um ihre Befreiung von der Knechtschaft der BĂśsen Hexe zu feiern.
Dorothy aĂ ein herzhaftes Abendessen und wurde von dem reichen Zwerg, der Boq hieĂ, bedient. Dann setzte sie sich auf eine Couch und sah den Leuten beim Tanzen zu.
Als Boq ihre silbernen Schuhe sah, sagte er: “Du musst eine groĂe Zauberin sein.”
“Wieso?”, fragte das Mädchen.
“Weil du silberne Schuhe trägst und die BĂśse Hexe getĂśtet hast. AuĂerdem trägst du WeiĂ in deinem Kleid und nur Hexen und Zauberinnen tragen WeiĂ.”
“Mein Kleid ist blau-weiĂ kariert”, sagte Dorothy und glättete die Falten darin.
“Es ist nett von dir, das zu tragen”, sagte Boq. “Blau ist die Farbe der Munchkins und WeiĂ ist die Farbe der Hexen. Wir wissen also, dass du eine freundliche Hexe bist.”
Dorothy wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, denn alle Leute schienen sie fßr eine Hexe zu halten, und sie wusste genau, dass sie nur ein ganz gewÜhnliches kleines Mädchen war, das durch den Zufall eines Zyklons in ein fremdes Land gekommen war.
Als sie genug davon hatte, dem Tanz zuzusehen, fßhrte Boq sie ins Haus, wo er ihr ein Zimmer mit einem hßbschen Bett gab. Die Laken waren aus blauem Stoff, und Dorothy schlief bis zum Morgen fest darin, während Toto sich auf dem blauen Teppich neben ihr zusammenrollte.
Sie aĂ ein ausgibiges FrĂźhstĂźck und beobachtete ein kleines Munchkin-Baby, das mit Toto spielte, an seinem Schwanz zog, krähte und lachte, was Dorothy sehr amĂźsierte. Toto war fĂźr alle Leute eine groĂqrtige Kuriosität, denn sie hatten noch nie einen Hund gesehen.
“Wie weit ist es bis zur Smaragdstadt?”, fragte das Mädchen.
“Das weiĂ ich nicht”, antwortete Boq mit ernster Miene, “denn ich war noch nie dort. Es ist besser fĂźr die Leute, sich von Oz fernzuhalten, es sei denn, sie haben mit ihm zu tun. Aber es ist ein langer Weg in die Smaragdstadt und du wirst viele Tage dafĂźr brauchen. Das Land hier ist reich und angenehm, aber du musst durch raue und gefährliche Gegenden gehen, bevor ihr das Ziel eurer Reise erreicht.”
Dies beunruhigte Dorothy ein wenig, aber sie wusste, dass nur der GroĂe Oz ihr helfen konnte, wieder nach Kansas zu gelangen, und so beschloss sie tapfer, nicht umzukehren.
Sie sagte ihren Freunden Lebewohl und machte sich wieder auf den Weg, der aus gelben Ziegeln bestand. Als sie einige Meilen zurĂźckgelegt hatte, wollte sie eine Pause einlegen, kletterte auf die Spitze des Zauns neben der StraĂe und setzte sich hin. Hinter dem Zaun lag ein groĂes Maisfeld und nicht weit entfernt sah sie eine Vogelscheuche, die hoch oben auf einer Stange saĂ, um die VĂśgel vom reifen Mais fernzuhalten.
Dorothy stĂźtzte ihr Kinn auf ihre Hand und betrachtete nachdenklich die Vogelscheuche. Ihr Kopf war ein kleiner, mit Stroh gefĂźllter Sack, auf den Augen, Nase und Mund gemalt waren, um ein Gesicht darzustellen. Auf dem Kopf saĂ ein alter, spitzer blauer Hut, der irgendeinem Munchkin gehĂśrt hatte, und der Rest der Figur bestand aus einem blauen, abgetragenen und verblichenen KleidungsstĂźck, das ebenfalls mit Stroh ausgestopft worden war. An den FĂźĂen befanden sich alte Stiefel mit blauen Stulpen, wie sie in diesem Land jeder Mann trug, und die Figur erhob sich Ăźber die Maisstengel mittels der Stange, die ihr im RĂźcken steckte.

Während Dorothy in das gemalte Gesicht der Vogelscheuche blickte, sah sie zu ihrer Ăberraschung, dass ihr eines der Augen langsam zuzwinkerte. Zuerst dachte sie, sie mĂźsse sich irren, denn keine der Vogelscheuchen in Kansas zwinkerte ihr zu, aber bald nickte ihr die Gestalt freundlich zu. Dann kletterte sie vom Zaun herunter und ging auf sie zu, während Toto um den Pfahl herumlief und bellte.
“Guten Tag”, sagte die Vogelscheuche mit einer etwas heiseren Stimme.
“Hast du gesprochen?”, fragte das Mädchen erstaunt.
“Gewiss”, antwortete die Vogelscheuche. “Wie geht es dir?”
“Mir geht es recht gut, danke”, antwortete Dorothy hĂśflich. “Und dir?”
“Mir geht es nicht gut”, sagte die Vogelscheuche lächelnd, “denn es ist sehr mĂźhsam, Tag und Nacht hier oben zu hocken und die Krähen zu verscheuchen.”
“Kannst du nicht herunterkommen?”, fragte Dorothy.
“Nein, denn diese Stange steckt in meinem RĂźcken. Wenn Sie die Stange bitte wegnehmen wĂźrden, wäre ich Ihnen sehr verbunden.”
Dorothy streckte beide Arme aus und hob die Figur von der Stange, denn da sie mit Stroh ausgestopft war, war sie ziemlich leicht.
“Vielen Dank”, sagte die Vogelscheuche, als man sie auf den Boden setzte. “Ich fĂźhle mich wie ein neuer Mann.”
Dorothy war verblĂźfft, denn es klang seltsam, einen ausgestopften Mann sprechen zu hĂśren und zu sehen, wie er sich verbeugte und neben ihr herging.
“Wer bist du?”, fragte die Vogelscheuche, nachdem sie sich gestreckt und gegähnt hatte. “Und wohin gehst du?”
“Ich heiĂe Dorothy”, sagte das Mädchen, “und ich gehe in die Smaragdstadt, um den GroĂen Oz zu bitten, mich nach Kansas zurĂźckzuschicken.”
“Wo ist die Smaragdstadt?”, fragte er. “Und wer ist Oz?”
“Warum, weiĂt du es nicht?”, entgegnete sie Ăźberrascht.
“Nein, in der Tat. Ich weiĂ nichts. Sehen Sie, ich bin ausgestopft, deshalb habe ich Ăźberhaupt keinen Verstand”, antwortete er traurig.
“Oh”, sagte Dorothy, “es tut mir schrecklich leid fĂźr dich.”
“Glaubst du”, fragte er, “wenn ich mit dir in die Smaragdstadt gehe, dass Oz mir einen Verstand schenken wĂźrde?”
“Das kann ich nicht sagen”, erwiderte sie, “aber du kannst mit mir kommen, wenn du willst. Wenn Oz dir keinen Verstand gibt, wirst du nicht schlechter dran sein als jetzt.”
“Das ist wahr”, sagte die Vogelscheuche. “Siehst du”, fuhr er vertraulich fort, “es macht mir nichts aus, dass meine Beine und Arme und mein KĂśrper ausgestopft sind, denn ich kann mich nicht verletzen. Wenn mir jemand auf die Zehen tritt oder eine Nadel in mich sticht, macht das nichts, denn ich kann es nicht spĂźren. Aber ich will nicht, dass man mich einen Dummkopf nennt, und wenn mein Kopf mit Stroh statt mit Hirn gestopft ist, wie deiner, wie soll ich dann jemals etwas wissen?”
“Ich verstehe, wie du dich fĂźhlst”, sagte das kleine Mädchen, der er wirklich leid tat. “Wenn du mit mir kommst, werde ich Oz bitten, alles fĂźr dich zu tun, was er kann.”
“Danke”, antwortete er dankbar.
Sie liefen zurĂźck zur StraĂe. Dorothy half ihm Ăźber den Zaun und sie gingen den gelben Ziegelsteinpfad entlang in die Smaragdstadt.
Toto mochte diesen Neuzugang ihrer Gesellschaft zunächst nicht. Er roch an dem ausgestopften Mann, als ob er ein Rattennest im Stroh vermutete, und er knurrte die Vogelscheuche oft unfreundlich an.
“Mach dir nichts aus Toto”, sagte Dorothy zu ihrem neuen Freund. “Er beiĂt nie.”
“Oh, ich habe keine Angst”, antwortete die Vogelscheuche. “Er kann dem Stroh nichts anhaben. Lass mich den Korb fĂźr dich tragen. Es wird mir nichts ausmachen, denn ich kann nicht mĂźde werden. Ich werde dir ein Geheimnis verraten”, fuhr er fort, während er weiterging. “Es gibt nur eine Sache auf der Welt, vor der ich mich fĂźrchte.
“Was ist das?”, fragte Dorothy, “der Munchkinfarmer, der dich gemacht hat?”
“Nein”, antwortete die Vogelscheuche, “es ist ein brennendes Streichholz.”
Kapitel 4: Der Weg durch den Wald
Nach einigen Stunden wurde der Weg uneben und das Gehen wurde so schwierig, dass die Vogelscheuche oft ßber die gelben Ziegel stolperte, die hier sehr uneben waren. Manchmal waren sie sogar zerbrochen oder fehlten ganz, so dass LÜcher entstanden, ßber die Toto sprang und Dorothy herumlief. Da die Vogelscheuche keinen Verstand hatte, ging sie geradeaus, trat in die LÜcher und fiel in voller Länge auf die harten Ziegelsteine. Das tat ihm jedoch nicht weh und Dorothy hob ihn auf und stellte ihn wieder auf die Beine, während er mit ihr ßber sein Missgeschick lachte.
Die BauernhÜfe waren hier nicht annähernd so gut gepflegt wie weiter hinten. Es gab weniger Häuser und weniger Obstbäume und je weiter sie kamen, desto trostloser und einsamer wurde das Land.
Am Mittag setzten sie sich an den StraĂenrand, in der Nähe eines kleinen Baches, und Dorothy Ăśffnete ihren Korb und holte etwas Brot heraus. Sie bot der Vogelscheuche ein StĂźck an, aber sie lehnte ab.
“Ich habe nie Hunger”, sagte er, “und das ist auch gut so, denn mein Mund ist nur angemalt, und wenn ich ein Loch hineinschneiden wĂźrde, um zu essen, käme das Stroh heraus, mit dem ich gestopft bin, und das wĂźrde die Form meines Kopfes verderben.”
Dorothy sah sofort, dass dies stimmte, nickte nur und aĂ weiter ihr Brot.
“Erzähl mir etwas Ăźber dich und das Land, aus dem du kommst”, sagte die Vogelscheuche, als sie ihr Essen beendet hatte. Also erzählte sie ihm alles Ăźber Kansas, und wie grau dort alles war, und wie der Wirbelsturm sie in dieses seltsame Land Oz gebracht hatte.
Die Vogelscheuche hĂśrte aufmerksam zu und sagte: “Ich kann nicht verstehen, warum du dieses schĂśne Land verlassen und in den trockenen, grauen Ort zurĂźckkehren willst, den du Kansas nennst.”
“Das liegt daran, dass du keinen Verstand hast”, antwortete das Mädchen. “Egal wie trist und grau unsere Häuser sind, wir Menschen aus Fleisch und Blut wĂźrden lieber dort leben als in irgendeinem anderen Land, und sei es noch so schĂśn. Es gibt keinen Ort wie die Heimat.”
Die Vogelscheuche seufzte.
“NatĂźrlich kann ich das nicht verstehen”, sagte er. “Wenn eure KĂśpfe mit Stroh ausgestopft wären, wie meiner, wĂźrdet ihr wahrscheinlich alle an den schĂśnsten Orten leben, und dann gäbe es in Kansas Ăźberhaupt keine Menschen. Es ist ein GlĂźck fĂźr Kansas, dass ihr einen Verstand habt.”
“Willst du mir nicht eine Geschichte erzählen, während wir uns ausruhen?”, fragte das Kind.
Die Vogelscheuche sah sie vorwurfsvoll an und antwortete:
“Mein Leben war so kurz, dass ich eigentlich gar nichts weiĂ. Ich bin erst vorgestern erschaffen worden. Was davor in der Welt geschah, ist mir unbekannt. Zum GlĂźck hat der Bauer, als er mir den Kopf gemacht hat, mir als Erstes die Ohren angemalt, damit ich hĂśre, was vor sich geht. Es war noch ein anderer Munchkin bei ihm und das erste, was ich hĂśrte, war, wie der Bauer sagte: “Wie gefallen dir diese Ohren?
“Sie sitzen nicht gerade”, antwortete der andere.
“âMacht nichtsâ, sagte der Bauer. “Es sind trotzdem Ohren”, was ja auch stimmt.
“Jetzt mache ich die Augen”, sagte der Bauer. So malte er mein rechtes Auge und sobald es fertig war, sah ich ihn und alles um mich herum mit groĂer Neugier an, denn dies war mein erster Blick auf die Welt.
“Das ist ein ziemlich hĂźbsches Auge”, bemerkte der Munchkin, das den Bauern beobachtete. “âBlaue Farbe ist genau die richtige Farbe fĂźr Augen.â
“Ich denke, ich werde das andere Auge ein wenig grĂśĂer machen”, sagte der Bauer. Und als das zweite Auge fertig war, konnte ich viel besser sehen als vorher. Dann machte er meine Nase und meinen Mund. Aber ich konnte nicht sprechen, denn damals wusste ich noch nicht, wozu ein Mund gut ist. Es machte mir SpaĂ, zuzusehen, wie sie meinen KĂśrper, meine Arme und Beine machten, und als sie mir schlieĂlich den Kopf aufsetzten, war ich sehr stolz, denn ich dachte, ich sei ein genauso guter Mensch wie alle anderen.
“âDieser Bursche wird die Krähen schnell genug erschreckenâ, sagte der Bauer. Er sieht aus wie ein Mensch.â
Er ist doch ein Mann”, sagte der andere, und ich stimmte ihm zu. Der Bauer trug mich unter dem Arm ins Kornfeld und setzte mich auf einen hohen Stock, wo du mich gefunden hast. Bald darauf gingen er und sein Freund weg und lieĂen mich allein zurĂźck.
“Es gefiel mir nicht, auf diese Weise verlassen zu werden. Also versuchte ich, ihnen nachzulaufen. Aber meine FĂźĂe wollten den Boden nicht berĂźhren und ich war gezwungen, auf diesem Pfahl zu bleiben. Es war ein einsames Leben, denn ich hatte nichts, woran ich denken konnte, da ich erst vor so kurzer Zeit gemacht worden war. Viele Krähen und andere VĂśgel flogen ins Kornfeld, aber sobald sie mich sahen, flogen sie wieder weg, weil sie dachten, ich sei ein Munchkin; das gefiel mir und gab mir das GefĂźhl, eine ganz wichtige Person zu sein. Nach und nach flog eine alte Krähe in meine Nähe und nachdem sie mich genau betrachtet hatte, setzte sie sich auf meine Schulter und sagte:
“Ich frage mich, ob der Bauer mich auf diese plumpe Art und Weise täuschen wollte. Jede Krähe, die bei Verstand ist, kann sehen, dass du nur mit Stroh gestopft bist.â Dann hĂźpfte er zu meinen FĂźĂen und fraĂ so viel Mais, wie er wollte. Als die anderen VĂśgel sahen, dass ich ihm nichts antat, kamen sie auch, um den Mais zu fressen, und so war in kurzer Zeit eine groĂe Schar von ihnen um mich herum.
Ich war traurig darĂźber, denn es zeigte, dass ich doch keine so gute Vogelscheuche war. Aber die alte Krähe trĂśstete mich und sagte: “Wenn du nur Verstand im Kopf hättest, wärst du ein genauso guter Mann wie alle anderen, und ein besserer als manche von ihnen. Verstand ist das Einzige, was auf dieser Welt wertvoll ist, ganz gleich, ob man eine Krähe oder ein Mensch ist.
“Nachdem die Krähen weg waren, dachte ich darĂźber nach und beschloss, dass ich mich bemĂźhen wĂźrde, etwas Verstand zu bekommen. Zum GlĂźck kamst du vorbei und hast mich vom Scheiterhaufen geholt und nach dem, was du sagst, bin ich sicher, dass der GroĂe Oz mir Hirn geben wird, sobald wir in der Smaragdstadt sind.”
“Das hoffe ich”, sagte Dorothy ernsthaft, “denn du scheinst es unbedingt haben zu wollen.”
“Oh ja, ich bin besorgt”, erwiderte die Vogelscheuche. “Es ist so ein unangenehmes GefĂźhl, wenn man weiĂ, dass man ein Narr ist.”
“Nun”, sagte das Mädchen, “lass uns gehen.” Und sie reichte der Vogelscheuche den Korb.
Am Wegesrand gab es keine Zäune mehr und das Land war rau und unbearbeitet. Gegen Abend kamen sie an einen groĂen Wald, in dem die Bäume so groĂ und dicht beieinander wuchsen, dass sich ihre Ăste Ăźber der StraĂe aus gelbem Backstein trafen. Unter den Bäumen war es fast dunkel, denn die Ăste schlossen das Tageslicht aus; aber die Reisenden hielten nicht an, sondern gingen weiter in den Wald hinein.
“Wenn dieser Weg hineinfĂźhrt, muss er auch wieder herausfĂźhren”, sagte die Vogelscheuche, “und da die Smaragdstadt am anderen Ende des Weges liegt, mĂźssen wir dorthin gehen, wohin er uns fĂźhrt.”
“Das weiĂ doch jeder”, sagte Dorothy.
“Gewiss, deshalb weiĂ ich es”, erwiderte die Vogelscheuche. “Hätte man einen Verstand gebraucht, um es herauszufinden, hätte ich es nie gesagt.”
Nach einer Stunde oder so verblasste das Licht, und sie stolperten durch die Dunkelheit. Dorothy konnte ßberhaupt nichts sehen, aber Toto schon, denn manche Hunde sehen sehr gut im Dunkeln, und die Vogelscheuche erklärte, er kÜnne so gut sehen wie bei Tag. Also nahm sie seinen Arm und kam ganz gut zurecht.
“Wenn du ein Haus oder einen Ort siehst, wo wir die Nacht verbringen kĂśnnen”, sagte sie, “musst du es mir sagen, denn es ist sehr unangenehm, im Dunkeln zu laufen.”
Kurz darauf hielt die Vogelscheuche an.
“Ich sehe eine kleine HĂźtte rechts von uns”, sagte er, “gebaut aus Baumstämmen und Ăsten. Sollen wir dorthin gehen?”
“Ja, in der Tat”, antwortete das Kind. “Ich bin ganz mĂźde.”
Die Vogelscheuche fßhrte sie durch die Bäume, bis sie die Hßtte erreichten, und Dorothy trat ein und fand in einer Ecke ein Bett aus getrockneten Blättern. Sie legte sich sofort hin und mit Toto an ihrer Seite fiel sie bald in einen tiefen Schlaf. Die Vogelscheuche, die nie mßde war, stand in einer anderen Ecke auf und wartete geduldig, bis der Morgen anbrach.

Kapitel 5: Die Rettung des Blechmannes
Als Dorothy erwachte, schien die Sonne durch die Bäume, und Toto war schon lange unterwegs, um VÜgel und EichhÜrnchen zu jagen. Sie setzte sich auf und schaute sich um. Da war die Vogelscheuche, die immer noch geduldig in ihrer Ecke stand und auf sie wartete.
“Wir mĂźssen gehen und nach Wasser suchen”, sagte sie zu ihm.
“Warum willst du Wasser?”, fragte er.
“Um mein Gesicht nach dem Staub der StraĂe zu waschen und um zu trinken, damit mir das trockene Brot nicht im Hals stecken bleibt.”
“Es muss unbequem sein, aus Fleisch zu sein”, sagte die Vogelscheuche nachdenklich, “denn du musst schlafen, essen und trinken. Aber ihr habt einen Verstand und es ist eine Menge MĂźhe wert, richtig denken zu kĂśnnen.”
Sie verlieĂen die HĂźtte und liefen durch die Bäume, bis sie eine kleine Quelle mit klarem Wasser fanden, wo Dorothy trank, badete und ihr FrĂźhstĂźck aĂ. Sie sah, dass nicht mehr viel Brot im Korb war, und das Mädchen war dankbar, dass die Vogelscheuche nichts essen musste, denn es gab kaum genug fĂźr sie und Toto fĂźr den Tag.
Als sie ihre Mahlzeit beendet hatte und sich wieder auf den Weg mit den gelben Ziegelstein machen wollte, hÜrte sie zu ihrem Entsetzen ein tiefes StÜhnen in der Nähe.
“Was war das?”, fragte sie zaghaft.
“Das kann ich mir nicht vorstellen”, antwortete die Vogelscheuche, “aber wir kĂśnnen ja mal nachsehen.”
In diesem Moment ertĂśnte ein weiteres StĂśhnen und das Geräusch schien von hinten zu kommen. Sie drehten sich um und gingen ein paar Schritte durch den Wald, als Dorothy etwas entdeckte, das in einem Sonnenstrahl, der zwischen die Bäume fiel, glänzte. Sie rannte zu der Stelle und blieb dann mit einem kleinen Schrei der Ăberraschung stehen.
Einer der groĂen Bäume war teilweise gefällt worden und daneben stand, mit einer erhobenen Axt in den Händen, ein Mann, der ganz aus Blech war. Sein Kopf, seine Arme und Beine waren mit Gelenken an seinem KĂśrper befestigt, aber er stand vĂśllig regungslos da, als ob er sich Ăźberhaupt nicht bewegen kĂśnnte.
Dorothy und die Vogelscheuche sahen ihn erstaunt an, während Toto scharf bellte und nach den Blechbeinen schnappte, was seine Zähne verletzte.
“Hast du gestĂśhnt?”, fragte Dorothy.
“Ja”, antwortete der Blechmann, “das habe ich. Ich stĂśhne schon seit mehr als einem Jahr und niemand hat mich bisher gehĂśrt oder mir geholfen.”
“Was kann ich fĂźr dich tun?”, fragte sie leise, denn die traurige Stimme, mit der der Mann sprach, rĂźhrte sie.

“Hol eine Ălkanne und Ăśle meine Gelenke”, antwortete er. “Sie sind so verrostet, dass ich sie gar nicht mehr bewegen kann; wenn ich gut geĂślt bin, wird es mir bald wieder gut gehen. Du findest eine Ălkanne auf einem Regal in meiner HĂźtte.”
Dorothy lief sofort zur HĂźtte zurĂźck und fand die Ălkanne, dann kehrte sie zurĂźck und fragte besorgt: “Wo sind deine Gelenke?”
“Ăle zuerst meinen Hals”, antwortete der Blechmann. Also Ăślte sie ihn und da er ziemlich stark verrostet war, nahm die Vogelscheuche den Zinnkopf in die Hand und bewegte ihn vorsichtig hin und her, bis er sich frei drehen lieĂ, und dann konnte der Blechmann ihn selbst drehen.
“Jetzt Ăśle die Gelenke meiner Arme”, sagte er. Und Dorothy Ăślte sie und die Vogelscheuche bog sie vorsichtig, bis sie ganz frei von Rost und so gut wie neu waren.
Der Blechmann seufzte zufrieden und lieĂ seine Axt sinken, die er an den Baum lehnte.
“Das ist ein groĂer Trost”, sagte er. “Seit ich verrostet bin, habe ich die Axt in der Luft gehalten, und ich bin froh, dass ich sie jetzt endlich ablegen kann. Wenn du jetzt noch die Gelenke meiner Beine Ăślst, geht es mir wieder gut.”
Sie Ăślten seine Beine ein, bis er sie wieder frei bewegen konnte, und er bedankte sich immer wieder fĂźr seine Freilassung, denn er schien ein sehr hĂśfliches und dankbares Wesen zu sein.
“Ich hätte fĂźr immer dort gestanden, wenn du nicht gekommen wärst”, sagte er, “so hast du mir sicher das Leben gerettet. Wie kommt es, dass ihr hier seid?”
“Wir sind auf dem Weg in die Smaragdstadt, um den GroĂen Oz zu sehen”, antwortete sie, “und wir haben in eurem Haus Ăźbernachtet.”
“Warum wollt ihr Oz sehen?”, fragte er.
“Ich will, dass er mich nach Kansas zurĂźckschickt, und die Vogelscheuche will, dass er ein paar Gehirne in seinen Kopf steckt”, antwortete sie.
Der Blechmann schien einen Moment lang zu Ăźberlegen. Dann sagte er:
“Meinst du, Oz kĂśnnte mir ein Herz schenken?”
“Ja, ich denke schon”, antwortete Dorothy. “Es wäre so einfach, als wĂźrde man der Vogelscheuche Hirn geben.”
“Stimmt”, erwiderte der Blechmann. “Wenn du mir also erlaubst, mich deiner Gruppe anzuschlieĂen, werde ich auch in die Smaragdstadt gehen und Oz bitten, mir zu helfen.”
“Komm mit”, sagte die Vogelscheuche herzlich, und Dorothy fĂźgte hinzu, dass sie sich Ăźber seine Gesellschaft freuen wĂźrde. Also schulterte der Blechmann seine Axt und sie gingen alle durch den Wald, bis sie zu der StraĂe kamen, die mit gelben Ziegeln gepflastert war.
Der Blechmann hatte Dorothy gebeten, die Ălkanne in ihren Korb zu legen. “Denn”, sagte er, “wenn ich vom Regen erwischt werden und wieder rosten sollte, wĂźrde ich die Ălkanne dringend brauchen.”
Es war ein GlĂźcksfall, dass sich der neue Kamerad der Gruppe anschloss, denn bald, nachdem sie ihre Reise wieder aufgenommen hatten, kamen sie an eine Stelle, an der die Bäume und Ăste so dicht Ăźber die StraĂe wuchsen, dass die Reisenden nicht durchkommen konnten. Aber der Blechmann machte sich mit seiner Axt an die Arbeit und hackte so gut, dass er bald einen Durchgang fĂźr die ganze Gruppe freimachte.
Dorothy war so in Gedanken vertieft, dass sie nicht bemerkte, wie die Vogelscheuche in ein Loch stolperte und an den StraĂenrand rollte. Er war sogar gezwungen, sie zu rufen, damit sie ihm wieder aufhalf.
“Warum bist du nicht um das Loch herumgegangen?”, fragte der Blechmann.
“Ich weiĂ nicht genug”, antwortete die Vogelscheuche frĂśhlich. “Mein Kopf ist mit Stroh ausgestopft, weiĂt du, und deshalb gehe ich zu Oz, um ihn um etwas Verstand zu bitten.”
“Oh, ich verstehe”, sagte der Blechmann. “Aber schlieĂlich ist der Verstand nicht das Beste, was es auf der Welt gibt.”
“Hast du welche?”, fragte die Vogelscheuche.
“Nein, mein Kopf ist ganz leer”, antwortete der Holzfäller. “Aber einst hatte ich einen Verstand und auch ein Herz; und nachdem ich beides ausprobiert habe, mĂśchte ich lieber ein Herz haben.”
“Und warum ist das so?”, fragte die Vogelscheuche.
“Ich werde dir meine Geschichte erzählen und dann wirst du es verstehen.”
Während sie also durch den Wald gingen, erzählte der Blechmann die folgende Geschichte:
“Ich wurde als Sohn eines Holzfällers geboren, der im Wald Bäume fällte und das Holz verkaufte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Als ich aufwuchs, wurde auch ich Holzhacker, und nach dem Tod meines Vaters kĂźmmerte ich mich um meine alte Mutter, solange sie lebte. Dann fasste ich den Entschluss, nicht mehr allein zu leben, sondern zu heiraten, damit ich nicht einsam werde.
“Es gab eines der Munchkin-Mädchen, das so schĂśn war, dass ich sie bald von ganzem Herzen liebte. Sie versprach mir, mich zu heiraten, sobald ich genug Geld verdiene, um ihr ein besseres Haus zu bauen; also machte ich mich an die Arbeit. Aber das Mädchen lebte bei einer alten Frau, die nicht wollte, dass sie jemanden heiratete, denn sie war so faul, dass sie wollte, dass das Mädchen bei ihr blieb und kochte und den Haushalt machte. So ging die alte Frau zur BĂśsen Hexe des Ostens und versprach ihr zwei Schafe und eine Kuh, wenn sie die Heirat verhindern wĂźrde. Daraufhin verzauberte die BĂśse Hexe meine Axt und als ich eines Tages nach besten Kräften hackte, weil ich das neue Haus und meine Frau so schnell wie mĂśglich haben wollte, rutschte die Axt auf einmal ab und hackte mir das linke Bein ab.
“Das schien mir zunächst ein groĂes UnglĂźck zu sein, denn ich wusste, dass ein einbeiniger Mann als Holzhacker nicht viel taugen wĂźrde. Also ging ich zu einem Spengler und lieĂ mir ein neues Bein aus Zinn anfertigen. Das Bein funktionierte sehr gut, sobald ich mich daran gewĂśhnt hatte. Aber meine Tat erzĂźrnte die BĂśse Hexe des Ostens, denn sie hatte der alten Frau versprochen, dass ich das hĂźbsche Munchkin-Mädchen nicht heiraten wĂźrde. Als ich wieder zu hacken begann, rutschte meine Axt ab und hieb mir das rechte Bein ab. Wieder ging ich zum ZinngieĂer und wieder machte er mir ein Bein aus Zinn. Danach hieb mir die verzauberte Axt einen Arm nach dem anderen ab, aber ich lieĂ mich nicht entmutigen und ersetzte sie durch Zinnarme. Dann lieĂ die BĂśse Hexe die Axt abrutschen und schlug mir den Kopf ab und zuerst dachte ich, das wäre mein Ende. Aber der Spengler kam zufällig vorbei und machte mir einen neuen Kopf aus Zinn.
“Damals dachte ich, ich hätte die BĂśse Hexe besiegt, und ich arbeitete härter als je zuvor, aber ich wusste nicht, wie grausam meine Feindin sein konnte. Sie dachte sich einen neuen Weg aus, um meine Liebe zu dem schĂśnen Munchkin-Mädchen zu tĂśten, und lieĂ meine Axt erneut abrutschen, so dass sie meinen KĂśrper durchschlug und mich in zwei Hälften spaltete. Noch einmal kam mir der Blechschmied zu Hilfe und machte mir einen KĂśrper aus Blech, an dem er meine Blecharme und -beine und meinen Kopf mit Gelenken befestigte, so dass ich mich so gut wie immer bewegen konnte. Aber leider hatte ich kein Herz mehr, so dass ich meine Liebe zu dem Munchkin-Mädchen verlor und es mir egal war, ob ich sie heiratete oder nicht. Ich nehme an, dass sie immer noch bei der alten Frau lebt und darauf wartet, dass ich sie abhole.
“Mein KĂśrper glänzte so hell in der Sonne, dass ich sehr stolz darauf war, und es machte nichts mehr aus, wenn meine Axt abrutschte, denn sie konnte mich nicht schneiden. Es bestand nur die Gefahr, dass meine Gelenke rosten wĂźrden, aber ich hatte eine Ălkanne in meiner HĂźtte und Ăślte mich ein, wann immer ich es brauchte. Doch eines Tages vergaĂ ich das und als ich in einen Regensturm geriet, waren meine Gelenke verrostet, bevor ich mir der Gefahr bewusst werden konnte, und ich musste im Wald stehen bleiben, bis du gekommen bist, um mir zu helfen. Es war eine schreckliche Sache, die ich durchmachen musste, aber während des Jahres, das ich dort stand, hatte ich Zeit, darĂźber nachzudenken, dass der grĂśĂte Verlust, den ich erlebt hatte, der Verlust meines Herzens war. Solange ich verliebt war, war ich der glĂźcklichste Mensch auf Erden; aber niemand kann lieben, der kein Herz hat, und so bin ich entschlossen, Oz zu bitten, mir eines zu geben. Wenn er es tut, werde ich zu dem Munchkin-Mädchen zurĂźckkehren und sie heiraten.”
Sowohl Dorothy als auch die Vogelscheuche hatten sich sehr fĂźr die Geschichte des Zinnmannes interessiert und nun wussten sie, warum er so dringend ein neues Herz brauchte.
“Wie dem auch sei”, sagte die Vogelscheuche, “ich werde um Hirn statt um ein Herz bitten; denn ein Narr wĂźsste nicht, was er mit einem Herz anfangen sollte, wenn er eines hätte.”
“Ich werde das Herz nehmen”, erwiderte der Blechmann, “denn der Verstand macht nicht glĂźcklich, und GlĂźck ist das Beste auf der Welt.”
Dorothy sagte nichts, denn sie wollte wissen, wer von ihren beiden Freunden Recht hatte, und beschloss, wenn sie nur nach Kansas und zu Tante Em zurßckkehren kÜnnte, wäre es nicht so wichtig, ob der Holzfäller keinen Verstand und die Vogelscheuche kein Herz hatte, oder ob jeder bekam, was er wollte.
Was sie am meisten beunruhigte, war, dass das Brot fast aufgebraucht war und eine weitere Mahlzeit fĂźr sie und Toto den Korb leeren wĂźrde. Zwar aĂen weder der Holzmann noch die Vogelscheuche jemals etwas, aber sie war weder aus Blech noch aus Stroh und konnte nicht leben, wenn sie nicht gefĂźttert wurde.
Kapitel 6: Der feige LĂśwe
Die ganze Zeit Ăźber waren Dorothy und ihre Begleiter durch den dichten Wald gelaufen. Der Weg war immer noch mit gelben Ziegelsteinen gepflastert, aber diese waren durch vertrocknete Ăste und abgestorbene Blätter der Bäume stark verdeckt, und das Gehen war alles andere als gut.
In diesem Teil des Waldes gab es nur wenige VĂśgel, denn VĂśgel lieben das offene Land, wo es viel Sonne gibt. Aber hin und wieder ertĂśnte ein tiefes Knurren von einem wilden Tier, das sich zwischen den Bäumen versteckte. Diese Geräusche lieĂen das Herz des kleinen Mädchens schnell schlagen, denn sie wusste nicht, woher sie kamen; aber Toto wusste es, und er lief dicht an Dorothys Seite und bellte nicht einmal zurĂźck.
“Wie lange wird es dauern”, fragte das Kind den Blechmann, “bis wir aus dem Wald heraus sind?”
“Das kann ich nicht sagen”, war die Antwort, “denn ich war noch nie in der Smaragdstadt. Aber mein Vater ging einmal dorthin, als ich ein Junge war, und er sagte, es sei eine lange Reise durch ein gefährliches Land, obwohl das Land in der Nähe der Stadt, in der Oz wohnt, wunderschĂśn ist. Aber ich habe keine Angst, solange ich meine Ălkanne habe, und nichts kann der Vogelscheuche etwas anhaben, während du auf deiner Stirn das Zeichen des Kusses der Guten Hexe trägst, das dich vor Schaden bewahrt.”
“Aber Toto!”, sagte das Mädchen ängstlich. “Was wird ihn beschĂźtzen?”
“Wir mĂźssen ihn beschĂźtzen, wenn er in Gefahr ist”, antwortete der Blechmann.
Gerade als er sprach, ertĂśnte aus dem Wald ein furchtbares BrĂźllen, und im nächsten Augenblick sprang ein groĂer LĂśwe auf die StraĂe. Mit einem Prankenhieb schleuderte er die Vogelscheuche an den StraĂenrand und schlug dann mit seinen scharfen Krallen nach dem Zinnmann. Doch zur Ăberraschung des LĂśwen konnte er das Blech nicht durchdringen, obwohl der Holzfäller auf der StraĂe umkippte und regungslos liegen blieb.
Der kleine Toto, der nun einen Feind vor sich hatte, rannte bellend auf den LĂśwen zu, und das groĂe Tier hatte sein Maul geĂśffnet, um den Hund zu beiĂen, als Dorothy, die befĂźrchtete, dass Toto getĂśtet werden wĂźrde, ohne auf die Gefahr zu achten, vorwärts stĂźrmte und dem LĂśwen eine Ohrfeige gab, so fest sie konnte, während sie schrie:
“Du wagst es nicht, Toto zu beiĂen! Du solltest dich schämen, so eine groĂe Bestie wie du, die einen armen kleinen Hund beiĂt!”

“Ich habe ihn nicht gebissen”, sagte der LĂśwe und rieb sich mit seiner Pfote die Nase, die Dorothy getroffen hatte.
“Nein, aber du hast es versucht”, erwiderte sie. “Du bist nichts weiter als ein groĂer Feigling.”
“Ich weiĂ”, sagte der LĂśwe und lieĂ beschämt den Kopf hängen. “Ich habe es immer gewusst. Aber was kann ich dagegen tun?”
“Ich weiĂ nicht, ich bin mir sicher. Wenn man bedenkt, dass du einen ausgestopften Mann schlägst, wie die arme Vogelscheuche!”
“Ist er ausgestopft?”, fragte der LĂśwe erstaunt, als er sah, wie sie die Vogelscheuche aufhob und auf die FĂźĂe stellte, während sie sie wieder in Form tätschelte.
“NatĂźrlich ist er ausgestopft”, antwortete Dorothy, die immer noch wĂźtend war.
“Deshalb ist er auch so leicht umgefallen”, bemerkte der LĂśwe. “Es hat mich erstaunt, ihn so herumwirbeln zu sehen. Ist der andere auch ausgestopft?”
“Nein”, sagte Dorothy, “er ist aus Blech.” Und sie half dem Holzfäller wieder auf.
“Deshalb hat er mir fast die Krallen gestutzt”, sagte der LĂśwe. “Als sie gegen das Blech kratzten, lief mir ein kalter Schauer Ăźber den RĂźcken. Was ist das fĂźr ein kleines Tier, das du so zärtlich behandelst?”
“Er ist mein Hund, Toto”, antwortete Dorothy.
“Ist er aus Blech oder ausgestopft?”, fragte der LĂśwe.
“Weder noch. Er ist ein Fleischhund”, sagte das Mädchen.
“Oh! Er ist ein seltsames Tier und scheint bemerkenswert klein zu sein, wenn ich ihn mir so ansehe. Niemand wĂźrde auf die Idee kommen, so ein kleines Ding zu beiĂen, auĂer ein Feigling wie ich”, fuhr der LĂśwe traurig fort.
“Was macht dich zu einem Feigling?”, fragte Dorothy und betrachtete verwundert das groĂe Tier, das so groĂ wie ein kleines Pferd war.
“Das ist mir ein Rätsel”, antwortete der LĂśwe. “Ich nehme an, ich wurde so geboren. Alle anderen Tiere im Wald erwarten natĂźrlich, dass ich mutig bin, denn der LĂśwe gilt Ăźberall als der KĂśnig der Tiere. Ich habe gelernt, dass, wenn ich sehr laut brĂźlle, jedes Lebewesen Angst bekommt und mir aus dem Weg geht. Immer, wenn ich einem Menschen begegnete, hatte ich schreckliche Angst; aber ich brĂźllte ihn einfach an, und er rannte immer so schnell er konnte, weg. Wenn die Elefanten, die Tiger und die Bären jemals versucht hätten, mich zu bekämpfen, wäre ich selbst weggelaufen – ich bin so ein Feigling; aber sobald sie mich brĂźllen hĂśren, versuchen sie alle, von mir wegzukommen, und natĂźrlich lasse ich sie laufen.”
“Aber das ist nicht richtig. Der KĂśnig der Bestien sollte kein Feigling sein”, sagte die Vogelscheuche.
“Das weiĂ ich”, erwiderte der LĂśwe und wischte sich mit der Schwanzspitze eine Träne aus dem Auge. “Es ist mein groĂer Kummer und macht mich des Lebens sehr unglĂźcklich. Aber immer, wenn Gefahr droht, beginnt mein Herz schnell zu schlagen.”
“Vielleicht hast du eine Herzkrankheit”, sagte der Blechmann.
“Das mag sein”, sagte der LĂśwe.
“Wenn du das hast”, fuhr der Blechmann fort, “solltest du froh sein, denn es beweist, dass du ein Herz hast. Ich fĂźr meinen Teil habe kein Herz, also kann ich auch keine Herzkrankheit haben.”
“Vielleicht”, sagte der LĂśwe nachdenklich, “wenn ich kein Herz hätte, wäre ich kein Feigling.”
“Habt du einen Verstand?”, fragte die Vogelscheuche.
“Ich nehme es an. Ich habe nie nachgesehen”, antwortete der LĂśwe.
“Ich gehe zum GroĂen Oz und bitte ihn, mir etwas zu geben”, sagte die Vogelscheuche, “denn mein Kopf ist mit Stroh ausgestopft.”
“Und ich werde ihn bitten, mir ein Herz zu schenken”, sagte der Holzfäller.
“Und ich werde ihn bitten, Toto und mich zurĂźck nach Kansas zu schicken”, fĂźgte Dorothy hinzu.
“Glaubst du, Oz kĂśnnte mir Mut geben?”, fragte der Feige LĂśwe.
“Genauso leicht, wie er mir Hirn geben kĂśnnte”, sagte die Vogelscheuche.
“Oder mir ein Herz geben kĂśnnte”, sagte der Blechmann.
“Oder mich zurĂźck nach Kansas schickt”, sagte Dorothy.
“Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich mit dir gehen”, sagte der LĂśwe, “denn ohne ein bisschen Mut ist mein Leben einfach unerträglich.”
“Du bist sehr willkommen”, antwortete Dorothy, “denn du wirst helfen, die anderen wilden Tiere fernzuhalten. Mir scheint, dass sie noch feiger sein mĂźssen als du, wenn sie sich von dir so leicht erschrecken lassen.”
“Das sind sie wirklich”, sagte der LĂśwe, “aber das macht mich nicht mutiger, und solange ich weiĂ, dass ich ein Feigling bin, werde ich unglĂźcklich sein.”
Und so machte sich die kleine Gruppe erneut auf den Weg, wobei der LĂśwe mit stattlichen Schritten an Dorothys Seite ging. Toto mochte diesen neuen Gefährten zunächst nicht, denn er konnte nicht vergessen, wie er fast zwischen den groĂen Zähnen des LĂśwen zerquetscht worden war. Aber mit der Zeit wurde er ruhiger, und bald waren Toto und der Feige LĂśwe gute Freunde geworden.
FĂźr den Rest des Tages gab es kein weiteres Abenteuer, das den Frieden ihrer Reise gestĂśrt hätte. Einmal allerdings trat der Blechmann auf einen Käfer, der auf der StraĂe krabbelte, und tĂśtete das arme Tierchen. Das machte den Blechmann sehr unglĂźcklich, denn er war immer darauf bedacht, kein Lebewesen zu verletzen, und während er weiterging, weinte er mehrere Tränen des Kummers und des Bedauerns. Diese Tränen rannen langsam an seinem Gesicht hinunter und Ăźber die Scharniere seines Kiefers und dort rosteten sie. Als Dorothy ihm eine Frage stellte, konnte der Blechmann seinen Mund nicht Ăśffnen, weil sein Kiefer fest zusammengerostet war. Er bekam groĂe Angst davor und machte vor Dorothy viele Bewegungen, dass sie ihn befreien sollte, aber sie verstand nicht. Auch der LĂśwe war verwirrt und wollte wissen, was los war. Aber die Vogelscheuche nahm die Ălkanne aus Dorothys Korb und Ăślte den Kiefer des Holzfällers, so dass er nach wenigen Augenblicken wieder so gut sprechen konnte wie zuvor.
“Das wird mir eine Lehre sein”, sagte er, “darauf zu achten, wo ich hintrete. Denn wenn ich noch einen Käfer tĂśte, werde ich sicher wieder weinen, und das Weinen rostet meinen Kiefer, so dass ich nicht sprechen kann.”
Danach ging er sehr vorsichtig, mit den Augen auf der StraĂe, und wenn er eine kleine Ameise vorbeikommen sah, trat er Ăźber sie hinweg, um sie nicht zu verletzen. Der Blechmann wusste sehr gut, dass er kein Herz hatte, und deshalb achtete er sehr darauf, niemals grausam oder unfreundlich zu irgendetwas zu sein.
“Ihr Menschen mit Herz”, sagte er, “habt etwas, das euch leitet, und euch davor bewahrt, etwas Falsches zu tun; ich aber habe kein Herz und muss daher sehr vorsichtig sein. Wenn Oz mir ein Herz gibt, muss ich mich natĂźrlich nicht so sehr darum kĂźmmern.”
Kapitel 7: Die Reise zum groĂen Oz
In dieser Nacht mussten sie ihr Lager unter einem groĂen Baum im Wald aufschlagen, denn es gab keine Häuser in der Nähe. Der Baum bildete eine gute, dicke Decke, um sie vor dem Tau zu schĂźtzen, und der Blechmann hackte mit seiner Axt einen groĂen Haufen Holz, und Dorothy machte ein prächtiges Feuer, das sie wärmte und ihr das GefĂźhl gab, weniger einsam zu sein. Sie und Toto aĂen das letzte Brot auf und nun wusste sie nicht, was sie zum FrĂźhstĂźck machen wĂźrden.
“Wenn du willst”, sagte der LĂśwe, “werde ich in den Wald gehen und einen Hirsch fĂźr dich erlegen. Du kannst es am Feuer rĂśsten, denn dein Geschmack ist so eigenartig, dass du gekochtes Essen bevorzugst, und dann wirst du ein sehr gutes FrĂźhstĂźck haben.”
“Bitte nicht! Bitte nicht”, flehte der Blechmann. “Ich wĂźrde sicher weinen, wenn du ein armes Reh tĂśten wĂźrdest, und dann wĂźrden meine Kiefer wieder rosten.”
Der LĂśwe aber ging in den Wald und fand sein eigenes Abendessen und niemand wusste je, was es war, denn er sagte es nicht. Und die Vogelscheuche fand einen Baum voller NĂźsse und fĂźllte Dorothys Korb damit, so dass sie lange Zeit nicht hungrig sein wĂźrde. Dorothy fand das sehr nett und rĂźcksichtsvoll von der Vogelscheuche, aber sie lachte herzlich Ăźber die unbeholfene Art, mit der das arme GeschĂśpf die NĂźsse aufhob. Seine wattierten Hände waren so ungeschickt und die NĂźsse so klein, dass er fast so viele fallen lieĂ, wie er in den Korb legte. Aber der Vogelscheuche war es egal, wie lange sie brauchte, um den Korb zu fĂźllen, denn so konnte sie sich vom Feuer fernhalten, da sie befĂźrchtete, ein Funke kĂśnnte in ihr Stroh gelangen und sie verbrennen. So hielt er sich von den Flammen fern und kam nur in die Nähe, um Dorothy mit trockenen Blättern zu bedecken, wenn sie sich zum Schlafen hinlegte. Diese hielten sie kuschelig warm und sie schlief bis zum Morgen tief und fest.
Als es hell wurde, badete das Mädchen ihr Gesicht in einem kleinen plätschernden Bach, und bald darauf machten sie sich alle auf den Weg zur Smaragdstadt.
Dies sollte ein ereignisreicher Tag fĂźr die Reisenden werden. Sie waren kaum eine Stunde gewandert, als sie einen groĂen Graben vor sich sahen, der die StraĂe kreuzte und den Wald auf beiden Seiten teilte, so weit sie sehen konnten. Es war ein sehr breiter Graben und als sie an den Rand krochen und hineinschauten, sahen sie, dass er auch sehr tief war und dass sich am Grund viele groĂe, zerklĂźftete Felsen befanden. Die Seiten waren so steil, dass keiner von ihnen hinunterklettern konnte, und fĂźr einen Moment schien es, als mĂźsste ihre Reise enden.
“Was sollen wir tun?”, fragte Dorothy verzweifelt.
“Ich habe nicht die leiseste Ahnung”, sagte der Blechmann, und der LĂśwe schĂźttelte seine struppige Mähne und sah nachdenklich aus.
Aber die Vogelscheuche sagte: “Wir kĂśnnen nicht fliegen, das ist sicher. Und wir kĂśnnen auch nicht in diesen groĂen Graben hinunterklettern. Wenn wir also nicht hinĂźberspringen kĂśnnen, mĂźssen wir stehen bleiben, wo wir sind.
“Ich glaube, ich kĂśnnte darĂźber springen”, sagte der Feige LĂśwe, nachdem er die Entfernung sorgfältig in seinem Kopf ausgemessen hatte.
“Dann geht es uns gut”, antwortete die Vogelscheuche, “denn du kannst uns alle auf deinem RĂźcken tragen, einen nach dem anderen.”
“Nun, ich werde es versuchen”, sagte der LĂśwe. “Wer will zuerst gehen?”
“Das werde ich”, erklärte die Vogelscheuche, “denn wenn du nicht Ăźber den Abgrund springen kĂśnntest, wĂźrde Dorothy getĂśtet oder der Blechmann auf den Felsen unten schwer verbeult werden. Aber wenn ich auf deinem RĂźcken sitze, macht das nicht so viel aus, denn der Sturz wĂźrde mich Ăźberhaupt nicht verletzen.
“Ich habe selbst schreckliche Angst vor dem Fallen”, sagte der Feige LĂśwe, “aber ich denke, es bleibt uns nichts anderes Ăźbrig, als es zu versuchen. Steig also auf meinen RĂźcken und wir werden es versuchen.”
Die Vogelscheuche setzte sich auf den RĂźcken des LĂśwen und das groĂe Tier ging zum Rand der Kluft und hockte sich hin.
“Warum rennst und springst du nicht?”, fragte die Vogelscheuche.
“Weil das nicht die Art ist, wie wir LĂśwen diese Dinge tun”, antwortete er. Dann machte er einen groĂen Sprung, schoss durch die Luft und landete sicher auf der anderen Seite. Alle waren sehr erfreut zu sehen, wie leicht ihm das gelang, und nachdem die Vogelscheuche von seinem RĂźcken heruntergekommen war, sprang der LĂśwe wieder Ăźber den Graben.
Dorothy dachte, sie wĂźrde als Nächste gehen; also nahm sie Toto in die Arme und kletterte auf den RĂźcken des LĂśwen, wobei sie sich mit einer Hand an seiner Mähne festhielt. Im nächsten Moment schien es, als wĂźrde sie durch die Luft fliegen; und bevor sie Zeit hatte, darĂźber nachzudenken, war sie auf der anderen Seite in Sicherheit. Der LĂśwe kehrte ein drittes Mal zurĂźck und holte den Blechmann und dann setzten sie sich alle ein paar Augenblicke hin, um dem Tier Gelegenheit zu geben, sich auszuruhen, denn seine groĂen SprĂźnge hatten ihm den Atem geraubt, und er hechelte wie ein groĂer Hund, der zu lange gelaufen ist.
Auf dieser Seite war der Wald sehr dicht und es sah dunkel und dßster aus. Nachdem der LÜwe sich ausgeruht hatte, begaben sie sich auf den Weg, der aus gelben Ziegelsteinen bestand, und jeder fragte sich im Stillen, ob sie jemals das Ende des Waldes erreichen und wieder in den hellen Sonnenschein gelangen wßrden. Zu ihrem Unbehagen hÜrten sie bald seltsame Geräusche in den Tiefen des Waldes und der LÜwe flßsterte ihnen zu, dass in diesem Teil des Landes die Kalidahs lebten.
“Was sind die Kalidahs?”, fragte das Mädchen.
“Sie sind monstrĂśse Bestien mit KĂśrpern wie Bären und KĂśpfen wie Tigern”, antwortete der LĂśwe, “und mit so langen und scharfen Klauen, dass sie mich genauso leicht in zwei Teile reiĂen kĂśnnten wie ich Toto tĂśten kĂśnnte. Ich habe furchtbare Angst vor den Kalidahs.”
“Das wundert mich nicht”, erwiderte Dorothy. “Es mĂźssen schreckliche Biester sein.”
Der LĂśwe wollte gerade etwas erwidern, als sie plĂśtzlich zu einer weiteren Kluft auf der anderen StraĂenseite kamen. Diese war aber so breit und tief, dass der LĂśwe sofort wusste, dass er sie nicht Ăźberspringen konnte.
Sie setzten sich also zusammen und Ăźberlegten, was sie tun sollten, und nach reiflicher Ăberlegung sagte die Vogelscheuche: “Ich werde es tun:
“Hier ist ein groĂer Baum, der nahe am Graben steht. Wenn der Blechmann ihn fällen kann, so dass er auf die andere Seite fällt, kĂśnnen wir ihn leicht Ăźberqueren.”
“Das ist eine erstklassige Idee”, sagte der LĂśwe. “Man kĂśnnte fast meinen, du hättest Hirn im Kopf statt Stroh.”
Der Holzfäller machte sich sofort an die Arbeit und seine Axt war so scharf, dass der Baum bald fast durchgeschlagen war. Dann stemmte sich der LĂśwe mit seinen starken Vorderbeinen gegen den Baum und drĂźckte mit aller Kraft und langsam kippte der groĂe Baum und fiel mit einem lauten Krachen Ăźber den Graben, mit den oberen Ăsten auf die andere Seite.
Sie hatten gerade begonnen, diese BrĂźcke zu Ăźberqueren, als ein scharfes Knurren sie alle aufblicken lieĂ, und zu ihrem Entsetzen sahen sie zwei groĂe Tiere mit KĂśrpern wie Bären und KĂśpfen wie Tigern auf sie zurennen.
“Das sind die Kalidahs”, sagte der Feige LĂśwe und begann zu zittern.

“Schnell!”, rief die Vogelscheuche. “Lass uns hinĂźbergehen.”
So ging Dorothy mit Toto auf dem Arm voran, der Blechmann folgte, und die Vogelscheuche kam als nächstes. Der LÜwe drehte sich, obwohl er sicherlich Angst hatte, zu den Kalidahs um, und dann brßllte er so laut und schrecklich, dass Dorothy schrie und die Vogelscheuche rßckwärts umkippte, während selbst die wilden Tiere kurz innehielten und ihn verwundert ansahen.
Aber als sie sahen, dass sie grĂśĂer waren als der LĂśwe, und sich daran erinnerten, dass sie zu zweit waren und er nur einer, stĂźrmten die Kalidahs wieder vor, und der LĂśwe Ăźberquerte den Baum und drehte sich um, um zu sehen, was sie als Nächstes tun wĂźrden. Ohne einen Augenblick innezuhalten, begannen auch die wilden Tiere, den Baum zu Ăźberqueren. Und der LĂśwe sagte zu Dorothy:
“Wir sind verloren, denn sie werden uns mit ihren scharfen Krallen in StĂźcke reiĂen. Aber bleibt dicht hinter mir und ich werde sie bekämpfen, solange ich noch lebe.”
“Wartet einen Moment!”, rief die Vogelscheuche. Er hatte Ăźberlegt, was am besten zu tun sei, und bat nun den Holzfäller, das Ende des Baumes, das auf ihrer Seite des Grabens lag, abzuschlagen. Der Holzfäller begann sofort mit seiner Axt zu hacken und als die beiden Kalidahs schon fast drĂźben waren, fiel der Baum mit einem lauten Krachen in den Graben und riss die hässlichen, knurrenden Tiere mit sich, und beide wurden auf den scharfen Felsen am Grund zerschmettert.
“Nun”, sagte der Feige LĂśwe und atmete erleichtert auf, “ich sehe, wir werden noch eine Weile leben, und ich bin froh darĂźber, denn es muss sehr unangenehm sein, nicht mehr am Leben zu sein. Diese Kreaturen haben mich so sehr erschreckt, dass mein Herz immer noch schlägt.”
“Ach”, sagte der Blechmann traurig, “ich wĂźnschte, ich hätte ein Herz, das schlägt.”
Dieses Abenteuer machte die Reisenden noch eifriger als sonst, aus dem Wald herauszukommen, und sie gingen so schnell, dass Dorothy mĂźde wurde und auf dem RĂźcken des LĂśwen reiten musste. Zu ihrer groĂen Freude wurden die Bäume immer lichter, je weiter sie kamen, und am Nachmittag stieĂen sie plĂśtzlich auf einen breiten Fluss, der direkt vor ihnen reiĂend floss. Auf der anderen Seite des Wassers sahen sie die StraĂe aus gelbem Ziegelstein, die durch ein wunderschĂśnes Land fĂźhrte. Mit grĂźnen Wiesen, die mit leuchtenden Blumen Ăźbersät waren, und mit Bäumen, die mit kĂśstlichen FrĂźchten behangen waren, die die StraĂe säumten. Sie waren sehr erfreut, dieses herrliche Land vor sich zu sehen.
“Wie sollen wir den Fluss Ăźberqueren?”, fragte Dorothy.
“Das ist leicht zu machen”, antwortete die Vogelscheuche. “Der Blechmann muss uns ein FloĂ bauen, damit wir auf die andere Seite schwimmen kĂśnnen.”
Der Holzfäller nahm seine Axt und begann, kleine Bäume zu fällen, um ein Floà zu bauen, und während er damit beschäftigt war, fand die Vogelscheuche am Flussufer einen Baum voller schÜner Frßchte. Das gefiel Dorothy, die den ganzen Tag nichts anderes als Nßsse gegessen hatte, und sie machte sich ein herzhaftes Mahl aus den reifen Frßchten.
Aber es dauert seine Zeit, ein FloĂ zu bauen, selbst wenn man so fleiĂig und unermĂźdlich ist wie der Blechmann, und als die Nacht kam, war die Arbeit noch nicht getan. So fanden sie ein gemĂźtliches Plätzchen unter den Bäumen, wo sie bis zum Morgen schliefen, und Dorothy träumte von der Smaragdstadt und dem guten Zauberer Oz, der sie bald wieder in ihre Heimat zurĂźckschicken wĂźrde.
Kapitel 8: Das tĂśdliche Mohnfeld
Am nächsten Morgen erwachte unsere kleine Reisegesellschaft erfrischt und voller Hoffnung und Dorothy frßhstßckte wie eine Prinzessin Pfirsiche und Pflaumen von den Bäumen am Flussufer. Hinter ihnen lag der dunkle Wald, den sie sicher durchquert hatten, obwohl sie viele Entmutigungen erleiden mussten; aber vor ihnen lag ein liebliches, sonniges Land, das sie in die Smaragdstadt zu locken schien.
NatĂźrlich trennte der breite Fluss sie jetzt von diesem schĂśnen Land. Aber das FloĂ war fast fertig und nachdem der Blechmann noch ein paar Stämme zugeschnitten und mit Holzstiften zusammengebunden hatte, konnten sie losfahren. Dorothy setzte sich in die Mitte des FloĂes und nahm Toto in den Arm. Als der Feige LĂśwe das FloĂ betrat, kippte es um, denn er war groĂ und schwer. Aber die Vogelscheuche und der Zinnwaldmann standen am anderen Ende, um es zu stabilisieren, und sie hatten lange Stangen in der Hand, um das FloĂ durch das Wasser zu schieben.
Zuerst kamen sie gut voran, aber als sie die Mitte des Flusses erreichten, trieb die reiĂende StrĂśmung das FloĂ stromabwärts, immer weiter weg von der StraĂe aus gelbem Ziegelstein. Und das Wasser wurde so tief, dass die langen Stangen den Grund nicht mehr berĂźhrten.
“Das ist schlecht”, sagte der Blechmann, “denn wenn wir nicht an Land kommen, werden wir in das Land der bĂśsen Hexe des Westens gebracht, und sie wird uns verzaubern und zu ihren Sklaven machen.”
“Und dann bekomme ich keinen Verstand”, sagte die Vogelscheuche.
“Und ich wĂźrde keinen Mut bekommen”, sagte der Feige LĂśwe.
“Und ich wĂźrde kein Herz bekommen”, sagte der Blechmann.
“Und ich wĂźrde nie wieder nach Kansas zurĂźckkehren”, sagte Dorothy.
“Wir mĂźssen unbedingt in die Smaragdstadt kommen, wenn es nur irgendwie geht”, fuhr die Vogelscheuche fort, und er drĂźckte so fest auf seine lange Stange, dass sie im Schlamm auf dem Grund des Flusses feststeckte. Bevor er sie wieder herausziehen – oder loslassen – konnte, wurde das FloĂ weggeschwemmt, und die arme Vogelscheuche musste sich mitten im Fluss an der Stange festhalten.
“Auf Wiedersehen!”, rief er ihnen nach, und sie waren sehr traurig, ihn zu verlassen. Der Blechmann begann tatsächlich zu weinen, aber zum GlĂźck erinnerte er sich daran, dass er rosten kĂśnnte, und trocknete seine Tränen an Dorothys SchĂźrze.
FĂźr die Vogelscheuche war das natĂźrlich eine schlechte Sache.
“Ich bin jetzt schlimmer dran als damals, als ich Dorothy zum ersten Mal traf”, dachte er. “Damals saĂ ich auf einer Stange in einem Maisfeld fest, wo ich zumindest so tun konnte, als wĂźrde ich die Krähen erschrecken. Aber eine Vogelscheuche, die auf einer Stange mitten in einem Fluss festsitzt, hat sicher keinen Sinn. Ich fĂźrchte, ich werde wohl doch keinen Verstand haben!”
Das FloĂ trieb den Fluss hinunter und die arme Vogelscheuche blieb weit zurĂźck. Dann sagte der LĂśwe:
“Wir mĂźssen etwas tun, um uns zu retten. Ich glaube, ich kann ans Ufer schwimmen und das FloĂ hinter mir herziehen, wenn du dich nur an meiner Schwanzspitze festhältst.”
Da sprang er ins Wasser und der Blechmann hielt sich an seinem Schwanz fest. Dann begann der LĂśwe mit aller Kraft zum Ufer zu schwimmen. Es war sehr mĂźhsam, obwohl er so groĂ war, aber nach und nach wurden sie aus der StrĂśmung herausgezogen, und dann nahm Dorothy den langen Stock des Zinnwaldmanns und half, das FloĂ ans Land zu schieben.
Sie waren alle mĂźde, als sie endlich das Ufer erreichten und auf das schĂśne grĂźne Gras traten, und sie wussten auch, dass der Fluss sie ein ganzes StĂźck Ăźber die StraĂe aus gelben Ziegeln, die zur Smaragdstadt fĂźhrte, hinausgetragen hatte.
“Was sollen wir jetzt tun?”, fragte der Blechmann, als der LĂśwe sich ins Gras legte, um sich von der Sonne trocknen zu lassen.
“Wir mĂźssen irgendwie zur StraĂe zurĂźckkehren”, sagte Dorothy.
“Am besten gehen wir am Flussufer entlang, bis wir wieder auf die StraĂe stoĂen”, sagte der LĂśwe.
Als sie sich ausgeruht hatten, nahm Dorothy ihren Korb und sie machten sich auf den Weg entlang des grasbewachsenen Ufers zu der StraĂe, von der der Fluss sie weggefĂźhrt hatte. Es war ein wunderschĂśnes Land mit vielen Blumen und Obstbäumen und Sonnenschein, der sie aufmunterte, und wenn sie nicht so viel Mitleid mit der armen Vogelscheuche gehabt hätten, hätten sie sehr glĂźcklich sein kĂśnnen.
Sie gingen, so schnell sie konnten, Dorothy blieb nur einmal stehen, um eine schĂśne Blume zu pflĂźcken, und nach einiger Zeit rief der Blechmann: “Schau!”
Dann blickten sie alle auf den Fluss und sahen die Vogelscheuche auf ihrer Stange in der Mitte des Wassers sitzen, die sehr einsam und traurig aussah.
“Was kĂśnnen wir tun, um ihn zu retten?”, fragte Dorothy.
Der LÜwe und der Holzfäller schßttelten beide den Kopf, denn sie hatten keine Ahnung. So setzten sie sich ans Ufer und sahen der Vogelscheuche wehmßtig nach, bis ein Storch vorbeiflog, der, als er sie sah, am Ufer stehen blieb und sich ausruhte.
“Wer bist du und wohin gehst du?”, fragte der Storch.
“Ich bin Dorothy”, antwortete das Mädchen, “und das sind meine Freunde, der Blechmann und der Feige LĂśwe, und wir gehen in die Smaragdstadt.”
“Das ist nicht der Weg”, sagte der Storch, drehte seinen langen Hals und schaute die fremde Gruppe scharf an.
“Das weiĂ ich”, erwiderte Dorothy, “aber wir haben die Vogelscheuche verloren und fragen uns, wie wir wiederbekommen kĂśnnen.”
“Wo ist er?”, fragte der Storch.
“Dort drĂźben im Fluss”, antwortete das kleine Mädchen.
“Wenn er nicht so groĂ und schwer wäre, wĂźrde ich ihn fĂźr dich holen”, bemerkte der Storch.
“Er ist kein bisschen schwer”, sagte Dorothy eifrig, “denn er ist mit Stroh ausgestopft; und wenn du ihn uns zurĂźckbringst, werden wir dir immer und immer wieder danken.”
“Nun, ich werde es versuchen”, sagte der Storch, “aber wenn ich merke, dass er zu schwer zum Tragen ist, muss ich ihn wieder in den Fluss werfen.”
So flog der groĂe Vogel in die Luft und Ăźber das Wasser, bis er zu der Vogelscheuche kam, die auf ihrer Stange hockte. Da packte der Storch mit seinen groĂen Krallen die Vogelscheuche am Arm und trug sie in die Luft und zurĂźck zum Ufer, wo Dorothy, der LĂśwe, der Blechmann und Toto saĂen.
Als die Vogelscheuche such unter seinen Freunden wiederfand, war sie so glĂźcklich, dass sie alle umarmte, sogar den LĂśwen und Toto, und als sie weitergingen, sang sie bei jedem Schritt “Tol-de-ri-de-oh”, so glĂźcklich war sie.
“Ich hatte Angst, dass ich fĂźr immer im Fluss bleiben mĂźsste”, sagte er, “aber der gĂźtige Storch hat mich gerettet, und wenn ich jemals schlau werde, werde ich den Storch wiederfinden und mich bei ihm revanchieren.”
“Das ist in Ordnung”, sagte der Storch, der neben ihnen herflog. “Ich helfe immer gern, wenn jemand in Not ist. Aber ich muss jetzt gehen, denn meine Kinder warten im Nest auf mich. Ich hoffe, dass ihr die Smaragdstadt finden werdet und dass Oz euch helfen wird.”
“Danke”, antwortete Dorothy, und dann flog der freundliche Storch in die Luft und war bald auĂer Sichtweite.
Sie gingen weiter und lauschten dem Gesang der bunten VĂśgel und sahen sich die schĂśnen Blumen an, die jetzt so dicht standen, dass der Boden mit ihnen bedeckt war. Es gab groĂe gelbe, weiĂe, blaue und violette BlĂźten, dazu groĂe BĂźschel scharlachroter Mohnblumen, die so leuchtend waren, dass sie Dorothys Augen fast blendeten.
“Sind sie nicht wunderschĂśn?”, fragte das Mädchen, während sie den wĂźrzigen Duft der leuchtenden Blumen einatmete.
“Ich nehme es an”, antwortete die Vogelscheuche. “Wenn ich erst einmal Verstand habe, werde ich sie wahrscheinlich besser finden.”
“Wenn ich nur ein Herz hätte, wĂźrde ich sie lieben”, fĂźgte der Blechmann hinzu.
“Ich habe Blumen immer gemocht”, sagte der LĂśwe. “Sie wirken so hilflos und zerbrechlich. Aber es gibt keine im Wald, die so leuchtend sind wie diese.”
Sie stieĂen nun auf immer mehr von den groĂen scharlachroten Mohnblumen und immer weniger von den anderen Blumen; und bald befanden sie sich inmitten einer groĂen Mohnwiese. Es ist bekannt, dass, wenn viele dieser Blumen beieinander sind, ihr Geruch so stark ist, dass jeder, der ihn einatmet, einschläft, und wenn der Schläfer nicht von dem Duft der Blumen fortgetragen wird, schläft er fĂźr immer weiter. Aber Dorothy wusste das nicht und sie konnte sich auch nicht von den leuchtend roten Blumen entfernen, die Ăźberall um sie herum wuchsen; so wurden ihre Augen schwer, und sie fĂźhlte, dass sie sich hinsetzen musste, um sich auszuruhen und zu schlafen.
Aber der Blechmann wollte das nicht zulassen.

“Wir mĂźssen uns beeilen und vor Einbruch der Dunkelheit zurĂźck zur StraĂe des gelben Ziegelsteins kommen”, sagte er, und die Vogelscheuche stimmte ihm zu. So liefen sie weiter, bis Dorothy nicht mehr stehen konnte. Ihre Augen fielen ihr zu und sie vergaĂ, wo sie sich befand, und schlief zwischen den Mohnblumen ein.
“Was sollen wir tun?”, fragte der Blechmann.
“Wenn wir sie hier lassen, wird sie sterben”, sagte der LĂśwe. “Der Geruch der Blumen bringt uns alle um. Ich selbst kann kaum noch die Augen offen halten und der Hund schläft schon.”
Es stimmte, Toto war neben seinem Frauchen niedergesunken. Aber die Vogelscheuche und der Blechmann, die nicht aus Fleisch und Blut waren, stĂśrten sich nicht am Duft der Blumen.
“Lauf schnell”, sagte die Vogelscheuche zum LĂśwen, “und verlasse dieses tĂśdliche Blumenbeet, so schnell du kannst. Wir werden das kleine Mädchen mit uns nehmen, aber wenn du einschläfst, bist du zu groĂ, um getragen zu werden.”
Der LĂśwe richtete sich auf und sprang, so schnell er konnte vorwärts. Im Handumdrehen war er auĂer Sichtweite.
“Lass uns einen Stuhl mit unseren Händen machen und sie tragen”, sagte die Vogelscheuche. Also nahmen sie Toto und setzten den Hund auf Dorothys SchoĂ und dann machten sie einen Stuhl mit ihren Händen als Sitz und ihren Armen als Lehne und trugen das schlafende Mädchen zwischen ihnen durch die Blumen.

Sie gingen weiter und weiter und es schien, als wĂźrde der groĂe Teppich aus tĂśdlichen Blumen, der sie umgab, niemals enden. Sie folgten der Biegung des Flusses und stieĂen schlieĂlich auf ihren Freund, den LĂśwen, der inmitten der Mohnblumen fest schlief. Die Blumen waren zu stark fĂźr das riesige Tier gewesen und er hatte schlieĂlich aufgegeben und war nur eine kurze Strecke vom Ende des Mohnbeetes entfernt gefallen, wo sich das sĂźĂe Gras in schĂśnen grĂźnen Feldern vor ihnen ausbreitete.
“Wir kĂśnnen nichts fĂźr ihn tun”, sagte der Blechmann traurig, “denn er ist viel zu schwer, um ihn zu heben. Wir mĂźssen ihn hier lassen, damit er fĂźr immer weiterschläft, und vielleicht träumt er, dass er endlich Mut gefunden hat.”
“Es tut mir leid”, sagte die Vogelscheuche. “Der LĂśwe war ein sehr guter Kamerad fĂźr einen, der so feige ist. Aber lasst uns weitergehen.”
Sie trugen das schlafende Mädchen zu einem hßbschen Platz am Fluss, weit genug vom Mohnfeld entfernt, um zu verhindern, dass sie noch mehr von dem Gift der Blumen einatmete, und hier legten sie sie sanft auf das weiche Gras und warteten darauf, dass die frische Brise sie aufweckte.
Kapitel 9: Die KÜnigin der Feldmäuse
“Wir kĂśnnen nicht mehr weit von der StraĂe der gelben Ziegelsteine entfernt sein”, bemerkte die Vogelscheuche, als sie neben dem Mädchen stand, “denn wir sind fast so weit gekommen, wie der Fluss uns fortgetragen hat.”
Der Blechmann wollte gerade etwas erwidern, als er ein leises Knurren hĂśrte, und als er seinen Kopf drehte (der wie ein Scharnier funktionierte), sah er, wie ein seltsames Tier Ăźber das Gras auf sie zuhĂźpfte. Es war eine groĂe gelbe Wildkatze und der Holzfäller dachte, dass sie etwas jagen musste, denn ihre Ohren lagen dicht am Kopf an, und ihr Maul war weit geĂśffnet und zeigte zwei Reihen hässlicher Zähne, während ihre roten Augen wie Feuerbälle glĂźhten. Als sie näher kam, sah der Holzfäller, dass vor dem Tier eine kleine graue Feldmaus lief, und obwohl er kein Herz hatte, wusste er, dass es falsch war, dass die Wildkatze versuchte, ein so hĂźbsches, harmloses GeschĂśpf zu tĂśten.
Der Holzfäller hob seine Axt und als die Wildkatze vorbeirannte, versetzte er ihr einen schnellen Schlag, der dem Tier den Kopf vom KĂśrper trennte, so dass es in zwei Teile zerfiel und zu seinen FĂźĂen rollte.
Die Feldmaus, jetzt, da sie von ihrem Feind befreit war, blieb kurz stehen, und als sie langsam auf den Holzfäller zukam, sagte sie mit piepsiger kleiner Stimme:
“Oh, ich danke Ihnen! Vielen Dank, dass Sie mein Leben gerettet haben.”
“Sprich nicht davon, ich bitte dich”, antwortete der Holzfäller. “Ich habe kein Herz, weiĂt du, deshalb bin ich darauf bedacht, allen zu helfen, die einen Freund brauchen, auch wenn es nur eine Maus ist.”
“Nur eine Maus!”, rief das kleine Tier entrĂźstet. “Aber ich bin doch eine KĂśnigin – die KĂśnigin aller Feldmäuse!”
“Oh tatsächlich”, sagte der Holzfäller und verbeugte sich.
“Sie haben also eine groĂe und mutige Tat vollbracht, indem Sie mein Leben gerettet haben”, fĂźgte die KĂśnigin hinzu.
In diesem Moment sah man einige Mäuse, die so schnell wie ihre kleinen Beine sie tragen konnten, herbeiliefen, und als sie ihre KÜnigin sahen, riefen sie:
“Oh, Eure Majestät, wir dachten, Ihr seid getĂśtet worden! Wie habt Ihr es geschafft, der groĂen Wildkatze zu entkommen?” Sie verneigten sich alle so tief vor der kleinen KĂśnigin, dass sie fast auf dem Kopf standen.
“Dieser komische Blechmann”, antwortete sie, “hat die Wildkatze getĂśtet und mir das Leben gerettet. Von nun an mĂźsst ihr ihm alle dienen und seinen geringsten Wunsch erfĂźllen.”
“Das werden wir!”, riefen alle Mäuse in einem schrillen Refrain. Und dann huschten sie in alle Richtungen, denn Toto war aus seinem Schlaf erwacht, und als er all diese Mäuse um sich herum sah, bellte er vor Freude und sprang mitten in die Gruppe hinein. Toto hatte es immer geliebt, Mäuse zu jagen, als er noch in Kansas lebte, und er sah keinen Schaden darin.
Aber der Blechmann nahm den Hund in die Arme und hielt ihn fest, während er den Mäusen zurief: “Kommt zurĂźck! Komm zurĂźck! Toto wird euch nicht wehtun.”
Daraufhin steckte die MäusekĂśnigin ihren Kopf unter einem GrasbĂźschel hervor und fragte mit ängstlicher Stimme: “Bist du sicher, dass er uns nicht beiĂen wird?”
“Das werde ich nicht zulassen”, sagte der Holzfäller, “also fĂźrchte dich nicht.”
Eine nach der anderen kroch zurĂźck und Toto bellte nicht mehr, obwohl er versuchte, sich aus den Armen des Holzfällers zu befreien, und ihn gebissen hätte, wenn er nicht genau gewusst hätte, dass er aus Blech war. SchlieĂlich ergriff eine der grĂśĂten Mäuse das Wort.
“KĂśnnen wir irgendetwas tun”, fragte er, “um uns dafĂźr zu revanchieren, dass Sie das Leben unserer KĂśnigin gerettet haben?”
“Nicht, dass ich wĂźsste”, antwortete der Holzfäller, aber die Vogelscheuche, die versucht hatte zu denken, es aber nicht konnte, weil ihr Kopf mit Stroh ausgestopft war, sagte schnell: “Oh ja, du kannst unseren Freund, den feigen LĂśwen, retten, der im Mohnbett schläft.”
“Ein LĂśwe!”, rief die kleine KĂśnigin. “Der wĂźrde uns alle auffressen.”
“Oh, nein”, erklärte die Vogelscheuche, “dieser LĂśwe ist ein Feigling.”
“Wirklich?”, fragte die Maus.
“Er sagt es selbst”, antwortete die Vogelscheuche, “und er wĂźrde nie jemandem etwas tun, der unser Freund ist. Wenn ihr uns helft, ihn zu retten, verspreche ich, dass er euch alle freundlich behandeln wird.”
“Nun gut”, sagte die KĂśnigin, “wir vertrauen Ihnen. Aber was sollen wir tun?”
“Gibt es viele dieser Mäuse, die dich KĂśnigin nennen und bereit sind, dir zu gehorchen?”
“Oh ja, es gibt Tausende”, antwortete sie.
“Dann lass sie alle so schnell wie mĂśglich hierher kommen und jeder soll ein langes StĂźck Schnur mitbringen.”
Die KÜnigin wandte sich an die Mäuse, die sie begleiteten, und befahl ihnen, sofort zu gehen und ihr ganzes Volk zu holen. Sobald sie ihren Befehl hÜrten, rannten sie so schnell wie mÜglich in alle Richtungen davon.
“Jetzt”, sagte die Vogelscheuche zum Blechmann, “musst du zu den Bäumen am Flussufer gehen und einen Wagen bauen, der den LĂśwen transportieren kann.”
Der Holzfäller ging sofort zu den Bäumen und machte sich an die Arbeit. Bald fertigte er einen Wagen aus den Ăsten der Bäume, von denen er alle Blätter und Zweige abhackte. Er befestigte ihn mit HolzpflĂścken und machte die vier Räder aus kurzen StĂźcken eines groĂen Baumstammes. Er arbeitete so schnell und so gut, dass der Wagen schon fertig war, als die Mäuse kamen.
Sie kamen aus allen Richtungen und es waren Tausende von ihnen: groĂe Mäuse, kleine Mäuse und mittelgroĂe Mäuse, und jede hatte ein StĂźck Schnur im Mund. Um diese Zeit wachte Dorothy aus ihrem langen Schlaf auf und Ăśffnete ihre Augen. Sie war sehr erstaunt, dass sie im Gras lag und Tausende von Mäusen um sie herum standen und sie ängstlich ansahen. Aber die Vogelscheuche erzählte ihr alles und als sie sich an die wĂźrdevolle kleine Maus wandte, sagte sie:
“Erlauben Sie mir, Ihnen Ihre Majestät, die KĂśnigin, vorzustellen.”

Dorothy nickte ernsthaft und die KÜnigin machte einen Knicks, woraufhin sie dem kleinen Mädchen gegenßber recht freundlich wurde.
Die Vogelscheuche und der Holzfäller begannen nun, die Mäuse mit Hilfe der SchnĂźre, die sie mitgebracht hatten, an dem Lastwagen zu befestigen. Ein Ende der Schnur wurde jeder Maus um den Hals gebunden und das andere Ende an den Lastwagen. NatĂźrlich war der Wagen tausendmal grĂśĂer als jede der Mäuse, die ihn ziehen sollten, aber als alle Mäuse angeschirrt waren, konnten sie ihn ganz leicht ziehen. Sogar die Vogelscheuche und der Blechmann konnten darauf sitzen und wurden von ihren seltsamen kleinen Pferden schnell zu dem Ort gezogen, an dem der LĂśwe schlief.
Mit viel Mßhe, denn der LÜwe war schwer, gelang es ihnen, ihn auf den Wagen zu heben. Dann gab die KÜnigin ihren Leuten eilig den Befehl zum Aufbruch, denn sie befßrchtete, dass die Mäuse, wenn sie zu lange zwischen den Mohnblumen blieben, ebenfalls einschlafen wßrden.
Zuerst konnten die kleinen GeschĂśpfe, so viele sie auch waren, den schwer beladenen Wagen kaum bewegen, aber der Holzfäller und die Vogelscheuche schoben beide von hinten, und so kamen sie besser voran. Bald rollten sie den LĂśwen aus dem Mohnbeet auf die grĂźnen Felder, wo er wieder die sĂźĂe, frische Luft einatmen konnte, statt den giftigen Duft der Blumen.
Dorothy kam ihnen entgegen und dankte den kleinen Mäusen herzlich dafĂźr, dass sie ihren Gefährten vor dem Tod bewahrt hatten. Sie hatte den groĂen LĂśwen so sehr lieb gewonnen, dass sie froh war, dass er gerettet worden war.
Dann wurden die Mäuse vom Lastwagen losgeschnallt und huschten durch das Gras zu ihrem Zuhause. Die MäusekÜnigin war die letzte, die ging.
“Wenn du uns jemals wieder brauchst”, sagte sie, “komm auf das Feld und rufe, und wir werden dich hĂśren und dir zu Hilfe kommen. Auf Wiedersehen!”
“Auf Wiedersehen”, antworteten alle, und die KĂśnigin lief davon, während Dorothy Toto festhielt, falls er ihr nachlaufen und sie erschrecken sollte.
Danach setzten sie sich neben den LĂśwen, bis er erwachte, und die Vogelscheuche brachte Dorothy einige FrĂźchte von einem Baum in der Nähe, die sie zum Abendessen aĂ.
Kapitel 10: Der Torwächter
Es dauerte eine Weile, bis der Feige LĂśwe erwachte, denn er hatte lange zwischen den Mohnblumen gelegen und ihren tĂśdlichen Duft eingeatmet; aber als er die Augen Ăśffnete und sich vom Wagen rollte, war er sehr froh, dass er noch lebte.
“Ich rannte, so schnell ich konnte”, sagte er, setzte sich hin und gähnte, “aber die Blumen waren zu stark fĂźr mich. Wie hast du mich da rausgeholt?”
Dann erzählten sie ihm von den Feldmäusen und wie sie ihn groĂzĂźgig vor dem Tod bewahrt hatten. Da lachte der Feige LĂśwe und sagte: “Das ist nicht wahr!
“Ich habe mich immer fĂźr sehr groĂ und schrecklich gehalten, aber so kleine Dinge wie Blumen hätten mich fast umgebracht, und so kleine Tiere wie Mäuse haben mir das Leben gerettet. Wie seltsam das alles ist! Aber, Kameraden, was sollen wir jetzt tun?”
“Wir mĂźssen weiterreisen, bis wir die StraĂe mit dem gelben Ziegelstein wiederfinden”, sagte Dorothy, “und dann kĂśnnen wir zur Smaragdstadt weiterreisen.”
Als der LĂśwe wieder ganz erfrischt und wieder ganz er selbst war, machten sie sich alle auf den Weg und genossen den Spaziergang durch das weiche, frische Gras; und es dauerte nicht lange, bis sie die StraĂe aus gelbem Ziegelstein erreichten und wieder in Richtung Smaragdstadt abbogen, wo der GroĂe Oz wohnte.
Die StraĂe war jetzt glatt und gut gepflastert und das Land ringsum war schĂśn, so dass die Reisenden froh waren, den Wald und damit die vielen Gefahren, denen sie in seinen dĂźsteren Schatten begegnet waren, hinter sich zu lassen. Wieder sahen sie Zäune, die neben der StraĂe errichtet worden waren, aber diese waren grĂźn gestrichen, und als sie zu einem kleinen Haus kamen, in dem offensichtlich ein Bauer wohnte, war auch dieses grĂźn gestrichen. Im Laufe des Nachmittags kamen sie an mehreren dieser Häuser vorbei und manchmal traten Leute an die TĂźren und sahen sie an, als ob sie sie etwas fragen wollten; aber niemand kam in ihre Nähe und sprach sie an wegen des groĂen LĂśwen, vor dem sie groĂe Angst hatten. Die Leute trugen alle Kleider in einer schĂśnen smaragdgrĂźnen Farbe und hatten spitze HĂźte wie die der Munchkins.
“Das muss das Land Oz sein”, sagte Dorothy, “und wir nähern uns der Smaragdstadt”.
“Ja”, antwortete die Vogelscheuche. “Hier ist alles grĂźn, während im Land der Munchkins Blau die Lieblingsfarbe war. Aber die Menschen scheinen nicht so freundlich zu sein wie die Munchkins und ich fĂźrchte, wir werden keinen Platz finden, um die Nacht zu verbringen.
“Ich wĂźrde gerne etwas anderes als Obst essen”, sagte das Mädchen, “und ich bin sicher, dass Toto fast verhungert ist. Lass uns beim nächsten Haus anhalten und mit den Leuten reden.
Als sie zu einem groĂen Bauernhaus kamen, ging Dorothy mutig auf die TĂźr zu und klopfte an.
Eine Frau Ăśffnete sie gerade so weit, dass sie hinausschauen konnte, und sagte: “Was willst du, Kind, und warum ist der groĂe LĂśwe bei dir?”
“Wir mĂśchten die Nacht bei ihnen verbringen, wenn Sie es uns erlauben”, antwortete Dorothy, “und der LĂśwe ist mein Freund und Kamerad und wĂźrde ihnen um nichts in der Welt wehtun.”
“Ist er zahm?”, fragte die Frau und Ăśffnete die TĂźr ein wenig weiter.
“Oh ja”, sagte das Mädchen, “und er ist auch ein groĂer Feigling. Er wird mehr Angst vor dir haben als du vor ihm.”
“Nun”, sagte die Frau, nachdem sie darĂźber nachgedacht und einen weiteren Blick auf den LĂśwen geworfen hatte, “wenn das der Fall ist, kannst du hereinkommen, und ich werde dir etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen geben.”
So betraten sie alle das Haus, in dem sich auĂer der Frau noch zwei Kinder und ein Mann befanden. Der Mann hatte sich am Bein verletzt und lag auf der Couch in einer Ecke. Sie schienen sehr Ăźberrascht zu sein, eine so seltsame Gesellschaft zu sehen, und während die Frau den Tisch deckte, fragte der Mann:
“Wo wollt ihr alle hin?”
“In die Smaragdstadt”, sagte Dorothy, “um den groĂen Oz zu sehen.”
“Oh, tatsächlich!”, rief der Mann aus. “Bist du sicher, dass Oz dich sehen wird?”
“Warum nicht?”, antwortete sie.
“Man sagt, dass er nie jemanden in seine Nähe lässt. Ich war schon oft in der Smaragdstadt und sie ist ein wunderschĂśner und wunderbarer Ort, aber es ist mir nie erlaubt worden, den GroĂen Oz zu sehen, noch kenne ich irgendeinen lebenden Menschen, der ihn gesehen hat.”
“Geht er denn nie aus?”, fragte die Vogelscheuche.
“Niemals. Er sitzt Tag fĂźr Tag im groĂen Thronsaal seines Palastes und selbst diejenigen, die auf ihn warten, sehen ihn nicht von Angesicht zu Angesicht.”
“Wie ist er denn so?”, fragte das Mädchen.
“Das ist schwer zu sagen”, sagte der Mann nachdenklich. “WeiĂt du, Oz ist ein groĂer Zauberer und kann jede Gestalt annehmen, die er will. Manche sagen, er sähe aus wie ein Vogel, manche sagen, wie ein Elefant und manche wie eine Katze. Anderen erscheint er als schĂśne Fee oder als Heinzelmännchen oder in jeder anderen Gestalt, die ihm gefällt. Aber wer der wahre Oz ist, wenn er in seiner eigenen Gestalt erscheint, kann kein lebender Mensch sagen.”
“Das ist sehr seltsam”, sagte Dorothy, “aber wir mĂźssen versuchen, ihn irgendwie zu sehen, sonst ist unsere Reise umsonst gewesen.”
“Warum wollt ihr den schrecklichen Oz sehen?”, fragte der Mann.
“Ich will, dass er mir etwas Hirn gibt”, sagte die Vogelscheuche eifrig.
“Oh, Oz kĂśnnte das leicht tun”, erklärte der Mann. “Er hat mehr Verstand, als er braucht.”
“Und ich will, dass er mir ein Herz schenkt”, sagte der Blechmann.
“Das wird ihn nicht stĂśren”, fuhr der Mann fort, “denn Oz hat eine groĂe Sammlung von Herzen in allen GrĂśĂen und Formen.”
“Und ich will, dass er mir Mut gibt”, sagte der Feige LĂśwe.
“Oz bewahrt in seinem Thronsaal einen groĂen Topf voll Mut auf”, sagte der Mann, “den er mit einer goldenen Platte bedeckt hat, damit er nicht Ăźberläuft. Er wird dir gerne etwas davon geben.”
“Und ich will, dass er mich zurĂźck nach Kansas schickt”, sagte Dorothy.
“Wo ist Kansas?”, fragte der Mann erstaunt.
“Ich weiĂ es nicht”, antwortete Dorothy traurig, “aber es ist mein Zuhause, und ich bin sicher, dass es irgendwo ist.”
“Sehr wahrscheinlich. Oz ist zu allem fähig und ich nehme an, er wird Kansas fĂźr dich finden. Aber zuerst musst du ihn sehen und das wird eine schwierige Aufgabe sein, denn der groĂe Zauberer mag es nicht, jemanden zu sehen, und er hat gewĂśhnlich seinen eigenen Willen. Aber was willst DU?”, fuhr er fort und sprach zu Toto. Toto wedelte nur mit dem Schwanz, denn seltsamerweise konnte er nicht sprechen.
Die Frau rief ihnen zu, dass das Abendessen fertig sei, und so versammelten sie sich um den Tisch, und Dorothy aĂ einen kĂśstlichen Brei, eine SchĂźssel mit RĂźhrei und einen Teller mit schĂśnem WeiĂbrot und genoss ihre Mahlzeit. Der LĂśwe aĂ etwas von dem Brei, mochte ihn aber nicht, weil er aus Hafer gemacht war und Hafer ein Futter fĂźr Pferde und nicht fĂźr LĂśwen war. Die Vogelscheuche und der Blechmann aĂen Ăźberhaupt nichts. Toto aĂ von allem ein wenig und war froh, wieder ein gutes Abendessen zu bekommen.

Die Frau gab Dorothy nun ein Bett zum Schlafen und Toto legte sich neben sie, während der LÜwe die Tßr ihres Zimmers bewachte, damit sie nicht gestÜrt wurde. Die Vogelscheuche und der Blechmann standen in einer Ecke und schwiegen die ganze Nacht, obwohl sie natßrlich nicht schlafen konnten.
Am nächsten Morgen, sobald die Sonne aufging, machten sie sich auf den Weg und sahen schon bald ein wunderschÜnes grßnes Leuchten am Himmel vor sich.
“Das muss die Smaragdstadt sein”, sagte Dorothy.
Als sie weitergingen, wurde das grĂźne Leuchten immer heller, und es schien, dass sie sich endlich dem Ende ihrer Reise näherten. Doch es war schon Nachmittag, als sie die groĂe Mauer erreichten, die die Stadt umgab. Sie war hoch und dick und hatte eine leuchtend grĂźne Farbe.
Vor ihnen, am Ende der StraĂe aus gelben Ziegeln, befand sich ein groĂes Tor, das mit Smaragden besetzt war, die in der Sonne so glitzerten, dass sogar die gemalten Augen der Vogelscheuche von ihrem Glanz geblendet wurden.
Neben dem Tor befand sich eine Glocke und Dorothy drĂźckte auf den Knopf und hĂśrte ein silbriges Klimpern. Dann schwang das groĂe Tor langsam auf und sie traten alle hindurch und fanden sich in einem hohen gewĂślbten Raum wieder, dessen Wände mit unzähligen Smaragden funkelten.
Vor ihnen stand ein kleiner Mann, der etwa so groĂ war wie die Munchkins. Er war ganz in GrĂźn gekleidet, vom Kopf bis zu den FĂźĂen, und sogar seine Haut hatte einen grĂźnlichen Farbton. An seiner Seite stand eine groĂe grĂźne Kiste.
Als er Dorothy und ihre Begleiter sah, fragte der Mann: “Was wollt ihr in der Smaragdstadt?”
“Wir sind hierher gekommen, um den groĂen Oz zu sehen”, sagte Dorothy.
Der Mann war von dieser Antwort so Ăźberrascht, dass er sich hinsetzte, um darĂźber nachzudenken.
“Es ist schon viele Jahre her, dass mich jemand gebeten hat, Oz zu sehen”, sagte er und schĂźttelte verwirrt den Kopf. “Er ist mächtig und furchtbar und wenn ihr mit einer mĂźĂigen oder tĂśrichten Aufgabe kommt, um die weisen Ăberlegungen des groĂen Zauberers zu stĂśren, kĂśnnte er zornig werden und euch alle in einem Augenblick vernichten.”
“Aber es ist weder ein tĂśricht noch ein mĂźĂiger Auftrag”, antwortete die Vogelscheuche, “Sie sind wichtig. Und man hat uns gesagt, dass Oz ein guter Zauberer ist.”
“Das ist er”, sagte der grĂźne Mann, “und er regiert die Smaragdstadt weise und gut. Aber fĂźr diejenigen, die nicht ehrlich sind oder sich ihm aus Neugier nähern, ist er sehr schrecklich, und nur wenige haben es je gewagt, sein Gesicht zu erbitten. Ich bin der Wächter der Tore und da ihr den GroĂen Oz sehen wollt, muss ich euch in seinen Palast fĂźhren. Aber zuerst musst du die Brille aufsetzen.”
“Warum?”, fragte Dorothy.
“Denn wenn du keine Brille tragen wĂźrdest, wĂźrde dich der Glanz und die Pracht der Smaragdstadt blenden. Selbst diejenigen, die in der Stadt leben, mĂźssen Tag und Nacht Brillen tragen. Sie sind alle verschlossen, denn Oz hat es so angeordnet, als die Stadt erbaut wurde, und ich habe den einzigen SchlĂźssel, der sie aufschlieĂen kann.”
Er Ăśffnete die groĂe Schachtel und Dorothy sah, dass sie mit Brillen in allen GrĂśĂen und Formen gefĂźllt war. In allen waren grĂźne Gläser. Der Wächter der Pforte fand eine Brille, die Dorothy genau passte, und setzte sie ihr auf die Augen. Daran waren zwei goldene Bänder befestigt, die um ihren Hinterkopf herumgingen, wo sie mit einem kleinen SchlĂźssel verschlossen wurden, der am Ende einer Kette hing, die der Torwächter um seinen Hals trug. Wenn sie aufgesetzt waren, konnte Dorothy sie nicht abnehmen, aber natĂźrlich wollte sie nicht vom grellen Licht der Smaragdstadt geblendet werden, also sagte sie nichts.
Dann setzte der grĂźne Mann der Vogelscheuche, dem Zinnmann und dem LĂśwen und sogar dem kleinen Toto eine Brille auf, und alle wurden mit dem SchlĂźssel fest verschlossen.
Dann setzte der Torwächter seine eigene Brille auf und sagte ihnen, er sei bereit, sie zum Palast zu fĂźhren. Er nahm einen groĂen goldenen SchlĂźssel von einem Pflock an der Wand und Ăśffnete ein weiteres Tor und sie alle folgten ihm durch das Portal in die StraĂen der Smaragdstadt.
Kapitel 11: Die wunderbare Stadt Oz
Selbst mit den durch die grĂźnen Brillen geschĂźtzten Augen waren Dorothy und ihre Freunde zunächst geblendet vom Glanz der wunderbaren Stadt. Die StraĂen waren von wunderschĂśnen Häusern gesäumt, die alle aus grĂźnem Marmor gebaut und Ăźberall mit funkelnden Smaragden besetzt waren. Sie gingen Ăźber ein Pflaster aus demselben grĂźnen Marmor und dort, wo die BlĂścke miteinander verbunden waren, befanden sich dicht aneinandergereihte Smaragde, die im Glanz der Sonne glitzerten. Die Fensterscheiben waren aus grĂźnem Glas, selbst der Himmel Ăźber der Stadt hatte eine grĂźne Färbung, und die Sonnenstrahlen waren grĂźn.
Viele Menschen – Männer, Frauen und Kinder – liefen umher, und sie waren alle grĂźn gekleidet und hatten eine grĂźnliche Haut. Sie sahen Dorothy und ihre seltsam zusammengewĂźrfelte Gesellschaft mit staunenden Augen an und die Kinder liefen alle weg und versteckten sich hinter ihren MĂźttern, als sie den LĂśwen sahen; aber niemand sprach mit ihnen. Viele Läden standen in der StraĂe und Dorothy sah, dass alles an ihnen grĂźn war. GrĂźne Bonbons und grĂźnes Popcorn wurden zum Verkauf angeboten, ebenso wie grĂźne Schuhe, grĂźne HĂźte und grĂźne Kleidung aller Art. An einem Ort verkaufte ein Mann grĂźne Limonade, und als die Kinder sie kauften, konnte Dorothy sehen, dass sie sie mit grĂźnen Pfennigen bezahlten.
Es schien weder Pferde noch andere Tiere zu geben; die Männer trugen ihre Sachen in kleinen grßnen Karren, die sie vor sich herschoben. Alle schienen glßcklich, zufrieden und wohlhabend zu sein.
Der Wächter der Tore fĂźhrte sie durch die StraĂen, bis sie zu einem groĂen Gebäude kamen, das genau in der Mitte der Stadt stand und der Palast von Oz, dem groĂen Zauberer, war. Vor der TĂźr stand ein Soldat in einer grĂźnen Uniform und mit einem langen grĂźnen Bart.
“Hier sind Fremde”, sagte der Wächter des Tores zu ihm, “und sie verlangen, den GroĂen Oz zu sehen.”
“Treten Sie ein”, antwortete der Soldat, “und ich werde ihm Ihre Nachricht Ăźberbringen”.
So gingen sie durch das Palasttor und wurden in einen groĂen Raum mit einem grĂźnen Teppich und schĂśnen grĂźnen, mit Smaragden besetzten MĂśbeln gefĂźhrt. Der Soldat lieĂ sie alle ihre FĂźĂe auf einer grĂźnen Matte abtrocknen, bevor sie diesen Raum betraten, und als sie Platz genommen hatten, sagte er hĂśflich:
“Bitte macht es euch bequem, während ich zur TĂźr des Thronsaals gehe und Oz sage, dass ihr hier seid.”
Sie mussten lange auf den Soldaten warten. Als er endlich zurĂźckkam, fragte Dorothy:
“Hast du Oz gesehen?”
“Oh nein”, erwiderte der Soldat, “ich habe ihn nie gesehen. Aber ich habe mit ihm gesprochen, als er hinter seinem Paravent saĂ, und ich ihm Ihre Nachricht Ăźberbrachte. Er sagte, er werde Euch eine Audienz gewähren, wenn Ihr es wĂźnscht; aber jeder von Euch mĂźsse allein zu ihm kommen, und er werde jeden Tag nur einen zulassen. Da ihr also mehrere Tage im Palast bleiben mĂźsst, werde ich euch in Zimmer fĂźhren lassen, in denen ihr euch nach eurer Reise bequem ausruhen kĂśnnt.”
“Danke”, antwortete das Mädchen, “das ist sehr nett von Oz.”
Der Soldat blies nun in eine grĂźne Pfeife und sogleich betrat ein junges Mädchen in einem hĂźbschen grĂźnen Seidenkleid den Raum. Sie hatte schĂśne grĂźne Haare und grĂźne Augen und verbeugte sich tief vor Dorothy, als sie sagte: “Folge mir, ich zeige dir dein Zimmer.”
Dorothy verabschiedete sich von all ihren Freunden, auĂer von Toto, und folgte dem grĂźnen Mädchen auf dem Arm durch sieben Gänge und drei Stockwerke hinauf, bis sie zu einem Zimmer an der Stirnseite des Palastes kamen. Es war das sĂźĂeste Zimmerchen der Welt, mit einem weichen, bequemen Bett mit Laken aus grĂźner Seide und einem grĂźnen SamtĂźberwurf. In der Mitte des Zimmers befand sich ein winziger Brunnen, der einen grĂźnen Duft in die Luft sprĂźhte, der dann in ein wunderschĂśn geschnitztes grĂźnes Marmorbecken zurĂźckfiel. In den Fenstern standen wunderschĂśne grĂźne Blumen und auf einem Regal stand eine Reihe kleiner grĂźner BĂźcher. Als Dorothy Zeit hatte, diese BĂźcher zu Ăśffnen, fand sie sie voller grĂźner Bilder, die sie zum Lachen brachten, so lustig waren sie.
In einem Kleiderschrank lagen viele grĂźne Kleider aus Seide, Satin und Samt, die Dorothy alle genau passten.
“FĂźhle dich ganz wie zu Hause”, sagte das grĂźne Mädchen, “und wenn du etwas wĂźnschst, klingle. Oz wird morgen frĂźh nach dir schicken.”
Sie lieĂ Dorothy allein und ging zu den anderen zurĂźck. Auch diese fĂźhrte sie zu ihren Zimmern und jeder von ihnen fand sich in einem sehr angenehmen Teil des Palastes wieder. NatĂźrlich war diese HĂśflichkeit fĂźr die Vogelscheuche umsonst, denn als sie sich allein in ihrem Zimmer befand, stand sie dumm an einer Stelle in der TĂźr und wartete bis zum Morgen. Er konnte sich nicht hinlegen und die Augen nicht schlieĂen und so starrte er die ganze Nacht auf eine kleine Spinne, die in einer Ecke des Zimmers ihr Netz webte, als wäre es nicht eines der schĂśnsten Zimmer der Welt. Der Zinnmann legte sich aus Gewohnheit auf sein Bett, denn er erinnerte sich an die Zeit, als er noch aus Fleisch war; aber da er nicht schlafen konnte, bewegte er die ganze Nacht seine Gelenke auf und ab, um sich zu vergewissern, dass sie noch gut funktionierten. Der LĂśwe hätte lieber ein Bett aus getrockneten Blättern im Wald gehabt und er mochte es nicht, in einem Zimmer eingesperrt zu sein; aber er hatte zu viel Verstand, um sich davon beunruhigen zu lassen, also sprang er auf das Bett und rollte sich zusammen wie eine Katze und schnurrte sich innerhalb einer Minute in den Schlaf.
Am nächsten Morgen, nach dem FrĂźhstĂźck, kam das grĂźne Mädchen, um Dorothy abzuholen, und kleidete sie in eines der schĂśnsten Kleider aus grĂźnem Brokat-Satin. Dorothy zog eine grĂźne SeidenschĂźrze an und band Toto ein grĂźnes Band um den Hals und sie machten sich auf den Weg zum Thronsaal des GroĂen Oz.
Zuerst kamen sie in einen groĂen Saal, in dem sich viele Hofdamen und -herren befanden, die alle in reiche KostĂźme gekleidet waren. Diese Leute hatten nichts anderes zu tun, als miteinander zu reden, aber sie kamen immer, um jeden Morgen vor dem Thronsaal zu warten, obwohl sie Oz nie sehen durften. Als Dorothy eintrat, sahen sie sie neugierig an, und einer von ihnen flĂźsterte:
“Willst du wirklich in das Gesicht von Oz dem Schrecklichen schauen?”
“NatĂźrlich”, antwortete das Mädchen, “wenn er mich sehen will”.
“Oh, er wird dich empfangen”, sagte der Soldat, der dem Zauberer ihre Nachricht Ăźberbracht hatte, “obwohl er es nicht mag, wenn man ihn zu sehen wĂźnscht. Zuerst war er sogar wĂźtend und sagte, ich solle dich dorthin zurĂźckschicken, wo du hergekommen bist. Dann fragte er mich, wie du aussiehst, und als ich deine silbernen Schuhe erwähnte, war er sehr interessiert. SchlieĂlich erzählte ich ihm von dem Mal auf ihrer Stirn und er beschloss, Sie in seine Gegenwart zu lassen.”
In diesem Moment läutete eine Glocke und das grĂźne Mädchen sagte zu Dorothy: “Das ist das Signal. Du musst allein in den Thronsaal gehen.”
Sie Ăśffnete eine kleine TĂźr und Dorothy schritt mutig hindurch und fand sich an einem wunderbaren Ort wieder. Es war ein groĂer, runder Raum mit einem hohen gewĂślbten Dach, und die Wände, die Decke und der Boden waren mit groĂen Smaragden bedeckt, die dicht an dicht lagen. In der Mitte des Daches war ein groĂes Licht, so hell wie die Sonne, das die Smaragde auf wunderbare Weise funkeln lieĂ.
Aber was Dorothy am meisten interessierte, war der groĂe Thron aus grĂźnem Marmor, der in der Mitte des Raumes stand. Er war wie ein Stuhl geformt und funkelte mit Edelsteinen, wie alles andere auch. In der Mitte des Stuhls befand sich ein riesiger Kopf, der weder einen KĂśrper hatte, der ihn stĂźtzte, noch Arme oder Beine. Dieser Kopf hatte keine Haare, aber er hatte Augen, eine Nase und einen Mund, und er war viel grĂśĂer als der Kopf des grĂśĂten Riesen.

Als Dorothy dies verwundert und ängstlich betrachtete, drehten sich die Augen langsam um und schauten sie scharf und fest an. Dann bewegte sich der Mund und Dorothy hÜrte eine Stimme sagen:
“Ich bin Oz, der GroĂe und Schreckliche. Wer bist du und warum suchst du mich?”
Es war keine so schreckliche Stimme, wie sie sie von dem groĂen Kopf erwartet hatte, also fasste sie Mut und antwortete:
“Ich bin Dorothy, die Kleine und SanftmĂźtige. Ich bin zu dir gekommen, um Hilfe zu bekommen.”
Die Augen sahen sie eine ganze Minute lang nachdenklich an. Dann sagte die Stimme:
“Woher hast du die silbernen Schuhe?”
“Ich habe sie von der BĂśsen Hexe des Ostens bekommen, als mein Haus auf sie fiel und sie getĂśtet wurde”, antwortete sie.
“Woher hast du das Mal auf deiner Stirn?”, fragte die Stimme weiter.
“Dort hat mich die Gute Hexe des Nordens gekĂźsst, als sie sich von mir verabschiedete und mich zu dir schickte”, sagte das Mädchen.
Wieder sahen die Augen sie scharf an und sie sahen, dass sie die Wahrheit sagte. Dann fragte Oz: “Was soll ich tun?”
“Schickt mich zurĂźck nach Kansas, wo meine Tante Em und mein Onkel Henry sind”, antwortete sie ernsthaft. “Ich mag euer Land nicht, obwohl es so schĂśn ist. Und ich bin sicher, Tante Em wird sich schreckliche Sorgen machen, weil ich so lange weg bin.”
Die Augen blinzelten dreimal, dann drehten sie sich nach oben zur Decke und nach unten zum Boden und drehten sich so seltsam, dass sie jeden Teil des Zimmers zu sehen schienen. Und schlieĂlich sahen sie Dorothy wieder an.
“Warum sollte ich das fĂźr dich tun?”, fragte Oz.
“Weil du stark bist und ich schwach bin, weil du ein groĂer Zauberer bist und ich nur ein kleines Mädchen.”
“Aber du warst stark genug, um die bĂśse Hexe des Ostens zu tĂśten”, sagte Oz.
“Das ist einfach passiert”, erwiderte Dorothy schlicht, “ich konnte nicht anders.”
“Nun”, sagte der Kopf, “ich werde dir meine Antwort geben. Du hast kein Recht, von mir zu erwarten, dass ich dich nach Kansas zurĂźckschicke, wenn du nicht im Gegenzug etwas fĂźr mich tust. In diesem Land muss jeder fĂźr alles, was er bekommt, bezahlen. Wenn du mĂśchtest, dass ich meine magischen Kräfte nutze, um dich wieder nach Hause zu schicken, musst du zuerst etwas fĂźr mich tun. Hilf mir und ich werde dir helfen.”
“Was muss ich tun?”, fragte das Mädchen.
“TĂśte die bĂśse Hexe des Westens”, antwortete Oz.
“Aber ich kann nicht!”, rief Dorothy sehr Ăźberrascht aus.
“Du hast die Hexe des Ostens getĂśtet und du trägst die silbernen Schuhe, die einen mächtigen Zauber haben. Es gibt jetzt nur noch eine einzige bĂśse Hexe in diesem Land und wenn du mir sagen kannst, dass sie tot ist, schicke ich dich zurĂźck nach Kansas – aber nicht vorher.”
Das kleine Mädchen begann zu weinen, so sehr war es enttäuscht, und die Augen blinzelten wieder und sahen sie besorgt an, als ob der GroĂe Oz spĂźrte, dass sie ihm helfen kĂśnnte, wenn sie wollte.
“Ich habe nie etwas freiwillig getĂśtet”, schluchzte sie. “Selbst wenn ich es wollte, wie kĂśnnte ich die BĂśse Hexe tĂśten? Wenn du, der du groĂ und schrecklich bist, sie nicht selbst tĂśten kannst, wie soll ich es dann tun?”
“Ich weiĂ es nicht”, sagte der Kopf, “aber das ist meine Antwort, und bis die bĂśse Hexe stirbt, wirst du deinen Onkel und deine Tante nicht wiedersehen. Denk daran, dass die Hexe bĂśse ist – sehr bĂśse – und dass sie getĂśtet werden muss. Nun geh und bitte nicht darum, mich wiederzusehen, bevor du deine Aufgabe erledigt hast.”
Traurig verlieĂ Dorothy den Thronsaal und ging zurĂźck, wo der LĂśwe, die Vogelscheuche und der Blechmann warteten, um zu hĂśren, was Oz zu ihr gesagt hatte. “Es gibt keine Hoffnung fĂźr mich”, sagte sie traurig, “denn Oz wird mich nicht nach Hause schicken, bevor ich die BĂśse Hexe des Westens getĂśtet habe, und das kann ich niemals tun.”
Ihre Freunde taten ihr leid, konnten aber nichts tun, um ihr zu helfen. So ging Dorothy in ihr eigenes Zimmer, legte sich aufs Bett und weinte sich in den Schlaf.
Am nächsten Morgen kam der Soldat mit dem grßnen Schnurrbart zu der Vogelscheuche und sagte:
“Komm mit mir, denn Oz hat nach dir geschickt.”
Die Vogelscheuche folgte ihm und wurde in den groĂen Thronsaal eingelassen, wo sie auf dem smaragdfarbenen Thron eine wunderschĂśne Frau sitzen sah. Sie war in grĂźne Seidengaze gekleidet und trug auf ihren wallenden grĂźnen Locken eine Krone aus Juwelen. Aus ihren Schultern wuchsen FlĂźgel, die von prächtiger Farbe und so leicht waren, dass sie flatterten, wenn der geringste Lufthauch sie erreichte.
Als die Vogelscheuche sich so hĂźbsch, wie es ihre StrohfĂźllung zulieĂ, vor dem schĂśnen GeschĂśpf verbeugte, schaute sie ihn lieb an und sagte: “Das ist ja eine tolle Sache:
“Ich bin Oz, der GroĂe und Schreckliche. Wer bist du und warum suchst du mich?”
Die Vogelscheuche, die erwartet hatte, den groĂen Kopf zu sehen, von dem Dorothy erzählt hatte, war sehr erstaunt, aber er antwortete ihr tapfer.
“Ich bin nur eine Vogelscheuche, die mit Stroh ausgestopft ist. Deshalb habe ich keinen Verstand und ich komme zu dir und bitte dich, dass du mir statt Stroh Verstand in den Kopf steckst, damit ich genauso ein Mensch werde wie jeder andere in deinem Reich.”
“Warum sollte ich das fĂźr dich tun?”, fragte die Frau.
“Weil du weise und mächtig bist und mir sonst niemand helfen kann”, antwortete die Vogelscheuche.
“Ich gewähre nie einen Gefallen ohne eine Gegenleistung”, sagte Oz, “aber so viel will ich versprechen. Wenn du fĂźr mich die BĂśse Hexe des Westens tĂśtest, werde ich dir sehr viel Verstand geben, und zwar so viel Verstand, dass du der weiseste Mann im ganzen Land von Oz sein wirst.”
“Ich dachte, du hättest Dorothy gebeten, die Hexe zu tĂśten”, sagte die Vogelscheuche erstaunt.
“Das habe ich getan. Es ist mir egal, wer sie tĂśtet. Aber bevor sie nicht tot ist, werde ich deinen Wunsch nicht erfĂźllen. Geh jetzt und suche mich erst wieder auf, wenn du dir das Hirn verdient hast, das du dir so sehr wĂźnschst.”
Die Vogelscheuche kehrte traurig zu ihren Freunden zurĂźck und erzählte ihnen, was Oz gesagt hatte, und Dorothy war Ăźberrascht, dass der groĂe Zauberer nicht ein Kopf war, wie sie ihn gesehen hatte, sondern eine schĂśne Frau.
“Trotzdem”, sagte die Vogelscheuche, “braucht sie ein Herz so sehr wie der Blechmann.”
Am nächsten Morgen kam der Soldat mit dem grßnen Schnurrbart zum Blechmann und sagte:
“Oz hat nach dir geschickt. Folge mir.”
Der Blechmann folgte ihm und kam in den groĂen Thronsaal. Er wusste nicht, ob er in Oz eine schĂśne Frau oder einen Kopf finden wĂźrde, aber er hoffte, dass es die schĂśne Frau sein wĂźrde. “Denn”, sagte er zu sich selbst, “wenn es der Kopf ist, werde ich sicher kein Herz bekommen, denn ein Kopf hat kein eigenes Herz und kann daher nicht mit mir fĂźhlen. Aber wenn es die schĂśne Frau ist, werde ich hart um ein Herz betteln, denn man sagt, dass alle Damen ein gutes Herz haben.”
Doch als der Holzfäller den groĂen Thronsaal betrat, sah er weder das Haupt noch die Frau, denn Oz hatte die Gestalt eines schrecklichen Tieres angenommen. Es war fast so groĂ wie ein Elefant und der grĂźne Thron schien kaum stark genug, um sein Gewicht zu tragen. Das Ungeheuer hatte einen Kopf wie ein Nashorn, nur dass es fĂźnf Augen im Gesicht hatte. Aus seinem KĂśrper wuchsen fĂźnf lange Arme und es hatte auch fĂźnf lange, schlanke Beine. Dickes, wolliges Haar bedeckte jeden Teil des KĂśrpers, und ein schrecklicheres Ungeheuer kann man sich nicht vorstellen. Zum GlĂźck hatte der Blechmann in diesem Moment kein Herz, denn es hätte vor Schreck laut und schnell geschlagen. Aber da der Holzmann nur aus Blech bestand, hatte er Ăźberhaupt keine Angst, obwohl er sehr enttäuscht war.
“Ich bin Oz, der GroĂe und Schreckliche”, sprach die Bestie mit einer Stimme, die ein einziges GebrĂźll war. “Wer bist du und warum suchst du mich?”
“Ich bin ein Holzmann und aus Blech. Deshalb habe ich kein Herz und kann nicht lieben. Ich bitte dich, mir ein Herz zu geben, damit ich so sein kann wie andere Menschen.”
“Warum sollte ich das tun?”, fragte die Bestie.
“Weil ich darum bitte und du allein kannst meine Bitte erfĂźllen”, antwortete der Holzfäller.
Oz gab ein leises Knurren von sich, sagte dann aber unwirsch: “Wenn du wirklich ein Herz willst, musst du es dir verdienen.”
“Wie?”, fragte der Holzfäller.
“Hilf Dorothy, die bĂśse Hexe des Westens zu tĂśten”, antwortete das Biest. “Wenn die Hexe tot ist, komm zu mir, und ich werde dir das grĂśĂte, gĂźtigste und liebevollste Herz im ganzen Lande Oz schenken.”
So musste der Blechmann traurig zu seinen Freunden zurĂźckkehren und ihnen von dem schrecklichen Ungeheuer berichten, das er gesehen hatte. Sie wunderten sich alle sehr Ăźber die vielen Gestalten, die der groĂe Zauberer annehmen konnte, und der LĂśwe sagte:
“Wenn er eine Bestie ist, wenn ich zu ihm gehe, werde ich am lautesten brĂźllen und ihn so erschrecken, dass er mir alles gewährt, was ich verlange. Und wenn er die schĂśne Dame ist, werde ich so tun, als wĂźrde ich mich auf sie stĂźrzen, und sie so zwingen, meinem Willen zu gehorchen. Und wenn er das groĂe Oberhaupt ist, wird er mir ausgeliefert sein; denn ich werde diesen Kopf so lange durch den Raum rollen, bis er verspricht, uns zu geben, was wir wĂźnschen. Seid also guten Mutes, meine Freunde, denn alles wird noch gut werden.”
Am nächsten Morgen fĂźhrte der Soldat mit dem grĂźnen Schnurrbart den LĂśwen in den groĂen Thronsaal und bat ihn, in die Gegenwart von Oz einzutreten.
Der LĂśwe ging sofort durch die TĂźr und sah zu seiner Ăberraschung, dass vor dem Thron ein Feuerball stand, der so heftig und glĂźhend war, dass er es kaum ertragen konnte, ihn anzusehen. Sein erster Gedanke war, dass Oz aus Versehen Feuer gefangen hatte und verbrannte; aber als er versuchte, näher heranzugehen, war die Hitze so stark, dass er sich den Schnurrbart versengte, und er kroch zitternd zurĂźck an einen Ort, der näher an der TĂźr lag.
Dann ertĂśnte eine leise Stimme aus der Feuerkugel, die folgende Worte sprach:
“Ich bin Oz, der GroĂe und Schreckliche. Wer bist du und warum suchst du mich?”
Und der LĂśwe antwortete: “Ich bin ein feiger LĂśwe, der sich vor allem fĂźrchtet. Ich bin zu dir gekommen, um dich zu bitten, dass du mir Mut gibst, damit ich auch wirklich der KĂśnig der Tiere werde, wie die Menschen mich nennen.”
“Warum sollte ich dir Mut geben?”, fragte Oz.
“Weil du von allen Zauberern der grĂśĂte bist und als einziger die Macht hast, meine Bitte zu erfĂźllen”, antwortete der LĂśwe.
Der Feuerball brannte eine Zeit lang heftig und die Stimme sagte: “Bringt mir den Beweis, dass die BĂśse Hexe tot ist, und in diesem Moment werde ich dir Mut geben. Aber so lange die Hexe lebt, musst du ein Feigling bleiben.
Der LĂśwe war wĂźtend Ăźber diese Rede, konnte aber nichts erwidern, und während er schweigend auf den Feuerball starrte, wurde dieser so heiĂ, dass er den Schwanz einzog und aus dem Zimmer eilte. Er war froh, seine Freunde zu finden, die auf ihn warteten, und erzählte ihnen von seinem schrecklichen Gespräch mit dem Zauberer.
“Was sollen wir jetzt tun?”, fragte Dorothy traurig.
“Es gibt nur eines, was wir tun kĂśnnen”, erwiderte der LĂśwe, “und das ist, in das Land der Winkies zu gehen, die BĂśse Hexe zu suchen und sie zu vernichten.”
“Und wenn wir das nicht kĂśnnen?”, fragte das Mädchen.
“Dann werde ich niemals Mut haben”, erklärte der LĂśwe.
“Und ich werde nie einen Verstand haben”, fĂźgte die Vogelscheuche hinzu.
“Und ich werde nie ein Herz haben”, sprach der Blechmann.
“Und ich werde Tante Em und Onkel Henry nie sehen”, sagte Dorothy und begann zu weinen.
“Sei vorsichtig!”, rief das grĂźne Mädchen. “Die Tränen werden auf dein grĂźnes Seidenkleid fallen und es beflecken.”
Dorothy trocknete sich die Augen und sagte: “Wir mĂźssen es wohl versuchen, aber ich mĂśchte niemanden umbringen, auch nicht, um Tante Em wiederzusehen.”
“Ich werde mit dir gehen, aber ich bin zu feige, um die Hexe zu tĂśten”, sagte der LĂśwe.
“Ich werde auch gehen”, erklärte die Vogelscheuche, “aber ich werde euch keine groĂe Hilfe sein, ich bin ein solcher Narr.”
“Ich bringe es nicht Ăźbers Herz, auch nur einer Hexe etwas anzutun”, sagte der Blechmann, “aber wenn du gehst, werde ich sicherlich mit dir gehen.”
So wurde beschlossen, am nächsten Morgen die Reise anzutreten, und der Holzfäller schärfte seine Axt auf einem grßnen Schleifstein und lieà alle seine Gelenke ordentlich Ülen. Die Vogelscheuche stopfte sich mit frischem Stroh aus und Dorothy strich ihm die Augen neu an, damit er besser sehen konnte. Das grßne Mädchen, das sehr freundlich zu ihnen war, fßllte Dorothys Korb mit guten Dingen zum Essen und band Toto ein GlÜckchen mit einem grßnen Band um den Hals.
Sie gingen recht frßh zu Bett und schliefen tief und fest bis zum Morgengrauen, als sie durch das Krähen eines grßnen Hahns, der im Hinterhof des Schlosses wohnte, und das Gackern einer Henne, die ein grßnes Ei gelegt hatte, geweckt wurden.
Kapitel 12: Die Suche nach der bĂśsen Hexe
Der Soldat mit dem grĂźnen Schnurrbart fĂźhrte sie durch die StraĂen der Smaragdstadt, bis sie den Raum erreichten, in dem der Torwächter wohnte. Dieser Offizier nahm ihnen die Brillen ab, um sie wieder in sein groĂes Fach zu legen, und Ăśffnete dann hĂśflich das Tor fĂźr unsere Freunde.
“Welcher Weg fĂźhrt zur BĂśsen Hexe des Westens?”, fragte Dorothy.
“Es gibt keinen Weg”, antwortete der Torwächter. “Niemand will diesen Weg gehen.”
“Wie sollen wir sie dann finden?”, fragte das Mädchen.
“Das wird leicht sein”, antwortete der Mann, “denn wenn sie weiĂ, dass ihr im Land der Winkies seid, wird sie euch finden und euch alle zu ihren Sklaven machen.”
“Vielleicht nicht”, sagte die Vogelscheuche, “denn wir wollen sie vernichten.”
“Oh, das ist etwas anderes”, sagte der Wächter der Tore. “Niemand hat sie je zuvor vernichtet und so dachte ich natĂźrlich, sie wĂźrde Sklaven aus euch machen, wie sie es mit den anderen getan hat. Aber nehmt euch in Acht, denn sie ist bĂśse und wild und wird es nicht zulassen, dass ihr sie vernichtet. Haltet euch im Westen, wo die Sonne untergeht, und ihr werdet sie finden.”
Sie bedankten sich und verabschiedeten sich von ihm, wandten sich nach Westen und gingen Ăźber die Felder mit weichem Gras, die hier und da mit GänseblĂźmchen und Butterblumen Ăźbersät waren. Dorothy trug immer noch das hĂźbsche Seidenkleid, das sie im Palast angezogen hatte, aber zu ihrer Ăberraschung war es jetzt nicht mehr grĂźn, sondern rein weiĂ. Auch das Band, das Toto um den Hals trug, hatte seine grĂźne Farbe verloren und war nun genauso weiĂ wie Dorothyâs Kleid.

Die Smaragdstadt wurde bald weit hinter sich gelassen. Je weiter sie kamen, desto rauer und hßgeliger wurde der Boden, denn in diesem Land des Westens gab es weder BauernhÜfe noch Häuser, und der Boden war unbearbeitet.
Am Nachmittag schien ihnen die Sonne heià ins Gesicht, denn es gab keine Bäume, die ihnen Schatten spendeten, so dass Dorothy, Toto und der LÜwe vor der Nacht mßde waren, sich ins Gras legten und einschliefen, während der Holzfäller und die Vogelscheuche Wache hielten.
Die BĂśse Hexe des Westens hatte nur ein Auge, aber das war so stark wie ein Fernrohr und konnte alles sehen. Als sie also vor der TĂźr ihres Schlosses saĂ, schaute sie sich zufällig um und sah Dorothy schlafend liegen und ihre Freunde um sie herum. Sie waren weit weg, aber die BĂśse Hexe war wĂźtend, sie in ihrem Land zu finden, und so blies sie in eine silberne Pfeife, die sie um den Hals trug.
Auf einmal kam aus allen Richtungen ein Rudel groĂer WĂślfe auf sie zugerannt. Sie hatten lange Beine, grimmige Augen und scharfe Zähne.
“Geh zu diesen Leuten”, sagte die Hexe, “und reiĂ sie in StĂźcke.”
“Willst du sie nicht zu deinen Sklaven machen?”, fragte der AnfĂźhrer der WĂślfe.
“Nein”, antwortete sie, “der eine ist aus Blech, der andere aus Stroh; die eine ist ein Mädchen, der andere ein LĂśwe. Keiner von ihnen ist zu gebrauchen. Du kannst sie also in kleine StĂźcke reiĂen.”
“Sehr gut”, sagte der Wolf und rannte mit voller Geschwindigkeit davon, gefolgt von den anderen.
Zum Glßck waren die Vogelscheuche und der Holzfäller hellwach und hÜrten die WÜlfe kommen.
“Das ist mein Kampf”, sagte der Holzfäller, “also stellt euch hinter mich und ich werde sie treffen, wie sie kommen.”
Er ergriff seine Axt, die er sehr scharf gemacht hatte, und als der AnfĂźhrer der WĂślfe auf ihn zukam, schwang der Blechmann seinen Arm und schlug dem Wolf den Kopf vom Leib, so dass er sofort starb. Kaum konnte er seine Axt heben, kam ein anderer Wolf heran, und auch er fiel unter der scharfen Schneide der Waffe des Zinnwaldmannes. Es waren vierzig WĂślfe und vierzig Mal wurde ein Wolf getĂśtet, so dass sie schlieĂlich alle tot auf einem Haufen vor dem Holzfäller lagen.
Dann legte er seine Axt nieder und setzte sich neben die Vogelscheuche, die sagte: “Es war ein guter Kampf, mein Freund.”
Sie warteten, bis Dorothy am nächsten Morgen aufwachte. Das kleine Mädchen war ziemlich erschrocken, als sie den groĂen Haufen zotteliger WĂślfe sah, aber der Blechmann erzählte ihr alles. Sie dankte ihm, dass er sie gerettet hatte, setzte sich zum FrĂźhstĂźck und machte sich dann wieder auf den Weg.
An diesem Morgen kam die BĂśse Hexe an die TĂźr ihres Schlosses und schaute mit ihrem einem Auge, das in die Ferne sehen konnte, hinaus. Sie sah alle ihre WĂślfe tot daliegen und die Fremden zogen noch immer durch ihr Land. Das machte sie noch wĂźtender als zuvor und sie blies zweimal in ihre silberne Pfeife.
Sofort kam ein groĂer Schwarm wilder Krähen auf sie zugeflogen, so dass sich der Himmel verdunkelte.
Und die BĂśse Hexe sagte zum KrähenkĂśnig: “Flieg sofort zu den Fremden, hack ihnen die Augen aus und reiĂ sie in StĂźcke.”
Die wilden Krähen flogen in einem groĂen Schwarm auf Dorothy und ihre Gefährten zu. Als das kleine Mädchen sie kommen sah, hatte sie Angst.
Aber die Vogelscheuche sagte: “Dies ist mein Kampf, also lege dich neben mich, und es wird dir nichts geschehen.”
Da legten sie sich alle auf den Boden, auĂer der Vogelscheuche, und sie stand auf und streckte ihre Arme aus. Und als die Krähen ihn sahen, erschraken sie, wie sich diese VĂśgel immer vor Vogelscheuchen erschrecken, und wagten nicht, näher zu kommen. Aber der KrähenkĂśnig sagte:
“Es ist nur ein ausgestopfter Mann. Ich werde ihm die Augen auspicken.”
Die KĂśnigskrähe flog auf die Vogelscheuche zu, die sie am Kopf packte und ihr den Hals umdrehte, bis sie starb. Dann flog eine andere Krähe auf sie zu und die Vogelscheuche drehte auch ihr den Hals um. Es waren vierzig Krähen und vierzig Mal drehte die Vogelscheuche einer den Hals um, bis sie schlieĂlich alle tot neben ihr lagen. Dann rief er seinen Gefährten zu, sich zu erheben, und sie machten sich wieder auf den Weg.
Als die BÜse Hexe wieder hinaussah und alle ihre Krähen auf einem Haufen liegen sah, geriet sie in furchtbare Wut und blies dreimal in ihre silberne Pfeife.
Daraufhin ertĂśnte ein lautes Summen in der Luft und ein Schwarm schwarzer Bienen flog auf sie zu.
“Geht zu den Fremden und sticht sie zu Tode”, befahl die Hexe, und die Bienen drehten sich um und flogen schnell, bis sie zu der Stelle kamen, wo Dorothy und ihre Freunde spazieren gingen. Aber der Holzfäller hatte sie kommen sehen und die Vogelscheuche hatte beschlossen, was zu tun war.
“Nimm mein Stroh und streue es Ăźber das kleine Mädchen, den Hund und den LĂśwen”, sagte er zu dem Holzfäller, “dann kĂśnnen die Bienen sie nicht stechen.” Das tat der Holzfäller und als Dorothy dicht neben dem LĂśwen lag und Toto in ihren Armen hielt, bedeckte das Stroh sie vollständig.
Die Bienen kamen und fanden niemanden auĂer dem Holzfäller, den sie stechen konnten, also flogen sie auf ihn zu und brachen alle ihre Stachel am Blech ab, ohne den Holzfäller auch nur zu verletzen. Und da Bienen nicht leben kĂśnnen, wenn ihre Stacheln abgebrochen sind, war das das Ende der schwarzen Bienen, und sie lagen dicht verstreut um den Holzfäller herum, wie kleine Haufen feiner Kohle.
Dann standen Dorothy und der LÜwe auf und das Mädchen half dem Zinnmann, das Stroh wieder in die Vogelscheuche zu stecken, bis sie wieder so gut wie zuvor war. So machten sie sich wieder auf den Weg.
Die BÜse Hexe war so wßtend, als sie ihre schwarzen Bienen in kleinen Haufen wie feine Kohle sah, dass sie mit dem Fuà aufstampfte, sich die Haare raufte und mit den Zähnen knirschte. Und dann rief sie ein Dutzend ihrer Sklaven, die Winkies, und gab ihnen scharfe Speere und sagte ihnen, sie sollten zu den Fremden gehen und sie vernichten.
Die Winkies waren kein mutiges Volk, aber sie mussten tun, was ihnen gesagt wurde. So zogen sie weiter, bis sie in die Nähe von Dorothy kamen. Da brßllte der LÜwe und sprang auf sie zu und die armen Winkies erschraken so sehr, dass sie zurßckliefen, so schnell sie konnten.
Als sie ins Schloss zurßckkehrten, schickte die BÜse Hexe sie wieder an ihre Arbeit, und dann setzte sie sich hin und ßberlegte, was sie als Nächstes tun sollte. Sie konnte nicht verstehen, wie all ihre Pläne, die Fremden zu vernichten, fehlgeschlagen waren, aber sie war eine mächtige und bÜse Hexe, und sie entschied sich bald, wie sie handeln wollte.
In ihrem Schrank befand sich ein goldenes Käppchen, mit einem Kranz aus Diamanten und Rubinen. Dieses goldene Käppchen hatte einen Zauber. Wer sie besaĂ, konnte dreimal die geflĂźgelten Affen rufen, die dann jedem Befehl gehorchten. Aber niemand konnte diesen seltsamen Kreaturen mehr als dreimal befehlen. Zweimal schon hatte die BĂśse Hexe den Zauber der MĂźtze benutzt. Einmal hatte sie die Winkies zu ihren Sklaven gemacht und sich vorgenommen, Ăźber ihr Land zu herrschen. Die geflĂźgelten Affen hatten ihr dabei geholfen. Das zweite Mal war, als sie gegen den GroĂen Oz selbst kämpfte und ihn aus dem Land des Westens vertrieb. Auch dabei hatten ihr die geflĂźgelten Affen geholfen. Nur noch ein einziges Mal konnte sie diese goldene Kappe benutzen, weshalb sie es nicht gerne tat, bis alle ihre anderen Kräfte erschĂśpft waren. Aber jetzt, da ihre wilden WĂślfe, ihre wilden Krähen und ihre stechenden Bienen hinĂźber und ihre Sklaven von dem feigen LĂśwen verscheucht worden waren, sah sie nur noch einen Weg, Dorothy und ihre Freunde zu vernichten.
Da nahm die BĂśse Hexe die goldene Kappe aus ihrem Schrank und setzte sie auf ihr Haupt. Dann stellte sie sich auf ihren linken FuĂ und sagte langsam:
“Ep-pe, pep-pe, kak-ke!”
Dann stellte sie sich auf ihren rechten FuĂ und sagte:
“Hil-lo, hol-lo, hel-lo!”
Daraufhin stellte sie sich auf beide FĂźĂe und schrie mit lauter Stimme:
“Ziz-zy, zuz-zy, zik!”
Jetzt begann der Zauber zu wirken. Der Himmel verdunkelte sich und ein leises Grollen war in der Luft zu hĂśren. Es gab ein Rauschen vieler FlĂźgel, ein groĂes Geschnatter und Gelächter, und die Sonne trat aus dem dunklen Himmel hervor, um die BĂśse Hexe zu zeigen, die von einer Schar von Affen umgeben war, jeder mit einem Paar riesiger und mächtiger FlĂźgel auf den Schultern.
Einer, viel grĂśĂer als die anderen, schien ihr AnfĂźhrer zu sein. Er flog nahe an die Hexe heran und sagte: “Du hast uns zum dritten und letzten Mal gerufen. Was befiehlst du?”
“Geh zu den Fremden, die in meinem Land sind, und vernichte sie alle auĂer dem LĂśwen”, sagte die BĂśse Hexe. “Bringt das Tier zu mir, denn ich habe vor, es wie ein Pferd einzuspannen und es arbeiten zu lassen.”
“Eure Befehle werden befolgt”, sagte der AnfĂźhrer. Dann flogen die geflĂźgelten Affen mit viel Geschnatter und Lärm zu dem Ort, an dem Dorothy und ihre Freunde spazieren gingen.
Einige der Affen packten den Blechmann und trugen ihn durch die Luft, bis sie Ăźber einem Land waren, das dicht mit scharfen Felsen bedeckt war. Hier lieĂen sie den armen Holzfäller aus groĂer Entfernung fallen, wo er so zerschlagen und verbeult lag, dass er sich weder bewegen noch stĂśhnen konnte.
Andere Affen fingen die Vogelscheuche und zogen mit ihren langen Fingern das ganze Stroh aus seiner Kleidung und seinem Kopf. Sie machten aus seinem Hut, seinen Stiefeln und seinen Kleidern ein kleines BĂźndel und warfen es in die oberen Ăste eines hohen Baumes.
Die verbliebenen Affen warfen StĂźcke eines starken Seils um den LĂśwen und wickelten viele Schlingen um seinen KĂśrper, seinen Kopf und seine Beine, bis er nicht mehr in der Lage war, zu beiĂen, zu kratzen oder sich zu wehren. Dann hoben sie ihn hoch und flogen mit ihm zum Schloss der Hexe, wo er in einen kleinen Hof gelegt wurde, der von einem hohen Eisenzaun umgeben war, so dass er nicht entkommen konnte.

Aber Dorothy schadeten sie ßberhaupt nicht. Sie stand mit Toto im Arm da und beobachtete das traurige Schicksal ihrer Kameraden und dachte, dass sie bald an der Reihe sein wßrde. Der Anfßhrer der geflßgelten Affen flog auf sie zu, seine langen, haarigen Arme ausgestreckt und sein hässliches Gesicht grinste fßrchterlich; aber er sah das Zeichen des Kusses der Guten Hexe auf ihrer Stirn und hielt kurz inne, um den anderen zu signalisieren, sie nicht zu berßhren.
“Wir wagen es nicht, diesem kleinen Mädchen etwas anzutun”, sagte er zu ihnen, “denn sie wird von der Macht des Guten beschĂźtzt, und die ist grĂśĂer als die Macht des BĂśsen. Alles, was wir tun kĂśnnen, ist, sie zum Schloss der BĂśsen Hexe zu tragen und sie dort zu lassen.”
So hoben sie Dorothy vorsichtig und behutsam auf ihre Arme und trugen sie schnell durch die Luft, bis sie zum Schloss kamen, wo sie sie auf der Eingangstreppe absetzten. Dann sagte der AnfĂźhrer zu der Hexe:
“Wir haben dir gehorcht, soweit es uns mĂśglich war. Der Blechmann und die Vogelscheuche sind vernichtet und der LĂśwe liegt gefesselt in deinem Garten. Das kleine Mädchen wagen wir nicht zu verletzen, auch nicht den Hund, den sie auf dem Arm trägt. Eure Macht Ăźber unsere Bande ist nun beendet und ihr werdet uns nie wieder sehen.”
Dann flogen alle geflĂźgelten Affen mit viel Gelächter, Geschnatter und Lärm in die Luft und waren bald auĂer Sichtweite.
Die BĂśse Hexe war Ăźberrascht und beunruhigt, als sie das Mal auf Dorothys Stirn sah, denn sie wusste genau, dass weder die geflĂźgelten Affen noch sie selbst es wagen wĂźrden, das Mädchen in irgendeiner Weise zu verletzen. Sie blickte auf Dorothys FĂźĂe hinunter und sah die silbernen Schuhe und begann vor Angst zu zittern, denn sie wusste, was fĂźr ein mächtiger Zauber mit ihnen verbunden war. Zuerst war die Hexe versucht, vor Dorothy wegzulaufen, aber sie sah zufällig in die Augen des Kindes und sah, wie einfach die Seele dahinter war, und dass das kleine Mädchen nichts von der wunderbaren Macht wusste, die ihr die Silberschuhe verliehen. Da lachte die BĂśse Hexe und dachte: “Ich kann sie immer noch zu meiner Sklavin machen, denn sie weiĂ nicht, wie sie ihre Kräfte einsetzen kann.” Dann sagte sie zu Dorothy, hart und streng:
“Komm mit mir und sieh zu, dass du auf alles achtest, was ich dir sage, denn wenn du es nicht tust, werde ich dir ein Ende bereiten, wie ich es mit dem Zinnmann und der Vogelscheuche tat.”
Dorothy folgte ihr durch viele der schÜnen Räume ihres Schlosses, bis sie in die Kßche kamen, wo die Hexe ihr befahl, die TÜpfe und Kessel zu reinigen, den Boden zu fegen und das Feuer mit Holz zu schßren.
Dorothy ging sanftmĂźtig ans Werk, mit dem Vorsatz, so hart wie mĂśglich zu arbeiten, denn sie war froh, dass die BĂśse Hexe beschlossen hatte, sie nicht zu tĂśten.
Während Dorothy fleiĂig arbeitete, dachte die Hexe daran, in den Hof zu gehen und den feigen LĂśwen wie ein Pferd anzuspannen; es wĂźrde ihr sicher SpaĂ machen, ihn ihren Wagen ziehen zu lassen, wann immer sie fahren wollte. Aber als sie das Tor Ăśffnete, brĂźllte der LĂśwe laut und sprang sie so heftig an, dass die Hexe Angst bekam, hinauslief und das Tor wieder schloss.
“Wenn ich dich nicht zähmen kann”, sagte die Hexe zum LĂśwen durch die Gitterstäbe des Tores, “kann ich dich verhungern lassen. Du sollst nichts zu essen haben, bis du tust, was ich will.”
Von da an brachte sie dem gefangenen LĂśwen keine Nahrung mehr, sondern kam jeden Tag mittags zum Tor und fragte: “Bist du bereit, dich wie ein Pferd anspannen zu lassen?”
Und der LĂśwe antwortete: “Nein. Wenn du in diesen Hof kommst, werde ich dich beiĂen.”
Der Grund, warum der LÜwe nicht tun musste, was die Hexe wßnschte, war, dass Dorothy ihm jede Nacht, wenn die Frau schlief, Essen aus der Speisekammer brachte. Nachdem er gegessen hatte, legte er sich auf sein Strohbett, und Dorothy lag neben ihm und legte ihren Kopf auf seine weiche, zottelige Mähne, während sie ßber ihre Probleme sprachen und versuchten, ihre Flucht zu planen. Aber sie konnten keinen Weg aus dem Schloss finden, denn es wurde ständig von den gelben Winkies bewacht, die die Sklaven der BÜsen Hexe waren und zu viel Angst vor ihr hatten, um nicht zu tun, was sie ihnen sagte.
Das Mädchen musste tagsĂźber hart arbeiten und oft drohte die Hexe, sie mit demselben alten Regenschirm zu schlagen, den sie immer in der Hand hielt. Aber in Wahrheit wagte sie es nicht, Dorothy anzurĂźhren, da sie das Mal auf der Stirn hatte. Das Kind wusste das nicht und hatte groĂe Angst um sich und Toto. Einmal schlug die Hexe Toto mit ihrem Regenschirm und der tapfere kleine Hund stĂźrzte auf sie zu und biss ihr ins Bein. Die Hexe blutete nicht wo sie gebissen worden war, denn sie war so bĂśse, dass das Blut in ihr schon vor vielen Jahren versiegt war.
Dorothys Leben wurde sehr traurig, als sie begriff, dass es immer schwieriger werden wĂźrde, wieder nach Kansas und zu Tante Em zurĂźckzukehren. Manchmal weinte sie stundenlang bitterlich, während Toto zu ihren FĂźĂen saĂ und ihr ins Gesicht schaute, um ihr mit seinem Jammern zu zeigen, wie leid ihm sein kleines Frauchen tat. Toto war es eigentlich egal, ob er in Kansas oder im Lande Oz war, solange er Dorothy bei sich hatte; aber er wusste, dass das kleine Mädchen unglĂźcklich war, und das machte auch ihn unglĂźcklich.
Nun sehnte sich die BĂśse Hexe sehr danach, die silbernen Schuhe, die das Mädchen immer trug, selbst zu haben. Ihre Bienen, Krähen und WĂślfe lagen haufenweise herum und vertrockneten, und sie hatte die ganze Kraft des goldenen Hutes aufgebraucht; aber wenn sie nur die Silberschuhe in die Hände bekäme, wĂźrden sie ihr mehr Kraft geben als all die anderen Dinge, die sie verloren hatte. Sie beobachtete Dorothy genau, um zu sehen, ob sie ihre Schuhe jemals ausziehen wĂźrde, mit dem Gedanken, sie kĂśnnte sie stehlen. Aber das Kind war so stolz auf seine hĂźbschen Schuhe, dass es sie nie auszog, auĂer nachts und beim Baden. Die Hexe fĂźrchtete sich zu sehr vor der Dunkelheit, als dass sie es wagen wĂźrde, nachts in Dorothys Zimmer zu gehen, um die Schuhe zu holen, und ihre Furcht vor dem Wasser war grĂśĂer als ihre Angst vor der Dunkelheit, so dass sie nie in die Nähe kam, wenn Dorothy badete. Tatsächlich rĂźhrte die alte Hexe nie Wasser an und lieĂ sich auch nie vom Wasser berĂźhren.
Aber die bĂśse Kreatur war sehr gerissen und schlieĂlich fiel ihr ein Trick ein, mit dem sie bekommen konnte, was sie wollte. Sie legte eine Eisenstange in die Mitte des KĂźchenbodens und machte das Eisen durch ihre ZauberkĂźnste fĂźr menschliche Augen unsichtbar. Als Dorothy nun Ăźber den Boden ging, stolperte sie Ăźber die Stange, da sie diese nicht sehen konnte, und fiel in voller Länge hin. Sie wurde nicht schwer verletzt, aber bei ihrem Sturz lĂśste sich einer der Silberschuhe, und bevor sie ihn erreichen konnte, hatte die Hexe ihn weggerissen und an ihren eigenen mageren FuĂ gehängt.
Die bĂśse Frau war Ăźber den Erfolg ihrer List sehr erfreut, denn solange sie einen der Schuhe besaĂ, besaĂ sie die Hälfte der Macht ihres Zaubers, und Dorothy konnte ihn nicht gegen sie einsetzen, selbst wenn sie gewusst hätte, wie sie es anstellen sollte.
Als das kleine Mädchen sah, dass es einen ihrer schĂśnen Schuhe verloren hatte, wurde sie wĂźtend und sagte zu der Hexe: “Gib mir meinen Schuh zurĂźck!”
“Das werde ich nicht”, erwiderte die Hexe, “denn jetzt ist es mein Schuh und nicht deiner.”
“Du bist ein bĂśses GeschĂśpf!”, schrie Dorothy. “Du hast kein Recht, mir meinen Schuh wegzunehmen.”
“Ich werde es trotzdem behalten”, sagte die Hexe und lachte sie an, “und eines Tages werde ich auch das andere von dir bekommen.”
Das machte Dorothy so wßtend, dass sie den Wassereimer nahm, der in der Nähe stand, und ihn ßber die Hexe schßttete, so dass sie von Kopf bis Fuà nass wurde.

Sofort stieĂ die bĂśse Frau einen lauten Schrei der Angst aus und als Dorothy sie verwundert ansah, begann die Hexe zu schrumpfen und zu zerfallen.
“Sieh, was du getan hast!”, schrie sie. “In einer Minute werde ich dahinschmelzen.”
“Es tut mir wirklich sehr leid”, sagte Dorothy, die wirklich erschrak, als sie sah, wie die Hexe vor ihren Augen wie brauner Zucker zerfiel.
“Wusstest du nicht, dass das Wasser mein Ende sein wĂźrde?”, fragte die Hexe mit klagend-verzweifelter Stimme.
“NatĂźrlich nicht”, antwortete Dorothy. “Wie sollte ich auch?”
“In ein paar Minuten bin ich vĂśllig zerschmolzen und dann hast du das Schloss fĂźr dich allein. Ich bin zu meiner Zeit bĂśse gewesen, aber ich hätte nie gedacht, dass ein kleines Mädchen wie du jemals in der Lage sein wĂźrde, mich zu schmelzen und meine bĂśsen Taten zu beenden. Pass auf – da gehe ich dahin!”
Mit diesen Worten fiel die Hexe zu einer braunen, geschmolzenen, formlosen Masse zu Boden und begann, sich auf den sauberen Dielen des KĂźchenbodens auszubreiten. Als Dorothy sah, dass sie wirklich zu einem Nichts zerschmolzen war, schĂśpfte sie einen weiteren Eimer Wasser und goss ihn Ăźber das Durcheinander. Dann fegte sie alles zur TĂźr hinaus. Nachdem sie den silbernen Schuh, der alles war, was von der alten Frau Ăźbrig blieb, herausgeholt hatte, säuberte und trocknete sie ihn mit einem Tuch und zog ihn wieder an ihren FuĂ. Dann, als sie endlich frei war und tun konnte, was sie wollte, lief sie hinaus in den Hof, um dem LĂśwen zu sagen, dass die bĂśse Hexe des Westens ein Ende gefunden hatte und sie nicht länger Gefangene in einem fremden Land waren.
Kapitel 13: Die Rettung
Der Feige LÜwe freute sich mächtig, als er hÜrte, dass die BÜse Hexe durch einen Eimer Wasser zum Schmelzen gebracht worden war, und Dorothy schloss sofort das Tor seines Gefängnisses auf und befreite ihn. Sie gingen gemeinsam in das Schloss, wo Dorothy als Erstes alle Winkies zusammenrief und ihnen sagte, dass sie keine Sklaven mehr seien.
Unter den gelben Winkies herrschte groĂe Freude, denn sie hatten viele Jahre lang hart fĂźr die BĂśse Hexe arbeiten mĂźssen, die sie immer sehr grausam behandelt hatte. Sie hielten diesen Tag fĂźr immer als Feiertag fest und verbrachten die Zeit mit Feiern und Tanzen.
“Wenn unsere Freunde, die Vogelscheuche und der Blechmann, nur bei uns wären”, sagte der LĂśwe, “dann wäre ich ganz glĂźcklich.”
“Meinst du nicht, wir kĂśnnten sie retten?”, fragte das Mädchen besorgt.
“Wir kĂśnnen es versuchen”, antwortete der LĂśwe.
Sie riefen also die gelben Winkies und fragten sie, ob sie bei der Rettung ihrer Freunde helfen wßrden, und die Winkies sagten, dass sie gerne alles in ihrer Macht Stehende fßr Dorothy tun wßrden, die sie aus der Knechtschaft befreit hatte. Also wählte sie einige der Winkies aus, die am gescheitesten schienen, und sie machten sich alle auf den Weg. Sie reisten an diesem Tag und einen Teil des nächsten, bis sie zu der felsigen Ebene kamen, wo der Blechmann lag, ganz zerschlagen und verbogen. Seine Axt lag neben ihm, aber die Klinge war verrostet und der Stiel kurz abgebrochen.
Die Winkies nahmen ihn zärtlich in die Arme und trugen ihn zurßck zur gelben Burg. Dorothy vergoss unterwegs ein paar Tränen aufgrund der traurigen Lage ihres alten Freundes und der LÜwe sah ernst und traurig drein. Als sie das Schloss erreichten, sagte Dorothy zu den Winkies:
“Ist einer von euch ein Spengler?”
“Oh, ja. Einige von uns sind sehr gute ZinngieĂer”, sagten sie ihr.
“Dann bringt sie zu mir”, sagte sie. Und als die ZinngieĂer kamen und alle ihre Werkzeuge in KĂśrben mitbrachten, fragte sie: “KĂśnnt ihr die Dellen im Zinnmann ausbessern und ihn wieder zurechtbiegen und zusammenlĂśten, wo er zerbrochen ist?”
Die Spengler sahen sich den Holzfäller genau an und antworteten dann, dass sie glaubten, ihn so reparieren zu kĂśnnen, dass er so gut wie neu sein wĂźrde. So machten sie sich in einem der groĂen gelben Räume des Schlosses ans Werk und arbeiteten drei Tage und vier Nächte lang, hämmerten und drehten und bogen und lĂśteten und polierten und hämmerten an den Beinen, dem KĂśrper und dem Kopf des Holzfällers, bis er endlich wieder in seine alte Form gebracht war und seine Gelenke so gut funktionierten wie eh und je. Zwar hatte er einige Flicken, aber die Spengler leisteten gute Arbeit, und da der Holzfäller kein eitler Mann war, stĂśrten ihn die Flicken Ăźberhaupt nicht.

Als er endlich in Dorothys Zimmer kam und ihr fßr seine Rettung dankte, war er so erfreut, dass er Freudentränen weinte, und Dorothy musste ihm mit ihrer Schßrze vorsichtig jede Träne aus dem Gesicht wischen, damit seine Gelenke nicht verrosteten. Gleichzeitig flossen ihre eigenen Tränen aus Freude ßber das Wiedersehen mit ihrem alten Freund und diese Tränen brauchten nicht abgewischt zu werden. Der LÜwe wischte sich so oft mit der Schwanzspitze ßber die Augen, dass sie ganz nass wurde und er gezwungen war, auf den Hof hinauszugehen und sie in die Sonne zu halten, bis sie getrocknet war.
“Wenn wir nur die Vogelscheuche wieder bei uns hätten”, sagte der Blechmann, als Dorothy ihm alles erzählt hatte, was geschehen war, “wäre ich sehr glĂźcklich.”
“Wir mĂźssen versuchen, ihn zu finden”, sagte das Mädchen.
So rief sie die Winkies zu Hilfe und sie gingen den ganzen Tag und einen Teil des nächsten Tages, bis sie zu dem hohen Baum kamen, in dessen Ăste die geflĂźgelten Affen die Kleider der Vogelscheuche geworfen hatten.
Es war ein sehr hoher Baum und der Stamm war so glatt, dass niemand darauf klettern konnte; aber der Holzfäller sagte sofort: “Ich werde ihn fällen, und dann kĂśnnen wir die Kleider der Vogelscheuche holen.”
Während die Spengler damit beschäftigt waren, den Holzfäller selbst zu reparieren, fertigte ein anderer der Winkies, der ein Goldschmied war, einen Axtstiel aus massivem Gold an und montierte ihn anstelle des alten, zerbrochenen Stiels an die Axt des Holzfällers. Andere polierten die Klinge, bis der ganze Rost entfernt war und sie wie poliertes Silber glänzte.
Kaum hatte er gesprochen, begann der Blechmann zu hacken, und in kurzer Zeit fiel der Baum mit einem Krachen um, woraufhin die Kleider der Vogelscheuche aus den Ăsten fielen und auf den Boden rollten.
Dorothy hob sie auf und lieĂ sie von den Winkies zurĂźck zum Schloss tragen, wo sie mit schĂśnem, sauberem Stroh ausgestopft wurden; und siehe da, da war die Vogelscheuche, brav wie immer, und dankte ihnen immer wieder fĂźr ihre Rettung.
Nun, da sie wieder vereint waren, verbrachten Dorothy und ihre Freunde ein paar glĂźckliche Tage im gelben Schloss, wo sie alles fanden, was sie brauchten, um sich wohlzufĂźhlen.
Aber eines Tages dachte das Mädchen an Tante Em und sagte: “Wir mĂźssen zurĂźck zu Oz gehen und sein Versprechen einfordern.”
“Ja”, sagte der Holzfäller, “endlich werde ich mein Herz bekommen.”
“Und ich werde meinen Verstand bekommen”, fĂźgte die Vogelscheuche freudig hinzu.
“Und ich werde meinen Mut bekommen”, sagte der LĂśwe nachdenklich.
“Und ich werde nach Kansas zurĂźckkehren”, rief Dorothy und klatschte in die Hände. “Oh, lass uns morgen in die Smaragdstadt aufbrechen!”
Sie beschlossen, dies zu tun. Am nächsten Tag riefen sie die Winkies zusammen und verabschiedeten sich von ihnen. Die Winkies waren traurig, dass sie gehen mussten, und sie hatten den Blechmann so Liebgewonnen, dass sie ihn baten, zu bleiben und Ăźber sie und das gelbe Land des Westens zu herrschen. Als die Winkies feststellten, dass sie gehen wollten, schenkten sie Toto und dem LĂśwen je ein goldenes Halsband, Dorothy ein wunderschĂśnes, mit Diamanten besetztes Armband, der Vogelscheuche einen Spazierstock mit goldenem Kopf, damit sie nicht stolperte, und dem Zinnmann eine silberne Ălkanne, die mit Gold eingelegt und mit kostbaren Juwelen besetzt war.
Jeder der Reisenden hielt den Winkies im Gegenzug eine hĂźbsche Rede und schĂźttelte ihnen die Hand, bis ihnen die Arme weh taten.
Dorothy ging zum Schrank der Hexe, um ihren Korb mit Lebensmitteln fĂźr die Reise zu fĂźllen, und dort sah sie die goldene MĂźtze. Sie probierte sie auf ihrem eigenen Kopf an und stellte fest, dass sie ihr genau passte. Sie wusste nichts Ăźber den Zauber der goldenen MĂźtze, aber sie sah, dass sie schĂśn war, und so beschloss sie, sie zu tragen und ihr SonnenhĂźtchen in den Korb zu tun.
Als sie fĂźr die Reise bereit waren, machten sie sich alle auf den Weg in die Smaragdstadt, und die Winkies lieĂen sie dreimal hochleben und wĂźnschten ihnen alles Gute.
Kapitel 14: Die geflĂźgelten Affen
Ihr werdet euch erinnern, dass es zwischen dem Schloss der BĂśsen Hexe und der Smaragdstadt keine StraĂe gab – nicht einmal einen Weg. Als die vier Reisenden sich auf die Suche nach der Hexe machten, hatte sie sie kommen sehen und schickte die geflĂźgelten Affen, um sie zu ihr zu bringen. Es war viel schwieriger, den RĂźckweg durch die groĂen Felder mit Butterblumen und gelben GänseblĂźmchen zu finden, als getragen zu werden. Sie wussten natĂźrlich, dass sie geradewegs nach Osten gehen mussten, in Richtung der aufgehenden Sonne, und sie machten sich auf den richtigen Weg. Aber zur Mittagszeit, als die Sonne Ăźber ihren KĂśpfen stand, wussten sie nicht, wo Osten und wo Westen waren, und deshalb verliefen sie sich in den groĂen Feldern. Sie wanderten jedoch weiter und in der Nacht kam der Mond heraus und schien hell. So legten sie sich zwischen die duftenden gelben Blumen und schliefen tief und fest bis zum Morgen – alle auĂer der Vogelscheuche und dem Zinnwaldmann.
Am nächsten Morgen verbarg sich die Sonne hinter einer Wolke, aber sie machten sich auf den Weg, als wßssten sie genau, wohin sie gehen wßrden.
“Wenn wir weit genug laufen”, sagte Dorothy, “kommen wir sicher irgendwann an einen Ort.”
Doch ein Tag nach dem anderen verging und sie sahen immer noch nichts als die scharlachroten Felder vor sich. Die Vogelscheuche begann ein wenig zu murren.
“Wir haben uns sicher verirrt”, sagte er, “und wenn wir ihn nicht rechtzeitig wiederfinden, um die Smaragdstadt zu erreichen, werde ich meinen Verstand nie bekommen.”
“Und ich auch nicht mein Herz”, erklärte der Blechmann. “Mir scheint, ich kann es kaum erwarten, bis ich in Oz ankomme, und du musst zugeben, dass dies eine sehr lange Reise ist.”
“HĂśrt mal”, sagte der Feige LĂśwe mit einem Wimmern, “ich habe nicht den Mut, ewig weiterzuwandern, ohne irgendetwas zu erreichen.”
Dann verlieà auch Dorothy der Mut. Sie setzte sich ins Gras und sah ihre Gefährten an, und diese setzten sich und sahen sie an, und Toto stellte fest, dass er zum ersten Mal in seinem Leben zu mßde war, um einen Schmetterling zu jagen, der an seinem Kopf vorbeiflog. Also streckte er seine Zunge heraus, schnaufte und sah Dorothy an, als wollte er fragen, was sie als Nächstes tun sollten.
“Rufen wir doch die Feldmäuse”, schlug sie vor. “Die kĂśnnen uns bestimmt den Weg zur Smaragdstadt sagen.”
“NatĂźrlich kĂśnnten sie das”, rief die Vogelscheuche. “Warum haben wir nicht frĂźher daran gedacht?”
Dorothy blies in die kleine Pfeife, die sie immer um den Hals trug, seit die MäusekĂśnigin sie ihr gegeben hatte. Nach ein paar Minuten hĂśrten sie das Getrappel winziger FĂźĂe und viele der kleinen grauen Mäuse kamen auf sie zugelaufen. Unter ihnen war auch die KĂśnigin selbst, die mit ihrer piepsigen kleinen Stimme fragte:
“Was kann ich fĂźr meine Freunde tun?”
“Wir haben uns verirrt”, sagte Dorothy. “Kannst du uns sagen, wo die Smaragdstadt ist?”
“Gewiss”, antwortete die KĂśnigin, “aber es ist ein weiter Weg, denn ihr habt es die ganze Zeit im RĂźcken gehabt.” Dann bemerkte sie Dorothys goldene MĂźtze und sagte: “Warum benutzt du nicht den Zauber der MĂźtze und rufst die geflĂźgelten Affen zu dir? Sie werden dich in weniger als einer Stunde in die Stadt Oz bringen.”
“Ich wusste nicht, dass es einen Zauber gibt”, antwortete Dorothy Ăźberrascht. “Was ist das fĂźr einer?”
“Es steht im goldenen Käppchen geschrieben”, antwortete die MäusekĂśnigin. “Aber wenn du die geflĂźgelten Affen rufst, mĂźssen wir weglaufen, denn sie sind voller Unfug und finden es lustig, uns zu plagen.”
“Werden sie mir nicht wehtun?”, fragte das Mädchen ängstlich.
“Oh, nein. Sie mĂźssen dem Träger der MĂźtze gehorchen. Auf Wiedersehen!” Und sie huschte aus dem Blickfeld, während alle Mäuse ihr hinterherliefen.
Dorothy schaute in das Innere der goldenen Mßtze und sah einige Worte, die auf das Futter geschrieben waren. Das muss der Zauberspruch sein, dachte sie, las die Anleitung sorgfältig durch und setzte die Kappe auf ihren Kopf.
“Ep-pe, pep-pe, kak-ke!”, sagte sie und stellte sich auf den linken FuĂ.
“Was hast du gesagt?”, fragte die Vogelscheuche, die nicht wusste, was sie da tat.
“Hil-lo, hol-lo, hel-lo!” Dorothy fuhr fort, diesmal auf dem rechten FuĂ stehend.
“Hallo!”, antwortete der Blechmann ruhig.
“Ziz-zy, zuz-zy, zik!”, sagte Dorothy, die nun auf beiden Beinen stand. Damit war der Zauberspruch zu Ende und sie hĂśrten ein groĂes Geschnatter und FlĂźgelschlagen, als die Schar der geflĂźgelten Affen zu ihnen hinaufflog.

Der KĂśnig verneigte sich tief vor Dorothy und fragte: “Wie lautet dein Befehl?”
“Wir wollen in die Smaragdstadt”, sagte das Kind, “und wir haben uns verirrt.”
“Wir werden dich tragen”, antwortete der KĂśnig, und kaum hatte er das gesagt, da nahmen zwei der Affen Dorothy auf den Arm und flogen mit ihr davon. Andere nahmen die Vogelscheuche, den Holzfäller und den LĂśwen mit, und ein kleiner Affe schnappte sich Toto und flog ihnen hinterher, obwohl der Hund versuchte, ihn zu beiĂen.
Die Vogelscheuche und der Blechmann waren zuerst etwas erschrocken, denn sie erinnerten sich daran, wie schlecht die geflßgelten Affen sie zuvor behandelt hatten; aber sie sahen, dass nichts BÜses beabsichtigt war, und so ritten sie ganz frÜhlich durch die Luft und hatten eine schÜne Zeit, als sie die schÜnen Gärten und Wälder weit unter sich betrachteten.
Dorothy fand sich leichtfĂźĂig zwischen zwei der grĂśĂten Affen wieder, von denen einer der KĂśnig selbst war. Sie hatten einen Stuhl aus ihren Händen gemacht und waren vorsichtig, um sie nicht zu verletzen.
“Warum musst du dem Zauber der goldenen MĂźtze gehorchen?”, fragte sie.
“Das ist eine lange Geschichte”, antwortete der KĂśnig mit einem geflĂźgelten Lachen, “aber da wir eine lange Reise vor uns haben, werde ich euch die Zeit damit vertreiben, sie zu erzählen, wenn ihr wollt.”
“Ich freue mich, das zu hĂśren”, antwortete sie.
“Einst”, begann der AnfĂźhrer, “waren wir ein freies Volk, das glĂźcklich im groĂen Wald lebte, von Baum zu Baum flog, NĂźsse und FrĂźchte aĂ und tat, was es wollte, ohne jemanden als Herrn zu bezeichnen. Vielleicht waren einige von uns manchmal etwas zu sehr mit Unfug beschäftigt, flogen hinunter, um an den Schwänzen der Tiere zu ziehen, die keine FlĂźgel hatten, jagten VĂśgel und warfen NĂźsse auf die Menschen, die im Wald umhergingen. Aber wir waren sorglos und glĂźcklich und voller SpaĂ und genossen jede Minute des Tages. Das war vor vielen Jahren, lange bevor Oz aus den Wolken kam und Ăźber dieses Land herrschte.
“Damals lebte hier, weit im Norden, eine schĂśne Prinzessin, die auch eine mächtige Zauberin war. All ihre Magie diente dazu, den Menschen zu helfen, und sie war bekannt dafĂźr, dass sie niemandem, der gut war, etwas antat. Ihr Name war Gayelette und sie lebte in einem schĂśnen Palast, der aus groĂen RubinblĂścken gebaut war. Alle liebten sie, aber ihr grĂśĂter Kummer war, dass sie niemanden fand, den sie lieben konnte, denn alle Männer waren viel zu dumm und hässlich, um sich mit einer so schĂśnen und weisen Frau zu paaren. SchlieĂlich fand sie jedoch einen Jungen, der schĂśn und männlich war und Ăźber sein Alter hinaus weise. Gayelette beschloss, ihn zum Mann zu nehmen, wenn er erwachsen war, und nahm ihn mit in ihren Rubinpalast, wo sie ihn mit all ihren magischen Kräften so stark, gut und schĂśn machte, wie es sich eine Frau nur wĂźnschen konnte. Als er zum Manne herangewachsen war, galt Quelala, wie er genannt wurde, als der beste und weiseste Mann im ganzen Land, und seine männliche SchĂśnheit war so groĂ, dass Gayelette ihn innig liebte und sich beeilte, alles fĂźr die Hochzeit vorzubereiten.
“Mein GroĂvater war damals der KĂśnig der geflĂźgelten Affen, die im Wald in der Nähe von Gayelettes Palast lebten, und der alte Mann liebte einen Scherz mehr als ein gutes Essen. Eines Tages, kurz vor der Hochzeit, flog mein GroĂvater mit seiner Kapelle aus, als er Quelala am Flussufer entlanggehen sah. Er trug ein reiches KostĂźm aus rosa Seide und violettem Samt und mein GroĂvater dachte, er wolle sehen, was er tun kĂśnne. Auf sein Wort hin flog die Kapelle hinunter und ergriff Quelala, trug ihn auf ihren Armen, bis sie Ăźber der Mitte des Flusses waren, und lieĂ ihn dann ins Wasser fallen.
“Schwimm hinaus, mein lieber Freund”, rief mein GroĂvater, “und sieh nach, ob das Wasser deine Kleider befleckt hat. Quelala war viel zu klug, um nicht zu schwimmen, und er war nicht im Geringsten von seinem GlĂźck verwĂśhnt. Er lachte, als er oben auf dem Wasser ankam, und schwamm ans Ufer. Aber als Gayelette zu ihm lief, sah sie, dass seine Seide und sein Samt vom Fluss vĂśllig ruiniert waren.
“Die Prinzessin war wĂźtend und sie wusste natĂźrlich, wer es war. Sie lieĂ alle geflĂźgelten Affen zu sich bringen und sagte zuerst, man solle ihnen die FlĂźgel binden und sie so behandeln, wie sie Quelala behandelt hatten, und sie in den Fluss werfen. Aber mein GroĂvater flehte um Gnade, denn er wusste, dass die Affen mit angebundenen FlĂźgeln im Fluss ertrinken wĂźrden, und auch Quelala sprach ein freundliches Wort fĂźr sie, so dass Gayelette sie schlieĂlich verschonte, unter der Bedingung, dass die geflĂźgelten Affen fortan dreimal das Gebot des Besitzers der goldenen MĂźtze erfĂźllen sollten. Diese Kappe war als Hochzeitsgeschenk fĂźr Quelala angefertigt worden und es heiĂt, dass sie die Prinzessin die Hälfte ihres KĂśnigreichs gekostet hat. NatĂźrlich stimmten mein GroĂvater und alle anderen Affen sofort der Bedingung zu und so kommt es, dass wir dreimal die Sklaven des Besitzers der goldenen MĂźtze sind, wer auch immer er sein mag.”
“Und was ist aus ihnen geworden?”, fragte Dorothy, die sich sehr fĂźr die Geschichte interessierte.

“Quelala war der erste Besitzer der goldenen MĂźtze”, antwortete der Affe, “und er war der erste, der seine WĂźnsche an uns richtete. Da seine Braut unseren Anblick nicht ertragen konnte, rief er uns alle zu sich in den Wald, nachdem er sie geheiratet hatte, und befahl uns, uns immer dort aufzuhalten, wo sie nie wieder einen geflĂźgelten Affen zu Gesicht bekommen konnte, was wir gerne taten, denn wir hatten alle Angst vor ihr.
“Das war alles, was wir je zu tun hatten, bis das goldene Käppchen in die Hände der BĂśsen Hexe des Westens fiel, die uns dazu brachte, die Winkies zu versklaven und danach Oz selbst aus dem Land des Westens zu vertreiben. Jetzt gehĂśrt das goldene Käppchen euch und ihr habt dreimal das Recht, uns eure WĂźnsche aufzuzwingen.”
Als der AffenkĂśnig seine Geschichte beendete, blickte Dorothy hinunter und sah die grĂźnen, leuchtenden Mauern der Smaragdstadt vor sich. Sie wunderte sich Ăźber den schnellen Flug der Affen, war aber froh, dass die Reise vorbei war. Die seltsamen Wesen setzten die Reisenden vorsichtig vor dem Tor der Stadt ab, der KĂśnig verbeugte sich tief vor Dorothy und flog dann schnell davon, gefolgt von seiner ganzen Bande.
“Das war eine schĂśne Reise”, sagte das kleine Mädchen.
“Ja, und ein schneller Ausweg aus unseren Schwierigkeiten”, antwortete der LĂśwe. “Was fĂźr ein GlĂźck, dass du diese wunderbare MĂźtze mitgebracht hast!”
Kapitel 15: Die EnthĂźllung von Oz, dem Schrecklichen
Die vier Reisenden gingen bis zum groĂen Tor der Smaragdstadt und läuteten die Glocke. Nachdem sie mehrmals geläutet hatten, wurde es von demselben Torwächter, den sie zuvor getroffen hatten.
“Was! Ihr seid schon wieder da?”, fragte er Ăźberrascht.
“Sehen Sie uns nicht?”, antwortete die Vogelscheuche.
“Aber ich dachte, ihr währt zur BĂśsen Hexe des Westens gegangen.”
“Wir haben sie besucht”, sagte die Vogelscheuche.
“Und sie hat euch wieder gehen lassen?”, fragte der Mann erstaunt.
“Sie konnte nicht anders, denn sie ist zerschmolzen”, erklärte die Vogelscheuche.
“Zerschmolzen! Nun, das sind wirklich gute Neuigkeiten”, sagte der Mann. “Wer hat sie zerschmolzen?”
“Es war Dorothy”, sagte der LĂśwe mit ernster Miene.
“Du liebe GĂźte!”, rief der Mann und verbeugte sich tief vor ihr.
Dann fĂźhrte er sie in sein kleines Zimmer und setzte ihnen allen die Brillen aus dem groĂen Kasten auf die Augen, so wie er es zuvor getan hatte. Danach gingen sie durch das Tor in die Smaragdstadt. Als die Menschen vom Torwächter hĂśrten, dass Dorothy die BĂśse Hexe des Westens zum Schmelzen gebracht hatte, versammelten sich alle um die Reisenden und folgten ihnen in einer groĂen Menschenmenge zum Palast von Oz.
Der Soldat mit dem grĂźnen Schnurrbart hielt immer noch Wache vor der TĂźr, aber er lieĂ sie sofort hinein, und sie wurden wieder von dem schĂśnen grĂźnen Mädchen empfangen, das jeden von ihnen sofort in seine alten Zimmer fĂźhrte, damit sie sich ausruhen konnten, bis der GroĂe Oz bereit war, sie zu empfangen.
Der Soldat lieĂ Oz die Nachricht Ăźberbringen, dass Dorothy und die anderen Reisenden wieder zurĂźckgekehrt waren, nachdem sie die BĂśse Hexe vernichtet hatten, aber Oz antwortete nicht. Sie dachten, der groĂe Zauberer wĂźrde sofort nach ihnen schicken, aber das tat er nicht. Am nächsten Tag hĂśrten sie nichts von ihm, auch nicht am nächsten Tag und auch nicht am nächsten Tag. Das Warten war ermĂźdend und zermĂźrbend und schlieĂlich ärgerten sie sich darĂźber, dass Oz sie so schlecht behandelte, nachdem er sie in die MĂźhsal und Sklaverei geschickt hatte. SchlieĂlich bat die Vogelscheuche das grĂźne Mädchen, Oz eine weitere Nachricht zu Ăźberbringen, in der sie ihm mitteilte, dass sie die geflĂźgelten Affen zu Hilfe rufen wĂźrden, um herauszufinden, ob er seine Versprechen einhalte oder nicht, wenn er sie nicht sofort zu ihm hereinlasse. Als der Zauberer diese Nachricht erhielt, war er so erschrocken, dass er ihnen befahl, am nächsten Morgen um vier Minuten nach neun Uhr in den Thronsaal zu kommen. Er war den geflĂźgelten Affen schon einmal im Land des Westens begegnet und er wollte ihnen nicht noch einmal begegnen.
Die vier Reisenden verbrachten eine schlaflose Nacht und jeder dachte an das Geschenk, das Oz ihm versprochen hatte. Dorothy schlief nur einmal ein und dann träumte sie, sie sei in Kansas, wo Tante Em ihr sagte, wie froh sie sei, ihr kleines Mädchen wieder zu Hause zu haben.
PĂźnktlich um neun Uhr am nächsten Morgen kam der grĂźnbärtige Soldat zu ihnen und vier Minuten später gingen sie alle in den Thronsaal des GroĂen Oz.
NatĂźrlich erwartete jeder von ihnen, den Zauberer in der Gestalt zu sehen, die er zuvor angenommen hatte, und alle waren sehr Ăźberrascht, als sie sich umschauten und niemanden im Raum sahen. Sie hielten sich dicht an der TĂźr und noch dichter beieinander, denn die Stille des leeren Raumes war schrecklicher als jede der Gestalten, die sie Oz hatten annehmen sehen.
PlĂśtzlich hĂśrten sie eine feierliche Stimme, die von irgendwoher aus der Nähe der groĂen Kuppel zu kommen schien und die sagte:
“Ich bin Oz, der GroĂe und Schreckliche. Warum sucht ihr mich?”
Sie sahen sich noch einmal Ăźberall im Zimmer um und als sie niemanden sahen, fragte Dorothy: “Wo seid ihr?”
“Ich bin Ăźberall”, antwortete die Stimme, “aber fĂźr die Augen der gewĂśhnlichen Sterblichen bin ich unsichtbar. Ich werde mich jetzt auf meinen Thron setzen, damit ihr euch mit mir unterhalten kĂśnnt.” In der Tat schien die Stimme in diesem Moment direkt vom Thron selbst zu kommen; so gingen sie darauf zu und stellten sich in einer Reihe auf, während Dorothy sprach:
“Wir sind gekommen, um unser Versprechen einzufordern, oh Oz.”
“Welches Versprechen?”, fragte Oz.
“Ihr habt versprochen, mich nach Kansas zurĂźckzuschicken, wenn die BĂśse Hexe vernichtet ist”, sagte das Mädchen.
“Und ihr habt versprochen, mir Verstand zu geben”, sagte die Vogelscheuche.
“Und ihr habt versprochen, mir ein Herz zu schenken”, sagte der Blechmann.
“Und ihr habt versprochen, mir Mut zu geben”, sagte der Feige LĂśwe.
“Ist die BĂśse Hexe wirklich vernichtet?”, fragte die Stimme, und Dorothy glaubte, dass sie ein wenig zitterte.
“Ja”, antwortete sie, “ich habe sie mit einem Eimer Wasser zum Schmelzen gebracht.”
“Du liebe Zeit”, sagte die Stimme, “wie plĂśtzlich! Nun, kommt morgen zu mir, denn ich muss Zeit haben, darĂźber nachzudenken”.
“Ihr hattet bereits genug Zeit”, sagte der Blechmann wĂźtend.
“Wir werden keinen Tag länger warten”, sagte die Vogelscheuche.
“Ihr mĂźsst eure Versprechen uns gegenĂźber einhalten”, rief Dorothy aus.
Der LĂśwe dachte, es wäre vielleicht ganz gut, den Zauberer zu erschrecken, und brĂźllte so laut und heftig, dass Toto erschrocken von ihm wegsprang und den Schirm umwarf, der in einer Ecke stand. Als dieser krachend herunterfiel, blickten sie alle in diese Richtung, und im nächsten Augenblick waren sie alle von Staunen erfĂźllt. Denn sie sahen genau an der Stelle, die der Schirm verdeckt hatte, einen kleinen alten Mann mit Glatze und faltigem Gesicht stehen, der genauso Ăźberrascht zu sein schien wie sie. Der Blechmann hob seine Axt, stĂźrzte auf den kleinen Mann zu und rief: “Wer bist du?”

“Ich bin Oz, der GroĂe und Schreckliche”, sagte der kleine Mann mit zitternder Stimme. “Aber schlagt mich nicht – bitte nicht – und ich werde alles tun, was ihr von mir wollt.”
Unsere Freunde sahen ihn Ăźberrascht und bestĂźrzt an.
“Ich dachte, Oz wäre ein groĂer Kopf”, sagte Dorothy.
“Und ich dachte, Oz sei eine reizende Frau”, sagte die Vogelscheuche.
“Und ich dachte, Oz sei ein schreckliches Biest”, sagte der Blechmann.
“Und ich dachte, Oz wäre ein Feuerball”, rief der LĂśwe aus.
“Nein, ihr habt alle Unrecht”, sagte der kleine Mann kleinlaut. “Ich habe nur so getan.”
“Unglaublich!”, rief Dorothy. “Sie sind kein groĂer Zauberer?”
“Sei still, meine Liebe”, sagte er. “Sprich nicht so laut, sonst hĂśrt man dich – und ich wäre ruiniert. Ich weerde fĂźr einen groĂen Zauberer gehalten.”
“Und Sie sind es nicht?”, fragte sie.
“Kein bisschen, meine Liebe; ich bin nur ein gewĂśhnlicher Mann.”
“Sie sind mehr als das”, sagte die Vogelscheuche in einem betrĂźbten Ton, “Sie sind ein Schwindler.”
“Genau so”, erklärte der kleine Mann und rieb sich die Hände, als ob es ihn freuen wĂźrde. “Ich bin ein Schwindler.”
“Das ist aber schrecklich”, sagte der Blechmann. “Wie soll ich jemals mein Herz bekommen?”
“Oder ich meinen Mut?”, fragte der LĂśwe.
“Oder ich meinen Verstand?”, jammerte die Vogelscheuche und wischte sich mit dem Ărmel seines Mantels die Tränen aus den Augen.
“Meine lieben Freunde”, sagte Oz, “ich bitte euch, nicht von solchen Kleinigkeiten zu sprechen. Denkt an mich und den schrecklichen Ărger, den ich habe, wenn ich entdeckt werde.”
“WeiĂ denn sonst niemand, dass Sie ein Schwindler sind?”, fragte Dorothy.
“Niemand weiĂ es auĂer euch vier und mir”, antwortete Oz. “Ich habe alle so lange getäuscht, dass ich dachte, ich wĂźrde niemals entlarvt werden. Es war ein groĂer Fehler, dass ich euch jemals in den Thronsaal gelassen habe. Normalerweise will ich nicht einmal meine Untertanen sehen und so glauben sie, ich sei etwas Schreckliches.”
“Aber ich verstehe nicht”, sagte Dorothy verwirrt. “Wie kam es, dass Sie mir als groĂer Kopf erschienen sind?”
“Das war ein Trick von mir”, antwortete Oz. “Kommt bitte hier entlang und ich werde euch alles darĂźber erzählen.”
Er wies den Weg zu einer kleinen Kammer hinter dem Thronsaal und alle folgten ihm. Er wies auf eine Ecke, in der der groĂe Kopf lag, der aus vielen dicken Papieren gefertigt war und ein sorgfältig bemaltes Gesicht hatte.
“Das habe ich mit einem Draht von der Decke aufgehängt”, sagte Oz. “Ich stand hinter der Leinwand und zog an einem Faden, damit sich die Augen bewegten und der Mund sich Ăśffnete.”
“Aber was ist mit der Stimme?”, erkundigte sie sich.
“Oh, ich bin ein Bauchredner”, sagte der kleine Mann. “Ich kann den Klang meiner Stimme dorthin werfen, wo ich will, so dass du glaubst, sie käme aus dem Kopf. Hier sind die anderen Dinge, die ich benutzt habe, um dich zu täuschen.” Er zeigte der Vogelscheuche das Kleid und die Maske, die er getragen hatte, als er sich fĂźr die schĂśne Frau ausgab. Und der Zinnmann sah, dass sein schreckliches Ungeheuer nichts anderes war als ein Haufen zusammengenähter Felle mit Latten, um die Seiten nach auĂen zu halten. Den Feuerball hatte der falsche Zauberer ebenfalls an die Decke gehängt. In Wirklichkeit war es ein Baumwollknäuel, aber wenn man Ăl darauf goss, brannte das Knäuel lichterloh.
“Wirklich”, sagte die Vogelscheuche, “Sie sollten sich schämen, dass Sie so ein Schwindler sind.”
“Ja, das mach ich”, antwortete der kleine Mann traurig, “aber es war das einzige, was ich tun konnte. Setzt euch bitte, es gibt genĂźgend StĂźhle, und ich werde euch meine Geschichte erzählen.
Sie setzten sich und hÜrten zu, während er die folgende Geschichte erzählte.
“Ich bin in Omaha geboren⌔
“Das ist ja gar nicht so weit weg von Kansas!”, rief Dorothy.
“Nein, aber es ist weiter weg von hier”, sagte er und schĂźttelte traurig den Kopf. “Als ich erwachsen wurde, wurde ich Bauchredner, und dabei wurde ich von einem groĂen Meister sehr gut ausgebildet. Ich kann jede Art von Vogel oder Tier imitieren.” Dabei miaute er so sehr wie ein Kätzchen, dass Toto die Ohren spitzte und sich Ăźberall umsah, um zu sehen, wo sie war. “Nach einiger Zeit”, fuhr Oz fort, “hatte ich es satt und wurde Ballonfahrer.”
“Was ist das?”, fragte Dorothy.
“Ein Mann, der am Zirkustag mit einem Ballon aufsteigt, um eine Menschenmenge anzulocken und sie dazu zu bringen, fĂźr den Zirkus zu bezahlen”, erklärte er.
“Oh”, sagte sie, “jetzt weiĂ ich.”
“Eines Tages stieg ich mit dem Ballon auf und die Seile verhedderten sich, so dass ich nicht mehr herunterkommen konnte. Er stieg weit Ăźber die Wolken, so weit, dass ein Luftstrom ihn traf und viele, viele Meilen weit weg trug. Einen Tag und eine Nacht lang reiste ich durch die Luft und am Morgen des zweiten Tages wachte ich auf und sah den Ballon Ăźber einem seltsamen und schĂśnen Land schweben.
“Er kam allmählich herunter und ich wurde kein bisschen verletzt. Aber ich befand mich inmitten eines seltsamen Volkes, das mich aus den Wolken kommen sah und dachte, ich sei ein groĂer Zauberer. NatĂźrlich lieĂ ich sie in diesem Glauben, denn sie hatten Angst vor mir und versprachen, alles zu tun, was ich von ihnen verlangte.
“Nur um mich zu amĂźsieren und die guten Leute zu beschäftigen, ordnete ich an, diese Stadt und meinen Palast zu bauen, und sie taten es bereitwillig und gut. Dann dachte ich, da das Land so grĂźn und schĂśn war, wĂźrde ich es die Smaragdstadt nennen; und damit der Name besser passt, setzte ich allen Menschen grĂźne Brillen auf, so dass alles, was sie sahen, grĂźn war.”
“Aber ist hier nicht alles grĂźn?”, fragte Dorothy.
“Nicht mehr als in jeder anderen Stadt”, antwortete Oz, “aber wenn man eine grĂźne Brille trägt, sieht natĂźrlich alles, was man sieht, grĂźn aus. Die Smaragdstadt wurde vor vielen Jahren erbaut, denn ich war ein junger Mann, als der Ballon mich hierher brachte, doch jetzt bin ich alt. Aber mein Volk hat schon so lange eine grĂźne Brille auf den Augen, dass die meisten von ihnen glauben, es sei wirklich eine Smaragdstadt, und es ist wirklich ein wunderschĂśner Ort, reich an Juwelen und Edelmetallen und an allem, was man braucht, um glĂźcklich zu sein. Ich bin gut zu den Menschen gewesen und sie mĂśgen mich; aber seit dieser Palast gebaut wurde, habe ich mich verschlossen und wollte niemanden mehr sehen.
“Eine meiner grĂśĂten Ăngste waren die Hexen, denn obwohl ich Ăźberhaupt keine magischen Kräfte besaĂ, fand ich bald heraus, dass die Hexen wirklich wunderbare Dinge tun konnten. Es gab vier von ihnen in diesem Land und sie herrschten Ăźber die Menschen, die im Norden und SĂźden und im Osten und Westen lebten. Zum GlĂźck waren die Hexen des Nordens und des SĂźdens gut und ich wusste, dass sie mir nichts BĂśses antun wĂźrden; aber die Hexen des Ostens und des Westens waren furchtbar bĂśse, und hätten sie mich nicht fĂźr mächtiger gehalten als sie selbst, hätten sie mich sicher vernichtet. So lebte ich viele Jahre lang in tĂśdlicher Angst vor ihnen; du kannst dir also vorstellen, wie erfreut ich war, als ich hĂśrte, dass dein Haus auf die BĂśse Hexe des Ostens gefallen war. Als du zu mir kamst, war ich bereit, alles zu versprechen, wenn du nur die andere Hexe beseitigen wĂźrdest; aber jetzt, da du sie zerschmolzen hast, schäme ich mich zu sagen, dass ich meine Versprechen nicht halten kann.”
“Ich glaube, Sie sind ein sehr schlechter Mensch”, sagte Dorothy.
“Oh nein, meine Liebe, ich bin wirklich ein sehr guter Mann, aber ich bin ein sehr schlechter Zauberer, das muss ich zugeben.”
“KĂśnnen Sie mir keinen Verstand geben?”, fragte die Vogelscheuche.
“Du brauchst sie nicht. Du lernst jeden Tag etwas. Ein Baby hat einen Verstand, aber es weiĂ nicht viel. Erfahrung ist das Einzige, was Wissen bringt, und je länger du auf der Erde bist, desto mehr Erfahrung wirst du sicherlich sammeln.”
“Das mag alles wahr sein”, sagte die Vogelscheuche, “aber ich werde sehr unglĂźcklich sein, wenn Sie mir keinen Verstand geben.”
Der falsche Zauberer sah ihn aufmerksam an.
“Nun”, sagte er mit einem Seufzer, “ich bin, wie gesagt, kein groĂer Zauberer; aber wenn du morgen frĂźh zu mir kommst, werde ich dir den Kopf mit Hirn fĂźllen. Ich kann dir aber nicht sagen, wie du sie benutzen kannst; das musst du selbst herausfinden.”
“Oh, danke, danke!”, rief die Vogelscheuche. “Ich werde einen Weg finden, es zu benutzen, keine Bange!”
“Aber was ist mit meinem Mut?”, fragte der LĂśwe ängstlich.
“Du hast genug Mut, da bin ich mir sicher”, antwortete Oz. “Alles, was du brauchst, ist Vertrauen in dich selbst. Es gibt kein Lebewesen, das keine Angst hat, wenn es in Gefahr gerät. Der wahre Mut besteht darin, sich der Gefahr zu stellen, auch wenn man Angst hat, und diese Art von Mut hast du im Ăberfluss.”
“Vielleicht habe ich das, aber ich habe trotzdem Angst”, sagte der LĂśwe. “Ich werde wirklich sehr unglĂźcklich sein, wenn Sie mir nicht den Mut geben, der einen vergessen lässt, dass man Angst hat.”
“Nun gut, ich werde dir morgen diesen Mut geben”, antwortete Oz.
“Was ist mit meinem Herzen?”, fragte der Blechmann.
“Was das angeht”, antwortete Oz, “denke ich, dass es falsch ist, ein Herz zu wollen. Es macht die meisten Menschen unglĂźcklich. Du solltest wissen, daĂ du GlĂźck hast, kein Herz zu besitzen.”
“Das ist wohl Ansichtssache”, sagte der Blechmann. “Ich fĂźr meinen Teil werde all das UnglĂźck ohne Murren ertragen, wenn Sie mir das Herz geben.”
“Nun gut”, antwortete Oz sanftmĂźtig. “Komm morgen zu mir und du sollst ein Herz haben. Ich habe schon so viele Jahre den Zauberer gespielt, dass ich die Rolle auch noch ein wenig länger spielen kann.”
“Und jetzt”, sagte Dorothy, “wie komme ich zurĂźck nach Kansas?”
“DarĂźber werden wir nachdenken mĂźssen”, antwortete der kleine Mann. “Gebt mir zwei oder drei Tage Zeit, um darĂźber nachzudenken, und ich werde versuchen, einen Weg zu finden, euch durch die WĂźste zu bringen. In der Zwischenzeit sollt ihr alle als meine Gäste behandelt werden und solange ihr im Palast wohnt, werden meine Leute euch bedienen und jeden eurer geringsten WĂźnsche erfĂźllen. Es gibt nur eine einzige Sache, die ich als Gegenleistung fĂźr meine Hilfe verlange – das ist alles. Ihr mĂźsst mein Geheimnis bewahren und niemandem sagen, dass ich ein Schwindler bin.”
Sie willigten ein, nichts von dem zu sagen, was sie erfahren hatten, und gingen gut gelaunt in ihre Zimmer zurĂźck. Sogar Dorothy hatte die Hoffnung, dass “der groĂe und schreckliche Schwindler”, wie sie ihn nannte, einen Weg finden wĂźrde, sie zurĂźck nach Kansas zu schicken, und wenn er es tat, war sie bereit, ihm alles zu verzeihen.
Kapitel 16: Die magische Kunst des groĂen Schwindlers
Am nächsten Morgen sagte die Vogelscheuche zu ihren Freunden:
“Ihr kĂśnnt mir gratulieren. Ich gehe zu Oz, um endlich meinen Verstand zu bekommen. Wenn ich zurĂźckkehre, werde ich so sein, wie andere Menschen auch.”
“Ich habe dich immer gemocht, wie du warst”, sagte Dorothy schlicht.
“Es ist nett von dir, eine Vogelscheuche zu mĂśgen”, antwortete er. “Aber ihr werdet sicher mehr von mir halten, wenn ihr hĂśrt, was fĂźr wunderbare Gedanken mein neuer Verstand hervorbringen wird. Dann verabschiedete er sich von allen mit frĂśhlicher Stimme und ging zum Thronsaal, wo er an die TĂźr klopfte.
“Komm rein”, sagte Oz.
Die Vogelscheuche ging hinein und fand den kleinen Mann am Fenster sitzend und in Gedanken versunken.
“Ich bin gekommen, um meinen Verstand zu holen”, bemerkte die Vogelscheuche etwas unbehaglich.
“Oh ja, nimm bitte auf diesen Stuhl Platz”, antwortete Oz. “Du musst entschuldigen, dass ich dir den Kopf abnehme, aber ich muss es tun, um deinen Verstand an seinen richtigen Platz zu bringen.”
“Das ist schon in Ordnung”, sagte die Vogelscheuche. “Sie kĂśnnen mir gerne den Kopf abschlagen, wenn Sie ihn wieder aufsetzen.”

Der Zauberer machte seinen Kopf los und leerte das Stroh aus. Dann ging er in die Hinterstube und nahm eine Portion Kleie, das er mit vielen Nadeln und Stiften vermischte. Nachdem er sie grĂźndlich durchgeschĂźttelt hatte, fĂźllte er den Kopf der Vogelscheuche mit der Mischung und stopfte den Rest des Raumes mit Stroh aus, um ihn zu fixieren.
Als er den Kopf der Vogelscheuche wieder auf seinem KĂśrper befestigt hatte, sagte er zu ihm: “Du wirst später ein groĂer Mann sein, denn ich habe dir eine Menge nagelneuen Verstand gegeben.”
Die Vogelscheuche war froh und stolz, dass ihr grĂśĂter Wunsch in ErfĂźllung gegangen war, und nachdem sie sich bei Oz herzlich bedankt hatte, ging sie zu ihren Freunden zurĂźck.
Dorothy sah ihn neugierig an. Sein Kopf war oben ziemlich ausgebeult mit Hirn.
“Wie fĂźhlst du dich?”, fragte sie.
“Ich fĂźhle mich wirklich weise”, antwortete er ernsthaft. “Wenn ich mich an meinen Verstand gewĂśhnt habe, werde ich alles wissen.”
“Warum ragen diese Nadeln und Stifte aus deinem Kopf?”, fragte der Blechmann.
“Das ist der Beweis, dass er scharf ist”, bemerkte der LĂśwe.
“Nun, ich muss zu Oz gehen und mir mein Herz holen”, sagte der Holzfäller. Also ging er zum Thronsaal und klopfte an die TĂźr.
“Komm herein”, rief Oz, und der Holzfäller trat ein und sagte: “Ich bin wegen meines Herzens gekommen.”
“Sehr gut”, antwortete der kleine Mann. “Aber ich muss dir ein Loch in die Brust schneiden, damit ich dein Herz an die richtige Stelle setzen kann. Ich hoffe, es wird dir nicht wehtun.”
“Oh, nein”, antwortete der Holzfäller. “Ich werde es Ăźberhaupt nicht spĂźren.”
Oz holte eine Blechschere und schnitt ein kleines, quadratisches Loch in die linke Seite der Brust des Blechmannes. Dann ging er zu einer Kommode und holte ein hßbsches Herz heraus, das ganz aus Seide war und mit Sägemehl ausgestopft wurde.
“Ist es nicht schĂśn?”, fragte er.
“Ja, das ist es”, antwortete der Holzfäller, der sich sehr freute. “Aber ist es ein gutes Herz?”
“Oh, sehr!”, antwortete Oz. Er steckte das Herz in die Brust des Holzfällers, legte das Zinnquadrat zurĂźck und lĂśtete es an der Stelle zusammen, an der es ausgeschnitten worden war.
“So”, sagte er, “jetzt hast du ein Herz, auf das jeder Mann stolz sein kann. Es tut mir leid, dass ich dir ein Flicken auf die Brust setzen musste, aber es lieĂ sich nicht vermeiden.”
“Der Flicken ist egal”, rief der glĂźckliche Holzfäller aus. “Ich bin Ihnen sehr dankbar und werde Ihre Freundlichkeit nie vergessen.”
“Nicht der Rede wert”, antwortete Oz.
Dann kehrte der Blechmann zu seinen Freunden zurĂźck, die ihm zu seinem GlĂźck gratulierten und alles Gute wĂźnschten.
Der LĂśwe ging nun zum Thronsaal und klopfte an die TĂźr.
“Komm rein”, sagte Oz.
“Ich komme wegen meines Mutes”, verkĂźndete der LĂśwe, als er den Raum betrat.
“Sehr gut”, antwortete der kleine Mann, “ich werde es fĂźr dich holen.”
Er ging zu einem Schrank, griff auf ein hohes Regal und nahm eine viereckige grĂźne Flasche heraus, deren Inhalt er in eine grĂźn-goldene, schĂśn geschnitzte Schale schĂźttete. Er stellte sie vor den Feigen LĂśwen, der daran schnupperte, als ob er sie nicht mochte, und sagte:
“Trink.”
“Was ist das?”, fragte der LĂśwe.
“Nun”, antwortete Oz, “wenn es in dir wäre, wäre es Mut. Ihr wisst natĂźrlich, dass der Mut immer in einem ist, so dass man es nicht wirklich Mut nennen kann, bevor man es nicht geschluckt hat. Deshalb rate ich dir, es so bald wie mĂśglich zu trinken.”
Der LÜwe zÜgerte nicht länger, sondern trank, bis der Teller leer war.
“Wie fĂźhlst du dich jetzt?”, fragte Oz.
“Voller Mut”, antwortete der LĂśwe und ging freudig zu seinen Freunden zurĂźck, um ihnen von seinem GlĂźck zu berichten.
Oz, der sich selbst Ăźberlassen war, lächelte bei dem Gedanken, dass es ihm gelungen war, der Vogelscheuche, dem Blechmann und dem LĂśwen genau das zu geben, was sie zu wollen glaubten. “Wie kann ich etwas dafĂźr, dass ich ein Trottel bin”, sagte er, “wenn all diese Leute mich dazu bringen, Dinge zu tun, von denen jeder weiĂ, dass sie nicht getan werden kĂśnnen? Es war leicht, die Vogelscheuche, den LĂśwen und den Holzfäller glĂźcklich zu machen, weil sie sich einbildeten, ich kĂśnnte alles tun. Aber um Dorothy zurĂźck nach Kansas zu bringen, braucht es mehr als nur Einbildung, und ich weiĂ nicht, wie das gehen soll.”
Kapitel 17: Wie der Ballon losgeschickt wurde
Drei Tage lang hĂśrte Dorothy nichts von Oz. Es war eine traurige Zeit fĂźr das kleine Mädchen, obwohl ihre Freunde alle recht glĂźcklich und zufrieden waren. Die Vogelscheuche erzählte ihnen, dass ihr wunderbare Gedanken durch den Kopf gingen, aber er wollte nicht sagen, was sie waren, weil er wusste, dass niemand auĂer ihm sie verstehen konnte. Als der Zinnmann umherging, fĂźhlte er sein Herz in seiner Brust klopfen, und er erzählte Dorothy, dass er entdeckt hatte, dass es ein gĂźtigeres und zarteres Herz war als das, das er besessen hatte, als er noch aus Fleisch war. Der LĂśwe erklärte, er fĂźrchte sich vor nichts auf der Welt und wĂźrde sich gerne einer Armee oder einem Dutzend der wilden Kalidahs stellen.
So war jeder der kleinen Gruppe zufrieden, auĂer Dorothy, die sich mehr denn je nach Kansas zurĂźcksehnte.
Am vierten Tag schickte Oz zu ihrer groĂen Freude nach ihr und als sie den Thronsaal betrat, begrĂźĂte er sie freundlich:
“Setz dich, meine Liebe; ich glaube, ich habe einen Weg gefunden, dich aus diesem Land hinauszubringen.”
“Und zurĂźck nach Kansas?”, fragte sie eifrig.
“Nun, bei Kansas bin ich mir nicht sicher”, sagte Oz, “ich habe nicht die geringste Ahnung, wo es liegt. Aber als Erstes muss man die WĂźste durchqueren und dann sollte es einfach sein, den Weg nach Hause zu finden.”
“Wie kann ich die WĂźste durchqueren?”, wollte sie wissen.
“Nun, ich werde dir sagen, was ich denke”, sagte der kleine Mann. “Als ich in dieses Land kam, geschah dies in einem Ballon. Du bist auch durch die Luft gekommen, getragen von einem Wirbelsturm. Ich glaube also, dass der beste Weg, die WĂźste zu durchqueren, der Luftweg ist. Es liegt nicht in meiner Macht, einen Wirbelsturm herbeizurufen, aber ich habe darĂźber nachgedacht, und ich glaube, ich kann einen Ballon bauen.”
“Wie?”, fragte Dorothy.
“Ein Ballon”, sagte Oz, “besteht aus Seide, die mit Klebstoff Ăźberzogen ist, damit das Gas drin bleibt. Ich habe reichlich Seide im Palast, also wird es keine MĂźhe machen, den Ballon herzustellen. Aber in diesem ganzen Land gibt es kein Gas, um den Ballon zu fĂźllen, damit er hochsteigt.
“Wenn er nicht hochsteigt”, bemerkte Dorothy, “nĂźtzt er uns nichts.”
“Stimmt”, antwortete Oz. “Aber es gibt noch eine andere MĂśglichkeit, ihn schweben zu lassen, nämlich indem wir ihn mit heiĂer Luft fĂźllen. HeiĂe Luft ist nicht so gut wie Gas, denn wenn die Luft kalt wird, wĂźrde der Ballon in der WĂźste herunterfallen, und wir wären verloren.”
“Wir!”, rief das Mädchen aus. “Kommst du mit mir?”
“Ja, natĂźrlich”, antwortete Oz. “Ich habe es satt, ein Schwindler zu sein. Wenn ich aus diesem Palast herauskäme, wĂźrden meine Leute bald herausfinden, dass ich kein Zauberer bin, und dann wĂźrden sie sich Ăźber mich ärgern, weil ich sie getäuscht habe. Ich muss also den ganzen Tag in diesen Räumen eingeschlossen bleiben, und das wird mir zu langweilig. Ich wĂźrde viel lieber mit dir zurĂźck nach Kansas gehen und wieder in einem Zirkus auftreten.”

“Ich freue mich auf Ihre Gesellschaft”, sagte Dorothy.
“Danke”, antwortete er. “Wenn du mir jetzt hilfst, die Seide zusammenzunähen, kĂśnnen wir mit der Arbeit an unserem Ballon beginnen.”
Dorothy nahm Nadel und Faden und so schnell wie Oz die Seidenstreifen in die richtige Form geschnitten hatte, nähte das Mädchen sie ordentlich zusammen. Zuerst gab es einen Streifen hellgrĂźner Seide, dann einen dunkelgrĂźnen und dann einen smaragdgrĂźnen; denn Oz hatte Lust, den Ballon in den verschiedenen Schattierungen der Farbe ihrer Umgebung zu machen. Es dauerte drei Tage, bis sie alle Streifen zusammengenäht hatten, aber als sie fertig waren, hatten sie einen groĂen Beutel grĂźner Seide, der mehr als drei Meter lang war.
Dann strich Oz die Innenseite mit einer dĂźnnen Schicht Klebstoff ein, um sie luftdicht zu machen, und verkĂźndete dann, dass der Ballon fertig sei.
“Aber wir brauchen einen Korb, in dem wir fahren kĂśnnen”, sagte er. Also schickte er den Soldaten mit dem grĂźnen Schnurrbart los, um einen groĂen Wäschekorb zu holen, den er mit vielen Seilen an der Unterseite des Ballons befestigte.
Als alles fertig war, sandte Oz eine Nachricht an sein Volk, dass er einen groĂen Bruder, den Zauberer, der in den Wolken lebte, besuchen wĂźrde. Die Nachricht verbreitete sich schnell in der Stadt und alle kamen, um den wunderbaren Anblick zu sehen.
Oz lieĂ den Ballon vor den Palast tragen und die Leute betrachteten ihn mit groĂer Neugierde. Der Blechmann hatte einen groĂen Haufen Holz gehackt und machte nun ein Feuer daraus und Oz hielt das offene Ende des Ballons Ăźber das Feuer, damit die heiĂe Luft, die im Feuer aufstieg, in dem seidenen Sack aufgefangen wurde. Allmählich blähte sich der Ballon auf und erhob sich in die Luft, bis der Korb schlieĂlich den Boden nur noch knapp berĂźhrte.
Dann stieg Oz in den Korb und sagte mit lauter Stimme zu allen Leuten:
“Ich gehe jetzt weg, um einen Besuch zu machen. Während ich weg bin, wird die Vogelscheuche Ăźber euch herrschen. Ich befehle euch, ihm zu gehorchen, wie ihr mir gehorchen wĂźrdet.”
Der Ballon zerrte inzwischen heftig an dem Seil, das ihn am Boden hielt, denn die Luft in seinem Inneren war heiĂ, und das machte ihn so viel leichter als die Luft auĂerhalb, sodass er kräftig zerrte, um in den Himmel zu steigen.
“Komm, Dorothy!”, rief der Zauberer. “Beeil dich, sonst fliegt der Ballon weg.”
“Ich kann Toto nirgends finden”, antwortete Dorothy, die ihren kleinen Hund nicht zurĂźcklassen wollte. Toto war in die Menge gelaufen, um ein Kätzchen anzubellen, und Dorothy hatte ihn endlich gefunden. Sie hob ihn auf und lief zum Ballon.
Sie war nur noch wenige Schritte davon entfernt und Oz streckte gerade seine Hände aus, um ihr in den Korb zu helfen, als die Seile rissen und der Ballon ohne sie in die Luft stieg.
“Komm zurĂźck!”, schrie sie. “Ich will auch gehen!”
“Ich kann nicht zurĂźckkommen, meine Liebe”, rief Oz aus dem Korb. “Auf Wiedersehen!”
“Auf Wiedersehen!”, riefen alle, und alle Augen richteten sich nach oben, wo der Zauberer in seinem Korb saĂ und sich jeden Moment immer weiter in den Himmel erhob.
Und das war das letzte, was sie von Oz, dem wunderbaren Zauberer, sahen, obwohl er vielleicht sicher in Omaha angekommen ist und dort jetzt lebte. Aber die Menschen erinnerten sich liebevoll an ihn und sagten zueinander:
“Oz war immer unser Freund. Als er hier war, baute er fĂźr uns diese wunderschĂśne Smaragdstadt, und jetzt ist er fort und hat die weise Vogelscheuche zurĂźckgelassen, um Ăźber uns zu herrschen.”
Dennoch trauerten sie viele Tage lang Ăźber den Verlust des wunderbaren Zauberers und lieĂen sich nicht trĂśsten.
Kapitel 18: Auf in den SĂźden
Dorothy weinte bitterlich, als ihre Hoffnung, zurßck nach Kansas zu gelangen, entschwunden war, aber als sie ßber alles nachdachte, war sie froh, nicht in einem Ballon aufgestiegen zu sein. Und sie bedauerte auch den Verlust von Oz, ebenso wie ihre Gefährten.
Der Blechmann kam zu ihr und sagte:
“Wahrlich, ich wäre undankbar, wenn ich nicht um den Mann trauern wĂźrde, der mir mein schĂśnes Herz geschenkt hat. Ich mĂśchte ein wenig weinen, weil Oz nicht mehr da ist, wenn du mir freundlicherweise die Tränen abwischen wĂźrdest, damit ich nicht roste.”
“Mit VergnĂźgen”, antwortete sie und brachte sofort ein Handtuch. Dann weinte der Blechmann mehrere Minuten lang und sie beobachtete die Tränen sorgfältig und wischte sie mit dem Handtuch weg. Als er fertig war, bedankte er sich freundlich bei ihr und Ăślte sich grĂźndlich mit seiner juwelenbesetzten Ălkanne ein, um sich vor Missgeschick zu schĂźtzen.
Die Vogelscheuche war nun der Herrscher der Smaragdstadt und obwohl er kein Zauberer war, waren die Menschen stolz auf ihn. “Denn”, so sagten sie, “es gibt auf der ganzen Welt keine andere Stadt, die von einem ausgestopften Mann regiert wird.” Und soweit sie wussten, hatten sie damit auch recht.
Am Morgen, nachdem der Ballon mit Oz in die Luft gegangen war, trafen sich die vier Reisenden im Thronsaal und besprachen die Situation. Die Vogelscheuche saĂ auf dem groĂen Thron und die anderen standen respektvoll vor ihm.
“Wir haben nicht so viel Pech”, sagte der neue Herrscher, “denn dieser Palast und die Smaragdstadt gehĂśren uns, und wir kĂśnnen tun, was uns gefällt. Wenn ich daran denke, dass ich vor kurzem noch auf einem Pfahl im Kornfeld eines Bauern stand, und dass ich jetzt der Herrscher dieser schĂśnen Stadt bin, bin ich ganz zufrieden mit meinem Schicksal.”
“Auch ich”, sagte der Blechmann, “bin zufrieden mit meinem neuen Herzen, und das war wirklich das Einzige, was ich mir auf der ganzen Welt gewĂźnscht habe.”
“Ich fĂźr meinen Teil bin zufrieden, weil ich weiĂ, dass ich so mutig bin wie nur irgend ein Tier, wenn nicht sogar noch mutiger”, sagte der LĂśwe bescheiden.
“Wenn Dorothy sich nur damit begnĂźgen wĂźrde, in der Smaragdstadt zu leben”, fuhr die Vogelscheuche fort, “dann kĂśnnten wir alle zusammen glĂźcklich sein.”
“Aber ich will hier nicht leben”, rief Dorothy. “Ich will nach Kansas gehen und bei Tante Em und Onkel Henry leben.”
“Nun, was kann man tun?”, fragte der Holzfäller.
Die Vogelscheuche beschloss, nachzudenken, und sie dachte so angestrengt nach, dass ihr die Nadeln aus dem Hirn zu stechen begannen. SchlieĂlich sagte er:
“Warum rufst du nicht die geflĂźgelten Affen und bittest sie, dich durch die WĂźste zu tragen?”
“Daran habe ich ja gar nicht gedacht”, sagte Dorothy freudig. “Genau das ist es. Ich hole sofort die goldene Kappe.”
Als sie ihn in den Thronsaal brachte, sprach sie die magischen Worte, und schon bald flog die Schar der geflĂźgelten Affen durch das offene Fenster herein und stellte sich neben sie.
“Das ist das zweite Mal, dass du uns rufst”, sagte der AffenkĂśnig und verbeugte sich vor dem kleinen Mädchen. “Was wĂźnschst du dir?”
“Ich mĂśchte, dass du mit mir nach Kansas fliegst”, sagte Dorothy.
Aber der AffenkĂśnig schĂźttelte den Kopf.
“Das geht nicht”, sagte er. “Wir gehĂśren allein zu diesem Land und kĂśnnen es nicht verlassen. Es gab noch nie einen geflĂźgelten Affen in Kansas und ich nehme an, es wird auch nie einen geben, denn sie gehĂśren nicht dorthin. Wir sind gerne bereit, euch auf jede Weise zu helfen, aber wir kĂśnnen die WĂźste nicht durchqueren. Auf Wiedersehen.”
Und mit einer weiteren Verbeugung breitete der AffenkĂśnig seine FlĂźgel aus und flog durch das Fenster davon, gefolgt von seiner ganzen Bande.
Dorothy war kurz davor, vor Enttäuschung zu weinen. “Ich habe den Zauber der goldenen MĂźtze fĂźr nichts und wieder nichts verschwendet”, sagte sie, “denn die geflĂźgelten Affen kĂśnnen mir nicht helfen.”
“Das ist wirklich schade”, sagte der zärtliche Holzfäller.
Die Vogelscheuche dachte wieder nach und ihr Kopf wĂślbte sich so schrecklich, dass Dorothy befĂźrchtete, er wĂźrde platzen.
“Lasst uns den Soldaten mit dem grĂźnen Schnurrbart rufen”, sagte er, “und ihn um Rat fragen.”
So wurde der Soldat herbeizitiert und betrat zaghaft den Thronsaal, denn solange Oz lebte, durfte er nie weiter als bis zur TĂźr kommen.
“Dieses kleine Mädchen”, sagte die Vogelscheuche zu dem Soldaten, “mĂśchte die WĂźste durchqueren. Wie kann sie das tun?”
“Das kann ich nicht sagen”, antwortete der Soldat, “denn niemand hat je die WĂźste durchquert, es sei denn, es ist Oz selbst.”
“Gibt es niemanden, der mir helfen kann?”, fragte Dorothy ernsthaft.
“Glinda vielleicht”, schlug er vor.
“Wer ist Glinda?”, erkundigte sich die Vogelscheuche.
“Die Hexe des SĂźdens. Sie ist die mächtigste aller Hexen und herrscht Ăźber die Quadlinge. AuĂerdem steht ihr Schloss am Rande der WĂźste, so dass sie vielleicht einen Weg kennt, sie zu durchqueren.”
“Glinda ist eine gute Hexe, nicht wahr?”, fragte das Kind.
“Die Quadlinge halten sie fĂźr gut”, sagte der Soldat, “und sie ist freundlich zu allen. Ich habe gehĂśrt, dass Glinda eine schĂśne Frau ist, die es versteht, trotz der vielen Jahre, die sie schon lebt, jung zu bleiben.”
“Wie komme ich zu ihrem Schloss?”, fragte Dorothy.
“Der Weg fĂźhrt geradewegs nach SĂźden”, antwortete er, “aber man sagt, er sei voller Gefahren fĂźr Reisende. Es gibt wilde Tiere in den Wäldern und ein Volk von seltsamen Leuten, die es nicht mĂśgen, wenn Fremde ihr Land durchqueren. Aus diesem Grund kommt keiner der Quadlinge jemals in die Smaragdstadt.”
Der Soldat verlieĂ die beiden und die Vogelscheuche sagte: “Das ist eine gute Idee:
“Trotz aller Gefahren scheint es das Beste, was Dorothy tun kann, in das Land des SĂźdens zu reisen und Glinda um Hilfe zu bitten. Denn wenn Dorothy hier bleibt, kommt sie natĂźrlich nie wieder nach Kansas zurĂźck.”
“Du hast wohl wieder nachgedacht”, bemerkte der Blechmann.
“Das habe ich”, sagte die Vogelscheuche.
“Ich werde mit Dorothy gehen”, erklärte der LĂśwe, “denn ich bin eurer Stadt ĂźberdrĂźssig und sehne mich wieder nach den Wäldern und dem Land. Ich bin wirklich ein wildes Tier, wisst ihr. AuĂerdem wird Dorothy jemanden brauchen, der sie beschĂźtzt.”
“Das ist wahr”, stimmte der Holzfäller zu. “Meine Axt kann ihr von Nutzen sein, also werde ich auch mit ihr in das Land des SĂźdens gehen.”
“Wann sollen wir aufbrechen?”, fragte die Vogelscheuche.
“Gehst du mit?”, fragten sie erstaunt.
“Sicherlich. Wenn Dorothy nicht gewesen wäre, hätte ich nie einen Verstand gehabt. Sie hat mich vom Pfahl im Maisfeld hochgehoben und in die Smaragdstadt gebracht. Ich verdanke ihr also mein GlĂźck und ich werde sie nie verlassen, bis sie fĂźr immer nach Kansas zurĂźckkehrt.”
“Danke”, sagte Dorothy dankbar. “Ihr seid alle sehr nett zu mir. Aber ich mĂśchte so bald wie mĂśglich aufbrechen.”
“Wir werden morgen frĂźh aufbrechen”, erwiderte die Vogelscheuche. “Also lasst uns jetzt alle vorbereiten, denn es wird eine lange Reise.”
Kapitel 19: Angriff der kämpfenden Bäume
Am nächsten Morgen kĂźsste Dorothy das hĂźbsche grĂźne Mädchen zum Abschied und alle gaben dem Soldaten mit dem grĂźnen Schnurrbart, der sie bis zum Tor begleitet hatte, die Hand. Als der Wächter des Tores sie wiedersah, wunderte er sich sehr, dass sie die schĂśne Stadt verlieĂen, um in neue Schwierigkeiten zu geraten. Aber er schloss ihnen sofort die Brillen auf, legte sie zurĂźck in die grĂźne Schachtel und gab ihnen viele gute WĂźnsche mit auf den Weg.
“Du bist jetzt unser Herrscher”, sagte er zu der Vogelscheuche, “also musst du so schnell wie mĂśglich zu uns zurĂźckkehren.”
“Das werde ich sicher tun, wenn ich kann”, antwortete die Vogelscheuche, “aber zuerst muss ich Dorothy helfen, nach Hause zu kommen.”
Als Dorothy dem gutmßtigen Wächter ein letztes Lebewohl sagte, sagte sie:
“Ich bin in Ihrer schĂśnen Stadt sehr freundlich behandelt worden und alle waren gut zu mir. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie dankbar ich bin.”
“Versuchen Sie es nicht, meine Liebe”, antwortete er. “Wir wĂźrden dich gern bei uns behalten, aber wenn du nach Kansas zurĂźckkehren willst, wirst du hoffentlich einen Weg finden.” Dann Ăśffnete er das Tor der äuĂeren Mauer und sie gingen hinaus und begannen ihre Reise.
Die Sonne schien hell, als unsere Freunde ihre Gesichter dem Land des Sßdens zuwandten. Sie waren alle bester Laune, lachten und plauderten miteinander. Dorothy war wieder voller Hoffnung, nach Hause zu kommen, und die Vogelscheuche und der Blechmann waren froh, ihr behilflich zu sein. Der LÜwe schnupperte genßsslich die frische Luft und wedelte mit dem Schwanz, weil er sich so freute, wieder auf dem Land zu sein, während Toto um sie herumlief und die Motten und Schmetterlinge jagte, während er die ganze Zeit frÜhlich bellte.
“Das Leben in der Stadt gefällt mir Ăźberhaupt nicht”, bemerkte der LĂśwe, als sie in zĂźgigem Tempo weitergingen. “Ich habe viel Fleisch verloren, seit ich dort gelebt habe, und nun mĂśchte ich den anderen Tieren zeigen, wie mutig ich geworden bin.”
Jetzt drehten sie sich um und warfen einen letzten Blick auf die Smaragdstadt. Alles, was sie sehen konnten, war eine Ansammlung von TĂźrmen und KirchtĂźrmen hinter den grĂźnen Mauern, und hoch oben Ăźber allem die TĂźrme und die Kuppel des Palastes von Oz.
“Oz war doch kein so schlechter Zauberer”, sagte der Blechmann, während er spĂźrte, wie sein Herz in seiner Brust rasselte.
“Er wusste, wie man mir einen Verstand gibt, und zwar einen sehr guten”, sagte die Vogelscheuche.
“Wenn Oz eine Dosis von demselben Mut genommen hätte, den er mir gegeben hat”, fĂźgte der LĂśwe hinzu, “wäre er ein mutiger Mann gewesen.”
Dorothy sagte nichts. Oz hatte das Versprechen, das er ihr gegeben hatte, nicht gehalten, aber er hatte sein Bestes getan, also verzieh sie ihm. Wie er sagte, war er ein guter Mensch, auch wenn er ein schlechter Zauberer war.
Die erste Tagesreise fĂźhrte durch die grĂźnen Felder und leuchtenden Blumen, die die Smaragdstadt zu allen Seiten umgaben. In dieser Nacht schliefen sie im Gras, mit nichts als den Sternen Ăźber ihnen, und sie ruhten wirklich sehr gut.
Am Morgen reisten sie weiter, bis sie an einen dichten Wald kamen. Es gab keine MĂśglichkeit, ihn zu umgehen, denn er schien sich nach rechts und links zu erstrecken, so weit sie sehen konnten, und auĂerdem wagten sie nicht, die Richtung ihres Weges zu ändern, aus Angst, sich zu verlaufen. Sie suchten also nach der Stelle, an der sie am leichtesten in den Wald gelangen konnten.

Die Vogelscheuche, die voranging, entdeckte schlieĂlich einen groĂen Baum mit so weit ausladenden Ăsten, dass die Gruppe darunter hindurchgehen konnte. Er ging also auf den Baum zu, aber gerade als er unter die ersten Ăste durchlief, beugten sie sich herunter und umschlangen ihn, und im nächsten Moment wurde er vom Boden aufgehoben und kopfĂźber unter seine Mitreisenden geschleudert.
Das tat der Vogelscheuche nicht weh, aber es Ăźberraschte sie, und sie sah ziemlich benommen aus, als Dorothy sie aufhob.
“Hier ist noch ein Platz zwischen den Bäumen”, rief der LĂśwe.
“Lass es mich zuerst versuchen”, sagte die Vogelscheuche, “denn es tut mir nicht weh, herumgeschleudert zu werden.” Während er sprach, ging er auf einen anderen Baum zu, aber die Ăste packten ihn sofort und warfen ihn wieder zurĂźck.
“Das ist seltsam”, rief Dorothy. “Was sollen wir tun?”
“Die Bäume scheinen sich entschlossen zu haben, uns zu bekämpfen und unsere Reise aufzuhalten”, bemerkte der LĂśwe.
“Ich glaube, ich werde es selbst versuchen”, sagte der Holzfäller, schulterte seine Axt und marschierte zu dem ersten Baum, der die Vogelscheuche so grob behandelt hatte. Als sich ein groĂer Ast nach ihm bog, um ihn zu ergreifen, schlug der Holzfäller so heftig darauf ein, dass er ihn in zwei Hälften teilte. Sofort begann der Baum mit all seinen Ăsten zu wackeln, als ob er Schmerzen hätte, und der Blechmann kam sicher unter ihm hindurch.
“Los!”, rief er den anderen zu. “Beeilt euch!” Sie rannten alle vorwärts und kamen unverletzt unter dem Baum hindurch, auĂer Toto, der von einem kleinen Ast erfasst und geschĂźttelt wurde, bis er heulte. Doch der Holzfäller hackte den Ast sofort ab und lieĂ den kleinen Hund frei.
Die anderen Bäume des Waldes taten nichts, um sie zurĂźckzuhalten, und so kamen sie zu dem Schluss, dass nur die erste Reihe von Bäumen ihre Ăste herunterbiegen konnte, und dass diese wahrscheinlich die Polizisten des Waldes waren und diese wunderbare Kraft erhielten, um Fremde vom Wald fernzuhalten.
Die vier Reisenden gingen mit Leichtigkeit zwischen den Bäumen hindurch, bis sie an den äuĂersten Rand des Waldes kamen. Dort fanden sie zu ihrer Ăberraschung eine hohe Mauer vor, die aus weiĂem Porzellan zu bestehen schien. Sie war glatt, wie die Oberfläche einer SchĂźssel, und hĂśher als ihre KĂśpfe.
“Was sollen wir jetzt tun?”, fragte Dorothy.
“Ich werde eine Leiter machen”, sagte der Blechmann, “denn wir mĂźssen unbedingt Ăźber die Mauer klettern.”

Kapitel 20: Das niedliche Porzellanland
Während der Holzfäller eine Leiter aus Holz baute, das er im Wald gefunden hatte, legte sich Dorothy hin und schlief, denn sie war von der langen Wanderung mßde. Auch der LÜwe rollte sich zum Schlafen zusammen und Toto legte sich neben ihn.
Die Vogelscheuche beobachtete den Holzfäller bei seiner Arbeit und sagte zu ihm:
“Ich kann mir weder vorstellen, warum diese Wand hier steht, noch woraus sie besteht.”
“Ruht euren Verstand aus und kĂźmmert euch nicht um die Mauer”, antwortete der Holzfäller. “Wenn wir darĂźber geklettert sind, werden wir wissen, was auf der anderen Seite ist”.
Nach einiger Zeit war die Leiter fertig. Sie sah zwar klobig aus, aber der Blechmann war sicher, dass sie stabil genug war und ihren Zweck erfĂźllen wĂźrde. Die Vogelscheuche weckte Dorothy, den LĂśwen und Toto auf und sagte ihnen, dass die Leiter fertig sei. Die Vogelscheuche kletterte zuerst die Leiter hinauf, aber sie war so ungeschickt, dass Dorothy dicht hinter ihr gehen musste, damit sie nicht herunterfiel. Als er mit dem Kopf Ăźber der Mauer stand, sagte die Vogelscheuche: “Ach du meine GĂźte!”
“Geh schon”, rief Dorothy.
Die Vogelscheuche kletterte also weiter hinauf und setzte sich auf die Spitze der Mauer und Dorothy legte ihren Kopf darĂźber und rief: “Ach du meine GĂźte”, genau wie die Vogelscheuche.
Dann kam Toto heran und begann sofort zu bellen, aber Dorothy brachte ihn dazu, still zu sein.
Der LĂśwe kletterte als nächster die Leiter hinauf und der Blechmann kam als letzter; aber beide riefen: “Ach du meine GĂźte!”, sobald sie Ăźber die Mauer schauten. Als sie alle in einer Reihe oben auf der Mauer saĂen, schauten sie hinunter und sahen einen seltsamen Anblick.
Vor ihnen lag ein groĂes StĂźck Land mit einem Boden, der so glatt, glänzend und weiĂ war wie der Boden eines groĂen Tellers. Ringsherum standen viele Häuser, die ganz aus Porzellan und in den hellsten Farben gestrichen waren. Diese Häuser waren recht klein und das grĂśĂte von ihnen reichte nur so hoch wie Dorothys Taille. Es gab auch hĂźbsche kleine Scheunen, die von Porzellanzäunen umgeben waren, und viele KĂźhe, Schafe, Pferde, Schweine und HĂźhner, die alle aus Porzellan waren, standen in Gruppen herum.

Aber das Seltsamste waren die Leute, die in diesem seltsamen Land lebten. Es gab Milchmädchen und Hirtinnen mit bunten Miedern und goldenen Flecken Ăźberall auf ihren Kleidern; und Prinzessinnen mit den prächtigsten Kleidern aus Silber, Gold und Purpur; und Hirten in Kniebundhosen mit rosa, gelben und blauen Streifen und goldenen Schnallen an den Schuhen; und Prinzen mit juwelenbesetzten Kronen auf dem Kopf, die Hermelinroben und Satinwesten trugen; und lustige Clowns in RĂźschenkleidern, mit runden roten Flecken auf den Wangen und hohen, spitzen MĂźtzen. Und das Seltsamste war, dass diese Leute alle aus Porzellan waren, bis hin zu ihren Kleidern, und sie waren so klein, dass der GrĂśĂte von ihnen nicht hĂśher als bis zu Dorothys Knien reichte.
Niemand sah die Reisenden auch nur an, bis auf einen kleinen lila Porzellanhund mit einem ĂźbergroĂen Kopf, der an die Mauer kam und sie mit leiser Stimme anbellte, um dann wieder wegzulaufen.
“Wie kommen wir da runter?”, fragte Dorothy.
Die Leiter war so schwer, dass sie sie nicht hochziehen konnten, also fiel die Vogelscheuche von der Wand, und die anderen sprangen auf sie hinunter, damit der harte Boden ihre FĂźĂe nicht verletzte. NatĂźrlich passten sie auf, dass sie nicht auf seinem Kopf landeten und die Nadeln in ihre FĂźĂe stachen. Als alle sicher unten ankamen, hoben sie die Vogelscheuche auf, deren KĂśrper ganz platt war, und klopften ihr das Stroh wieder in Form.
“Wir mĂźssen diesen seltsamen Ort durchqueren, um auf die andere Seite zu gelangen”, sagte Dorothy, “denn es wäre unklug, wenn wir einen anderen Weg als den nach SĂźden einschlagen wĂźrden.
Sie begannen, durch das Land der Porzellanmenschen zu wandern, und das erste, was sie sahen, war eine Milchmagd aus Porzellan, die eine Kuh aus Porzellan melkte. Als sie sich ihnen näherten, gab die Kuh plĂśtzlich einen Tritt und warf den Schemel, den Eimer und sogar die Melkerin selbst um, so dass alles mit groĂem GetĂśse auf den Porzellanboden fiel.
Dorothy war schockiert, als sie sah, dass die Kuh ihr Bein abgebrochen hatte und der Eimer in mehreren kleinen Scherben dalag, während das arme Milchmädchen eine Wunde am linken Ellbogen hatte.
“Da!”, rief die Milchmagd wĂźtend. “Sehen Sie, was Sie angerichtet haben! Meine Kuh hat sich das Bein gebrochen und ich muss sie in die Werkstatt bringen und es wieder ankleben lassen. Was fällt dir ein, hierher zu kommen und meine Kuh zu erschrecken?”
“Es tut mir sehr leid”, erwiderte Dorothy. “Bitte verzeihen Sie uns.”
Aber die hßbsche Milchmagd war viel zu verärgert, um eine Antwort zu geben. Sie hob das Bein schmollend auf und fßhrte ihre Kuh weg, die auf drei Beinen humpelte. Beim Weggehen warf die Milchmagd viele vorwurfsvolle Blicke ßber die Schulter auf die ungeschickten Fremden und hielt ihren verletzten Ellbogen dicht an ihre Seite.
Dorothy war sehr betrĂźbt Ăźber dieses Missgeschick.
“Wir mĂźssen hier sehr vorsichtig sein”, sagte der gutherzige Holzfäller, “sonst verletzen wir diese hĂźbschen kleinen Leute so, dass sie es niemals Ăźberstehen werden.”
Ein StĂźck weiter begegnete Dorothy einer sehr schĂśn gekleideten jungen Prinzessin, die beim Anblick der Fremden stehen blieb und weglaufen wollte.
Dorothy wollte mehr von der Prinzessin sehen und lief ihr nach. Aber das Porzellanmädchen schrie auf:
“Verfolge mich nicht! Verfolgt mich nicht!”
Sie hatte eine so ängstliche kleine Stimme, dass Dorothy stehen blieb und fragte: “Warum nicht?”
“Weil”, antwortete die Prinzessin und blieb ebenfalls in sicherer Entfernung stehen, “wenn ich laufe, kĂśnnte ich hinfallen und mir etwas brechen.”
“Aber kann man dich nicht wiederherstellen?”, fragte das Mädchen.
“Oh ja, aber man ist nie so schĂśn, wenn man geflickt wurde”, antwortete die Prinzessin.
“Ich nehme an, nicht”, sagte Dorothy.
“Da ist Mr. Joker, einer unserer Clowns”, fuhr die Porzellanfrau fort, “der immer versucht, auf dem Kopf zu stehen. Er hat sich so oft gebrochen, dass er an hundert Stellen geflickt ist und kein bisschen schĂśn aussieht. Hier kommt er nun, damit du dir selbst ein Bild machen kannst.”
Tatsächlich kam ein lustiger kleiner Clown auf sie zu und Dorothy konnte sehen, dass er trotz seiner hßbschen roten, gelben und grßnen Kleidung vÜllig mit Rissen ßbersät war, die in alle Richtungen verliefen und deutlich zeigten, dass er an vielen Stellen geflickt worden war.
Der Clown steckte die Hände in die Taschen, blies die Backen auf und nickte ihnen verschmitzt zu:
“Mein schĂśnes Kind,
Du wirst ja blind,
Glotzt du auf mich noch lange!
Du stehst so starr,
Als hättst du gar
Verschluckt âne Bohnenstange!â
“Seien Sie still, mein Herr!”, sagte die Prinzessin. “Seht Ihr nicht, dass dies Fremde sind, die mit Respekt behandelt werden sollten?”
“Nun, das nenne ich Respekt”, erklärte der Clown und stellte sich sofort auf seinen Kopf.
“KĂźmmere dich nicht um Mr. Joker”, sagte die Prinzessin zu Dorothy. “Er hat einen ziemlichen Knacks im Kopf und das macht ihn dumm.”
“Oh, er stĂśrt mich kein bisschen”, sagte Dorothy. “Aber du bist so schĂśn”, fuhr sie fort, “ich bin sicher, dass ich dich von Herzen lieben kĂśnnte. Willst du nicht, dass ich dich nach Kansas zurĂźcktrage und dich auf Tante Emâs Kaminsims stelle? Ich kĂśnnte dich in meinem Korb tragen.”
“Das wĂźrde mich sehr unglĂźcklich machen”, antwortete die Porzellanprinzessin. “Siehst du, hier in unserem Land leben wir zufrieden und kĂśnnen reden und uns bewegen, wie wir wollen. Aber wenn man uns etwas wegnimmt, werden unsere Gelenke sofort steif, und wir kĂśnnen nur gerade stehen und hĂźbsch aussehen. Das ist natĂźrlich alles, was man von uns erwartet, wenn wir auf Kaminen und Schränken und Salontischen ruhen, aber hier in unserem Land ist unser Leben viel angenehmer.”
“Ich mĂśchte dich um nichts in der Welt unglĂźcklich machen”, rief Dorothy aus. “Also werde ich mich einfach verabschieden.”
“Auf Wiedersehen”, antwortete die Prinzessin.
Sie wanderten vorsichtig durch das Porzellanland. Die kleinen Tiere und alle Menschen huschten aus dem Weg, weil sie fĂźrchteten, die Fremden wĂźrden sie verletzen, und nach einer Stunde oder so erreichten die Reisenden die andere Seite des Landes und kamen zu einer anderen Porzellanwand.
Sie war jedoch nicht so hoch wie die erste und indem sie auf dem RĂźcken des LĂśwen standen, gelang es ihnen allen, nach oben zu klettern. Dann zog der LĂśwe seine Beine unter sich zusammen und sprang auf die Wand; aber gerade als er sprang, stieĂ er mit seinem Schwanz eine Porzellankirche um und zerschlug sie in StĂźcke.
“Das war schade”, sagte Dorothy, “aber ich glaube, wir hatten GlĂźck, dass wir diesen kleinen Leuten nicht mehr Schaden zugefĂźgt haben, als ein Kuhbein und eine Kirche zu brechen. Sie sind alle so zerbrechlich!”
“Das sind sie in der Tat”, sagte die Vogelscheuche, “und ich bin froh, dass ich aus Stroh bin und nicht so leicht beschädigt werden kann. Es gibt schlimmeres auf der Welt, als eine Vogelscheuche zu sein.”
Kapitel 21: Der LĂśwe wird zum KĂśnig der Tiere
Nachdem sie von der Porzellanmauer hinuntergestiegen waren, fanden sich die Reisenden in einem unangenehmen Land wieder, das voller SĂźmpfe und Moore und mit hohem, dĂźrrem Gras bedeckt war. Es war schwierig, zu gehen, ohne in schlammige LĂścher zu fallen, denn das Gras war so dicht, dass es die Sicht verdeckte. Doch durch vorsichtiges Ausschauhalten kamen sie sicher voran, bis sie festen Boden erreichten. Aber hier schien das Land noch wilder zu sein als sonst und nach einem langen und mĂźhsamen Weg durch das Unterholz kamen sie in einen anderen Wald, in dem die Bäume grĂśĂer und älter waren als alle, die sie je gesehen hatten.
“Dieser Wald ist einfach herrlich”, erklärte der LĂśwe und schaute sich mit Freude um. “Nie habe ich einen schĂśneren Ort gesehen.”
“Es sieht dĂźster aus”, sagte die Vogelscheuche.
“Kein bisschen”, antwortete der LĂśwe. “Hier mĂśchte ich mein ganzes Leben lang leben. Sieh nur, wie weich die getrockneten Blätter unter deinen FĂźĂen sind und wie Ăźppig und grĂźn das Moos ist, das an diesen alten Bäumen haftet. Kein wildes Tier kĂśnnte sich ein angenehmeres Zuhause wĂźnschen.”
“Vielleicht gibt es schon wilde Tiere im Wald”, sagte Dorothy.
“Ich nehme an, dass es sie gibt”, erwiderte der LĂśwe, “aber ich sehe keinen von ihnen hier.”
Sie wanderten durch den Wald, bis es zu dunkel wurde, um weiterzugehen. Dorothy, Toto und der LÜwe legten sich zum Schlafen nieder, während der Holzfäller und die Vogelscheuche wie immer ßber sie wachten.
Als der Morgen anbrach, brachen sie wieder auf. Noch bevor sie weit gegangen waren, hĂśrten sie ein tiefes Grollen, wie das Knurren vieler wilder Tiere. Toto wimmerte ein wenig, aber keiner der anderen hatte Angst, und sie gingen weiter auf dem Trampelpfad Pfad, bis sie zu einer Ăffnung im Wald kamen, in der Hunderte von Tieren aller Art versammelt waren. Da waren Tiger und Elefanten und Bären und WĂślfe und FĂźchse und all die anderen aus der Naturgeschichte und einen Moment lang hatte Dorothy Angst. Aber der LĂśwe erklärte ihr, dass die Tiere eine Versammlung abhielten, und an ihrem Knurren und Zähnefletschen erkannte er, dass sie in groĂen Schwierigkeiten steckten.

Während er sprach, erblickten ihn mehrere der Tiere, und sofort verstummte die groĂe Versammlung wie von Zauberhand. Der grĂśĂte der Tiger ging auf den LĂśwen zu, verbeugte sich und sagte:
“Willkommen, oh KĂśnig der Bestien! Du kommst zur rechten Zeit, um unseren Feind zu bekämpfen und allen Tieren des Waldes wieder Frieden zu bringen.”
“Was ist dein Problem?”, fragte der LĂśwe leise.
“Wir sind alle bedroht”, antwortete der Tiger, “von einem wilden Feind, der vor kurzem in diesen Wald gekommen ist. Es ist ein gewaltiges Ungeheuer, ähnlich einer groĂen Spinne, mit einem KĂśrper so groĂ wie ein Elefant und Beinen so lang wie ein Baumstamm. Es hat acht dieser langen Beine und wenn das Ungeheuer durch den Wald kriecht, packt es ein Tier mit einem Bein und zerrt es zu seinem Maul, wo es es frisst wie eine Spinne eine Fliege. Keiner von uns ist sicher, solange diese wilde Kreatur am Leben ist, und wir hatten eine Versammlung einberufen, um zu entscheiden, wie wir uns schĂźtzen kĂśnnen, als du zu uns kamst.”
Der LĂśwe dachte einen Moment lang nach.
“Gibt es noch andere LĂśwen in diesem Wald?”, fragte er.
“Nein, es gab einige, aber das Ungeheuer hat sie alle aufgefressen. Und auĂerdem war keiner von ihnen auch nur annähernd so groĂ und tapfer wie du.”
“Wenn ich deinem Feind ein Ende mache, wirst du dich dann vor mir verneigen und mir als KĂśnig des Waldes gehorchen?”, fragte der LĂśwe.
“Das werden wir gerne tun”, erwiderte der Tiger, und alle anderen Tiere brĂźllten mächtig: “Das werden wir!”
“Wo ist deine groĂe Spinne jetzt?”, fragte der LĂśwe.
“Dort drĂźben, unter den Eichen”, sagte der Tiger und zeigte mit dem VorderfuĂ.
“KĂźmmere dich gut um meine Freunde”, sagte der LĂśwe, “und ich werde sofort losziehen, um das Ungeheuer zu bekämpfen.”
Er verabschiedete sich von seinen Kameraden und marschierte stolz davon, um mit dem Feind zu kämpfen.
Die groĂe Spinne schlief, als der LĂśwe sie fand, und sie sah so hässlich aus, dass ihr Feind angewidert die Nase rĂźmpfte. Ihre Beine waren so lang, wie der Tiger gesagt hatte, und ihr KĂśrper war mit groben schwarzen Haaren bedeckt. Es hatte ein groĂes Maul mit einer Reihe scharfer Zähne, die einen FuĂ lang waren; aber sein Kopf war mit dem pummeligen KĂśrper durch einen Hals verbunden, der so schlank war wie die Taille einer Wespe. Dies gab dem LĂśwen einen Hinweis darauf, wie er die Kreatur am besten angreifen konnte, und da er wusste, dass es leichter war, sie im Schlaf zu bekämpfen als im Wachzustand, machte er einen groĂen Sprung und landete direkt auf dem RĂźcken des Ungeheuers. Dann schlug er mit einem Schlag seiner schweren, mit scharfen Krallen bewaffneten Pranke den Kopf der Spinne vom KĂśrper. Er sprang hinunter und beobachtete sie, bis die langen Beine aufhĂśrten zu wackeln, dann wusste er, dass sie ganz tot war.
Der LĂśwe ging zurĂźck zur Lichtung, wo die Tiere des Waldes auf ihn warteten, und sagte stolz:
“Du brauchst deinen Feind nicht mehr zu fĂźrchten.”
Dann verneigten sich die Tiere vor dem LĂśwen als ihren KĂśnig und er versprach, zurĂźckzukommen und Ăźber sie zu herrschen, sobald Dorothy sicher auf dem Weg nach Kansas sei.
Kapitel 22: Das Land der Quadlinge
Die vier Reisenden durchquerten sicher den Rest des Waldes und als sie aus dessen Dunkelheit hervortraten, sahen sie vor sich einen steilen HĂźgel, der von oben bis unten mit groĂen Felsbrocken bedeckt war.
“Das wird ein harter Aufstieg”, sagte die Vogelscheuche, “aber wir mĂźssen trotzdem Ăźber den HĂźgel kommen.”
So ging er voran und die anderen folgten. Sie hatten fast den ersten Felsen erreicht, als sie eine raue Stimme hĂśrten, die rief: “Bleibt zurĂźck!”
“Wer bist du?”, fragte die Vogelscheuche.
Dann zeigte sich ein Kopf Ăźber dem Felsen, und dieselbe Stimme sagte: “Dieser HĂźgel gehĂśrt uns, und wir erlauben niemandem, ihn zu Ăźberqueren.”
“Aber wir mĂźssen ihn Ăźberqueren”, sagte die Vogelscheuche. “Wir gehen in das Land der Quadlinge.”
“Das wirst du nicht!”, antwortete die Stimme, und hinter dem Felsen trat der seltsamste Mann hervor, den die Reisenden je gesehen hatten.
Er war ziemlich klein und stämmig und hatte einen groĂen Kopf, der oben flach war und von einem dicken Hals voller Falten getragen wurde. Aber er hatte keine Arme und als die Vogelscheuche das sah, fĂźrchtete sie nicht, dass ein so hilfloses Wesen sie daran hindern kĂśnnte, den HĂźgel zu besteigen. Also sagte er: “Es tut mir leid, dass ich nicht tun kann, was du wĂźnschst, aber wir mĂźssen Ăźber deinen HĂźgel gehen, ob es dir gefällt oder nicht”, und er schritt kĂźhn voran.
Blitzschnell schoss der Kopf des Mannes nach vorne und sein Hals streckte sich, bis die Spitze des Kopfes, wo er flach war, die Vogelscheuche in der Mitte traf und sie kopfĂźber den HĂźgel hinunterschleuderte. Fast so schnell, wie er gekommen war, kehrte der Kopf zum KĂśrper zurĂźck, und der Mann lachte rau, als er sagte: “Es ist nicht so einfach, wie du denkst!”

Von den anderen Felsen ertÜnte schallendes Gelächter und Dorothy sah Hunderte der armlosen HammerkÜpfe auf dem Hßgel, einen hinter jedem Felsen.
Der LÜwe wurde ßber das Gelächter, das das Missgeschick der Vogelscheuche verursachte sehr wßtend, und mit einem lauten Brßllen, das wie ein Donnerschlag widerhallte, raste er den Hßgel hinauf.
Wieder schoss ein Kopf hervor und der groĂe LĂśwe rollte den HĂźgel hinunter, als ob er von einer Kanonenkugel getroffen worden wäre.
Dorothy lief hinunter und half der Vogelscheuche auf die Beine und der LĂśwe kam mit blauen Flecken und Prellungen zu ihr und sagte: “Es ist sinnlos, gegen Menschen mit schieĂenden KĂśpfen zu kämpfen; niemand kann ihnen widerstehen.”
“Was kĂśnnen wir also tun?”, fragte sie.
“Ruf die geflĂźgelten Affen”, schlug der Blechmann vor. “Du hast immer noch das Recht, sie noch einmal zu befehligen.”
“Sehr gut”, antwortete sie und setzte sich die goldene MĂźtze auf, um die magischen Worte zu sprechen. Die Affen waren so schnell wie immer und in wenigen Augenblicken stand die gesamte Gruppe vor ihr.
“Wie lautet dein Befehl?”, fragte der KĂśnig der Affen und verbeugte sich tief.
“Bring uns Ăźber den HĂźgel ins Land der Quadlinge”, antwortete das Mädchen.
“Es soll geschehen”, sagte der KĂśnig, und sogleich nahmen die geflĂźgelten Affen die vier Reisenden und Toto auf ihre Arme und flogen mit ihnen davon. Als sie Ăźber den HĂźgel flogen, schrien die HammerkĂśpfe vor Ărger und schossen ihre KĂśpfe hoch in die Luft, aber sie konnten die geflĂźgelten Affen nicht erreichen, die Dorothy und ihre Kameraden sicher Ăźber den HĂźgel trugen und sie in dem schĂśnen Land der Quadlinge absetzten.
“Das ist das letzte Mal, dass du uns rufen kannst”, sagte der AnfĂźhrer zu Dorothy, “also lebe wohl und viel GlĂźck.”
“Lebe wohl und vielen Dank”, erwiderte das Mädchen, und die Affen erhoben sich in die LĂźfte und waren im Nu verschwunden.
Das Land der Quadlinge schien reich und glĂźcklich zu sein. Es gab ein Feld nach dem anderen mit reifendem Getreide, dazwischen gut gepflasterte StraĂen und hĂźbsch plätschernde Bäche mit starken BrĂźcken darĂźber. Die Zäune, Häuser und BrĂźcken waren alle leuchtend rot gestrichen, so wie sie im Land der Winkies gelb und im Land der Munchkins blau gestrichen worden waren. Die Quadlinge selbst, die klein und dick waren und pummelig und gutmĂźtig aussahen, waren ganz in Rot gekleidet, das sich leuchtend von dem grĂźnen Gras und dem vergilbenden Getreide abhob.
Die Affen hatten sie in der Nähe eines Bauernhauses abgesetzt und die vier Reisenden gingen zu ihm hin und klopften an die Tßr. Die Bäuerin Üffnete und als Dorothy um etwas zu essen bat, gab die Frau ihnen allen ein gutes Abendessen, mit drei Sorten Kuchen und vier Sorten Keksen und einer Schale Milch fßr Toto.
“Wie weit ist es bis zum Schloss von Glinda?”, fragte das Kind.
“Es ist kein weiter Weg”, antwortete die Bäuerin. “Nimm die StraĂe nach SĂźden und du wirst es bald erreichen.
Sie bedankten sich bei der guten Frau und machten sich erneut auf den Weg, gingen durch die Felder und ßber die schÜnen Brßcken, bis sie vor sich ein sehr schÜnes Schloss sahen. Vor den Toren standen drei junge Mädchen in hßbschen roten Uniformen mit goldenen Borten und als Dorothy näher kam, sagte eine von ihnen zu ihr:
“Warum sind Sie ins SĂźdland gekommen?”
“Um die gute Hexe zu sehen, die hier herrscht”, antwortete sie. “Wirst du mich zu ihr bringen?”
“Gebt mir euren Namen und ich werde Glinda fragen, ob sie euch empfangen wird.” Sie sagten, wer sie waren, und die Soldatin ging ins Schloss. Nach ein paar Augenblicken kam sie zurĂźck und sagte, dass Dorothy und die anderen sofort eingelassen werden sollten.
Kapitel 23: Glinda, die gute Hexe, erfĂźllt Dorothys Wunsch
Bevor sie jedoch zu Glinda gingen, wurden sie in einen Raum des Schlosses gefßhrt, wo Dorothy ihr Gesicht wusch und ihr Haar kämmte, der LÜwe den Staub aus seiner Mähne schßttelte, die Vogelscheuche sich in Bestform brachte und der Holzfäller sein Blech polierte und seine Gelenke Ülte.
Als sie alle ganz ansehnlich waren, folgten sie dem Soldatenmädchen in einen groĂen Raum, in dem die Hexe Glinda auf einem Thron aus Rubinen saĂ.
Sie schien so schĂśn und jung zugleich. Ihr Haar hatte eine satte rote Farbe und fiel in wallenden Locken Ăźber ihre Schultern. Ihr Kleid war reinweiĂ, aber ihre Augen waren blau und blickten freundlich auf das kleine Mädchen.
“Was kann ich fĂźr dich tun, mein Kind?”, fragte sie.
Dorothy erzählte der Hexe ihre ganze Geschichte: wie der Wirbelsturm sie in das Land Oz gebracht hatte, wie sie ihre Gefährten gefunden hatte und welche wunderbaren Abenteuer sie erlebt hatten.
“Mein grĂśĂter Wunsch ist es jetzt”, fĂźgte sie hinzu, “zurĂźck nach Kansas zu kommen, denn Tante Em wird sicher denken, dass mir etwas Schreckliches zugestoĂen ist, und deshalb ein Trauerkleid tragen wollen; und wenn die Ernte dieses Jahr nicht besser ausfällt als letztes Jahr, kann Onkel Henry es sich sicher nicht leisten.”
Glinda beugte sich vor und kĂźsste das sĂźĂe, nach oben gekehrte Gesicht des liebevollen kleinen Mädchens.
“Du meine GĂźte”, sagte sie, “ich bin sicher, ich kann dir einen Weg sagen, wie du nach Kansas zurĂźckkommst.” Dann fĂźgte sie hinzu: “Aber wenn ich das tue, musst du mir die goldene MĂźtze geben.
“Gerne!”, rief Dorothy aus;, “in der Tat, es nĂźtzt mir jetzt nichts, und wenn du es hast, kannst du die geflĂźgelten Affen dreimal befehlen.”
“Und ich denke, ich werde ihre Dienste genau diese drei Male benĂśtigen”, antwortete Glinda lächelnd.
Dorothy gab ihr daraufhin die goldene Kappe und die Hexe sagte zur Vogelscheuche: “Was wirst du tun, wenn Dorothy uns verlassen hat?”
“Ich werde in die Smaragdstadt zurĂźckkehren”, antwortete er, “denn Oz hat mich zu seinem Herrscher gemacht, und das Volk mag mich. Das Einzige, was mir Sorgen macht, ist die Frage, wie ich den HĂźgel der HammerkĂśpfe Ăźberqueren kann.”
“Mit Hilfe der goldenen MĂźtze werde ich den geflĂźgelten Affen befehlen, dich zu den Toren der Smaragdstadt zu bringen”, sagte Glinda, “denn es wäre eine Schande, den Leuten einen so wundervollen Herrscher vorzuenthalten.”
“Bin ich wirklich wundervoll?”, fragte die Vogelscheuche.
“Du bist ungewĂśhnlich”, antwortete Glinda.
Sie wandte sich an den Blechmann und fragte: “Was wird aus dir, wenn Dorothy dieses Land verlässt?”
Er stĂźtzte sich auf seine Axt und dachte einen Moment nach. Dann sagte er: “Die Winkies waren sehr freundlich zu mir und wollten, dass ich Ăźber sie herrsche, nachdem die BĂśse Hexe gestorben war. Ich mag die Winkies sehr und wenn ich wieder in das Land des Westens zurĂźckkehren kĂśnnte, wĂźrde ich nichts lieber tun, als fĂźr immer Ăźber sie zu herrschen.”
“Mein zweiter Befehl an die geflĂźgelten Affen”, sagte Glinda, “lautet, dass sie dich sicher in das Land der Winkies bringen sollen. Dein Verstand mag nicht so groĂ sein wie das der Vogelscheuche, aber du bist wirklich klĂźger als er – wenn du gut geschliffen bist – und ich bin sicher, du wirst die Winkies weise und gut regieren.”
Dann sah die Hexe den groĂen, zotteligen LĂśwen an und fragte: “Wenn Dorothy nach Hause zurĂźckgekehrt ist, was wird dann aus dir?”
“Hinter dem HĂźgel der HammerkĂśpfe”, antwortete er, “liegt ein groĂer alter Wald, und alle Tiere, die dort leben, haben mich zu ihrem KĂśnig gemacht. Wenn ich nur in diesen Wald zurĂźckkehren kĂśnnte, wĂźrde ich mein Leben dort sehr glĂźcklich verbringen.”
“Mein dritter Befehl an die geflĂźgelten Affen”, sagte Glinda, “soll sein, dich in deinen Wald zu tragen. Dann, wenn ich die Kräfte der goldenen MĂźtze verbraucht habe, werde ich sie dem KĂśnig der Affen geben, damit er und seine Bande fĂźr immer frei sein kĂśnnen.
Die Vogelscheuche, der Zinnmann und der LĂśwe dankten der Guten Hexe nun herzlich fĂźr ihre GĂźte, und Dorothy rief aus:
“Du bist wirklich so gut wie schĂśn! Aber du hast mir noch nicht gesagt, wie ich nach Kansas zurĂźckkomme.”

“Deine Silberschuhe werden dich Ăźber die WĂźste tragen”, antwortete Glinda. “Hättest du ihre Macht gekannt, hättest du schon am ersten Tag, als du in dieses Land kamst, zu deiner Tante Em zurĂźckkehren kĂśnnen.”
“Aber dann hätte ich nicht meinen wunderbaren Verstand gehabt”, rief die Vogelscheuche. “Ich hätte mein ganzes Leben im Kornfeld des Bauern verbringen mĂźssen.”
“Und ich hätte mein schĂśnes Herz nicht bekommen”, sagte der Blechmann. “Ich hätte im Wald gestanden und wĂźrde rosten bis ans Ende der Welt.”
“Und ich hätte fĂźr immer als Feigling leben mĂźssen”, erklärte der LĂśwe, “und kein Tier im ganzen Wald hätte ein gutes Wort fĂźr mich Ăźbrig gehabt.”
“Das ist alles wahr”, sagte Dorothy, “und ich bin froh, dass ich diesen guten Freunden von Nutzen war. Aber jetzt, wo jeder von ihnen das bekommen hat, was er sich am meisten wĂźnschte, und jeder glĂźcklich ist, weil er ein KĂśnigreich hat, Ăźber das er herrschen kann, denke ich, dass ich gerne nach Kansas zurĂźckkehren wĂźrde.”
“Die Silberschuhe”, sagte die Gute Hexe, “haben wunderbare Kräfte. Eines der merkwĂźrdigsten Dinge an ihnen ist, dass sie dich in drei Schritten an jeden Ort der Welt bringen kĂśnnen, und jeder Schritt geschieht im Handumdrehen. Du musst nur dreimal die Absätze zusammenschlagen und den Schuhen befehlen, dich dorthin zu tragen, wohin du gehen willst.”
“Wenn das so ist”, sagte das Kind freudig, “dann werde ich sie bitten, mich sofort nach Kansas zurĂźckzubringen.”
Sie warf ihre Arme um den Hals des LĂśwen, kĂźsste ihn und streichelte zärtlich seinen groĂen Kopf. Dann kĂźsste sie den Blechmann, der so weinte, dass es fĂźr seine Gelenke sehr gefährlich war. Doch anstatt sein bemaltes Gesicht zu kĂźssen, drĂźckte sie den weichen, ausgestopften KĂśrper der Vogelscheuche in ihre Arme und merkte, dass sie bei diesem traurigen Abschied von ihren geliebten Kameraden selbst weinte.
Glinda die Gute stieg von ihrem Rubinthron herab, um dem kleinen Mädchen einen Abschiedskuss zu geben, und Dorothy dankte ihr fßr all die Freundlichkeit, die sie ihren Freunden und ihr selbst entgegengebracht hatte.
Dorothy nahm Toto nun feierlich in die Arme und nachdem sie sich ein letztes Mal verabschiedet hatte, schlug sie die Absätze ihrer Schuhe dreimal zusammen und sagte:
“Bring mich nach Hause zu Tante Em!”
Sofort wirbelte sie durch die Luft, so schnell, dass sie nur noch den Wind sehen oder spĂźren konnte, der ihr um die Ohren pfiff.
Die Silberschuhe machten nur drei Schritte und dann blieb sie so plĂśtzlich stehen, dass sie sich mehrmals im Gras Ăźberschlug, bevor sie wusste, wo sie war.
SchlieĂlich setzte sie sich jedoch auf und sah sich um.
“Du meine GĂźte!”, rief sie.
Denn sie saà in der weiten Prärie von Kansas und vor ihr stand das neue Farmhaus, das Onkel Henry erbaute, nachdem der Wirbelsturm das alte weggefegt hatte. Onkel Henry war dabei, die Kßhe im Stall zu melken, und Toto war ihr aus den Armen gesprungen und rannte wßtend bellend auf die Scheune zu.
Dorothy stand auf und stellte fest, dass sie in ihren StrĂźmpfen steckte. Denn die silbernen Schuhe waren ihr bei ihrem Flug durch die Luft abgefallen und fĂźr immer in der WĂźste verloren gegangen.
Kapitel 24: Wieder zu Hause
Tante Em war gerade aus dem Haus gekommen, um die KohlkĂśpfe zu gieĂen, als sie aufblickte und Dorothy auf sie zulaufen sah.
“Mein liebes Kind!”, rief sie, nahm das kleine Mädchen in die Arme und kĂźsste ihr Gesicht. “Woher in aller Welt kommst du?”
“Aus dem Land Oz”, sagte Dorothy ernsthaft. “Und hier ist auch Toto. Und ach, Tante Em! Ich bin so froh, wieder zu Hause zu sein!”
