- Kapitel 1: Hinunter in den Kaninchenbau
- Kapitel 2: Der Thränenpfuhl
- Kapitel 3: Caucus-Rennen und was daraus wird
- Kapitel 4: Die Wohnung des Kaninchens
- Kapitel 5: Guter Rath von einer Raupe
- Kapitel 6: Ferkel und Pfeffer
- Kapitel 7: Die tolle Theegesellschaft
- Kapitel 8: Das Croquetfeld der KĂśnigin
- Kapitel 9: Die Geschichte der falschen SchildkrĂśte
- Kapitel 10: Das Hummerballet
- Kapitel 11: Wer hat die Kuchen gestohlen?
- Kapitel 12: Alice ist die KlĂźgste
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Kapitel 1: Hinunter in den Kaninchenbau
Alice fing an sich zu langweilen; sie saà schon lange bei ihrer Schwester am Ufer und hatte nichts zu thun. Das Buch, das ihre Schwester las, gefiel ihr nicht; denn es waren weder Bilder noch Gespräche darin. Und was nßtzen Bßcher, dachte Alice, ohne Bilder und Gespräche?
Sie Ăźberlegte sich eben, (so gut es ging, denn sie war schläfrig und dumm von der Hitze,) ob es der MĂźhe werth sei aufzustehen und GänseblĂźmchen zu pflĂźcken, um eine Kette damit zu machen, als plĂśtzlich ein weiĂes Kaninchen mit rothen Augen dicht an ihr vorbeirannte.
Dies war grade nicht sehr merkwĂźrdig; Alice fand es auch nicht sehr auĂerordentlich, daĂ sie das Kaninchen sagen hĂśrte: ÂťO weh, o weh! Ich werde zu spät kommen!ÂŤ (Als sie es später wieder Ăźberlegte, fiel ihr ein, daĂ sie sich darĂźber hätte wundern sollen, doch zur Zeit kam es ihr Alles ganz natĂźrlich vor.) Aber als das Kaninchen seine Uhr aus der Westentasche zog, nach der Zeit sah und eilig fortlief, sprang Alice auf; denn es war ihr doch noch nie vorgekommen, ein Kaninchen mit einer Westentasche und eine Uhr darin zu sehen. Vor Neugierde brennend, rannte sie ihm nach, Ăźber den Grasplatz, und kam noch zur rechten Zeit, um es in ein groĂes Loch unter der Hecke schlĂźpfen zu sehen.

Den nächsten Augenblick war sie ihm nach in das Loch hineingesprungen, ohne zu bedenken, wie in aller Welt sie wieder herauskommen kÜnnte.
Der Eingang zum Kaninchenbau lief erst geradeaus, wie ein Tunnel und ging dann plÜtzlich abwärts; ehe Alice noch den Gedanken fassen konnte sich schnell festzuhalten, fßhlte sie schon, daà sie fiel, wie es schien, in einen tiefen, tiefen Brunnen.
Entweder muĂte der Brunnen sehr tief sein, oder sie fiel sehr langsam; denn sie hatte Zeit genug, sich beim Fallen umzusehen und sich zu wundern, was nun wohl geschehen wĂźrde. Zuerst versuchte sie hinunter zu sehen, um zu wissen wohin sie käme, aber es war zu dunkel etwas zu erkennen. Da besah sie die Wände des Brunnens und bemerkte, daĂ sie mit KĂźchenschränken und BĂźcherbrettern bedeckt waren; hier und da erblickte sie Landkarten und Bilder, an Haken aufgehängt. Sie nahm im Vorbeifallen von einem der Bretter ein TĂśpfchen mit der Aufschrift: ÂťEingemachte ApfelsinenÂŤ, aber zu ihrem groĂen VerdruĂ war es leer. Sie wollte es nicht fallen lassen, aus Furcht Jemand unter sich zu tĂśdten; und es gelang ihr, es in einen andern Schrank, an dem sie vorbeikam, zu schieben.
ÂťNun!ÂŤ dachte Alice bei sich, Âťnach einem solchen Fall werde ich mir nichts daraus machen, wenn ich die Treppe hinunter stolpere. Wie muthig sie mich zu Haus finden werden! Ich wĂźrde nicht viel Redens machen, wenn ich selbst von der Dachspitze hinunter fiele!ÂŤ (Was sehr wahrscheinlich war.)
Hinunter, hinunter, hinunter! Wollte denn der Fall nie endigen? ÂťWie viele Meilen ich wohl jetzt gefallen bin!ÂŤ sagte sie laut. ÂťIch muĂ ungefähr am Mittelpunkt der Erde sein. LaĂ sehen: das wären achthundert und funfzig Meilen, glaube ich âÂŤ (denn ihr mĂźĂt wissen, Alice hatte dergleichen in der Schule gelernt, und obgleich dies keine sehr gute Gelegenheit war, ihre Kenntnisse zu zeigen, da Niemand zum ZuhĂśren da war, so Ăźbte sie es sich doch dabei ein) â Âťja, das ist ungefähr die Entfernung; aber zu welchem Länge- und Breitegrade ich wohl gekommen sein mag?ÂŤ (Alice hatte nicht den geringsten Begriff, was weder Längegrad noch Breitegrad war; doch klangen ihr die Worte groĂartig und nett zu sagen.)
Bald fing sie wieder an. ÂťOb ich wohl ganz durch die Erde fallen werde! Wie komisch das sein wird, bei den Leuten heraus zu kommen, die auf dem Kopfe gehen! die Antipathien, glaube ich.ÂŤ (Diesmal war es ihr ganz lieb, daĂ Niemand zuhĂśrte, denn das Wort klang ihr gar nicht recht.) ÂťAber natĂźrlich werde ich sie fragen mĂźssen, wie das Land heiĂt. Bitte, liebe Dame, ist dies Neu-Seeland oder Australien?ÂŤ (Und sie versuchte dabei zu knixen, â denkt doch, knixen, wenn man durch die Luft fällt! KĂśnntet ihr das fertig kriegen?) ÂťAber sie werden mich fĂźr ein unwissendes kleines Mädchen halten, wenn ich frage! Nein, es geht nicht an zu fragen; vielleicht sehe ich es irgendwo angeschrieben.ÂŤ
Hinunter, hinunter, hinunter! Sie konnte nichts weiter thun, also fing Alice bald wieder zu sprechen an. ÂťDinah wird mich gewiĂ heut Abend recht suchen!ÂŤ (Dinah war die Katze.) ÂťIch hoffe, sie werden ihren Napf Milch zur Theestunde nicht vergessen. Dinah! Mies! ich wollte, du wärest hier unten bei mir. Mir ist nur bange, es giebt keine Mäuse in der Luft; aber du kĂśnntest einen Spatzen fangen; die wird es hier in der Luft wohl geben, glaubst du nicht? Und Katzen fressen doch Spatzen?ÂŤ Hier wurde Alice etwas schläfrig und redete halb im Traum fort. ÂťFressen Katzen gern Spatzen? Fressen Katzen gern Spatzen? Fressen Spatzen gern Katzen?ÂŤ Und da ihr Niemand zu antworten brauchte, so kam es gar nicht darauf an, wie sie die Frage stellte. Sie fĂźhlte, daĂ sie einschlief und hatte eben angefangen zu träumen, sie gehe Hand in Hand mit Dinah spazieren, und frage sie ganz ernsthaft: ÂťNun, Dinah, sage die Wahrheit, hast du je einen Spatzen gefressen?ÂŤ da mit einem Male, plump! plump! kam sie auf einen Haufen trocknes Laub und Reisig zu liegen, â und der Fall war aus.
Alice hatte sich gar nicht weh gethan. Sie sprang sogleich auf und sah in die HĂśhe; aber es war dunkel Ăźber ihr. Vor ihr lag ein zweiter langer Gang, und sie konnte noch eben das weiĂe Kaninchen darin entlang laufen sehen. Es war kein Augenblick zu verlieren: fort rannte Alice wie der Wind, und hĂśrte es gerade noch sagen, als es um eine Ecke bog: ÂťO, Ohren und Schnurrbart, wie spät es ist!ÂŤ Sie war dicht hinter ihm, aber als sie um die Ecke bog, da war das Kaninchen nicht mehr zu sehen. Sie befand sich in einem langen, niedrigen Corridor, der durch eine Reihe Lampen erleuchtet war, die von der Decke herabhingen.
Zu beiden Seiten des Corridors waren ThĂźren; aber sie waren alle verschlossen. Alice versuchte jede ThĂźr erst auf einer Seite, dann auf der andern; endlich ging sie traurig in der Mitte entlang, Ăźberlegend, wie sie je heraus kommen kĂśnnte.
PlĂśtzlich stand sie vor einem kleinen dreibeinigen Tische, ganz von dickem Glas. Es war nichts darauf als ein winziges goldenes SchlĂźsselchen, und Alice’s erster Gedanke war, dies mĂśchte zu einer der ThĂźren des Corridors gehĂśren. Aber ach! entweder waren die SchlĂśsser zu groĂ, oder der SchlĂźssel war zu klein; kurz, er paĂte zu keiner einzigen. Jedoch, als sie das zweite Mal herum ging, kam sie an einen niedrigen Vorhang, den sie vorher nicht bemerkt hatte, und dahinter war eine ThĂźr, ungefähr funfzehn Zoll hoch. Sie steckte das goldene SchlĂźsselchen in’s SchlĂźsselloch, und zu ihrer groĂen Freude paĂte es.

Alice schloĂ die ThĂźr auf und fand, daĂ sie zu einem kleinen Gange fĂźhrte, nicht viel grĂśĂer als ein Mäuseloch. Sie kniete nieder und sah durch den Gang in den reizendsten Garten, den man sich denken kann. Wie wĂźnschte sie, aus dem dunkeln Corridor zu gelangen, und unter den bunten Blumenbeeten und kĂźhlen Springbrunnen umher zu wandern; aber sie konnte kaum den Kopf durch den Eingang stecken. ÂťUnd wenn auch mein Kopf hindurch ginge,ÂŤ dachte die arme Alice, Âťwas wĂźrde es nĂźtzen ohne die Schultern. O, ich mĂśchte mich zusammenschieben kĂśnnen wie ein Teleskop! Das geht gewiĂ, wenn ich nur wĂźĂte, wie man es anfängt.ÂŤ Denn es war kĂźrzlich so viel MerkwĂźrdiges mit ihr vorgegangen, daĂ Alice anfing zu glauben, es sei fast nichts unmĂśglich.
Es schien ihr ganz unnĂźtz, länger bei der kleinen ThĂźr zu warten. Daher ging sie zum Tisch zurĂźck, halb und halb hoffend, sie wĂźrde noch einen SchlĂźssel darauf finden, oder jedenfalls ein Buch mit Anweisungen, wie man sich als Teleskop zusammenschieben kĂśnne. Diesmal fand sie ein Fläschchen darauf. ÂťDas gewiĂ vorhin nicht hier stand,ÂŤ sagte Alice; und um den Hals des Fläschchens war ein Zettel gebunden, mit den Worten ÂťTrinke mich!ÂŤ wunderschĂśn in groĂen Buchstaben drauf gedruckt.
Es war bald gesagt, ÂťTrinke michÂŤ, aber die altkluge kleine Alice wollte sich damit nicht Ăźbereilen. ÂťNein, ich werde erst nachsehen,ÂŤ sprach sie, Âťob ein Todtenkopf darauf ist oder nicht.ÂŤ Denn sie hatte mehre hĂźbsche Geschichten gelesen von Kindern, die sich verbrannt hatten oder sich von wilden Thieren hatten fressen lassen, und in andere unangenehme Lagen gerathen waren, nur weil sie nicht an die Warnungen dachten, die ihre Freunde ihnen gegeben hatten; zum Beispiel, daĂ ein rothglĂźhendes Eisen brennt, wenn man es anfaĂt; und daĂ wenn man sich mit einem Messer tief in den Finger schneidet, es gewĂśhnlich blutet. Und sie hatte nicht vergessen, daĂ wenn man viel aus einer Flasche mit einem Todtenkopf darauf trinkt, es einem unfehlbar schlecht bekommt.
Diese Flasche jedoch hatte keinen Todtenkopf. Daher wagte Alice zu kosten; und da es ihr gut schmeckte (es war eigentlich wie ein Gemisch von Kirschkuchen, Sahnensauce, Ananas, Putenbraten, Naute und Armen Rittern), so trank sie die Flasche aus.
ÂťWas fĂźr ein komisches GefĂźhl!ÂŤ sagte Alice. ÂťIch gehe gewiĂ zu wie ein Teleskop.ÂŤ
Und so war es in der That: jetzt war sie nur noch zehn Zoll hoch, und ihr Gesicht leuchtete bei dem Gedanken, daĂ sie nun die rechte HĂśhe habe, um durch die kleine ThĂźr in den schĂśnen Garten zu gehen. Doch erst wartete sie einige Minuten, ob sie noch mehr einschrumpfen werde. Sie war einigermaĂen ängstlich; Âťdenn es kĂśnnte damit aufhĂśren,ÂŤ sagte Alice zu sich selbst, ÂťdaĂ ich ganz ausginge, wie ein Licht. Mich wundert, wie ich dann aussähe?ÂŤ Und sie versuchte sich vorzustellen, wie die Flamme von einem Lichte aussieht, wenn das Licht ausgeblasen ist; aber sie konnte sich nicht erinnern, dies je gesehen zu haben.
Nach einer Weile, als sie merkte daĂ weiter nichts geschah, beschloĂ sie, gleich in den Garten zu gehen. Aber, arme Alice! als sie an die ThĂźr kam, hatte sie das goldene SchlĂźsselchen vergessen. Sie ging nach dem Tische zurĂźck, es zu holen, fand aber, daĂ sie es unmĂśglich erreichen konnte. Sie sah es ganz deutlich durch das Glas, und sie gab sich alle MĂźhe an einem der TischfĂźĂe hinauf zu klettern, aber er war zu glatt; und als sie sich ganz mĂźde gearbeitet hatte, setzte sich das arme, kleine Ding hin und weinte.

Still, was nßtzt es so zu weinen! sagte Alice ganz bÜse zu sich selbst; ich rathe dir, den Augenblick aufzuhÜren! Sie gab sich oft sehr guten Rath (obgleich sie ihn selten befolgte), und manchmal schalt sie sich selbst so strenge, daà sie sich zum Weinen brachte; und einmal, erinnerte sie sich, hatte sie versucht sich eine Ohrfeige zu geben, weil sie im Croquet betrogen hatte, als sie gegen sich selbst spielte; denn dieses eigenthßmliche Kind stellte sehr gern zwei Personen vor. Aber jetzt hilft es zu nichts, dachte die arme Alice, zu thun als ob ich zwei verschiedene Personen wäre. Ach! es ist ja kaum genug von mir ßbrig zu einer anständigen Person!
Bald fiel ihr Auge auf eine kleine GlasbĂźchse, die unter dem Tische lag; sie Ăśffnete sie und fand einen sehr kleinen Kuchen darin, auf welchem die Worte ÂťIĂ mich!ÂŤ schĂśn in kleinen Rosinen geschrieben standen. ÂťGut, ich will ihn essen,ÂŤ sagte Alice, Âťund wenn ich davon grĂśĂer werde, so kann ich den SchlĂźssel erreichen; wenn ich aber kleiner davon werde, so kann ich unter der ThĂźr durchkriechen. So, auf jeden Fall, gelange ich in den Garten, â es ist mir einerlei wie.ÂŤ
Sie aĂ ein BiĂchen, und sagte neugierig zu sich selbst: ÂťAufwärts oder abwärts?ÂŤ Dabei hielt sie die Hand prĂźfend auf ihren Kopf und war ganz erstaunt zu bemerken, daĂ sie dieselbe GrĂśĂe behielt. Freilich geschieht dies gewĂśhnlich, wenn man Kuchen iĂt; aber Alice war schon so an wunderbare Dinge gewĂśhnt, daĂ es ihr ganz langweilig schien, wenn das Leben so natĂźrlich fortging.
Sie machte sich also daran, und verzehrte den Kuchen vĂśllig.
Kapitel 2: Der Thränenpfuhl
ÂťVerquerer und verquerer!ÂŤ rief Alice. (Sie war so Ăźberrascht, daĂ sie im Augenblick ihre eigene Sprache ganz vergaĂ.) ÂťJetzt werde ich auseinander geschoben wie das längste Teleskop das es je gab! Lebt wohl, FĂźĂe!ÂŤ (Denn als sie auf ihre FĂźĂe hinabsah, konnte sie sie kaum mehr zu Gesicht bekommen, so weit fort waren sie schon.) ÂťO meine armen FĂźĂchen! wer euch wohl nun Schuhe und StrĂźmpfe anziehen wird, meine Besten? denn ich kann es unmĂśglich thun! Ich bin viel zu weit ab, um mich mit euch abzugeben! ihr mĂźĂt sehen, wie ihr fertig werdet. Aber gut muĂ ich zu ihnen sein,ÂŤ dachte Alice, Âťsonst gehen sie vielleicht nicht, wohin ich gehen mĂśchte. LaĂ mal sehen: ich will ihnen jeden Weihnachten ein Paar neue Stiefel schenken.ÂŤ
Und sie dachte sich aus, wie sie das anfangen wĂźrde. ÂťSie mĂźssen per Fracht gehen,ÂŤ dachte sie; Âťwie drollig es sein wird, seinen eignen FĂźĂen ein Geschenk zu schicken! und wie komisch die Adresse aussehen wird! â
An
Alice’s rechten FuĂ, Wohlgeboren,
FuĂteppich,
nicht weit vom Kamin,
mit Alice’s GrĂźĂen.
ÂťOh, was fĂźr Unsinn ich schwatze!ÂŤ
Gerade in dem Augenblick stieĂ sie mit dem Kopf an die Decke: sie war in der That Ăźber neun FuĂ groĂ. Und sie nahm sogleich den kleinen goldenen SchlĂźssel auf und rannte nach der GartenthĂźr.

Arme Alice! das HĂśchste was sie thun konnte war, auf der Seite liegend, mit einem Auge nach dem Garten hinunterzusehen; aber an Durchgehen war weniger als je zu denken. Sie setzte sich hin und fing wieder an zu weinen.
ÂťDu solltest dich schämen,ÂŤ sagte Alice, Âťsolch groĂes MädchenÂŤ (da hatte sie wohl recht) Âťnoch so zu weinen! HĂśre gleich auf, sage ich dir!ÂŤ Aber sie weinte trotzdem fort, und vergoĂ Thränen eimerweise, bis sich zuletzt ein groĂer Pfuhl um sie bildete, ungefähr vier Zoll tief und den halben Corridor lang.
Nach einem Weilchen hĂśrte sie Schritte in der Entfernung und trocknete schnell ihre Thränen, um zu sehen wer es sei. Es war das weiĂe Kaninchen, das prachtvoll geputzt zurĂźckkam, mit einem Paar weiĂen Handschuhen in einer Hand und einen Fächer in der andern. Es trippelte in groĂer Eile entlang vor sich hin redend: ÂťOh! die Herzogin, die Herzogin! die wird mal auĂer sich sein, wenn ich sie warten lasse!ÂŤ Alice war so rathlos, daĂ sie Jeden um HĂźlfe angerufen hätte. Als das Kaninchen daher in ihre Nähe kam, fing sie mit leiser, schĂźchterner Stimme an: ÂťBitte, lieber Herr. âÂŤ Das Kaninchen fuhr zusammen, lieĂ die weiĂen Handschuhe und den Fächer fallen und lief davon in die Nacht hinein, so schnell es konnte.

Alice nahm den Fächer und die Handschuhe auf, und da der Gang sehr heiĂ war, fächelte sie sich, während sie so zu sich selbst sprach: ÂťWunderbar! â wie seltsam heute Alles ist! Und gestern war es ganz wie gewĂśhnlich. Ob ich wohl in der Nacht umgewechselt worden bin? LaĂ mal sehen: war ich dieselbe, als ich heute frĂźh aufstand? Es kommt mir fast vor, als hätte ich wie eine Veränderung in mir gefĂźhlt. Aber wenn ich nicht dieselbe bin, dann ist die Frage: wer in aller Welt bin ich? Ja, das ist das Räthsel!ÂŤ So ging sie in Gedanken alle Kinder ihres Alters durch, die sie kannte, um zu sehen, ob sie in eins davon verwandelt wäre.
ÂťIch bin sicherlich nicht Ida,ÂŤ sagte sie, Âťdenn die trägt lange Locken, und mein Haar ist gar nicht lockig; und bestimmt kann ich nicht Clara sein, denn ich weiĂ eine ganze Menge, und sie, oh! sie weiĂ so sehr wenig! AuĂerdem, sie ist sie selbst, und ich bin ich, und, o wie confus es Alles ist! Ich will versuchen, ob ich noch Alles weiĂ, was ich sonst wuĂte. LaĂ sehen: vier mal fĂźnf ist zwĂślf, und vier mal sechs ist dreizehn, und vier mal sieben ist â o weh! auf die Art komme ich nie bis zwanzig! Aber, das Einmaleins hat nicht so viel zu sagen; ich will Geographie nehmen. London ist die Hauptstadt von Paris, und Paris ist die Hauptstadt von Rom, und Rom â nein, ich wette, das ist Alles falsch! Ich muĂ in Clara verwandelt sein! Ich will doch einmal sehen, ob ich sagen kann: ÂťBei einem Wirthe âÂŤ und sie faltete sie Hände, als ob sie ihrer Lehrerin hersagte, und fing an; aber ihre Stimme klang rauh und ungewohnt, und die Worte kamen nicht wie sonst: â
ÂťBei einem Wirthe, wunderwild,Da war ich jĂźngst zu Gaste,Ein Bienennest das war sein SchildIn einer braunen Tatze.
Es war der grimme Zottelbär,Bei dem ich eingekehret;Mit sĂźĂem Honigseim hat erSich selber wohl genähret!ÂŤ
ÂťDas kommt mir gar nicht richtig vor,ÂŤ sagte die arme Alice, und Thränen kamen ihr in die Augen, als sie weiter sprach: ÂťIch muĂ doch Clara sein, und ich werde in dem alten kleinen Hause wohnen mĂźssen, und beinah keine Spielsachen zum Spielen haben, und ach! so viel zu lernen! Nein, das habe ich mir vorgenommen: wenn ich Clara bin, will ich hier unten bleiben! Es soll ihnen nichts helfen, wenn sie die KĂśpfe zusammenstecken und herunter rufen: ÂťKomm wieder herauf, Herzchen!ÂŤ Ich will nur hinauf sehen und sprechen: wer bin ich denn? Sagt mir das erst, und dann, wenn ich die Person gern bin, will ich kommen; wo nicht, so will ich hier unten bleiben, bis ich jemand Anderes bin. â Aber o weh!ÂŤ schluchzte Alice plĂśtzlich auf, Âťich wĂźnschte, sie sähen herunter! Es ist mir so langweilig, hier ganz allein zu sein!ÂŤ
Als sie so sprach, sah sie auf ihre Hände hinab und bemerkte mit Erstaunen, daĂ sie beim Reden einen von den weiĂen Glacee-Handschuhen des Kaninchens angezogen hatte. ÂťWie habe ich das nur angefangen?ÂŤ dachte sie. ÂťIch muĂ wieder klein geworden sein.ÂŤ Sie stand auf, ging nach dem Tische, um sich daran zu messen, und fand, daĂ sie noch ungefähr zwei FuĂ hoch sei, dabei schrumpfte sie noch zusehends ein: sie merkte bald, daĂ die Ursache davon der Fächer war, den sie hielt; sie warf ihn schnell hin, noch zur rechten Zeit, sich vor gänzlichem Verschwinden zu retten.
Das war glßcklich davon gekommen! sagte Alice, sehr erschrocken ßber die plÜtzliche Veränderung, aber froh, daà sie noch existirte; und nun in den Garten! und sie lief eilig nach der kleinen Thßr: aber ach! die kleine Thßr war wieder verschlossen und das goldene Schlßsselchen lag auf dem Glastische wie vorher. Und es ist schlimmer als je, dachte das arme Kind, denn so klein bin ich noch nie gewesen, nein, nie! Und ich sage, es ist zu schlecht, ist es!

Wie sie diese Worte sprach, glitt sie aus, und den nächsten Augenblick, platsch! fiel sie bis an’s Kinn in Salzwasser. Ihr erster Gedanke war, sie sei in die See gefallen, Âťund in dem Fall kann ich mit der Eisenbahn zurĂźckreisen,ÂŤ sprach sie bei sich. (Alice war einmal in ihrem Leben an der See gewesen und war zu dem allgemeinen SchluĂ gelangt, daĂ wo man auch an’s Seeufer kommt, man eine Anzahl Bademaschinen im Wasser findet, Kinder, die den Sand mit hĂślzernen Spaten aufgraben, dann eine Reihe Wohnhäuser und dahinter eine Eisenbahn-Station); doch merkte sie bald, daĂ sie sich in dem Thränenpfuhl befand, den sie geweint hatte, als sie neun FuĂ hoch war.
Ich wßnschte, ich hätte nicht so sehr geweint! sagte Alice, als sie umherschwamm und sich herauszuhelfen suchte; jetzt werde ich wohl dafßr bestraft werden und in meinen eigenen Thränen ertrinken! Das wird sonderbar sein, das! Aber Alles ist heut so sonderbar.
In dem Augenblicke hÜrte sie nicht weit davon etwas in dem Pfuhle plätschern, und sie schwamm danach, zu sehen was es sei: erst glaubte sie, es mßsse ein Wallroà oder ein Nilpferd sein; dann aber besann sie sich, wie klein sie jetzt war, und merkte bald, daà es nur eine Maus sei, die wie sie hineingefallen war.
ÂťWĂźrde es wohl etwas nĂźtzen,ÂŤ dachte Alice, Âťdiese Maus anzureden? Alles ist so wunderlich hier unten, daĂ ich glauben mĂśchte, sie kann sprechen; auf jeden Fall habe ich das Fragen umsonst.ÂŤ Demnach fing sie an: ÂťO Maus, weiĂt du, wie man aus diesem Pfuhle gelangt, ich bin von dem Herumschwimmen ganz mĂźde, o Maus!ÂŤ (Alice dachte, so wĂźrde eine Maus richtig angeredet; sie hatte es zwar noch nie gethan, aber sie erinnerte sich ganz gut, in ihres Bruders lateinischer Grammatik gelesen zu haben ÂťEine Maus â einer Maus â einer Maus â eine Maus â o Maus!ÂŤ) Die Maus sah sie etwas neugierig an und schien ihr mit dem einen Auge zu blinzeln, aber sie sagte nichts.
ÂťVielleicht versteht sie nicht Englisch,ÂŤ dachte Alice, Âťes ist vielleicht eine franzĂśsische Maus, die mit Wilhelm dem Eroberer herĂźber gekommen istÂŤ (denn, trotz ihrer GeschichtskenntiĂ hatte Alice keinen ganz klaren Begriff, wie lange irgend ein EreigniĂ her sei). Sie fing also wieder an: ÂťOĂš est ma chatte?ÂŤ was der erste Satz in ihrem franzĂśsischen Conversationsbuche war. Die Maus sprang hoch auf aus dem Wasser, und schien vor Angst am ganzen Leibe zu beben. ÂťO, ich bitte um Verzeihung!ÂŤ rief Alice schnell, erschrocken, daĂ sie das arme Thier verletzt habe. ÂťIch hatte ganz vergessen, daĂ Sie Katzen nicht mĂśgen.ÂŤ
Katzen nicht mÜgen! schrie die Maus mit kreischender, wßthender Stimme. Wßrdest du Katzen mÜgen, wenn du an meiner Stelle wärest?

ÂťNein, wohl kaum,ÂŤ sagte Alice in zuredendem Tone: Âťsei nicht mehr bĂśse darĂźber. Und doch mĂśchte ich dir unsere Katze Dinah zeigen kĂśnnen. Ich glaube, du wĂźrdest Geschmack fĂźr Katzen bekommen, wenn du sie nur sehen kĂśnntest. Sie ist ein so liebes ruhiges Thier,ÂŤ sprach Alice fort, halb zu sich selbst, wie sie gemĂźthlich im Pfuhle daherschwamm; Âťsie sitzt und spinnt so nett beim Feuer, leckt sich die Pfoten und wäscht sich das Schnäuzchen â und sie ist so hĂźbsch weich auf dem SchoĂ zu haben â und sie ist solch famoser Mäusefänger â oh, ich bitte um Verzeihung!ÂŤ sagte Alice wieder, denn diesmal sträubte sich das ganze Fell der armen Maus, und Alice dachte, sie mĂźĂte sicherlich sehr beleidigt sein. ÂťWir wollen nicht mehr davon reden, wenn du es nicht gern hast.ÂŤ
ÂťWir, wirklich!ÂŤ entgegnete die Maus, die bis zur Schwanzspitze zitterte. ÂťAls ob ich je Ăźber solchen Gegenstand spräche! Unsere Familie hat von jeher Katzen verabscheut: häĂliche, niedrige, gemeine Dinger! LaĂ mich ihren Namen nicht wieder hĂśren!ÂŤ
ÂťNein, gewiĂ nicht!ÂŤ sagte Alice, eifrig bemĂźht, einen andern Gegenstand der Unterhaltung zu suchen. ÂťMagst du â magst du gern Hunde?ÂŤ Die Maus antwortete nicht, daher fuhr Alice eifrig fort: ÂťEs wohnt ein so reizender kleiner Hund nicht weit von unserm Hause. Den mĂśchte ich dir zeigen kĂśnnen! Ein kleiner klaräugiger Wachtelhund, weiĂt du, ach, mit solch krausem braunen Fell! Und er apportirt Alles, was man ihm hinwirft, und er kann aufrecht stehen und um sein Essen betteln, und so viel KunststĂźcke â ich kann mich kaum auf die Hälfte besinnen â und er gehĂśrt einem Amtmann, weiĂt du, und er sagt, er ist so nĂźtzlich, er ist ihm hundert Pfund werth! Er sagt, er vertilgt alle Ratten und â oh wie dumm!ÂŤ sagte Alice in reumĂźthigem Tone. ÂťIch fĂźrchte, ich habe ihr wieder weh gethan!ÂŤ Denn die Maus schwamm so schnell sie konnte von ihr fort und brachte den Pfuhl dadurch in fĂśrmliche Bewegung.
Sie rief ihr daher zärtlich nach: ÂťLiebes Mäuschen! Komm wieder zurĂźck, und wir wollen weder von Katzen noch von Hunden reden, wenn du sie nicht gern hast!ÂŤ Als die Maus das hĂśrte, wandte sie sich um und schwamm langsam zu ihr zurĂźck; ihr Gesicht war ganz blaĂ (vor Aerger, dachte Alice), und sie sagte mit leiser, zitternder Stimme: ÂťKomm mit mir an’s Ufer, da will ich dir meine Geschichte erzählen; dann wirst du begreifen, warum ich Katzen und Hunde nicht leiden kann.ÂŤ
Es war hohe Zeit sich fortzumachen; denn der Pfuhl begann von allerlei VĂśgeln und Gethier zu wimmeln, die hinein gefallen waren: da war eine Ente und ein Dodo, ein rother Papagei und ein junger Adler, und mehre andere merkwĂźrdige GeschĂśpfe. Alice fĂźhrte sie an, und die ganze Gesellschaft schwamm an’s Ufer.
Kapitel 3: Caucus-Rennen und was daraus wird
Es war in der That eine wunderliche Gesellschaft, die sich am Strande versammelte â die VĂśgel mit triefenden Federn, die Ăźbrigen Thiere mit fest anliegendem Fell, Alle durch und durch naĂ, verstimmt und unbehaglich. â
Die erste Frage war, wie sie sich trocknen kÜnnten: es wurde eine Berathung darßber gehalten, und nach wenigen Minuten kam es Alice ganz natßrlich vor, vertraulich mit ihnen zu schwatzen, als ob sie sie ihr ganzes Leben gekannt hätte. Sie hatte sogar eine lange Auseinandersetzung mit dem Papagei, der zuletzt brummig wurde und nur noch sagte: ich bin älter als du und muà es besser wissen; dies wollte Alice nicht zugeben und fragte nach seinem Alter, und da der Papagei es durchaus nicht sagen wollte, so blieb die Sache unentschieden.
Endlich rief die Maus, welche eine Person von Gewicht unter ihnen zu sein schien: ÂťSetzt euch, ihr Alle, und hĂśrt mir zu! ich will euch bald genug trocken machen!ÂŤ Alle setzten sich sogleich in einen groĂen Kreis nieder, die Maus in der Mitte. Alice hatte die Augen erwartungsvoll auf sie gerichtet, denn sie war Ăźberzeugt, sie werde sich entsetzlich erkälten, wenn sie nicht sehr bald trocken wĂźrde.
ÂťHm!ÂŤ sagte die Maus mit wichtiger Miene, Âťseid ihr Alle so weit? Es ist das Trockenste, worauf ich mich besinnen kann. Alle still, wenn ich bitten darf! â Wilhelm der Eroberer, dessen AnsprĂźche vom Papste begĂźnstigt wurden, fand bald Anhang unter den Engländern, die einen AnfĂźhrer brauchten, und die in jener Zeit sehr an Usurpation und Eroberungen gewĂśhnt waren. Edwin und Morcar, Grafen von Mercia und Northumbria âÂŤ

Oooh! gähnte der Papagei und schßttelte sich.
ÂťBitte um Verzeihung!ÂŤ sprach die Maus mit gerunzelter Stirne, aber sehr hĂśflich; Âťbemerkten Sie etwas?ÂŤ
ÂťIch nicht!ÂŤ erwiederte schnell der Papagei.
ÂťEs kam mir so vor,ÂŤ sagte die Maus. âÂťIch fahre fort: Edwin und Morcar, Grafen von Mercia und Northumbria, erklärten sich fĂźr ihn; und selbst Stigand, der patriotische Erzbischof von Canterbury fand es rathsam âÂŤ
ÂťFand was?ÂŤ unterbrach die Ente.
ÂťFand es,ÂŤ antwortete die Maus ziemlich aufgebracht: Âťdu wirst doch wohl wissen, was es bedeutet.ÂŤ
ÂťIch weiĂ sehr wohl, was es bedeutet, wenn ich etwas findeÂŤ, sagte die Ente: Âťes ist gewĂśhnlich ein Frosch oder ein Wurm. Die Frage ist, was fand der Erzbischof?ÂŤ
Die Maus beachtete die Frage nicht, sondern fuhr hastig fort: â Âťfand es rathsam, von Edgar Atheling begleitet, Wilhelm entgegen zu gehen und ihm die Krone anzubieten. Wilhelms Benehmen war zuerst gemäĂigt, aber die Unverschämtheit der Normannen â wie steht’s jetzt, Liebe?ÂŤ fuhr sie fort, sich an Alice wendend.
ÂťNoch ganz eben so naĂ,ÂŤ sagte Alice schwermĂźthig; Âťes scheint mich gar nicht trocken zu machen.ÂŤ
ÂťIn dem Fall,ÂŤ sagte der Dodo feierlich, indem er sich erhob, Âťstelle ich den Antrag, daĂ die Versammlung sich vertage und zur unmittelbaren Anwendung von wirksameren Mitteln schreite.ÂŤ
Sprich deutlich! sagte der Adler. Ich verstehe den Sinn von deinen langen WÜrtern nicht, und ich wette, du auch nicht! Und der Adler bßckte sich, um ein Lächeln zu verbergen; einige der andern VÜgel kicherten hÜrbar.
Was sich sagen wollte, sprach der Dodo in gereiztem Tone, war, daà das beste Mittel uns zu trocknen ein Caucus-Rennen wäre.
ÂťWas ist ein Caucus-Rennen?ÂŤ sagte Alice, nicht daĂ ihr viel daran lag es zu wissen; aber der Dodo hatte angehalten, als ob er eine Frage erwarte, und Niemand anders schien aufgelegt zu reden.
Nun, meinte der Dodo, die beste Art, es zu erklären, ist, es zu spielen. (Und da ihr vielleicht das Spiel selbst einen Winter-Nachmittag versuchen mÜchtet, so will ich erzählen, wie der Dodo es anfing.)
Erst bezeichnete er die Bahn, eine Art Kreis (Âťes kommt nicht genau auf die Form an,ÂŤ sagte er), und dann wurde die ganze Gesellschaft hier und da auf der Bahn aufgestellt. Es wurde kein Âťeins, zwei drei, fort!ÂŤ gezählt, sondern sie fingen an zu laufen wenn es ihnen einfiel, hĂśrten auf wie es ihnen einfiel, so daĂ es nicht leicht zu entscheiden war, wann das Rennen zu Ende war. Als sie jedoch ungefähr eine halbe Stunde gerannt und vollständig getrocknet waren, rief der Dodo plĂśtzlich: ÂťDas Rennen ist aus!ÂŤ und sie drängten sich um ihn, auĂer Athem, mit der Frage: ÂťAber wer hat gewonnen?ÂŤ
Diese Frage konnte der Dodo nicht ohne tiefes Nachdenken beantworten, und er saà lange mit einem Finger an die Stirn gelegt (die Stellung, in der ihr meistens Shakespeare in seinen Bildern seht), während die Uebrigen schweigend auf ihn warteten. Endlich sprach der Dodo: Jeder hat gewonnen, und Alle sollen Preise haben.
ÂťAber wer soll die Preise geben?ÂŤ fragte ein ganzer Chor von Stimmen.
ÂťVersteht sich, sie!ÂŤ sagte der Dodo, mit dem Finger auf Alice zeigend, und sogleich umgab sie die ganze Gesellschaft, Alle durch einander rufend: ÂťPreise Preise!ÂŤ
Alice wuĂte nicht im Geringsten, was da zu thun sei; in ihrer Verzweiflung fuhr sie mit der Hand in die Tasche und zog eine Schachtel Zuckerplätzchen hervor (glĂźcklicherweise war das Salzwasser nicht hinein gedrungen); die vertheilte sie als Preise. Sie reichten gerade herum, eins fĂźr Jeden.
ÂťAber sie selbst muĂ auch einen Preis bekommen, wiĂt ihr,ÂŤ sagte die Maus.
ÂťVersteht sich,ÂŤ entgegnete der Dodo ernst. ÂťWas hast du noch in der Tasche?ÂŤ fuhr er zu Alice gewandt fort.
ÂťNur einen Fingerhut,ÂŤ sagte Alice traurig.
Reiche ihn mir herßber, versetzte der Dodo. Darauf versammelten sich wieder Alle um sie, während der Dodo ihr den Fingerhut feierlich ßberreichte, mit den Worten: Wir bitten, Sie wollen uns gßtigst mit der Annahme dieses eleganten Fingerhutes beehren; und als er diese kurze Rede beendigt hatte, folgte allgemeines Beifallklatschen.

Alice fand dies Alles hĂśchst albern; aber die ganze Gesellschaft sah so ernst aus, daĂ sie sich nicht zu lachen getraute, und da ihr keine passende Antwort einfiel, verbeugte sie sich einfach und nahm den Fingerhut ganz ehrbar in Empfang.
Nun muĂten zunächst die Zuckerplätzchen verzehrt werden, was nicht wenig Lärm und Verwirrung hervorrief; die groĂen VĂśgel nämlich beklagten sich, daĂ sie nichts schmecken konnten, die kleinen aber verschluckten sich und muĂten auf den RĂźcken geklopft werden. Endlich war auch dies vollbracht, und Alle setzten sich im Kreis herum und drangen in das Mäuslein, noch etwas zu erzählen.
ÂťDu hast mir deine Geschichte versprochen,ÂŤ sagte Alice â Âťund woher es kommt, daĂ du K. und H. nicht leiden kannst,ÂŤ fĂźgte sie leise hinzu, um nur das niedliche Thierchen nicht wieder bĂśse zu machen.
Ach, seufzte das Mäuslein, ihr macht euch ja aus meinem Erzählen doch nichts; ich bin euch mit meiner Geschichte zu langschwänzig und zu tragisch. Dabei sah sie Alice fragend an.
Langschwänzig! das muà wahr sein! rief Alice und sah nun erst mit rechter Verwunderung auf den geringelten Schwanz der Maus hinab; aber wie so tragisch? was trägst du denn? Während sie noch darßber nachsann, fing die langschwänzige Erzählung schon an, folgendergestalt:
Filax sprach zu der Maus, die er traf in dem Haus: ÂťGeh’ mit mir vor Gericht, daĂ ich dich verklage. Komm und wehr’ dich nicht mehr; ich muĂ haben ein VerhĂśr, denn ich habe nichts zu thun schon zwei Tage.ÂŤ
Sprach die Maus zum KĂśter: ÂťSolch VerhĂśr, lieber Herr, ohne Richter, ohne Zeugen thut nicht Noth.ÂŤ
ÂťIch bin Zeuge, ich bin Richter,ÂŤ sprach er schlau und schnitt Gesichter, Âťdas VerhĂśr leite ich und verdamme dich zum Tod!ÂŤ
ÂťDu paĂt nicht auf!ÂŤ sagte die Maus strenge zu Alice. ÂťWoran denkst du?ÂŤ
ÂťIch bitte um Verzeihung,ÂŤ sagte Alice sehr bescheiden: Âťdu warst bis zur fĂźnften Biegung gekommen, glaube ich?ÂŤ
Mit nichten! sagte die Maus entschieden und sehr ärgerlich.
ÂťNichten!ÂŤ rief Alice, die gern neue Bekanntschaften machte, und sah sich neugierig Ăźberall um. ÂťO, wo sind sie, deine Nichten? LaĂ mich gehen und sie her holen!ÂŤ
ÂťDas werde ich schĂśn bleiben lassen,ÂŤ sagte die Maus, indem sie aufstand und fortging. ÂťDeinen Unsinn kann ich nicht mehr mit anhĂśren!ÂŤ
ÂťIch meinte es nicht bĂśse!ÂŤ entschuldigte sich die arme Alice. ÂťAber du bist so sehr empfindlich, du!ÂŤ
Das Mäuslein brummte nur als Antwort.
Bitte, komm wieder, und erzähle deine Geschichte aus! rief Alice ihr nach; und die Andern wiederholten im Chor: ja bitte! aber das Mäuschen schßttelte unwillig mit dem Kopfe und ging schnell fort.
ÂťWie schade, daĂ es nicht bleiben wollte!ÂŤ seufzte der Papagei, sobald es nicht mehr zu sehen war; und eine alte Unke nahm die Gelegenheit wahr, zu ihrer Tochter zu sagen, ÂťJa, mein Kind! laĂ dir dies eine Lehre sein, niemals Ăźbler Laune zu sein!ÂŤ ÂťHalt den Mund, Mama!ÂŤ sagte die junge Unke, etwas naseweis.
ÂťWahrhaftig, du wĂźrdest die Geduld einer Auster erschĂśpfen!ÂŤ
Ich wßnschte, ich hätte unsere Dinah hier, das wßnschte ich! sagte Alice laut, ohne Jemand insbesondere anzureden. Sie wßrde sie bald zurßckholen!
ÂťUnd wer ist Dinah, wenn ich fragen darf?ÂŤ sagte der Papagei.
Alice antwortete eifrig, denn sie sprach gar zu gern von ihrem Liebling: ÂťDinah ist unsere Katze, und sie ist euch so geschickt im Mäusefangen, ihr kĂśnnt’s euch gar nicht denken! Und ach, hättet ihr sie nur VĂśgel jagen sehen. Ich sage euch, sie friĂt einen kleinen Vogel, so wie sie ihn zu Gesicht bekommt.ÂŤ
Diese Mittheilung verursachte groĂe Aufregung in der Gesellschaft. Einige der VĂśgel machten sich augenblicklich davon; eine alte Elster fing an, sich sorgfältig einzuwickeln, indem sie bemerkte: ÂťIch muĂ wirklich nach Hause gehen; die Nachtluft ist nicht gut fĂźr meinen Hals!ÂŤ und ein Canarienvogel piepte zitternd zu seinen Kleinen, ÂťKommt fort, Kinder! es ist die hĂśchste Zeit fĂźr euch, zu Bett zu gehen!ÂŤ Unter verschiedenen Entschuldigungen entfernten sie sich Alle, und Alice war bald ganz allein.
Hätte ich nur Dinah nicht erwähnt! sprach sie bei sich mit betrßbtem Tone. Niemand scheint sie gern zu haben, hier unten, und dabei ist sie doch die beste Katze von der Welt! Oh, meine liebe Dinah! ob ich dich wohl je wieder sehen werde! dabei fing die arme Alice von Neuem zu weinen an, denn sie fßhlte sich gar zu einsam und muthlos. Nach einem Weilchen jedoch hÜrte sie wieder ein Trappeln von Schritten in der Entfernung und blickte aufmerksam hin, halb in der Hoffnung, daà die Maus sich besonnen habe und zurßckkomme, ihre Geschichte auszuerzählen.
Kapitel 4: Die Wohnung des Kaninchens
Es war das weiĂe Kaninchen, das langsam zurĂźckgewandert kam, indem es sorgfältig beim Gehen umhersah, als ob es etwas verloren hätte, und sie hĂśrte wie es fĂźr sich murmelte: Âťdie Herzogin! die Herzogin! Oh, meine weichen Pfoten! o mein Fell und Knebelbart! Sie wird mich hängen lassen, so gewiĂ Frettchen Frettchen sind! Wo ich sie kann haben fallen lassen, begreife ich nicht!ÂŤ Alice errieth augenblicklich, daĂ es den Fächer und die weiĂen Glaceehandschuhe meinte, und gutmĂźthig genug fing sie an, danach umher zu suchen, aber sie waren nirgends zu sehen â Alles schien seit ihrem Bade in dem Pfuhl verwandelt zu sein, und der groĂe Corridor mit dem Glastische und der kleinen ThĂźr war gänzlich verschwunden.
Das Kaninchen erblickte Alice bald, und wie sie ßberall suchte, rief es ihr ärgerlich zu: Was, Marianne, was hast du hier zu schaffen? Renne augenblicklich nach Hause, und hole mir ein Paar Handschuhe und einen Fächer! Schnell, vorwärts! Alice war so erschrocken, daà sie schnell in der angedeuteten Richtung fortlief, ohne ihm zu erklären, daà es sich versehen habe.
ÂťEs hält mich fĂźr sein Hausmädchen,ÂŤ sprach sie bei sich selbst und lief weiter. ÂťWie es sich wundern wird, wenn es erfährt, wer ich bin! Aber ich will ihm lieber seinen Fächer und seine Handschuhe bringen â nämlich, wenn ich sie finden kann.ÂŤ Wie sie so sprach, kam sie an ein nettes kleines Haus, an dessen ThĂźr ein glänzendes Messingschild war mit dem Namen ÂťW. KaninchenÂŤ darauf. Sie ging hinein ohne anzuklopfen, lief die Treppe hinauf, in groĂer Angst, der wirklichen Marianne zu begegnen und zum Hause hinausgewiesen zu werden, ehe sie den Fächer und die Handschuhe gefunden hätte.
Wie komisch es ist, sagte Alice bei sich, Besorgungen fßr ein Kaninchen zu machen! Vermuthlich wird mir Dinah nächstens Aufträge geben! Und sie dachte sich schon aus, wie es Alles kommen wßrde:
Fräulein Alice! Kommen Sie gleich, es ist Zeit zum Ausgehen fßr Sie! Gleich Kinderfrau! aber ich muà dieses Mäuseloch hier bewachen bis Dinah wiederkommt, und aufpassen, daà die Maus nicht herauskommt. Nur wßrde Dinah, dachte Alice weiter, gewià nicht im Hause bleiben dßrfen, wenn sie anfinge, die Leute so zu commandiren.
Mittlerweile war sie in ein sauberes kleines Zimmer gelangt, mit einem Tisch vor dem Fenster und darauf (wie sie gehofft hatte) ein Fächer und zwei oder drei Paar winziger weiĂer Glaceehandschuhe; sie nahm den Fächer und ein Paar Handschuhe und wollte eben das Zimmer verlassen, als ihr Blick auf ein Fläschchen fiel, das bei dem Spiegel stand. Diesmal war kein Zettel mit den Worten: ÂťTrink michÂŤ darauf, aber trotzdem zog sie den Pfropfen heraus und setzte es an die Lippen. ÂťIch weiĂ, etwas MerkwĂźrdiges muĂ geschehen, sobald ich esse oder trinke; drum will ich versuchen, was dies Fläschchen thut. Ich hoffe, es wird mich wieder grĂśĂer machen; denn es ist mir sehr langweilig, solch winzig kleines Ding zu sein!ÂŤ
Richtig, und zwar schneller, als sie erwartete: ehe sie das Fläschchen halb ausgetrunken hatte fĂźhlte sie, wie ihr Kopf an die Decke stieĂ, und muĂte sich rasch bĂźcken, um sich nicht den Hals zu brechen. Sie stellte die Flasche hin, indem sie zu sich sagte: ÂťDas ist ganz genug â ich hoffe, ich werde nicht weiter wachsen â ich kann so schon nicht zur ThĂźre hinaus â hätte ich nur nicht so viel getrunken!ÂŤ

O weh! es war zu spät, dies zu wĂźnschen. Sie wuchs und wuchs, und muĂte sehr bald auf den FuĂboden niederknien; den nächsten Augenblick war selbst dazu nicht Platz genug, sie legte sich nun hin, mit einem Ellbogen gegen die ThĂźr gestemmt und den andern Arm unter dem Kopfe. Immer noch wuchs sie, und als letzte HĂźlfsquelle streckte sie einen Arm zum Fenster hinaus und einen FuĂ in den Kamin hinauf, und sprach zu sich selbst: ÂťNun kann ich nicht mehr thun, was auch geschehen mag. Was wird nur aus mir werden?ÂŤ
Zum Glßck fßr Alice hatte das Zauberfläschchen nun seine volle Wirkung gehabt, und sie wuchs nicht weiter. Aber es war sehr unbequem, und da durchaus keine Aussicht war, daà sie je wieder aus dem Zimmer hinaus komme, so war sie natßrlich sehr unglßcklich.
ÂťEs war viel besser zu Hause,ÂŤ dachte die arme Alice, Âťwo man nicht fortwährend grĂśĂer und kleiner wurde, und sich nicht von Mäusen und Kaninchen commandiren zu lassen brauchte. Ich wĂźnschte fast, ich wäre nicht in den Kaninchenbau hineingelaufen â aber â aber, es ist doch komisch, diese Art Leben! Ich mĂśchte wohl wissen, was eigentlich mit mir vorgegangen ist! Wenn ich Märchen gelesen habe, habe ich immer gedacht, so etwas käme nie vor, nun bin ich mitten drin in einem! Es sollte ein Buch von mir geschrieben werden, und wenn ich groĂ bin, will ich eins schreiben â aber ich bin ja jetzt groĂ,ÂŤ sprach sie betrĂźbt weiter, Âťwenigstens hier habe ich keinen Platz Ăźbrig, noch grĂśĂer zu werden.ÂŤ
ÂťAber,ÂŤ dachte Alice, Âťwerde ich denn nie älter werden, als ich jetzt bin? das ist ein Trost â nie eine alte Frau zu sein â aber dann â immer Aufgaben zu lernen zu haben! Oh, das mĂśchte ich nicht gern!ÂŤ
O, du einfältige Alice, schalt sie sich selbst. Wie kannst du hier Aufgaben lernen? Sieh doch, es ist kaum Platz genug fßr dich, viel weniger fßr irgend ein Schulbuch!
Und so redete sie fort; erst als eine Person, dann die andere, und hatte so eine lange Unterhaltung mit sich selbst; aber nach einigen Minuten hĂśrte sie drauĂen eine Stimme und schwieg still, um zu horchen.
ÂťMarianne! Marianne!ÂŤ sagte die Stimme, Âťhole mir gleich meine Handschuhe!ÂŤ dann kam ein Trappeln von kleinen FĂźĂen die Treppe herauf. Alice wuĂte, daĂ es das Kaninchen war, das sie suchte, und sie zitterte so sehr, daĂ sie das ganze Haus erschĂźtterte; sie hatte ganz vergessen, daĂ sie jetzt wohl tausend Mal so groĂ wie das Kaninchen war und keine Ursache hatte, sich vor ihm zu fĂźrchten.
Jetzt kam das Kaninchen an die ThĂźr und wollte sie aufmachen; da aber die ThĂźr nach innen aufging und Alice’s Ellbogen fest dagegen gestemmt war, so war es ein vergeblicher Versuch. Alice hĂśrte, wie es zu sich selbst sprach: Âťdann werde ich herum gehen und zum Fenster hineinsteigen.ÂŤ

ÂťDas wirst du nicht thun,ÂŤ dachte Alice, und nachdem sie gewartet hatte, bis sie das Kaninchen dicht unter dem Fenster zu hĂśren glaubte, streckte sie mit einem Male ihre Hand aus und griff in die Luft. Sie faĂte zwar nichts, hĂśrte aber einen schwachen Schrei und einen Fall, dann das Geklirr von zerbrochenem Glase, woraus sie schloĂ, daĂ es wahrscheinlich in ein Gurkenbeet gefallen sei, oder etwas dergleichen.
Demnächst kam eine ärgerliche Stimme â die des Kaninchens â ÂťPat! Pat! wo bist du?ÂŤ und dann eine Stimme, die sie noch nicht gehĂśrt hatte: ÂťWo soll ich sind? ich bin hier! grabe Aepfel aus, Euer Jnaden!ÂŤ
Aepfel ausgraben? so! sagte das Kaninchen ärgerlich. Hier! komm und hilf mir heraus! (Noch mehr Geklirr von Glasscherben.)
ÂťNun sage mir, Pat, was ist das da oben im Fenster?ÂŤ
ÂťWat soll’s sind? ‘s is en Arm, Euer Jnaden!ÂŤ (Er sprach es ÂťArrumÂŤ aus.)
ÂťEin Arm, du Esel! Wer hat je einen so groĂen Arm gesehen? er nimmt ja das ganze Fenster ein!ÂŤ
ÂťZu dienen, des thut er, Euer Jnaden; aber en Arm is es, und en Arm bleebt es.ÂŤ
ÂťJedenfalls hat er da nichts zu suchen: geh’ und schaffe ihn fort!ÂŤ
Darauf folgte eine lange Pause, während welcher Alice sie nur einzelne Worte flĂźstern hĂśrte, wie: ÂťZu dienen, des scheint mer nich, Euer Jnaden, jar nich, jar nich!ÂŤ ÂťThu’, was ich dir sage, feige Memme!ÂŤ zuletzt streckte sie die Hand wieder aus und that einen Griff in die Luft. Diesmal hĂśrte sie ein leises Wimmern und noch mehr Geklirr von Glasscherben. ÂťWie viel Gurkenbeete da sein mĂźssen!ÂŤ dachte Alice. ÂťMich soll doch wundern, was sie nun thun werden! Mich zum Fenster hinaus ziehen? ja, wenn sie das nur kĂśnnten! Ich bliebe wahrlich nicht gern länger hier!ÂŤ
Sie wartete eine Zeit lang, ohne etwas zu hĂśren; endlich kam ein Rollen von kleinen Leiterwagen, und ein Lärm von einer Menge Stimmen, alle durcheinander; sie verstand die Worte: ÂťWo ist die andere Leiter? â Ich sollte ja nur eine bringen; Wabbel hat die andere â Wabbel, bringe sie her, Junge! â Lehnt sie hier gegen diese Ecke â Nein, sie mĂźssen erst zusammengebunden werden â sie reichen nicht halb hinauf â Ach, was werden sie nicht reichen: seid nicht so umständlich â Hier, Wabbel! fange den Strick â Wird das Dach auch tragen? â Nimm dich mit dem losen Schiefer in Acht â oh, da fällt er! KĂśpfe weg!ÂŤ (ein lautes Krachen) â ÂťWessen Schuld war das? â Wabbel’s, glaube ich â Wer soll in den Schornstein steigen? â Ich nicht, so viel weiĂ ich! Ihr aber doch, nicht wahr? â Nicht ich, meiner Treu! â Wabbel kann hineinsteigen â Hier, Wabbel! der Herr sagt, du sollst in den Schornstein steigen!ÂŤ

ÂťSo, also Wabbel soll durch den Schornstein hereinkommen, wirklich?ÂŤ sagte Alice zu sich selbst. ÂťSie scheinen mir Alles auf Wabbel zu schieben: ich mĂśchte um Alles nicht an Wabbel’s Stelle sein; der Kamin ist freilich eng, aber etwas werde ich doch wohl mit dem FuĂe ausschlagen kĂśnnen!ÂŤ
Sie zog ihren Fuà so weit herunter, wie sie konnte, und wartete, bis sie ein kleines Thier (sie konnte nicht rathen, was fßr eine Art es sei) in dem Schornstein kratzen und klettern hÜrte; als es dicht ßber ihr war, sprach sie bei sich: Dies ist Wabbel, gab einen kräftigen Stoà in die HÜhe, und wartete dann der Dinge, die da kommen wßrden.
Zuerst hĂśrte sie einen allgemeinen Chor: ÂťDa fliegt Wabbel!ÂŤ dann die Stimme des Kaninchens allein: â ÂťFangt ihn auf, ihr da bei der Hecke!ÂŤ darauf Stillschweigen, dann wieder verworrene Stimmen: â ÂťHaltet ihm den Kopf â etwas Branntwein â Ersticke ihn doch nicht â Wie geht’s, alter Kerl? Was ist dir denn geschehen? erzähle uns Alles!ÂŤ
Zuletzt kam eine kleine schwache, quiekende Stimme (Âťdas ist Wabbel,ÂŤ dachte Alice): ÂťIch weiĂ es ja selbst nicht â Keinen mehr, danke! Ich bin schon viel besser â aber ich bin viel zu aufgeregt, um euch zu erzählen â Ich weiĂ nur, da kommt ein Ding in die HĂśhe, wie’n Dosen-Stehauf, und auf fliege ich wie ‘ne Rackete!ÂŤ
ÂťJa, das hast du gethan, alter Kerl!ÂŤ sagten die Andern.
ÂťWir mĂźssen das Haus niederbrennen!ÂŤ rief das Kaninchen; da schrie Alice so laut sie konnte: ÂťWenn ihr das thut, werde ich Dinah Ăźber euch schicken!ÂŤ
Sogleich entstand tiefes Schweigen, und Alice dachte bei sich: ÂťWas sie wohl jetzt thun werden? Wenn sie Menschenverstand hätten, wĂźrden sie das Dach abreiĂen.ÂŤ Nach einer oder zwei Minuten fingen sie wieder an sich zu rĂźhren, und Alice hĂśrte das Kaninchen sagen: ÂťEine Karre voll ist vor der Hand genug.ÂŤ
ÂťEine Karre voll was?ÂŤ dachte Alice; doch blieb sie nicht lange im Zweifel, denn den nächsten Augenblick kam ein Schauer von kleinen Kieseln zum Fenster herein geflogen, von denen ein Paar sie gerade in’s Gesicht trafen. ÂťDem will ich ein Ende machen,ÂŤ sagte sie bei sich und schrie hinaus: ÂťDas laĂt mir gefälligst bleiben!ÂŤ worauf wieder tiefe Stille erfolgte.
Alice bemerkte mit einigem Erstaunen, daĂ die Kiesel sich alle in kleine Kuchen verwandelten, als sie auf dem Boden lagen, und dies brachte sie auf einen glänzenden Gedanken. ÂťWenn ich einen von diesen Kuchen esse,ÂŤ dachte sie, Âťwird es gewiĂ meine GrĂśĂe verändern; und da ich unmĂśglich noch mehr wachsen kann, so wird es mich wohl kleiner machen, vermuthe ich.ÂŤ
Sie schluckte demnach einen kleinen Kuchen herunter, und merkte zu ihrem EntzĂźcken, daĂ sie sogleich abnahm. Sobald sie klein genug war, um durch die ThĂźr zu gehen, rannte sie zum Hause hinaus, und fand einen fĂśrmlichen Auflauf von kleinen Thieren und VĂśgeln davor. Die arme kleine Eidechse, Wabbel, war in der Mitte, von zwei Meerschweinchen unterstĂźtzt, die ihm etwas aus einer Flasche gaben. Es war ein allgemeiner Sturm auf Alice, sobald sie sich zeigte; sie lief aber so schnell sie konnte davon, und kam sicher in ein dichtes GebĂźsch.
ÂťDas NĂśthigste, was ich nun zu thun habe,ÂŤ sprach Alice bei sich, wie sie in dem Wäldchen umher wanderte, Âťist, meine richtige GrĂśĂe zu erlangen; und das Zweite, den Weg zu dem wunderhĂźbschen Garten zu finden. Ja, das wird der beste Plan sein.ÂŤ
Es klang freilich wie ein vortrefflicher Plan, und recht nett und einfach ausgedacht; die einzige Schwierigkeit war, daà sie nicht den geringsten Begriff hatte, wie sie ihn ausfßhren sollte; und während sie so ängstlich zwischen den Bäumen umherguckte, hÜrte sie plÜtzlich ein scharfes feines Bellen gerade ßber ihrem Kopfe und sah eilig auf.
Ein ungeheuer groĂer junger Hund sah mit seinen hervorstehenden runden Augen auf sie herab und machte einen schwachen Versuch, eine Pfote auszustrecken und sie zu berĂźhren. ÂťArmes kleines Ding!ÂŤ sagte Alice in liebkosendem Tone, und sie gab sich alle MĂźhe, ihm zu pfeifen; dabei hatte sie aber groĂe Angst, ob er auch nicht hungrig wäre, denn dann wĂźrde er sie wahrscheinlich auffressen trotz allen Liebkosungen.

Ohne recht zu wissen was sie that, nahm sie ein Stäbchen auf und hielt es ihm hin; worauf das ungeschickte Thierchen mit allen vier FĂźĂen zugleich in die HĂśhe sprang, vor EntzĂźcken laut aufbellte, auf das Stäbchen losrannte und that, als wolle es es zerreiĂen; da wich Alice ihm aus hinter eine groĂe Distel, um nicht zertreten zu werden; und so wie sie auf der andern Seite hervorkam, lief der junge Hund wieder auf das Stäbchen los und fiel kopfĂźber in seiner Eile, es zu fangen. Alice, der es vorkam, als wenn Jemand mit einem Fuhrmannspferde Zeck spielt, und die jeden Augenblick fĂźrchtete, unter seine FĂźĂe zu gerathen, lief wieder hinter die Distel; da machte der junge Hund eine Reihe von kurzen Anläufen auf das Stäbchen, wobei er jedes Mal ein klein wenig vorwärts und ein gutes StĂźck zurĂźck rannte und sich heiser bellte, bis er sich zuletzt mit zum Munde heraushängender Zunge und halb geschlossenen Augen, ganz auĂer Athem hinsetzte.
Dies schien Alice eine gute Gelegenheit zu sein, fortzukommen; sie machte sich also gleich davon, und rannte bis sie ganz mĂźde war und keine Luft mehr hatte, und bis das Bellen nur noch ganz schwach in der Ferne zu hĂśren war.
ÂťUnd doch war es ein lieber kleiner Hund!ÂŤ sagte Alice, indem sie sich an eine Butterblume lehnte um auszuruhen, und sich mit einem der Blätter fächelte. ÂťIch hätte ihn gern KunststĂźcke gelehrt, wenn â wenn ich nur groĂ genug dazu gewesen wäre! O ja! das hätte ich beinah vergessen, ich muĂ ja machen, daĂ ich wieder wachse! LaĂ sehen â wie fängt man es doch an? Ich dächte, ich sollte irgend etwas essen oder trinken; aber die Frage ist, was?ÂŤ
Das war in der That die Frage. Alice blickte um sich nach allen Blumen und Grashalmen; aber gar nichts sah aus, als ob es das Rechte sei, das sie unter den Umständen essen oder trinken mĂźsse. In der Nähe wuchs ein groĂer Pilz, ungefähr so hoch wie sie; nachdem sie ihn sich von unten, von beiden Seiten, rĂźckwärts und vorwärts betrachtet hatte, kam es ihr in den Sinn zu sehen, was oben darauf sei. Sie stellte sich also auf die FuĂspitzen und guckte Ăźber den Rand des Pilzes, und sogleich begegnete ihr Blick dem einer groĂen blauen Raupe, die mit kreuzweise gelegten Armen da saĂ und ruhig aus einer groĂen Huhka rauchte, ohne die geringste Notiz von ihr noch sonst irgend Etwas zu nehmen.
Kapitel 5: Guter Rath von einer Raupe
Die Raupe und Alice sahen sich eine Zeit lang schweigend an; endlich nahm die Raupe die Huhka aus dem Munde und redete sie mit schmachtender, langsamer Stimme an. ÂťWer bist du?ÂŤ fragte die Raupe.
Das war kein sehr ermuthigender Anfang einer Unterhaltung. Alice antwortete, etwas befangen: ÂťIch â ich weiĂ nicht recht, diesen Augenblick â vielmehr ich weiĂ, wer ich heut frĂźh war, als ich aufstand; aber ich glaube, ich muĂ seitdem ein paar Mal verwechselt worden sein.ÂŤ
Was meinst du damit? sagte die Raupe strenge. Erkläre dich deutlicher!
Ich kann mich nicht deutlicher erklären, fßrchte ich, Raupe, sagte Alice, weil ich nicht ich bin, sehen Sie wohl?
ÂťIch sehe nicht wohl,ÂŤ sagte die Raupe.
ÂťIch kann es wirklich nicht besser ausdrĂźcken,ÂŤ erwiederte Alice sehr hĂśflich, Âťdenn ich kann es selbst nicht begreifen; und wenn man an einem Tage so oft klein und groĂ wird, wird man ganz verwirrt.ÂŤ
ÂťNein, das wird man nicht,ÂŤ sagte die Raupe.
ÂťVielleicht haben Sie es noch nicht versucht,ÂŤ sagte Alice, Âťaber wenn Sie sich in eine Puppe verwandeln werden, das mĂźssen Sie Ăźber kurz oder lang wie Sie wissen â und dann in einen Schmetterling, das wird sich doch komisch anfĂźhlen, nicht wahr?ÂŤ
ÂťDurchaus nicht,ÂŤ sagte die Raupe.
ÂťSie fĂźhlen wahrscheinlich anders darin,ÂŤ sagte Alice; Âťso viel weiĂ ich, daĂ es mir sehr komisch sein wĂźrde.ÂŤ
Dir! sagte die Raupe verächtlich. Wer bist du denn?
Was sie wieder auf den Anfang der Unterhaltung zurßckbrachte. Alice war etwas ärgerlich, daà die Raupe so sehr kurz angebunden war; sie warf den Kopf in die HÜhe und sprach sehr ernst: Ich dächte, Sie sollten mir erst sagen, wer Sie sind?
ÂťWeshalb?ÂŤ fragte die Raupe.
Das war wieder eine schwierige Frage; und da sich Alice auf keinen guten Grund besinnen konnte und die Raupe sehr schlechter Laune zu sein schien, so ging sie ihrer Wege.
ÂťKomm zurĂźck!ÂŤ rief ihr die Raupe nach, Âťich habe dir etwas Wichtiges zu sagen!ÂŤ
Das klang sehr einladend; Alice kehrte wieder um und kam zu ihr zurĂźck.
ÂťSei nicht empfindlich,ÂŤ sagte die Raupe.
ÂťIst das Alles?ÂŤ fragte Alice, ihren Aerger so gut sie konnte verbergend.
ÂťNein,ÂŤ sagte die Raupe.

Alice dachte, sie wollte doch warten, da sie sonst nichts zu thun habe, und vielleicht wĂźrde sie ihr etwas sagen, das der MĂźhe werth sei. Einige Minuten lang rauchte die Raupe fort ohne zu reden; aber zuletzt nahm sie die Huhka wieder aus dem Munde und sprach: ÂťDu glaubst also, du bist verwandelt?ÂŤ
ÂťIch fĂźrchte es fast, Raupe,ÂŤ sagte Alice, Âťich kann Sachen nicht behalten wie sonst, und ich werde alle zehn Minuten grĂśĂer oder kleiner!ÂŤ
ÂťKannst welche Sachen nicht behalten?ÂŤ fragte die Raupe.
ÂťAch, ich habe versucht zu sagen: Bei einem Wirthe &c.; aber es kam ganz anders!ÂŤ antwortete Alice in niedergeschlagenem Tone.
ÂťSage her: Ihr seid alt, Vater Martin,ÂŤ sagte die Raupe.
Alice faltete die Hände und fing an: â
ÂťIhr seid alt, Vater Martin,ÂŤ so sprach Junker Tropf,
ÂťEuer Haar ist schon lange ganz weiĂ;
Doch steht ihr so gerne noch auf dem Kopf.
Macht Euch denn das nicht zu heiĂ?ÂŤ
ÂťAls ich jung war,ÂŤ der Vater zur Antwort gab,
ÂťDa glaubt’ ich, fĂźr’s Hirn sei’s nicht gut;
Doch seit ich entdeckt, daĂ ich gar keines hab’
So thu’ ich’s mit frĂśhlichem Muth.ÂŤ

ÂťIhr seid alt,ÂŤ sprach der Sohn, Âťwie vorhin schon gesagt,
Und geworden ein gar dicker Mann;
Drum sprecht, wie ihr rĂźcklings den Purzelbaum schlagt.
Potz tausend! wie fangt ihr’s nur an?ÂŤ
ÂťAls ich jung war,ÂŤ der Alte mit KopfschĂźtteln sagt’,
ÂťDa rieb ich die Glieder mir ein
Mit der Salbe hier, die sie geschmeidig macht.
FĂźr zwei Groschen Courant ist sie dein.ÂŤ

ÂťIhr seid alt,ÂŤ sprach der Bub’, Âťund kĂśnnt nicht recht kau’n,
Und solltet euch nehmen in Acht;
Doch aĂt ihr die Ganz mit Schnabel und Klau’n;
Wie habt ihr das nur gemacht?ÂŤ
ÂťIch war frĂźher Jurist und hab’ viel disputirt,
Besonders mit meiner Frau;
Das hat so mir die Kinnbacken einexercirt,
DaĂ ich jetzt noch mit Leichtigkeit kau!ÂŤ

ÂťIhr seid alt,ÂŤ sagte der Sohn, Âťund habt nicht viel Witz,
Und doch seid ihr so geschickt;
Balancirt einen Aal auf der Nasenspitz’!
Wie ist euch das nur geglĂźckt?ÂŤ
ÂťDrei Antworten hast du, und damit genug,
Nun laĂ mich kein Wort mehr hĂśren;
Du Guck in die Welt thust so Ăźberklug,
Ich werde dich Mores lehren!ÂŤ
ÂťDas ist nicht richtig,ÂŤ sagte die Raupe.

ÂťNicht ganz richtig, glaube ich,ÂŤ sagte Alice schĂźchtern; Âťmanche WĂśrter sind anders gekommen.ÂŤ
ÂťEs ist von Anfang bis zu Ende falsch,ÂŤ sagte die Raupe mit Entschiedenheit, worauf eine Pause von einigen Minuten eintrat.
Die Raupe sprach zuerst wieder.
ÂťWie groĂ mĂśchtest du gern sein?ÂŤ fragte sie.
ÂťOh, es kommt nicht so genau darauf an,ÂŤ erwiederte Alice schnell; Âťnur das viele Wechseln ist nicht angenehm, nicht wahr?ÂŤ
ÂťNein, es ist nicht wahr!ÂŤ sagte die Raupe.
Alice antwortete nichts; es war ihr im Leben nicht so viel widersprochen worden, und sie fĂźhlte, daĂ sie wieder anfing, empfindlich zu werden.
ÂťBist du jetzt zufrieden?ÂŤ sagte die Raupe.
ÂťEtwas grĂśĂer, Frau Raupe, wäre ich gern, wenn ich bitten darf,ÂŤ sagte Alice; Âťdrei und einen halben Zoll ist gar zu winzig.ÂŤ
ÂťEs ist eine sehr angenehme GrĂśĂe, finde ich,ÂŤ sagte die Raupe zornig und richtete sich dabei in die HĂśhe (sie war gerade drei Zoll hoch).
Aber ich bin nicht daran gewÜhnt! vertheidigte sich die arme Alice in weinerlichem Tone. Bei sich dachte sie: Ich wßnschte, alle diese GeschÜpfe nähmen nicht Alles gleich ßbel.
ÂťDur wirst es mit der Zeit gewohnt werden,ÂŤ sagte die Raupe, steckte ihre Huhka in den Mund und fing wieder an zu rauchen.
Diesmal wartete Alice geduldig, bis es ihr gefällig wäre zu reden. Nach zwei oder drei Minuten nahm die Raupe die Huhka aus dem Munde, gähnte ein bis zwei Mal und schĂźttelte sich. Dann kam sie von dem Pilze herunter, kroch in’s Gras hinein und bemerkte blos bei’m Weggehen: ÂťDie eine Seite macht dich grĂśĂer, die andere Seite macht dich kleiner.ÂŤ
ÂťEine Seite wovon? die andere Seite wovon?ÂŤ dachte Alice bei sich.
Von dem Pilz, sagte die Raupe, gerade als wenn sie laut gefragt hätte; und den nächsten Augenblick war sie nicht mehr zu sehen.
Alice blieb ein Weilchen gedankenvoll vor dem Pilze stehen, um ausfindig zu machen, welches seine beiden Seiten seien; und da er vollkommen rund war, so fand sie die Frage schwierig zu beantworten. Zuletzt aber reichte sie mit beiden Armen, so weit sie herum konnte, und brach mit jeder Hand etwas vom Rande ab.
ÂťNun aber, welches ist das rechte?ÂŤ sprach sie zu sich, und biĂ ein wenig von dem StĂźck in ihrer rechten Hand ab, um die Wirkung auszuprobiren; den nächsten Augenblick fĂźhlte sie einen heftigen Schmerz am Kinn, es hatte an ihren FuĂ angestoĂen!
Ueber diese plĂśtzliche Verwandlung war sie sehr erschrocken, aber da war keine Zeit zu verlieren, da sie sehr schnell kleiner wurde; sie machte sich also gleich daran, etwas von dem andern StĂźck zu essen. Ihr Kinn war so dicht an ihren FuĂ gedrĂźckt, daĂ ihr kaum Platz genug blieb, den Mund aufzumachen; endlich aber gelang es ihr, ein wenig von dem StĂźck in ihrer linken Hand herunter zu schlucken.
Ah! endlich ist mein Kopf frei! rief Alice mit Entzßcken, das sich jedoch den nächsten Augenblick in Angst verwandelte, da sie merkte, daà ihre Schultern nirgends zu finden waren: als sie hinunter sah, konnte sie weiter nichts erblicken, als einen ungeheuer langen Hals, der sich wie eine Stange aus einem Meer von grßnen Blättern erhob, das unter ihr lag.
Was mag all das grßne Zeug sein? sagte Alice. Und wo sind meine Schultern nur hingekommen? Und ach, meine armen Hände, wie geht es zu, daà ich euch nicht sehen kann? Sie griff bei diesen Worten um sich, aber es erfolgte weiter nichts, als eine kleine Bewegung in den entfernten grßnen Blättern.
Da es ihr nicht gelang, die Hände zu ihrem Kopfe zu erheben, so versuchte sie, den Kopf zu ihnen hinunter zu bĂźcken, und fand zu ihrem EntzĂźcken, daĂ sie ihren Hals in allen Richtungen biegen und wenden konnte, wie eine Schlange. Sie hatte ihn gerade in ein malerisches Zickzack gewunden und wollte eben in das Blättermeer hinunter tauchen, das, wie sie sah, durch die Gipfel der Bäume gebildet wurde, unter denen sie noch eben herumgewandert war, als ein lautes Rauschen sie plĂśtzlich zurĂźckschreckte: eine groĂe Taube kam ihr in’s Gesicht geflogen und schlug sie heftig mit den FlĂźgeln.
ÂťSchlange!ÂŤ kreischte die Taube.
ÂťIch bin keine Schlange!ÂŤ sagte Alice mit EntrĂźstung. ÂťLaĂ mich in Ruhe!ÂŤ
Schlange sage ich! wiederholte die Taube, aber mit gedämpfter Stimme, und fuhr schluchzend fort: Alles habe ich versucht, und nichts ist ihnen genehm!
ÂťIch weiĂ gar nicht, wovon du redest,ÂŤ sagte Alice.
ÂťBaumwurzeln habe ich versucht, FluĂufer habe ich versucht, Hecken habe ich versucht,ÂŤ sprach die Taube weiter, ohne auf sie zu achten; Âťaber diese Schlangen! Nichts ist ihnen recht!ÂŤ
Alice verstand immer weniger; aber sie dachte, es sei unnßtz etwas zu sagen, bis die Taube fertig wäre.
Als ob es nicht Mßhe genug wäre, die Eier auszubrßten, sagte die Taube, da muà ich noch Tag und Nacht den Schlangen aufpassen! Kein Auge habe ich die letzten drei Wochen zugethan!
ÂťEs thut mir sehr leid, daĂ du so viel VerdruĂ gehabt hast,ÂŤ sagte Alice, die zu verstehen anfing, was sie meinte.
Und gerade da ich mir den hÜchsten Baum im Walde ausgesucht habe, fuhr die Taube mit erhobener Stimme fort, und gerade da ich dachte, ich wäre sie endlich los, mßssen sie sich sogar noch vom Himmel herunterwinden! Pfui! Schlange!
ÂťAber ich bin keine Schlange, sage ich dir!ÂŤ rief Alice, Âťich bin ein â ich bin ein âÂŤ
ÂťNun, was bist du denn?ÂŤ fragte die Taube. ÂťIch merke wohl, daĂ du dir etwas ausdenken willst!ÂŤ
ÂťIch â ich bin ein kleines Mädchen,ÂŤ sagte Alice etwas unsicher, da sie an die vielfachen Verwandlungen dachte, die sie den Tag Ăźber schon durchgemacht hatte.
Eine schÜne Ausrede, wahrhaftig! sagte die Taube im Tone tiefster Verachtung. Ich habe mein Lebtag genug kleine Mädchen gesehen, aber nie eine mit solch einem Hals! Nein, nein! du bist eine Schlange! das kannst du nicht abläugnen. Du wirst am Ende noch behaupten, daà du nie ein Ei gegessen hast.
Ich habe Eier gegessen, freilich, sagte Alice, die ein sehr wahrheitsliebendes Kind war; aber kleine Mädchen essen Eier eben so gut wie Schlangen.
ÂťDas glaube ich nicht,ÂŤ sagte die Taube; Âťwenn sie es aber thun, nun dann sind sie eine Art Schlangen, so viel weiĂ ich.ÂŤ
Das war etwas so Neues fßr Alice, daà sie ein Paar Minuten ganz still schwieg; die Taube benutzte die Gelegenheit und fuhr fort: Du suchst Eier, das weià ich nur zu gut, und was kßmmert es mich, ob du ein kleines Mädchen oder eine Schlange bist?
Aber mich kßmmert es sehr, sagte Alice schnell; ßbrigens suche ich zufällig nicht Eier, und wenn ich es thäte, so wßrde ich deine nicht brauchen kÜnnen; ich esse sie nicht gern roh.
ÂťDann mach’, daĂ du fortkommst!ÂŤ sagte die Taube verdrieĂlich, indem sie sich in ihrem Nest wieder zurecht setzte. Alice duckte sich unter die Bäume so gut sie konnte; denn ihr Hals verwickelte sich fortwährend in die Zweige, und mehre Male muĂte sie anhalten und ihn losmachen. Nach einer Weile fiel es ihr wieder ein, daĂ sie noch die StĂźckchen Pilz in den Händen hatte, und sie machte sich sorgfältig daran, knabberte bald an dem einen, bald an dem andern, und wurde abwechselnd grĂśĂer und kleiner, bis es ihr zuletzt gelang, ihre gewĂśhnliche GrĂśĂe zu bekommen.
Es war so lange her, daĂ sie auch nur ungefähr ihre richtige HĂśhe gehabt hatte, daĂ es ihr erst ganz komisch vorkam; aber nach einigen Minuten hatte sie sich daran gewĂśhnt und sprach mit sich selbst wie gewĂśhnlich. ÂťSchĂśn, nun ist mein Plan halb ausgefĂźhrt! Wie verwirrt man von dem vielen Wechseln wird! Ich weiĂ nie, wie ich den nächsten Augenblick sein werde! Doch jetzt habe ich meine richtige GrĂśĂe: nun kommt es darauf an, in den schĂśnen Garten zu gelangen â wie kann ich das anstellen? das mĂśchte ich wissen!ÂŤ Wie sie dies sagte, kam sie in eine Lichtung mit einem Häuschen in der Mitte, ungefähr vier FuĂ hoch. ÂťWer auch darin wohnen mag, es geht nicht an, daĂ ich so groĂ wie ich jetzt bin hineingehe: sie wĂźrden vor Angst nicht wissen wohin!ÂŤ Also knabberte sie wieder an dem StĂźckchen in der rechten Hand, und wagte sich nicht an das Häuschen heran, bis sie sich auf neun Zoll herunter gebracht hatte.
Kapitel 6: Ferkel und Pfeffer
Noch ein bis zwei Augenblicke stand sie und sah das Häuschen an, ohne recht zu wissen was sie nun thun solle, als plĂśtzlich ein Lackei in Livree vom Walde her gelaufen kam â (sie hielt ihn fĂźr einen Lackeien, weil er Livree trug, sonst, nach seinem Gesichte zu urtheilen, wĂźrde sie ihn fĂźr einen Fisch angesehen haben) â und mit den KnĂścheln laut an die ThĂźr klopfte. Sie wurde von einem andern Lackeien in Livree geĂśffnet, der ein rundes Gesicht und groĂe Augen wie ein Frosch hatte, und beide Lackeien hatten, wie Alice bemerkte, gepuderte LockenperĂźcken Ăźber den ganzen Kopf. Sie war sehr neugierig, was nun geschehen wĂźrde, und schlich sich etwas näher, um zuzuhĂśren.

Der Fisch-Lackei fing damit an, einen ungeheuren Brief, beinah so groà wie er selbst, unter dem Arme hervorzuziehen; diesen ßberreichte er dem anderen, in feierlichem Tone sprechend: Fßr die Herzogin. Eine Einladung von der KÜnigin, Croquet zu spielen. Der Frosch-Lackei erwiederte in demselben feierlichen Tone, indem er nur die Aufeinanderfolge der WÜrter etwas veränderte: Von der KÜnigin. Eine Einladung fßr die Herzogin, Croquet zu spielen.
Dann verbeugten sich Beide tief, und ihre Locken verwickelten sich in einander.
DarĂźber lachte Alice so laut, daĂ sie in das GebĂźsch zurĂźcklaufen muĂte, aus Furcht, sie mĂśchten sie hĂśren, und als sie wieder herausguckte, war der Fisch-Lackei fort, und der andere saĂ auf dem Boden bei der ThĂźr und sah dumm in den Himmel hinauf.
Alice ging furchtsam auf die ThĂźr zu und klopfte.
Es ist durchaus unnßtz, zu klopfen, sagte der Lackei, und das wegen zweier Grßnde. Erstens weil ich an derselben Seite von der Thßr bin wie du, zweitens, weil sie drinnen einen solchen Lärm machen, daà man dich unmÜglich hÜren kann. Und wirklich war ein ganz merkwßrdiger Lärm drinnen, ein fortwährendes Heulen und Niesen, und von Zeit zu Zeit ein lautes Krachen, als ob eine Schßssel oder ein Kessel zerbrochen wäre.
ÂťBitte,ÂŤ sagte Alice, Âťwie soll ich denn hineinkommen?ÂŤ
ÂťEs wäre etwas Sinn und Verstand darin, anzuklopfen,ÂŤ fuhr der Lackei fort, ohne auf sie zu hĂśren, Âťwenn wir die ThĂźr zwischen uns hätten. Zum Beispiel, wenn du drinnen wärest, kĂśnntest du klopfen, und ich kĂśnnte dich herauslassen, nicht wahr?ÂŤ Er sah die ganze Zeit Ăźber, während er sprach, in den Himmel hinauf, was Alice entschieden sehr unhĂśflich fand. ÂťAber vielleicht kann er nicht dafĂźr,ÂŤ sagte sie bei sich; Âťseine Augen sind so hoch oben auf seiner Stirn. Aber jedenfalls kĂśnnte er mir antworten. â Wie soll ich denn hineinkommen?ÂŤ wiederholte sie laut.
ÂťIch werde hier sitzen,ÂŤ sagte der Lackei, Âťbis morgen âÂŤ
In diesem Augenblicke ging die ThĂźr auf, und ein groĂer Teller kam heraus geflogen, gerade auf den Kopf des Lackeien los; er strich aber Ăźber seine Nase hin und brach an einem der dahinterstehenden Bäume in StĂźcke.
Âťâ oder Ăźbermorgen, vielleicht,ÂŤ sprach der Lackei in demselben Tone fort, als ob nichts vorgefallen wäre.
ÂťWie soll ich denn hineinkommen?ÂŤ fragte Alice wieder, lauter als vorher.
ÂťSollst du Ăźberhaupt hineinkommen?ÂŤ sagte der Lackei. ÂťDas ist die erste Frage, nicht wahr?ÂŤ
Das war es allerdings; nur lieĂ sich Alice das nicht gern sagen. ÂťEs ist wirklich schrecklich,ÂŤ murmelte sie vor sich hin, Âťwie naseweis alle diese GeschĂśpfe sind. Es kĂśnnte Einen ganz verdreht machen!ÂŤ
Der Lackei schien dies fĂźr eine gute Gelegenheit anzusehen, seine Bemerkung zu wiederholen, und zwar mit Variationen. ÂťIch werde hier sitzen,ÂŤ sagte er, Âťab und an, Tage und Tage lang.ÂŤ
ÂťWas soll ich aber thun?ÂŤ fragte Alice.
Was dir gefällig ist, sagte der Lackei, und fing an zu pfeifen.
ÂťEs hilft zu nichts, mit ihm zu reden,ÂŤ sagte Alice auĂer sich, Âťer ist vollkommen blĂśdsinnig!ÂŤ Sie klinkte die ThĂźr auf und ging hinein.
Die ThĂźr fĂźhrte geradewegs in eine groĂe KĂźche, welche von einem Ende bis zum andern voller Rauch war; in der Mitte saĂ auf einem dreibeinigen Schemel die Herzogin, mit einem Wickelkinde auf dem SchoĂe; die KĂśchin stand Ăźber das Feuer gebĂźckt und rĂźhrte in einer groĂen Kasserole, die voll Suppe zu sein schien.
ÂťIn der Suppe ist gewiĂ zu viel Pfeffer!ÂŤ sprach Alice fĂźr sich, so gut sie vor Niesen konnte.
Es war wenigstens zu viel in der Luft. Sogar die Herzogin nieste hin und wieder; was das Wickelkind anbelangt, so nieste und schrie es abwechselnd ohne die geringste Unterbrechung. Die beiden einzigen Wesen in der KĂźche, die nicht niesten, waren die KĂśchin und eine groĂe Katze, die vor dem Herde saĂ und grinste, sodaĂ die Mundwinkel bis an die Ohren reichten.

ÂťWollen Sie mir gĂźtigst sagen,ÂŤ fragte Alice etwas furchtsam, denn sie wuĂte nicht recht, ob es sich fĂźr sie schicke zuerst zu sprechen, Âťwarum Ihre Katze so grinst?ÂŤ
ÂťEs ist eine Grinse-Katze,ÂŤ sagte die Herzogin, Âťdarum! Ferkel!ÂŤ
Das letzte Wort sagte sie mit solcher Heftigkeit, daĂ Alice auffuhr; aber den nächsten Augenblick sah sie, daĂ es dem Wickelkinde galt, nicht ihr; sie faĂte also Muth und redete weiter: â
ÂťIch wuĂte nicht, daĂ Katzen manchmal grinsen; ja ich wuĂte nicht, daĂ Katzen Ăźberhaupt grinsen kĂśnnen.ÂŤ
ÂťSie kĂśnnen es alle,ÂŤ sagte die Herzogin, Âťund die meisten thun es.ÂŤ
ÂťIch kenne keine, die es thut,ÂŤ sagte Alice sehr hĂśflich, da sie ganz froh war, eine Unterhaltung angeknĂźpft haben.
ÂťDu kennst noch nicht viel,ÂŤ sagte die Herzogin, Âťund das ist die Wahrheit.ÂŤ
Alice gefiel diese Bemerkung gar nicht, und sie dachte daran, welchen andern Gegenstand der Unterhaltung sie einfĂźhren kĂśnnte. Während sie sich auf etwas Passendes besann, nahm die KĂśchin die Kasserole mit Suppe vom Feuer und fing sogleich an, Alles was sie erreichen konnte nach der Herzogin und dem Kinde zu werfen â die Feuerzange kam zuerst, dann folgte ein Hagel von Pfannen, Tellern und SchĂźsseln. Die Herzogin beachtete sie gar nicht, auch wenn sie sie trafen; und das Kind heulte schon so laut, daĂ es unmĂśglich war zu wissen, ob die StĂśĂe ihm weh thaten oder nicht.
ÂťOh, bitte, nehmen Sie sich in Acht, was Sie thun!ÂŤ rief Alice, die in wahrer Herzensangst hin und her sprang. ÂťOh, seine liebe kleine Nase!ÂŤ als eine besonders groĂe Pfanne dicht daran vorbeifuhr und sie beinah abstieĂ.
ÂťWenn Jeder nur vor seiner ThĂźr fegen wollte,ÂŤ brummte die Herzogin mit heiserer Stimme, ÂťwĂźrde die Welt sich bedeutend schneller drehen, als jetzt.ÂŤ
ÂťWas kein Vortheil wäre,ÂŤ sprach Alice, die sich Ăźber die Gelegenheit freute, ihre Kenntnisse zu zeigen. ÂťDenken Sie nur, wie es Tag und Nacht in Unordnung bringen wĂźrde! Die Erde braucht doch jetzt vier und zwanzig Stunden, sich um ihre Achse zu drehen âÂŤ
ÂťWas, du redest von Axt?ÂŤ sagte die Herzogin, ÂťHau’ ihr den Kopf ab!ÂŤ
Alice sah sich sehr erschrocken nach der KĂśchin um, ob sie den Wink verstehen wĂźrde; aber die KĂśchin rĂźhrte die Suppe unverwandt und schien nicht zuzuhĂśren, daher fuhr sie fort: ÂťVier und zwanzig Stunden, glaube ich; oder sind es zwĂślf? Ich âÂŤ
ÂťAch, laĂ mich in Frieden,ÂŤ sagte die Herzogin, Âťich habe Zahlen nie ausstehen kĂśnnen!ÂŤ Und damit fing sie an, ihr Kind zu warten und eine Art Wiegenlied dazu zu singen, wovon jede Reihe mit einem derben Puffe fĂźr das Kind endigte: â
ÂťSchilt deinen kleinen Jungen aus,
Und schlag’ ihn, wenn er niest;
Er macht es gar so bunt und kraus,
Nur weil es uns verdrieĂt.ÂŤ
Chor
(in welchen die KĂśchin und das Wickelkind einfielen).
ÂťWau! wau! wau!ÂŤ
Während die Herzogin den zweiten Vers des Liedes sang, schaukelte sie das Kind so heftig auf und nieder, und das arme kleine Ding schrie so, daĂ Alice kaum die Worte verstehen konnte: â
ÂťIch schelte meinen kleinen Wicht,
Und schlag’ ihn, wenn er niest;
Ich weiĂ, wie gern er Pfeffer riecht,
Wenn’s ihm gefällig ist.ÂŤ
Chor.
ÂťWau! wau! wau!ÂŤ
ÂťHier! du kannst ihn ein Weilchen warten, wenn du willst!ÂŤ sagte die Herzogin zu Alice, indem sie ihr das Kind zuwarf. ÂťIch muĂ mich zurecht machen, um mit der KĂśnigin Croquet zu spielen,ÂŤ damit rannte sie aus dem Zimmer. Die KĂśchin warf ihr eine Bratpfanne nach; aber sie verfehlte sie noch eben.
Alice hatte das Kind mit MĂźhe und Noth aufgefangen, da es ein kleines unfĂśrmliches Wesen war, das seine Arme und Beinchen nach allen Seiten ausstreckte, Âťgerade wie ein Seestern,ÂŤ dachte Alice. Das arme kleine Ding stĂśhnte wie eine Locomotive, als sie es fing, und zog sich zusammen und streckte sich wieder aus, so daĂ sie es die ersten Paar Minuten nur eben halten konnte.
Sobald sie aber die rechte Art entdeckt hatte, wie man es tragen muĂte (die darin bestand, es zu einer Art Knoten zu drehen, und es dann fest beim rechten Ohr und linken FuĂ zu fassen, damit es sich nicht wieder aufwickeln konnte), brachte sie es in’s Freie. ÂťWenn ich dies Kind nicht mit mir nehme,ÂŤ dachte Alice, Âťso werden sie es in wenigen Tagen umgebracht haben; wäre es nicht Mord, es da zu lassen?ÂŤ Sie sprach die letzten Worte laut, und das kleine GeschĂśpf grunzte zur Antwort (es hatte mittlerweile aufgehĂśrt zu niesen). ÂťGrunze nicht,ÂŤ sagte Alice; Âťes paĂt sich gar nicht fĂźr dich, dich so auszudrĂźcken.ÂŤ
Der Junge grunzte wieder, so daĂ Alice ihm ganz ängstlich in’s Gesicht sah, was ihm eigentlich fehle. Er hatte ohne Zweifel eine sehr hervorstehende Nase, eher eine Schnauze als eine wirkliche Nase; auch seine Augen wurden entsetzlich klein fĂźr einen kleinen Jungen: Alles zusammen genommen, gefiel Alice das Aussehen des Kindes gar nicht. ÂťAber vielleicht hat es nur geweint,ÂŤ dachte sie und sah ihm wieder in die Augen, ob Thränen da seien.
Nein, es waren keine Thränen da. Wenn du ein kleines Ferkel wirst, hÜre mal, sagte Alice sehr ernst, so will ich nichts mehr mit dir zu schaffen haben, das merke dir! Das arme kleine Ding schluchzte (oder grunzte, es war unmÜglich, es zu unterscheiden), und dann gingen sie eine Weile stillschweigend weiter.
Alice fing eben an, sich zu ßberlegen: Nun, was soll ich mit diesem GeschÜpf anfangen, wenn ich es mit nach Hause bringe? als es wieder grunzte, so laut, daà Alice erschrocken nach ihm hinsah. Diesmal konnte sie sich nicht mehr irren: es war nichts mehr oder weniger als ein Ferkel, und sie sah, daà es hÜchst lächerlich fßr sie wäre, es noch weiter zu tragen.
Sie setzte also das kleine Ding hin und war ganz froh, als sie es ruhig in den Wald traben sah. ÂťDas wäre in einigen Jahren ein furchtbar häĂliches Kind geworden; aber als Ferkel macht es sich recht nett, finde ich.ÂŤ Und so dachte sie alle Kinder durch, die sie kannte, die gute kleine Ferkel abgeben wĂźrden, und sagte gerade fĂźr sich: Âťwenn man nur die rechten Mittel wĂźĂte, sie zu verwandeln âÂŤ als sie einen Schreck bekam; die Grinse-Katze saĂ nämlich wenige FuĂ von ihr auf einem Baumzweige.

Die Katze grinste nur, als sie Alice sah. Sie sieht gutmßthig aus, dachte diese; aber doch hatte sie sehr lange Krallen und eine Menge Zähne. Alice fßhlte wohl, daà sie sie rßcksichtsvoll behandeln mßsse.
ÂťGrinse-Mies,ÂŤ fing sie etwas ängstlich an, da sie nicht wuĂte, ob ihr der Name gefallen wĂźrde: jedoch grinste sie noch etwas breiter. ÂťSchĂśn, so weit gefällt es ihr,ÂŤ dachte Alice und sprach weiter: Âťwillst du mir wohl sagen, wenn ich bitten darf, welchen Weg ich hier nehmen muĂ?ÂŤ
Das hängt zum guten Theil davon ab, wohin du gehen willst, sagte die Katze.
ÂťEs kommt mir nicht darauf an, wohin âÂŤ sagte Alice.
ÂťDann kommt es auch nicht darauf an, welchen Weg du nimmst,ÂŤ sagte die Katze.
Âťâ wenn ich nur irgendwo hinkomme,ÂŤ fĂźgte Alice als Erklärung hinzu.
ÂťO, das wirst du ganz gewiĂ,ÂŤ sagte die Katze, Âťwenn du nur lange genug gehest.ÂŤ
Alice sah, daà sie nichts dagegen einwenden konnte; sie versuchte daher eine andere Frage. Was fßr Art Leute wohnen hier in der Nähe?
ÂťIn der Richtung,ÂŤ sagte die Katze, die rechte Pfote schwenkend, Âťwohnt ein Hutmacher, und in jener Richtung,ÂŤ die andere Pfote schwenkend, Âťwohnt ein Faselhase. Besuche welchen du willst: sie sind beide toll.ÂŤ
ÂťAber ich mag nicht zu tollen Leuten gehen,ÂŤ bemerkte Alice.
Oh, das kannst du nicht ändern, sagte die Katze: wir sind alle toll hier. Ich bin toll. Du bist toll.
ÂťWoher weiĂt du, daĂ ich toll bin?ÂŤ fragte Alice.

ÂťDu muĂt es sein,ÂŤ sagte die Katze, Âťsonst wärest du nicht hergekommen.ÂŤ
Alice fand durchaus nicht, daĂ das ein Beweis sei; sie fragte jedoch weiter: ÂťUnd woher weiĂt du, daĂ du toll bist?ÂŤ
ÂťZu allererst,ÂŤ sagte die Katze, Âťein Hund ist nicht toll. Das giebst du zu?ÂŤ
ÂťZugestanden!ÂŤ sagte Alice.
Nun, gut, fuhr die Katze fort, nicht wahr ein Hund knurrt, wenn er bÜse ist, und wedelt mit dem Schwanze, wenn er sich freut. Ich hingegen knurre, wenn ich mich freue, und wedle mit dem Schwanze, wenn ich ärgerlich bin. Daher bin ich toll.
ÂťIch nenne es spinnen, nicht knurren,ÂŤ sagte Alice.
ÂťNenne es, wie du willst,ÂŤ sagte die Katze. ÂťSpielst du heut Croquet mit der KĂśnigin?ÂŤ
ÂťIch mĂśchte es sehr gern,ÂŤ sagte Alice, Âťaber ich bin noch nicht eingeladen worden.ÂŤ
ÂťDu wirst mich dort sehen,ÂŤ sagte die Katze und verschwand.
Alice wunderte sich nicht sehr darßber; sie war so daran gewÜhnt, daà sonderbare Dinge geschahen. Während sie noch nach der Stelle hinsah, wo die Katze gesessen hatte, erschien sie plÜtzlich wieder.
Uebrigens, was ist aus dem Jungen geworden? sagte die Katze. Ich hätte beinah vergessen zu fragen.
Er ist ein Ferkel geworden, antwortete Alice sehr ruhig, gerade wie wenn die Katze auf gewÜhnliche Weise zurßckgekommen wäre.
ÂťDas dachte ich wohl,ÂŤ sagte die Katze und verschwand wieder.
Alice wartete noch etwas, halb und halb erwartend, sie wieder erscheinen zu sehen; aber sie kam nicht, und ein Paar Minuten nachher ging sie in der Richtung fort, wo der Faselhase wohnen sollte. Hutmacher habe ich schon gesehen, sprach sie zu sich, der Faselhase wird viel interessanter sein. Wie sie so sprach, blickte sie auf, und da saà die Katze wieder auf einem Baumzweige. Sagtest du Ferkel oder Fächer? fragte sie. Ich sagte Ferkel, antwortete Alice, und es wäre mir sehr lieb, wenn du nicht immer so schnell erscheinen und verschwinden wolltest: du machst Einen ganz schwindlig.
ÂťSchon gut,ÂŤ sagte die Katze, und diesmal verschwand sie ganz langsam, wobei sie mit der Schwanzspitze anfing und mit dem Grinsen aufhĂśrte, das noch einige Zeit sichtbar blieb, nachdem das Uebrige verschwunden war.
ÂťOho, ich habe oft eine Katze ohne Grinsen gesehen,ÂŤ dachte Alice, Âťaber ein Grinsen ohne Katze! so etwas MerkwĂźrdiges habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen!ÂŤ
Sie brauchte nicht weit zu gehen, so erblickte sie das Haus des Faselhasen; sie dachte, es mĂźsse das rechte Haus sein, weil die Schornsteine wie Ohren geformt waren, und das Dach war mit Pelz gedeckt. Es war ein so groĂes Haus, daĂ, ehe sie sich näher heran wagte, sie ein wenig von dem StĂźck Pilz in ihrer linken Hand abknabberte, und sich bis auf zwei FuĂ hoch brachte: trotzdem näherte sie sich etwas furchtsam, fĂźr sich sprechend: ÂťWenn er nur nicht ganz rasend ist! Wäre ich doch lieber zu dem Hutmacher gegangen!ÂŤ
Kapitel 7: Die tolle Theegesellschaft
Vor dem Hause stand ein gedeckter Theetisch, an welchem der Faselhase und der Hutmacher saĂen; ein Murmelthier saĂ zwischen ihnen, fest eingeschlafen, und die beiden Andern benutzten es als Kissen, um ihre Ellbogen darauf zu stĂźtzen, und redeten Ăźber seinem Kopfe mit einander. ÂťSehr unbequem fĂźr das Murmelthier,ÂŤ dachte Alice; Âťnun, da es schläft, wird es sich wohl nichts daraus machen.ÂŤ
Der Tisch war groĂ, aber die Drei saĂen dicht zusammengedrängt an einer Ecke: ÂťKein Platz! Kein Platz!ÂŤ riefen sie aus, sobald sie Alice kommen sahen. ÂťUeber und Ăźber genug Platz!ÂŤ sagte Alice unwillig und setzte sich in einen groĂen Armstuhl am Ende des Tisches.
Ist dir etwas Wein gefällig? nÜthigte sie der Faselhase.
Alice sah sich auf dem ganzen Tische um, aber es war nichts als Thee darauf. ÂťIch sehe keinen Wein,ÂŤ bemerkte sie.
ÂťEs ist keiner hier,ÂŤ sagte der Faselhase.
Dann war es gar nicht hÜflich von dir, mir welchen anzubieten, sagte Alice ärgerlich.
ÂťEs war gar nicht hĂśflich von dir, dich ungebeten herzusetzen,ÂŤ sagte der Faselhase.
ÂťIch wuĂte nicht, das es dein Tisch ist; er ist fĂźr viel mehr als drei gedeckt.ÂŤ
ÂťDein Haar muĂ verschnitten werden,ÂŤ sagte der Hutmacher. Er hatte Alice eine Zeit lang mit groĂer Neugierde angesehen, und dies waren seine ersten Worte.
ÂťDu solltest keine persĂśnlichen Bemerkungen machen,ÂŤ sagte Alice mit einer gewissen Strenge, Âťes ist sehr grob.ÂŤ
Der Hutmacher riĂ die Augen weit auf, als er dies hĂśrte; aber er sagte weiter nichts als: ÂťWarum ist ein Rabe wie ein Reitersmann?ÂŤ
ÂťEi, jetzt wird es SpaĂ geben,ÂŤ dachte Alice. ÂťIch bin so froh, daĂ sie anfangen Räthsel aufzugeben â Ich glaube, das kann ich rathen,ÂŤ fuhr sie laut fort.

ÂťMeinst du, daĂ du die Antwort dazu finden kannst?ÂŤ fragte der Faselhase.
ÂťJa, natĂźrlich,ÂŤ sagte Alice.
ÂťDann solltest du sagen, was du meinst,ÂŤ sprach der Hase weiter.
ÂťDas thue ich ja,ÂŤ warf Alice schnell ein, Âťwenigstens â wenigstens meine ich, was ich sage â und das ist dasselbe.ÂŤ
ÂťNicht im Geringsten dasselbe!ÂŤ sagte der Hutmacher. ÂťWie, du kĂśnntest eben so gut behaupten, daĂ Âťich sehe, was ich esseÂŤ dasselbe ist wie Âťich esse, was ich sehe.ÂŤ
ÂťDu kĂśnntest auch behaupten,ÂŤ fĂźgte der Faselhase hinzu, Âťich mag, was ich kriegeÂŤ sei dasselbe wie Âťich kriege, was ich mag!ÂŤ
ÂťDu kĂśnntest eben so gut behaupten,ÂŤ fiel das Murmelthier ein, das im Schlafe zu sprechen schien, Âťich athme, wenn ich schlafeÂŤ sei dasselbe wie Âťich schlafe, wenn ich athme!ÂŤ
Es ist dasselbe bei dir, sagte der Hutmacher, und damit endigte die Unterhaltung, und die Gesellschaft saà einige Minuten schweigend, während Alice Alles durchdachte, was sie je von Raben und Reitersmännern gehÜrt hatte, und das war nicht viel.
Der Hutmacher brach das Schweigen zuerst. ÂťDen wievielsten haben wir heute?ÂŤ sagte er, sich an Alice wendend; er hatte seine Uhr aus der Tasche genommen, sah sie unruhig an, schĂźttelte sie hin und her und hielt sie an’s Ohr.
Alice besann sich ein wenig und sagte: ÂťDen vierten.ÂŤ
Zwei Tage falsch! seufzte der Hutmacher. Ich sagte dir ja, daà Butter das Werk verderben wßrde, setzte er hinzu, indem er den Hasen ärgerlich ansah.
ÂťEs war die beste Butter,ÂŤ sagte der Faselhase demĂźthig.
Ja, aber es muà etwas Krume mit hinein gerathen sein, brummte der Hutmacher; du hättest sie nicht mit dem Brodmesser hinein thun sollen.
Der Faselhase nahm die Uhr und betrachtete sie trĂźbselig; dann tunkte er sie in seine Tasse Thee und betrachtete sie wieder, aber es fiel ihm nichts Besseres ein, als seine erste Bemerkung: ÂťEs war wirklich die beste Butter.ÂŤ
Alice hatte ihm neugierig Ăźber die Schulter gesehen. ÂťWas fĂźr eine komische Uhr!ÂŤ sagte sie. ÂťSie zeigt das Datum, und nicht wie viel Uhr es ist!ÂŤ
ÂťWarum sollte sie?ÂŤ brummte der Hase; Âťzeigt deine Uhr, welches Jahr es ist?ÂŤ
ÂťNatĂźrlich nicht,ÂŤ antwortete Alice schnell, Âťweil es so lange hintereinander dasselbe Jahr bleibt.ÂŤ
ÂťUnd so ist es gerade mit meiner,ÂŤ sagte der Hutmacher.
Alice war ganz verwirrt. Die Erklärung des Hutmachers schien ihr gar keinen Sinn zu haben, und doch waren es deutlich gesprochne Worte. Ich verstehe dich nicht ganz, sagte sie, so hÜflich sie konnte.
ÂťDas Murmelthier schläft schon wieder,ÂŤ sagte der Hutmacher, und goĂ ihm etwas heiĂen Thee auf die Nase.
Das Murmelthier schĂźttelte ungeduldig den Kopf und sagte, ohne die Augen aufzuthun: ÂťFreilich, freilich, das wollte ich eben auch bemerken.ÂŤ
Hast du das Räthsel schon gerathen? wandte sich der Hutmacher an Alice.
ÂťNein, ich gebe es auf,ÂŤ antwortete Alice; Âťwas ist die Antwort?ÂŤ
ÂťDavon habe ich nicht die leiseste Ahnung,ÂŤ sagte der Hutmacher.
ÂťIch auch nicht,ÂŤ sagte der Faselhase.
Alice seufzte verstimmt. Ich dächte, ihr kÜnntet die Zeit besser anwenden, sagte sie, als mit Räthseln, die keine AuflÜsung haben.
ÂťWenn du die Zeit so gut kenntest wie ich,ÂŤ sagte der Hutmacher, ÂťwĂźrdest du nicht davon reden, wie wir sie anwenden, sondern wie sie uns anwendet.ÂŤ
ÂťIch weiĂ nicht, was du meinst,ÂŤ sagte Alice.
Natßrlich kannst du das nicht wissen! sagte der Hutmacher, indem er den Kopf verächtlich in die HÜhe warf. Du hast wahrscheinlich nie mit der Zeit gesprochen.
ÂťIch glaube kaum,ÂŤ erwiederte Alice vorsichtig; Âťaber Mama sagte gestern, ich sollte zu meiner kleinen Schwester gehen und ihr die Zeit vertreiben.ÂŤ
ÂťSo? das wird sie dir schĂśn Ăźbel genommen haben; sie läĂt sich nicht gern vertreiben. Aber wenn man gut mit ihr steht, so thut sie Einem beinah Alles zu Gefallen mit der Uhr. Zum Beispiel, nimm den Fall, es wäre 9 Uhr Morgens, gerade Zeit, deine Stunden anzufangen, du brauchtest der Zeit nur den kleinsten Wink zu geben, schnurr! geht die Uhr herum, ehe du dich’s versiehst! halb Zwei, Essenszeit!ÂŤ
(Ich wßnschte, das wäre es! sagte der Faselhase leise fßr sich.)
Das wäre wirklich famos, sagte Alice gedankenvoll, aber dann wßrde ich nicht hungrig genug sein, nicht wahr?
ÂťZuerst vielleicht nicht,ÂŤ antwortete der Hutmacher, Âťaber es wĂźrde so lange halb Zwei bleiben, wie du wolltest.ÂŤ
ÂťSo macht ihr es wohl hier?ÂŤ fragte Alice.
Der Hutmacher schĂźttelte traurig den Kopf. ÂťIch nicht!ÂŤ sprach er. ÂťWir haben uns vorige Ostern entzweit â kurz ehe er toll wurde, du weiĂt doch (mit seinem TheelĂśffel auf den Faselhasen zeigend) â es war in dem groĂen Concert, das die Coeur-KĂśnigin gab; ich muĂte singen:

ÂťO Papagei, o Papagei!Wie grĂźn sind deine Federn!ÂŤ
Vielleicht kennst du das Lied?ÂŤ
ÂťIch habe etwas dergleichen gehĂśrt,ÂŤ sage Alice.
ÂťEs geht weiter,ÂŤ fuhr der Hutmacher fort:
ÂťDu grĂźnst nicht nur zur Friedenszeit,Auch wenn es Teller und TĂśpfe schneit.O Papagei, o Papagei âÂŤ
Hier schĂźttelte sich das Murmelthier und fing an im Schlaf zu singen: ÂťO Papagei, o Mamagei, o Papagei, o Mamagei âÂŤ in einem fort, so daĂ sie es zuletzt kneifen muĂten, damit es nur aufhĂśre.
Denke dir, ich hatte kaum den ersten Vers fertig, sagte der Hutmacher, als die KÜnigin ausrief: Abscheulich! der Mensch schlägt geradezu die Zeit todt mit seinem Geplärre. Aufgehängt soll er werden!
ÂťWie furchtbar grausam!ÂŤ rief Alice.
ÂťUnd seitdem,ÂŤ sprach der Hutmacher traurig weiter, Âťhat sie mir nie etwas zu Gefallen thun wollen, die Zeit! Es ist nun immer sechs Uhr!ÂŤ
Dies brachte Alice auf einen klugen Gedanken. ÂťDarum sind wohl so viele Tassen hier herumgestellt?ÂŤ fragte sie.
ÂťJa, darum,ÂŤ sagte der Hutmacher mit einem Seufzer, Âťes ist immer Theestunde, und wir haben keine Zeit, die Tassen dazwischen aufzuwaschen.ÂŤ
ÂťDann rĂźckt ihr wohl herum?ÂŤ sagte Alice.
ÂťSo ist es,ÂŤ sagte der Hutmacher, Âťwenn die Tassen genug gebraucht sind.ÂŤ
ÂťAber wenn ihr wieder an den Anfang kommt?ÂŤ unterstand sich Alice zu fragen.
Wir wollen jetzt von etwas Anderem reden, unterbrach sie der Faselhase gähnend, dieser Gegenstand ist mir nachgerade langweilig. Ich schlage vor, die junge Dame erzählt eine Geschichte.
ÂťO, ich weiĂ leider keine,ÂŤ rief Alice, ganz bestĂźrzt Ăźber diese Zumuthung.
Dann soll das Murmelthier erzählen! riefen beide; wache auf, Murmelthier! dabei kniffen sie es von beiden Seiten zugleich.
Das Murmelthier machte langsam die Augen auf. ÂťIch habe nicht geschlafen,ÂŤ sagte es mit heiserer, schwacher Stimme, Âťich habe jedes Wort gehĂśrt, das ihr Jungen gesagt habt.ÂŤ
Erzähle uns eine Geschichte! sagte der Faselhase.
ÂťAch ja, sei so gut!ÂŤ bat Alice.
Und mach schnell, fßgte der Hutmacher hinzu, sonst schläfst du ein, ehe sie zu Ende ist.
ÂťEs waren einmal drei kleine Schwestern,ÂŤ fing das Murmelthier eilig an, Âťdie hieĂen Else, Lacie und Tillie, und sie lebten tief unten in einem Brunnen âÂŤ
ÂťWovon lebten sie?ÂŤ fragte Alice, die sich immer fĂźr Essen und Trinken sehr interessirte.
ÂťSie lebten von Syrup,ÂŤ versetzte das Murmelthier, nachdem es sich eine Minute besonnen hatte.
Das konnten sie ja aber nicht, bemerkte Alice schßchtern, da wären sie ja krank geworden.
ÂťDas wurden sie auch,ÂŤ sagte das Murmelthier, Âťsehr krank.ÂŤ
Alice versuchte es sich vorzustellen, wie eine so auĂergewĂśhnliche Art zu leben wohl sein mĂśchte; aber es kam ihr zu kurios vor, sie muĂte wieder fragen: ÂťAber warum lebten sie unten in dem Brunnen?ÂŤ
ÂťWillst du nicht ein wenig mehr Thee?ÂŤ sagte der Faselhase sehr ernsthaft zu Alice.
ÂťEin wenig mehr? ich habe noch keinen gehabt,ÂŤ antwortete Alice etwas empfindlich, Âťalso kann ich nicht noch mehr trinken.ÂŤ
ÂťDu meinst, du kannst nicht weniger trinken,ÂŤ sagte der Hutmacher: Âťes ist sehr leicht, mehr als keinen zu trinken.ÂŤ
ÂťNiemand hat dich um deine Meinung gefragt,ÂŤ sagte Alice.
ÂťWer macht denn nun persĂśnliche Bemerkungen?ÂŤ rief der Hutmacher triumphirend.
Alice wuĂte nicht recht, was sie darauf antworten sollte; sie nahm sich daher etwas Thee und Butterbrot, und dann wandte sie sich an das Murmelthier und wiederholte ihre Frage: ÂťWarum lebten sie in einem Brunnen?ÂŤ
Das Murmelthier besann sich einen Augenblick und sagte dann: ÂťEs war ein Syrup-Brunnen.ÂŤ
Den giebt es nicht! fing Alice sehr ärgerlich an; aber der Hutmacher und Faselhase machten beide: Sch, sch! und das Murmelthier bemerkte brummend: Wenn du nicht hÜflich sein kannst, kannst du die Geschichte selber auserzählen.
Nein, bitte, erzähle weiter! sagte Alice ganz bescheiden; ich will dich nicht wieder unterbrechen. Es wird wohl einen geben.
ÂťEinen, wirklich!ÂŤ sagte das Murmelthier entrĂźstet. Doch lieĂ es sich zum Weitererzählen bewegen. ÂťAlso die drei kleinen Schwestern â sie lernten zeichnen, mĂźĂt ihr wissen âÂŤ
ÂťWas zeichneten sie?ÂŤ sagte Alice, ihr Versprechen ganz vergessend.
ÂťSyrup,ÂŤ sagte das Murmelthier, diesmal ganz ohne zu Ăźberlegen.
ÂťIch brauche eine reine Tasse,ÂŤ unterbrach der Hutmacher, Âťwir wollen Alle einen Platz rĂźcken.ÂŤ
Er rĂźckte, wie er das sagte, und das Murmelthier folgte ihm; der Faselhase rĂźckte an den Platz des Murmelthiers, und Alice nahm, obgleich etwas ungern, den Platz des Faselhasen ein. Der Hutmacher war der Einzige, der Vortheil von diesem Wechsel hatte, und Alice hatte es viel schlimmer als zuvor, da der Faselhase eben den Milchtopf Ăźber seinen Teller umgestoĂen hatte.
Alice wollte das Murmelthier nicht wieder beleidigen und fing daher sehr vorsichtig an: ÂťAber ich verstehe nicht. Wie konnten sie den Syrup zeichnen?ÂŤ
ÂťAls ob nicht aller Syrup gezeichnet wäre, den man vom Kaufmann holt,ÂŤ sagte der Hutmacher; Âťhast du nicht immer darauf gesehen: feinste Qualität, allerfeinste Qualität, superfeine Qualität â oh, du kleiner Dummkopf?ÂŤ
ÂťWie gesagt,ÂŤ fuhr das Murmelthier fort, Âťlernten sie zeichnen;ÂŤ hier gähnte es und rieb sich die Augen, denn es fing an, sehr schläfrig zu werden; Âťund sie zeichneten Allerlei â Alles was mit M. anfängt âÂŤ
ÂťWarum mit M?ÂŤ fragte Alice.
ÂťWarum nicht?ÂŤ sagte der Faselhase.
Alice war still.
Das Murmelthier hatte mittlerweile die Augen zugemacht, und war halb eingeschlafen; da aber der Hutmacher es zwickte, wachte es mit einem leisen Schrei auf und sprach weiter: â Âťwas mit M anfängt, wie Mausefallen, den Mond, Mangel und manches Mal â ihr wiĂt, man sagt: ich habe das manches liebe Mal gethan â hast du je manches liebe Mal gezeichnet gesehen?ÂŤ
ÂťWirklich, da du mich selbst fragst,ÂŤ sagte Alice ganz verwirrt, Âťich denke kaum âÂŤ
ÂťDann solltest du auch nicht reden,ÂŤ sagte der Hutmacher.
Dies war nachgerade zu grob fĂźr Alice: sie stand ganz beleidigt auf und ging fort; das Murmelthier schlief augenblicklich wieder ein, und die beiden Andern beachteten ihr Fortgehen nicht, obgleich sie sich ein paar Mal umsah, halb in der Hoffnung, daĂ sie sie zurĂźckrufen wĂźrden. Als sie sie zuletzt sah, versuchten sie das Murmelthier in die Theekanne zu stecken.
Auf keinen Fall will ich da je wieder hingehen! sagte Alice, während sie sich einen Weg durch den Wald suchte. Es ist die dßmmste Theegesellschaft, in der ich in meinem ganzen Leben war!

Gerade wie sie so sprach, bemerkte sie, daà einer der Bäume eine kleine Thßr hatte. Das ist hÜchst komisch! dachte sie. Aber Alles ist heute komisch! Ich will lieber gleich hinein gehen.
Wie gesagt, so gethan: und sie befand sich wieder in dem langen Corridor, und dicht bei dem kleinen Glastische. ÂťDiesmal will ich es gescheidter anfangen,ÂŤ sagte sie zu sich selbst, nahm das goldne SchlĂźsselchen und schloĂ die ThĂźr auf, die in den Garten fĂźhrte. Sie machte sich daran, an dem Pilz zu knabbern (sie hatte ein StĂźckchen in ihrer Tasche behalten), bis sie ungefähr einen FuĂ hoch war, dann ging sie den kleinen Gang hinunter; und dann â war sie endlich in dem schĂśnen Garten, unter den prunkenden Blumenbeeten und kĂźhlen Springbrunnen.
Kapitel 8: Das Croquetfeld der KĂśnigin
Ein groĂer hochstämmiger Rosenstrauch stand nahe bei’m Eingang; die Rosen, die darauf wuchsen, waren weiĂ, aber drei Gärtner waren damit beschäftigt, sie roth zu malen. Alice kam dies wunderbar vor, und da sie näher hinzutrat, um ihnen zuzusehen, hĂśrte sie einen von ihnen sagen: ÂťNimm dich in Acht, FĂźnf! Bespritze mich nicht so mit Farbe!ÂŤ
ÂťIch konnte nicht dafĂźr,ÂŤ sagte FĂźnf in verdrieĂlichem Tone; ÂťSieben hat mich an den Ellbogen gestoĂen.ÂŤ
Worauf Sieben aufsah und sagte: ÂťRecht so, FĂźnf! Schiebe immer die Schuld auf andre Leute!ÂŤ
ÂťDu sei nur ganz still!ÂŤ sagte FĂźnf. ÂťGestern erst hĂśrte ich die KĂśnigin sagen, du verdientest gekĂśpft zu werden!ÂŤ
ÂťWofĂźr?ÂŤ fragte der, welcher zuerst gesprochen hatte.
ÂťDas geht dich nichts an, Zwei!ÂŤ sagte Sieben.
ÂťJa, es geht ihn an!ÂŤ sagte FĂźnf, Âťund ich werde es ihm sagen â dafĂźr, daĂ er dem Koch Tulpenzwiebeln statt KĂźchenzwiebeln gebracht hat.ÂŤ

Sieben warf seinen Pinsel hin und hatte eben angefangen: ÂťIst je eine ungerechtere Anschuldigung âÂŤ als sein Auge zufällig auf Alice fiel, die ihnen zuhĂśrte; er hielt plĂśtzlich inne, die andern sahen sich auch um, und sie verbeugten sich Alle tief.
ÂťWollen Sie so gut sein, mir zu sagen,ÂŤ sprach Alice etwas furchtsam, Âťwarum Sie diese Rosen malen?ÂŤ
FĂźnf und Sieben antworteten nichts, sahen aber Zwei an. Zwei fing mit leiser Stimme an: ÂťDie Wahrheit zu gestehen, Fräulein, dies hätte hier ein rother Rosenstrauch sein sollen, und wir haben aus Versehen einen weiĂen gepflanzt, und wenn die KĂśnigin es gewahr wĂźrde, wĂźrden wir Alle gekĂśpft werden, mĂźssen Sie wissen. So, sehen Sie Fräulein, versuchen wir, so gut es geht, ehe sie kommt âÂŤ In dem Augenblick rief FĂźnf, der ängstlich tiefer in den Garten hinein gesehen hatte: ÂťDie KĂśnigin! die KĂśnigin!ÂŤ und die drei Gärtner warfen sich sogleich flach auf’s Gesicht. Es entstand ein Geräusch von vielen Schritten, und Alice blickte neugierig hin, die KĂśnigin zu sehen.
Zuerst kamen zehn Soldaten, mit Keulen bewaffnet, sie hatten alle dieselbe Gestalt wie die Gärtner, rechteckig und flach, und an den vier Ecken die Hände und FĂźĂe; danach kamen zehn Herren vom Hofe, sie waren Ăźber und Ăźber mit Diamanten bedeckt und gingen paarweise, wie die Soldaten. Nach diesen kamen die kĂśniglichen Kinder, es waren ihrer zehn, und die lieben Kleinen kamen lustig gesprungen Hand in Hand, paarweise, sie waren ganz mit Herzen geschmĂźckt. Darauf kamen die Gäste, meist KĂśnige und KĂśniginnen, und unter ihnen erkannte Alice das weiĂe Kaninchen; es unterhielt sich in etwas eiliger und aufgeregter Weise, lächelte bei Allem, was gesagt wurde und ging vorbei, ohne sie zu bemerken. Darauf folgte der Coeur-Bube, der die kĂśnigliche Krone auf einem rothen Sammetkissen trug, und zuletzt in diesem groĂartigen Zuge kamen der HerzenskĂśnig und die HerzenskĂśnigin.
Alice wuĂte nicht recht, ob sie sich nicht flach auf’s Gesicht legen mĂźsse, wie die drei Gärtner; aber sie konnte sich nicht erinnern, je von einer solchen Sitte bei FestzĂźgen gehĂśrt zu haben. ÂťUnd auĂerdem, wozu gäbe es Ăźberhaupt AufzĂźge,ÂŤ dachte sie, Âťwenn alle Leute flach auf dem Gesichte liegen mĂźĂten, so daĂ sie sie nicht sehen kĂśnnten?ÂŤ Sie blieb also stehen, wo sie war, und wartete.
Als der Zug bei ihr angekommen war, blieben Alle stehen und sahen sie an, und die KĂśnigin sagte strenge: ÂťWer ist das?ÂŤ Sie hatte den Coeur-Buben gefragt, der statt aller Antwort nur lächelte und KratzfĂźĂe machte.
ÂťSchafskopf!ÂŤ sagte die KĂśnigin, den Kopf ungeduldig zurĂźckwerfend; und zu Alice gewandt fuhr sie fort: ÂťWie heiĂt du, Kind?ÂŤ

Mein Name ist Alice, Euer Majestät zu dienen! sagte Alice sehr hÜflich; aber sie dachte bei sich: Ach was, es ist ja nur ein Pack Karten. Ich brauche mich nicht vor ihnen zu fßrchten!
Und wer sind diese drei? fuhr die KÜnigin fort, indem sie auf die drei Gärtner zeigte, die um den Rosenstrauch lagen; denn natßrlich, da sie auf dem Gesichte lagen und das Muster auf ihrer Rßckseite dasselbe war wie fßr das ganze Pack, so konnte sie nicht wissen, ob es Gärtner oder Soldaten oder Herren vom Hofe oder drei von ihren eigenen Kindern waren.
ÂťWoher soll ich das wissen?ÂŤ sagte Alice, indem sie sich selbst Ăźber ihren Muth wunderte. ÂťEs ist nicht meines Amtes.ÂŤ
Die KĂśnigin wurde purpurroth vor Wuth, und nachdem sie sie einen Augenblick wie ein wildes Thier angestarrt hatte, fing sie an zu brĂźllen: ÂťIhren Kopf ab! ihren Kopf âÂŤ
ÂťUnsinn!ÂŤ sagte Alice sehr laut und bestimmt, und die KĂśnigin war still.
Der KĂśnig legte seine Hand auf ihren Arm und sagte milde: ÂťBedenke, meine Liebe, es ist nur ein Kind!ÂŤ
Die KĂśnigin wandte sich ärgerlich von ihm ab und sagte zu dem Buben: ÂťDreh’ sie um!ÂŤ
Der Bube that es, sehr sorgfältig, mit einem FuĂe.
Steht auf! schrie die KÜnigin mit durchdringender Stimme, und die drei Gärtner sprangen sogleich auf und fingen an sich zu verneigen vor dem KÜnig, der KÜnigin, den kÜniglichen Kindern, und Jedermann.
ÂťLaĂt das sein!ÂŤ eiferte die KĂśnigin. ÂťIhr macht mich schwindlig.ÂŤ Und dann, sich nach dem Rosenstrauch umdrehend, fuhr sie fort: ÂťWas habt ihr hier gethan?ÂŤ
ÂťEuer Majestät zu dienen,ÂŤ sagte Zwei in sehr demĂźthigem Tone und sich auf ein Knie niederlassend, Âťwir haben versucht âÂŤ
Ich sehe! sagte die KÜnigin, die unterdessen die Rosen untersucht hatte. Ihre KÜpfe ab! und der Zug bewegte sich fort, während drei von den Soldaten zurßckblieben um die unglßcklichen Gärtner zu enthaupten, welche zu Alice liefen und sie um Schutz baten.
ÂťIhr sollt nicht getĂśdtet werden!ÂŤ sagte Alice, und damit steckte sie sie in einen groĂen Blumentopf, der in der Nähe stand. Die drei Soldaten gingen ein Weilchen hier- und dorthin, um sie zu suchen, und dann schlossen sie sich ruhig wieder den Andern an.
ÂťSind ihre KĂśpfe gefallen?ÂŤ schrie die KĂśnigin sie an.
Ihre KÜpfe sind fort, zu Euer Majestät Befehl! schrien die Soldaten als Antwort.
ÂťDas ist gut!ÂŤ schrie die KĂśnigin. ÂťKannst du Croquet spielen?ÂŤ
Die Soldaten waren still und sahen Alice an, da die Frage augenscheinlich an sie gerichtet war.
ÂťJa!ÂŤ schrie Alice.
ÂťDann komm mit!ÂŤ brĂźllte die KĂśnigin, und Alice schloĂ sich dem Zuge an, sehr neugierig, was nun geschehen werde.
ÂťEs ist â es ist ein sehr schĂśner Tag!ÂŤ sagte eine schĂźchterne Stimme neben ihr. Sie ging neben dem weiĂen Kaninchen, das ihr ängstlich in’s Gesicht sah.
ÂťSehr,ÂŤ sagte Alice; â Âťwo ist die Herzogin?ÂŤ
ÂťStill! still!ÂŤ sagte das Kaninchen in einem leisen, schnellen Tone. Es sah dabei ängstlich Ăźber seine Schulter, stellte sich dann auf die Zehen, hielt den Mund dicht an Alice’s Ohr und wisperte: ÂťSie ist zum Tode verurtheilt.ÂŤ
ÂťWofĂźr?ÂŤ fragte diese.
ÂťSagtest du: wie Schade?ÂŤ fragte das Kaninchen.
ÂťNein, das sagte ich nicht,ÂŤ sagte Alice, Âťich finde gar nicht, daĂ es Schade ist. Ich sagte: wofĂźr?ÂŤ
ÂťSie hat der KĂśnigin eine Ohrfeige gegeben âÂŤ fing das Kaninchen an. Alice lachte hĂśrbar. ÂťOh still!ÂŤ flĂźsterte das Kaninchen in sehr erschreckten Tone. ÂťDie KĂśnigin wird dich hĂśren! Sie kam nämlich etwas spät, und die KĂśnigin sagte âÂŤ
Macht, daà ihr an eure Plätze kommt! donnerte die KÜnigin, und Alle fingen an in allen Richtungen durcheinander zu laufen, wobei sie Einer ßber den Andern stolperten; jedoch nach ein bis zwei Minuten waren sie in Ordnung, und das Spiel fing an.

Alice dachte bei sich, ein so merkwĂźrdiges Croquet-Feld habe sie in ihrem Leben nicht gesehen; es war voller ErhĂśhungen und Furchen, die Kugeln waren lebendige Igel, und die Schlägel lebendige Flamingos, und die Soldaten muĂten sich umbiegen und auf Händen und FĂźĂen stehen, um die Bogen zu bilden.
Die Hauptschwierigkeit, die Alice zuerst fand, war, den Flamingo zu handhaben; sie konnte zwar ziemlich bequem seinen KĂśrper unter ihrem Arme festhalten, so daĂ die FĂźĂe herunterhingen, aber wenn sie eben seinen Hals schĂśn ausgestreckt hatte, und dem Igel nun einen Schlag mit seinem Kopf geben wollte, so richtete er sich auf und sah ihr mit einem so verdutzten Ausdruck in’s Gesicht, daĂ sie sich nicht enthalten konnte laut zu lachen. Wenn sie nun seinen Kopf herunter gebogen hatte und eben wieder anfangen wollte zu spielen, so fand sie zu ihrem groĂen VerdruĂ, daĂ der Igel sich aufgerollt hatte und eben fortkroch; auĂerdem war gewĂśhnlich eine ErhĂśhung oder eine Furche gerade da im Wege, wo sie den Igel hinrollen wollte, und da die umgebogenen Soldaten fortwährend aufstanden und an eine andere Stelle des Grasplatzes gingen, so kam Alice bald zu der Ueberzeugung, daĂ es wirklich ein sehr schweres Spiel sei.
Die Spieler spielten Alle zugleich, ohne zu warten, bis sie an der Reihe waren; dabei stritten sie sich immerfort und zankten um die Igel, und in sehr kurzer Zeit war die KĂśnigin in der heftigsten Wuth, stampfte mit den FĂźĂen und schrie: ÂťSchlagt ihr den Kopf ab!ÂŤ ungefähr ein Mal jede Minute.
Alice fing an, sich sehr unbehaglich zu fĂźhlen, sie hatte zwar noch keinen Streit mit der KĂśnigin gehabt, aber sie wuĂte, daĂ sie keinen Augenblick sicher davor war, Âťund was,ÂŤ dachte sie, ÂťwĂźrde dann aus mir werden? die Leute hier scheinen schrecklich gern zu kĂśpfen; es ist das grĂśĂte Wunder, daĂ Ăźberhaupt noch welche am Leben geblieben sind!ÂŤ Sie sah sich nach einem Ausgange um und Ăźberlegte, ob sie sich wohl ohne gesehen zu werden, fortschleichen kĂśnne, als sie eine merkwĂźrdige Erscheinung in der Luft wahrnahm: sie schien ihr zuerst ganz räthselhaft, aber nachdem sie sie ein Paar Minuten beobachtet hatte, erkannte sie, daĂ es ein Grinsen war, und sagte bei sich: ÂťEs ist die Grinse-Katze; jetzt werde ich Jemand haben, mit dem ich sprechen kann.ÂŤ
ÂťWie geht es dir?ÂŤ sagte die Katze, sobald Mund genug da war, um damit zu sprechen.
Alice wartete, bis die Augen erschienen, und nickte ihr zu. Es nßtzt nichts mit ihr zu reden, dachte sie, bis ihre Ohren gekommen sind, oder wenigstens eins. Den nächsten Augenblick erschien der ganze Kopf; da setzte Alice ihren Flamingo nieder und fing ihren Bericht von dem Spiele an, sehr froh, daà sie Jemand zum ZuhÜren hatte. Die Katze schien zu glauben, daà jetzt genug von ihr sichtbar sei, und es erschien weiter nichts.
ÂťIch glaube, sie spielen gar nicht gerecht,ÂŤ fing Alice in etwas klagendem Tone an, Âťund sie zanken sich Alle so entsetzlich, daĂ man sein eigenes Wort nicht hĂśren kann â und dann haben sie gar keine Spielregeln, wenigstens wenn sie welche haben, so beobachtet sie Niemand â und du hast keine Idee, wie es Einen verwirrt, daĂ alle Croquet-Sachen lebendig sind; zum Beispiel da ist der Bogen, durch den ich das nächste Mal spielen muĂ, und geht am andern Ende des Grasplatzes spazieren â und ich hätte den Igel der KĂśnigin noch eben treffen kĂśnnen, nur daĂ er fortrannte, als er meinen kommen sah!ÂŤ
Wie gefällt dir die KÜnigin? fragte die Katze leise.
ÂťGanz und gar nicht,ÂŤ sagte Alice, Âťsie hat so sehr viel âÂŤ da bemerkte sie eben, daĂ die KĂśnigin dicht hinter ihr war und zuhĂśrte, also setzte sie hinzu: ÂťAussicht zu gewinnen, daĂ es kaum der MĂźhe werth ist, das Spiel auszuspielen.ÂŤ
Die KÜnigin lächelte und ging weiter.
ÂťMit wem redest du da?ÂŤ sagte der KĂśnig, indem er an Alice herantrat und mit groĂer Neugierde den Katzenkopf ansah.
ÂťEs ist einer meiner Freunde â ein Grinse-Kater,ÂŤ sagte Alice; Âťerlauben Eure Majestät, daĂ ich ihn Ihnen vorstelle.ÂŤ
Sein Aussehen gefällt mir gar nicht, sagte der KÜnig; er mag mir jedoch die Hand kßssen, wenn er will.
ÂťO, lieber nicht!ÂŤ versetzte der Kater.
ÂťSei nicht so impertinent,ÂŤ sagte der KĂśnig, Âťund sieh mich nicht so an!ÂŤ Er stellte sich hinter Alice, als er dies sagte.
ÂťDer Kater sieht den KĂśnig an, der KĂśnig sieht den Kater an,ÂŤ sagte Alice, Âťdas habe ich irgendwo gelesen, ich weiĂ nur nicht mehr wo.ÂŤ
ÂťFort muĂ er,ÂŤ sagte der KĂśnig sehr entschieden, und rief der KĂśnigin zu, die gerade vorbeiging: ÂťMeine Liebe! ich wollte, du lieĂest diesen Kater fortschaffen!ÂŤ
Die KĂśnigin kannte nur eine Art, alle Schwierigkeiten, groĂe und kleine, zu beseitigen. ÂťSchlagt ihm den Kopf ab!ÂŤ sagte sie, ohne sich einmal umzusehen.
ÂťIch werde den Henker selbst holen,ÂŤ sagte der KĂśnig eifrig und eilte fort.
Alice dachte, sie wollte lieber zurĂźck gehen und sehen, wie es mit dem Spiele stehe, da sie in der Entfernung die Stimme der KĂśnigin hĂśrte, die vor Wuth auĂer sich war. Sie hatte sie schon drei Spieler zum Tode verurtheilen hĂśren, weil sie ihre Reihe verfehlt hatten, und der Stand der Dinge behagte ihr gar nicht, da das Spiel in solcher Verwirrung war, daĂ sie nie wuĂte, ob sie an der Reihe sei oder nicht. Sie ging also, sich nach ihrem Igel umzusehen.

Der Igel war im Kampfe mit einem andern Igel, was Alice eine vortreffliche Gelegenheit schien, einen mit dem andern zu treffen; die einzige Schwierigkeit war, daĂ ihr Flamingo nach dem andern Ende des Gartens gegangen war, wo Alice eben sehen konnte, wie er hĂśchst ungeschickt versuchte, auf einen Baum zu fliegen.
Als sie den Flamingo gefangen und zurĂźckgebracht hatte, war der Kampf vorĂźber und die beiden Igel nirgends zu sehen. ÂťAber es kommt nicht drauf an,ÂŤ dachte Alice, Âťda alle Bogen auf dieser Seite des Grasplatzes fortgegangen sind.ÂŤ Sie steckte also ihren Flamingo unter den Arm, damit er nicht wieder fortliefe, und ging zurĂźck, um mit ihrem Freunde weiter zu schwatzen.
Als sie zum Cheshire-Kater zurĂźck kam, war sie sehr erstaunt, einen groĂen Auflauf um ihn versammelt zu sehen: es fand ein groĂer Wortwechsel statt zwischen dem Henker, dem KĂśnige und der KĂśnigin, welche alle drei zugleich sprachen, während die Uebrigen ganz still waren und sehr ängstlich aussahen.
Sobald Alice erschien, wurde sie von allen dreien aufgefordert, den streitigen Punkt zu entscheiden, und sie wiederholten ihr ihre BeweisgrĂźnde, obgleich, da alle zugleich sprachen, man kaum verstehen konnte, was jeder Einzelne sagte.

Der Henker behauptete, daĂ man keinen Kopf abschneiden kĂśnne, wo kein KĂśrper sei, von dem man ihn abschneiden kĂśnne; daĂ er so etwas noch nie gethan habe, und jetzt Ăźber die Jahre hinaus sei, wo man etwas Neues lerne.
Der KĂśnig behauptete, daĂ Alles, was einen Kopf habe, gekĂśpft werden kĂśnne, und daĂ man nicht so viel Unsinn schwatzen solle.
Die KÜnigin behauptete, daà wenn nicht in weniger als keiner Frist etwas geschehe, sie die ganze Gesellschaft wßrde kÜpfen lassen. (Diese letztere Bemerkung hatte der Versammlung ein so ernstes und ängstliches Aussehen gegeben.)
Alice wuĂte nichts Besseres zu sagen als: “Er gehĂśrt der Herzogin, es wäre am besten sie zu fragen.”
“Sie ist im Gefängnis,” sagte die KĂśnigin zum Henker, “hole sie her.” Und der Henker lief davon wie ein Pfeil.
Da wurde der Kopf des Katers undeutlicher und undeutlicher; und gerade in dem Augenblicke, als der Henker mit der Herzogin zurßck kam, verschwand er gänzlich; der KÜnig und der Henker liefen ganz wild umher, ihn zu suchen, während die ßbrige Gesellschaft zum Spiele zurßckging.
Kapitel 9: Die Geschichte der falschen SchildkrĂśte
ÂťDu kannst dir gar nicht denken, wie froh ich bin, dich wieder zu sehen, du liebes altes Herz!ÂŤ sagte die Herzogin, indem sie Alice liebevoll unterfaĂte, und beide zusammen fortspazierten.
Alice war sehr froh, sie bei so guter Laune zu finden, und dachte bei sich, es wäre vielleicht nur der Pfeffer, der sie so bĂśse gemacht habe, als sie sich zuerst in der KĂźche trafen. ÂťWenn ich Herzogin bin,ÂŤ sagte sie fĂźr sich (doch nicht in sehr hoffnungsvollem Tone), Âťwill ich gar keinen Pfeffer in meiner KĂźche dulden. Suppe schmeckt sehr gut ohne â Am Ende ist es immer Pfeffer, der die Leute heftig macht,ÂŤ sprach sie weiter, sehr glĂźcklich, eine neue Art Regel erfunden zu haben, Âťund Essig, der sie sauertĂśpfisch macht â und Kamillenthee, der sie bitter macht â und Gerstenzucker und dergleichen, was Kinder zuckersßà macht. Ich wĂźnschte nur, die groĂen Leute wĂźĂten das, dann wĂźrden sie nicht so sparsam damit sein âÂŤ
Sie hatte unterdessen die Herzogin ganz vergessen und schrak fĂśrmlich zusammen, als sie deren Stimme dicht an ihrem Ohre hĂśrte. ÂťDu denkst an etwas, meine Liebe, und vergiĂt darĂźber zu sprechen. Ich kann dir diesen Augenblick nicht sagen, was die Moral davon ist, aber es wird mir gleich einfallen.ÂŤ
ÂťVielleicht hat es keine,ÂŤ hatte Alice den Muth zu sagen.
Still, still, Kind! sagte die Herzogin. Alles hat seine Moral, wenn man sie nur finden kann. Dabei drängte sie sich dichter an Alice heran.
Alice mochte es durchaus nicht gern, daĂ sie ihr so nahe kam: erstens, weil die Herzogin sehr häĂlich war, und zweitens, weil sie gerade groĂ genug war, um ihr Kinn auf Alice’s Schulter zu stĂźtzen, und es war ein unangenehm spitzes Kinn. Da sie aber nicht gern unhĂśflich sein wollte, so ertrug sie es, so gut sie konnte.
ÂťDas Spiel ist jetzt besser im Gange,ÂŤ sagte sie, um die Unterhaltung fortzufĂźhren.

ÂťSo ist es,ÂŤ sagte die Herzogin, Âťund die Moral davon ist â Mit Liebe und Gesange hält man die Welt im Gange!ÂŤ
ÂťWer sagte denn,ÂŤ flĂźsterte Alice, Âťes geschehe dadurch, daĂ Jeder vor seiner ThĂźre fege.ÂŤ
ÂťAh, sehr gut, das bedeutet ungefähr dasselbe,ÂŤ sagte die Herzogin, und indem sie ihr spitzes kleines Kinn in Alice’s Schulter einbohrte, fĂźgte sie hinzu Âťund die Moral davon ist â So viel KĂśpfe, so viel Sinne.ÂŤ
ÂťWie gern sie die Moral von Allem findet!ÂŤ dachte Alice bei sich.
ÂťDu wunderst dich wahrscheinlich, warum ich meinen Arm nicht um deinen Hals lege,ÂŤ sagte die Herzogin nach einer Pause; Âťdie Wahrheit zu gestehen, ich traue der Laune deines Flamingos nicht ganz. Soll ich es versuchen?ÂŤ
ÂťEr kĂśnnte beiĂen,ÂŤ erwiderte Alice weislich, da sie sich keineswegs danach sehnte, das Experiment zu versuchen.
ÂťSehr wahr,ÂŤ sagte die Herzogin, ÂťFlamingos und Senf beiĂen beide. Und die Moral davon ist: Gleich und Gleich gesellt sich gern.ÂŤ
ÂťAber der Flamingo ist ja ein Vogel und Senf ist kein Vogel,ÂŤ wandte Alice ein.
ÂťGanz recht, wie immer,ÂŤ sagte die Herzogin, Âťwie deutlich du Alles ausdrĂźcken kannst.ÂŤ
ÂťEs ist, glaube ich, ein Mineral,ÂŤ sagte Alice.
ÂťVersteht sich,ÂŤ sagte die Herzogin, die Allem, was Alice sagte, beizustimmen schien, Âťin dem groĂen Senf-Bergwerk hier in der Gegend sind ganz vorzĂźglich gute Minen. Und die Moral davon ist, daĂ wir gute Miene zum bĂśsen Spiel machen mĂźssen.ÂŤ
ÂťO, ich weiĂ!ÂŤ rief Alice aus, die die letzte Bemerkung ganz ĂźberhĂśrt hatte, Âťes ist eine Pflanze. Es sieht nicht so aus, aber es ist eine.ÂŤ
ÂťIch stimme dir vollkommen bei,ÂŤ sagte die Herzogin, Âťund die Moral davon ist: Sei was du zu scheinen wĂźnschest! â oder einfacher ausgedrĂźckt: Bilde dir nie ein verschieden von dem zu sein was Anderen erscheint daĂ was du warest oder gewesen sein mĂśchtest nicht verschieden von dem war daĂ was du gewesen warest ihnen erschienen wäre als wäre es verschieden.ÂŤ
Ich glaube, ich wßrde das besser verstehen, sagte Alice sehr hÜflich, wenn ich es aufgeschrieben hätte; ich kann nicht ganz folgen, wenn Sie es sagen.
ÂťDas ist noch gar nichts dagegen, was ich sagen kĂśnnte, wenn ich wollte,ÂŤ antwortete die Herzogin in selbstzufriedenem Tone.
Bitte, bemßhen Sie sich nicht, es noch länger zu sagen! sagte Alice.
ÂťO, sprich nicht von MĂźhe!ÂŤ sagte die Herzogin, Âťich will dir Alles, was ich bis jetzt gesagt habe, schenken.ÂŤ
ÂťEine wohlfeile Art Geschenke!ÂŤ dachte Alice, Âťich bin froh, daĂ man nicht solche Geburtstagsgeschenke macht!ÂŤ Aber sie getraute sich nicht, es laut zu sagen.
ÂťWieder in Gedanken?ÂŤ fragte die Herzogin und grub ihr spitzes kleines Kinn tiefer ein.
ÂťIch habe das Recht, in Gedanken zu sein, wenn ich will,ÂŤ sagte Alice gereizt, denn die Unterhaltung fing an, ihr langweilig zu werden.
ÂťGerade so viel Recht,ÂŤ sagte die Herzogin, Âťwie Ferkel zum Fliegen, und die M âÂŤ
Aber, zu Alice’s groĂem Erstaunen stockte hier die Stimme der Herzogin, und zwar mitten in ihrem Lieblingsworte ÂťMoralÂŤ, und der Arm, der in dem ihrigen ruhte, fing an zu zittern. Alice sah auf, und da stand die KĂśnigin vor ihnen, mit Ăźber der Brust gekreuzten Armen, schwarzblickend wie ein Gewitter.
Ein schÜner Tag, Majestät! fing die Herzogin mit leiser schwacher Stimme an.
ÂťIch will Sie schĂśn gewarnt haben,ÂŤ schrie die KĂśnigin und stampfte dabei mit dem FuĂe: ÂťFort augenblicklich, entweder mit Ihnen oder mit Ihrem Kopfe! Wählen Sie!ÂŤ
Die Herzogin wählte und verschwand eilig.
ÂťWir wollen weiter spielen,ÂŤ sagte die KĂśnigin zu Alice, und diese, viel zu erschrocken, ein Wort zu erwiedern, folgte ihr langsam nach dem Croquet-Felde.
Die ßbrigen Gäste hatten die Abwesenheit der KÜnigin benutzt, um im Schatten auszuruhen; sobald sie sie jedoch kommen sahen, eilten sie augenblicklich zum Spiele zurßck, indem die KÜnigin einfach bemerkte, daà eine Minute Verzug ihnen das Leben kosten wßrde.
Die ganze Zeit, wo sie spielten, hĂśrte die KĂśnigin nicht auf, mit den andern Spielern zu zanken und zu schreien: ÂťSchlagt ihm den Kopf ab!ÂŤ oder: ÂťSchlagt ihr den Kopf ab!ÂŤ Diejenigen, welche sie verurtheilt hatte, wurden von den Soldaten in Verwahrsam gefĂźhrt, die natĂźrlich dann aufhĂśren muĂten, die Bogen zu bilden, so daĂ nach ungefähr einer halben Stunde keine Bogen mehr Ăźbrig waren, und alle Spieler, auĂer dem KĂśnige, der KĂśnigin und Alice, in Verwahrsam und zum Tode verurtheilt waren.
Da hĂśrte die KĂśnigin, ganz auĂer Athem, auf, und sagte zu Alice: ÂťHast du die Falsche SchildkrĂśte schon gesehen?ÂŤ
ÂťNein,ÂŤ sagte Alice. ÂťIch weiĂ nicht einmal, was eine Falsche SchildkrĂśte ist.ÂŤ
ÂťEs ist das, woraus falsche SchildkrĂśtensuppe gemacht wird,ÂŤ sagte die KĂśnigin.
ÂťIch habe weder eine gesehen, noch von einer gehĂśrt,ÂŤ sagte Alice.
Komm schnell, sagte die KÜnigin, sie soll dir ihre Geschichte erzählen.
Als sie mit einander fortgingen, hĂśrte Alice den KĂśnig leise zu der ganzen Versammlung sagen: ÂťIhr seid Alle begnadigt!ÂŤ ÂťAch, das ist ein GlĂźck!ÂŤ sagte sie fĂźr sich, denn sie war Ăźber die vielen Enthauptungen, welche die KĂśnigin angeordnet hatte, ganz auĂer sich gewesen.
Sie kamen bald zu einem Greifen, der in der Sonne lag und schlief. (Wenn ihr nicht wiĂt, was ein Greif ist, seht euch das Bild an.) ÂťAuf, du Faulpelz,ÂŤ sagte die KĂśnigin, Âťund bringe dies kleine Fräulein zu der falschen SchildkrĂśte, sie mĂśchte gern ihre Geschichte hĂśren. Ich muĂ zurĂźck und nach einigen Hinrichtungen sehen, die ich angeordnet habe;ÂŤ damit ging sie fort und lieĂ Alice mit dem Greifen allein. Der Anblick des Thieres gefiel Alice nicht recht; aber im Ganzen genommen, dachte sie, wĂźrde es eben so sicher sein, bei ihm zu bleiben, als dieser grausamen KĂśnigin zu folgen, sie wartete also.

Der Greif richtete sich auf und rieb sich die Augen: darauf sah er der KĂśnigin nach, bis sie verschwunden war; dann schĂźttelte er sich. ÂťEin kĂśstlicher SpaĂ!ÂŤ sagte der Greif, halb zu sich selbst, halb zu Alice.
ÂťWas ist ein SpaĂ?ÂŤ fragte Alice.
ÂťSie,ÂŤ sagte der Greif. ÂťEs ist Alles ihre Einbildung, das: Niemand wird niemals nicht hingerichtet. Komm schnell.ÂŤ
ÂťJeder sagte hier, komm schnell,ÂŤ dachte Alice, indem sie ihm langsam nachging, Âťso viel bin ich in meinem Leben nicht hin und her kommandirt worden, nein, in meinem ganzen Leben nicht!ÂŤ
Sie brauchten nicht weit zu gehen, als sie schon die falsche SchildkrĂśte in der Entfernung sahen, wie sie einsam und traurig auf einem Felsenriffe saĂ; und als sie näher kamen, hĂśrte Alice sie seufzen, als ob ihr das Herz brechen wollte. Sie bedauerte sie herzlich. ÂťWas fĂźr einen Kummer hat sie?ÂŤ fragte sie den Greifen, und der Greif antwortete, fast in denselben Worten wie zuvor: ÂťEs ist Alles ihre Einbildung, das; sie hat keinen Kummer nicht. Komm schnell.ÂŤ
Sie gingen also an die falsche SchildkrÜte heran, die sie mit thränenschweren Augen anblickte, aber nichts sagte.
ÂťDie kleine Mamsell hier,ÂŤ sprach der Greif, Âťsie sagt, sie mĂśchte gern deine Geschichte wissen, sagt sie.ÂŤ
Ich will sie ihr erzählen, sprach die falsche SchildkrÜte mit tiefer, hohler Stimme; setzt euch beide her und sprecht kein Wort, bis ich fertig bin.
Gut, sie setzten sich hin und Keiner sprach mehre Minuten lang. Alice dachte bei sich: Ich begreife nicht, wie sie je fertig werden kann, wenn sie nicht anfängt. Aber sie wartete geduldig.
ÂťEinst,ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte endlich mit einem tiefen Seufzer, Âťwar ich eine wirkliche SchildkrĂśte.ÂŤ

Auf diese Worte folgte ein sehr langes Schweigen, nur hin und wieder unterbrochen durch den Ausruf des Greifen Hjckrrh! und durch das heftige Schluchzen der falschen SchildkrÜte. Alice wäre beinah aufgestanden und hätte gesagt: Danke sehr fßr die interessante Geschichte! aber sie konnte nicht umhin zu denken, daà doch noch etwas kommen mßsse; daher blieb sie sitzen und sagte nichts.
ÂťAls wir klein waren,ÂŤ sprach die falsche SchildkrĂśte endlich weiter, und zwar ruhiger, obgleich sie noch hin und wieder schluchzte, Âťgingen wir zur Schule in der See. Die Lehrerin war eine alte SchildkrĂśte â wir nannten sie Mamsell Schalthier âÂŤ
ÂťWarum nanntet ihr sie Mamsell Schalthier?ÂŤ fragte Alice.
Sie schalt hier oder sie schalt da alle Tage, darum, sagte die falsche SchildkrÜte ärgerlich; du bist wirklich sehr dumm.
ÂťDu solltest dich schämen, eine so dumme Frage zu thun,ÂŤ setzte der Greif hinzu, und dann saĂen beide und sahen schweigend die arme Alice an, die in die Erde hätte sinken mĂśgen. Endlich sagte der Greif zu der falschen SchildkrĂśte: ÂťFahr’ zu, alte Kutsche! LaĂ uns nicht den ganzen Tag warten!ÂŤ Und sie fuhr in folgenden Worten fort:
ÂťJa, wir gingen zur Schule, in der See, ob ihr es glaubt oder nicht âÂŤ
ÂťIch habe nicht gesagt, daĂ ich es nicht glaubte,ÂŤ unterbrach sie Alice.
ÂťJa, das hast du,ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte.
ÂťHalt’ den Mund!ÂŤ fĂźgte der Greif hinzu, ehe Alice antworten konnte. Die falsche SchildkrĂśte fuhr fort.
ÂťWir gingen in die allerbeste Schule; wir hatten vier und zwanzig Stunden regelmäĂig jeden Tag.ÂŤ
ÂťDas haben wir auf dem Lande auch,ÂŤ sagte Alice, Âťdarauf brauchst du dir nicht so viel einzubilden.ÂŤ
ÂťHabt ihr auch Privatstunden auĂerdem?ÂŤ fragte die falsche SchildkrĂśte etwas kleinlaut.
ÂťJa,ÂŤ sagte Alice, ÂťFranzĂśsisch und Klavier.ÂŤ
Und Wäsche? sagte die falsche SchildkrÜte.
Ich dächte gar! sagte Alice entrßstet.
ÂťAh! dann gehst du in keine wirklich gute Schule,ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte sehr beruhigt. ÂťIn unserer Schule stand immer am Ende der Rechnung, ÂťFranzĂśsisch, Klavierspielen, Wäsche â extra.ÂŤ
ÂťDas kĂśnnt ihr nicht sehr nĂśthig gehabt haben,ÂŤ sagte Alice, Âťwenn ihr auf dem Grunde des Meeres wohntet.ÂŤ
ÂťIch konnte keine Privatstunden bezahlen,ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte mit einem Seufzer. ÂťIch nahm nur den regelmäĂigen Unterricht.ÂŤ
ÂťUnd was war das?ÂŤ fragte Alice.
ÂťLegen und Treiben, natĂźrlich, zu allererst,ÂŤ erwiederte die falsche SchildkrĂśte; Âťund dann die vier Abtheilungen vom Rechnen: Zusehen, Abziehen, VervielfraĂen und Stehlen.ÂŤ
ÂťIch habe nie von VervielfraĂen gehĂśrt,ÂŤ warf Alice ein. ÂťWas ist das?ÂŤ
Der Greif erhob beide Klauen voller Verwunderung. ÂťNie von VervielfraĂen gehĂśrt!ÂŤ rief er aus. ÂťDu weiĂt, was Verhungern ist? vermuthe ich.ÂŤ
ÂťJa,ÂŤ sagte Alice unsicher, Âťes heiĂt â nichts â essen â und davon â sterben.ÂŤ
ÂťNun,ÂŤ fuhr der Greif fort, Âťwenn du nicht verstehst, was VervielfraĂen ist, dann bist du ein Pinsel.ÂŤ
Alice hatte allen Muth verloren, sich weiter danach zu erkundigen, und wandte sich daher an die falsche SchildkrĂśte mit der Frage: ÂťWas hattet ihr sonst noch zu lernen?ÂŤ
ÂťNun, erstens Gewichte,ÂŤ erwiederte die falsche SchildkrĂśte, indem sie die Gegenstände an den Pfoten aufzählte, ÂťGewichte, alte und neue, mit Seeographie; dann Springen â der Springelehrer war ein alter Stockfisch, der ein Mal wĂśchentlich zu kommen pflegte, er lehrte uns Pfoten Reiben und Unarten, meerschwimmig Springen, Schillern und Imponiren.ÂŤ
ÂťWie war denn das?ÂŤ fragte Alice.
ÂťIch kann es dir nicht selbst zeigen,ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte, Âťich bin zu steif. Und der Greif hat es nicht gelernt.ÂŤ
ÂťHatte keine Zeit,ÂŤ sagte der Greif; Âťich hatte aber Stunden bei dem Lehrer der alten Sprachen. Das war ein alter Barsch, ja, das war er.ÂŤ
Bei dem bin ich nicht gewesen, sagte die falsche SchildkrÜte mit einem Seufzer, er lehrte Zebräisch und Greifisch, sagten sie immer.
ÂťDas that er auch, das that er auch, und besonders LaĂsein,ÂŤ sagte der Greif, indem er ebenfalls seufzte, worauf beide Thiere sich das Gesicht mit den Pfoten bedeckten.
ÂťUnd wie viel SchĂźler wart ihr denn in einer Klasse?ÂŤ sagte Alice, die schnell auf einen andern Gegenstand kommen wollte.
Zehn den ersten Tag, sagte die falsche SchildkrÜte, neun den nächsten, und so fort.
ÂťWas fĂźr eine merkwĂźrdige Einrichtung!ÂŤ rief Alice aus.
Das ist der Grund, warum man Lehrer hält, weil sie die Klasse von Tag zu Tag leeren.
Dies war ein ganz neuer Gedanke fĂźr Alice, welchen sie grĂźndlich Ăźberlegte, ehe sie wieder eine Bemerkung machte. ÂťDen elften Tag mĂźssen dann Alle frei gehabt haben?ÂŤ
ÂťNatĂźrlich!ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte.
ÂťUnd wie wurde es den zwĂślften Tag gemacht?ÂŤ fuhr Alice eifrig fort.
Das ist genug von Stunden, unterbrach der Greif sehr bestimmt: erzähle ihr jetzt etwas von den Spielen.
Kapitel 10: Das Hummerballet
Die falsche SchildkrĂśte seufzte tief auf und wischte sich mit dem RĂźcken ihrer Pfote die Augen. Sie sah Alice an und versuchte zu sprechen, aber ein bis zwei Minuten lang erstickte lautes Schluchzen ihre Stimme. ÂťSieht aus, als ob sie einen Knochen in der Kehle hätt’,ÂŤ sagte der Greif und machte sich daran, sie zu schĂźtteln und auf den RĂźcken zu klopfen. Endlich erhielt die falsche SchildkrĂśte den Gebrauch ihrer Stimme wieder, und während Thränen ihre Wangen herabflossen, erzählte sie weiter.
ÂťVielleicht hast du nicht viel unter dem Wasser gelebt âÂŤ (ÂťNein,ÂŤ sagte Alice) â Âťund vielleicht hast du nie die Bekanntschaft eines Hummers gemacht âÂŤ (Alice wollte eben sagen: Âťich kostete einmal,ÂŤ aber sie hielt schnell ein und sagte: ÂťNein, niemalsÂŤ) â Âťdu kannst dir also nicht vorstellen, wie reizend ein Hummerballet ist.ÂŤ
ÂťNein, in der That nicht,ÂŤ sagte Alice, Âťwas fĂźr eine Art Tanz ist es?ÂŤ
ÂťNun,ÂŤ sagte der Greif, Âťerst stellt man sich in einer Reihe am Strand auf âÂŤ
ÂťIn zwei Reihen!ÂŤ rief die falsche SchildkrĂśte. ÂťSeehunde, SchildkrĂśten, Lachse, und so weiter; dann, wenn alle Seesterne aus dem Wege geräumt sind âÂŤ
ÂťWas gewĂśhnlich einige Zeit dauert,ÂŤ unterbrach der Greif.
Âťâ geht man zwei Mal vorwärts âÂŤ
ÂťJeder einen Hummer zum Tanze fĂźhrend!ÂŤ rief der Greif.
ÂťNatĂźrlich,ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte: Âťzwei Mal vorwärts, wieder paarweis gestellt âÂŤ
Âťâ wechselt die Hummer, und geht in derselben Ordnung zurĂźck,ÂŤ fuhr der Greif fort.
ÂťDann, muĂt du wissen,ÂŤ fiel die falsche SchildkrĂśte ein, Âťwirft man die âÂŤ
ÂťDie Hummer!ÂŤ schrie der Greif mit einem Luftsprunge.
Âťâ so weit in’s Meer, als man kann âÂŤ
ÂťSchwimmt ihnen nach!ÂŤ kreischte der Greif.
Schlägt einen Purzelbaum im Wasser! rief die falsche SchildkrÜte, indem sie unbändig umhersprang.

ÂťWechselt die Hummer wieder!ÂŤ heulte der Greif mit erhobener Stimme.
ÂťZurĂźck an’s Land, und â das ist die ganze erste Figur,ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte, indem ihre Stimme plĂśtzlich sank; und beide Thiere, die bis dahin wie toll umhergesprungen waren, setzten sich sehr betrĂźbt und still nieder und sahen Alice an.
Es muà ein sehr hßbscher Tanz sein, sagte Alice ängstlich.
ÂťMĂśchtest du eine kleine Probe sehen?ÂŤ fragte die falsche SchildkrĂśte.
ÂťSehr gern,ÂŤ sagte Alice.
ÂťKomm, laĂ uns die erste Figur versuchen!ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte zum Greifen. ÂťWir kĂśnnen es ohne Hummer, glaube ich. Wer soll singen?ÂŤ
ÂťOh, singe du!ÂŤ sagte der Greif. ÂťIch habe die Worte vergessen.ÂŤ
So fingen sie denn an, feierlich im Kreise um Alice zu tanzen; zuweilen traten sie ihr auf die FĂźĂe, wenn sie ihr zu nahe kamen; die falsche SchildkrĂśte sang dazu, sehr langsam und traurig, Folgendes: â
Zu der Schnecke sprach ein WeiĂfisch: ÂťKannst du denn nicht schneller gehn?Siehst du denn nicht die SchildkrĂśten und die Hummer alle stehn?Hinter uns da kommt ein Meerschwein, und es tritt mir auf den Schwanz;Und sie warten an dem Strande, daĂ wir kommen zu dem Tanz.Willst du denn nicht, willst du denn nicht, willst du kommen zu dem Tanz?Willst du denn nicht, willst du denn nicht, willst du kommen zu dem Tanz?ÂŤ
ÂťNein, du kannst es nicht ermessen, wie so herrlich es wird sein,Nehmen sie uns mit den Hummern, werfen uns in’s Meer hinein!ÂŤDoch die Schnecke thät nicht trauen. ÂťDas gefällt mir doch nicht ganz!Viel zu weit, zu weit! ich danke â gehe nicht mit euch zum Tanz!Nein, ich kann, ich mag, ich will nicht, kann nicht kommen zu dem Tanz!Nein, ich kann, ich mag, ich will nicht, mag nicht kommen zu dem Tanz!ÂŤ
Und der WeiĂfisch sprach dagegen: Âť’s kommt ja nicht drauf an, wie weit!Ist doch wohl ein andres Ufer, drĂźben auf der andern Seit’!Und noch viele schĂśne KĂźsten giebt es auĂer Engelland’s;Nur nicht blĂśde, liebe Schnecke, komm’ geschwind mit mir zum Tanz!Willst du denn nicht, willst du denn nicht, willst du kommen zu dem Tanz?Willst du denn nicht, willst du denn nicht, willst nicht kommen zu dem Tanz?ÂŤ
ÂťDanke sehr, es ist sehr, sehr interessant, diesem Tanze zuzusehen,ÂŤ sagte Alice, obgleich sie sich freute, daĂ er endlich vorĂźber war; Âťund das komische Lied von dem WeiĂfisch gefällt mir so!ÂŤ
ÂťOh, was die WeiĂfische anbelangt,ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte, Âťdie â du hast sie doch gesehen?ÂŤ
ÂťJa,ÂŤ sagte Alice, Âťich habe sie oft gesehen, bei’m Mitt âÂŤ sie hielt schnell inne.
ÂťIch weiĂ nicht, wer Mitt sein mag,ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte, Âťaber da du sie so oft gesehen hast, so weiĂt du natĂźrlich, wie sie aussehen?ÂŤ
ÂťJa, ich glaube,ÂŤ sagte Alice nachdenklich, Âťsie haben den Schwanz im Maule, â und sind ganz mit geriebener Semmel bestreut.ÂŤ
ÂťDie geriebene Semmel ist ein Irrthum,ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte; Âťsie wĂźrde in der See bald abgespĂźlt werden. Aber den Schwanz haben sie im Maule, und der Grund istÂŤ â hier gähnte die falsche SchildkrĂśte und machte die Augen zu. â ÂťSage ihr Alles das von dem Grunde,ÂŤ sprach sie zum Greifen.
ÂťDer Grund ist,ÂŤ sagte der Greif, ÂťdaĂ sie durchaus im Hummerballet mittanzen wollten. So wurden sie denn in die See hinein geworfen. So muĂten sie denn sehr weit fallen. So kamen ihnen denn die Schwänze in die Mäuler. So konnten sie sie denn nicht wieder heraus bekommen. So ist es.ÂŤ
ÂťDanke dir,ÂŤ sagte Alice, Âťes ist sehr interessant. Ich habe nie so viel vom WeiĂfisch zu hĂśren bekommen.ÂŤ
ÂťIch kann dir noch mehr Ăźber ihn sagen, wenn du willst,ÂŤ sagte der Greif, ÂťweiĂt du, warum er WeiĂfisch heiĂt?ÂŤ
ÂťIch habe darĂźber noch nicht nachgedacht,ÂŤ sagte Alice. ÂťWarum?ÂŤ
ÂťDarum eben,ÂŤ sagte der Greif mit tiefer, feierlicher Stimme, Âťweil man so wenig von ihm weiĂ. Nun aber muĂt du uns auch etwas von deinen Abenteuern erzählen.ÂŤ
Ich kÜnnte euch meine Erlebnisse von heute frßh an erzählen, sagte Alice verschämt, aber bis gestern zurßck zu gehen, wäre ganz unnßtz, weil ich da jemand Anderes war.
Erkläre das deutlich, sagte die falsche SchildkrÜte.
Nein, die Erlebnisse erst, sagte der Greif in ungeduldigem Tone, Erklärungen nehmen so schrecklich viel Zeit fort.
Alice fing also an, ihnen ihre Abenteuer von da an zu erzählen, wo sie das weiĂe Kaninchen zuerst gesehen hatte. Im Anfange war sie etwas ängstlich, die beiden Thiere kamen ihr so nah, eins auf jeder Seite, und sperrten Augen und Mund so weit auf; aber nach und nach wurde sie dreister. Ihre ZuhĂśrer waren ganz ruhig, bis sie an die Stelle kam, wo sie der Raupe ‘Ihr seid alt, Vater Martin’ hergesagt hatte, und wo lauter andere Worte gekommen waren, da holte die falsche SchildkrĂśte tief Athem und sagte: Âťdas ist sehr merkwĂźrdig.ÂŤ
ÂťEs ist Alles so merkwĂźrdig, wie nur mĂśglich,ÂŤ sagte der Greif.
Es kam ganz verschieden! wiederholte die falsche SchildkrÜte gedankenvoll. Ich mÜchte sie wohl etwas hersagen hÜren. Sage ihr, daà sie anfangen soll. Sie sah den Greifen an, als ob sie dächte, daà er einigen Einfluà auf Alice habe.
ÂťSteh’ auf und sage her: ‘Preisend mit viel schĂśnen Reden’,ÂŤ sagte der Greif.
ÂťWie die GeschĂśpfe alle Einen kommandiren und Gedichte aufsagen lassen!ÂŤ dachte Alice, ÂťdafĂźr kĂśnnte ich auch lieber gleich in der Schule sein.ÂŤ Sie stand jedoch auf und fing an, das Gedicht herzusagen; aber ihr Kopf war so voll von dem Hummerballet, daĂ sie kaum wuĂte, was sie sagte, und die Worte kamen sehr sonderbar: â

ÂťPreisend mit viel schĂśnen Kniffen seiner Scheeren Werth und Zahl,
Stand der Hummer vor dem Spiegel in der schĂśnen rothen Schal’!
ÂťHerrlich,ÂŤ sprach der FĂźrst der Krebse, Âťsteht mir dieser lange Bart!ÂŤ
RĂźckt die FĂźĂe mit der Nase auswärts, als er dieses sagt.ÂŤ
ÂťDas ist anders, als ich’s als Kind gesagt habe,ÂŤ sagte der Greif.
ÂťIch habe es zwar noch niemals gehĂśrt,ÂŤ sagte die falsche SchildkrĂśte; Âťaber es klingt wie blĂźhender Unsinn.ÂŤ
Alice erwiederte nichts; sie setzte sich, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und ßberlegte, ob wohl je wieder irgend etwas natßrlich sein wßrde.
Ich mÜchte es gern erklärt haben, sagte die falsche SchildkrÜte.
ÂťSie kann’s nicht erklären,ÂŤ warf der Greif schnell ein. ÂťSage den nächsten Vers.ÂŤ
ÂťAber das von den FĂźĂen?ÂŤ fragte die falsche SchildkrĂśte wieder. ÂťWie kann er sie mit der Nase auswärts rĂźcken?ÂŤ
ÂťEs ist die erste Position bei’m Tanzen,ÂŤ sagte Alice; aber sie war Ăźber Alles dies entsetzlich verwirrt und hätte am liebsten aufgehĂśrt.
ÂťSage den nächsten Vers!ÂŤ wiederholte der Greif ungeduldig, Âťer fängt an: ‘Seht mein Land!’ÂŤ
Alice wagte nicht, es abzuschlagen, obgleich sie Ăźberzeugt war, es wĂźrde Alles falsch kommen, sie fuhr also mit zitternder Stimme fort: â
ÂťSeht mein Land und grĂźne Fluten,ÂŤ sprach ein fetter Lachs vom Rhein;
Goldne Schuppen meine RĂźstung, und mit Austern trink’ ich Wein.ÂŤ
Wozu sollen wir das dumme Zeug mit anhÜren, unterbrach sie die falsche SchildkrÜte, wenn sie es nicht auch erklären kann? Es ist das verworrenste Zeug, das ich je gehÜrt habe!
ÂťJa, ich glaube auch, es ist besser du hĂśrst auf,ÂŤ sagte der Greif, und Alice gehorchte nur zu gern.
ÂťSollen wir noch eine Figur von dem Hummerballet versuchen?ÂŤ fuhr der Greif fort. ÂťOder mĂśchtest du lieber, daĂ die falsche SchildkrĂśte dir ein Lied vorsingt?ÂŤ
ÂťOh, ein Lied! bitte, wenn die falsche SchildkrĂśte so gut sein will,ÂŤ antwortete Alice mit solchem Eifer, daĂ der Greif etwas beleidigt sagte: ÂťHm! der Geschmack ist verschieden! Singe ihr vor ‘SchildkrĂśtensuppe’, hĂśrst du, alte Tante?ÂŤ
Die falsche SchildkrĂśte seufzte tief auf und fing an, mit halb von Schluchzen erstickter Stimme, so zu singen: â
ÂťSchĂśne Suppe, so schwer und so grĂźn,
Dampfend in der heiĂen Terrin’!
Wem nach einem so schĂśnen Gericht
Wässerte denn der Mund wohl nicht?
KĂśn’gin der Suppen, du schĂśnste Supp’!
KĂśn’gin der Suppen, du schĂśnste Supp’!
Wu â underschĂśne Su â uppe!
Wu â underschĂśne Su â uppe!
KĂś â Ăśnigin der Su â uppen,
Wunder-wunderschĂśne Supp’!
SchĂśne Suppe, wer fragt noch nach Fisch,
Wildpret oder was sonst auf dem Tisch?
Alles lassen wir stehen zu p
Reisen allein die wunderschĂśne Supp’,
Preisen allein die wunderschĂśne Supp’!
Wu â underschĂśne Su â uppe!
Wu â underschĂśne Su â uppe!
KĂś â Ăśnigin der Su â uppen,
Wunder-wunderschĂśne Supp’!
Den Chor noch einmal! rief der Greif, und die falsche SchildkrÜte hatte ihn eben wieder angefangen, als ein Ruf: Das VerhÜr fängt an! in der Ferne erscholl.
ÂťKomm schnell!ÂŤ rief der Greif, und Alice bei der Hand nehmend lief er fort, ohne auf das Ende des Gesanges zu warten.
ÂťWas fĂźr ein VerhĂśr?ÂŤ keuchte Alice bei’m Rennen; aber der Greif antwortete nichts als: ÂťKomm schnell!ÂŤ und rannte weiter, während schwächer und schwächer, vom Winde getragen, die Worte ihnen folgten: â
ÂťKĂś â Ăśnigin der Su â uppen,
Wunder-wunderschĂśne Supp’!ÂŤ
Kapitel 11: Wer hat die Kuchen gestohlen?
Der KĂśnig und die KĂśnigin der Herzen saĂen auf ihrem Throne, als sie ankamen, und eine groĂe Menge war um sie versammelt â allerlei kleine VĂśgel und Thiere, auĂerdem das ganze Pack Karten: der Bube stand vor ihnen, in Ketten, einen Soldaten an jeder Seite, um ihn zu bewachen; dicht bei dem KĂśnige befand sich das weiĂe Kaninchen, eine Trompete in einer Hand, in der andern eine Pergamentrolle. Im Mittelpunkte des Gerichtshofes stand ein Tisch mit einer SchĂźssel voll Torten: sie sahen so appetitlich aus, daĂ der bloĂe Anblick Alice ganz hungrig darauf machte. â ÂťIch wĂźnschte, sie machten schnell mit dem VerhĂśr und reichten die Erfrischungen herum.ÂŤ Aber dazu schien wenig Aussicht zu sein, so daĂ sie anfing, Alles genau in Augenschein zu nehmen, um sich die Zeit zu vertreiben.
Alice war noch nie in einem Gerichtshofe gewesen, aber sie hatte in ihren BĂźchern davon gelesen und bildete sich etwas Rechtes darauf ein, daĂ sie Alles, was sie dort sah, bei Namen zu nennen wuĂte. ÂťDas ist der Richter,ÂŤ sagte sie fĂźr sich, Âťwegen seiner groĂen PerrĂźcke.ÂŤ
Der Richter war Ăźbrigens der KĂśnig, und er trug die Krone Ăźber der PerĂźcke (seht euch das Titelbild an, wenn ihr wissen wollt, wie), es sah nicht aus, als sei es ihm bequem, und sicherlich stand es ihm nicht gut.
Und jene zwÜlf kleinen Thiere da sind vermuthlich die Geschwornen, dachte Alice. Sie wiederholte sich selbst dies Wort zwei bis drei Mal, weil sie so stolz darauf war; denn sie glaubte, und das mit Recht, daà wenig kleine Mädchen ihres Alters ßberhaupt etwas von diesen Sachen wissen wßrden.
Die zwĂślf Geschwornen schrieben alle sehr eifrig auf Schiefertafeln. ÂťWas thun sie?ÂŤ fragte Alice den Greifen in’s Ohr. ÂťSie kĂśnnen ja noch nichts aufzuschreiben haben, ehe das VerhĂśr beginnt.ÂŤ
ÂťSie schreiben ihre Namen auf,ÂŤ sagte ihr der Greif in’s Ohr, Âťweil sie bange sind, sie zu vergessen, ehe das VerhĂśr zu Ende ist.ÂŤ
ÂťDumme Dinger!ÂŤ fing Alice entrĂźstet ganz laut an; aber sie hielt augenblicklich inne, denn das weiĂe Kaninchen rief aus: ÂťRuhe im Saal!ÂŤ und der KĂśnig setzte seine Brille auf und blickte spähend umher, um zu sehen, wer da gesprochen habe.
Alice konnte ganz deutlich sehen, daĂ alle Geschworne Âťdumme Dinger!ÂŤ auf ihre Tafeln schrieben, und sie merkte auch, daĂ Einer von ihnen nicht wuĂte, wie es geschrieben wird, und seinen Nachbar fragen muĂte. ÂťDie Tafeln werden in einem schĂśnen Zustande sein, wenn das VerhĂśr vorĂźber ist!ÂŤ dachte Alice.
Einer der Geschwornen hatte einen Tafelstein, der quiekste. Das konnte Alice natĂźrlich nicht aushalten, sie ging auf die andere Seite des Saales, gelangte dicht hinter ihn und fand sehr bald eine Gelegenheit, den Tafelstein fortzunehmen. Sie hatte es so schnell gethan, daĂ der arme kleine Geschworne (es war Wabbel), durchaus nicht begreifen konnte, wo sein Griffel hingekommen war; nachdem er ihn also Ăźberall gesucht hatte, muĂte er sich endlich entschlieĂen, mit einem Finger zu schreiben, und das war von sehr geringem Nutzen, da es keine Spuren auf der Tafel zurĂźcklieĂ.

ÂťHerold, verlies die Anklage!ÂŤ sagte der KĂśnig.
Da blies das weiĂe Kaninchen drei Mal in die Trompete, entfaltete darauf die Pergamentrolle und las wie folgt: â
ÂťCoeur-KĂśnigin, sie buk Kuchen,Juchheisasah, juchhe!Coeur-Bube kam, die Kuchen nahm.Wo sind sie nun? O weh!ÂŤ
ÂťGebt euer Urtheil ab!ÂŤ sprach der KĂśnig zu den Geschwornen.
ÂťNoch nicht, noch nicht!ÂŤ unterbrach ihn das Kaninchen schnell. ÂťDa kommt noch Vielerlei erst.ÂŤ
ÂťLaĂt den ersten Zeugen eintreten!ÂŤ sagte der KĂśnig, worauf das Kaninchen drei Mal in die Trompete blies und ausrief: ÂťErster Zeuge!ÂŤ
Der erste Zeuge war der Hutmacher. Er kam herein, eine Tasse in einer Hand und in der andern ein Stßck Butterbrot haltend. Ich bitte um Verzeihung, Eure Majestät, daà ich das mitbringe; aber ich war nicht ganz fertig mit meinem Thee, als nach mir geschickt wurde.
Du hättest aber damit fertig sein sollen, sagte der KÜnig. Wann hast du damit angefangen?
Der Hutmacher sah den Faselhasen an, der ihm in den Gerichtssaal gefolgt war, Arm in Arm mit dem Murmelthier. Vierzehnten März, glaube ich war es, sagte er.
ÂťFunfzehnten,ÂŤ sagte der Faselhase.
ÂťSechzehnten,ÂŤ fĂźgte das Murmelthier hinzu.
ÂťNehmt das zu Protokoll,ÂŤ sagte der KĂśnig zu den Geschwornen, und die Geschwornen schrieben eifrig die drei Daten auf ihre Tafeln, addirten sie dann und machten die Summe zu Groschen und Pfennigen.
ÂťNimm deinen Hut ab,ÂŤ sagte der KĂśnig zum Hutmacher.
ÂťEs ist nicht meiner,ÂŤ sagte der Hutmacher.
ÂťGestohlen!ÂŤ rief der KĂśnig zu den Geschwornen gewendet aus, welche sogleich die Thatsache notirten.
Ich halte sie zum Verkauf, fßgte der Hutmacher als Erklärung hinzu, ich habe keinen eigenen. Ich bin ein Hutmacher.
Da setzte sich die KĂśnigin die Brille auf und fing an, den Hutmacher scharf zu beobachten, was ihn sehr blaĂ und unruhig machte.
Gieb du deine Aussage, sprach der KÜnig, und sei nicht ängstlich, oder ich lasse dich auf der Stelle hängen.
Dies beruhigte den Zeugen augenscheinlich nicht; er stand abwechselnd auf dem linken und rechten FuĂe, sah die KĂśnigin mit groĂem Unbehagen an, und in seiner Befangenheit biĂ er ein groĂes StĂźck aus seiner Theetasse statt aus seinem Butterbrot.
Gerade in diesem Augenblick spßrte Alice eine seltsame Empfindung, die sie sich durchaus nicht erklären konnte, bis sie endlich merkte, was es war: sie fing wieder an zu wachsen, und sie wollte sogleich aufstehen und den Gerichtshof verlassen; aber nach weiterer Ueberlegung beschloà sie zu bleiben, wo sie war, so lange sie Platz genug hatte.
ÂťDu brauchtest mich wirklich nicht so zu drängen,ÂŤ sagte das Murmelthier, welches neben ihr saĂ. ÂťIch kann kaum athmen.ÂŤ
ÂťIch kann nicht dafĂźr,ÂŤ sagte Alice bescheiden, Âťich wachse.ÂŤ
ÂťDu hast kein Recht dazu, hier zu wachsen,ÂŤ sagte das Murmelthier.
ÂťRede nicht solchen Unsinn,ÂŤ sagte Alice dreister; Âťdu weiĂt recht gut, daĂ du auch wächst.ÂŤ
ÂťJa, aber ich wachse in vernĂźnftigem MaĂstabe,ÂŤ sagte das Murmelthier, Âťnicht auf so lächerliche Art.ÂŤ Dabei stand es verdrieĂlich auf und ging an die andere Seite des Saales.
Die ganze Zeit ßber hatte die KÜnigin unablässig den Hutmacher angestarrt, und gerade als das Murmelthier durch den Saal ging, sprach sie zu einem der Gerichtsbeamten: Bringe mir die Liste der Sänger im letzten Concerte! worauf der unglßckliche Hutmacher so zitterte, daà ihm beide Schuhe abflogen.

Gieb deine Aussage, wiederholte der KÜnig ärgerlich, oder ich werde dich hinrichten lassen, ob du dich ängstigst oder nicht.
ÂťIch bin ein armer Mann, Eure Majestät,ÂŤ begann der Hutmacher mit zitternder Stimme, Âťund ich hatte eben erst meinen Thee angefangen â nicht länger als eine Woche ungefähr â und da die Butterbrote so dĂźnn wurden â und es Teller und TĂśpfe in den Thee schneite.ÂŤ
ÂťTeller und TĂśpfe â was?ÂŤ fragte der KĂśnig.
ÂťEs fing mit dem Thee an,ÂŤ erwiederte der Hutmacher.
Natßrlich fangen Teller und TÜpfe mit einem T an. Hältst du mich fßr einen Esel? Rede weiter!
ÂťIch bin ein armer Mann,ÂŤ fuhr der Hutmacher fort, Âťund seitdem schneite Alles â der Faselhase sagte nur âÂŤ
ÂťNein, ich hab’s nicht gesagt!ÂŤ unterbrach ihn der Faselhase schnell.
ÂťDu hast’s wohl gesagt!ÂŤ rief der Hutmacher.
Ich läugne es! sagte der Faselhase.
ÂťEr läugnet es!ÂŤ sagte der KĂśnig: ÂťlaĂt den Theil der Aussage fort.ÂŤ
ÂťGut, auf jeden Fall hat’s das Murmelthier gesagt âÂŤ fuhr der Hutmacher fort, indem er sich ängstlich umsah, ob es auch läugnen wĂźrde; aber das Murmelthier läugnete nichts, denn es war fest eingeschlafen. ÂťDann,ÂŤ sprach der Hutmacher weiter, Âťschnitt ich noch etwas Butterbrot âÂŤ
ÂťAber was hat das Murmelthier gesagt?ÂŤ fragte einer der Geschwornen.
ÂťDas ist mir ganz entfallen,ÂŤ sagte der Hutmacher.
ÂťAber es muĂ dir wieder einfallen,ÂŤ sagte der KĂśnig, Âťsonst lasse ich dich kĂśpfen.ÂŤ
Der unglßckliche Hutmacher lieà Tasse und Butterbrot fallen und lieà sich auf ein Knie nieder. Ich bin ein armseliger Mann, Eure Majestät, fing er an.
ÂťDu bist ein sehr armseliger Redner,ÂŤ sagte der KĂśnig.
Hier klatschte eins der Meerschweinchen Beifall, was sofort von den Gerichtsdienern unterdrĂźckt wurde. (Da dies ein etwas schweres Wort ist, so will ich beschreiben, wie es gemacht wurde. Es war ein groĂer Leinwandsack bei der Hand, mit SchnĂźren zum Zusammenziehen: da hinein wurde das Meerschweinchen gesteckt, den Kopf nach unten, und dann saĂen sie darauf.)
ÂťEs ist mir lieb, daĂ ich das gesehen habe,ÂŤ dachte Alice, Âťich habe so oft in der Zeitung am Ende eines VerhĂśrs gelesen: ‘Das Publikum fing an, Beifall zu klatschen, was aber sofort von den Gerichtsdienern unterdrĂźckt wurde,’ und ich konnte bis jetzt nie verstehen, was es bedeutete.ÂŤ
ÂťWenn dies Alles ist, was du zu sagen weiĂt, so kannst du abtreten,ÂŤ fuhr der KĂśnig fort.
ÂťIch kann nichts mehr abtreten,ÂŤ sagte der Hutmacher: Âťich stehe so schon auf den StrĂźmpfen.ÂŤ
ÂťDann kannst du abwarten, bis du wieder gefragt wirst,ÂŤ erwiederte der KĂśnig.
Hier klatschte das zweite Meerschweinchen und wurde unterdrĂźckt.
Ha, nun sind die Meerschweinchen besorgt, dachte Alice, nun wird es besser vorwärts gehen.

Ich mÜchte lieber zu meinem Thee zurßckgehen, sagte der Hutmacher mit einem ängstlichen Blicke auf die KÜnigin, welche die Liste der Sänger durchlas.
ÂťDu kannst gehen,ÂŤ sagte der KĂśnig, worauf der Hutmacher eilig den Gerichtssaal verlieĂ, ohne sich einmal Zeit zu nehmen, seine Schuhe anzuziehen.
Âťâ und drauĂen schneidet ihm doch den Kopf ab,ÂŤ fĂźgte die KĂśnigin zu einem der Beamten gewandt hinzu; aber der Hutmacher war nicht mehr zu sehen, als der Beamte die ThĂźr erreichte.
Ruft den nächsten Zeugen! sagte der KÜnig.
Der nächste Zeuge war die KÜchin der Herzogin. Sie trug die Pfefferbßchse in der Hand, und Alice errieth, schon ehe sie in den Saal trat, wer es sei, weil alle Leute in der Nähe der Thßr mit einem Male anfingen zu niesen.
ÂťGieb deine Aussage,ÂŤ sagte der KĂśnig.
ÂťNe!ÂŤ antwortete die KĂśchin.
Der KĂśnig sah ängstlich das weiĂe Kaninchen an, welches leise sprach: ÂťEure Majestät mĂźssen diesen Zeugen einem KreuzverhĂśr unterwerfen.ÂŤ
ÂťWohl, wenn ich muĂ, muĂ ich,ÂŤ sagte der KĂśnig trĂźbsinnig, und nachdem er die Arme gekreuzt und die Augenbraunen so fest zusammengezogen hatte, daĂ seine Augen kaum mehr zu sehen waren, sagte er mit tiefer Stimme: ÂťWovon macht man kleine Kuchen?ÂŤ
Pfeffer, hauptsächlich, sagte die KÜchin.
Syrup, sagte eine schläfrige Stimme hinter ihr.
ÂťNehmt dieses Murmelthier fest!ÂŤ heulte die KĂśnigin. ÂťKĂśpft dieses Murmelthier! Schafft dieses Murmelthier aus dem Saale! UnterdrĂźckt es! Kneift es! Brennt ihm den Bart ab!ÂŤ
Einige Minuten lang war das ganze Gericht in Bewegung, um das Murmelthier fortzuschaffen; und als endlich Alles wieder zur Ruhe gekommen war, war die KĂśchin verschwunden.
ÂťSchadet nichts!ÂŤ sagte der KĂśnig und sah aus, als falle ihm ein Stein vom Herzen. ÂťRuft den nächsten Zeugen.ÂŤ Und zu der KĂśnigin gewandt, fĂźgte er leise hinzu: ÂťWirklich, meine Liebe, du muĂt das nächste KreuzverhĂśr Ăźbernehmen, meine Arme sind schon ganz lahm.ÂŤ
Alice beobachtete das weiĂe Kaninchen, das die Liste durchsuchte, da sie sehr neugierig war, wer wohl der nächste Zeuge sein mĂśchte, â Âťdenn sie haben noch nicht viel Beweise,ÂŤ sagte sie fĂźr sich. Denkt euch ihre Ueberraschung, als das weiĂe Kaninchen mit seiner hĂśchsten Kopfstimme vorlas: ÂťAlice!ÂŤ
Kapitel 12: Alice ist die KlĂźgste
ÂťHier!ÂŤ rief Alice, in der augenblicklichen Erregung ganz vergessend, wie sehr sie die letzten Minuten gewachsen war; sie sprang in solcher Eile auf, daĂ sie mit ihrem Rock das Pult vor sich umstieĂ, so daĂ alle Geschworne auf die KĂśpfe der darunter sitzenden Versammlung fielen. Da lagen sie unbehĂźlflich umher und erinnerten sie sehr an ein Glas mit Goldfischen, das sie die Woche vorher aus Versehen umgestoĂen hatte.
ÂťOh, ich bitte um Verzeihung,ÂŤ rief sie mit sehr bestĂźrztem Tone, und fing an, sie so schnell wie mĂśglich aufzunehmen; denn der Unfall mit den Goldfischen lag ihr noch im Sinne, und sie hatte eine unbestimmte Art Vorstellung, als ob sie gleich gesammelt und wieder in ihr Pult gethan werden mĂźĂten, sonst wĂźrden sie sterben.

ÂťDas VerhĂśr kann nicht fortgesetzt werden,ÂŤ sagte der KĂśnig sehr ernst, Âťbis alle Geschworne wieder an ihrem rechten Platze sind â alle,ÂŤ wiederholte er mit groĂem Nachdrucke, und sah dabei Alice fest an.
Alice sah sich nach dem Pulte um und bemerkte, daĂ sie in der Eile die Eidechse kopfunten hineingestellt hatte, und das arme kleine Ding bewegte den Schwanz trĂźbselig hin und her, da es sich Ăźbrigens nicht rĂźhren konnte. Sie zog es schnell wieder heraus und stellte es richtig hinein. ÂťEs hat zwar nichts zu bedeuten,ÂŤ sagte sie fĂźr sich, Âťich glaube, es wĂźrde fĂźr das VerhĂśr ganz eben so nĂźtzlich sein kopfoben wie kopfunten.ÂŤ
Sobald sich die Geschwornen etwas von dem Schreck erholt hatten, umgeworfen worden zu sein, und nachdem ihre Tafeln und Tafelsteine gefunden und ihnen zurĂźckgegeben worden waren, machten sie sich eifrig daran, die Geschichte ihres Unfalles aufzuschreiben, alle auĂer der Eidechse, welche zu angegriffen war, um etwas zu thun; sie saĂ nur mit offnem Maule da und starrte die Saaldecke an.
ÂťWas weiĂt du von dieser Angelegenheit?ÂŤ fragte der KĂśnig Alice.
ÂťNichts!ÂŤ sagte Alice.
ÂťDurchaus nichts?ÂŤ drang der KĂśnig in sie.
ÂťDurchaus nichts!ÂŤ sagte Alice.
ÂťDaĂ ist sehr wichtig,ÂŤ sagte der KĂśnig, indem er sich an die Geschwornen wandte. Sie wollten dies eben auf ihre Tafeln schreiben, als das weiĂe Kaninchen ihn unterbrach. ÂťUnwichtig, meinten Eure Majestät natĂźrlich!ÂŤ sagte es in sehr ehrfurchtsvollem Tone, wobei es ihn aber mit Stirnrunzeln und verdrieĂlichem Gesichte ansah.
ÂťUnwichtig, natĂźrlich, meinte ich,ÂŤ bestätigte der KĂśnig eilig, und fuhr mit halblauter Stimme fĂźr sich fort: Âťwichtig â unwichtig â unwichtig â wichtig âÂŤ als ob er versuchte, welches Wort am besten klänge.
Einige der Geschwornen schrieben auf ÂťwichtigÂŤ, und einige Âťunwichtig.ÂŤ Alice konnte dies sehen, da sie nahe genug war, um ihre Tafeln zu Ăźberblicken; Âťaber es kommt nicht das Geringste darauf an,ÂŤ dachte sie bei sich.
In diesem Augenblick rief der KĂśnig, der eifrig in seinem Notizbuch geschrieben hatte, plĂśtzlich aus: ÂťStill!ÂŤ und las dann aus seinem Buche vor: ÂťZweiundvierzigstes Gesetz. Alle Personen, die mehr als eine Meile hoch sind, haben den Gerichtshof zu verlassen.
Alle sahen Alice an.
ÂťIch bin keine Meile groĂ,ÂŤ sagte Alice.
ÂťDas bist du wohl,ÂŤ sagte der KĂśnig.
ÂťBeinahe zwei Meilen groĂ,ÂŤ fĂźgte die KĂśnigin hinzu.
ÂťAuf jeden Fall werde ich nicht fortgehen,ÂŤ sagte Alice, ßbrigens ist das kein regelmäĂiges Gesetz; Sie haben es sich eben erst ausgedacht.ÂŤ
Es ist das älteste Gesetz in dem Buche, sagte der KÜnig.
ÂťDann mĂźĂte es Nummer Eins sein,ÂŤ sagte Alice.
Der KĂśnig erbleichte und machte sein Notizbuch schnell zu. ÂťGebt euer Urtheil ab!ÂŤ sagte er leise und mit zitternder Stimme zu den Geschwornen.
ÂťMajestät halten zu Gnaden, es sind noch mehr Beweise aufzunehmen,ÂŤ sagte das weiĂe Kaninchen, indem es eilig aufsprang; Âťdieses Papier ist soeben gefunden worden.ÂŤ
Was enthält es? fragte die KÜnigin.
ÂťIch habe es noch nicht geĂśffnet,ÂŤ sagte das weiĂe Kaninchen, Âťaber es scheint ein Brief von dem Gefangenen an â an Jemand zu sein.ÂŤ
ÂťJa, das wird es wohl sein,ÂŤ sagte der KĂśnig, Âťwenn es nicht an Niemand ist, was, wie bekannt nicht oft vorkommt.ÂŤ
ÂťAn wen ist es adressirt?ÂŤ fragte einer der Geschwornen.
ÂťEs ist gar nicht adressirt,ÂŤ sagte das weiĂe Kaninchen; ßberhaupt steht auf der AuĂenseite gar nichts.ÂŤ Es faltete bei diesen Worten das Papier auseinander und sprach weiter: ÂťEs ist Ăźbrigens gar kein Brief, es sind Verse.ÂŤ
ÂťSind sie in der Handschrift des Gefangenen?ÂŤ fragte ein anderer Geschworner.
ÂťNein, das sind sie nicht,ÂŤ sagte das weiĂe Kaninchen, Âťund das ist das MerkwĂźrdigste dabei.ÂŤ (Die Geschwornen sahen alle ganz verdutzt aus.)
Er muà eines Andern Handschrift nachgeahmt haben, sagte der KÜnig. (Die Gesichter der Geschwornen klärten sich auf.)
Eure Majestät halten zu Gnaden, sagte der Bube, ich habe es nicht geschrieben, und Niemand kann beweisen, daà ich es geschrieben haben, es ist keine Unterschrift darunter.
ÂťWenn du es nicht unterschrieben hast,ÂŤ sagte der KĂśnig, Âťso macht das die Sache nur schlimmer. Du muĂt schlechte Absichten dabei gehabt haben, sonst hättest du wie ein ehrlicher Mann deinen Namen darunter gesetzt.ÂŤ
Hierauf folgte allgemeines Beifallklatschen; es war der erste wirklich kluge Ausspruch, den der KĂśnig an dem Tage gethan hatte.
ÂťDas beweist seine Schuld,ÂŤ sagte die KĂśnigin.
ÂťEs beweist durchaus gar nichts!ÂŤ sagte Alice, ÂťIhr wiĂt ja noch nicht einmal, worĂźber die Verse sind!ÂŤ
ÂťLies sie!ÂŤ sagte der KĂśnig.
Das weiĂe Kaninchen setzte seine Brille auf. ÂťWo befehlen Eure Majestät, daĂ ich anfangen soll?ÂŤ fragte es.
ÂťFange beim Anfang an,ÂŤ sagte der KĂśnig ernsthaft, Âťund lies bis du an’s Ende kommst, dann halte an.ÂŤ
Dies waren die Verse, welche das weiĂe Kaninchen vorlas: â
ÂťIch hĂśre ja du warst bei ihr,Und daĂ er mir es gĂśnnt;Sie sprach, sie hielte viel von mir,Wenn ich nur schwimmen kĂśnnt’!
Er schrieb an sie, ich ginge nicht(Nur wuĂten wir es gleich):Wenn ihr viel an der Sache liegt,Was wĂźrde dann aus euch?
Ich gab ihr eins, sie gab ihm zwei,Ihr gabt uns drei Mal vier;Jetzt sind sie hier, er steht dabei;Doch alle gehĂśrten erst mir.
WĂźrd’ ich und sie vielleicht dareinVerwickelt und verfahren,Vertraut er dir, sie zu befrei’n,Gerade wie wir waren.
Ich dachte schon in meinem Sinn,Eh’ sie den Anfall hätt’,Ihr wär’t derjenige, der ihn,Es und uns hindertet.
Sag’ ihm um keinen Preis, daĂ ihrDie Andern lieber war’n;Denn keine Seele auĂer dirUnd mir darf dies erfahr’n.ÂŤ
ÂťDas ist das wichtigste BeweisstĂźck, das wir bis jetzt gehĂśrt haben,ÂŤ sagte der KĂśnig, indem er sich die Hände rieb; ÂťlaĂt also die Geschwornen âÂŤ
Wenn es Einer von ihnen erklären kann, sagte Alice (sie war die letzten Paar Minuten so sehr gewachsen, daà sie sich gar nicht fßrchtete, ihn zu unterbrechen), so will ich ihm sechs Dreier schenken. Ich finde, daà auch keine Spur von Sinn darin ist.
Die Geschwornen schrieben Alle auf ihre Tafeln: Sie findet, daà auch keine Spur von Sinn darin ist; aber keiner von ihnen versuchte, das Schriftstßck zu erklären.
ÂťWenn kein Sinn darin ist,ÂŤ sagte der KĂśnig, Âťdas spart uns ja ungeheuer viel Arbeit; dann haben wir nicht nĂśthig, ihn zu suchen. Und dennoch weiĂ ich nicht,ÂŤ fuhr er fort, indem er das Papier auf dem Knie ausbreitete und es prĂźfend beäugelte, Âťes kommt mir vor, als kĂśnnte ich etwas Sinn darin finden. ‘â wenn ich nur schwimmen kĂśnnt’!’ du kannst nicht schwimmen, nicht wahr?ÂŤ wandte er sich an den Buben.
Der Bube schĂźttelte traurig das Haupt. ÂťSeh’ ich etwa danach aus?ÂŤ (was freilich nicht der Fall war, da er gänzlich aus Papier bestand.)
ÂťDas trifft zu, so weit,ÂŤ sagte der KĂśnig und fuhr fort, die Verse leise durchzulesen. Âť’Nur wuĂten wir es gleich’ â das sind die Geschwornen, natĂźrlich â ‘Ich gab ihr eins, sie gab ihm zwei â’ ja wohl, so hat er’s mit den Kuchen gemacht, versteht sich âÂŤ
ÂťAber es geht weiter: ‘Jetzt sind sie hier,’ÂŤ sagte Alice.
ÂťFreilich, da sind sie ja! er steht dabei!ÂŤ sagte der KĂśnig triumphirend und wies dabei nach den Kuchen auf dem Tische und nach dem Buben; Âťnichts kann klarer sein. Dann wieder â ‘Eh sie den Anfall hätt” â du hast nie einen Anfall gehabt, Liebe, glaube ich,ÂŤ sagte er zu der KĂśnigin.

ÂťNiemals,ÂŤ rief die KĂśnigin wĂźthend und warf dabei der Eidechse ein TintenfaĂ an den Kopf. (Der unglĂźckliche kleine Wabbel hatte aufgehĂśrt, mit dem Finger auf seiner Tafel zu schreiben, da er merkte, daĂ es keine Spuren hinterlieĂ; doch nun fing er eilig wieder an, indem er die Tinte benutzte, die von seinem Gesichte herabträufelte, so lange dies vorhielt.)
Dann ist dies nicht dein Fall, sagte der KÜnig und blickte lächelnd in dem ganzen Saale herum. Alles blieb todtenstill.
Âťâ ‘s ist ja ‘n Witz!ÂŤ fĂźgte der KĂśnig in ärgerlichem Tone hinzu â sogleich lachte Jedermann. ÂťDie Geschwornen sollen ihren Ausspruch thun,ÂŤ sagte der KĂśnig wohl zum zwanzigsten Male.
ÂťNein, nein!ÂŤ sagte die KĂśnigin. ÂťErst das Urtheil, der Ausspruch der Geschwornen nachher.ÂŤ
ÂťDummer Unsinn!ÂŤ sagte Alice laut. ÂťWas fĂźr ein Einfall, erst das Urtheil haben zu wollen!ÂŤ
ÂťHalt den Mund!ÂŤ sagte die KĂśnigin, indem sie purpurroth wurde.
ÂťIch will nicht!ÂŤ sagte Alice.
ÂťSchlagt ihr den Kopf ab!ÂŤ brĂźllte die KĂśnigin so laut sie konnte. Niemand rĂźhrte sich.
ÂťWer fragt nach euch?ÂŤ sagte Alice (unterdessen hatte sie ihre volle GrĂśĂe erreicht). ÂťIhr seid nichts weiter als ein Spiel Karten!ÂŤ

Bei diesen Worten erhob sich das ganze Spiel in die Luft und flog auf sie herab; sie schrie auf, halb vor Furcht, halb vor Aerger, versuchte sie sich abzuwehren und merkte, daĂ sie am Ufer lag, den Kopf auf dem SchoĂe ihrer Schwester, welche leise einige welke Blätter fortnahm, die ihr von den Bäumen herunter auf’s Gesicht gefallen waren.
ÂťWach auf, liebe Alice!ÂŤ sagte ihre Schwester; Âťdu hast mal lange geschlafen!ÂŤ
ÂťO, und ich habe einen so merkwĂźrdigen Traum gehabt!ÂŤ sagte Alice, und sie erzählte ihrer Schwester, so gut sie sich errinnern konnte, alle die seltsamen Abenteuer, welche ihr eben gelesen habt. Als sie fertig war, gab ihre Schwester ihr einen KuĂ und sagte: ÂťEs war ein sonderbarer Traum, das ist gewiĂ; aber nun lauf hinein zum Thee, es wird spät.ÂŤ Da stand Alice auf und rannte fort, und dachte dabei, und zwar mit Recht, daĂ es doch ein wunderschĂśner Traum gewesen sei.
Aber ihre Schwester blieb sitzen, wie sie sie verlassen hatte, den Kopf auf die Hand gestßtzt, blickte in die untergehende Sonne und dachte an die kleine Alice und ihre wunderbaren Abenteuer, bis auch sie auf ihre Weise zu träumen anfing, und dies war ihr Traum:
Zuerst träumte sie von der kleinen Alice selbst: wieder sah sie die kleinen Händchen zusammengefaltet auf ihrem Knie, und die klaren sprechenden Augen, die zu ihr aufblickten â sie konnte selbst den Ton ihrer Stimme hĂśren und das komische ZurĂźckwerfen des kleinen KĂśpfchens sehen, womit sie die einzelnen Haare abschĂźttelte, die ihr immer wieder in die Augen kamen â und jemehr sie zuhĂśrte oder zuzuhĂśren meinte, desto mehr belebte sich der ganze Platz um sie herum mit den seltsamen GeschĂśpfen aus ihrer kleinen Schwester Traum.
Das lange Gras zu ihren FĂźĂen rauschte, da das weiĂe Kaninchen vorbeihuschte â die erschrockene Maus plätscherte durch den nahen Teich â sie konnte das Klappern der Theetassen hĂśren, wo der Faselhase und seine Freunde ihre immerwährende Mahlzeit hielten, und die gellende Stimme der KĂśnigin, die ihre unglĂźcklichen Gäste zur Hinrichtung abschickte â wieder nieste das Ferkel-Kind auf dem SchoĂe der Herzogin, während Pfannen und SchĂźsseln rund herum in Scherben brachen â wieder erfĂźllten der Schrei des Greifen, das Quieken von dem Tafelstein der Eidechse und das StĂśhnen des unterdrĂźckten Meerschweinchens die Luft und vermischten sich mit dem Schluchzen der unglĂźcklichen falschen SchildkrĂśte in der Entfernung.
So saĂ sie da, mit geschlossenen Augen, und glaubte fast, sie sei im Wunderlande, obgleich sie ja wuĂte, daĂ sobald sie die Augen Ăśffnete, Alles wieder zur alltäglichen Wirklichkeit werden wĂźrde; das Gras wĂźrde dann nur im Winde rauschen, der Teich mit seinem Rieseln das Wogen des Rohres begleiten; das Klappern der Theetassen wĂźrde sich in klingende Heerdenglocken verwandeln und die gellende Stimme der KĂśnigin in die Rufe des Hirtenknaben â und das Niesen des Kindes, das Geschrei des Greifen und all die andern auĂerordentlichen TĂśne wĂźrden sich (das wuĂte sie) in das verworrene GetĂśse des geschäftigen Gutshofes verwandeln â während sie statt des schwermĂźthigen Schluchzens der falschen SchildkrĂśte in der Ferne das wohlbekannte BrĂźllen des Rindviehes hĂśren wĂźrde.
Endlich malte sie sich aus, wie ihre kleine Schwester Alice in späterer Zeit selbst erwachsen sein werde; und wie sie durch alle reiferen Jahre hindurch das einfache liebevolle Herz ihrer Kindheit bewahren, und wie sie andere kleine Kinder um sich versammeln und deren Blicke neugierig und gespannt machen werde mit manch einer wunderbaren Erzählung, vielleicht sogar mit dem Traume vom Wunderlande aus alten Zeiten; und wie sie alle ihre kleinen Sorgen nachfßhlen, sich ßber alle ihre kleinen Freuden mitfreuen werde in der Erinnerung an ihr eigenes Kindesleben und die glßcklichen Sommertage.