- Brief 1: An Frau Saville, London
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Brief 1: An Frau Saville, London
St. Petersburg, den 11. Dez. 18..
Es wird Dir Freude bereiten, zu hĂśren, daĂ kein MiĂgeschick den Anfang des Unternehmens betroffen hat, dessen Vorbereitungen Du mit solch trĂźben Ahnungen verfolgtest. Ich bin gestern hier angekommen, und das Erste, was ich tue, ist, meiner lieben Schwester mitzuteilen, daĂ ich mich wohl befinde und daĂ ich mit immer wachsenden Hoffnungen dem Fortgang meines Unternehmens entgegensehe.
Ich bin ein gut StĂźck weiter nĂśrdlich als London, und wenn ich so durch die StraĂen Petersburgs schlendere, pfeift mir ein eisiger Wind um die Wangen, der meine Nerven erfrischt und mich mit Behagen erfĂźllt. Begreifst Du dieses GefĂźhl? Dieser Wind, der aus den Gegenden herbraust, denen ich entgegenreise, gibt mir einen Vorgeschmack jener frostigen Klimate. Dieser Wind trägt mir auf seinen FlĂźgeln VerheiĂungen zu und meine Phantasien werden lebhafter und glĂźhender. Ich versuche vergebens, mir klar zu machen, daĂ der Pol eine EiswĂźste sein muĂ; immer stelle ich ihn mir als eine Stätte der SchĂśnheit und des EntzĂźckens vor. Dort, Margarete, geht die Sonne nicht unter; ihre mächtige Scheibe streift am Horizont und verbreitet ein mildes Licht. Was dĂźrfen wir erwarten von diesem Lande der ewigen Sonne? Vielleicht entdecke ich dort den Sitz jener geheimnisvollen Kraft, die der Magnetnadel ihre Richtung verleiht, und bin imstande, die Unrichtigkeit so mancher astronomischen Beobachtung und Hypothese zu beweisen. Meine brennende Neugierde will ich mit dem Anblick von Ländern befriedigen, die nie eines Menschen Auge noch sah, Erde werde ich betreten, die nie vorher eines Menschen FuĂ betrat. All das erscheint mir so verlockend, daĂ ich Not und Tod nicht fĂźrchte und die mĂźhselige Reise mit den freudigen GefĂźhlen eines Kindes antreten werde, das mit seinen Gespielen das erste Mal ein Boot besteigt, um den benachbarten FluĂ zu befahren. Und selbst wenn alle meine Vermutungen mich täuschen sollten, werde ich wenigstens darin ein erhabenes Ziel finden, eine Passage nahe dem Pole zu jenen Ländern zu entdecken, deren Erreichung heute noch Monate in Anspruch nimmt, oder dem Geheimnis des Magnetismus näher zu kommen, was ja doch nur durch eine Reise geschehen kann, wie ich sie unternehmen will.
Diese Betrachtungen haben die ganze RĂźhrung verfliegen lassen, die sich meiner bei Beginn dieses Briefes bemächtigt hatte, und ich glĂźhe vor himmelstĂźrmendem Enthusiasmus. Nichts vermag der Seele so sehr das GleichmaĂ zu verleihen als eine ernste Absicht, ein fester Punkt, auf den sich das geistige Auge richten kann. Diese Expedition war schon ein Wunsch meiner frĂźhen Jugendjahre. Ich habe mit heiĂem Kopfe die mannigfachen Beschreibungen der Reisen gelesen, die die Entdeckung einer Passage durch die den Pol umgebenden Meere nach dem nĂśrdlichen Teile des Stillen Ozeans bezweckten. Du erinnerst Dich vielleicht, daĂ solche Reisebeschreibungen den Hauptbestandteil der Bibliothek unseres guten Onkels Thomas bildeten. Jene Werke waren mein Studium, dem ich Tage und Nächte widmete, und je mehr ich mich mit ihnen befreundete, desto tiefer bedauerte ich es, daĂ mein Vater auf dem Sterbebett meinem Onkel das Versprechen abgenommen hatte, mich nicht Seemann werden zu lassen.
Sechs Jahre sind es nun, daĂ ich den Plan zu meinem jetzigen Unternehmen faĂte. Ich erinnere mich noch, als sei es gestern gewesen, der Stunde, in der ich mich der groĂen Aufgabe widmete. Ich begann damit, meinen KĂśrper zu stählen. Ich nahm an den Fahrten mehrerer Walfischfänger in die Nordsee teil; ich ertrug freiwillig Kälte, Hunger und Durst und versagte mir den Schlaf; ich arbeitete zuweilen härter als der letzte Matrose und widmete dann meine Nächte dem Studium der Mathematik, der Medizin und jenen physikalischen Disziplinen, von denen der Seefahrer Nutzen erwarten darf. Zweimal lieĂ ich mich als gemeiner Matrose auf einem GrĂśnlandfahrer anwerben und entledigte mich erstaunlich gut meiner selbstgewählten Aufgabe. Ich muĂ gestehen, ich empfand einen gewissen Stolz, als mir der Kapitän die Stelle eines ersten Offiziers auf seinem Schiffe anbot und mich allen Ernstes beschwor, zu bleiben. So hoch hatte er meine Dienste schätzen gelernt.
Habe ich es also nicht verdient, liebe Margarete, eine groĂe Aufgabe zu erfĂźllen? Ich kĂśnnte ein Leben voll Reichtum und Luxus fĂźhren, aber ich habe den Ruhm den Annehmlichkeiten vorgezogen. O mĂśchte mir doch eine ermunternde Stimme sagen, was ich zu erwarten habe! Mein Mut ist groĂ und mein EntschluĂ steht fest; aber mein Selbstvertrauen hat oft gegen tiefste Entmutigung anzukämpfen. Ich habe eine lange, schwierige Reise vor mir, deren Anforderungen meine ganze Kraft beanspruchen, und ich soll ja nicht nur mir selbst den Mut erhalten, sondern auch noch den anderer anfeuern.
Gegenwärtig haben wir die fĂźr das Reisen in RuĂland vorteilhafteste Jahreszeit. In Schlitten fliegt man pfeilschnell Ăźber den Schnee. Die Kälte ist nicht lästig, wenn man sich genĂźgend in Pelze gehĂźllt hat, und das habe ich mir schon angewĂśhnt. Denn es ist ein bedeutender Unterschied, ob Du an Deck spazieren gehst oder stundenlang unbeweglich auf einen Sitz gebannt bist, so daĂ Dir das Blut tatsächlich in den Adern erstarrt. Ich habe absolut nicht den Wunsch, auf der PoststraĂe zwischen Petersburg und Archangel zu erfrieren.
Dorthin will ich in vierzehn Tagen oder drei Wochen abreisen. Ich beabsichtige, dort ein Schiff zu mieten und unter den an die Walfischfängerei gewĂśhnten Leuten die nĂśtige Anzahl von Matrosen anzuwerben. Ich werde kaum vor Juni abfahren kĂśnnen. Aber wann werde ich zurĂźckkehren? Wie kĂśnnte ich wohl diese Frage beantworten, liebste Schwester? Wenn ich Erfolg habe, kĂśnnen viele, viele Monate, vielleicht Jahre vergehen, ehe wir uns wiedersehen. Wenn es miĂlingt, sehen wir uns vielleicht eher wieder oder nie mehr.
Leb wohl, Margarete. Der Himmel schenke Dir seinen reichen Segen und schĂźtze mich, daĂ es mir auch fernerhin vergĂśnnt sei, Dir meine Dankbarkeit fĂźr all Deine Liebe und GĂźte zu beweisen.
Stets Dein treuer Bruder
R. Walton.

Brief 2: An Frau Saville, London
Archangel, 28. März 18..
Wie langsam hier doch die Zeit vergeht, mitten in Eis und Schnee! Der zweite Schritt zur AusfĂźhrung meines Planes ist getan. Ich habe ein Schiff gemietet und bin daran, meine Matrosen zu heuern. Die, welche ich schon angeworben habe, scheinen mir Leute zu sein, auf die man sich verlassen kann und die unbegrenzten Mut besitzen.
Aber etwas fehlt mir, Margarete, ein Freund. Wenn ich von dem Enthusiasmus meiner Erfolge glĂźhe, dann habe ich keinen Menschen, mit dem ich meine Freude teilen kann; und habe ich MiĂerfolge, dann ist niemand da, der mir zuspricht und mich wieder aufmuntert. Ich werde meine Gedanken dem Papier anvertrauen, das ist wenigstens etwas; aber immerhin ist es doch ein armseliges Mittel zur Aufnahme unserer GefĂźhle. Ich bedĂźrfte eines Mannes, einer gleichfĂźhlenden Seele. Du wirst mich vielleicht sentimental schelten, aber ich kann nichts dafĂźr, ich brauche einen Freund. Ich habe niemand um mich, der, zugleich vornehm und mutig, gebildet und verständig, von denselben Neigungen wie ich, imstande wäre, meinen Plänen zuzustimmen oder davon abzuraten. Welch guten EinfluĂ kĂśnnte ein solcher Freund auf Deinen armen Bruder haben! Ich bin zu unĂźberlegt und verliere bei Schwierigkeiten zu rasch die Geduld.
Was helfen aber alle Klagen? Auf dem weiten Ozean werde ich ebensowenig einen Freund finden wie hier in Archangel mitten unter Kaufleuten und Seefahrern. Nicht als ob ich sagen mĂśchte, daĂ diese rauhen Naturen ohne jegliches menschliche FĂźhlen wären. Mein Leutnant zum Beispiel ist ein Mensch von auĂerordentlichem Mut und unvergleichlicher Tatkraft, geradezu begierig nach Ruhm. Oder wenn ich mich deutlicher ausdrĂźcken muĂ, begierig, in seinem Beruf Hervorragendes zu leisten. Er ist Engländer und hat sich mitten in seinem Berufe, fern von aller Kultur, einige feine menschliche Regungen zu bewahren gewuĂt. Ich lernte ihn zuerst an Bord eines Walfischfängers kennen. Da er hier in Archangel keine geeignete Beschäftigung zu haben schien, war es mir ein leichtes, ihn fĂźr mich zu gewinnen.
Der Maat ist ein Mann von vorzĂźglichen Anlagen und auf dem Schiffe beliebt wegen seiner Milde und der vornehmen Behandlung der Mannschaft. Dieser Umstand, verbunden mit seiner untadeligen Ehrlichkeit und seinem rĂźcksichtslosen Mut, brachten mich zu dem EntschluĂ, den Mann anzuwerben. Meine einsam verbrachte Jugend, der EinfluĂ, den Du in meinen späteren Jahren auf mich geĂźbt, haben mein GemĂźt derart verfeinert, daĂ mir der Ăźbliche rohe Ton an Bord ein Greuel ist; ich habe ihn von jeher fĂźr unnĂśtig gehalten. Es ist daher sehr begreiflich, daĂ ich mich der Dienste eines Mannes versicherte, der zugleich wegen seiner HerzensgĂźte als auch wegen des groĂen Einflusses auf seine Untergebenen bekannt war.
Meine Gefßhle kann ich Dir nicht beschreiben, die mich beseelen, jetzt, wo ich so nahe der Erfßllung meiner Träume bin. Es ist unmÜglich, Dir auch nur annähernd die Empfindungen zu schildern, die alle meine Reisevorbereitungen begleiten. Ich bin im Begriff, unerforschte Landstriche zu betreten, die Heimat des Nebels und des Schnees; aber ich werde nicht nach Albatrossen jagen, deshalb sei um meine Sicherheit nicht besorgt.
Werde ich Dich erst wiedersehen, wenn ich nach langer Fahrt durch ungeheure Ozeanweiten einmal an der SĂźdspitze von Afrika oder Amerika herauskomme? Solche Erfolge darf ich ja gar nicht erwarten; aber ich bringe es jetzt nicht Ăźber das Herz, die Kehrseite der Medaille zu betrachten. Schreibe mir jedenfalls so oft als es Dir mĂśglich ist, vielleicht erreichen mich Deine Briefe gerade dann, wenn ich ihrer am notwendigsten bedarf. Ich habe Dich herzlich lieb. Denke auch Du meiner in Liebe, wenn es sich treffen sollte, daĂ wir uns nimmer sehen. Stets Dein getreuer Bruder
Robert Walton.

Brief 3: An Frau Saville, London
Juli 18..
Liebe Schwester! Ich schreibe Dir in aller Eile, um Dich wissen zu lassen, daĂ ich wohlauf bin und daĂ ich schon ein StĂźck meiner Reise hinter mir habe. Diesen Brief wird ein Kaufmann von Archangel aus nach England mitbringen. Der GlĂźckliche! Er kann wieder Heimatluft atmen, was mir vielleicht auf Jahre hinaus nicht vergĂśnnt sein wird. Trotzdem bin ich bester Laune. Meine Leute sind kĂźhn und offenbar zu allem willig; auch die schwimmenden Eisberge, die unaufhĂśrlich an uns vorbeiziehen und uns die Gefahren vorausahnen lassen, denen wir entgegengehen, scheinen ihnen keine Sorge einzuflĂśĂen. Wir haben schon eine hohe nĂśrdliche Breite erreicht, aber es ist Hochsommer, und wenn es auch nicht ganz so warm ist wie in England, so tragen uns doch die SĂźdwinde, indem sie uns dem heiĂersehnten Ziele näherbringen, eine wohltuende Wärme zu, wie ich sie nicht erwartet hätte.
Bisher hat sich noch nichts ereignet, was der Mitteilung wert wäre. Ein oder zweimal eine steife Brise und einmal ein kleines Leck, das sind Zufälle, deren ein erfahrener Seemann kaum Erwähnung tut, und ich will recht zufrieden sein, wenn uns auf der ganzen Reise nichts Unangenehmeres passiert.
Lebe Wohl, teure Margarete. Sei Ăźberzeugt, daĂ ich um Deinet- wie um meinetwillen mich nicht allzu kĂźhn der Gefahr aussetzen werde. Ich will kaltblĂźtig, Ăźberlegt und vernĂźnftig sein.
Aber der Erfolg muà mein Werk krÜnen. Warum auch nicht? So weit bin ich nun gekommen ßber die pfadlose See; nur die Sterne am Himmel sind Zeugen meines Sieges. Warum soll ich nicht noch weiter fortschreiten auf dem ungezähmten, aber doch zähmbaren Element? Was wäre imstande, sich auf die Dauer dem mutigen, willensstarken Manne entgegenzustellen?
Mein Herz ist zu voll, als daĂ es nicht Ăźberlaufen sollte. Aber ich muĂ schlieĂen. Gott sei mit Dir, liebe Schwester!
Robert Walton.

Brief 4: An Frau Saville, London
August 18..
Etwas sehr MerkwĂźrdiges hat sich ereignet und ich muĂ es Dir berichten, wenn ich auch wahrscheinlich eher bei Dir bin, als diese Zeilen Dich erreichen.
Letzten Montag (31. Juli) waren wir fast ganz von Eis eingeschlossen, so daĂ das Schiff kaum mehr den zum Vorwärtskommen nĂśtigen Platz hatte. Unsere Lage war einigermaĂen gefährlich, besonders deswegen, weil ein dichter Nebel uns einhĂźllte. Wir drehten deshalb bei, in der Hoffnung, daĂ die Witterung endlich anders werde.
Gegen zwei Uhr lichtete sich der Nebel und wir erblickten, wohin wir sahen, weite, fast unermeĂlich scheinende Eisflächen. Einige meiner Leute wurden unruhig und auch mich beschlichen trĂźbe, ängstliche Gedanken, als plĂśtzlich etwas Seltsames unsere Aufmerksamkeit auf sich zog und uns unsere gefährliche Situation vergessen lieĂ. Wir bemerkten einen niedrigen Wagen, der auf Schlittenkufen befestigt war, von Hunden gezogen wurde und sich in einer Entfernung von etwa einer halben Meile nordwärts bewegte. Im Schlitten saĂ eine Gestalt, die einem Menschen, aber einem solchen von auĂergewĂśhnlicher GrĂśĂe glich und die Tiere lenkte. Wir verfolgten mit unseren Fernrohren den Reisenden, der blitzschnell dahinflog und bald durch Unebenheiten des Eises unseren Blicken entzogen wurde.
Diese Erscheinung erregte begreiflicherweise unsere Neugierde in hohem MaĂe. Wir hatten geglaubt, uns Hunderte von Meilen vom festen Lande entfernt zu befinden, diese Erscheinung aber schien uns das Gegenteil zu beweisen. Da wir vom Eise vĂśllig eingeschlossen waren, war es uns unmĂśglich, die Spuren des rätselhaften Wesens zu verfolgen.
Etwa zwei Stunden danach hĂśrten wir die GrunddĂźnung, und ehe es Nacht wurde, lĂśste sich das Eis und das Schiff wurde frei. Trotzdem aber blieben wir bis zum Morgen liegen, da wir fĂźrchten muĂten, in der Dunkelheit mit den treibenden Eismassen zusammenzustoĂen. Ich benĂźtzte diese Zeit, um mich etwas auszuruhen.
Als es Tag wurde, ging ich an Deck und fand alle Matrosen auf einer Seite des Schiffes stehen, sich mit jemand unterhaltend, der scheinbar unten auf dem Wasser war. Es war in der Tat ein Schlitten, ähnlich dem, den wir gestern gesehen hatten; er war in der Nacht auf einem schwimmenden Stßck Eis zu uns herangetrieben worden. Nur ein Hund war noch vorgespannt, und im Schlitten saà ein Mensch, den die Matrosen veranlassen wollten, an Bord zu kommen. Er war nicht, wie uns der Fremde von gestern geschienen hatte, ein wilder Eingeborener irgend eines unentdeckten Eilandes, sondern ein Europäer. Als ich an Deck kam, sagte der Maat: Da kommt unser Kapitän, der wird nicht zugeben, daà Sie auf offener See zugrunde gehen.
Der Fremde gewahrte mich und sprach mich dann englisch, allerdings mit etwas eigentĂźmlichem Dialekt, an. ÂťEhe ich an Bord Ihres Schiffes gehe,ÂŤ sagte er, Âťbitte ich Sie mir zu sagen, wohin Sie zu fahren gedenken.ÂŤ
Du wirst begreifen, daĂ ich momentan sehr erstaunt war, diese Frage von einem Menschen zu hĂśren, der eben knapp dem Untergang entronnen zu sein schien und von dem man annehmen muĂte, daĂ ihm mein Schiff ein Zufluchtsort sei, den er nicht gegen alle ReichtĂźmer der Erde mehr vertauscht haben wĂźrde. Ich erklärte ihm, daĂ ich mich mit meinem Schiffe auf einer Entdeckungsreise nach dem Nordpol befände.
Dies schien ihn zufriedenzustellen und er nahm meine Einladung an. GroĂer Gott! Margarete, wenn Du den Mann gesehen hättest, der sich nur so schwer retten lieĂ, Dein Erstaunen hätte keine Grenzen gehabt. Seine Glieder waren fast vĂśllig erfroren und sein Leib war fĂśrmlich gebrochen von MĂźdigkeit und Krankheit. Ich habe noch nie einen Menschen in einer so kläglichen Verfassung gesehen. Wir versuchten ihn in die KajĂźte zu tragen, aber kaum hatten wir ihn unter Deck, da wurde er schon ohnmächtig. Wir brachten ihn also wieder an Deck zurĂźck und suchten durch Reiben mit Branntwein und EinflĂśĂen von kleinen Schlucken ihn ins Leben zurĂźckzurufen. Als er Lebenszeichen von sich zu geben begann, wickelten wir ihn in LeinentĂźcher und legten ihn in der Nähe des KĂźchenofens nieder. Allmählich erholte er sich und aĂ ein paar LĂśffel Suppe, die ihm sehr wohl taten.
Zwei Tage vergingen, ehe es ihm mĂśglich war zu sprechen, und mir kam es zuweilen vor, als hätten ihm all die Leiden den Verstand geraubt. Als er einigermaĂen hergestellt war, lieĂ ich ihn in meine KajĂźte bringen und pflegte ihn, soweit es sich mit meinen Pflichten vereinbaren lieĂ. Ich habe nie in meinem Leben einen interessanteren Menschen kennen gelernt. Seine Augen haben meist den Ausdruck der Wildheit, ich mĂśchte fast sagen des Irrsinnes; aber in manchen Momenten, besonders wenn ihm jemand etwas Liebes erweist oder ihm einen, wenn auch noch so kleinen Dienst leistet, leuchtet sein ganzes Wesen auf und wird durchstrahlt von einem Schimmer von LiebenswĂźrdigkeit und Freundlichkeit, wie man ihn selten findet. Sonst ist er aber melancholisch und verzweifelt und knirscht zuweilen mit den Zähnen, als kĂśnne er das ĂbermaĂ der Qualen, die er leidet, nimmer tragen.
Als mein Gast einigermaĂen wieder gesund war, hatte ich groĂe MĂźhe, meine Leute zu verhindern, daĂ sie ihn mit allen mĂśglichen Fragen belästigten. Ich konnte es doch nicht gestatten, daĂ durch ihre mĂźĂige Neugierde die geistige und kĂśrperliche Genesung des Fremden, die offenbar nur durch ungestĂśrteste Ruhe bewirkt werden konnte, aufgehalten werden sollte. Einmal jedoch gelang es meinem Leutnant dennoch, die Frage an ihn zu richten, wo er denn in seinem seltsamen Vehikel so weit Ăźber das Eis herkäme.
Ein Schatten tiefster BetrĂźbnis huschte Ăźber sein Gesicht, dann sagte er: ÂťUm einen zu suchen, der mich floh.ÂŤ
ÂťUnd reiste der Mann, den Sie suchten, in derselben Weise, wie Sie?ÂŤ
ÂťJa.ÂŤ
ÂťDann, glaube ich, haben wir ihn gesehen. Denn am Tage, ehe wir Sie fanden, sahen wir einen Mann auf einem von Hunden gezogenen Schlitten Ăźber das Eis hinwegfahren.ÂŤ
Dies erregte die Aufmerksamkeit des Fremden und er stellte eine Reihe dringender Fragen, die sich darauf bezogen, welche Richtung der Dämon â so nannte er den anderen â genommen habe. Als er kurz nachher mit mir allein war, sagte er: ÂťIch habe ohne Zweifel Ihre Neugierde erregt, ebenso wie die dieser guten Leute, aber Sie selbst sind ja zu rĂźcksichtsvoll, um mich auszufragen.ÂŤ
ÂťGewiĂ; ich wĂźrde es fĂźr aufdringlich und unmenschlich halten, Sie mit irgendwelchen Fragen zu belästigen.ÂŤ
ÂťUnd das, trotzdem Sie mich aus einer seltsamen, verzweifelten Situation gerettet und mich zum Leben zurĂźckgebracht haben!ÂŤ
Einige Zeit danach fragte er mich, ob ich glaube, daĂ der Eisgang den Schlitten des ÂťAnderenÂŤ zerstĂśrt habe. Ich antwortete ihm, daĂ ich hierĂźber mit Bestimmtheit nichts aussagen kĂśnne, denn der Eisgang habe erst gegen Mitternacht eingesetzt und der Reisende kĂśnne bis dahin recht wohl sich in Sicherheit gebracht haben.
Seit dieser Auskunft schien neuer Lebensmut den gebrechlichen KÜrper des Fremden zu durchstrÜmen. Er wollte absolut an Deck bleiben, um nach dem Schlitten auszuspähen, von dem wir ihm gesprochen hatten. Aber ich habe ihn ßberredet, sich in der Kabine aufzuhalten, da er fßr die rauhe Temperatur da oben doch noch nicht stark genug sei. Ich habe ihm aber versprochen, daà jemand an seiner Stelle Ausschau halten und ihn sofort benachrichtigen werde, wenn sich irgend etwas sehen lassen sollte.
Bis zum heutigen Tage habe ich Dir nun alles Ăźber das seltsame Ereignis berichtet. Der Fremde scheint sich nach und nach zu kräftigen, aber er ist still und in sich gekehrt und ist ärgerlich, wenn ein anderer als ich seine KajĂźte betritt. Aber er ist trotzdem so freundlich und liebenswĂźrdig, daĂ die Matrosen ihn alle gern haben, wenn sie auch nur sehr wenig mit ihm in BerĂźhrung kommen. Ich aber gewinne ihn allmählich lieb wie einen Bruder und sein ständiger, tiefer Gram flĂśĂt mir tiefes Mitleid mit ihm ein. Er muĂ in seinen guten Tagen ein prächtiger Mensch gewesen sein, er, der noch als Wrack so anziehend und liebenswert ist.
Ich habe schon einmal in einem meiner Briefe gesagt, liebe Margarete, daà es mir wohl nicht vergÜnnt sein werde, auf dem weiten Ozean einen Freund zu finden. Aber ich habe wenigstens einen Mann kennen gelernt, der mir wirklich, wäre sein Geist nicht so tief verstÜrt, ein Herzensfreund hätte werden kÜnnen.
Ich werde Dir von Zeit zu Zeit von dem Fremden berichten, vorausgesetzt, daĂ es etwas zu berichten gibt.
*
- August 18..
Meine Zuneigung zu dem unglĂźcklichen Gaste wächst von Tag zu Tag. Ich bewundere und bemitleide ihn zugleich. Wie wäre es mĂśglich, ein so edles GeschĂśpf von Gram verzehrt zu sehen, ohne selbst den tiefsten Schmerz mitzuempfinden? Er ist so gut und dabei klug, auch ist er auĂerordentlich gebildet und spricht wohlgesetzt und gewandt.
Er hat sich jetzt von seiner Krankheit ziemlich erholt und hält sich unausgesetzt auf Deck auf, offenbar um den Schlitten nicht zu Ăźbersehen, auf den er immer noch wartet. Er ist unglĂźcklich, aber in all seinem Elend hat er doch immer noch Interesse fĂźr die Pläne der andern. Er hat viel mit mir Ăźber den meinigen gesprochen, den ich ihm rĂźckhaltlos dargelegt habe. Aufmerksam folgte er allem, was ich im Sinne eines glĂźcklichen Ausganges meines Unternehmens vorzubringen wuĂte, und vertiefte sich mit mir bis in die Details der MaĂnahmen, die ich getroffen. Er hatte mir so viel Sympathie eingeflĂśĂt, daĂ ich offen mit ihm reden muĂte. Ich lieĂ ihn in meine leidenschaftliche Seele blicken und sagte ihm auch, daĂ ich gern mein ganzes VermĂśgen, meine Existenz, meine Zukunft aufs Spiel setze, um mein Unternehmen zu einem guten Ausgange zu fĂźhren. Leben oder Tod eines Mannes seien ja gar nichts im Vergleich zu dem, was der Wissenschaft durch mein Unternehmen genĂźtzt werde. Während ich sprach, Ăźberzog eine dunkle Glut das Antlitz meines ZuhĂśrers. Ich bemerkte, daĂ er anfänglich sich bemĂźhte, seine Bewegung zu meistern. Er hielt die Hände vor das Gesicht, und meine Stimme bebte und stockte, als ich sah, daĂ Tränen zwischen seinen Fingern niederrannen, als ich hĂśrte, wie ein wehes StĂśhnen sich seiner Brust entrang. Ich hielt inne, da sagte er mit gebrochener Stimme: ÂťUnglĂźcklicher! Hat Sie derselbe Wahnsinn erfaĂt wie mich? Haben auch Sie von dem Gifte getrunken? HĂśren Sie mich an, lassen Sie mich meine Geschichte berichten und Sie werden den Becher mit dem unheilvollen Trank von Ihren Lippen wegstoĂen.ÂŤ
Du kannst Dir denken, daĂ diese Worte meine ganze Neugier erregten. Aber das ĂbermaĂ des Schmerzes hatte die schwachen Kräfte des Fremden Ăźbermannt und es bedurfte vieler Stunden der Ruhe und sanfter Ăberredung, um ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Nachdem er seiner heftigen GefĂźhle Meister geworden war, schämte er sich, daĂ seine Leidenschaft ihn so Ăźberwältigt hatte. Er unterdrĂźckte mit Gewalt seine Verzweiflung und veranlaĂte mich, Ăźber mich selbst zu sprechen. Er frug nach meiner Kindheit. Diese war rasch erzählt, aber dennoch gab sie verschiedene AnknĂźpfungspunkte. Ich sprach von meinem Wunsche, einen Freund zu finden, von meiner Sehnsucht nach einer gleichgestimmten Seele, die ich nie mein eigen nennen durfte, und gab meiner Ăberzeugung Ausdruck, daĂ niemand wahres GlĂźck genossen habe, der sich nicht echter Freundschaft rĂźhmen kĂśnne.
ÂťIch bin ganz Ihrer Ansicht,ÂŤ entgegnete der Fremde. ÂťWir sind nur halbe GeschĂśpfe, wenn uns nicht ein Weiserer, Besserer â und das muĂ ja ein Freund sein â zur Seite steht, um unsere schwache, fehlerhafte Natur zu verbessern. Ich hatte einmal einen Freund, den edelsten Menschen, den man sich denken kann, und habe deshalb ein gewisses Recht mitzusprechen, wenn von Freundschaft die Rede ist. Sie sind noch voller Hoffnung und haben die Welt vor sich und deshalb keinen Grund zu verzweifeln. Aber ich â ich habe alles verloren und keinen Mut mehr, von vorn anzufangen.ÂŤ
Als er das sagte, nahm sein Gesicht einen gramvollen Ausdruck an, der mir bis ins Herz hinein weh tat. Aber er sprach nicht weiter und zog sich in seine KajĂźte zurĂźck.
Trotz seines Leides hegt er eine tiefe, innige Liebe zur Natur. Der sternenbesäte Himmel, das Meer und alle Wunder dieser herrlichen Regionen schienen erhebend auf seine Seele zu wirken. Ein solcher Mensch hat eigentlich eine doppelte Existenz: er mag leiden und sich grämen, aber wenn er sich in sich selbst zurßckzieht, dann ist er wie ein himmlischer Geist, den ein Heiligenschein umgibt, den Leid und Schmerz nicht zu verdunkeln vermÜgen.
Lächle nur Ăźber den Enthusiasmus, mit dem ich von diesem prächtigen Menschen erzähle. Wenn Du ihn kenntest, wĂźrdest Du nicht lächeln. Ich weiĂ, Deine feine Erziehung und die ZurĂźckgezogenheit Deines Lebens haben Dich wählerisch gemacht; aber gerade das wĂźrde Dich besonders geeignet machen, das AuĂerordentliche an diesem Menschen zu erkennen und zu schätzen. Ich habe mich schon Ăśfter bemĂźht, mir klar zu werden, was es ist, das ihn so himmelhoch Ăźber alle anderen Menschen erhebt. Ich glaube, vor allem ist es sein mehr als natĂźrlicher Scharfsinn, eine nie fehlende Urteilskraft, eine Erkenntnis der Ursachen aller Dinge. Stelle Dir nun noch vor, daĂ er die Gabe besitzt, sich glänzend, dabei klar und präzis auszudrĂźcken und daĂ seine Stimme eine auĂergewĂśhnliche Modulationsfähigkeit hat, so wirst Du begreifen, daĂ dieser Mann imstande ist, jemand zu bestricken.
*
- August 18..
Gestern sagte der Fremde zu mir: ÂťSie haben sicherlich erkannt, Kapitän Walton, daĂ mich groĂes, unsagbares Leid betroffen hat. Ich hatte schon beschlossen, daĂ die Erinnerung daran mit mir ins Grab steigen solle; aber Sie haben mich so weit gebracht, daĂ ich meinem EntschluĂ untreu geworden bin. Sie suchen, wie ich einst, nach Wissen und Weisheit und ich wĂźnsche Ihnen von ganzem Herzen, daĂ dieses Streben Ihnen nicht, wie mir, zum fĂźrchterlichsten Fluche werde. Ich weiĂ nicht, ob Ihnen die Erzählung meiner Leiden von Nutzen sein wird; wenn ich aber bedenke, daĂ Sie denselben Weg gehen wie ich, sich denselben Gefahren aussetzen, die mich zu dem machten, was ich jetzt bin, so kommt mir die Ăberzeugung, daĂ Sie aus meiner Erzählung doch eine Moral zu ziehen vermĂśgen; eine Moral fĂźr den Fall, daĂ Sie Erfolg mit Ihren Bestrebungen haben, wie auch fĂźr den Fall, daĂ Sie enttäuscht werden. Bereiten Sie sich darauf vor Dinge zu hĂśren, die Sie als unglaublich bezeichnen mĂśchten. Wären wir in kultivierteren Zonen der Erde, ich wĂźrde mich besinnen zu erzählen, weil ich fĂźrchten mĂźĂte, daĂ Sie mir nicht glauben oder mich gar verlachen kĂśnnten; aber in diesen wilden, geheimnisvollen Regionen wird Ihnen manches mĂśglich erscheinen, was solche, die mit den immer wechselnden Kräften der Natur nicht vertraut sind, zum Spotte reizen wĂźrde.ÂŤ â Du kannst Dir denken, daĂ ich dankbar und erfreut das Angebot annahm, wenn ich mir auch sagen muĂte, daĂ durch die Erzählung sein Leid wieder lebendiger, die Wunden nur wieder aufgerissen wĂźrden. Ich war ungeheuer gespannt auf das, was ich hĂśren sollte, teils aus wirklicher Neugierde, teilweise aber auch, weil ich hoffte, vielleicht dadurch einen Fingerzeig zu bekommen, wie ich, wenn es Ăźberhaupt mĂśglich wäre, ihm helfen kĂśnnte.
ÂťIch danke Ihnen,ÂŤ sagte er, ÂťfĂźr Ihre Teilnahme, aber sie ist unnĂźtz; mein Schicksal ist nahezu erfĂźllt. Ich warte nur eines ab; wenn dies eintrifft, werde ich zur Ruhe gehen. Ich verstehe Ihre GefĂźhle,ÂŤ fuhr er fort, nachdem ich vergebens versucht hatte, ihn zu unterbrechen, Âťaber Sie sind im Irrtum, mein Freund â wenn ich mir erlauben darf Sie so zu nennen â wenn Sie meinen, irgend etwas wäre imstande, mein Geschick zu ändern. HĂśren Sie erst meine Geschichte und Sie werden verstehen, wie unabänderlich es feststeht.ÂŤ
Er sagte mir noch, daà er am nächsten Tage mit seiner Erzählung beginnen wolle, wenn es meine Zeit erlaube. Dieses Versprechen verpflichtete mich zu aufrichtigem Danke. Ich habe beschlossen, immer nachts, wenn mich nicht gerade mein Dienst abhält, mÜglichst wÜrtlich alles niederzuschreiben, was ich am Tage erfahren haben werde. Zum mindesten aber werde ich mir kurze Notizen machen. Diese Aufzeichnungen werden Dir sicher interessant sein, und mit welcher Teilnahme werde erst ich, der ich doch alles von seinen eigenen Lippen hÜre, in späteren Zeiten die Zeilen lesen. Während ich daran denke, wie ich meiner Aufgabe gerecht werden soll, tÜnt in meinen Ohren noch seine volle, melodische Stimme; ich sehe seine warmen, melancholischen Augen auf mir ruhen, seine feinen, schmalen Hände sich lebhaft bewegen, während sich in den Zßgen seines Antlitzes seine Seele widerspiegelt. Seltsam und schrecklich muà seine Geschichte, furchtbar der Sturm gewesen sein, der das schÜne Lebensschiff zerbrach.

Kapitel 1
Ich bin in Genf geboren. Meine Familie ist eine der vornehmsten dieser Stadt. Mein Vater war angesehen bei allen, die ihn kannten, wegen seiner unbestechlichen Rechtschaffenheit und der unermßdlichen Hingabe an seine Pflichten. In jßngeren Jahren schon hatte er im Dienste seiner Vaterstadt gestanden und verschiedene Umstände hatten es mit sich gebracht, daà er lange nicht zur Grßndung eines eigenen Herdes gekommen war. Erst später hatte er geheiratet, als er die MittaghÜhe des Lebens schon ßberschritten.
Da die Vorgeschichte seiner Ehe fĂźr seinen ganzen Charakter bezeichnend ist, kann ich nicht umhin, ihrer Erwähnung zu tun. Einer seiner intimsten Freunde war ein Kaufmann, der infolge miĂgĂźnstiger Schicksale von der HĂśhe des GlĂźckes herab in die tiefste Armut geriet. Dieser Mann, er hieĂ Beaufort, war stolz und unbeugsam und konnte es nicht ertragen, jetzt an der gleichen Stätte arm und vergessen zu leben, wo man ihn einst wegen seines Reichtums und seines glänzenden Auftretens besonders geehrt hatte. Er zahlte als ehrlicher Mann noch seine Schulden und zog sich dann mit seiner Tochter nach Luzern zurĂźck, wo er unerkannt und armselig sein Leben fristete. Mein Vater war ihm in aufrichtiger Freundschaft zugetan und fĂźhlte tiefes Erbarmen mit dem unglĂźcklichen Manne. Auch bedauerte er sehr den falschen Stolz, der den Freund hinderte, seine Hilfe anzunehmen; hatte er doch gehofft, ihm mit seinem Rat und seinem Kredit wieder auf die Beine helfen zu kĂśnnen.
Tatsächlich hielt sich Beaufort dermaĂen sorgfältig verborgen, daĂ es meinem Vater erst nach Verlauf von zehn Monaten gelang, ihn ausfindig zu machen. Ăberwältigt von der Freude, die ihm diese Entdeckung bereitet hatte, eilte er nach dem Hause, das in einer schmalen Gasse in der Nähe der ReuĂ lag. Aber schon bei seinem Eintritt wurde ihm klar, daĂ er eine Stätte der Not und des Elendes vor sich sah. Beaufort hatte aus seinem Zusammenbruch nur eine ganz unbedeutende Summe gerettet, aber sie hätte wenigstens genĂźgt, ihn einige Monate zu erhalten. In dieser Zeit hoffte er in einem Kaufhause eine Stellung zu finden. Die erzwungene Untätigkeit gab ihm Zeit, noch mehr Ăźber das nachzudenken, was aus ihm geworden, und vertiefte seinen Gram, so daĂ er schlieĂlich nach drei Monaten aufs Krankenbett sank.
Seine Tochter pflegte ihn mit der äuĂersten Hingabe, aber sie konnte es sich nicht verhehlen, daĂ ihr kleines Kapital rapid dahinschwand und daĂ dann keine Hoffnung auf irgend eine UnterstĂźtzung bestand. Aber Karoline Beaufort besaĂ eine ungewĂśhnliche Spannkraft und ihr Mut wuchs in diesen Widerwärtigkeiten. Sie versah die ganze Arbeit und vermochte durch Strohflechtereien wenigstens so viel zu verdienen, daĂ sie beide gerade noch notdĂźrftig ihr Leben zu fristen imstande waren.
Einige Monate vergingen in dieser Weise. Ihr Vater wurde immer elender, so daĂ sie von seiner Pflege ausschlieĂlich in Anspruch genommen wurde. Die letzten Notpfennige waren bald ausgegeben und im zehnten Monat starb ihr Vater in ihren Armen, sie als bettelarme Waise zurĂźcklassend. Dieser letzte Schlag war der härteste fĂźr sie; sie kniete gerade bitterlich weinend am Sarge Beauforts, als mein Vater eintrat. Er kam wie ein rettender Engel zu dem armen Mädchen und vertrauensvoll legte sie ihr Geschick in seine helfenden Hände. Nach der Beerdigung seines Freundes brachte er Karoline nach Genf und gab sie dort Verwandten zur Obhut. Zwei Jahre später war sie seine Frau.
Der Altersunterschied meiner beiden Eltern war zwar sehr bedeutend, aber gerade das schien die Liebe, die sie zu einander hegten, nur zu vertiefen. Mein Vater besaĂ ein ausgeprägtes GerechtigkeitsgefĂźhl, das ihn nur da wirklich lieben lieĂ, wo er auch seine Achtung geben konnte. Vielleicht hatte er in seinen frĂźheren Jahren irgend eine Erfahrung in dieser Hinsicht gemacht und legte deshalb so viel Wert auf den inneren Wert. Er zeigte fĂźr meine Mutter eine Verehrung, die sich von der schwächlichen Liebe älterer Leute wohl unterschied und die aus wirklicher Hochachtung vor ihr entsprang und vielleicht auch aus dem Wunsche, sie fĂźr all das Leid zu entschädigen, das ihr ihre Jugend gebracht. Alles drehte sich um sie, um ihr Wohlergehen. Er hielt sie, wie ein Gärtner eine wertvolle exotische Blume hält und sie vor jedem rauhen Windzug behĂźtet. Allerdings hatte ihre Gesundheit und auch ihr starker, mutiger Geist unter den schweren ErschĂźtterungen gelitten. Während der zwei Jahre, die seiner Verehelichung vorausgingen, hatte mein Vater allmählich alle seine Ămter abgegeben, und sofort nach der Hochzeit begab sich das Paar nach Italien, wo das milde Klima und eine Reise durch das wundervolle Land die Gesundheit der jungen Frau wiederherstellen sollten.
Von Italien aus ging dann die Reise nach Deutschland und Frankreich. Ich, das älteste Kind, kam in Neapel zur Welt und begleitete als kleiner Bursche schon meine Eltern auf ihren Streifzßgen. Mehrere Jahre blieb ich ihr einziges Kind. Aus ihrer unerschÜpflichen Liebe zueinander entsprang eine reiche Quelle von Liebe fßr mich. Die Liebkosungen meiner Mutter und das wohlwollende Lächeln meines Vaters sind meine ersten Erinnerungen. Ich war ihnen zugleich Spielzeug und Idol und, was das Beste ist, ihr Kind, das kleine, hilflose Wesen, das ihnen Gott geschenkt hatte, um es aufzuziehen, dessen Wohl und Wehe in ihren Händen lag. Es ist nicht verwunderlich, daà bei dem hohen Pflichtgefßhl, das meine Eltern beseelte, und bei dem Geiste wahrer Zärtlichkeit, der in unserem Hause waltete, mein Leben einer Reihe von Freuden glich.
Lange Zeit war ich ihre einzige Sorge. Meine Mutter hatte sich noch ein TĂśchterchen ersehnt, aber ich blieb das einzige Reis am Baume. Als ich etwa fĂźnf Jahre alt war, machten wir eine Reise nach der italienischen Grenze und verbrachten auch eine Woche an den Gestaden des Comersees. Ihr wohltätiger Sinn fĂźhrte sie oftmals in die HĂźtten der Armen. Meine Mutter empfand das nicht nur als eine Pflicht, es war ihr ein BedĂźrfnis, eine Leidenschaft, den Armen in ihrem Elend ein Engel zu sein, denn sie hatte selbst viel gelitten und wuĂte, wie weh das tut. Bei einem ihrer Spaziergänge erregte eine kleine HĂźtte ihre Aufmerksamkeit, die wie verschämt sich in einem Seitentale barg und die, von der Schar armselig gekleideter Kinder zu schlieĂen, die vor der TĂźre saĂen, ein gut Teil Not und Elend zu bergen schien. Als mein Vater eines Tages nach Mailand verreist war, besuchte meine Mutter diese HĂźtte und ich durfte sie begleiten. Wir trafen ein bäuerisches Ehepaar, von Sorge und harter Arbeit niedergebeugt, das gerade ein karges Mahl an die fĂźnf hungernden Kinder verteilte. Unter diesen war eines, das meiner Mutter besonders auffiel, denn es schien von ganz anderem Schlage. Während die Ăźbrigen Kinder schwarzäugige, derbe Kerle waren, sah die schlanke Kleine sehr hĂźbsch aus. Sie hatte glänzendes Goldhaar und trotz der Armut ihrer Kleidung breitete sich ein unverkennbarer Adel Ăźber sie aus. Ihre Stirn war breit und hoch, ihre Augen leuchteten wie Sterne und ihr ganzes Antlitz war so lieblich, daĂ man sie nicht ansehen konnte, ohne sofort das GefĂźhl zu haben, daĂ sie etwas Besonderes, ein gottbegnadetes GeschĂśpf sei. Die Bäuerin hatte gleich bemerkt, daĂ meine Mutter mit Interesse und Bewunderung ihre Augen auf der Kleinen ruhen lieĂ, und erzählte sofort deren Lebensgeschichte. Sie war nicht ihr Kind, sondern das TĂśchterchen eines Edelmannes aus Mailand. Ihre Mutter, eine Deutsche, war gestorben, als sie dem Kinde das Leben gegeben hatte. Man hatte ihnen das kleine Wesen zur Pflege Ăźbergeben, sie waren damals noch nicht so arm gewesen. Sie waren noch nicht lange verheiratet und ihr erstes Kind war damals gerade zur Welt gekommen. Der Vater ihres Pflegekindes war einer jener Italiener gewesen, die in der Erinnerung an die glorreiche Geschichte ihrer Heimat aufgewachsen waren; einer jener Männer, die sich selbst opferten, um ihrem Vaterlande die Freiheit zu verschaffen. Auch er fiel seiner Leidenschaft zum Opfer. Ob er starb oder ob er noch in einem der Gefängnisse Ăsterreichs schmachtete, wuĂte man nicht. Jedenfalls waren seine GĂźter konfisziert worden und sein Kind war ein Bettelkind geworden. Es blieb bei seinen Pflegeeltern und blĂźhte in der rauhen Umgebung schĂśner wie eine Rose zwischen dunkelfarbigem Unkraut.
Als mein Vater von Mailand zurĂźckkehrte, fand er mich auf dem Vorplatze unserer Villa mit der Kleinen spielend, die schĂśn war wie ein Cherub; ein Wesen, aus dessen Augen wundervolle Strahlen leuchteten und das schlank und beweglich war wie eine Gemse. Die Angelegenheit war bald geregelt. Mit Erlaubnis meines Vaters vermochte die Mutter die armen Leute rasch zu bewegen, ihr die Obhut Ăźber das Kind zu Ăźberlassen. Sie konnten die arme, sĂźĂe Waise gut leiden und sie war ihnen immer wie ein Sonnenschein im Hause gewesen; deshalb hätten sie es nicht Ăźbers Herz gebracht, sie in Not und Elend zurĂźckzuhalten, während ihr die Vorsehung ein solches GlĂźck bescherte. Sie fragten noch den Priester des Ortes um Rat, und das Resultat dieser Unterredung war, daĂ Elisabeth Lavenza ihren Einzug in das Haus meiner Eltern hielt. Sie wurde mir lieber als eine Schwester â die liebliche, angebetete Gefährtin meines Schaffens und meiner Erholung.
Jeder hatte Elisabeth gern. Die Liebe und Verehrung, mit der sie alle bedachten, die ihr näher traten, war mein Stolz und meine Freude. Am Vorabend des Tages, an dem Elisabeth zu uns kam, sagte meine Mutter zu mir: ÂťIch habe ein reizendes Geschenk fĂźr meinen Viktor, morgen sollst du es haben.ÂŤ Und als sie am Morgen das Kind mir als die versprochene Gabe zeigte, faĂte ich voll kindlichen Ernstes ihre Worte so auf, daĂ Elisabeth mein sei, um sie zu schĂźtzen, zu lieben und zu verhätscheln. Jedes Lob, das der Kleinen galt, nahm ich so auf, als sei es ein Lob meines Eigentums. Wir nannten einander beim Vornamen. Kein Wort ist imstande zu schildern, was wir uns waren, um so mehr als sie bis zu ihrem Tode meine einzige Schwester sein sollte.

Kapitel 2
Wir wuchsen zusammen auf; ich war nicht ganz ein Jahr älter als sie. Ich brauche nicht besonders zu betonen, daĂ uns Uneinigkeit oder Streit fremd waren. Harmonie bildete die Grundlage unserer Freundschaft, und die Verschiedenheit unserer Charaktere schien uns eher noch fester zu binden als uns zu trennen. Elisabeth war ruhiger und gesammelter als ich; aber bei all meiner Leidenschaftlichkeit war ich doch ein Freund ernster Arbeit und voll Wissensdurst. Ihre Lieblingsbeschäftigung war die LektĂźre unserer Dichter und die SchĂśnheit der uns umgebenden Natur, die erhabenen Formen der Berge, der Wechsel der Jahreszeiten, die tiefe Stille des Winters und das lebhafte Treiben der Sommersaison â alles das gab ihrer Phantasie reichliche Nahrung. Während meine Gespielin ernst und staunend sich dem Eindrucke der Dinge hingab, wollte ich ihrem Ursprung auf die Spur kommen. Die Welt war mir ein Geheimnis, das ich unter allen Umständen zu enträtseln mir vorgenommen hatte. Neugierde, der Wunsch hinter die verborgenen Naturgesetze zu kommen, Freude, ja EntzĂźcken, als sich mir so manches Wunder auftat, sind die ersten GefĂźhle, deren ich mich erinnern kann.
Als mein Bruder auf die Welt kam, sieben Jahre nach mir, gaben meine Eltern ihr Wanderleben ganz auf und siedelten sich in ihrer Heimat an. Wir besaĂen ein Haus in Genf und eine Villa in Belrive, dem Ăśstlichen Ufer des Sees, etwas mehr als eine Meile von der Stadt entfernt. Wir wohnten meist in der Villa und fĂźhrten ein sehr abgeschiedenes Leben. Ich liebte die Menschen in Mengen nicht, aber ich schloĂ mich gern an Einzelne an. Deshalb war ich gegen meine Schulkameraden ziemlich gleichgĂźltig, faĂte aber eine wahre Freundschaft zu einem von ihnen. Henry Clerval war der Sohn eines Genfer Kaufmannes, ein Knabe von hervorragenden Talenten und begabt mit einer glĂźhenden Phantasie. Er war unternehmend, kĂźhn und liebte die Gefahr um ihrer selbst willen. Er war sehr belesen, dichtete selbst Heldensänge und begann Erzählungen von ritterlichen Abenteuern zu schreiben. Er verfaĂte fĂźr uns TragĂśdien und Maskenspiele, zu denen ihm das Ringen im Tal von Roncesvalles, die Tafelrunde des KĂśnigs Artus und die heldenhaften Kreuzfahrer, die ihr Blut dahingaben, um das heilige Grab den Händen der Ungläubigen zu entreiĂen, den Stoff gaben.
Ich kann mir nicht vorstellen, daĂ ein Mensch eine glĂźcklichere Jugend verbringen kann, als wie es mir beschieden war. Meine Eltern waren erfĂźllt vom Geiste wahrer Liebe und GĂźte. Wir empfanden, daĂ sie nicht die Tyrannen waren, die uns nach ihren Launen lenkten, sondern die SchĂśpfer all des SchĂśnen und Guten, was wir genieĂen durften. Wenn ich mit anderen Familien zusammenkam, kam mir das besonders zum BewuĂtsein und trug viel zur Befestigung meiner kindlichen Liebe bei.
Ich war zuweilen heftig und leidenschaftlich; aber meine Begierden richteten sich nicht auf Kindereien, sondern äuĂerten sich in einem ungeheuren Lerneifer, der sich aber auch wieder nicht unterschiedslos auf alles erstreckte. Ich gestehe, daĂ ich weder der Struktur der Sprachen, noch gesetzlichen Vorschriften, noch der Politik Geschmack abgewinnen konnte. Es waren die Geheimnisse des Himmels und der Erde, die ich erforschen wollte; und ob ich mich nun gerade mit der äuĂeren Form der Dinge oder mit den Naturgesetzen oder mit der menschlichen Seele beschäftigte, immer war meine Sehnsucht auf die metaphysischen oder im hĂśchsten Sinne physischen Geheimnisse der Welt gerichtet.
Ich weile gern bei diesen Erinnerungen aus meiner Jugendzeit, weil damals das UnglĂźck meinen Geist noch nicht getrĂźbt hatte und die Visionen von Glanz und BerĂźhmtheit noch nicht durch dĂźstere Reflexionen Ăźber mich selbst gestĂśrt waren. AuĂerdem berichte ich, indem ich die Geschichte meiner Jugend erzähle, die Ereignisse, die unwiderstehlich, aber unmerkbar mich meinem späteren Schicksal entgegenfĂźhrten; und wenn ich mir selbst Rechenschaft gebe, so erkenne ich, daĂ die Leidenschaft, die mich regierte, wie ein Gebirgsbach aus kleinen, verborgenen Quellen zusammensickerte. Aber dieser Bach wurde in seinem Weiterlauf zu dem verheerenden Strom, der all meine Hoffnungen, all meine Freuden begrub.
Naturphilosophie war der Genius, der mein Schicksal leitete. Ich muà deshalb in meiner Erzählung die Tatsachen erwähnen, die diese Vorliebe in mir weckten. Als ich dreizehn Jahre alt war, machten wir alle einen Ausflug zu den Bädern in der Nähe von Thomon. Die Ungunst der Witterung zwang uns, einen Tag in der Wirtsstube zu verbringen. In dem Hause hatte ich zufällig einen Band der Werke des Cornelius Agrippa gefunden. Ich Üffnete ihn aus Langweile; plÜtzlich aber, als ich mich in seine Lehren vertiefte, verwandelte sich diese Gleichgßltigkeit in flammenden Enthusiasmus. Ein neues Licht schien vor meinem Geiste zu erstehen; hßpfend vor Freude eilte ich zu meinem Vater und lieà ihn das Buch sehen. Er sah nur flßchtig nach dem Titelblatte und sagte: Ach, Cornelius Agrippa! Mein lieber Viktor, vertue deine Zeit nicht mit solchen Dingen; es ist trostloser Schund.
Wenn statt dessen mein Vater sich die MĂźhe genommen und mir gesagt hätte, daĂ die Studien des Agrippa schon längst veraltet und durch die moderne Wissenschaft Ăźberholt seien, die mit ganz anderen Mitteln arbeite als die frĂźhere chimärische Halbwissenschaft, hätte ich wahrscheinlich den Agrippa in einen Winkel geworfen und mich wieder mit meiner angeregten Phantasie meinen normalen Studien zugewandt. Es ist gar nicht ausgeschlossen, daĂ meine Gedanken dann gar nicht die unglĂźckselige Richtung genommen hätten, die zu meinem Untergange fĂźhren muĂte. Aber da mein Vater das Buch nur mit einem flĂźchtigen Blick gestreift hatte, ehe er es mir zurĂźckgab, vermutete ich, daĂ ihm der Inhalt wohlbekannt sei, und vertiefte mich nun erst recht in diese LektĂźre.
Als wir nach Hause zurĂźckgekehrt waren, verschaffte ich mir sofort die sämtlichen Werke des Agrippa, danach die des Paracelsus und des Albertus Magnus. Ich las und studierte die wilden Phantasien dieser Schriftsteller mit HochgenuĂ; es kam mir vor, als sammelte ich da Schätze, die auĂer mir nur wenige kannten. Ich habe Ihnen schon gesagt, mit welch heiĂem BemĂźhen ich in die Geheimnisse der Natur einzudringen versuchte. Trotz dieses Eifers und trotz aller herrlichen Entdeckungen der modernen Wissenschaft war ich von meinen Studien nie recht befriedigt gewesen. Hat doch auch Isaac Newton eingestanden, daĂ er sich vorkomme wie ein Kind, das am Strande des ewig unerforschlichen Ozeans der Wahrheit Kiesel aufliest. Und all die anderen Naturphilosophen, die ich nach und nach kennen lernte, erschienen mir wie StĂźmper, die sich dem gleichen nutzlosen Beginnen hingaben.
Der ungebildete Landmann sieht die Dinge an, die um ihn sind, und gebraucht sie; aber auch der gelehrteste Philosoph ist nicht viel weiter. Er hat ja zum Teil das Antlitz der Natur entschleiert, aber ihre feinsten Regungen sind ihm immer noch ein Geheimnis, ein Wunder. Er kann sezieren, zerschneiden, Nomenklaturen erdenken, aber die nächsten Ursachen bleiben ihm unerkannt, geschweige denn die ersten Ursprßnge.
Aber hier waren BĂźcher und waren Männer, die tiefer eingedrungen waren und mehr wuĂten. Ich nahm alles fĂźr bare MĂźnze, was sie behaupteten, und wurde ihr hingebender SchĂźler. Es mag vielleicht seltsam erscheinen, daĂ so etwas im achtzehnten Jahrhundert noch mĂśglich war; aber während ich in der Schule fleiĂig meinen Studien oblag, bildete ich mich selbst in meinen Lieblingsfächern weiter. Mein Vater war kein Gelehrter und ĂźberlieĂ mich selbst dem Kampfe mit meiner Phantasie. Unter der Leitung meiner neuen Lehrer machte ich mich mit Rieseneifer an die Suche nach dem Stein der Weisen und die Entdeckung des Lebenselixiers, besonders aber das letztere hatte es mir angetan. Reichtum schien mir nur etwas Nebensächliches; aber welcher Ruhm wartete meiner, wenn es mir gelang, die Krankheiten vom menschlichen Geschlechte fernzuhalten und jeden unverletzlich zu machen.
Aber das waren noch nicht meine einzigen Wßnsche! Meine Lieblingsautoren versprachen ihren Schßlern die Kunst, Geister und Dämonen zu zitieren, die ich mir mit brennendem Eifer anzueignen strebte. Aber wenn auch meine BeschwÜrungen immer erfolglos blieben, so schob ich die Schuld lieber auf mich und meine Unerfahrenheit, als daà ich es gewagt hätte, an der Ehrlichkeit meiner Lehrer zu zweifeln. Und so widmete ich mich eine Zeit lang diesen veralteten Systemen, indem ich die widersprechendsten Theorien in meinem Kopfe durcheinanderwarf und in einem Wuste der mannigfaltigsten Wissenschaften watete, angetrieben durch meine glßhende Phantasie und meinen kindischen Eigensinn, bis, wieder durch einen Zufall, meine Ideen eine andere Richtung annahmen.
Als ich fĂźnfzehn Jahre alt war wurde ich von unserem Landhause am Belrive aus Zuschauer bei einem heftigen, schrecklichen Unwetter. Es kam von den Bergriesen des Jura herangebraust und der Donner brĂźllte furchtbar aus allen Himmelsrichtungen. Mit Neugierde und EntzĂźcken verfolgte ich die verschiedenen Phasen des Gewitters. Ich stand am Tor, als plĂśtzlich eine helle Feuersäule aus der alten, herrlichen Eiche emporschoĂ, die etwa zwanzig Meter vom Hause entfernt stand. Und als dann das Auge wieder ungeblendet blicken konnte, war die Eiche nicht mehr da und an ihrer Stelle stand ein kurzer, verbrannter Stumpf. Als wir am nächsten Morgen uns die Sache in der Nähe besahen, bemerkten wir, daĂ der Baum in ganz merkwĂźrdiger Weise zerstĂśrt worden war. Nicht in unregelmäĂige TrĂźmmer hatte ihn der Blitz auseinander gerissen, sondern ihn regelrecht in schmale Holzbänder zerlegt. Ein Bild der vollendeten Vernichtung.
Schon vorher waren mir die Gesetze der Elektrizität in ihren allgemeinen Umrissen bekannt gewesen. Ein Herr, der mit uns gegangen war, um das Phänomen zu betrachten, entwickelte bei dieser Gelegenheit eine Theorie Ăźber Elektrizität und Magnetismus, die zugleich neu und fesselnd war. Alles, was er sagte, stellte Kornelius Agrippa, Albertus Magnus und Paracelsus, die Helden meines Geistes, sehr in den Schatten. Und diese Niederlage meiner Helden nahm mir alle Lust an den gewohnten Studien. Es schien mir, als wĂźrde und kĂśnnte man nie etwas wissen. Das, was so lange meinen Geist in Bann gehalten hatte, kam mir auf einmal lächerlich vor. In einer der Launen, denen wir gerade in der Jugend besonders unterworfen sind, warf ich die ganze Naturphilosophie und das, was damit zusammenhing, als unfruchtbar und widersinnig auf die Seite. Ich empfand heftigen Ekel vor dieser Scheinwissenschaft, die nicht einmal imstande war, uns auch nur bis zur Schwelle wahren Wissens zu bringen. In diesem Zustande verlegte ich mich auf die Mathematik, die, auf festen FĂźĂen stehend, allein meiner Beachtung wĂźrdig schien.
Wie seltsam ist doch unsere Seele konstruiert und an wie dĂźnnen Fäden hängt GlĂźck oder Verderben. Wenn ich zurĂźckdenke und mir Rechenschaft gebe Ăźber die merkwĂźrdige Ănderung meiner Neigung, kommt es mir vor, als habe damals mein Schutzengel noch einen letzten Versuch gemacht, mich dem drohenden Unheil zu entziehen, das sich Ăźber mir zusammenballte. Jedenfalls hatte sein BemĂźhen Erfolg, denn eine ungewohnte Ruhe der Seele und eine tiefe Befriedigung kam Ăźber mich, als ich von den in letzter Zeit mich quälenden Studien ablieĂ; ja, ich lernte sie sogar als etwas BĂśses verachten.
Mein Schutzengel hatte sein MÜglichstes getan, aber auf die Dauer war es doch umsonst. Das Schicksal war mächtiger: das Schicksal, das meinen schrecklichen Untergang beschlossen hatte.

Kapitel 3
Als ich siebzehn Jahre alt geworden war entschlossen sich meine Eltern, mich auf die Universität Ingolstadt zu schicken. Ich wäre ganz gern auf der Genfer Hochschule geblieben, aber mein Vater hielt es fĂźr nĂźtzlicher, wenn ich, um meine Erziehung zu vollenden, auch mit den Sitten und Gebräuchen anderer Länder vertraut wĂźrde. Der Tag meiner Abreise wurde festgesetzt; aber ehe dieser herankam traf mich das erste MiĂgeschick meines Lebens, das mich ergriff wie ein Omen meines kommenden UnglĂźcks.
Elisabeth war an Scharlach erkrankt und schwebte in der äuĂersten Lebensgefahr.
Wir hatten uns alle MĂźhe gegeben, meine Mutter zu Ăźberzeugen, daĂ die Pflege der Kranken eine groĂe Gefahr fĂźr sie bedeute. Anfangs hatte sie sich unseren Bitten gefĂźgt; als sie aber merkte, daĂ das Leben ihres Lieblings ernstlich bedroht war, lieĂ sie sich nicht mehr abhalten. Sie wich nicht vom Krankenbette und ihre Liebe siegte Ăźber die tĂźckische Krankheit. Elisabeth war gerettet, aber an ihrer Stelle ergriff das Fieber die treue Pflegerin. Am dritten Tage muĂte sich die Mutter legen. Bei den ersten beunruhigenden Symptomen wurde der Arzt beigezogen, aus dessen ernstem Antlitz wir das Schlimmste errieten. Aber selbst auf dem Totenbette blieb diese beste der Frauen tapfer und gĂźtig. Sie legte Elisabeths Hände in die meinen und sagte: ÂťLiebe Kinder! Wie habe ich mich immer gefreut, euch einmal vereinigt zu sehen! Mir ist es ja wohl nicht mehr beschieden, das zu erleben, aber es soll wenigstens der Trost eures Vaters sein. Nun muĂt du, liebste Elisabeth, meine Stelle bei meinen kleineren Kindern vertreten. Es tut mir weh, von euch gehen zu mĂźssen, von dem GlĂźck, das mir zuteil wurde. Aber ich will mich nicht diesen Gedanken hingeben; ich will versuchen, dem Tod froh ins Auge zu sehen und mich damit trĂśsten, daĂ wir uns ja drĂźben alle wieder sehen werden.ÂŤ
Sie starb ruhig und gelassen; selbst der WĂźrger Tod war nicht imstande gewesen, die Liebe aus ihren ZĂźgen zu bannen. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, wie tief wir alle litten, wie Ăśde es in uns war und welche Traurigkeit auf unseren Gesichtern sich ausdrĂźckte. Lange konnten wir es nicht fassen, daĂ die Frau, die wir alle Tage sahen, nun von uns gegangen sei auf immer, daĂ ihre lieben Augen uns nun nicht mehr freundlich anblicken, ihre traute Stimme nicht mehr an unser Ohr tĂśnen sollte. Das sind so die Gedanken der ersten Tage. Wenn dann aber die Zeit in ihrem Laufe uns belehrt, daĂ wirklich alles so ist, dann beginnt der eigentliche, tiefe Gram. Aber wem hat der grausame Tod nicht schon etwas Liebes entrissen und warum soll ich die Schmerzen beschreiben, die jeden schon getroffen haben oder noch treffen mĂźssen? SchlieĂlich kommt die Zeit, da das Leid stiller wird und da man das Lächeln, das sich auf unsere Lippen schleicht, nicht mehr verbannt, wenn es einem auch vorher undenkbar schien, daĂ das je noch der Fall sein kĂśnnte. Meine Mutter war tot, aber wir hatten Pflichten, die wir erfĂźllen muĂten; wir, die Ăbriggebliebenen durften uns ja glĂźcklich schätzen, daĂ der WĂźrger wenigstens von dem einen Opfer seine kalte Hand zurĂźckgezogen hatte.
FĂźr meine Abreise nach Ingolstadt, die durch die Verhältnisse aufgeschoben war, wurde nun ein neuer Zeitpunkt festgesetzt. Es gelang mir, von meinem Vater einen Aufschub von etlichen Wochen zu erlangen. Es wäre mir wie ein Sakrileg erschienen, so schnell die Ruhe des Trauerhauses mit dem sprudelnden Leben da drauĂen zu vertauschen. Und dann wollte ich den Anblick derer nicht missen, die mir geblieben waren; vor allem aber war es mir darum zu tun, meine sĂźĂe Elisabeth einigermaĂen getrĂśstet zu sehen.
Sie verstand es, ihr eigenes Leid zu verbergen und uns alle aufzurichten. Sie nahm das Leben ernst und kam ihren Pflichten tapfer und treu nach. Sie widmete sich ganz denen, die sie als Vater und Geschwister lieben gelernt hatte. Niemals war sie lieblicher, als wenn der Sonnenschein ihres Lächelns uns alle erwärmte und wenn sie, ihren Gram vergessend, uns zur TrÜsterin wurde.
SchlieĂlich kam aber doch der Tag meiner Abreise heran. Clerval verbrachte den letzten Abend noch bei uns. Er hatte vergebens versucht, seinen Vater zu bestimmen, daĂ er ihn mit mir nach Ingolstadt ziehen und dort studieren lieĂe. Aber sein Vater war eine engherzige Krämerseele und betrachtete diese WĂźnsche seines Sohnes als unnĂźtzen Ehrgeiz. Henry empfand es tief schmerzlich, fĂźr immer auf eine hĂśhere Bildung verzichten zu mĂźssen. Er sagte wenig; aber wenn er sprach, las ich in seinen glänzenden Augen den stillen, aber festen EntschluĂ, sich nicht fĂźr ewig an den kleinlichen Krämerberuf zu fesseln.
Wir blieben lange beisammen sitzen, denn es schien uns unmĂśglich einander Lebewohl zu sagen. Und dennoch muĂte es schlieĂlich geschehen. Wir gingen auseinander, indem wir vorgaben der Ruhe zu bedĂźrfen, und trotzdem wuĂte jeder, daĂ der andere die Unwahrheit gesagt hatte. Als ich dann beim Morgengrauen hinunterging, um meinen Wagen zu besteigen, waren sie alle wieder da: mein Vater, um mich noch einmal zu segnen, Clerval, um mir zum Abschied die Hand zu drĂźcken, und meine Elisabeth, um mir erneut das Versprechen abzunehmen, daĂ ich ihr fleiĂig schreiben werde, und um ihrem scheidenden Freund und Spielkameraden noch einige kleine Liebesdienste zu erweisen.
Ich lehnte mich tief im Wagen zurĂźck, der mit mir dahinrollte, und gab mich trĂźbseligen Betrachtungen hin. Ich war nun allein! Auf der Universität muĂte ich mir erst Freunde suchen und fĂźr mich selbst sorgen. Mein Leben war bisher ein auĂergewĂśhnlich zurĂźckgezogenes gewesen und daher mochte es wohl kommen, daĂ ich einen fast unbezwinglichen Abscheu vor allen neuen Gesichtern hatte. Ich liebte meinen Bruder, ich liebte Elisabeth und Clerval; das waren mir altbekannte, liebe Gesichter; aber ich hielt mich fĂźr total ungeeignet, mit Fremden Bekanntschaften anzuknĂźpfen. Das waren also meine Betrachtungen zu Anfang meiner Reise, aber je weiter ich mich von der Heimat entfernte, desto mehr wuchsen mir Mut und Hoffnung. Ich war von brennendem Lerneifer erfĂźllt. Ich hatte oft, als ich noch zu Hause war, es bitter beklagt, an diesen kleinen Erdenfleck gekettet zu sein, und gewĂźnscht, die weite Welt zu sehen und den mir gebĂźhrenden Platz innerhalb der Menschheit einzunehmen. Nun, da diese WĂźnsche in ErfĂźllung gehen sollten, wäre es tĂśricht gewesen, Reue zu empfinden.
FĂźr diese und andere Betrachtungen fand ich auf der langen und ermĂźdenden Reise nach Ingolstadt hinreichend MuĂe. Endlich erblickte ich die Kirchturmspitzen der Stadt. Ich stieg an meinem Quartier ab und wurde nach meinem einsamen Zimmer gefĂźhrt, um dort den Abend nach meinem GutdĂźnken zu verbringen. Am nächsten Morgen machte ich den hervorragendsten Professoren Besuch und gab meine Empfehlungsbriefe ab. Der Zufall, oder vielleicht auch der Dämon der Vernichtung, der mich umschwebte, seit ich mit zĂśgerndem Schritt aus dem Vaterhause in die Welt getreten war, fĂźhrte mich zuerst zu dem Dozenten der Naturphilosophie, namens Krempe. Er war ein wunderlicher Mensch, aber unerreicht in seinem Fach. Er stellte mir mehrere Fragen aus verschiedenen Gebieten der Naturphilosophie, um zu sehen, was von mir zu erwarten sei. Ich antwortete freimĂźtig und erwähnte dabei halb verächtlich die Namen der Alchymisten, deren Werke ich zuerst studiert hatte. Der Professor war sehr erstaunt, dann sagte er: ÂťHaben Sie wirklich Ihre Zeit mit diesem Unsinn vertan?ÂŤ
Ich bejahte. ÂťJede Minute,ÂŤ fuhr Herr Krempe ernst fort, Âťjeder Augenblick, den Sie sich mit jenen BĂźchern beschäftigt haben, ist unwiederbringlich und fĂźr immer verloren. Sie haben Ihr Gedächtnis mit veralteten Systemen und zwecklosen Dingen belastet. In welchem verlassenen Lande haben Sie denn um Gotteswillen gelebt, daĂ niemand Sie aufmerksam gemacht hat, daĂ diese Phantasien, mit denen Sie begierig Ihr Hirn vollpfropften, schon tausend Jahre alt und ganz verschimmelt sind? Ich muĂ gestehen, daĂ ich in unserm aufgeklärten Jahrhundert nicht erwartet hätte, noch auf einen JĂźnger des Albertus Magnus und des Paracelsus zu stoĂen. Mein lieber, junger Freund, Sie mĂźssen mit Ihren Studien ganz von vorn beginnen.ÂŤ
Er trat dann an sein Schreibpult und notierte mir eine Reihe von Bßchern, die ich mir beschaffen sollte. Dann entlieà er mich, nachdem er mich aufmerksam gemacht hatte, daà er vom Beginn der nächsten Woche ab ein Kolleg ßber Naturphilosophie, und sein Freund, Herr Waldmann, abwechselnd mit ihm ein solches ßber Chemie lesen werde.
Ich kehrte nach meiner Wohnung zurĂźck, keineswegs enttäuscht, denn auch ich hatte schon seit langer Zeit, wie ich Ihnen schon sagte, die Wertlosigkeit jener BĂźcher erkannt, die der Professor verdammte. Aber ich hatte mir vorgenommen, trotzdem zu diesen Studien in irgend einer Weise zurĂźckzukehren. Herr Krempe war ein kleiner, untersetzter Mensch mit barscher Stimme und abstoĂendem Gesicht. Der Lehrer hatte also nichts an sich, was mich fĂźr seine Wissenschaft von vornherein hätte einnehmen kĂśnnen. Als ganz junger Mensch war ich mit den von den Lehrern der Naturwissenschaften erreichten Resultaten niemals zufrieden gewesen. Die Verworrenheit meiner Ideen, die ja wohl meiner groĂen Jugend zuzuschreiben war, und der Mangel eines geeigneten FĂźhrers, brachten mich soweit, daĂ ich, rĂźckwärts schreitend, die Ergebnisse moderner Forschung gegen die Träume vergessener Alchymisten eintauschte. Sogar eine gewisse Verachtung empfand ich gegen die moderne Naturphilosophie. Es war doch etwas ganz anderes, wenn die alten Meister Unsterblichkeit und Macht anstrebten. Wenn dieses Streben auch unnĂźtz war, so hatte es doch etwas GroĂzĂźgiges an sich. Aber das heutige Bild war ein anderes. Die Forscher schienen ihren besonderen Ehrgeiz darein zu setzen, all die Fundamente zu vernichten, auf denen jene gebaut hatten. Es handelte sich fĂźr mich also darum, Chimären von grenzenloser GroĂartigkeit gegen winzige Realitäten zu vertauschen.
Das waren meine Ăberlegungen während der ersten zwei oder drei Tage meiner Anwesenheit in Ingolstadt, die ich hauptsächlich dazu verwendet hatte, um mir einige Ortskenntnisse zu erwerben. Zu Beginn der nächsten Woche fielen mir dann die Weisungen ein, die mir Professor Krempe bezĂźglich der Vorlesungen gegeben hatte. Und wenn ich mich auch nicht entschlieĂen konnte hinzugehen und diesen kleinen, eingebildeten Menschen von seinem Katheder herab Weisheiten verkĂźnden zu hĂśren, so erinnerte ich mich doch dessen, was er von Professor Waldmann gesagt hatte, den ich noch nicht kannte, weil er bis jetzt auf dem Lande gewesen war.
Teilweise aus Neugierde, teilweise aus Langweile ging ich in den HĂśrsaal, den Professor Waldmann gleich nach mir betrat. Dieser Herr unterschied sich wesentlich von seinem Kollegen. Er mochte etwa fĂźnfzig Jahre alt sein und machte einen auĂerordentlich wohlwollenden Eindruck. Sein Haar war fast schwarz, nur an den Schläfen war es schon leicht ergraut. Er war von kleiner Statur, hielt sich aber sehr gerade und seine Stimme besaĂ einen seltenen Wohllaut. Er begann sein Kolleg mit einer Rekapitulation der Geschichte der Chemie und ihre Entwickelung, indem er mit Feuer von den berĂźhmtesten Entdeckern sprach. Dann kam er auf den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft zu sprechen und machte uns mit der Terminologie bekannt. Nachdem er einige einfĂźhrende Experimente gemacht, hielt er einen Panegyricus auf die moderne Chemie in Worten, die ich nimmermehr vergessen werde:
Die Alten versprachen UnmÜgliches und leisteten nichts. Die heutigen Gelehrten versprechen nichts; sie wissen, daà die Metalle nicht ineinander verwandelt werden kÜnnen und daà das Lebenselixir eine Chimäre ist. Aber diese Philosophen, deren Hände dazu geschaffen scheinen, im Schmutze zu graben, und deren Augen ßber den Schmelztiegeln und Mikroskopen trßb werden, haben wahre Wunder vollbracht. Sie gehen der Natur bis in ihre Schlupfwinkel nach und beobachten sie in ihrer geheimsten Tätigkeit. Sie steigen bis in den Himmel. Sie haben den Kreislauf des Blutes entdeckt und die Natur der Luft, die wir atmen, dargelegt. Sie haben neue, fast unbegrenzte Kräfte entfesselt. Wir haben dem Himmel seine Blitze entrissen und machen uns ßber die unsichtbare Welt mit ihren Schatten lustig.
Das waren die Worte des Professors â und des Schicksals, das es auf meine Vernichtung abgesehen hatte. Als er wegging, war es mir, als ringe meine Seele mit einem kĂśrperlichen Feinde. Alle Register meines Seins wurden gezogen, Saite auf Saite meines Inneren ertĂśnte und ein Gedanke, ein Wunsch, ein Ziel nahm mich gefangen. So viel bis jetzt auch geschehen sein mag â hĂśrte ich die Seele Frankensteins rufen â viel, viel mehr will ich noch vollenden. Als Pionier will ich neue, unbekannte Kräfte entdecken und vor der Welt die tiefsten Geheimnisse der SchĂśpfung ausbreiten.
In dieser Nacht schloĂ ich kein Auge. Mein Inneres war in einem Zustande des Aufruhrs und Tumultes. Ich fĂźhlte, daĂ das wieder gut wĂźrde, aber es war mir so rasch nicht mĂśglich mich zu beruhigen. Allmählich, gegen Morgen, vermochte ich dann einzuschlafen. Als ich erwachte waren meine Gedanken von gestern wie ein Traum. Aber die Idee blieb fest haften, daĂ ich mich wieder meinen alten Studien zuwenden und mich einer Wissenschaft widmen wollte, zu der ich natĂźrliche Anlagen hatte. Am gleichen Tage noch stattete ich Professor Waldmann einen Besuch ab. Er war als Privatmann, wenn mĂśglich, noch zuvorkommender und gewinnender wie in seinem Berufe. Denn während seiner Vorlesungen nahm er eine sehr wĂźrdevolle Haltung an, die aber in seinem Heim einer auĂerordentlichen Freundlichkeit und LiebenswĂźrdigkeit Platz machte. Ich gab ihm fast denselben Bericht Ăźber meine frĂźhere Beschäftigung wie seinem Kollegen. Er hĂśrte aufmerksam meiner Erzählung zu und lächelte, als er die Namen Cornelius Agrippa und Paracelsus vernahm, aber ohne sie so verächtlich zu machen, wie es Krempe getan hatte. Er meinte, daĂ diesen unermĂźdlich fleiĂigen Forschern die modernen Gelehrten viel zu danken hätten. Sie hätten uns die leichtere Aufgabe hinterlassen, den Dingen Namen zu geben, die sie mit grĂśĂter MĂźhe erforscht. Die Arbeit eines Genies sei, wenn sie auch momentan auf irrigen Voraussetzungen beruhe, niemals ohne Nutzen fĂźr das Menschengeschlecht. Ich lauschte mit hohem Interesse diesen Ansichten, die so ganz ohne AnmaĂung und Ziererei ausgesprochen wurden. Ich versäumte nicht zu gestehen, daĂ seine Vorlesung mein Vorurteil gegen die moderne Chemie behoben habe. Es ist selbstverständlich, daĂ ich mich der Bescheidenheit in meinen AusdrĂźcken befleiĂigte, die dem SchĂźler seinem Lehrer gegenĂźber zusteht, ohne aber den Enthusiasmus zu verhehlen, den ich meinen kommenden Studien entgegenbrachte. Ich bat ihn noch um Ratschläge betreffs der zu beschaffenden BĂźcher, worauf er sagte:
ÂťIch freue mich, Sie als SchĂźler gewonnen zu haben. Wenn Ihr FleiĂ Ihren Fähigkeiten gleichkommt, zweifle ich nicht an Ihrem Erfolge. Chemie ist der Zweig der Naturwissenschaft, aus dem das Meiste geholt worden ist und noch geholt werden wird. Darum habe ich sie als mein Spezialfach erwählt, ohne aber die anderen Wissenschaften zu vernachlässigen. Ein Mensch wĂźrde nur eine sehr traurige Rolle spielen, wenn er sich ganz einseitig auf Chemie verlegen wollte. Wenn Sie wirklich ein Wissenschaftler werden und nicht bloĂ ein armseliger Experimentator werden wollen, kann ich Ihnen nur empfehlen, sich mit sämtlichen Zweigen der Naturphilosophie zu beschäftigen, einschlieĂlich der Mathematik.ÂŤ
Er nahm mich dann mit in sein Laboratorium und fßhrte mir seine verschiedenen Apparate vor. Er zeigte mir auch ihre Handhabung und versprach mir, daà ich sie selbst bedienen dßrfte, wenn ich einmal so weit vorgeschritten sei, daà ich nichts daran beschädigte. Er gab mir dann noch ein Verzeichnis der von ihm empfohlenen Bßcher und entlieà mich.
So endete ein fĂźr mich denkwĂźrdiger Tag: er entschied Ăźber mein ganzes kĂźnftiges Schicksal.

Kapitel 4
Von diesem Tage ab wurde die Naturphilosophie und besonders die Chemie meine ausschlieĂliche Beschäftigung. Ich las mit Leidenschaft die genialen, klaren Werke moderner Forscher. Ich besuchte fleiĂig die Vorlesungen und blieb in ständiger persĂśnlicher Verbindung mit meinen Lehrern. Ich fand sogar in Krempe einen gesunden Verstand und tiefes Wissen, allerdings verbunden mit abstoĂenden Manieren, die meiner Wertschätzung keinen Eintrag zu tun vermochten. In Professor Waldmann hatte ich einen teueren Freund gefunden. Seine LiebenswĂźrdigkeit wurde durch keinen Dogmatismus getrĂźbt und seine Vorlesungen waren so frei und Ăźberzeugend gehalten, daĂ jeder Verdacht pedantischer Auffassung ausgeschlossen war. In jeder Weise machte er mir die mĂźhsamen Pfade der Wissenschaft leichter und verstand es, die schwierigsten Dinge meiner Auffassung zugänglich zu machen. Mein FleiĂ war zu Anfang ziemlich unregelmäĂig gewesen; aber er wuchs, je weiter ich fortschritt, und wurde schlieĂlich so groĂ, daĂ oftmals die Sterne vor dem Morgenlicht verblichen, wenn ich noch in meinem Laboratorium saĂ.
Es ist verständlich, daĂ bei diesem auĂergewĂśhnlichen FleiĂe auch meine Fortschritte groĂ waren. Meine Studiengenossen wunderten sich darĂźber, während meine Lehrer ihre Freude daran hatten. Professor Krempe fragte mich Ăśfter mit schlauem Augenzwinkern, wie es mit Cornelius Agrippa ginge, während sich Waldmann in LobsprĂźchen Ăźber meine Leistungen erschĂśpfte. Zwei Jahre verbrachte ich in dieser Weise, ohne Genf zu besuchen; ich war mit Leib und Seele bei meinen Erfindungsplänen. Nur wer es an sich selbst erfahren, kann sich einen Begriff machen von den Wonnen, die die Wissenschaft zu bieten hat. In anderen Wissenszweigen kommt man nur so weit, als eben andere vor uns gekommen sind, und mehr ist nicht zu erfahren. Aber hier gibt es immer Nahrung fĂźr Bewunderung und Forschung. Ein Geist von mäĂiger Forschungsgabe, der sich unbeirrt auf irgend ein Gebiet wirft, muĂ zweifellos groĂe Fortschritte machen. Ich aber hatte schon von Jugend auf mich mit solchen Dingen beschäftigt und kam deshalb so rasch vorwärts, daĂ ich nach den zwei Jahren meines Studiums schon wesentliche Verbesserungen an einzelnen Apparaten erfunden hatte, was mir auf der Universität einen auĂerordentlichen Nimbus verlieh. Als ich auf diesem Punkte angekommen war und ich einen Nutzen von meinem weiteren Studium in Ingolstadt nicht mehr erwarten durfte, dachte ich daran, in meine Heimatstadt und zu meinen Freunden zurĂźckzukehren. Ein Zufall aber verlängerte meinen Aufenthalt.
Eines der Phänomene, das meine Aufmerksamkeit in besonderem MaĂe erregte, war der Bau des menschlichen KĂśrpers, Ăźberhaupt aller mit Leben begabten Wesen. Woher, fragte ich mich oftmals, kommt das Leben? Es war eine kĂźhne Frage, eine von denen, auf die es keine Antwort gab. Und wie manchen Dingen vermĂśchten wir nicht auf die Spur zu kommen, wenn nicht Feigheit und Unbesonnenheit die FrĂźchte der Studien wieder vernichtete? Von diesem Standpunkte ausgehend entschloĂ ich mich, mich fernerhin speziell mit den Doktrinen zu beschäftigen, die mit der Physiologie im Zusammenhange stehen. Hätte mich nicht ein mehr als natĂźrlicher Eifer beseelt, wäre mir dieser Teil meiner Studien zu beschwerlich, Ăźberhaupt unerträglich gewesen. Um die Ursachen des Lebens zu entdecken mĂźssen wir zuerst wissen, was der Tod ist. Ich machte mich an die Anatomie, aber das war noch nicht genĂźgend; es handelte sich auch noch darum, die natĂźrliche ZerstĂśrung, den Verfall des menschlichen KĂśrpers zu studieren. Bei meiner Erziehung war groĂer Wert darauf gelegt worden, daĂ ich nicht durch Schauermärchen ängstlich gemacht wurde. Deshalb kann ich mich auch nicht erinnern, bei irgend einer Gespenstergeschichte gezittert oder mich vor dem Erscheinen eines Geistes gefĂźrchtet zu haben. Die Dunkelheit war mir nicht, wie vielen anderen, die Quelle des Schreckens, und KirchhĂśfe waren fĂźr mich nichts anderes als Orte, an denen man die ihres Lebens beraubten KĂśrper bringt, die, bisher mit SchĂśnheit und Kraft begabt, nunmehr zum WĂźrmerfraĂ geworden waren. Nun, da ich mir vorgenommen hatte, die Ursachen und Erscheinungen dieses Verfalles zu studieren, muĂte ich ganze Tage und Nächte in GrabgewĂślben und Beinhäusern verbringen. Meine Aufmerksamkeit richtete sich besonders auf diejenigen Dinge, die sonst dem menschlichen FeingefĂźhl am meisten widerstreben mĂźssen. Ich sah zu, wie die schĂśnen Formen des Leibes verfielen und vernichtet wurden, wie die Greuel des Todes die blĂźhende Pracht des Lebens ablĂśste, wie die WĂźrmer sich der wundervollen Gebilde bemächtigten, wie sie Auge und Gehirn darstellen. Ich analysierte und prĂźfte den Ăbergang vom Leben zum Tode und wiederum vom Tode zum Leben, bis mir mitten in all der UngewiĂheit ein Licht aufblitzte, so glänzend und wunderbar und doch so einfach, daĂ ich, ganz geblendet von dem Anblick, der sich vor mir auftat, zugleich Ăźberrascht war, daĂ unter den vielen genialen KĂśpfen, die sich mit derselben Wissenschaft beschäftigt hatten, keiner auf das Geheimnis gekommen war, das zu entdecken jetzt mir vergĂśnnt war.
Ich bitte Sie, sich immer vor Augen zu halten, daĂ es nicht Visionen eines Irren sind, die ich Ihnen berichte. Wenn das, was ich Ihnen nun erzähle, nicht wahr ist, dann gibt es keine Sonne am Himmel. Ein Zufall mag mir ja zu Hilfe gekommen sein, aber die einzelnen Phasen der Entdeckung lagen klar und unzweideutig vor mir. Nach Tagen und Nächten der unglaublichsten MĂźhen und Anstrengungen war ich den Ursachen des Werdens und des Lebens auf die Spur gekommen, und, mehr noch als das, ich war selbst imstande, toten Dingen Leben einzuflĂśĂen.
An die Stelle des Erstaunens, der Ăberraschung, trat bald eine rasende Freude. Das war der schĂśnste Lohn meiner Arbeit, daĂ ich mich nun am Ziele meiner sehnlichsten WĂźnsche befand. Aber so groĂ und Ăźberwältigend war meine Entdeckung, daĂ alle Schritte, die sie vorbereitet hatten, wie aus meinem Gedächtnis gelĂśscht waren und ich nur mehr das Resultat erblickte. Was war nun FleiĂ und Arbeit der weisesten Männer wert, da ich den SchlĂźssel der SchĂśpfung in Händen hielt?
Ich sehe an Ihrer Erregung, an Ihren erstaunten und zugleich erwartungsvollen Blicken, mein Freund, daĂ Sie hoffen, von mir in das Geheimnis eingeweiht zu werden. Aber das kann ich nicht. Warten Sie geduldig das Ende meiner Geschichte ab und Sie werden begreifen, warum ich mir da ZurĂźckhaltung auferlegen muĂ. Ich will nicht, daĂ Sie, wissensdurstig wie einst ich, in Ihre eigene Vernichtung, in Ihr Elend rennen. Erkennen Sie an mir, an meinem Beispiel, wie gefährlich es ist, sich wissend zu machen, und wie viel glĂźcklicher ein Mensch ist, dem seine Heimatstadt seine Welt bedeutet, der nicht grĂśĂer sein will, als seine Natur es ihm erlaubt.
Nachdem ich mir dieser ungeheuren Macht bewuĂt geworden war, zĂśgerte ich noch einige Zeit mit der Anwendung, da ich mir noch nicht klar war, in welcher Weise diese erfolgen sollte. Wenn ich auch die Fähigkeit besaĂ, Leben zu verleihen, so stand mir doch zunächst die ungeheuer schwierige Aufgabe bevor, einen Leib zu schaffen mit all seinen Muskeln, Sehnen und seinem Geflecht von Adern und Nerven. Ich war mir anfänglich im Zweifel darĂźber, ob ich gleich ein Wesen schaffen sollte, das mir gleich war, oder ob ich mich zuerst mit einem einfacheren Organismus begnĂźgen sollte. Aber ich war durch meine Entdeckung dermaĂen kĂźhn geworden, daĂ ich nicht einsah, warum mir nicht sofort die Herstellung eines Wesens gelingen sollte, das so kompliziert und wundervoll ist wie der Mensch. Das mir zur VerfĂźgung stehende Material schien allerdings noch kaum genĂźgend fĂźr die schwierige Aufgabe, aber ich zweifelte keinen Augenblick, daĂ ich doch schlieĂlich Erfolg haben mĂźĂte. Ich bereitete mich auch auf alle Eventualitäten vor; meine BemĂźhungen konnten unter Umständen immer wieder vereitelt werden, mein Werk unvollendet bleiben. Und wenn auch im Hinblick auf die Bedeutung jedes einzelnen Tages fĂźr die technischen Erfindungen durfte ich doch hoffen, daĂ mir endlich der Lorbeer des Sieges zuteil wĂźrde. Die GrĂśĂe und Kompliziertheit meines Unternehmens war mir noch lange kein Beweis fĂźr seine UndurchfĂźhrbarkeit. Mit diesen GefĂźhlen machte ich mich dann endlich an die Erschaffung des menschlichen Wesens. Da die Feinheit der einzelnen Teile lange Zeit zu ihrer Nachbildung erfordert hätte, beschloĂ ich, entgegen meiner ursprĂźnglichen Absicht, dem Wesen eine gigantische Statur zu geben. Das heiĂt, ich wollte ihm eine GrĂśĂe von acht FuĂ geben. Es dauerte noch einige Monate, bis ich alles NĂśtige beisammen hatte und beginnen konnte.
Es ist unmĂśglich die GefĂźhle zu schildern, die mich wie ein Sturmwind durchbrausten. Leben und Tod erschienen mir zwei Schranken, die ich durchbrechen und einen Strom von Licht Ăźber die finstere Welt gieĂen durfte. Eine neue Art von Menschenwesen wĂźrden mich als ihren SchĂśpfer preisen und manches Gute und Edle sollte seinen Ursprung mir zu verdanken haben. Kein Vater sollte der Dankbarkeit seiner Kinder so wert sein wie ich. Damals kam ich auf die Idee, die ich allerdings dann später als durchaus undurchfĂźhrbar erkannte, daĂ es mir, der ich imstande war, leblose Materie lebend zu machen, mĂśglich sein mĂźĂte, auch da wieder Leben zu erzeugen, wo der Tod bereits zerstĂśrend eingegriffen hatte.
Diese Gedanken waren es, die mir immer wieder Kraft zu meinem Unternehmen verliehen. Meine Wangen waren bleich geworden und mein KĂśrper der ErschĂśpfung nahe. Manchmal meinte ich, ganz nahe an meinem Ziele verzagen zu mĂźssen. Aber ich klammerte mich an die Hoffnung, daĂ die nächsten Tage, die nächsten Stunden schon eine Entscheidung bringen wĂźrden. Die Freude meines Lebens war das Geheimnis, von dem nur ich allein wuĂte, und oftmals leuchtete mir der Mond bei meinen mitternächtlichen Arbeiten, die mich bis an die verstecktesten Winkel des Naturschaffens fĂźhren sollten. Ich unterlasse es, Ihnen die Greuel meines einsamen Schaffens zu schildern, wie ich im Unrat von Gräbern wĂźhlte und lebende Wesen zu Tode quälte, um toten Staub zu beleben. Heute zittern meine Knie und es flimmert vor meinen Augen, wenn ich an das alles denke. Aber damals trieb es mich rastlos, rĂźcksichtslos weiter, so daĂ ich jeden Sinn fĂźr anderes verlor. In einem stillen, abgelegenen Zimmer, oder besser gesagt einer Kammer unter dem Dache, von allen Ăźbrigen Räumen durch eine Galerie und eine Treppe getrennt, vollbrachte ich mein ekelerregendes Werk. Die Augen traten mir aus den HĂśhlen vor Erregung und Anspannung. Die Beinhäuser, der Seziersaal und auch die Schlächterwerkstatt lieferten mir mein Material, und oft wandte sich mein Inneres voll Abscheu von dieser Beschäftigung ab, während meine SchĂśpfung immer mehr ihrer Vollendung entgegeneilte.
Unterdessen waren die Sommermonate dahingeflossen. Es war eine herrliche Zeit gewesen und niemals noch hatten die Felder so reich gesegnet dagestanden. Aber meine Augen waren fĂźr solche Reize zu jener Zeit vĂśllig unzugänglich. Und aus demselben Grunde, weshalb ich keine Freude an der Natur mehr hatte, vergaĂ ich auch der treuen, lieben Menschen, von denen ich so weit entfernt war und die ich schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Ich wuĂte, daĂ sie mein Schweigen beunruhigen muĂte und erinnerte mich noch recht wohl der Worte meines Vaters: ÂťWenn du mit dir selbst zufrieden bist, wirst du auch unser in Liebe gedenken und wir werden regelmäĂig von dir hĂśren. Du darfst es mir nicht verĂźbeln, wenn ich langes Schweigen deinerseits als einen Beweis dafĂźr ansehe, daĂ du deine anderen Pflichten in gleicher Weise vernachlässigst.ÂŤ
Ich konnte mir also gar nicht im Zweifel darĂźber sein, was mein Vater von mir denken muĂte; aber mein Werk hatte mich, so widerlich es an sich war, dermaĂen gepackt, daĂ ich mich nicht mehr losreiĂen konnte. Ich wollte deshalb alles, was mit Aufmerksamkeit fĂźr andere zusammenhing, hinausschieben, bis der groĂe Wurf gelungen wäre.
Ich zieh meinen Vater damals der Ungerechtigkeit, daĂ er mir Nachlässigkeit vorwarf; aber heute weiĂ ich gewiĂ, daĂ er recht hatte, wenn er mich nicht von Schuld freisprach. Ein vollkommener Mensch muĂ sich immer die Seele ruhig und friedvoll erhalten und darf keiner Leidenschaft auch keinem vorĂźbergehenden Begehren gestatten, ihn zu verwirren. Ich wage nicht zu behaupten, daĂ wissenschaftlicher Eifer eine Ausnahme bedinge. Wenn das Studium, dem man sich widmet, die GefĂźhle der Liebe und Dankbarkeit vernichtet und den Sinn fĂźr einfache Freuden tĂśtet, dann ist es sicher nicht nĂźtzlich fĂźr den menschlichen Geist. Wenn diese Regel immer beachtet worden wäre, dann wäre Griechenland nicht unterjocht worden, Cäsar hätte sein Vaterland verschont und die alten, mächtigen Reiche in Mexiko und Peru wären nicht untergegangen.
Aber eben merke ich, daà ich mitten im interessantesten Teil meiner Erzählung zu philosophieren beginne. Ihre Augen mahnen mich fortzufahren.
Mein Vater machte mir in seinen Briefen keine VorwĂźrfe wegen meines Schweigens und bekundete nur dadurch sein Interesse daran, daĂ er sich eingehender als bisher um meine Studien kĂźmmerte. Winter, FrĂźhling und Sommer waren Ăźber meiner Arbeit dahingeflossen; aber ich beachtete nicht das BlĂźhen und SprieĂen. FrĂźher hatten diese Erscheinungen mich stets mit der grĂśĂten Freude erfĂźllt, so tief war ich in meine Ideen vergraben. Und die Blätter wurden welk, noch ehe mein Werk vollendet dastand; aber jeder Tag lieĂ mich jetzt einen Fortschritt erkennen. Nur war mein Eifer einigermaĂen mit Angst gemischt. Ich hatte GefĂźhle, wie sie ein Sklave hegen muĂ, der in den Minen zu arbeiten gezwungen wird, nicht aber wie ein KĂźnstler, der sein Lebenswerk schafft. Jede Nacht fieberte ich und wurde entsetzlich nervĂśs; ein Knarren in der Diele lieĂ mich zusammenfahren und an den Menschen schlich ich vorbei, als hätte ich ein schweres Verbrechen auf dem Gewissen. Und wenn ich mich im Spiegel ansah, erschrak ich Ăźber mein Aussehen; nur der eiserne Wille hielt mich noch aufrecht, mein Ziel zu erreichen. Nun war es bald zu Ende und ich konnte dann durch kĂśrperliche Ăbungen und VergnĂźgungen dem drohenden Unheil Einhalt tun; und das versprach ich mir, wenn ich nur erst meine SchĂśpfung vollendet haben wĂźrde.

Kapitel 5
Es war eine trostlose Novembernacht, als ich mein Werk fertig vor mir liegen sah. Mit einer Erregung, die fast einer Todesangst glich, machte ich mich daran, dem leblosen Dinge den lebendigen Odem einzublasen. Es war schon ein Uhr morgens. Der Regen klatschte heftig an die Fensterscheiben, als ich beim Scheine meiner fast ganz herabgebrannten Kerze das trĂźbe Auge der Kreatur sich Ăśffnen sah. Ein tiefer Atemzug dehnte die Brust und die Glieder zuckten krampfhaft.
Wie kĂśnnte ich Ihnen beschreiben, was ich empfand, und das UngetĂźm schildern, das ich da mit so viel MĂźhe und FleiĂ geschaffen? Seine Glieder waren proportioniert und seine ZĂźge hatte ich mĂśglichst schĂśn gemacht. SchĂśn! GroĂer Gott! Seine gelbliche Haut genĂźgte kaum, um das Geflecht von Muskeln und Adern zu decken; sein Haar war glänzend schwarz und lang; seine Zähne wie Perlen. Aber das alles bildete nur einen um so auffallenderen Gegensatz zu den wässerigen Augen, die sich von den AugenhĂśhlen kaum abhoben, der faltigen Haut und den schwärzlichen, schmalen Lippen.
Nichts ist flĂźchtiger als die menschlichen GefĂźhle. Nahezu zwei Jahre hatte ich gearbeitet, nur um etwas zu schaffen, dem ich Leben einflĂśĂen kĂśnnte. Dazu hatte ich mich also meiner Ruhe und Gesundheit beraubt! Mit der ganzen Glut meines Herzens hatte ich mich nach der Vollendung gesehnt, und nun war die SchĂśnheit des Traumes verblichen, unsäglicher Schrecken und Ekel erfĂźllten mich. Unfähig, den Anblick meines GeschĂśpfes noch länger zu ertragen, rannte ich aus dem Laboratorium und in mein Schlafzimmer, wo ich auf- und abging, da ich keine Ruhe finden konnte. SchlieĂlich aber kam doch eine entsetzliche MĂźdigkeit Ăźber mich und ich warf mich auf mein Lager, vollkommen angekleidet, und hoffte auf einige Zeit Vergessenheit zu finden. Es war umsonst! Wohl schlief ich, aber die furchtbarsten Träume quälten und ängstigten mich. Mir war, als sähe ich Elisabeth in der BlĂźte ihrer Jugend und Gesundheit in den StraĂen von Ingolstadt dahinschreiten. Ăberrascht und erfreut eilte ich ihr nach und schloĂ sie in die Arme. Aber kaum hatte ich ihr den ersten KuĂ auf die Lippen gedrĂźckt, als sie fahl wurde wie eine Tote; ihre ZĂźge veränderten sich und ich hielt den Leichnam meiner Mutter in den Armen. Ein Leichentuch umhĂźllte sie, in dessen Falten ekle WĂźrmer krochen. Ich fuhr entsetzt auf; kalter SchweiĂ rann mir Ăźber die Stirn, meine Zähne klapperten und meine Glieder zitterten. Und da â da stand im bleichen, gelblichen Lichte des Mondes, das durch die Fenstervorhänge drang, das Ungeheuer, das ich geschaffen. Es hielt den Bettvorhang mit einer Hand zurĂźck und stierte mich mit seinen Augen an, wenn man Ăźberhaupt von Augen reden kann. Es Ăśffnete seine Kinnladen und stieĂ einige unartikulierte Laute aus, während sich die Haut seiner Wangen unter einem häĂlichen Grinsen runzelte. Ob es gesprochen hat, kann ich nicht sagen, denn ich hĂśrte es nicht, weil ich davonrannte, als es die Hand nach mir ausstreckte, und die Treppe hinuntereilte. Ich suchte Zuflucht im Hofe des von mir bewohnten Hauses. Dort ging ich bis zum Morgen auf und nieder, aufs tiefste erregt, und lauschte auf jeden Laut, der sich aus dem Hause vernehmen lieĂ. Mir war es, als mĂźĂte der häĂliche Dämon nahen, dem ich so leichtsinniger Weise Leben verliehen hatte.
O, kein Sterblicher hätte ohne Grauen den Anblick dieses Gesichtes ertragen kĂśnnen. Eine Mumie, die lebendig geworden, konnte nicht so abscheulich sein als dieses Unding. Ich hatte es betrachtet, als es noch nicht vollendet war. Es war schon damals Ăźberaus häĂlich, aber als diese Muskeln und Gelenke sich zu bewegen begannen, sah ich, daĂ ich etwas geschaffen, das sich Dantes Phantasie nicht grausiger hätte vorstellen kĂśnnen.
Es war eine Nacht, die ich mein Leben lang nicht vergesse. Zuweilen pochte mein Puls so rasch und heftig, daà ich fßhlte, wie sich jede Ader anspannte; und dann war es mir, als mßsse ich zu Boden sinken vor Schwäche und Elend. Es war aber nicht nur das Entsetzen, es war auch die bitterste Enttäuschung, was mich so niederdrßckte. Die Träume, die ich so lange genährt, die meine Freude gewesen, wurden mir nun zu HÜllenqualen; der Wechsel war zu rasch, zu ßberwältigend.
Endlich kam der Morgen heran, trĂźb und feucht, und mit meinen schmerzenden Augen konnte ich auf dem Kirchturm erkennen, daĂ es eben sechs Uhr war. Der TĂźrhĂźter Ăśffnete das Tor des Hofes, der diese Nacht meine Zuflucht gewesen, und ich eilte auf die StraĂe hinaus. Mit raschen Schritten ging ich in der Stadt herum und war in steter Furcht, daĂ mir an der nächsten Ecke das Ungeheuer entgegenkommen kĂśnnte, dem ich zu entfliehen wĂźnschte. Ich wagte nicht heimzugehen, sondern irrte umher, trotzdem mich der Regen, der von dem grauen, trostlosen Himmel unaufhĂśrlich herniederfloĂ, schon bis auf die Haut durchnäĂt hatte.
Lange setzte ich meinen Spaziergang fort und meinte, durch die rasche Bewegung des drĂźckenden GefĂźhles ledig zu werden, das auf meiner Seele lastete. StraĂe um StraĂe durchwanderte ich, ohne mir klar zu werden, wo ich war und was ich wollte. Mein Herz klopfte in entsetzlicher Furcht und ich eilte dahin, ohne mich umzusehen.
PlÜtzlich befand ich mich der Herberge gegenßber, vor der die Post und die Reisewagen zu halten pflegten. Ich hielt in meinem Laufe inne, ich weià nicht warum. Aber ich stand so einige Zeit und hatte die Augen starr auf einen Wagen gerichtet, der gerade vom anderen Ende der Stadt herankam. Als er sich genähert hatte, erkannte ich, daà es die Schweizer Post war. Sie hielt gerade vor mir. Als die Tßr geÜffnet wurde bemerkte ich im Innern Henry Clerval, der sofort heraussprang und auf mich zueilte. Lieber, lieber Frankenstein, rief er, wie froh bin ich, dich zu sehen! Welch schÜner Zufall, daà du jetzt gerade da bist, wo ich ankomme.
Ich empfand eine unbeschreibliche Freude Ăźber die Ankunft Clervals und bei seinem Anblick muĂte ich meines Vaters, meiner Elisabeth und meiner Heimat gedenken. Ich ergriff seine Hand und vergaĂ all mein Elend und UnglĂźck; ich fĂźhlte das erste Mal seit Monaten wieder eine ruhige, ernste Freude. Ich war deshalb imstande, meinen Freund in der herzlichsten Weise zu begrĂźĂen und ihn zu meiner Wohnung zu fĂźhren. Clerval erzählte mir von unseren gemeinsamen Freunden und von seiner Freude, daĂ es ihm nun auch vergĂśnnt sei, nach Ingolstadt zu kommen. ÂťDu kannst dir leicht vorstellen,ÂŤ sagte er, Âťwelche Schwierigkeiten es kostete, meinen Vater zu Ăźberzeugen, daĂ mit der Kenntnis der BuchfĂźhrung noch nicht alles Wissen erschĂśpft sei. Ich bin mir auch heute noch nicht klar, ob er es wirklich eingesehen hat, denn seine ständige Antwort auf meine immerwährenden flehendlichen Bitten war das, was der holländische Schulmeister im ÂťVikar von WakefieldÂŤ sagt: ÂťIch habe zehntausend Gulden im Jahr und das Essen schmeckt mir ausgezeichnet, ohne daĂ ich Griechisch kann.ÂŤ Aber schlieĂlich besiegte die Liebe zu mir doch seine Abneigung gegen die Wissenschaft und er erlaubte mir dann, eine Entdeckungsreise ins Land des Geistes zu wagen.ÂŤ
ÂťEs freut mich herzlich, dich wiederzusehen, aber nun sage mir auch, wie geht es Vater, wie geht es meinen BrĂźdern und Elisabeth?ÂŤ
ÂťSie sind gesund und zufrieden, nur machen sie sich Sorge, weil du so selten etwas von dir hast hĂśren lassen. Ăbrigens habe ich vor, dir deswegen noch die Leviten zu lesen. Aber, lieber Frankenstein,ÂŤ fuhr er fort, nachdem er kurz sein Gespräch abgebrochen und mir gerade ins Gesicht gesehen hatte, Âťes ist mir eben jetzt erst aufgefallen, wie elend du aussiehst. So schmal und blaĂ, man kĂśnnte meinen, du hättest ein paar Nächte durchschwärmt.ÂŤ
Du kannst recht haben! Ich bin seit einiger Zeit so angestrengt tätig gewesen, daà ich nicht zur Ruhe kam. Aber ich hoffe zuversichtlich, daà all das nun vorßber ist und ich endlich wieder mein eigener Herr bin.
Ich zitterte am ganzen Leibe und war nicht imstande, an die Erlebnisse der vergangenen Nacht zu denken, geschweige denn von ihnen zu erzählen. Ich schlug ein rasches Tempo ein und bald hatten wir mein Haus erreicht. Ich Ăźberlegte und schauderte bei dem Gedanken, daĂ die Kreatur, die ich in meinem Zimmer zurĂźckgelassen, immer noch dort sein kĂśnnte. Ich fĂźrchtete mich, das Ungeheuer wieder zu erblicken, noch mehr aber fĂźrchtete ich, Henry kĂśnnte es sehen. Ich bat ihn also, einige Augenblicke am FuĂe der Treppe zu warten, und tastete mich durch das dunkle Treppenhaus hinauf zu meinem Zimmer. Erst als ich die Hand auf den TĂźrdrĂźcker legte, kam ich wieder zu mir und kalt lief es mir Ăźber den RĂźcken. Ich stieĂ die TĂźr mit raschem Rucke auf, wie es Kinder tun, die in ein Zimmer gehen sollen und erwarten, dort ein Gespenst stehen zu sehen. Aber keine Spur von dem GefĂźrchteten. Ich sprang fĂśrmlich in die Wohnung hinein, doch Wohnzimmer und Schlafzimmer waren leer; der unheimliche Geselle war fort. Ich konnte es gar nicht fassen, daĂ mir ein solch ungeheures GlĂźck beschieden sein sollte. Aber nachdem ich mich Ăźberzeugt hatte, daĂ mein Feind wirklich geflohen war, klatschte ich vor Freude in die Hände und eilte hinunter zu Clerval.
Ich nahm ihn dann mit herauf und das Mädchen brachte sofort das FrĂźhstĂźck. Ich war jedoch unfähig, mich einen Augenblick still zu halten; mein ganzer KĂśrper vibrierte vor Erregung und mein Puls hämmerte wie rasend. Ich sprang Ăźber die StĂźhle, klatschte mit den Händen und lachte laut und Ăźbertrieben. Clerval schrieb das alles anfänglich der Freude des Wiedersehens zu. Bei näherer Beobachtung aber mochte er in meinen Augen einen wilden Fieberglanz entdeckt haben, den er sich nicht erklären konnte. Auch mein lautes, rĂźcksichtsloses, herzloses Lachen war ihm vielleicht aufgefallen und hatte ihm Sorge eingeflĂśĂt.
ÂťWas hast du denn nur, lieber Viktor, was hast du denn?ÂŤ rief er. ÂťLache doch nicht so häĂlich. Wie miserabel du aussiehst. Was ist da Schuld daran?ÂŤ
ÂťFrage mich nicht,ÂŤ schrie ich, indem ich die Hände vor das Gesicht schlug, denn es war mir gerade gewesen, als wäre das gefĂźrchtete Gespenst lautlos ins Zimmer gehuscht. Âť Er kann es dir sagen â rette mich, rette mich vor ihm!ÂŤ Ich meinte zu fĂźhlen, wie das Ungeheuer nach mir griff; ich schlug wie wĂźtend um mich und brach dann ohnmächtig zusammen.
Armer Clerval! Was muĂt du ausgestanden haben? Er hatte sich so innig auf ein Wiedersehen gefreut, und so muĂte es enden! Aber ich konnte ja seinen Gram nicht sehen, denn ich war bewuĂtlos und kam lange, lange nicht mehr zu mir.
Mit diesem Zwischenfall hatte ein heftiges Nervenfieber seinen Anfang genommen, das mich monatelang ans Bett fesselte. Während dieser Zeit hatte Henry ganz allein meine Pflege Ăźbernommen. Später erfuhr ich, daĂ er meinen Lieben in der Heimat die ganze Gefährlichkeit meiner Krankheit verschwiegen hatte, weil er wuĂte, daĂ mein Vater schon zu alt war, um die lange Reise zu machen, und daĂ Elisabeth sich zu Tode gehärmt hätte. Da er Ăźberzeugt war, daĂ niemand imstande wäre, mich aufopfernder und aufmerksamer zu pflegen als er, und fest an meine Wiederherstellung glaubte, wagte er es, die Verantwortung zu Ăźbernehmen und so den Meinen einen Liebesdienst zu erweisen.
Ich war wirklich sehr elend daran, und sicherlich hat mich nur die unausgesetzte, hingebende Pflege meines Freundes vom Tode errettet. Das UngetĂźm, dem ich das Leben gegeben, schwebte mir immer vor und in meinen Fieberphantasten spielte es die Hauptrolle. Henry wuĂte sich anfangs meine Reden nicht zu deuten und hielt sie jedenfalls fĂźr die Produkte eines fieberglĂźhenden Gehirns. Da sich aber dieselben Szenen immer wiederholten und meine Gedanken immer auf denselben Punkt zurĂźckkehrten, wurde er sich doch klar, daĂ irgend ein seltsames, schreckliches Ereignis zu meiner Erkrankung den AnlaĂ gegeben haben muĂte.
Sehr langsam schritt meine Genesung vorwärts, immer wieder aufgehalten durch Rßckfälle, die meinem Freunde viel Gram und Sorge verursachten. Ich erinnere mich noch genau des Augenblickes, da ich zum ersten Male wieder Dinge wahrnahm, die mich umgaben; wie ich mich darßber freute, daà die gefallenen Blätter nun nicht mehr zu sehen waren, sondern daà die Knospen an den Bäumen vor meinem Fenster aufsprangen. Es war ein wunderschÜner Frßhling, der zu meiner Gesundung ein gut Teil beitrug. Ich empfand, wie sich Gefßhle der Liebe und Freude wieder in meiner Brust zu regen begannen. Allmählich wich der Alb von mir, der mich so bedrßckt hatte, und nach kurzer Zeit war ich so froh wie damals, als mich jene unselige Leidenschaft noch nicht gepackt hatte.
ÂťTeurer Clerval,ÂŤ sagte ich, Âťwie gut und edel du bist! Diesen ganzen Winter hast du mir geopfert statt zu studieren. Wie soll ich das je heimzahlen? Ich mache mir bittere VorwĂźrfe, denn ich war ja die Ursache, und bitte dich mir zu verzeihen.ÂŤ
ÂťIch will nichts, als daĂ du dich nicht aufregst und mĂśglichst bald gesund wirst; und da du dich gerade in so guter Laune befindest, darf ich doch etwas mit dir besprechen?ÂŤ
Ich zitterte. Etwas! Was konnte das sein. Vielleicht dies Etwas, an das ich gar nicht zu denken wagte?
Rege dich nicht auf, sagte Clerval, der bemerkt hatte, wie ich blaà wurde, wenn es dich quält, will ich nicht weiter davon reden. Aber ich wollte nur sagen, daà dein Vater und Elisabeth glßcklich sein wßrden, wenn sie endlich einmal wieder einen Brief von deiner eigenen Hand erhielten. Sie wissen ja nicht, wie krank du warst, und dßrften sich deinetwegen ängstigen.
ÂťIst das alles, lieber Clerval? Glaubst du nicht, daĂ meine Gedanken zu denen fliegen, die ich liebe und die meine Liebe wirklich verdienen?ÂŤ
ÂťNun denn, mein Freund, dann wird es dir jedenfalls auch Freude machen, diesen Brief zu Ăśffnen, der seit einigen Tagen hier liegt und auf dich wartet. Er ist von Elisabeth, wenn ich nicht irre.ÂŤ

Kapitel 6
Der Brief, den mir Clerval Ăźbergab, war von Elisabeth und lautete:
Liebster Viktor!
Du bist krank gewesen, sehr krank, und auch die immerwährenden Briefe des guten, lieben Clerval kĂśnnen mich nicht genĂźgend beruhigen. Ich weiĂ, daĂ Du nicht schreiben, keine Feder anrĂźhren darfst; aber ein Wort, ein einziges Wort von Dir genĂźgt, um unsere BefĂźrchtungen zu zerstreuen. Ich meinte, jede Post kĂśnne dieses einzige Wort endlich bringen, und nur meine feste Ăberzeugung, daĂ das geschehen mĂźsse, hielt Onkel davon ab, die Reise nach Ingolstadt zu unternehmen. Ihn habe ich allerdings abgehalten, die Unbequemlichkeiten, ja sogar Gefahren dieser langen Reise auf sich zu nehmen; aber wie oft habe ich es bedauert, daĂ ich selbst sie nicht wagen konnte! Ich bildete mir ein, daĂ den Dienst an Deinem Krankenbett eine alte Lohnpflegerin tat, die niemals Deine WĂźnsche so erraten und sie so erfĂźllen konnte, wie es Deine arme Elisabeth verstanden hätte. Aber das ist nun vorĂźber! Clerval schreibt, daĂ es Dir in der Tat wieder wesentlich besser geht, und ich bitte Dich flehentlich, mir dies mit eigener Hand zu bestätigen.
Werde nur bald wieder gesund und komme dann wieder heim zu uns. Du wirst ein glĂźckliches, friedliches Heim finden und fĂźhlen, wie sehr die Deinen an Dir hängen. Dein Vater ist noch sehr rĂźstig und hat keinen anderen Wunsch als den, Dich zu sehen, zu wissen, daĂ es Dir wohl geht. Dann trĂźbt aber auch keine Wolke sein gĂźtiges Antlitz. Wie wirst du Dich freuen, Ernst wiederzusehen. Wie der groĂ geworden ist! Er ist jetzt gerade sechzehn Jahre und voller Ăbermut und KĂźhnheit. Als echter Schweizer beabsichtigt er, in fremde Kriegsdienste zu treten; allerdings sind wir damit nicht recht einverstanden, wenigstens so lange der ältere Bruder noch fort ist. Dein Vater will von der Sache Ăźberhaupt nichts wissen, aber Ernst besaĂ nie Deinen FleiĂ und Deine Freude am Studium. Er sieht es mehr als etwas Nebensächliches an und verbringt seine Zeit meist in der frischen Luft, auf Berghängen und am Seegestade. Ich fĂźrchte, daĂ er ein MĂźĂiggänger wird, wenn wir seinem Willen nicht nachgeben und ihn den Beruf wählen lassen, den er sich in den Kopf gesetzt hat.
Bei uns hat sich recht wenig geändert; nur die Kleinen sind herangewachsen, seit Du von uns gegangen bist. Der blaue See, die Berge mit ihren Schneehäuptern â sie verändern ihr Antlitz nicht. Und mir scheint es, als herrschte in unserem ruhigen Heim und in unseren friedlichen Herzen dasselbe Gesetz der Unveränderlichkeit. Meine alltäglichen Beschäftigungen fĂźllen meine Zeit ganz aus und machen mir Freude, und mein Lohn ist es, wenn ich frohe, glĂźckliche Gesichter um mich sehe. Nur etwas ist in unserem kleinen Haushalt anders geworden, seit Du nicht mehr hier bist. Erinnerst Du Dich noch, wie Justine Moritz zu uns kam? Vielleicht nicht mehr, darum will ich Dir die Sache mit ein paar Worten ins Gedächtnis zurĂźckrufen. Frau Moritz war eine Witwe mit vier Kindern, von denen Justine das dritte war. Dieses Mädchen war immer ihres Vaters Liebling gewesen; aber merkwĂźrdigerweise mochte ihre Mutter sie nicht ausstehen und behandelte sie sehr schlecht, als der Vater tot war. Meine Mutter merkte das und machte Frau Moritz den Vorschlag, die Kleine, die eben erst zwĂślf Jahre alt geworden war, in unserem Hause dienen zu lassen. Die republikanischen Einrichtungen unseres Landes bringen einfachere und schĂśnere Lebensformen mit sich, als man sie vielleicht in den Monarchien, die uns umgeben, kennt. Deshalb ist auch kein so groĂer Unterschied zwischen der wohlhabenden und der dienenden Klasse, und die letzteren sind deshalb, weil sie nicht als minderwertig gelten, feiner und moralischer als ihre in der gleichen Lage befindlichen Mitmenschen in anderen Ländern. Ein Dienstmädchen in Genf ist etwas wesentlich anderes als ein solches in Frankreich oder in England. Justine, die in unsere Familie eintrat, nahm allerdings eine dienende Stellung ein, die aber in unserem glĂźcklichen Lande weder Unwissenheit bedingt noch auch ein Opfer der MenschenwĂźrde bedeutet.
Du erinnerst Dich sicher, daĂ Du Justine sehr gern hattest, und ich weiĂ, daĂ Du eines Tages sagtest, daĂ ein Blick aus Justines Augen imstande sei, jede Ăźble Laune von Dir zu vertreiben. Auch Deine Mutter war ihr sehr zugetan und beschloĂ, ihr eine bessere Erziehung zu geben, als sie ursprĂźnglich beabsichtigt hatte. Diese Wohltat ward ihr reichlich vergolten, denn Justine war das dankbarste GeschĂśpf, das man sich denken kann. Nicht, daĂ sie schmeichelte; aber ihre Augen verrieten, wie sehr sie ihre Herrin vergĂśtterte. Wenngleich sie sehr lebhaft, in mancher Hinsicht sogar unachtsam war, beobachtete sie doch mit der grĂśĂten Aufmerksamkeit jede Bewegung, jede Miene Deiner Mutter. Diese galt ihr als Muster aller Vollkommenheit und sie bemĂźhte sich, ihr in Rede und Haltung zu gleichen, so daĂ sie mich heute noch immer an die Entschlafene erinnert.
Als dann Deine geliebte Mutter starb, waren wir alle zu sehr in unseren Gram vertieft, um von der armen Justine Notiz zu nehmen, die die Kranke mit der hingebendsten Liebe gepflegt hatte. Das Mädchen wurde sehr krank, aber andere Prßfungen waren ihr noch vorbehalten.
Nach und nach starben alle ihre BrĂźder und Schwestern dahin und ihre Mutter hatte niemand mehr als sie, die vernachlässigte Tochter. Und da begann sich das Gewissen der alten Frau zu rĂźhren: sie glaubte in dem Tode ihrer Lieblinge ein Strafgericht fĂźr ihre Ungerechtigkeit zu erkennen. Sie war katholisch und ich glaube, daĂ ihr Beichtvater sie in dieser Ansicht nur noch bestärkt hat. Kurz, einige Monate nach Deiner Abfahrt nach Ingolstadt wurde Justine zu ihrer Mutter zurĂźckberufen. Armes Ding! Sie weinte bitterlich, als sie uns verlieĂ; seit dem Tode Deiner Mutter war sie ganz verändert und ihre frĂźhere Lebhaftigkeit war einer herzgewinnenden Weichheit und Milde gewichen. Aber der Aufenthalt bei ihrer Mutter war gar nicht geeignet, sie wieder frĂśhlich zu machen. Die arme Frau war nicht sehr beständig in ihrer Reue. Oftmals bat sie Justine, ihr doch ihre Unfreundlichkeiten zu verzeihen, aber dann wieder klagte sie sie an, daĂ sie am Tode ihrer BrĂźder und Schwestern schuld sei. Dieser immerwährende Gram nagte an Frau Moritz, die immer verdrieĂlicher und reizbarer wurde, bis sie endlich auf ewig Ruhe fand. Sie starb bei dem Herannahen des kalten Wetters zu Beginn des letzten Winters. Justine ist wieder bei uns und ich kann Dir nur versichern, daĂ ich sie herzlich lieb habe. Sie ist sehr klug und nett und auĂergewĂśhnlich hĂźbsch. Wie ich Dir schon sagte, erinnert sie mich in Miene und Haltung immerwährend an Deine Mutter.
Noch muà ich Dir mit ein paar Worten ßber unseren lieben, kleinen Wilhelm berichten. Ich wollte, Du kÜnntest ihn sehen. Er ist sehr groà fßr sein Alter, hat lachende, blaue Augen, dunkle Augenbrauen und gelocktes Haar. Wenn er lacht, erscheinen auf seinen Wangen zwei rosige Grßbchen. Er hat bereits einige kleine Bräute; die liebste von allen ist ihm aber Luise Biron, ein reizendes Kind von fßnf Jahren.
Ich nehme an, daĂ Dir auch ein kleiner Klatsch Ăźber unsere Genfer Bekannten erwĂźnscht ist. Fräulein Mansfeld hat sich mit einem jungen Engländer, Herrn John Melbourne, verlobt, während ihre häĂliche Schwester Manon letzten Herbst einen reichen Bankier, Herrn Duvillard, geheiratet hat. Dein Schulfreund Ludwig Manoir hat mit viel MiĂgeschick zu kämpfen gehabt. Es geht ihm aber jetzt wieder gut und man erzählt sich, daĂ er im Begriffe sei, eine liebenswĂźrdige FranzĂśsin, Frau Tavernier, zu heiraten. Sie ist Witwe und viel älter als er; aber sie wird von allen Seiten verehrt und angebetet.
Während des Schreibens merke ich, daĂ ich mich selbst damit in bessere Laune versetzt habe; aber nun, wo ich schlieĂen mĂśchte, kehrt meine Angst wieder. Schreibe, lieber, guter Viktor, eine Zeile, ein Wort wird uns reich machen. Henry lassen wir tausendmal danken fĂźr seine Liebe, seine GĂźte und seine vielen Briefe; wir werden es ihm nie vergessen. Lebwohl, Lieber; schone Dich recht und vergiĂ nicht zu schreiben â ich bitte Dich darum!
*
Genf, den 18. März 17..
Elisabeth Lavenza.
ÂťTeure, geliebte Elisabeth,ÂŤ rief ich aus, nachdem ich den Brief zu Ende gelesen, Âťich werde sofort schreiben und dich von der Angst befreien, die du um mich hast.ÂŤ Ich schrieb â allerdings nicht ohne bedeutende Anstrengung; aber meine Genesung hatte begonnen und machte rasche Fortschritte. Nach weiteren vierzehn Tagen durfte ich das erste Mal wieder mein Zimmer verlassen.
Das erste, was ich nach meiner Genesung tat, war, daĂ ich Clerval bei verschiedenen Professoren der Universität einfĂźhrte. DaĂ dabei mehrere Wunden meiner Seele wieder aufbrachen, ist nicht zu verwundern. Seit jener UnglĂźcksnacht, die das Ende meiner MĂźhen, aber auch den Anfang meines Elends bildete, hatte ich einen gewissen Widerwillen schon gegen das Wort Naturphilosophie. Wenn ich auch gesundheitlich vollkommen wiederhergestellt war, so war doch schon der Anblick eines der Chemie dienenden Instrumentes geeignet, von neuem nervĂśse ErschĂźtterungen hervorzurufen. Henry hatte das gemerkt und deshalb alle Apparate wegräumen lassen. Er hatte auch dafĂźr Sorge getragen, daĂ ich ein anderes Zimmer bezog, denn er empfand, daĂ ich ein Grauen vor dem Raume hatte, der mir bisher als Laboratorium gedient. Aber all die VorsichtsmaĂregeln halfen nicht, als wir unsere Besuche bei den Professoren machen muĂten. Herr Waldmann verursachte mir Qualen, als er gĂźtig und ehrlich die erstaunlichen Fortschritte pries, die ich in den Wissenschaften gemacht hatte. Er fĂźhlte bald heraus, daĂ mir dieses Thema unangenehm war; da er aber meine inneren BeweggrĂźnde nicht wissen konnte, schrieb er meine Verlegenheit meiner Bescheidenheit zu und wechselte das Thema insofern, als er auf die Wissenschaft im allgemeinen Ăźberging, allerdings in der Absicht, mich herauszustreichen. Was sollte ich tun? Er meinte es gut, tat mir aber weh. Mir war es wie einem, dem man nach und nach all die Instrumente vorzeigt, mit denen er dann geschunden und hingerichtet werden soll. Ich erschauerte bei seinen Worten, konnte aber meine Pein nicht zeigen. Clerval, der sehr rasch die Gedanken und GefĂźhle anderer zu erraten verstand, lenkte dann das Gespräch ab, in dem er seine vollständige Unkenntnis dieser Dinge entschuldigend erwähnte. Ich dankte meinem treuen Freunde innerlich, durfte aber doch nicht diesem GefĂźhle mit Worten Ausdruck geben. Er war offenbar Ăźberrascht, versuchte aber niemals, mein Geheimnis zu erforschen. Und obschon ich ihn grenzenlos liebte und verehrte, brachte ich es doch nicht Ăźbers Herz, ihm das Ereignis anzuvertrauen, das immer in meiner Seele gegenwärtig war und das vielleicht auf einen andern einen noch tieferen Eindruck machen konnte als auf mich selbst.
Herr Krempe sprach in wesentlich anderer Weise, und in meiner empfindlichen, seelischen Verfassung taten mir seine rauhen, ungelenken LobsprĂźche noch weher als die feinen, anerkennenden Worte Waldmanns. ÂťHol der Teufel den Jungen!ÂŤ schrie er. ÂťIch versichere Ihnen, Herr Clerval, er hat uns alle ausgestochen. Ja, ja, schauen Sie nur; deswegen ist es doch wahr. Ein junger Dachs, der noch ein paar Jahre vorher an Cornelius Agrippa glaubte, wie an das Evangelium, ist nun uns allen an der ganzen Universität voran. Nun, nun,ÂŤ fuhr er fort, als er den leidenden Ausdruck in meinem Gesichte bemerkt hatte, Âťich weiĂ, Herr Frankenstein ist bescheiden, wie es sich fĂźr junge Leute besonders gut ziemt. Junge Leute dĂźrfen sich noch nicht allzuviel zutrauen, wissen Sie, Herr Clerval. Auch ich war bescheiden, wie ich noch jung war; aber das wird ja dann später alles anders.ÂŤ
Herr Krempe war damit auf ein Thema ßbergegangen, das mir nicht so unangenehm war, nämlich auf einen Lobhymnus seiner selbst.
Clerval hatte meine Neigung zu den Naturwissenschaften nie geteilt und auch seine LektĂźre hatte sich immer wesentlich von der meinen unterschieden. Er hatte die Universität bezogen mit der festen Absicht, orientalische Philologie zu studieren und sich damit einen Lebensberuf zu schaffen. Das Persische, Arabische und Sanskrit waren seine Lieblingssprachen, und es war ihm ein Leichtes, mich zu veranlassen, daĂ auch ich diese Fächer belegte. MĂźĂiggang war mir von jeher ein Greuel gewesen, und gerade jetzt, wo ich meine frĂźheren Studien wieder zu hassen begann und alles zu vergessen wĂźnschte, war es mir lieb, in meinem Freunde einen Arbeitsgenossen zu haben und in den geistigen Schätzen des Orients nicht nur Belehrung, sondern auch Ablenkung zu finden. Es war mir nicht, wie ihm, darum zu tun, mir genaue, detaillierte Kenntnisse zu erwerben, sondern ich wollte mich nur der Zerstreuung halber damit beschäftigen. Ich las nur um des Inhalts willen und meine MĂźhe machte sich reichlich belohnt; ihr Ernst ist sanft und ihre Freude erhebend, wie ich es in keiner anderen Literatur kennen lernte. Wo man diese orientalischen Schriften liest, meint man, das Leben flieĂe nur im linden Sonnenlichte und in berauschendem Rosenduft dahin. Wie verschieden sind dagegen die herben, heroischen Dichtungen der Griechen und RĂśmer!
Der Sommer floĂ dahin und meine RĂźckkehr nach Genf wurde auf Ende Herbst festgesetzt. Durch verschiedene Zufälligkeiten kam es aber nicht dazu, und unterdessen brach der Winter herein, der mit Schnee und Eis die StraĂen unbenutzbar machte, so daĂ ich meine Abreise auf den folgenden FrĂźhling verschieben muĂte. Dieser neue Aufschub fiel mir sehr schwer, denn ich sehnte mich danach, meine Heimat und meine Lieben zu sehen. Ich hatte meine Abreise auch deswegen verzĂśgert, weil ich Henry nicht ganz allein in der fremden Stadt lassen, sondern ihn erst noch mit einigen Einwohnern derselben bekannt machen wollte. Wir verbrachten den Winter ganz vergnĂźgt, und der FrĂźhling, der ungewĂśhnlich spät einsetzte, entschädigte uns mit allen Mitteln fĂźr sein Säumen.
Schon war es Mai geworden und ich erwartete Tag fĂźr Tag den Brief aus der Heimat, der meine endgĂźltige Abreise festlegen sollte. Henry schlug mir vor, mit ihm eine FuĂtour in die Umgebung von Ingolstadt zu machen, damit ich mich von dem Landstriche, in dem ich einige Zeit gelebt, verabschieden kĂśnne. Ohne ZĂśgern stimmte ich zu, denn ich war ein groĂer Freund kĂśrperlicher Ăbungen, auĂerdem war ja Clerval mein Genosse auf meinen Streifereien in der prächtigen Bergwelt meiner Heimat gewesen.
Vierzehn Tage blieben wir fort. An Geist und KÜrper hatte ich mich schon erholt und sog neue Kraft aus der reinen, heilsamen Luft, dem abwechselungsreichen Anblick der Natur und den Gesprächen meines Freundes. Das Studium hatte mich vordem vollkommen von meinen MitgeschÜpfen getrennt und mich einsam gemacht. Aber Clerval gelang es, wieder die besseren Gefßhle meines Herzens die Oberhand gewinnen zu lassen; ich hatte wieder Freude an der Natur und an den unschuldigen Kindergesichtern. Ein edler Freund! Wie aufrichtig er mich liebte und sich bemßhte, mich auf seine HÜhe zu erheben! Selbstsucht hatte mich kleinlich und engherzig gemacht, aber sein Edelmut und seine Liebe Üffneten mir das Herz. Ich wurde wieder dasselbe glßckliche GeschÜpf, das ich vorher gewesen, sorglos und froh. Da ich glßcklich war, hatte auch die Natur die Macht, freudige Gefßhle in mir zu erwecken. Heiterer Himmel und grßnende Wiesen erfßllten mich mit Entzßcken. Es war eine herrliche Zeit; die Frßhlingsblßten zierten noch Baum und Strauch und die Blumen des Sommers brachen schon ßberall hervor. Die Gedanken, die mich im vergangenen Jahre so schwer bedrßckt hatten, trotzdem ich mir alle Mßhe gab, sie von mir zu werfen, waren von mir gewichen.
Henry war glĂźcklich, als er mich so froh sah. Er war unerschĂśpflich an gedankenreicher Konversation, und oftmals erfand er nach Art der persischen und arabischen Märchendichter Geschichten von wunderbarer SchĂśnheit und Glut. Zuweilen wiederholte er mir meine Lieblingsdichter oder begann mit mir Diskussionen, die er mit groĂer Beharrlichkeit durchfocht.
Sonntag Nachmittag kehrten wir in unsere Universitätsstadt zurßck. Die Bauern tanzten und alle Welt schien glßcklich und sorglos. Ich selbst war in kÜstlicher Laune, und voll unbändiger Heiterkeit und FrÜhlichkeit wäre ich selbst am liebsten gesprungen.

Kapitel 7
Bei meiner Heimkehr fand ich einen Brief meines Vaters vor und las:
Lieber Viktor! Du wirst mit Ungeduld auf meinen Brief [gewartet] haben, der Dir das genaue Datum Deiner RĂźckreise zu uns angeben soll. Und eigentlich hatte ich erst die Absicht, Dir nur einige wenige Zeilen zu schreiben, die Dir sagen sollten, wann wir Dich hier erwarten. Aber das wäre eine grausame Schonung gewesen und ich wagte es nicht. Wie Ăźberrascht wärst Du gewesen, mein lieber Sohn, wenn Du anstatt eines frohen, herzlichen WillkommgruĂes in ein Haus voll Trauer und Tränen gekommen wärest. Wie kann ich Dir nur unser UnglĂźck schildern, Viktor? Deine lange Abwesenheit hat Dich sicher nicht gefĂźhllos fĂźr unsere Freuden und Leiden gemacht, und wie schwer wird es mir, meinem Sohne, der schon so lange in der Ferne weilt, wehe zu tun! Ich mĂśchte Dich gern vorbereiten auf das Furchtbare, was ich Dir sagen muĂ, aber ich weiĂ, es ist unmĂśglich. Ich sehe jetzt schon Deine Augen vorausfliegen nach der Stelle, die Dir das Unheilvolle verkĂźndet.
Wilhelm ist â tot! Der sĂźĂe, liebe Junge, dessen Lächeln meinem Herzen wohltat wie warmer Sonnenschein, und der so reizend, so frĂśhlich war! Viktor, denke Dir, man hat ihn ermordet!
Letzten Donnerstag (7. Mai) ging ich mit Elisabeth und Deinen zwei BrĂźdern nach Plaipalais spazieren. Es war ein warmer, schĂśner Abend und wir dehnten unseren Spaziergang weiter aus als gewĂśhnlich. Es war schon dämmerig geworden, bis wir ans Umkehren dachten; aber wir vermiĂten Wilhelm und Ernst, die uns vorausgegangen waren. Wir lieĂen uns auf einer Bank nieder und warteten, bis auch sie umkehren wĂźrden. PlĂśtzlich kam Ernst und fragte, ob wir nicht seinen Bruder gesehen hätten. Er erzählte, daĂ sie gespielt hätten und Wilhelm davongelaufen sei, um sich zu verstecken; er habe ihn dann lange vergeblich gesucht und noch länger auf ihn gewartet.
Diese Erzählung versetzte uns in nicht geringe Erregung und wir begaben uns auf die Suche, bis es dunkle Nacht war. Elisabeth kam auf die Vermutung, daà der Knabe vielleicht heimgelaufen sein kÜnnte. Aber auch hier fanden wir ihn nicht. Wir gingen wieder hinaus, diesmal mit Fackeln, denn ich hatte keine Ruhe, wenn ich daran dachte, daà der Junge sich verlaufen haben kÜnnte und die ganze Nacht dem Nebel und Tau ausgesetzt sei. Auch Elisabeth litt furchtbare Angst. Morgens gegen fßnf Uhr fand ich den lieben Knaben, den ich noch am Abend zuvor blßhend und frisch gesehen hatte, bleich und steif auf dem Grasboden ausgestreckt; an seinem Halse erkannte man noch die Fingerabdrßcke des MÜrders.
Ich brachte ihn nach Hause, und die Qual, die sich in meinen ZĂźgen ausdrĂźcken muĂte, lieĂ Elisabeth sofort das GräĂliche erraten. Sie wollte absolut den kleinen Leichnam sehen. Zuerst versuchte ich es zu verhindern, aber sie bestand auf ihrem Wunsche. Als sie in das Zimmer kam, wo der Kleine lag, ging sie eilig auf ihn zu und rief, die Hände ringend: ÂťO Gott, ich habe das gute Kind gemordet!ÂŤ
Sie brach zusammen und konnte nur mit groĂer MĂźhe wieder zum BewuĂtsein gebracht werden. Und kaum war sie erwacht, als sie zu weinen und zu klagen begann. Sie erzählte mir, daĂ am Abend sie der Kleine so lange geplagt hatte, bis sie ihm erlaubte, ein Medaillon mit einer wertvollen Miniatur, die Deine Mutter darstellte, zu tragen. Dieses Medaillon fehlt und war zweifellos das, was den MĂśrder zu seiner unseligen Tat anreizte. Wir haben bis jetzt noch keine Spur von ihm, obgleich wir unermĂźdlich nach ihm forschen. Aber was hilft es, unser armer Wilhelm wird davon nicht mehr lebendig.
Komm heim, lieber Viktor; Du allein wirst Elisabeth zu trĂśsten vermĂśgen. Sie weint unausgesetzt und klagt sich der Schuld an dem UnglĂźck an; ihr Jammer macht mich noch elender. Wir sind alle wie gebrochen, und das wird erst recht ein AnlaĂ fĂźr Dich sein, geliebter Sohn, heimzukehren und uns zu trĂśsten.
Deine gute Mutter! Wie danke ich Gott, daĂ er sie es nicht mehr erleben lieĂ, wie ihr jĂźngstes Kind so elend und grausam zu Grunde gehen muĂte!
Komm, Viktor; nicht rachebrĂźtend gegen den feigen MĂśrder, sondern voll Liebe und GĂźte gegen uns, die Dich lieb haben. Dein Dich liebender, unglĂźcklicher Vater Alfons Frankenstein.
*
Genf, den 12. Mai 17..
Clerval, der mich beobachtet hatte, während ich las, war ßberrascht von meiner Verzweiflung, die an die Stelle meiner Freude bei Empfang des Briefes getreten war. Ich warf den Brief auf den Tisch und barg mein Gesicht in den Händen.
ÂťLieber Frankenstein,ÂŤ sagte er, als er bemerkte, daĂ ich bitterlich weinte, Âťbist du denn noch immer unglĂźcklich? Was ist denn geschehen?ÂŤ
Ich veranlaĂte ihn mit einer Handbewegung, den Brief zu lesen; währenddem ging ich in der heftigsten Erregung im Zimmer auf und nieder. Auch aus seinen Augen drangen Tränen, als er den schrecklichen Bericht las.
ÂťTrĂśsten kann ich dich nicht, armer Freund,ÂŤ sagte er, Âťdazu ist das UnglĂźck zu groĂ. Was wirst du nun tun?ÂŤ
ÂťSofort nach Genf reisen. Komm mit mir, die Pferde bestellen.ÂŤ
Auf dem Wege versuchte Clerval einige Worte des Trostes zu finden. Wenn es ihm auch nicht mĂśglich war, so fĂźhlte ich doch, wie tief er mit mir litt. ÂťArmer Wilhelm! Nun ruht der liebe Junge bei seiner seligen Mutter. Und wenn man ihn noch frisch und blĂźhend gekannt hat, muĂ es einem ja noch viel weher tun. So elend enden zu mĂźssen unter dem grausamen Griff eines MĂśrders! Und was fĂźr eine Bestie muĂ der sein, der imstande ist, ein so junges, unschuldiges Leben zu zerstĂśren! Aber daĂ er nun Frieden hat, mag ein Trost sein fĂźr die, die an seiner Bahre klagen und trauern. Wir dĂźrfen ihn nicht weiter bemitleiden, sondern die Ăberlebenden sind es, die unseres Mitleides bedĂźrfen.ÂŤ
So sprach Clerval, während wir durch die StraĂen eilten. Ich erinnere mich noch heute seiner Worte. Aber damals hatte ich keine Zeit zu antworten. Kaum fuhr der Wagen vor, als ich auch schon hineinsprang und mich von meinem Freunde verabschiedete.
Es war eine traurige Reise. Anfangs konnte es mir nicht rasch genug gehen, denn ich sehnte mich danach, meine Lieben in der Heimat in ihrem Gram zu trĂśsten und sie in die Arme zu schlieĂen. Je näher ich aber meiner Vaterstadt kam, desto mehr verzĂśgerte ich die Fahrt. Ich konnte kaum der FĂźlle von EindrĂźcken Herr werden, die Ăźber mich hereinstĂźrmten. Es umgaben mich Bilder, die mir von frĂźher Jugend an lieb und vertraut waren, die ich aber seit nahezu sechs Jahren nicht mehr gesehen hatte. Was konnte sich alles während dieser Zeit geändert haben? Ein plĂśtzliches, erschĂźtterndes Ereignis war ja eingetreten; aber noch tausend andere kleine Veränderungen konnten geschehen sein, die, weniger tief eingreifend, dennoch aber von entscheidender Bedeutung waren. Ich empfand Furcht; ich wagte es nicht, die Fahrt zu beschleunigen, denn tausend BefĂźrchtungen standen mir vor Augen, die mich erzittern lieĂen, obgleich ich nicht imstande war, mir darĂźber Rechenschaft zu geben.
Ich blieb zwei Tage in Lausanne, um meiner Angst einigermaĂen Meister zu werden. Ich betrachtete den See. Das Wasser lag friedlich da. Alles war still rings umher und die Schneeberge, die Dome der Natur, waren genau so wie einst. In dieser ruhevollen, erhabenen Umgebung erholte ich mich, so daĂ ich meine Reise nach Genf fortzusetzen vermochte.
Die StraĂe lief neben dem See her, der gegen meine Vaterstadt zu immer schmaler wurde. Immer deutlicher erkannte ich die finsteren Hänge des Jura und den schimmernden Scheitel des Montblanc. Ich weinte wie ein Kind. ÂťGeliebte Berge! Herrlicher See! Wie freundlich grĂźĂt ihr den Heimkehrenden! Hell leuchten die Berghäupter und blau und friedlich sind Himmel und See. Soll das Frieden bedeuten oder ist es nur, um mein UnglĂźck noch mehr zu vertiefen?ÂŤ
Ich fßrchte, mein lieber Freund, daà ich Ihnen lästig falle, indem ich Sie mit den Schilderungen meiner Gefßhle langweile. Aber es waren Tage des Glßckes, die ich nie vergessen werde. Mein Heimatland, meine geliebte Heimat! Nur ein Sohn dieses Landes kann verstehen, was ich beim Anblick dieser Bäche, dieser Berge und vor allem des lieblichen Sees empfand.
Aber je näher ich Genf kam, desto mehr bemächtigten sich meiner wieder Gram und Furcht. Die Nacht sank hernieder, und als ich die Berge nicht mehr erkennen konnte, wurde es mir noch dßsterer zu Mute. Wie ein unheimlicher Alb lag es auf meiner Seele und dunkel fßhlte ich voraus, daà ich dazu bestimmt war, das unglßcklichste aller GeschÜpfe zu werden. Leider hatte ich das Richtige geahnt und mich nur insofern geirrt, als meine Befßrchtungen und Vorahnungen nicht den hundertsten Teil all des Elendes darstellten, das mir beschieden war.
Es war vollkommen Nacht geworden, als ich vor den Mauern von Genf ankam. Aber die Tore der Stadt waren schon geschlossen und ich muĂte mich deshalb bequemen, die Nacht in Socheron, einem kleinen DĂśrfchen eine halbe Stunde von Genf entfernt, zuzubringen. Da das Wetter noch gĂźnstig war und ich doch keine Ruhe gefunden hätte, beschloĂ ich, den Ort zu besuchen, wo mein armer Bruder Wilhelm ermordet worden war. Ich war genĂśtigt, mit einem Boot Ăźber den See nach Plainpalais zu fahren. Während dieser kurzen Ăberfahrt bemerkte ich, daĂ Blitze um den Scheitel des Montblanc zuckten. In unheimlicher Hast zog ein Gewitter heran und ich begab mich sofort nach der Landung auf einen niederen HĂźgel, um von dort aus das Naturschauspiel zu beobachten. Es machte rasche Fortschritte. Bald war der Himmel von Wolken Ăźberzogen und schon klatschten die ersten schweren Tropfen hernieder. Dann Ăśffneten sich rauschend die Schleusen Ăźber mir.
Durch die wachsende Finsternis, den heulenden Sturm schritt ich dahin, während in den Lßften der Donner entsetzlich brßllte. Er hallte zurßck vom Salêve und von den Wänden des Jura und der Savoyer Alpen. Grelle Blitze blendeten meine Augen und der See erschien wie ein Meer von Feuer; bis dann das Auge sich wieder erholt hatte, wandelte ich in der pechschwarzen Finsternis dahin. Wie man es in der Schweiz häufig beobachten kann, waren Gewitter von verschiedenen Seiten aufgestiegen. Das stärkste hing gerade ßber der Stadt, ßber dem Teil des Sees, der sich zwischen Belrive und Copet ausdehnt. Ein anderes entlud sich mit schwachen Blitzen ßber dem Jura und ein drittes stand ßber dem Mole, einem spitzen Bergkegel Üstlich des Sees.
Eilig schritt ich dahin, während ich mich des ebenso herrlichen wie furchtbaren Schauspiels freute. Dieser tosende Kampf in den LĂźften erregte mich; ich klatschte in die Hände und schrie laut: ÂťWilhelm, lieber Junge, das ist deine Leichenfeier, dein Totengesang!ÂŤ Während ich dies ausrief, bemerkte ich im Dunkel, daĂ sich aus einem GebĂźsch in meiner Nähe etwas herausschlich. Ich stand still und starrte gespannt nach der Stelle; ich konnte mich nicht getäuscht haben. Jäh zuckte ein Blitz auf â vor mir stand in seiner gigantischen GrĂśĂe, in seiner Ăźbermenschlichen HäĂlichkeit das Scheusal, der entsetzliche Dämon, dem ich das Leben gegeben. Was wollte er hier? War er vielleicht (ich schauderte bei dem Gedanken) der MĂśrder meines Bruders? Kaum war mir diese MĂśglichkeit durch den Kopf gefahren, da setzte sie sich schon als GewiĂheit in mir fest. Meine Zähne klapperten und ich muĂte mich gegen einen Baum lehnen. Die Gestalt huschte an mir vorbei und verschwand im Dunkel. Kein menschliches Wesen hatte Wilhelm getĂśtet, er war es! Ein Zweifel erschien mir ausgeschlossen. Schon die Tatsache, daĂ mir der Gedanke Ăźberhaupt kam, war mir ein Beweis fĂźr seine Richtigkeit. Einen Augenblick dachte ich daran, den Dämon zu verfolgen und zu erwĂźrgen; aber jeder Versuch wäre umsonst gewesen, denn im blendenden Lichte des nächsten Blitzes sah ich ihn an der senkrechten Wand des Mont SalĂŞve, eines Berges, der sich sĂźdlich Plainpalais erhebt, hinaufklettern. Bald hatte er den Gipfel erreicht und war verschwunden.
Ich stand regungslos. Das Unwetter hatte aufgehĂśrt, aber es regnete noch immer und alles ringsum war in rabenschwarze Finsternis gehĂźllt. Vor meinem Geiste rollten sich in rascher Folge all die Ereignisse ab, die ich mit grĂśĂter MĂźhe zu vergessen getrachtet hatte: die Vorarbeiten meiner unseligen SchĂśpfung, das Erscheinen der Kreatur an meinem Bett und ihr Verschwinden. Zwei Jahre fast waren seit jener Nacht verronnen, da das Werk meiner Hände zu leben begann. War das sein erstes Verbrechen? Leider hatte ich ein Scheusal auf die Welt losgelassen, das an grausigen Bluttaten seine Freude hatte. Hatte er denn nicht meinen Bruder getĂśtet?
Ich kann nicht beschreiben, welche Angst ich in jener Nacht litt, die ich, durchnäĂt und halb erfroren, im Freien verbrachte. Das Wetter lieĂ mich ganz gleichgĂźltig; ich erschĂśpfte mich im Durchdenken all des Leides und der Verzweiflung, die mir noch bevorstanden. Was fĂźr ein Wesen hatte ich da in die Welt gesetzt? Mit starkem Willen und groĂer kĂśrperlicher Kraft hatte ich es ausgerĂźstet, die es nun zu blutigen Zwecken miĂbrauchte, wie die Tatsachen bewiesen. Es war wie mein eigener Vampyr, der aus dem Grabe zurĂźckkehrt, um alles zu zerstĂśren, was ihm im Leben lieb war.
Der Tag dämmerte herauf und ich wandte meine Schritte der Stadt zu. Die Tore waren schon geĂśffnet und ich eilte zu meines Vaters Hause. Anfangs trug ich mich mit der Absicht, sofort alles bekannt zu machen, was ich von dem MĂśrder wuĂte, und eine Verfolgung einleiten zu lassen. Aber ich zĂśgerte, wenn ich daran dachte, was ich zu erzählen hatte. Ein Wesen, das ich selbst gebildet und mit Leben begabt habe, hätte ich mitten in der Nacht in den unzugänglichen Berghängen nahe meiner Heimatstadt angetroffen. Auch das Nervenfieber, das mich gerade zur Zeit der Vollendung meines Werkes ergriffen hatte, diente nicht dazu, meiner Erzählung einen grĂśĂeren Grad von Wahrscheinlichkeit zu verleihen. Ich wuĂte sehr wohl, daĂ, wenn ein anderer mir dieselbe Geschichte berichtete, ich sie fĂźr den AusfluĂ einer Ăźberreizten Phantasie hätte erklären mĂźssen. AuĂerdem wĂźrde ja die seltsame Natur des Wesens jede Verfolgung ausgeschlossen haben, selbst wenn es mir gelungen wäre, meinen Vater Ăźberhaupt von der Notwendigkeit einer Verfolgung zu Ăźberzeugen. Und welchen Ausgang wĂźrde eine derartige Unternehmung haben gegen ein Wesen, das imstande war, die Ăźberhängenden Felsen des Mont SalĂŞve ohne weiteres zu erklimmen? Diese Erwägungen veranlaĂten mich zum Schweigen.
Es mochte etwa fßnf Uhr morgens sein, als ich das väterliche Haus betrat. Ich wies die Dienstboten an, jegliche StÜrung der Familienmitglieder zu vermeiden, und begab mich in die Bibliothek, um meine Lieben zu erwarten.
Sechs Jahre also waren vergangen, seit ich das letzte Mal hier stand und mein Vater mich vor meiner Abreise nach Ingolstadt in die Arme schloĂ. Vergangen waren sie wie ein Traum, allerdings wie einer, der untilgbare Spuren hinterläĂt. Edler, geliebter Vater, du wenigstens bist mir geblieben! Ich blickte auf das Bildnis meiner Mutter, das Ăźber dem Kamin hing; es stellte sie dar, wie sie, noch als Karoline Beaufort, am Sarge ihres Vaters kniete. Ihr Kleid war einfach und ihre Wange schmal und bleich, aber ihre Haltung so stolz und aufrecht, daĂ man einem GefĂźhl des Mitleides kaum Raum zu geben vermochte. Unter diesem Gemälde hing ein kleines Bildchen Wilhelms, und Tränen stiegen mir in die Augen, als ich es betrachtete. Unterdessen trat mein Bruder Ernst ein; er hatte mich kommen hĂśren und sich beeilt, zu meiner BegrĂźĂung herunterzukommen. Mit schmerzlicher Freude drĂźckte er mir die Hand und sagte: ÂťWillkommen, lieber Viktor! Vor drei Monaten noch hättest du uns alle froh und glĂźcklich angetroffen. Heute kommst du, um ein Leid mit uns zu teilen, das niemand mehr gutmachen kann. Ich hoffe ja, daĂ deine Gegenwart unseren Vater wieder etwas aufrichten wird, der unter dem furchtbaren UnglĂźck fast zusammenbricht, und dir wird es vielleicht gelingen, Elisabeths zwecklose, quälende Selbstanklagen zum Schweigen zu bringen. Armer Wilhelm! Er war unser Stolz und unsere Freude!ÂŤ
Unaufhaltsam stĂźrzten die Tränen aus meines Bruders Augen, während es mir wie Todesangst Ăźber den Leib kroch. Ich hatte mir ja Vorstellungen davon gemacht, wie verĂśdet es nun in unserem Hause aussehen muĂte; aber nun trat die Wirklichkeit noch viel erschreckender an mich heran. Ich versuchte Ernst zu beruhigen und erkundigte mich um das Befinden meines Vaters und Elisabeths.
ÂťElisabeth,ÂŤ sagte Ernst, Âťbedarf besonders des Trostes. Sie gibt sich selbst die Schuld am Tode Wilhelms, und das macht sie ganz krank. Aber seit der MĂśrder entdeckt ist âŚÂŤ
ÂťDer MĂśrder entdeckt? GroĂer Gott! Wie kann denn das sein? Wer kĂśnnte es wagen, ihn zu verfolgen? Es ist unmĂśglich! Eher gebietet einer den Winden oder hält den Bergstrom mit einem Strohhalm in seinem Laufe auf. Ich habe ihn auch gesehen; heute Nacht war er noch frei!ÂŤ
Ich verstehe dich nicht ganz, sagte mein Bruder verwundert. Jedenfalls hat diese Entdeckung unser Elend noch verschlimmert. Zuerst hielt es ja niemand fßr mÜglich, und heute noch glaubt Elisabeth nicht daran, wenn auch kein Irrtum mehr walten kann. Und wer käme auch auf den Gedanken, daà Justine, die wir alle lieben und die so eng mit unserer Familie verknßpft ist, plÜtzlich eines so abscheulichen, entsetzlichen Verbrechens fähig sei?
Justine Moritz? Armes, armes Ding! Sie hätte man des Verbrechens beschuldigt? Aber das ist ja undenkbar! Jedermann kennt sie und es glaubt doch keiner an ihre Schuld?
ÂťAllerdings glaubte zuerst niemand daran, aber einige Umstände drängten uns dann doch schlieĂlich die Ăberzeugung auf. Und ihr eigenes Benehmen war so merkwĂźrdig, daĂ fĂźr einen Zweifel kein Raum mehr bleibt. Heute wird sie abgeurteilt und du wirst dann Näheres hĂśren.ÂŤ
Er erzählte mir, daĂ Justine am Morgen nach der Mordnacht krank geworden sei und mehrere Tage das Bett hĂźten muĂte. Während dieser Zeit hat einer der Dienstboten in der Tasche des Kleides, das Justine in jener Nacht getragen, das Bildchen meiner Mutter gefunden, das wegen seiner Kostbarkeit den MĂśrder zur Begehung des Verbrechens verleitet haben sollte. Das Dienstmädchen zeigte das Bild einem anderen und dieses zeigte, ohne der Familie ein Wort zu sagen, die Sache bei Gericht an. Daraufhin wurde Justine verhaftet. Als ihr das Verbrechen vorgehalten wurde, geriet die Arme in eine derartige Verwirrung, daĂ man sie unbedingt fĂźr schuldig halten muĂte.
Das war allerdings eine seltsame Geschichte, aber meine Ăberzeugung blieb unerschĂźttert. Ich erwiderte ernst: ÂťIhr seid alle im Irrtum; ich weiĂ, wer der MĂśrder war. Die gute, arme Justine ist unschuldig.ÂŤ
In diesem Augenblick trat mein Vater ein. Tiefer Gram lag auf seinem Antlitz, aber er bemĂźhte sich, mich liebevoll zu begrĂźĂen. Wir sprachen von diesem und jenem, und erst Ernst brachte uns wieder auf das Unheil, das Ăźber dem Hause lag. ÂťDenke dir, Vater,ÂŤ sagte er, ÂťViktor behauptet, den MĂśrder des armen Wilhelm zu kennen.ÂŤ
Leider kennen auch wir ihn. Lieber wäre es mir gewesen, auf immer im Ungewissen darßber zu bleiben, als in einen solchen Abgrund von Schlechtigkeit und Undank blicken zu mßssen.
ÂťAber, lieber Vater, du irrst; Justine ist schuldlos.ÂŤ
ÂťWenn sie es ist, dann wird Gott es verhĂźten, daĂ sie als schuldig befunden werde. Heute tritt sie vor Gericht und ich hoffe, daĂ man sie freisprechen wird.ÂŤ
Diese Worte beruhigten mich etwas. Ich war fest Ăźberzeugt, daĂ Justine, ebensowenig wie irgend ein anderes menschliches Wesen, die Untat vollbracht habe. Ich hielt es auch fĂźr unmĂśglich, daĂ irgend etwas vorgebracht werden kĂśnne, was als Beweis ihrer Schuld dienen kĂśnnte. Allerdings war ja mein Erlebnis nicht geeignet, Ăśffentlich bekannt gemacht zu werden; man hätte es lediglich fĂźr Wahnwitz gehalten. Gab es denn einen Menschen auf der weiten Welt, auĂer mir, dem SchĂśpfer, der es ohne weiteres geglaubt hätte, was ich hätte behaupten mĂźssen?
Wir gingen dann zu Elisabeth. Sie hatte sich sehr verändert, seit ich sie nicht mehr gesehen. Aus dem reizenden Kinde war ein liebliches Weib geworden. Sie begrĂźĂte mich mit leidenschaftlicher Freude. ÂťDeine Ankunft, lieber Viktor, läĂt mich wieder Hoffnung schĂśpfen. Vielleicht findest du Mittel und Wege, die arme, schuldlose Justine von dem entsetzlichen Verdachte zu reinigen. Auf wen ist Ăźberhaupt noch zu rechnen, wenn sie schuldig befunden wird. Ich weiĂ, sie ist an dem Verbrechen ebenso unschuldig wie ich. Unser UnglĂźck trifft uns ja doppelt hart. Wir haben nicht nur das liebe Kind verloren, sondern das gute Mädchen, das ich so sehr liebe, wird einem noch gräĂlicheren Schicksal entgegengehen. Wenn sie verurteilt wird, habe ich keine gute Stunde mehr auf Erden. Aber ich weiĂ gewiĂ, es wird, es kann nicht geschehen, und wenn sie wieder frei ist, will ich glĂźcklich sein, so glĂźcklich, als ich es nach den schrecklichen Ereignissen noch sein kann.ÂŤ
ÂťSie ist schuldlos, liebe Elisabeth,ÂŤ sagte ich, Âťund das muĂ offenbar werden. FĂźrchte nichts, sondern sei stark in dem Gedanken, daĂ sie freigesprochen werden muĂ.ÂŤ
ÂťWie gut und edel du bist; jeder andere glaubt, daĂ sie die MĂśrderin ist, und das ist es, was mich rasend macht, denn ich weiĂ, daĂ es nicht sein kann. Und so sehen zu mĂźssen, wie jemand schon von vornherein verdammt wird, das erfĂźllt mich mit Trauer und Verzweiflung.ÂŤ Sie begann zu weinen.
Liebes Kind, begßtigte sie mein Vater, trockne deine Tränen. Wenn sie, wie du ßberzeugt bist, unschuldig ist, dann kannst du dich auf die Gerechtigkeit unserer Gesetze verlassen.

Kapitel 8
Es waren ein paar unsäglich traurige Stunden, die wir verbrachten, bis es endlich elf Uhr schlug. Mein Vater und die Ăźbrigen Familienglieder waren als Zeugen vorgeladen und ich begleitete sie zum Gerichtsgebäude. Während dieser ganzen Verhandlung litt ich furchtbare Qualen. Handelte es sich doch um nichts Geringeres, als daĂ die Zahl der Opfer meiner verbrecherischen Tat noch um eines vermehrt werden sollte: zuerst ein unschuldiges, blĂźhendes, liebliches Kind, dann ein Mädchen, das, mit dem Fluche einer MĂśrderin beladen, der Strenge des Gesetzes verfallen muĂte. Und Justine hätte es wirklich besser verdient; sie hatte alle Eigenschaften, die dazu angetan gewesen wären, sie glĂźcklich werden zu lassen. Und sie muĂte nun mit Schmach in die Grube steigen, und ich hatte sie auf dem Gewissen! Es wäre mir tausendmal lieber gewesen, wenn ich mich selbst der Tat hätte anklagen dĂźrfen, deren man Justine beschuldigte. Aber ich war zur kritischen Zeit abwesend, und meine Erklärungen hätte man als Rasereien eines Irren betrachtet, die gar nicht imstande gewesen wären, Justine auch nur im geringsten zu helfen.
Justine war sehr gefaĂt. Sie trug Trauerkleidung; ihr schĂśnes Gesicht war durch das ausgestandene Leid noch anziehender geworden. Als sie den Gerichtssaal betrat, trug sie ihr reines Gewissen zur Schau und zitterte nicht, trotzdem sie von Hunderten von Augen angestarrt, von Hunderten von Zungen verwĂźnscht wurde. Ihre Lieblichkeit, die unter andern Umständen die Herzen aller hätte gewinnen mĂźssen, vermochte nicht den Frevel vergessen zu machen, den sie begangen haben sollte. Sie erschien vollkommen ruhig, wenn auch ihre Ruhe sicherlich eine erzwungene war. Sie wuĂte genau, daĂ man ihre VerstĂśrtheit als einen Beweis ihrer Schuld betrachtet hätte; und versuchte sich tapfer zu halten. Beim Eintritt in den Saal lieĂ sie rasch ihre Blicke Ăźber die Menge schweifen und hatte sofort bemerkt, wo wir uns befanden. Eine Träne schien einen Moment ihren Blick zu trĂźben; sie raffte sich aber gleich wieder auf und nahm Platz.
Die Verhandlung begann. Der Staatsanwalt erhob die Klage und dann wurden mehrere Zeugen aufgerufen. Einige merkwĂźrdige Zufälligkeiten sprachen so gegen sie, daĂ jeder auĂer mir, der ich doch gewiĂ wuĂte, daĂ sie unschuldig war, Ăźberzeugt sein muĂte, daĂ sie das Verbrechen auf dem Gewissen hatte. Sie war die ganze Nacht, in der der Mord begangen wurde, nicht nach Hause gekommen und war in aller FrĂźhe von einer zum Markte ziehenden Frau unweit der Stelle gesehen worden, wo man nachher den Leichnam gefunden hatte. Die Frau hatte sie angesprochen und gefragt, was sie da täte; sie hatte ganz seltsam dreingesehen und dann eine verwirrte, unverständliche Antwort gegeben. Gegen acht Uhr war sie dann heimgekommen, und als man sie dann frug, wo sie gewesen sei, hatte sie erklärt, nach dem Kinde gesucht zu haben und gefragt, ob man denn nichts von dem Kleinen gehĂśrt habe. Als man dann den Leichnam brachte, verfiel sie in Krämpfe und muĂte mehrere Tage das Bett hĂźten. Es wurde ihr dann das Bildchen gezeigt, das die Magd in ihrer Tasche gefunden hatte. Als Elisabeth mit zitternder Stimme bestätigte, dass es dasselbe sei, das sie dem Bruder um den Hals gehängt hatte, ertĂśnte aus den Reihen der ZuhĂśrer ein Murmeln und Grollen der EntrĂźstung und des Entsetzens.
Nun ward Justine zu ihrer Verteidigung aufgerufen. Im Verlauf der Verhandlung hatte sich in ihrem Gesicht nacheinander der Ausdruck des Schmerzes, der Ăberraschung und des Leides gezeigt. Manchmal schien es, als kämpfte sie mit Tränen. Als sie aber sprechen muĂte, nahm sie alle ihre Kräfte zusammen und sagte mit schwankender, aber dennoch gut vernehmlicher Stimme:
ÂťNur Gott weiĂ, daĂ ich vollkommen unschuldig bin. Ich bin der Ăberzeugung, daĂ meine AusfĂźhrungen nicht geeignet sein werden, meine Unschuld zu bestätigen, und beschränke mich also nur darauf, die reinen Tatsachen zu berichten und das zu widerlegen, was gegen mich spricht. Ich hoffe, daĂ mein bisheriges Leben meine Richter auch da zu einer milden Auffassung veranlassen wird, wo zweifelhafte oder verdächtige Umstände vorliegen.ÂŤ
Sie erzählte dann, daĂ sie den Abend vor der Mordnacht bei einer Tante in ChĂŞne verbracht habe, einer Ortschaft, die ungefähr eine Meile von Genf entfernt ist. Als sie abends um neun Uhr zurĂźckkehrte, begegnete sie einem Manne, der sie fragte, ob sie nicht den Kleinen gesehen habe. Sie sei dadurch sehr beunruhigt gewesen und habe sich sofort auf die Suche begeben. Unterdessen seien aber die Tore von Genf geschlossen worden und sie sei genĂśtigt gewesen, in einer Scheuer Unterschlupf zu suchen, die zur Villa einer bekannten Familie gehĂśrte, die sie aber so spät nicht mehr stĂśren wollte. Fast die ganze Nacht habe sie hier wachend zugebracht, nur gegen Morgen sei sie auf kurze Zeit eingeschlafen, dann aber bald wieder durch ein Geräusch von Schritten aufgeweckt worden. Da es inzwischen hell geworden war, habe sie ihr Asyl verlassen und nochmals nach dem VermiĂten gesucht. Wenn sie in die Nähe der Stelle gekommen sei, wo der Leichnam lag, so sei es vĂśllig ohne ihr Wissen geschehen. DaĂ sie, von der Marktfrau angesprochen, verstĂśrt ausgesehen habe, sei nicht zu verwundern in Anbetracht dessen, daĂ sie eine schlaflose Nacht hinter sich hatte und das Schicksal des kleinen Wilhelm noch nicht geklärt war. Wegen des Bildes konnte sie eine Erklärung nicht abgeben.
ÂťIch weiĂ,ÂŤ fuhr das unglĂźckselige GeschĂśpf fort, Âťwie schwer dieser eine Umstand gegen mich ins Gewicht fällt und wie verhängnisvoll er mir werden kann, aber ich vermag nicht die geringste Aufklärung darĂźber zu geben. Ich kann nicht einmal Vermutungen aussprechen, wie das Bild in meine Tasche gekommen sein mag. Ich glaube keinen Feind auf der Welt zu haben, und jedenfalls keinen, der so schlecht wäre, mich auf diese niederträchtige Weise zu verderben. Hat mir der MĂśrder das Bild zugesteckt? Ich sehe keine Ursache, warum er das getan haben sollte; denn wenn er die Untat beging, um sich das kostbare Bildchen zu verschaffen, was veranlaĂte ihn, es so bald wieder herzugeben?ÂŤ
ÂťIch vertraue ganz meinen Richtern, wenn ich auch der Hoffnung nicht Raum zu geben wage. Ich bitte, daĂ einige Zeugen Ăźber mich und mein Vorleben vernommen werden; und wenn ihr Zeugnis nicht imstande ist, Sie von meiner Unschuld zu Ăźberzeugen, dann werde ich wohl verurteilt werden mĂźssen.ÂŤ
Mehrere Zeugen wurden aufgerufen, die die Angeklagte schon seit Jahren kannten, und sie sagten nur Gutes von ihr aus. Aber Befangenheit und Abscheu vor dem Verbrechen, dessen sie sie fĂźr schuldig hielten, hinderte sie, recht aus sich herauszugehen. Elisabeth erkannte, wie auch diese letzte Hoffnung der Angeklagten zusammensank, und bat in tiefster Erregung den Gerichtshof, sprechen zu dĂźrfen.
ÂťIch bin dem unglĂźcklichen getĂśteten Kinde von je wie eine Schwester gewesen, denn ich habe bei seinen Eltern gelebt, noch ehe es auf der Welt war. Es wird mir deshalb vielleicht verĂźbelt werden kĂśnnen, wenn ich mich vordränge; aber wenn ich sehe, daĂ ein MitgeschĂśpf an der Feigheit seiner angeblichen Freunde zugrunde gehen muĂ, dann hält mich nichts mehr, dann muĂ ich reden. Ich bin mit der Angeklagten sehr gut bekannt. Ich habe mit ihr unter einem Dache gewohnt, erst fĂźnf, später fast zwei Jahre. Während dieser ganzen Zeit habe ich sie als das liebenswĂźrdigste, gĂźtigste Wesen lieben gelernt. Sie pflegte Frau Frankenstein in ihrer letzten Krankheit mit der grĂśĂten Aufopferung und Sorgfalt; dann versorgte sie ihre alte Mutter, die an einer widerwärtigen Krankheit dahinsiechte, in einer Weise, die allen Bekannten die grĂśĂte Hochachtung abnĂśtigte; dann kam sie wieder zu uns und machte sich in der ganzen Familie beliebt. Sie war Ăźberaus zärtlich zu dem Kinde, das jetzt der Rasen deckt, und war ihm wie eine fĂźrsorgliche Mutter. Ich fĂźr meinen Teil stehe nicht an zu sagen, daĂ ich, wie sehr auch die Umstände gegen sie zeugen mĂśgen, doch meine Hand fĂźr ihre Unschuld ins Feuer legen wĂźrde. Es lag ja fĂźr sie gar keine Ursache vor, so zu handeln, denn sie wuĂte, daĂ ich sie so lieb hatte, daĂ ich ihr das Bild auf eine Bitte hin ohne weiteres geschenkt hätte.ÂŤ
Ein Murmeln des Beifalls ertĂśnte durch den Raum; aber er galt der edelmĂźtigen, einfachen und doch packenden Verteidigungsrede, nicht aber dem armen Opfer. Justine weinte, während Elisabeth sprach, aber sie antwortete nicht mehr. Meine Erregung und Angst hatten sich während des VerhĂśrs bis aufs äuĂerste gesteigert. Ich glaubte an ihre Unschuld, ich wuĂte, daĂ sie rein war. Konnte der Dämon, der meinen Bruder ermordet hatte daran zweifelte ich ja keinen Augenblick mehr â in teuflischer Bosheit dem unglĂźcklichen Mädchen einen schmachvollen Tod zugedacht haben? Ich befand mich in einer entsetzlichen, geradezu unerträglichen Lage, und als ich an den ernsten Gesichtern der Richter erkannte, daĂ sie, der Stimme des Volkes entsprechend, die Unselige verurteilen muĂten, stĂźrzte ich von HĂśllenqualen gepeinigt aus dem Saal. Die Leiden der Angeklagten kamen sicherlich den meinen nicht gleich; sie hatte das GefĂźhl der Unschuld in der Brust, während hinter mir wie Eumeniden die Gewissensbisse ihre GeiĂeln schwangen.
Wie ich die Nacht verbrachte, kann ich nicht schildern. Am frßhen Morgen begab ich mich ins Gerichtsgebäude; aber meine Kehle war wie zugeschnßrt, so daà ich die schicksalsschwere Frage nicht zu stellen vermochte. Man erkannte mich und ein Beamter erriet die Ursache meines Besuches. Er sagte mir, daà nur schwarze Kugeln in die Urne gelegt worden seien, Justine also verurteilt sei.
Wie soll ich die Gefßhle nennen, die sich meiner bemächtigten? Ich hatte ja das Entsetzen schon kennen gelernt, aber das war gar nichts gegen das, was ich nun zu erdulden hatte. Der Beamte fßgte noch bei, daà Justine selbst ihre Schuld eingestanden habe. In diesem so klaren Falle wäre das ja gar nicht nÜtig gewesen, bemerkte er, aber trotzdem ist es besser so, denn unsere Richter verurteilen nicht gern auf Grund von Indizienbeweisen, mÜgen sie noch so schlßssig sein.
Das war allerdings etwas Seltsames und Unerwartetes. Was konnte er meinen? Sollten mich wirklich meine Augen so getäuscht haben oder war ich tatsächlich ein Narr gewesen, wenn ich gegen einen andern Argwohn geschÜpft hatte? Ich eilte nach Hause und Elisabeth erkundigte sich ungeduldig nach dem Ergebnis meiner Anfrage.
ÂťMeine Liebe,ÂŤ sagte ich, Âťes ist so gekommen, wie du dir denken konntest. Unsere Richter lassen lieber zehn Unschuldige leiden, als daĂ sie einen Schuldigen entschlĂźpfen lassen; und sie ist schuldig â sie hat es selbst eingestanden.ÂŤ
Das war ein harter Schlag fßr Elisabeth, die immer noch fest auf Justines Unschuld gebaut hatte. Wie soll ich, sagte sie, jemals noch einem Menschen vertrauen? Justine, die ich liebte wie eine Schwester, hat uns mit ihrem engelreinen Lächeln betrogen! Sie, deren Augen keine Strenge oder Grausamkeit kannten, vermochte einen Mord zu begehen!
Bald danach erhielten wir Nachricht, daĂ das arme Opfer den Wunsch geäuĂert habe, Elisabeth zu sprechen. Mein Vater wollte es erst nicht zugeben, ĂźberlieĂ es aber dann doch ihrem eigenen Ermessen. ÂťJa,ÂŤ sagte Elisabeth, Âťich will gehen, wenn sie auch schuldig ist; und dich, Viktor, bitte ich, mich zu begleiten, allein kann ich nicht.ÂŤ Es war mir eine erneute Qual, aber ich konnte mich nicht weigern.
Wir betraten die dĂźstere Zelle und erkannten Justine, die in der anderen Ecke auf einem Strohhaufen saĂ. Sie hielt die Hände gefaltet und ihr Kopf lag auf ihren Knieen. Als wir eintraten, erhob sie sich und warf sich, nachdem der Wärter uns mit ihr allein gelassen, vor Elisabeth nieder, indem sie bitterlich weinte. Auch Elisabeth weinte laut.
Ach, Justine, sagte sie, warum hast du mich meiner letzten Hoffnung beraubt? Ich habe auf deine Unschuld gebaut. Wenn ich auch vorher schon unglßcklich war, so hat mich doch dein Geständnis noch unglßcklicher gemacht.
Und glaubst also auch du, dass ich so sehr verworfen bin? Bereinigst auch du dich mit meinen Peinigern, die mich als MÜrderin verurteilen? Ihre Stimme erstickte in Tränen.
ÂťSteh auf, du Arme,ÂŤ erwiderte Elisabeth, Âťwarum kniest du, wenn du dich unschuldig weiĂt? Ich gehĂśre nicht zu deinen Feinden; ich hielt dich so lange fĂźr schuldlos, bis ich hĂśrte, daĂ du gestanden habest. Du sagst, dass dies nicht wahr ist. Sei Ăźberzeugt, daĂ nichts imstande ist, mein Vertrauen in dich zu erschĂźttern, als ein Bekenntnis deiner Schuld aus deinem eigenen Munde.ÂŤ
ÂťIch habe gestanden, aber was ich gestand, war eine LĂźge. Ich gestand nur, um Absolution zu erlangen, und nun liegt mir diese Unwahrheit noch schwerer auf dem Herzen als alle meine anderen SĂźnden zusammen. Gott im Himmel sei mir gnädig! Aber seit ich verhaftet wurde, lieĂ mein Beichtvater nicht mehr von mir ab; er schalt und drohte mir, bis ich schlieĂlich selbst daran glaubte, daĂ ich das Ungeheuer war, zu dem er mich machte. Mit Exkommunitation und Schilderung aller HĂśllenstrafen suchte er mich weich zu machen. Liebste Freundin, ich hatte niemand, der mich gestĂźtzt hätte; jeder blickte auf mich wie auf eine Verdammte, deren Los Schmach und Tod war. Was konnte ich tun? In einer schwachen Stunde unterschrieb ich mein erlogenes Geständnis, und nun bin ich erst ganz elend geworden.ÂŤ
Der Schmerz Ăźbermannte sie; nach einer Weile aber fuhr sie gefaĂter wieder fort: ÂťDas Schlimmste war mir, denken zu mĂźssen, daĂ du, liebe Freundin, mich, die du doch so geliebt, fĂźr eine Kreatur halten muĂtest, fähig eines Verbrechens, wie es sich nur ein Teufel ersinnen kann. Lieber kleiner, armer Wilhelm! Bald werde ich bei dir im Himmel sein, das macht mir mein schmachvolles Ende leichter.ÂŤ
ÂťJustine verzeihe mir, daĂ ich dir auch nur einen Augenblick miĂtrauen konnte. Aber warum hast du auch das Geständnis abgelegt? Doch sei ruhig, fĂźrchte dich nicht! Ich will es in die Welt hinausrufen, daĂ du frei von Schuld bist. Ich will die steinernen Herzen deiner Peiniger mit Tränen und Bitten erweichen. Du darfst mir nicht sterben! Du, meine Spielgenossin, meine Freundin, meine Schwester, solltest das Schaffot besteigen mĂźssen! Nein, nein, das kĂśnnte ich nicht Ăźberleben!ÂŤ
Justine schßttelte traurig den Kopf. Ich fßrchte den Tod nicht, sagte sie, er hat keinen Stachel mehr fßr mich. Gott wird mir Kraft geben, dieses Schwere zu tragen. Ich scheide aus einer bÜsen, traurigen Welt, und wenn Ihr meiner in Liebe gedenkt und mir als einer ungerecht Verurteilten euer Mitleid schenkt, dann bin ich fßr das Schicksal entschädigt, das meiner wartet. Ich habe gelernt, mich ohne Widerstreben in den Willen des HÜchsten zu fßgen.
Während dieser Aussprache hatte ich mich in einen Winkel der Zelle zurĂźckgezogen und versuchte der entsetzlichen Stimmung Herr zu werden, die sich meiner bemächtigt hatte. Verzweiflung! War es nur Verzweiflung? Das arme Opfer, das morgen die dunkle Schwelle zwischen Leben und Tod Ăźberschreiten muĂte, empfand vielleicht kein so tiefes, bitteres Weh wie ich. Ich biĂ die Zähne aufeinander, um das Schluchzen zu unterdrĂźcken, das sich aus der Tiefe meines Herzens emporzudrängen suchte. Justine kam auf mich zu und sagte: ÂťLieber Herr, ich danke Ihnen, daĂ Sie mich noch besucht haben. Ich hoffe, daĂ auch Sie von meiner Unschuld Ăźberzeugt sind.ÂŤ
Ich vermochte nichts zu erwidern. Er glaubt an dich fester, sagte Elisabeth, als ich es tat. Denn selbst als er von deinem Geständnis gehÜrt hatte, verteidigte er deine Unschuld.
ÂťIch danke Ihnen von Herzen. Gerade in diesen letzten Augenblicken tut es mir besonders wohl, wenn jemand in GĂźte meiner gedenkt. DaĂ man mir, der Verdammten, noch Liebe entgegenbringt, das macht mir das Sterben leichter.ÂŤ
So versuchte die arme Dulderin uns und sich selbst zu trĂśsten. Und sie ergab sich in ihr Schicksal. Aber ich, der eigentliche MĂśrder, fĂźhlte den nagenden Wurm in meiner Brust und wuĂte, daĂ ich nimmer froh werden konnte. Elisabeth weinte, aber ihr Leid glich mehr einer Wolke, die das GlĂźck wohl eine Zeit lang verhĂźllen, aber es nicht ganz vernichten kann. Reue und Verzweiflung hatten sich meiner bemächtigt, eine ganze HĂślle brannte in mir. Wir blieben noch einige Stunden bei Justine und nur mit groĂer MĂźhe vermochte ich Elisabeth wegzubringen. ÂťKĂśnnte ich nur mit dir sterben,ÂŤ rief sie, Âťich kann in dieser schrecklichen Welt nicht mehr leben!ÂŤ
Justine trug groĂe Ruhe zur Schau, obgleich sie kaum ihres Schmerzes Herr zu werden imstande war. Sie umschlang Elisabeth und sagte mit halberloschener Stimme: ÂťLeb wohl, liebe, teure Elisabeth, meine geliebte Freundin! Gott segne und schĂźtze dich in seiner groĂen GĂźte. MĂśge dies das letzte Leid sein, das dir beschieden ist. Leb wohl, sei glĂźcklich und mache auch andere glĂźcklich!ÂŤ
Am nächsten Morgen muĂte dann Justine sterben. Elisabeths herzbewegendes Flehen vermochte die harten Richter nicht in ihrer Ăberzeugung von Justines Schuld zu erschĂźttern. Auch meine leidenschaftlichen, erregten Bitten hatten nicht die geringste Wirkung. Und die kalten Antworten, das herzlose Sprechen dieser Männer brachte das Geständnis, das ich auf den Lippen trug, wieder zum Schweigen. Sie hätten mich wohl fĂźr irrsinnig erklärt, aber an dem Urteil Ăźber das arme Opfer hätte das nichts geändert. Und so kam es, daĂ Justine als MĂśrderin auf dem Schaffot ihr junges Leben lassen muĂte.
Nicht nur die Qualen in meiner eigenen Brust, sondern auch das tiefe, wortlose Weh in Elisabeths Herz brachten mich fast zur Verzweiflung. Das also war mein Werk! Und das Leid meines Vaters, die VerwĂźstung unseres sonst so traulichen Heims â das alles hatten meine tausendfach verfluchten Hände angerichtet! Weint nur, ihr Unseligen, das sind noch lange nicht eure letzten Tränen gewesen! Wiederum ist es euch bestimmt, die Totenklage anzustimmen und zu weinen. Frankenstein, euer Sohn, euer Bräutigam, euer treuer, geliebter Freund und Bruder, der fĂźr euch gern sein Herzblut vergossen hätte, der keine Freude empfand, die sich nicht zugleich in euren Augen wiedergespiegelt hätte, der euer Leben gern mit GlĂźck erfĂźllt â er muĂ euch Tränen, ungezählte, bittere Tränen verursachen.
So sprach meine ahnende Seele, als ich, erdrßckt von Gewissensbissen, Entsetzen und Verzweiflung auf meine Lieben sah, die sich in Gram an den Gräbern von Wilhelm und Justine, den ersten, armen Opfern meiner verruchten Kßnste, verzehrten.

Kapitel 9
Nichts ist furchtbarer fĂźr die Seele, als wenn nach einer Reihe aufregender Ereignisse die Totenstille der Untätigkeit eintritt und sie der Fähigkeit zu hoffen oder zu fĂźrchten beraubt. Justine war tot und hatte ihre Ruhe, aber ich lebte. Das Blut floĂ frei in meinen Adern, aber auf mir lag ein schweres Gewicht von Leid und Reue, dessen ich nicht ledig werden konnte. Es floh mich der Schlaf und ich wanderte umher wie ein bĂśser Dämon, denn ich hatte Verbrechen begangen, die Ăźber die MaĂen gräĂlich waren, und mehr, viel mehr noch lag vor uns, das wuĂte ich gewiĂ. Und doch war ich nicht schlecht. Ich hatte mein Leben mit den besten Absichten begonnen und hatte gehofft, all meine edlen Pläne in Wirklichkeit umzusetzen und meinen Mitmenschen nĂźtzlich zu sein. Aber das war alles dahin. Anstatt jener Ruhe des Gewissens, die uns mit Genugtuung zurĂźckblicken läĂt auf unser bisheriges Leben und uns Kraft gibt zu neuem Schaffen, wohnte in mir das GefĂźhl der Schuld und verursachte mir Qualen, die ein Menschenmund nicht zu beschreiben vermag.
Dieser GemĂźtszustand wirkte natĂźrlich auf meine Gesundheit sehr nachteilig ein, die vielleicht sich noch gar nicht ganz von dem ersten heftigen StoĂ erholt hatte, den sie erlitten. Ich scheute das Antlitz der Menschen und jeder Laut der Lust und Freude tat mir weh. Einsamkeit â tiefe, dunkle, totengleiche Einsamkeit war mein einziger Trost, mein einziger Wunsch.
Mein Vater bemerkte mit Sorge den Wechsel in meinem Befinden und meinen Gewohnheiten und bemĂźhte sich, mit Argumenten, die er aus seinem makellosen Leben und seinem reinen Gewissen schĂśpfte, mir Mut einzuflĂśĂen und die dĂźsteren Wolken zu zerstreuen, die Ăźber meiner Seele brĂźteten. ÂťGlaubst du, Viktor,ÂŤ sagte er, ÂťdaĂ ich nicht ebenso leide wie du? Niemand konnte das Kind lieber haben als ich,ÂŤ (hier fĂźllten sich seine Augen mit Tränen), Âťaber ist es nicht eine Pflicht unserer Umgebung gegenĂźber, ihr UnglĂźck nicht noch durch den Anblick ungezĂźgelten Schmerzes zu vergrĂśĂern? Aber auch uns selbst sind wir es schuldig, denn wenn wir unseren Schmerz nicht beherrschen, sind wir unfähig, uns zu betätigen und uns wieder zu freuen; Dinge, ohne die wir nicht ins Leben passen.ÂŤ
Dieser Rat war zwar gut, hatte aber gar keine Wirkung auf mich. Wie gern hätte ich selbst mein Leid verborgen und meine Lieben getrÜstet, wenn nicht das schlechte Gewissen all meine anderen Gefßhle unterdrßckt hätte. Die einzige Antwort, die ich jetzt meinem Vater zu geben vermochte, war ein verzweiflungsvoller Blick und das Bestreben ihm auszuweichen, wo ich konnte.
Zu jener Zeit zogen wir uns in unsere Wohnung in Belrive zurĂźck. Dieser Wechsel war einigermaĂen wohltuend fĂźr mich. Der Umstand, daĂ die Stadttore allnächtlich um zehn Uhr geschlossen wurden und die UnmĂśglichkeit, mich nach dieser Stunde noch am See aufzuhalten, hatten mir den Aufenthalt in Genf sehr verleidet. Nun war ich frei. Oftmals, wenn sich die Familie zur Nachtruhe begeben hatte, bestieg ich ein Boot und verbrachte noch manche Stunde auf dem Wasser. Manchmal hiĂte ich die Segel und lieĂ mich vom Winde Ăźber die Flut tragen; manchmal ruderte ich mich weit hinaus und lieĂ dann das Boot treiben, um mich meinen trostlosen Gedanken ungestĂśrt hingeben zu kĂśnnen. Ich war oft versucht, wenn es so friedlich rund um mich her war und ich das einzige ruhelose GeschĂśpf â die Fledermäuse ausgenommen, die Ăźber meinem Kopfe hinweghuschten, oder die FrĂśsche, die am Ufer ihr rauhes, unharmonisches Konzert ertĂśnen lieĂen â ich war versucht, sage ich, mich in die dunkle Flut gleiten zu lassen, damit sie sich Ăźber mir und meinem Elend schlĂśsse auf alle Zeit. Aber der Gedanke an meine tapfere Elisabeth, die ich zärtlich liebte und deren Existenz mit der meinen so eng verknĂźpft war, hielt mich vor diesem ĂuĂersten zurĂźck. Ich gedachte auch meines Vaters und meines Bruders. Sollte ich als feiger Deserteur sie ungeschĂźtzt den Angriffen des tĂźckischen Feindes Ăźberlassen, den ich selbst geschaffen?
In solchen Augenblicken weinte ich bitterlich und flehte zu Gott, das er wieder Friede in meine Seele senke, damit ich meinen Lieben ein Trost und eine StĂźtze sein kĂśnnte. Aber es war vergebens. Meine Gewissensbisse waren stärker als alles Hoffen. Ich war der Urheber all dieses Leides und lebte in steter Furcht, daĂ das Ungeheuer, dem ich das Leben gegeben, irgend eine neue Grausamkeit verĂźben kĂśnnte. Ich hatte ein dunkles GefĂźhl, daĂ noch lange nicht alles vorĂźber war und daĂ mein Feind ein Verbrechen im Schilde fĂźhre, dessen Schrecklichkeit die Erinnerung an das schon begangene verblassen lassen mĂźĂte. So lange ich noch jemand besaĂ, den ich lieb hatte, war Ursache zur Sorge vorhanden. Mein HaĂ gegen das Scheusal kannte keine Grenzen. Wenn ich nur daran dachte, kochte es in mir und meine Zähne knirschten, meine Augen brannten und mein ganzes Innere lechzte danach, dieses Leben zu vernichten, das ich gedankenlos geschaffen. Wenn ich an das grausame, boshafte Wesen dachte, steigerte sich mein HaĂ und mein Rachedurst ins Ungemessene. Hätte ich doch eine Wanderung auf die hĂśchsten Schroffen der Anden nicht gescheut, wenn ich es dort hätte antreffen und in die tiefsten AbgrĂźnde hätte schleudern kĂśnnen. Ich dĂźrstete danach mit ihm zusammenzutreffen, um Rache zu nehmen fĂźr den Tod Wilhelms und Justines.
Unser Haus war ein wirkliches Trauerhaus. Mein Vater war gänzlich gebrochen von all den schrecklichen Ereignissen. Elisabeth war traurig und still. Sie hatte keine Freude mehr an ihren Pflichten; jeder frohe Augenblick schien ihr ein Sacrileg gegen das Andenken der Toten. Sie war nicht mehr das heitere Mädchen, das einst mit mir an den Gestaden des Sees hingewandert war und selige Zukunftsträume mit mir spann. Der erste von jenen Schicksalsschlägen, die uns allmählich der Erdenfreude unzugänglich machen, hatte sie getroffen und nahm ihr das Lächeln von ihrem Antlitz.
ÂťWenn ich an den Tod von Justine Moritz denke, Liebster,ÂŤ sagte sie, Âťsehe ich die Welt und was in ihr ist mit ganz anderen Augen an als frĂźher. Wenn ich ehemals in den Zeitungen von Verbrechen und Schlechtigkeiten las oder wenn mir davon erzählt wurde, war es mir, als seien das Phantasiegebilde oder Märchen aus vergangenen Zeiten. Wenigstens lagen sie mir fern und gaben mehr dem Nachdenken als dem GefĂźhl zu schaffen. Aber heute hat uns das Elend selbst heimgesucht und die Menschen erscheinen mir wie Bestien, die nach dem Blute der Anderen dĂźrsten. Sicherlich bin ich hierin ungerecht! Jedermann hielt das arme Mädchen fĂźr schuldig, und wenn sie imstande gewesen wäre, das furchtbare Verbrechen zu begehen, wegen dessen sie leiden und sterben muĂte, dann wäre sie die verruchteste aller Kreaturen gewesen. Um einiger glänzender Steine willen den Sohn ihres Freundes und Wohltäters zu morden, ein Kind, das sie von seiner Geburt an kannte und liebte wie ein eigenes! Ich kĂśnnte zum Tode eines Menschen nicht meine Zustimmung geben, und dennoch muĂ ich mir sagen, daĂ ein GeschĂśpf, das eines solchen Verbrechens fähig ist, nicht länger ein Mitglied der menschlichen Gesellschaft bleiben darf. Aber sie war unschuldig! Ich weiĂ, ich fĂźhle es, sie war unschuldig. Du bist derselben Ăberzeugung, und das bestärkt mich in meinem Glauben an die Tote. Viktor, wenn Schlechtigkeit so sehr die Maske der GĂźte tragen kĂśnnte, wer mĂśchte je noch eines GlĂźckes froh werden? Mir ist, als stände ich am Rande eines Abgrundes und als drängten Tausende auf mich ein, um mich hinabzustoĂen. Wilhelm und Justine sind hingemordet worden, und der MĂśrder ist frei, vielleicht geachtet unter den Menschen. Aber selbst wenn ich um der gleichen Verbrechen willen das Schafott besteigen mĂźĂte, ich mĂśchte nicht an seiner Stelle sein.ÂŤ
Ich lauschte ihren Worten und eiskalt lief es mir Ăźber den RĂźcken. War doch ich der MĂśrder, wenn ich auch nicht mit eigenen Händen meine Opfer gewĂźrgt hatte. Elisabeth muĂte die Qualen, die ich litt, aus meinen ZĂźgen erkennen, denn sie ergriff meine Hand und sagte zärtlich: ÂťLiebster, du muĂt dich aber beruhigen. Die Ereignisse haben auch mich, weiĂ Gott, aufs Tiefste erschĂźttert; aber ich bin doch nicht so elend daran, wie du. In deinem Gesicht lese ich Verzweiflung und Rachedurst, die mich erzittern machen. Liebster, banne diese finsteren GefĂźhle. Denke daran, daĂ wir alle unsere Hoffnung auf dich setzen. Sind wir denn nicht imstande, dich wieder glĂźcklich zu machen? Wenn wir uns lieb haben, wenn wir treu zu einander halten, hier in dem Lande der SchĂśnheit und des Friedens, in deinem Heimatlande, sollten wir da nicht wieder zufrieden werden kĂśnnen, sollte da nicht auch dir neues Leben erblĂźhen?ÂŤ
Und trotzdem sie die Worte sprach, sie, die ich Ăźber alles liebte, konnte ich doch des Feindes nicht Herr werden, der sich in meiner Brust eingenistet hatte. Ich zog sie an mich, als mĂźĂte ich fĂźrchten, daĂ jetzt, gerade in diesem Augenblick, der ZerstĂśrer kommen und sie von mir reiĂen kĂśnnte.
Nicht die zarteste Freundschaft, nicht die SchÜnheit meiner Umgebung vermochten mich von dem drßckenden Alp zu befreien, und selbst fßr das Flehen der Liebe hatte ich kein Verständnis. Ich glich dem verwundeten Wild, das seine blutenden Glieder mßhsam in das tiefste Dickicht schleppt und, auf den Pfeil in der Todeswunde starrend, sein Leben aushaucht.
Manchmal gelang es mir, auf Augenblicke der dßsteren Wolken Herr zu werden, die auf meiner Seele lagerten, indem ich durch weitausgedehnte Spaziergänge meinen KÜrper ermßdete. Einmal verlieà ich plÜtzlich unser Heim und suchte in der ewigen SchÜnheit der Berge mein vergängliches Menschenleid zu vergessen. Meine Wanderung ging in das Tal von Chamounix, das ich als Knabe Üfters besucht hatte. Sechs Jahre waren seitdem verflossen. Ich war vernichtet, aber nichts hatte sich an den ßberwältigenden, unvergänglichen SchÜnheiten dieses Erdenstriches geändert.
Den ersten Teil der Reise machte ich zu Pferde. Später mietete ich mir ein Maultier, das sicherer auf den FĂźĂen war und auch weniger unter den schlechten Wegverhältnissen litt. Das Wetter war wunderschĂśn. Es war Mitte August, beinahe zwei Monate, seit Justine von uns gegangen, seit mein furchtbarer Zustand seinen Anfang genommen. Je tiefer ich in das Tal der Arve vordrang desto leichter wurde mir ums Herz. Die mächtigen Berge und steilen AbstĂźrze zu beiden Seiten meines Pfades, das Rauschen des Flusses, der sich zwischen den Felsen seinen Weg suchte, und das DrĂśhnen der Wasserfälle, das alles sprach zu mir wie ein FlĂźstern der Allmacht. Und ich hĂśrte auf zu fĂźrchten, mich vor Mächten zu beugen, die schwächer waren als sie, die die Elemente schuf und ihnen gebietet. Je hĂśher ich kam, desto wilder und herrlicher wurde das Tal. Burgruinen hingen kĂźhn an den bewaldeten Bergwänden; die tosende Arve und die HĂźtten, die da und dort aus den Bäumen hervorlugten, boten ein unvergleichlich schĂśnes Bild. Und darĂźber ragten die weiĂen, schimmernden Kuppeln und Pyramiden der Alpen in Ăźberirdischer Pracht, wie Wohnungen von Wesen, die so ganz anders sind als wir.
Ich passierte die BrĂźcke von Pelissier, von wo sich der Blick auf die Schlucht der Arve Ăśffnet, und erklomm dann den Berg, der mich noch vom Tal von Chamounix trennte. Dieses Tal ist mächtiger und erhabener als das von Servox, das ich eben erst verlassen, aber nicht so wild und malerisch. Es wird von hohen Schneebergen eingeschlossen, aber es fehlen ihm die SchloĂruinen und die fruchtbaren Erdstreifen. Ungeheure Gletscher drängen sich bis dicht an die TalstraĂe. Ich hĂśrte das BrĂźllen der stĂźrzenden Lawinen und erkannte den Schneestaub, den sie im Falle aufwirbelten. Im Hintergrunde des Tales erhob sich der herrliche, unvergleichliche Montblanc wie ein KĂśnig.
Oft durchzog mich während dieser Reise das langentbehrte GefĂźhl der Freude. Jede Wendung der StraĂe, jeder neue Anblick rief mir die Jugend mit ihrem leichtherzigen Frohsinn in die Erinnerung zurĂźck. Die Winde schienen mir beruhigend zuzuflĂźstern und Mutter Natur bat mich, nicht mehr zu klagen. Wenn aber der EinfluĂ der mich umgebenden SchĂśnheit einen Augenblick aussetzte, dann Ăźberwältigte mich wieder der Gram und ich versenkte mich von neuem in meine schmerzlichen GrĂźbeleien. Dann trieb ich mein Tier zu rascherer Gangart an, um so die Welt, meine Sorgen und vor allem mich selbst zu vergessen, oder ich stieg ab und warf mich zur Seite des Pfades auf die Erde, niedergedrĂźckt von Entsetzen und Leid.
SchlieĂlich kam ich nach Chamounix, wo die tiefste ErschĂśpfung den auĂerordentlichen kĂśrperlichen und seelischen Anstrengungen folgte. Kurze Zeit stand ich noch am Fenster meines Gasthofes und sah hinauf zum Montblanc, um dessen majestätisches Haupt bleiche Blitze zuckten, und horchte auf das Rauschen der Arve, die unermĂźdlich ihren rauhen Weg ins Tal verfolgte. Dieses gleichmäĂige Geräusch wirkte einschläfernd auf meine erregten GefĂźhle, und als ich dann meinen Kopf auf die Kissen bettete, empfand ich, wie der Schlaf, der TrĂśster, langsam auf meine Augen sank.

Kapitel 10
Den folgenden Tag benĂźtzte ich, um das Tal zu durchstreifen. Ich stand an der Quelle des Arveiron, am FuĂe des Gletschers, der mit langsamen Schritten von der HĂśhe hinabgleitet. Zu beiden Seiten ragten schroffe Felshänge gegen den Himmel und vor mir lag die mächtige Fläche des Gletschers. Einige zerbrochene Fichten lagen ringsherum zerstreut, und das feierliche Schweigen ward nur unterbrochen durch das Murmeln des Baches oder das Poltern eines herabfallenden FelsstĂźckes, das Donnern von Lawinen oder das Krachen berstenden Eises, das an den Wänden widerhallte. Dieses majestätische Schauspiel vermochte mir etwas Ruhe zu geben. Es erhob mich und lieĂ mich das als klein empfinden, was ich fĂźhlte. Jedenfalls zerstreuten sie die dĂźsteren Gedanken, Ăźber die ich die letzten zwei Monate nicht hinausgekommen war. Als ich abends heimkehrte und mich zur Ruhe legte, verflocht sich das Herrliche, was ich den Tag Ăźber gesehen, in meine Träume. Alle kamen sie: [die] schneebedeckten Bergspitzen, die schimmernden Felszinnen, die Fichten und das zerklĂźftete Tal, der Adler, der seine Kreise in den LĂźften zieht; sie alle kamen und baten, daĂ ich mich beruhigen mĂśge.
Aber wohin waren sie entflohen, als ich am nächsten Tage die Augen auftat? Alle FrĂśhlichkeit war mit dem Schlaf entflohen und eine graue Wolke tiefster Melancholie lagerte auf meiner Seele. Der Regen rauschte in StrĂśmen hernieder und dichte Nebel verhĂźllten die Häupter meiner geliebten Berge. Trotzdem beschloĂ ich, den Nebelschleier zu durchdringen und hinaufzusteigen auf die steilen HĂśhen. Was bedeuteten mir Sturm und Regen? Man brachte mir mein Maultier und ich machte mich auf den Weg nach dem Montanvert. Ich erinnerte mich des Eindruckes, den der mächtige, immer von Unruhe erfĂźllte Gletscher ausgeĂźbt hatte, als ich ihn das erste Mal sah. Sein Anblick hatte mich damals in EntzĂźcken versetzt und meiner Seele Schwingen verliehen, die sie weit Ăźber den Alltag hinaus in lichte, freudige Gefilde erhoben. Das Erhabene in der Natur hatte mir immer Feierstimmung eingeflĂśĂt und mich die kleinlichen Sorgen vergessen lassen. Ich beschloĂ auf den FĂźhrer zu verzichten, denn ich kannte ja Weg und Steg hier oben und fĂźrchtete, die Anwesenheit eines Zweiten wĂźrde mir die Stimmung verderben.
Der Anstieg ist sehr steil, aber der Weg ist in weiten Serpentinen in die Wand eingeschnitten, so daĂ die Ăberwindung des senkrechten Absturzes mĂśglich wird. Es ist ein Bild furchtbarster Ăde und Einsamkeit, das sich hier den Augen bietet. An tausend Stellen bemerkte man noch die Spuren der winterlichen Lawinen, zerbrochene und abgerissene Bäume bezeichnen die Wege, die sie gegangen. Einzelne Bäume waren vollkommen vernichtet, andere beugten sich schräg Ăźber den Abgrund oder lehnten sich mĂźde an andere, die noch festgeblieben. Der Weg wird, je hĂśher man steigt, umso Ăśfter von Schneewällen unterbrochen, auf denen unaufhĂśrlich Steinbrocken zu Tale schieĂen. An einzelnen Stellen ist es besonders gefährlich, indem das leiseste Geräusch, sogar das Sprechen, imstande ist, eine Lawine zu erzeugen und Gefahr auf das Haupt des Unvorsichtigen herabzuziehen. Die dort wachsenden wenigen Bäume sind nicht groĂ und geben mit ihrer dunklen Färbung der Gegend das Gepräge des Ernstes. Ich sah hinunter gegen das Tal. WeiĂe Nebel stiegen von den FlĂźssen, die dort unten dahineilten, und krochen in dicken Schwaden an den Hängen der Berge herauf, deren Häupter von den Wolken in einfĂśrmiges Grau gehĂźllt wurden. Vom dĂźsteren Himmel rann der Regen und erhĂśhte die Melancholie meiner Umgebung. Warum rĂźhmen wir Menschen uns der grĂśĂeren FeinfĂźhligkeit gegenĂźber dem Tiere? Wenn unsere Sinne sich lediglich auf Hunger, Durst und Liebe erstreckten, wären wir nahezu frei; aber so, wie wir jetzt sind, bewegt uns jeder Hauch der Luft und wir hängen ab von einem zufälligen Wort oder Anblick.
Es war fast Mittag, als ich die HĂśhe erreichte. Eine Zeitlang saĂ ich auf einem FelsstĂźck und sah hinunter auf das Eismeer, auf dem Nebel brĂźteten wie auf den umgebenden Bergen. Zuweilen zerstreute ein WindstoĂ die Wolken, so daĂ die Aussicht frei wurde. Die Oberfläche des Gletschers war sehr uneben, es war, als sei ein Meer in seiner Erregung erstarrt und von tiefen Spalten zerrissen. Das Eisfeld war nur etwa eine Meile breit, aber ich brauchte beinahe zwei Stunden, um es zu Ăźberqueren. DrĂźben ragte die Felswand senkrecht gegen den Himmel. An der Stelle, wo ich nun stand, hatte ich den Montanvert gerade gegenĂźber, Ăźber dem sich der Montblanc in grausiger Majestät erhob. Ich drĂźckte mich in einen Felsspalt und konnte mich an der herrlichen Szenerie kaum sattsehen. Die eisigen, glitzernden Bergspitzen leuchteten Ăźber den Wolken in goldigem Sonnenschein. Mein Herz, das vorher noch so gedrĂźckt war, empfand etwas wie Freude und ich rief: ÂťWandernde Geister, laĂt mir dieses GlĂźck, oder wenn das nicht mĂśglich ist, nehmt mich zu euch fort von den Gefilden dieser Erde!ÂŤ
Während ich mich diesen Gedanken hingab, bemerkte ich in einiger Entfernung die Gestalt eines Menschen, der mit ĂźbernatĂźrlicher Eile auf mich zukam. Er sprang Ăźber die Eisschrunden, die ich nur mit äuĂerster Vorsicht Ăźberklettert hatte; er schien, je näher er mir kam, immer mehr von auĂergewĂśhnlicher GrĂśĂe. Ich zitterte â ein Schleier legte sich Ăźber meine Augen und ich meinte umsinken zu mĂźssen. Aber rasch erholte ich mich wieder unter dem eisigen Wind, der mir da oben um die Schläfen fegte. Ich erkannte, als er näher kam, daĂ es mein gehaĂter Feind war, den ich mir geschaffen. Zorn und Abscheu hatten sich meiner bemächtigt und ich konnte kaum mehr den Augenblick erwarten, daĂ er mir nahe genug war, um mich mit ihm im Kampfe auf Leben und Tod zu messen. Nun stand er vor mir. In seinem Antlitz lag tiefes Leid, gemischt mit Verachtung und Bosheit, und seine unbeschreibliche HäĂlichkeit bot einen Anblick, der fĂźr ein Menschenauge kaum zu ertragen war. Aber ich bemerkte das zuerst nicht. Wut und HaĂ lieĂen mich gar nicht zum Handeln kommen und machten sich dann Luft in Worten der tiefsten Verachtung und des äuĂersten Abscheues.
ÂťTeufel, verfluchter,ÂŤ rief ich aus, Âťwagst du es, mir vor die Augen zu treten? Und fĂźrchtest du nicht, daĂ dich mein rächender Arm zerschmettert? Fort von mir, du häĂliches Insekt! Oder besser bleib, daĂ ich dich zu Staub zermalmen kann! Und kĂśnnte ich doch, indem ich das Licht deines verhaĂten Lebens ausblase, die Opfer wieder lebendig machen, die du in teuflischer Bosheit vernichtet hast!ÂŤ
ÂťIch wuĂte, daĂ du so zu mir sprechen wĂźrdest,ÂŤ sagte der Dämon. ÂťAlle Menschen verfolgen mich mit ihrem HaĂ. Und warum muĂ ich gerade so gehaĂt werden, der ich doch selbst so Ăźber alle MaĂen elend bin? Und auch du, mein SchĂśpfer, du fluchst und zĂźrnst mir, deinem GeschĂśpf, mit dem dich doch Bande verknĂźpfen, die nur durch die Vernichtung eines von uns beiden gelĂśst werden kĂśnnen. Du willst mich tĂśten? Wie kannst du so verschwenderisch mit dem Leben umgehen? Tu deine Pflichten gegen mich und ich werde auch die meinen gegen dich und alle Ăźbrigen Menschen erfĂźllen. Wenn du dich entschlieĂen kannst, auf meine Bedingungen einzugehen, will ich dich und die Deinen in Ruhe lassen. Aber wenn du nein sagst, dann will ich Freund Hein seinen Bauch mit dem Blute der Deinigen fĂźllen.ÂŤ
ÂťEkelhaftes Scheusal! Die furchtbarsten Qualen der HĂślle sind noch viel zu gelind fĂźr dich. Verfluchter Satan, du wirfst mir vor, daĂ ich dich schuf! Komm her, und ich will den Funken zertreten, den ich in so leichtfertiger Weise angefacht.ÂŤ
Der Zorn packte mich und ich sprang auf ihn ein, getrieben von dem tĂśtlichsten HaĂ, dessen eine Menschenbrust fähig ist.
Gewandt wich er meinem Angriff aus und sagte:
ÂťBeruhige dich! Ich flehe dich an, hĂśre, was ich dir zu sagen habe, ehe du deinem Zorn gegen mich freien Lauf gewährst. Habe ich noch nicht genug Leid getragen, daĂ auch du es noch vergrĂśĂern muĂt? Das Leben, mag es auch nur eine Reihe von Qualen fĂźr mich sein, so ist es mir doch lieb und ich bin gesonnen es zu verteidigen. VergiĂ nicht, daĂ du mich viel stärker gemacht hast als du selbst bist; ich bin grĂśĂer als du und meine Glieder sind mächtiger als die deinen. Aber ich habe gar nicht die Absicht, meine Kräfte gegen dich zu erproben. Ich bin deine Kreatur und ich will dir, meinem Herrn und KĂśnig, dankbar und ergeben sein, wenn du das tust, was du mir schuldest. Frankenstein, du bist gerecht und gut gegen andere, nur gegen mich allein, der deiner Liebe, GĂźte und Gerechtigkeit am meisten bedarf, bist du grausam und hart. Bedenke doch, daĂ ich ein Werk deiner Hände bin! Eigentlich sollte ich der Adam sein, aber ich bin mehr der gefallene Engel, einer, den du aus dem Paradies vertreibst und elend machst. Ăberall sehe ich Freude und soll doch ihrer nie teilhaftig werden. Ich war gut und wohlwollend; das UnglĂźck hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Verschaffe mir das GlĂźck und ich will stille sein.ÂŤ
ÂťPack dich! Ich will nichts mehr von dir hĂśren. Zwischen dir und mir kann es keine Gemeinschaft geben, wir sind Todfeinde. Geh oder laĂ uns unsere Kräfte im Kampfe messen, in dem einer von uns bleiben muĂ!ÂŤ
ÂťWie kann ich dein Herz rĂźhren? Kann denn kein Bitten, kein Flehen dich bewegen, gnädig auf dein GeschĂśpf zu blicken, das dich um GĂźte und Mitleid bittet? Glaube mir, Frankenstein, ich war anfangs nicht bĂśse, in meiner Seele wohnten GĂźte und Liebe; aber ich bin allein, so furchtbar allein. Du, mein SchĂśpfer, verabscheust mich, und was habe ich von deinen Mitmenschen zu erwarten, die mir so gar nicht nahestehen? Sie hassen und verfolgen mich. Die Ăśden Berghalden und traurigen Gletscher sind meine Zufluchtsorte. Ich habe mich hier so manchen Tag aufgehalten. Die EishĂśhlen, die allein ich nicht fĂźrchte, sind meine Wohnstätten, und um sie beneidet mich kein menschliches Wesen. Ich segne diesen kalten Himmel, denn er ist gĂźtiger mit mir als deine Mitmenschen. Glaube mir, es wissen ja nicht viele von meiner Existenz; aber wenn das der Fall wäre, dann wĂźrden sie sich, wie du, zu meiner Vernichtung entschlieĂen. Soll ich denn die nicht hassen dĂźrfen, die mich so verabscheuen? Und ich lasse nicht mit mir spaĂen. Ich bin elend und verflucht und sie sollen es auch werden. Du hast es in der Gewalt, mich versĂśhnlich zu stimmen und die Welt von einem Ungeheuer zu befreien, das nicht nur dich und die Deinen, sondern auch Tausende anderer im Wirbelwinde seines Zornes zermalmen kann. Habe Mitleid mit mir und verachte meine Bitten nicht. HĂśre, was ich dir erzähle, und dann ĂźberlaĂ mich meinem Schicksal oder habe Mitleid mit mir; wie du meinst, daĂ ich es verdiene. Aber hĂśre mich zuerst an. Eure Menschengesetze sind roh und blutig, aber dennoch gestatten sie dem Verbrecher, zu seiner Verteidigung das Wort zu ergreifen. HĂśre mich an, Frankenstein. Du beschuldigst mich des Mordes und wolltest, ohne daĂ sich dein Gewissen geregt hätte, dein GeschĂśpf vernichten. Gepriesen sei die ewige Gerechtigkeit der Menschen! Aber ich bitte dich gar nicht um Schonung. HĂśre mich zuerst an, und dann, wenn du kannst und muĂt, dann zerstĂśre das Werk deiner Hände.ÂŤ
ÂťWarum erinnerst du mich,ÂŤ erwiderte ich, Âťan die unseligen Ereignisse, die mich heute noch erschauern machen, an die Zeit, da ich dich ins Leben rief? Verdammt sei der Tag, elender Teufel, da du das erste Mal das Licht sahst. Verflucht seien die Hände, die dich formten! Du hast mich Ăźber alle MaĂen unglĂźcklich gemacht. Du hast mir die Kraft genommen zu unterscheiden, was gut und bĂśse ist. Geh! LaĂ mich deine verhaĂte Gestalt nie wieder sehen.ÂŤ
So will ich meine Gestalt deinen Blicken entziehen, sagte er und hielt mir seine mächtige Hand vor die Augen, die ich mit Grauen wegschlug. So kÜnntest du mich wenigstens hÜren und Mitleid mit mir haben. Bei meinem besseren Ich beschwÜre ich dich, hÜre meine Worte. Die Geschichte, die ich zu erzählen habe, ist lang und seltsam, und auf diesem Platze herrscht eine Temperatur, die deinem feinen, zierlichen Leib nicht zusagen dßrfte. Komm mit mir in meine Hßtte auf dem Berge. Die Sonne steht jetzt noch hoch. Ehe sie hinter jenen schneeigen HÜhen hinuntergestiegen ist und anderen Ländern leuchtet, hast du meine Geschichte gehÜrt und kannst dich entscheiden. An dir liegt es, ob ich dann die Nähe der Menschen fliehe und irgendwo versteckt ein harmloses Dasein fßhre oder dir und vielen anderen zum Wßrger werde.
Unterdessen hatte er den Weg Ăźber das Eis eingeschlagen und ich folgte ihm. Mein Herz war zu voll und ich fand keine Worte, um ihm irgend etwas zu erwidern. Aber während ich ging, erwog ich die verschiedenen Umstände, deren er Erwähnung getan, und beschloĂ, zum mindesten seine Geschichte anzuhĂśren. Hauptsächlich war es Neugierde, die mir diesen EntschluĂ eingab, aber auch ein schwaches GefĂźhl des Mitleids mengte sich hinein. Ich hatte ihn bisher fĂźr den MĂśrder meines Bruders gehalten und war begierig, aus seinen Worten eine Bestätigung oder Widerlegung dieser Ansicht zu vernehmen. Ich empfand auch das erste Mal, daĂ ein SchĂśpfer seinem Werke gegenĂźber Verpflichtungen habe und daĂ ich versuchen mĂźsse, dem Armen etwas GlĂźck zu bescheren. All diese Erwägungen machten mich seinen Bitten geneigter. Wir passierten das Eis und stiegen die Felswand hinan. Es war eiskalt und der Regen begann wieder herab zu rieseln. Wir betraten die HĂźtte. Mein Feind mit einer Geberde des Triumphes, ich aber mit schwerem Herzen und in tiefster Niedergeschlagenheit. Aber ich hatte versprochen ihn anzuhĂśren und setzte mich deshalb zum Feuer, das mein unangenehmer Gesellschafter angezĂźndet hatte. Dann begann er seine Erzählung.

Kapitel 11
ÂťMit MĂźhe nur erinnere ich mich der ersten Zeit, nachdem ich entstanden war. Alles, was sich in jener Zeit ereignete, ist mir unklar und verschleiert. Eine Menge unbestimmter GefĂźhle bemächtigte sich meiner, meine sämtlichen Sinne traten zugleich in Aktion und es bedurfte längerer Erfahrung, bis ich sie auseinander zu halten vermochte. Ich erinnere mich, daĂ helles Licht auf mich eindrang, so daĂ ich die Augen schlieĂen muĂte. Dann wurde es dunkel um mich und ich fĂźrchtete mich. Als ich dann die Augen wieder Ăśffnete, war es so hell wie zuvor. Ich setzte mich in Bewegung und stieg auf die StraĂe hinab. Da war es nun wieder ganz anders. Vorher hatten mich undurchsichtige Grenzen umgeben, die ich weder kĂśrperlich noch auch mit den Augen durchdringen konnte; drauĂen aber bemerkte ich, daĂ ich mich ungehindert zu bewegen vermochte. Das Licht tat mir allmählich weh und zugleich belästigte mich die groĂe Hitze. Ich suchte deshalb einen Platz aus, wo ich mich im Schatten ausruhen konnte. Es war dies ein Wald in der Nähe von Ingolstadt, und hier lieĂ ich mich am Ufer eines Baches nieder und ruhte, bis mich Hunger und Durst auftrieben. Ich verzehrte Beeren, die ich an Sträuchern oder am Boden fand. Dann stillte ich meinen Durst mit dem Wasser des Baches und legte mich wieder schlafen.
Es war finster, als ich erwachte. Ich fror und hatte ein drĂźckendes GefĂźhl des Alleinseins. Ehe ich dein Haus verlieĂ, hatte ich mich, da mir kalt war, mit einigen Kleidern behängt, aber sie waren vĂśllig ungenĂźgend, um mich vor dem Tau der Nacht zu schĂźtzen. Ich war ein armes, elendes, bedauernswertes GeschĂśpf. Ich wuĂte nichts, ich verstand nicht, mich all des Unangenehmen zu erwehren, das von allen Seiten auf mich eindrang. So setzte ich mich nieder und weinte.
Unterdessen kam am Himmel ein mildes Licht heraufgestiegen und ich empfand Freude darßber. Ich sprang auf und erblickte eine glänzende Scheibe, die ßber den Bäumen stand. Wie ein Wunder starrte ich sie an. Ich bewegte mich langsam und vorsichtig, aber dann bemerkte ich, daà sie mir auf meinem Wege leuchtete. Ich begab mich wieder auf die Suche nach Beeren. Es war noch kalt und unter einem Baume fand ich etwas Schutz. Bestimmte Gefßhle hatte ich nicht, alles war noch ganz konfus. Ich fßhlte Licht und Dunkelheit, ich empfand Hunger und Durst; unendliche Geräusche fßllten mir die Ohren und allerlei Gerßche drangen mir in die Nase. Das Einzige, was ich genau unterscheiden konnte, war der Mond, den ich mit einem gewissen Vergnßgen betrachtete.
Mehrere Tage und Nächte waren vergangen und der Mond hatte schon bedeutend abgenommen, als ich allmählich imstande war, meine Empfindungen auseinander zu halten. Ich sah den klaren Bach, der mich mit Wasser versorgte, und die Bäume, die mir mit ihrem Laub Schatten und Schutz gaben. Mit Freude entdeckte ich, daà ein liebliches Geräusch, das mir unter Tags fast unausgesetzt an die Ohren schlug, von kleinen, geflßgelten Wesen herrßhrte. Oftmals versuchte ich ihren Gesang nachzuahmen, aber es war mir unmÜglich. Oft auch bemßhte ich mich, meinen Gefßhlen in meiner Weise Ausdruck zu geben. Da ich aber nur harte, unartikulierte Laute zuwege brachte, erschrak ich und schwieg.
Unterdessen hatte der Mond aufgehĂśrt, in den Nächten zu scheinen, und war dann wieder als kleine Sichel am Himmel aufgetaucht. Ich aber weilte immer noch im Walde. Meine Sinne hatten sich während dieser Zeit geschärft und jeder Tag brachte mir neue Anregungen. Meine Augen hatten sich an das Licht gewĂśhnt und gelernt, die Gegenstände in ihrer richtigen Form zu erkennen. Ich konnte einen Käfer von einer Pflanze und die Pflanzen wieder unter sich unterscheiden. Ich hatte entdeckt, daĂ der Sperling nur rauhe, häĂliche Laute zur VerfĂźgung hat, während der Gesang der Nachtigall oder der Drossel mir EntzĂźcken verursachte.
Eines Tages, als mich die Kälte umhertrieb, fand ich ein Feuer, das irgendwelche wandernden Bettler sich im Walde angezßndet haben mochten, und freute mich der Wärme, die es ausstrahlte. In meiner Freude steckte ich meine Hand in die Glut, zog sie aber mit einem Aufschrei wieder zurßck. Wie seltsam, dachte ich nur, daà ein und dieselbe Ursache so verschiedene Wirkungen haben kann. Ich untersuchte das brennende Material und erkannte zu meiner Wonne, daà es gewÜhnliches Holz war. Ich sammelte eilends ein paar Zweige, aber sie waren feucht und wollten nicht brennen. Das tat mir sehr leid und ich setzte mich sinnend ans Feuer und sah ihm zu. Indessen war das Holz, das ich in der Nähe niedergelegt, trocken geworden und war von selbst in Brand geraten. Ich dachte darßber nach und eine Untersuchung der Zweige belehrte mich ßber die Grßnde dieser Erscheinung. Ich machte mich deshalb daran, Holz einzusammeln und stapelte es mir auf, um immer mit recht viel Feuer versehen zu sein. Als es Nacht wurde, fßrchtete ich mich vor dem Einschlafen, da ich Angst hatte, das Feuer kÜnne unterdessen erlÜschen. Ich deckte es deshalb sorgfältig mit trockenen Zweigen und Blättern zu und legte dann feuchtes Holz darauf. Dann streckte ich mich auf dem Boden aus und versank in Schlaf.
Als ich am Morgen wach wurde, war es mein Erstes, nach dem Feuer zu sehen. Ich deckte es ab und ein leichter Wind fachte es alsbald wieder zu hellen Flammen an. Auch dies beobachtete ich und zog eine Lehre daraus. Ich konstruierte mir einen Fächer aus Zweigen und benßtzte ihn zum Anfachen der Glut, wenn sie zu erlÜschen drohte. Nach Einbruch der Dunkelheit bereitete es mir eine Freude zu sehen, daà das Element nicht nur Wärme, sondern auch Licht verbreitete. Und auch fßr die Zubereitung meiner Nahrung sollte es mir von Nutzen sein. Denn einige der Speiseabfälle, die die Fremden zurßckgelassen hatten, waren durch das Feuer gerÜstet worden und schmeckten mir besser als die Beeren, die ich bisher von den Sträuchern gepflßckt. Ich versuchte deshalb, meine Nahrung in der gleichen Weise zu behandeln, indem ich sie in die Flamme hielt. Die Beeren allerdings wurden vom Feuer verzehrt, während die Nßsse und Wurzeln wesentlich schmackhafter wurden.
Nach und nach wurde meine Nahrung immer spärlicher und ich muĂte manchmal den ganzen Tag suchen, bis ich einige armselige Eicheln fand, um meinen rasenden Hunger zu stillen. Ich beschloĂ daher, meinen bisherigen Aufenthaltsort mit einem anderen zu vertauschen, von dem aus es mir leichter wĂźrde, mich mit dem Notwendigsten zu versehen. Allerdings fiel es mir schwer, mein geliebtes Feuer verlassen zu mĂźssen, denn ich wuĂte ja nicht, wie ich wieder in seinen Besitz kommen kĂśnnte. Ich verbrachte längere Zeit mit der Ăberlegung, wie ich diesem Umstande abhelfen kĂśnnte, aber es war vergebens. Ich hĂźllte mich also fester in meine Lumpen und schritt durch den Wald davon, der sinkenden Sonne entgegen. Drei Tage irrte ich in dem Dickicht umher, bis ich endlich offenes Land erreichte. In der vorhergehenden Nacht war mächtiger Schneefall eingetreten und die ganze Gegend war in ein einfĂśrmiges WeiĂ gehĂźllt. Es war ein trostloser Anblick und es bereitete mir Schmerz, mit meinen nackten FĂźĂen durch die naĂkalte Masse waten zu mĂźssen, die die Erde bedeckte.
Am Morgen fĂźhlte ich ein unbedingtes BedĂźrfnis nach Speise und einem Unterschlupf; endlich bemerkte ich an einem Hang eine kleine HĂźtte, die vielleicht fĂźr einen Schäfer errichtet worden sein mochte. Der Anblick war mir neu und ich besah mir das Bauwerk genau. Da die TĂźr offen war, trat ich ein. Ein alter Mann saĂ drinnen zur Seite eines Herdes, auf dem er seine Mahlzeit bereitete. Als er mich hĂśrte, wendete er sich um, dann sprang er mit einem lauten Schrei auf und rannte Ăźber die Felder davon mit einer Eile, deren ich den gebrechlichen KĂśrper nicht fĂźr fähig gehalten hätte. Ich war glĂźcklich, daĂ ich dieses Unterkommen gefunden hatte, denn hier war ich wenigstens sicher vor Regen und Schnee; auch war der FuĂboden trocken. Ich verzehrte gierig das stehengebliebene FrĂźhstĂźck, das aus Brot, Käse, Milch und Wein bestand; dem letzteren aber konnte ich keinen Geschmack abgewinnen. Dann Ăźberwältigte mich die MĂźdigkeit und ich legte mich zum Schlummer auf die Streu.
Mittags erwachte ich, und ermuntert durch den klaren Sonnenschein, der durch das Fenster auf die weiĂe Diele fiel, beschloĂ ich meine Wanderschaft wieder aufzunehmen. Die Reste des FrĂźhstĂźcks steckte ich in einen Ranzen, den ich zufällig vorfand, und trat meine Reise an, bis ich nach mehreren Stunden, als es Abend werden wollte, ein Dorf erreichte. Wie wunderbar mir alles schien, die HĂźtten, die kleineren und die ansehnlicheren Häuser! In den Gärten standen noch vereinzelte GemĂźsestauden und durch die Fenster konnte ich MilchschĂźsseln und Käselaibe erkennen, wodurch sich mein Appetit noch steigerte. In eines der schĂśnsten Häuser trat ich ein; aber kaum hatte ich die Schwelle Ăźberschritten, als auch schon Kinder schrien und eine Frau ohnmächtig wurde. Das ganze Dorf geriet in Aufruhr. Manche flohen, manche aber griffen mich an, bis ich, vertrieben durch SteinwĂźrfe, auf die Felder hinaus entwich. Voll Angst suchte ich Zuflucht in einem niederen Schuppen, der allerdings sich sehr von den schĂśnen Wohnhäusern unterschied, in deren einem ich unterzukommen gemeint hatte. Der Schuppen lehnte sich an ein Bauernhaus, das hĂźbsch und reinlich aussah. Nach den Ăźblen Erfahrungen, die ich machen muĂte, wagte ich es aber nicht hineinzugehen. Mein Unterschlupf war aus Holz gefĂźgt, aber so niedrig, daĂ ich nicht einmal aufrecht darin sitzen konnte. Der Boden war nackt, aber trocken, und wenn auch der Wind durch unzählige Ritzen und LĂścher hereinblies, so war ich doch einigermaĂen vor den Unbilden der Witterung geborgen.
Ich legte mich nieder, glßcklich, wenigstens dieses Unterkommen gefunden zu haben, das mich, so elend es auch war, doch vor Kälte und, was noch schlimmer war, vor der Feindseligkeit der Menschen schßtzte.
Es war kaum Morgen geworden, als ich aus meinem Schlupfwinkel kroch, um das Bauernhaus zu betrachten, an das sich der Schuppen anlehnte, und auszukundschaften, ob ich wohl in ihm mich längere Zeit wßrde aufhalten kÜnnen. Er lag direkt an der Rßckwand des Hauses; auf einer Seite befand sich ein Schweinestall, auf der andern ein klarer Teich. Eine Wand des Schuppens fehlte und ich ergänzte sie durch Aufschichten von Steinen und Holz, und zwar so, daà ich leicht aus und ein gelangen konnte.
Nachdem ich dermaĂen meine Wohnung eingerichtet hatte, bedeckte ich noch den Boden mit Stroh, zog mich aber dann eilig zurĂźck. Ich hatte nämlich in der Nähe einen Menschen gesehen und wuĂte aus der Erfahrung in der vorhergehenden Nacht, daĂ einem solchen nicht zu trauen war. Als Nahrung fĂźr diesen Tag hatte ich mir einen groĂen Laib Brot gestohlen und dazu ein GefäĂ, mittels dessen ich aus dem Teich bei meiner HĂźtte Wasser schĂśpfen konnte. Der Boden des Schuppens war ein wenig erhĂśht und deshalb ganz trocken, und die Nähe des Backofens gab hinreichend Wärme.
Ich hatte mich mit dem NĂśtigsten versehen und beschloĂ, bis auf weiteres in diesem Schuppen zu bleiben. Es war im Vergleich mit dem finsteren, kalten Walde ein wahres Paradies fĂźr mich und ich brauchte wenigstens nicht mehr auf feuchtem Boden unter tropfenden Ăsten zu schlafen. Ich aĂ mit GenuĂ meine Mahlzeit und wollte eben durch einen Spalt in der Seitenwand mir Wasser aus dem Teiche schĂśpfen, als ich einen jungen Menschen erblickte, der mit einem KĂźbel auf dem Kopfe an dem Schuppen vorbeiging. Es war ein junges Mädchen von feinem Wuchse, so ganz anders, als im allgemeinen Bauern und Bauernmägde zu sein pflegen. Sie war einfach gekleidet, ein weiter, blauer Rock und eine Leinenjacke bildeten ihren Anzug; ihr schĂśnes Haar lag geflochten um ihren Kopf und sie sah still und traurig aus. Sie kam dann auĂer Sicht. Nach etwa einer Viertelstunde kam sie wieder mit ihrem KĂźbel, der nun zum Teil mit Milch gefĂźllt war. Während sie das schwere Gefäà dem Hause zutrug, kam ein junger Mann auf sie zu, der noch trauriger aussah als sie. Er sagte einiges zu ihr und nahm ihr dann den KĂźbel vom Kopfe, um ihn selbst zum Hause zu bringen. Sie folgte ihm und beide verschwanden in der TĂźr. Kurze Zeit darauf erschien der junge Mann wieder und ging, einige Werkzeuge auf der Schulter, quer Ăźber die angrenzenden Felder. Das Mädchen beschäftigte sich abwechselnd im Hause und im Garten.
In der Wand des Hauses, an die sich mein neues Heim anlehnte, befand sich, wie ich bei der Untersuchung derselben feststellte, ein Fenster, das mit Holz verschalt war und durch einen ganz schmalen Spalt einen Blick in das Innere gestattete. Ich konnte ein kleines, reinliches, aber armselig mĂśbliertes Zimmer erkennen. In einem Winkel, nahe am Feuer, saĂ ein alter Mann, der wie im Kummer sein Gesicht in den Händen barg. Das Mädchen war damit beschäftigt, das Zimmer in Ordnung zu bringen. PlĂśtzlich zog sie etwas aus einer Schublade und gab es dem alten Manne, indem sie sich neben ihm niederlieĂ. Es war ein Instrument, dem er TĂśne entlockte, die mich mehr entzĂźckten als der Gesang der Drossel oder der Nachtigall. Es war fĂźr mich armes Wesen, das ja noch nie etwas SchĂśnes gesehen, ein lieblicher Anblick. Das Silberhaar des Greises und sein gutes Gesicht lieĂen mich Ehrfurcht empfinden, während das Verhalten des Mädchens mir Liebe einflĂśĂte. Die Weise, die der Alte spielte, lockte Tränen in die Augen des lieblichen Kindes; er achtete ihrer aber nicht. Erst als sie laut aufweinte, sprach er einige Worte zu ihr. Sie kniete dann zu seinen FĂźĂen nieder und er streichelte sie zärtlich. Ich kann die GefĂźhle nicht beschreiben, die ich dabei empfand. Sie waren ein Gemisch von Lust und Schmerz, wie ich es noch nie kennen gelernt hatte, so ganz anders als Hunger oder Durst, Kälte oder Hitze. Jedenfalls waren sie seltsam und Ăźberwältigend, so daĂ ich mich vom Fenster zurĂźckziehen muĂte.
Bald darauf kam der junge Mann nach Hause, auf dem RĂźcken eine groĂe Ladung Holz. Das Mädchen ging ihm entgegen, half ihm seine BĂźrde abnehmen und legte einen Teil des Holzes ins Feuer. Dann gingen sie zusammen in eine Ecke des Zimmers und er zeigte ihr einen groĂen Laib Brot und ein StĂźck Käse. Sie schien darĂźber erfreut und begab sich in den Garten, um einige Wurzeln und Kräuter zu holen. Diese legte sie dann in Wasser und stellte dieses auf das Feuer. Während sie in dieser Weise beschäftigt war, ging der junge Mensch in den Garten hinaus und grub dort eifrig Wurzeln aus. Längere Zeit war vergangen, da kam das junge Mädchen und ging mit ihm wieder zurĂźck ins Haus.
Der alte Mann war unterdessen nachdenklich dagesessen; als aber seine Hausgenossen eintraten, ward seine Miene wieder frĂśhlicher und sie setzten sich alle miteinander an den Tisch, um zu essen. Die Mahlzeit war bald zu Ende. Während das Mädchen das Zimmer in Ordnung brachte, ging der Greis, auf den jungen Mann gestĂźtzt, im Sonnenschein spazieren. Es war ein merkwĂźrdiger Kontrast zwischen den beiden Menschen. Der Alte im Silberhaar mit seinen guten, liebevollen ZĂźgen, der Junge, hoch und schlank gewachsen, mit seinem feinen, ebenmäĂigen Gesicht. Seine Augen allerdings und seine Haltung lieĂen erkennen, daĂ er sehr traurig und niedergeschlagen war. Der Greis kehrte dann in sein Haus zurĂźck, während der JĂźngling mit Werkzeug â es war anderes als das, das er morgens getragen â sich auf die Felder begab.
Rasch brach die Nacht herein; aber zu meinem Erstaunen bemerkte ich, daĂ die Bewohner des Hauses ein Mittel besaĂen, das Licht des Tages zu ersetzten, indem sie Wachskerzen anzĂźndeten. Auch machte es mir groĂe Freude, denn nun konnte ich die Leute länger aus meinem Schlupfwinkel beobachten. Der Alte nahm wieder sein Instrument zur Hand, dessen TĂśne mich schon am Morgen so entzĂźckt hatten. Als er geendet hatte, geschah etwas, was ich nicht begriff. Der junge Mensch wiederholte in einemfort monotone Laute, die es an SchĂśnheit und Harmonie weder mit der Musik des Greises noch mit dem Gesang der VĂśgel aufnehmen konnten. Später kam ich darauf, daĂ er laut vorlas, aber damals hatte ich noch keine Ahnung von dem Geheimnis der Buchstaben und Worte.
Die Familie blieb noch einige Zeit beisammen, dann lĂśschte der Alte das Licht und sie begaben sich, wie ich vermutete, zur Ruhe.

Kapitel 12
Ich lag auf meinem Stroh, konnte aber nicht schlafen. Ich muĂte Ăźber das nachdenken, was ich den Tag Ăźber gesehen und gehĂśrt hatte. Das, was mir besonders zu denken gab, waren die liebenswĂźrdigen Manieren dieser Leute. Ich sehnte mich danach, mit ihnen in Verbindung zu treten, aber ich wagte es nicht. Nicht umsonst erinnerte ich mich der barbarischen Behandlung, die mir in der vergangenen Nacht von Seite der Dorfbewohner zuteil geworden war. Zunächst beschloĂ ich, in meinem Schuppen zu bleiben und sie noch genauer zu beobachten.
Am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, waren die Leute schon munter. Das Mädchen brachte wieder das Haus in Ordnung und bereitete eine Mahlzeit. Nachdem diese eingenommen war, ging der Jßngling fort.
Der Tag spielte sich in derselben Weise ab wie der vorhergehende. Der JĂźngling war die meiste Zeit auĂerhalb des Hauses beschäftigt, während das Mädchen sich innerhalb desselben zu schaffen machte. Der Alte, der, wie ich bemerkte, blind war, verbrachte seine Zeit, indem er auf seinem Instrument spielte oder nachdenklich im Zimmer saĂ. Es war schĂśn anzusehen, welche Liebe und Verehrung die jungen Menschen dem Greise zuteil werden lieĂen. Sie pflegten ihn mit zarter Hingabe und wurden durch sein gĂźtiges Lächeln belohnt.
Ganz glĂźcklich schienen sie jedoch nicht zu sein, denn Ăśfter sah ich die beiden jungen Leute weinen. Ich konnte es mir nicht erklären, jedenfalls aber empfand ich tiefes Mitleid mit ihnen. Wenn schon solche GeschĂśpfe unglĂźcklich waren, ist es nicht verwunderlich, daĂ ich, der ich einsam und häĂlich war, noch viel mehr litt. Aber warum waren sie unglĂźcklich? Sie besaĂen ein herrliches Haus (wenigstens schien es mir herrlich) und alles, was sie bedurften. Sie hatten Feuer, um sich daran zu wärmen, wenn sie froren, und kĂśstliche Speisen, wenn sie Hunger hatten. Sie waren schĂśn gekleidet, und was noch besser ist als alles andere, sie waren nicht allein, sondern freuten sich gegenseitig ihrer Gesellschaft. Was hatten also ihre Tränen zu bedeuten? Waren sie wirklich der Ausdruck des Leides? Zuerst war ich nicht imstande, mir diese Fragen zu beantworten, aber mit der Zeit ward mir verschiedenes klar, was mir bisher rätselhaft gewesen.
Es bedurfte langer Zeit, ehe ich eine der Hauptursachen ihres Kummers begriff. Es war die Armut, unter der sie in schrecklicher Weise zu leiden hatten. Ihre Nahrung bestand fast nur aus den Kräutern, die ihnen der Garten lieferte, und der Milch ihrer einzigen Kuh, fßr die sie im Winter kaum genßgend Futter herbeizuschaffen vermochten. Ich glaube, daà die beiden jungen Menschen oft vom Hunger gequält wurden, denn ich bemerkte mehrmals, daà sie dem Greise Nahrung vorsetzten, ohne fßr sich selbst etwas ßbrig zu behalten.
Dieser Zug von GĂźte rĂźhrte mich. Ich hatte bisher in der Nacht einen Teil ihrer Nahrungsmittel fĂźr meinen Gebrauch gestohlen. Nachdem ich aber wuĂte, daĂ ich den guten Menschen damit wehe tat, verzichtete ich darauf und holte mir in einem benachbarten GehĂślz Beeren, NĂźsse und Wurzeln.
Ich entdeckte auch ein Mittel, ihnen bei ihrer Arbeit behĂźlflich zu sein. Ich hatte beobachtet, daĂ der junge Mensch einen groĂen Teil des Tages darauf verwendete, Holz fĂźr den heimatlichen Herd zu sammeln. Ich nahm daher in der Nacht sein Werkzeug an mich, dessen Gebrauch ich rasch erlernte, und brachte Heizmaterial mit nach Hause, das fĂźr mehrere Tage ausreichte.
Ich erinnere mich, wie das Mädchen erstaunte, als sie eines Morgens, vor die HaustĂźre tretend, einen groĂen Haufen Holz aufgeschichtet vor sich sah. Sie schrie laut auf, und als der JĂźngling herbeikam, äuĂerten sie offenbar ihr Erstaunen. Ich bemerkte mit Genugtuung, daĂ er es an diesem Tage unterlieĂ, in den Wald zu gehen, sondern sich im Hause und im Garten beschäftigte.
Nach und nach machte ich aber eine Entdeckung, die fĂźr mich von ungeheurer Wichtigkeit war. Ich bemerkte nämlich, daĂ diese Wesen eine Methode besaĂen, sich gegenseitig ihre GefĂźhle in artikulierten Lauten auszudrĂźcken und daĂ die Worte, die sie sprachen, bald Leid, bald Freude, bald Frohsinn, bald Schmerz im ZuhĂśrer hervorzurufen vermochten, wie man an ihren Mienen erkennen konnte. Das war allerdings eine herrliche Gabe und ich brannte fĂśrmlich danach, diese Methode genauer zu erforschen. Aber jeder Versuch, den ich unternahm, scheiterte kläglich. Ihre Aussprache war rasch, und da ich keinen Zusammenhang zwischen ihren Worten und den bestehenden Dingen sah, hatte ich gar keinen Anhaltspunkt. Nur meinem groĂen Eifer hatte ich es zu danken, daĂ es mir nach Verlauf mehrerer Monate gelang, die gebräuchlichsten Bezeichnungen zu erlernen. Ich wuĂte die Worte: Feuer, Milch, Brot und Holz zu deuten und auszusprechen. Dann merkte ich mir die Namen der Hausbewohner selbst. Hierbei fiel mir auf, daĂ die beiden jungen Leute mehrere Namen, der Alte aber nur einen, nämlich ÂťVaterÂŤ hatte. Das Mädchen hieĂ ÂťSchwesterÂŤ oder ÂťAgatheÂŤ, der JĂźngling ÂťFelixÂŤ, ÂťBruderÂŤ oder ÂťSohnÂŤ. Ich kann dir das VergnĂźgen nicht schildern, das ich empfand, als ich einigermaĂen in die Gedankenwelt der guten Leute eindringen konnte. Sie gebrauchten noch mehr sehr häufig andere Worte, deren Sinn ich aber zunächst nicht begriff, wie zum Beispiel ÂťgutÂŤ, ÂťLiebsterÂŤ oder ÂťunglĂźcklichÂŤ.
Unterdessen war der Winter vergangen und ich hatte diese Menschen sehr lieb gewonnen, so daĂ ich mit ihnen litt, wenn sie traurig waren, und mich freute, wenn sie sich freuten. AuĂer ihnen sah ich nur wenige menschliche Wesen, und wenn es ja vorkam, daĂ Fremde das Haus betraten, so fiel der Vergleich zwischen ihnen und meinen Freunden immer zum Vorteil der letzteren aus. Der Alte schien sich oftmals zu bemĂźhen, seinen Hausgenossen Mut zuzusprechen, und die GĂźte und Liebe, die in seinem ganzen Wesen lagen, taten sogar mir wohl. Agathe lauschte meistens schweigend seinen Worten; aber in ihre Augen traten Tränen, die sie verstohlen wegwischte. Jedenfalls gewann ich den Eindruck, als sei sie wieder frĂśhlicher und vertrauensvoller, wenn der Alte zu ihr gesprochen hatte. Mit Felix war es anders. Er war immer der Traurigste in der ganzen Familie, und selbst mit meinen ungeĂźbten Sinnen erkannte ich, daĂ er am schwersten gelitten haben muĂte. Aber wenn er auch trauriger aussah als die anderen, so war doch seine Stimme frĂśhlicher als die seiner Schwester, besonders dann, wenn er mit dem Vater sprach.
Ich kĂśnnte dir unzählige Beispiele auffĂźhren, die unverkennbar zeigten, wie sehr diese Leute aneinander hingen. Mochte auch Armut und Mangel schwer auf ihnen lasten, der Bruder vergaĂ doch nicht, die ersten weiĂen BlĂźmchen, die aus dem Schnee lugten, seiner Schwester zu bringen. FrĂźh am Morgen, noch ehe die Sonne aufgegangen war, kehrte er den Schnee von dem Wege, den sie zu gehen hatte, um nach dem Stalle zu gelangen, holte Wasser aus dem Brunnen und schleppte Brennholz ins Haus, immer sehr erstaunt, wenn er bemerkte, daĂ der Vorrat von unbekannter Hand wieder ergänzt worden war. Unter Tags arbeitete er vermutlich fĂźr einen Nachbar, denn er ging frĂźh fort und kehrte erst zu Tisch wieder heim, brachte aber nie mehr Holz mit. Zuweilen schaffte er im Garten; da es aber zu dieser Zeit wenig dort zu tun gab, las er dem Alten und Agathe vor.
Dieses Lesen hatte mich anfangs sehr merkwĂźrdig berĂźhrt; allmählich kam ich dann darauf, daĂ er auch beim Lesen viele der Worte gebrauchte, die er im täglichen Gespräch anwendete. Ich schloĂ daraus, daĂ er auf dem Papier Zeichen finden muĂte, die er verstand, und brannte danach, diese gleichfalls kennen zu lernen. Aber das war ja nicht denkbar, denn ich kannte ja nicht einmal die Laute, die sie bezeichneten. Ich bemĂźhte mich daher, zunächst ihre Sprache vollkommen zu verstehen; denn ich war mir darĂźber klar, daĂ ich eine Annäherung an die guten Leute nur dann wagen konnte, wenn ich ihre Sprache beherrschte, und daĂ ich sie nur dadurch einigermaĂen mit meiner Ungestalt versĂśhnen kĂśnnte. Denn auch diese hatte ich durch das immerwährende Zusammensein mit den Leuten erkennen gelernt.
Und das kam so: Ich hatte mich stets an den schĂśnen Formen meiner Freunde, an ihren geschmeidigen Bewegungen erfreut. Du kannst dir denken, welchen Schrecken ich empfand, als ich mich zum Vergleiche in dem klaren Spiegel des Teiches betrachtete. Zuerst prallte ich entsetzt zurĂźck, da ich nicht glauben konnte, daĂ es mein Bild sei, das mir da entgegensah. Als ich aber einsah, daĂ ein Irrtum unmĂśglich und ich wirklich das Scheusal war, ergriffen mich Verzweiflung und Scham. Und damals hatte ich noch nicht einmal einen Begriff davon, was ich noch alles unter dieser HäĂlichkeit zu leiden haben kĂśnnte!
Als die Sonne wieder wärmer und die Tage länger wurden, schmolz der Schnee und hßllenlos standen die kahlen Bäume, lag die schwarze Erde. Von da ab war Felix wieder mehr beschäftigt und ich hatte den Eindruck, als schwände auch die drßckende Not, die zur Winterszeit dort geherrscht. Die Nahrung der Leute war grob, aber, wie ich später erfuhr, sehr nahrhaft und gesund. Im Garten wuchsen mehrere neue Arten von Pflanzen, die ich bisher noch nicht gesehen hatte, und gediehen immer ßppiger, je weiter die Jahreszeit vorschritt.
Jeden Tag nach Tisch ging der Greis, auf seinen Sohn gestßtzt, spazieren, wenn es nicht regnete. Ich hatte unterdessen gelernt, daà man das regnen nennt, wenn der Himmel seine Wasser herniedersendet. Das geschah ziemlich häufig; aber ein warmer Wind lieà die Erde immer wieder trocken werden, und danach war es noch viel schÜner als zuvor.
Mein Leben verlief sehr gleichmäĂig. Morgens sah ich meinen Freunden zu, und wenn sie dann ihren verschiedenen Beschäftigungen nachgingen, legte ich mich schlafen. Den Rest des Tages verbrachte ich dann wieder in der gleichen Weise wie den Morgen. Wenn sie sich dann zur Ruhe begeben hatten, ging ich, vorausgesetzt, daĂ der Mond oder die Sterne die Nacht erleuchteten, in den Wald, um Nahrung fĂźr mich und Brennholz fĂźr meine Freunde zu sammeln. Nach meiner RĂźckkehr reinigte ich dann, wenn es nĂśtig war, den Weg vom Schnee und verrichtete Arbeiten, die sonst Felix besorgt hatte. Diese Hilfe von unbekannter Seite erregte stets das Erstaunen der guten Menschen, und mehrere Male hĂśrte ich, wie sie bei solchen Gelegenheiten ausriefen, Âťein guter GeistÂŤ oder Âťein WunderÂŤ; Worte, deren Sinn ich damals noch nicht begriff.
Immer lebhafter beschäftigten sich meine Gedanken mit diesen Menschen. Ich verlangte danach, auch ihre GefĂźhle kennen zu lernen; vor allem wollte ich herausbringen, warum Felix so niedergeschlagen, Agathe so traurig war. Ich dachte â Narr, der ich war! â daĂ es vielleicht in meiner Macht stände, ihnen das GlĂźck wiederzugeben. Im Schlafen und im Wachen standen mir die Gestalten vor den Augen, der verehrungswĂźrdige alte Mann, das reizende Mädchen, der schĂśne junge Mensch. Sie kamen mir vor wie hĂśhere Wesen, wie GĂśtter, die Ăźber mein kĂźnftiges Schicksal zu entscheiden hätten. Ich stellte mir tausendmal in meinem Innern vor, wie sie mich wohl aufnehmen wĂźrden, wenn sie mich das erste Mal sähen. Ich dachte mir, daĂ sie anfangs ja sehr erschrecken, dann aber, gewonnen durch meine GĂźte und mein mildes Wesen, mir ihre Gunst und schlieĂlich ihre Liebe schenken mĂźĂten.
Diese Gedanken munterten mich auf und veranlaĂten mich, mit gesteigertem Eifer mich dem Studium ihrer Sprache hinzugeben. Mein Organ war hart, das ist wahr, aber es war auch biegsam. Wenn auch die Laute, die ich hervorbrachte, keinen Vergleich aushielten mit dem Wohllaut ihrer Stimme, so vermochte ich doch immerhin mich, wie ich glaubte, verständlich zu machen. Jedenfalls verdiente ich, der ich doch die besten Absichten hegte, etwas Besseres als Schläge und VerwĂźnschungen.
Unter den warmen Regenschauern und dem wohligen Wehen der Frßhlingswinde nahm die Erde allmählich ein ganz anderes Aussehen an. Die Menschen, die sich vorher unter dem rauhen Atem des Winters in ihre engen Wohnungen zusammengepfercht hatten, zerstreuten sich in Feld und Flur, um sich dort verschiedenen Beschäftigungen hinzugeben. Die VÜgel sangen lieblich und ßberall grßnte es an den Zweigen. Glßckliche, schÜne Erde! Jetzt ein Wohnsitz fßr GÜtter, und doch war sie noch vor kurzer Zeit traurig, Üde und kalt. Auch in meinem Innern wirkte der Frßhling wohltätig; das Vergangene war vergessen, die Gegenwart war ruhig und frÜhlich, und die Zukunft lag vor mir im goldenen Sonnenschein der Hoffnung und der Freude.

Kapitel 13
Aber nun zu dem interessantesten Teil meiner Geschichte! Ich muĂ die Ereignisse berichten, die mich aus dem, was ich war, zu dem machten, was ich heute bin.
Immer schĂśner wurde es drauĂen und ein wolkenloser Himmel spannte sich Ăźber die Erde, die nach langer Wintersnacht nun grĂźn und blĂźhend geworden war. Tausend WohlgerĂźche strĂśmten auf mich ein und mein Auge erfreute sich immer neuer SchĂśnheiten.
Es war einer jener Tage, an denen meine Freunde gewohnheitsmäĂig zu feiern pflegten â der Alte spielte auf seiner Zither und die Kinder hĂśrten ihm zu â als ich bemerkte, daĂ das Antlitz des JĂźnglings noch viel trauriger war als bisher. Er seufzte oft, so daĂ der Greis einmal sein Spiel unterbrach und ihn zu trĂśsten versuchte. Felix antwortete liebevoll und der Alte begann wieder mit seiner Musik, als es plĂśtzlich an der TĂźr pochte.
Es war eine Dame zu Pferde, die einen Bauern als FĂźhrer bei sich hatte. Sie war schwarz gekleidet und ein schwarzer Schleier bedeckte ihr Gesicht. Agathe fragte sie um ihr Begehr, worauf die Fremde mit lieblicher Stimme nur den Namen Felix aussprach. Daraufhin kam Felix herbeigeeilt. Die Dame schlug ihren Schleier zurĂźck, so daĂ mir ein Antlitz von wunderbarer SchĂśnheit entgegenstrahlte. Ihr Haar war tiefschwarz, glänzend und eigenartig geflochten; ihre dunklen, prächtigen Augen leuchteten; ihre ZĂźge waren regelmäĂig und ihr Gesicht von frischer Farbe.
Felix schien vor GlĂźck fĂśrmlich aufzublĂźhen, als er sie erblickte. Sein Antlitz leuchtete in schwärmerischer Freude, der ich ihn nie fĂźr fähig gehalten hätte. Seine Augen glänzten und eine heiĂe RĂśte färbte seine Wangen. In diesem Augenblick erschien er mir so schĂśn wie die Fremde. Auch sie war ergriffen; aus ihren Augen stĂźrzten Tränen, während sie ihm die Hand hinhielt, die er leidenschaftlich kĂźĂte. Und ich vernahm, wie er sie sein liebes Weib nannte. Sie schien den Inhalt seiner Worte nicht zu verstehen, aber sie lächelte. Er hob sie vom Pferde, entlieĂ den FĂźhrer und geleitete sie ins Haus. Zuerst entwickelte sich ein Gespräch zwischen ihm und seinem Vater, dann warf sich das schĂśne Weib vor dem Greise nieder, um seine Hände zu kĂźssen. Er aber hob sie auf und schloĂ sie liebevoll in die Arme.
Bald bemerkte ich, daĂ die Fremde, wenn Sie auch artikulierte Laute hervorbrachte, doch eine eigene Sprache zu haben schien und deshalb weder selbst verstanden wurde, noch auch die Anderen verstand. Sie halfen sich mit verschiedenen Zeichen, deren Bedeutung ich aber nicht begriff. Jedenfalls verbreitete ihre Anwesenheit GlĂźck und Freude in der kleinen Wohnung, und die Traurigkeit war geschwunden wie Morgennebel vor dem Glanz der Sonne. Besonders glĂźcklich war Felix und lächelte immer der Fremden zu. Agathe kĂźĂte die Hände der Frau und machte Zeichen gegen ihren Bruder hin, aus denen ich entnahm, daĂ er es sei, dem ihre Ankunft die innigste Freude bereite. So vergingen mehrere Stunden freudiger Erregung, deren Ursache ich ja allerdings vorerst nicht zu ergrĂźnden vermochte. Später erkannte ich an der Ăśfteren Wiederholung von Worten, die die Fremde dann nachsprach, daĂ diese sich bemĂźhte, die Sprache meiner Freunde kennen zu lernen. Da kam mir die Idee, daĂ ich aus diesen Lektionen auch Nutzen zu ziehen imstande wäre. Es waren nur zwanzig Worte, die die Fremde in dieser ersten Lektion erlernte, von denen ich die meisten schon kannte; aber es waren auch etliche dabei, die mir neu waren.
Als es Nacht wurde, zogen sich Agathe und die Fremde zeitig zurĂźck. Als sie sich verabschiedeten, kĂźĂte Felix die Hand der Fremden und sagte: Schlaf wohl, liebe Safie. Er saĂ dann noch längere Zeit mit seinem Vater zusammen, und daraus, daĂ der Name der Fremden sich in ihrem Gespräch oft wiederholte, schloĂ ich, daĂ sie der Gegenstand desselben war. Ich bemĂźhte mich sehr, sie zu verstehen, aber es war mir nicht mĂśglich.
Am nächsten Morgen begab sich Felix wieder an die gewohnte Arbeit und die Fremde lieĂ sich, während Agathe die Wohnung in Ordnung brachte, zu FĂźĂen des alten Mannes nieder. Dieser nahm seine Zither und spielte einige Lieder so schĂśn, daĂ mir die Tränen des Mitleids und des EntzĂźckens aus den Augen flossen. Dann sang die Fremde. Ihre Stimme ertĂśnte in reicher FĂźlle und so lieblich, daĂ ich meinte, die Nachtigall des Waldes singen zu hĂśren.
Nachdem sie geendet, gab sie Agathe die Zither. Diese lehnte zuerst ab, dann aber spielte sie ein einfaches Lied und sang dazu. Aber wenn auch ihre Stimme lieblich klang, so war sie doch mit der der Fremden nicht zu vergleichen. Der alte Mann schien entzßckt und sagte einige Worte, die Agathe der Fremden zu erklären versuchte.
Die Tage flossen so ruhig und friedlich dahin wie bisher, nur mit dem Unterschied, daĂ meine Freunde jetzt keine traurigen Gesichter mehr hatten. Safie war immer lustig und guter Dinge. Sie und ich drangen rasch in die Geheimnisse der Sprache ein, so daĂ ich nach zwei weiteren Monaten fast alles verstand, was gesprochen wurde.
Auf den Feldrainen blĂźhten ungezählte Blumen und auf dem mondbeschienenen Waldboden leuchteten ihre bleichen Sterne. Die Sonne war kräftiger geworden, die Nächte klar und mild. Meine AusflĂźge bildeten ein groĂes VergnĂźgen fĂźr mich, wenn sie auch infolge des frĂźhen Sonnenaufgangs und des späten Sonnenunterganges bedeutend kĂźrzer werden muĂten. Denn so lange es Tag war, wagte ich es nicht, meine HĂźtte zu verlassen, da ich fĂźrchten muĂte, dieselbe Behandlung zu erfahren, wie schon einmal, und die ich nie vergaĂ.
Meine Tage waren dem aufmerksamsten Studium gewidmet, denn es kam mir darauf an, mĂśglichst bald der Kunst der Sprache teilhaftig zu werden. Ich darf mich rĂźhmen, daĂ meine Fortschritte grĂśĂer waren als die der Fremden, die noch sehr wenig verstand und nur sehr gebrochen sprach, während ich fast jedes Wort, das ich hĂśrte, begriff und zu wiederholen wuĂte.
Aber nicht nur die Sprache, sondern auch die Schrift erlernte ich auf dieselbe Weise wie die Fremde. Damit erĂśffneten sich mir herrliche Gebiete, die mich in Erstaunen und Bewunderung versetzten.
Das Buch, aus dem Felix Safie unterrichtete, war Volneys ÂťZertrĂźmmerte ReicheÂŤ. Ich hätte ja den Inhalt des Buches nie erfaĂt, wenn nicht Felix immer ausfĂźhrliche Erläuterungen dazu gegeben hätte. Er hatte dieses Werk gewählt, weil der Stil des Werkes auĂerordentlich anschaulich war.
Der Inhalt jenes Buches regte mancherlei Gedanken in mir an. Waren denn die Menschen wirklich zugleich so mächtig, tugendhaft und groĂ und doch dabei so lasterhaft und schlecht? Der Mensch erschien mir einmal als der Repräsentant des bĂśsen Prinzips und dann ein andermal wieder als der Inbegriff des Edlen und GĂśttlichen. Ein groĂer, tugendhafter Mensch zu sein, das muĂte doch das Herrlichste bedeuten, was sich ein denkendes Wesen vorstellen kann; und als tiefste Erniedrigung erschien es mir, lasterhaft und schlecht zu sein, ein Leben zu fĂźhren, das nutzloser war als das des blinden Maulwurfs oder des harmlosen Wurmes. Lange konnte ich es Ăźberhaupt nicht begreifen, daĂ es Wesen gäbe, die imstande waren, ihresgleichen zu morden, und warum es Gesetze und Regierungen gab. Aber als ich von Verbrechen und BlutvergieĂen erzählen hĂśrte, wunderte ich mich nimmer, sondern wandte mich voll Ekel und Abscheu ab.
Jedes Gespräch der Hausbewohner erĂśffnete mir neue Perspektiven. Bei Gelegenheit der Belehrungen, die Felix der Fremden gab, erfuhr ich auch von dem seltsamen System der menschlichen Gesellschaft. Ich hĂśrte von Teilung des Besitzes, von unermeĂlichen ReichtĂźmern und entsetzlichster Armut, von Rang, Abkunft und edlem Blute.
Dieses Kapitel veranlaĂte mich, Ăźber mich selbst nachzudenken. Ich sah, daĂ das, was meine Mitmenschen als das HĂśchste betrachten, edle, fleckenlose Abkunft und Reichtum sind. In seltenen Fällen mochte es ja vorkommen, daĂ einer, der nur einen dieser beiden VorzĂźge besaĂ, geachtet war; meistens aber betrachtete man einen solchen Menschen als Lump oder Sklaven, der lediglich dazu da ist, seine Kräfte im Dienste weniger Auserwählter zu verbrauchen. Und was war ich? Ich wuĂte von meiner Entstehung, von meiner Abkunft gar nichts; aber das wuĂte ich, daĂ ich kein Geld, keine Freunde mein eigen nannte. AuĂerdem war ich noch besonders häĂlich und miĂgestaltet und nicht einmal dasselbe Wesen wie ein Mensch. Ich war beweglicher als ein solcher und kam mit weniger Nahrung aus; ich ertrug mit grĂśĂerer GleichgĂźltigkeit Kälte und Hitze und war an GrĂśĂe und Kraft weit Ăźberlegen. Aber wenn ich um mich sah, fand ich niemand, der mir glich. Ich war also eine Abnormität, ein Ungeheuer, ein Schandfleck der SchĂśpfung, den alle Menschen flohen und von sich stieĂen.
Ich wßrde vergebens versuchen, dir die Qualen zu schildern, die diese Gedanken in mir wachriefen. Ich wollte ihrer Herr werden, aber mein Leid wuchs nur, je mehr ich darßber nachsann. O, daà ich doch immer in meinem Walde geblieben wäre und nicht gelernt hätte, etwas anderes zu fßhlen als die Regungen des Hungers und des Durstes!
Welch seltsames Ding ist doch das Wissen! Es klammert sich an unser Inneres, wie eine Flechte an den Stein. Ich hätte oft gewĂźnscht, all das FĂźhlen und Denken von mir abschĂźtteln zu kĂśnnen. Aber ich erfuhr auch, daĂ es gegen all diese Schmerzen nur ein einziges Heilmittel gibt â den Tod, einen Begriff, den ich fĂźrchtete, den ich aber nicht zu fassen vermochte. Ich bewunderte die Tugend und alle hohen, edlen GefĂźhle und liebte die schĂśnen, guten Menschen, die ich ich bis jetzt, allerdings nur von Ferne, kennen gelernt hatte. Aber vom Verkehr mit ihnen war ich ausgeschlossen, wenn ich nicht das, was ich mir verstohlen ansah, als solchen bezeichnen will und das meine Begierde, einer von ihnen zu sein, nur noch mehr anstachelte. Die freundlichen Worte Agathes, das liebliche Lächeln der Fremden waren nicht fĂźr mich berechnet, und die milden Worte des Greises und die klugen Reden des jungen Mannes richteten sich nicht an mich. Elender, armer Wicht der ich war!
Andere Dinge, die ich hÜrte, wirkten noch niederdrßckender auf mich. Ich erfuhr vom Unterschied der Geschlechter, von der Geburt und der Erziehung der Kinder; von dem glßcklichen Lächeln des Vaters, von der Liebe und Hingebung der Mutter; von Bruder, Schwester und all den anderen Verwandtschaftsgraden, die die Bande bezeichnen, die die Menschen unter einander bindet.
Aber wer sind meine Freunde und Verwandten? Kein Vater hat meine Kinderjahre behĂźtet, keine Mutter mir ihre Liebe und Zärtlichkeit geschenkt; oder wenn es doch so war, dann war mein bisheriges Leben ein Traum, von dem ich nichts mehr weiĂ. So weit meine Erinnerung reichte, ich war immer derselbe, wie ich damals war, und hatte an GrĂśĂe und Gestalt mich nicht verändert. Ich kannte niemand, der mir ähnlich war oder der sich die MĂźhe genommen hätte, sich mit mir zu beschäftigen. Was war ich, woher kam ich? Das waren die Fragen, die sich in mir erhoben und auf die ich keine Antwort fand als meine Seufzer.
Wohin mich diese Gefßhle brachten, will ich nun erzählen. Aber zuerst mÜchte ich noch einmal von jenen Menschen sprechen, deren Leben in mir zugleich Entrßstung, Entzßcken und Verwunderung wachrief und in denen ich in unschuldiger, wonniger Selbsttäuschung meine Beschßtzer sah.

Kapitel 14
Es währte einige Zeit, ehe ich etwas aus dem Leben meiner Freunde erfuhr. Die mannigfachen Umstände, die darin eine Rolle spielten, verfehlten nicht, auf mich, der ich so gänzlich unerfahren war, einen tiefen Eindruck zu machen.
Der alte Mann hieĂ de Lacey. Er stammte aus einer guten franzĂśsischen Familie und war bei seinen Standesgenossen geachtet und beliebt. Sein Sohn stand im Kriegsdienste und seine Tochter verkehrte mit den vornehmsten Damen. Noch wenige Monate vorher hatten sie in einer groĂen, prächtigen Stadt, die Paris hieĂ, gelebt, umgeben von guten Freunden, und erfreuten sich alles dessen, was mäĂiger Reichtum zu bieten vermag.
Der Vater Safies war der Urheber ihres Unglßcks. Er war ein tßrkischer Kaufmann und hatte lange Jahre in Paris gewohnt, als er, ich weià nicht aus welchem Grunde, der Regierung verdächtig wurde. Er wurde gefangen genommen und in den Kerker geworfen, am gleichen Tage als Safie aus Konstantinopel eintraf. Er wurde verhÜrt und zum Tode verurteilt. Die Ungerechtigkeit dieses Richterspruches lag klar zu Tage und ganz Paris war darßber empÜrt. Man vermutete wohl mit Recht, daà seine Religion und sein Reichtum mehr zu seiner Verurteilung beigetragen hatten, als das ihm zur Last gelegte Verbrechen.
Felix war zufällig in der Gerichtsverhandlung gewesen und hatte mit Entsetzen und EntrĂźstung den Richterspruch vernommen. In diesem Augenblicke hatte er sich feierlich gelobt, den Verurteilten zu befreien, und sich sofort an die AusfĂźhrung seines Vorhabens gemacht. Nachdem er verschiedene Male vergebens versucht hatte, Zutritt zu dem Gefangenen zu erhalten, entdeckte er zufällig die stark vergitterten Fenster der Zelle, in der der unglĂźckliche Mann, beladen mit schweren Ketten, der Exekution entgegensah. Felix gelang es, nächtlicherweile an dieses Fenster zu kommen und dem Gefangenen mitzuteilen, daĂ er seine Befreiung zu erwarten habe. Der TĂźrke war zugleich erstaunt und erfreut und versprach Felix reiche Belohnung, die dieser aber rauh zurĂźckwies. Als er aber Safie kennen lernte, die ihren Vater Ăśfter besuchen durfte, wuĂte er, daĂ dieser einen Schatz besaĂ, den er doch von ihm annehmen und der ihn fĂźr seine MĂźhen und Gefahren belohnen wĂźrde.
Rasch hatte der Tßrke bemerkt, daà seine Tochter Eindruck auf den jungen Mann gemacht hatte, und suchte diesen in seinem Vorhaben zu bestärken, indem er ihm die Hand des Mädchens versprach. Sobald er an einem sicheren Platze sei, sollte die Hochzeit stattfinden. Felix war zu zartfßhlend, von diesem Versprechen Notiz zu nehmen, erwartete aber von dessen Erfßllung sein ganzes zukßnftiges Glßck.
Während der folgenden Tage machten die Vorbereitungen zur Befreiung des Kaufmannes um so bedeutendere Fortschritte, als Felix von der Geliebten einige Briefe erhielt, die diese mit Hilfe eines alten Dieners ihres Vaters, der franzÜsisch verstand, an ihn geschrieben. Sie dankte ihm in den glßhendsten Worten fßr das, was er ihrem Vater zu Liebe zu tun beabsichtigte, und beklagte zugleich auch darin ihr eigenes Geschick.
Ich habe Abschriften dieser Briefe im Besitz, denn ich hatte unterdessen das Schreiben erlernt, und da die Briefe oftmals den Gegenstand des Gespräches bildeten, konnte ich mir ihren Inhalt zu eigen machen. Ehe ich wieder gehe, werde ich sie dir geben, denn sie sollen dir die Wahrheit dessen beweisen, was ich dir berichte. Aber jetzt, da die Sonne sich anschickt, hinter den Bergen unterzugehen, kann ich dir nur kurz angeben, was sie enthielten.
Safie teilte ihm mit, daĂ ihre Mutter eine Christin gewesen, die von den TĂźrken gefangen genommen und in die Sklaverei abgefĂźhrt worden war. Bezwungen von ihrer SchĂśnheit, hätte ihr, Safies Vater, sie zum Weibe genommen. Das junge Mädchen sprach in den AusdrĂźcken tiefster Liebe und Verehrung von ihrer Mutter, die, in Freiheit aufgewachsen, die Knechtschaft, in der sie leben muĂte, sehr schmerzlich empfand. Sie unterrichtete ihre Tochter in den Lehren ihrer Religion und riet ihr, stets nach hĂśheren geistigen GĂźtern und nach geistiger Freiheit zu streben, die ja den Mohammedanerinnen strenge verboten ist. Die Frau starb, aber ihre Lehren hatten sich Safies Geist tief eingeprägt, die der Gedanke, nach Asien zurĂźckkehren und sich in irgend einen Harem einsperren lassen zu mĂźssen, tief niederdrĂźckte; denn die kindischen VergnĂźgungen, die allein ihr dort erlaubt sein wĂźrden, hätten schlecht zu dem gepaĂt, was sie sich in Europa an groĂen Ideen angeeignet hatte. Die Aussicht, einen Christen heiraten und in einem Lande bleiben zu dĂźrfen, wo auch der Frau es mĂśglich war, eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen, bereitete ihr EntzĂźcken.
Der Tag der Hinrichtung des Gefangenen war nun herangekommen. Aber in der vorhergehenden Nacht war er entwichen und befand sich bei Tagesanbruch schon viele Meilen von Paris entfernt. Felix hatte sich Pässe auf seinen Namen sowie die seines Vaters und seiner Schwester verschafft. Er hatte dem ersteren davon Mitteilung gemacht, und dieser erleichterte das Vorhaben seines Sohnes dadurch, daĂ er bei seinen Bekannten die Absicht äuĂerte, eine Reise zu unternehmen zu wollen, und dann mit seiner Tochter in irgend einem entfernten Stadtteil von Paris Wohnung nahm.
Felix begleitete die FlĂźchtlinge durch Frankreich bis nach Lyon und von dort Ăźber den Mont Cenis nach Livorno, woselbst der Kaufmann eine gĂźnstige Gelegenheit abwarten wollte, in einen Teil des tĂźrkischen Reiches zu entkommen.
Safie beschloĂ, bis zur Hochzeit bei ihrem Vater zu bleiben, die kurz vor dessen Abreise in die Heimat stattfinden sollte. Und Felix erwartete voll Sehnsucht diesen Moment. Mittlerweile erfreute er sich der Gesellschaft des schĂśnen Mädchens, das ihm die wärmste und zarteste Liebe entgegenbrachte. Sie unterhielten sich mit HĂźlfe eines Dolmetschers und dazwischen auch in der Sprache ihrer Augen. Manchmal sang ihm Safie die herrlichen Lieder ihrer Heimat vor.
Der Kaufmann hatte scheinbar gegen dieses Verhältnis nichts einzuwenden und ermutigte die Liebenden, während in seinem Herzen ein ganz anderer Plan reifte. Er dachte nur mit Abscheu daran, daà sein Kind einen Christen heiraten sollte. Aber er fßrchtete, daà sich Felix an ihm rächen kÜnne, wenn er wortbrßchig wßrde, denn er war ja immer noch in dessen Gewalt. Es bedurfte nur einer Anzeige bei der italienischen Regierung und alles war wie vorher, wenn nicht schlimmer. Tausenderlei Pläne gingen ihm durch den Kopf, wie er den jungen Liebhaber so lange hinziehen kÜnne, bis er seiner nicht mehr bedurfte, um dann seine Tochter bei seiner Abfahrt heimlich mitzunehmen. Und die Nachrichten, die aus Paris eintrafen, waren seinen Plänen nur fÜrderlich.
Die franzĂśsische Regierung war Ăźber die Flucht ihres Opfers aufs äuĂerste erbost und sparte keine MĂźhe und keine Kosten, um den Befreier zu entdecken und zu bestrafen. Bald hatte man eine Spur des Täters, und kurz danach wanderten de Lacey und Agathe ins Gefängnis. Als Felix hiervon Nachricht erhielt, war sein GlĂźckstraum zu Ende. Sein alter, blinder Vater und seine liebliche Schwester schmachteten in kalter, dunkler Zelle, während er in Freiheit war und sich seiner reizenden Geliebten erfreute. Dieser Gedanke quälte ihn. Er traf noch rasch mit dem TĂźrken die Abmachung, daĂ dieser, wenn er Gelegenheit fände, zu entkommen, Safie in irgend einem Kloster von Livorno in Pflege geben sollte. Dann riĂ er sich von dem geliebten Weibe los, eilte nach Paris und stellte sich selbst dem Gericht in der Hoffnung, dadurch seinem Vater und seiner Schwester die Freiheit wiederzuverschaffen.
Aber er hatte keinen Erfolg damit. Fßnf Monate blieben sie in Haft, bis endlich die Verhandlung festgesetzt wurde. Das Resultat derselben war, daà ihr VermÜgen konfisziert und sie zu lebenslänglicher Verbannung aus ihrem Heimatland verurteilt wurden.
Sie fanden ein ärmliches Asyl in dem Bauernhause in Deutschland, in dem ich sie entdeckte. Felix brachte auch bald in Erfahrung, daĂ der verräterische TĂźrke, fĂźr den er und seine Familie so Schweres erdulden muĂten, sein Wort in ehrloser Weise gebrochen und mit seiner Tochter Italien verlassen hatte. Wie zum Hohn sandte er ihm auch noch eine kleine Geldsumme, damit er sich eine Stellung verschaffen kĂśnne.
Das also war es, was auf Felix so deprimierend gewirkt und ihn so unglĂźcklich gemacht hatte. Armut zu ertragen wäre ihm ja ein leichtes gewesen; aber die Treulosigkeit des von ihm geretteten Kaufmannes und der Verlust der Geliebten, das waren Dinge, die er nicht verschmerzen konnte. Erst die Ankunft des geliebten Weibes flĂśĂte ihm wieder neuen Lebensmut ein.
Und das kam so: Als die Nachricht von der Verurteilung und Verbannung der Familie de Lacey Livorno erreichte, befahl der Kaufmann seiner Tochter, jeden Gedanken an den jungen Mann aufzugeben und sich zur Heimreise vorzubereiten. Die edle Natur Safies sträubte sich gegen diese Zumutung und sie versuchte ihren Vater zur ZurĂźcknahme seines grausamen Gebotes zu veranlassen. Aber er geriet nur in Zorn und wiederholte seinen Befehl mit noch grĂśĂerer Bestimmtheit.
Einige Tage später betrat der Tßrke das Zimmer seiner Tochter und teilte ihr erregt mit, daà er guten Grund habe zu glauben, daà die franzÜsische Regierung seinen jetzigen Aufenthalt ermittelt habe und mit Livorno wegen seiner Auslieferung in Verhandlungen stehe. Er habe deshalb ein Schiff gemietet, das in wenigen Stunden absegeln und ihn nach Konstantinopel bringen sollte. Er beabsichtigte, seine Tochter unter der Obhut einer vertrauten Dienerin zurßckzulassen. Sie sollte, wenn ihr Hab und Gut endlich in Livorno angekommen sei, ebenfalls die Reise antreten.
Als Safie allein war legte sie sich einen Plan zurecht, der sie aus dieser unangenehmen Lage befreien sollte. In die TĂźrkei zurĂźckzukehren, daran dachte sie nicht; Religion und GefĂźhl sträubten sich dagegen. Aus einigen Papieren ihres Vaters, die ihr dieser zurĂźckgelassen, erfuhr sie den Namen des Ortes, an dem ihr Geliebter in der Verbannung lebte. Sie zĂśgerte noch einige Zeit, dann aber stand ihr EntschluĂ fest. Sie nahm ihre Juwelen und eine Summe Geldes an sich und machte sich mit einer Dienerin, die aus Livorno stammte und mit der sie sich einigermaĂen verständigen konnte, auf den Weg nach Deutschland.
Wohlbehalten kam sie in der Stadt an, die etwa zwanzig Meilen von dem Wohnort de Laceys entfernt lag. Dort aber erkrankte ihre Dienerin sehr schwer. Safie pflegte sie mit der grĂśĂten Hingabe, konnte es aber nicht verhindern, daĂ das arme Mädchen starb. So stand sie nun hilflos da, denn sie kannte weder die Sprache des Landes noch auch dessen Sitten. Das GlĂźck war ihr hold, denn die Frau, bei der sie wohnte, nahm sich ihrer an und sorgte dafĂźr, daĂ sie unter sicherem Geleit dahin kam, wo sie den Geliebten wiederzufinden hoffte.

Kapitel 15
Das war die Geschichte meiner Freunde. Sie machte einen tiefen Eindruck auf mich. Ich lernte daraus ihre guten Seiten schätzen und die Fehler des Menschengeschlechts miĂbilligen.
Damals erschien mir jedes Verbrechen wie ein Ăbel, das vollkommen auĂerhalb meines Gesichtskreises lag. Ich meinte es wirklich gut und hoffte, ein nĂźtzliches Glied der kleinen Gesellschaft werden zu kĂśnnen, die ich bis jetzt kennen gelernt hatte.
Bald nach meiner Ankunft in dem Schuppen hatte ich in einer Tasche des Kleides, das ich bei meiner Flucht aus deinem Laboratorium mitgenommen, einige Papiere entdeckt. Zuerst kĂźmmerte ich mich nicht darum, aber nun, da ich sie zu entziffern vermochte, machte ich mich eifrig daran sie zu studieren. Es war dein Tagebuch aus den vier Monaten, die meiner SchĂśpfung vorausgingen. Du beschriebst darin jeden Fortschritt, den dein Werk machte, und dazwischen fanden sich wieder Notizen Ăźber deine Nachrichten von zu Hause. Du erinnerst dich sicherlich dieser Blätter. Hier sind sie. Alles, was darin steht, gibt AufschluĂ Ăźber meinen Ursprung. Die ganzen häĂlichen, abstoĂenden Details sind anschaulich geschildert; du gibst die genaueste Beschreibung meiner verhaĂten, abscheulichen PersĂśnlichkeit in einer Sprache, die deinen Ekel nur zu deutlich zum Ausdruck bringt und mir unsägliches Leid verursachte. Ich wurde fĂśrmlich krank, als ich das alles las. ÂťVerfluchter Tag, an dem ich ins Leben trat,ÂŤ schrie ich in rasender Verzweiflung. ÂťVerflucht sei mein SchĂśpfer. Warum muĂtest du auch ein Ungeheuer schaffen, das so häĂlich war, daĂ selbst du voll Ekel dich von mir abwandtest? Gott bildete den Menschen in seiner GĂźte nach seinem eigenen Bilde; aber du gabst mir Antlitz und Gestalt, die nur ein erschreckendes Zerrbild deines Leibes waren. Satan selbst hat seine Genossen, die mit ihm leben; aber ich bin allein und verhaĂt, wo man mich erblickt.ÂŤ
Das waren die Gedanken, die mein Elend und meine Einsamkeit gebaren. Aber wenn ich mir Ăźberlegte, wie freundlich und gut meine BeschĂźtzer sein muĂten, trĂśstete ich mich damit, daĂ sie sich an meine kĂśrperliche HäĂlichkeit gewĂśhnen wĂźrden, wenn sie erst erkannt hätten, daĂ mein Inneres so ganz anders sei als mein ĂuĂeres. Waren sie imstande, einen um Mitleid und Freundschaft Flehenden von ihrer TĂźr wegzujagen, weil er so miĂgestaltet war? SchlieĂlich war es mir klar, daĂ ich nicht die Hoffnung aufgeben dĂźrfe, und bereitete mich auf eine Begegnung mit ihnen vor, die Ăźber mein ganzes kĂźnftiges Geschick entscheiden muĂte. Trotzdem schob ich aber die AusfĂźhrung des Planes noch um mehrere Monate hinaus, denn die Wichtigkeit, die ich der Sache beilegte, erfĂźllte mich immer wieder mit einer gewissen zaghaften Scheu. AuĂerdem merkte ich, daĂ meine Fertigkeit im Gebrauch der Sprache von Tag zu Tag wuchs, und wollte aus diesem Umstande Nutzen ziehen, um ihnen mĂśglichst gut vorbereitet entgegentreten zu kĂśnnen.
Im Hause selbst hatte sich unterdessen manches verändert. Safies Ankunft hatte nicht nur GlĂźck Ăźber die Seelen der guten Menschen ausgegossen, sondern es war auch ein gewisser Wohlstand eingekehrt. Felix und Agathe hatten jetzt mehr Zeit sich dem VergnĂźgen hinzugeben, da ihre Arbeiten von Dienstboten verrichtet wurden. Wenn sie auch vielleicht nicht reich waren, so schienen sie wenigstens zufrieden und glĂźcklich. Ihr Leben floĂ friedlich und heiter dahin, während ich selbst eine Beute der unruhigsten, widersprechendsten GefĂźhle wurde. Je mehr mein Wissen sich erweiterte, desto klarer war es mir, daĂ ich ein Elender, AusgestoĂener sei. Ich entsagte ja noch nicht jeder Hoffnung, das ist wahr; aber sie entschwand immer wieder, wenn ich mein Spiegelbild im Wasser oder meinen Schatten im Mondschein sah, eben so rasch wie dieses Spiegelbild oder der Schatten selbst.
Ich tat mein MĂśglichstes, um dieser AngstgefĂźhle Herr zu werden und mir Mut einzuflĂśĂen fĂźr das Unternehmen, von dem mich nur wenige Monate mehr trennten. Zuweilen gestattete ich sogar meinen Gedanken sich ein Paradies vorzugaukeln, in dem ich mit lieblichen Wesen, die mich verstanden, zusammenlebte; engelgleiche Gesichter lächelten mir Trost und Zuversicht zu. Aber alles war nur Wahn; keine Eva linderte mein Leid oder teilte meine Sorgen; ich war allein. Ich erinnerte mich der Worte, mit denen Adam vor seinen SchĂśpfer trat. Aber wer war der meine? Er hatte sich von mir gewandt und voll tiefster Erbitterung hatte ich nur FlĂźche fĂźr ihn.
So verging der Herbst. Erstaunt und betrßbt sah ich die Blätter welken und fallen und erkannte, daà die Erde wieder dasselbe traurige, starre Aussehen annahm wie damals, als ich zuerst die Wälder und den lieben Mond gesehen.
Die Kälte fĂźrchtete ich nicht, denn merkwĂźrdigerweise war ich gegen diese wesentlich unempfindlicher als gegen die Hitze. Als ich keine Gelegenheit mehr hatte, die Blumen auf den Feldern zu betrachten und dem Gesang der VĂśgel zuzuhĂśren, wandte ich meinen Freunden wieder mehr Aufmerksamkeit zu. Das Scheiden der schĂśnen Jahreszeit tat ihrem GlĂźcke keinen Abbruch. Sie waren alle einander herzlich zugetan und freuten sich ihres Lebens, unbekĂźmmert um das, was drauĂen in der Natur vor sich ging. Je Ăśfter ich sie sah, desto ungeduldiger nahm ich mir vor, ihren Schutz und Beistand anzurufen. Mein Herz dĂźrstete danach, sich diesen liebenswĂźrdigen Menschen offenbaren zu dĂźrfen. Ihre Blicke liebevoll und mit Interesse auf mir haften zu sehen, war das, was ich am meisten ersehnte. Ich wagte es gar nicht daran zu denken, daĂ sie mich mit Grauen und Ekel von sich weisen kĂśnnten. Von ihrer TĂźr war sicher noch kein HĂźlfesuchender weggejagt worden. Mir war es ja um mehr zu tun als um Speise oder ein vorĂźbergehendes Unterkommen, ich wollte ihre Liebe, ihr Mitleid; Dinge, deren ich mich keineswegs fĂźr unwĂźrdig hielt.
Immer winterlicher ward es im Lande, und einmal schon hatte die Natur ihren ewigen Kreislauf vollendet, seit ich zum Leben erweckt worden war. Plan auf Plan entwarf ich in meinem Innern, wie ich es anfangen sollte, mich meinen BeschĂźtzern zu nähern. Endlich entschloĂ ich mich, das Haus dann zum ersten Male zu betreten, wenn der Alte allein war. Ich war mir darĂźber vollkommen im klaren, daĂ es meine auĂergewĂśhnliche HäĂlichkeit gewesen war, was diejenigen erschreckt hatte, die bisher mit mir in BerĂźhrung gekommen waren. Meine Stimme war ja rauh, aber sie hatte nichts AbstoĂendes. Ich dachte mir, daĂ ich zuerst die Liebe des alten de Lacey gewinnen mĂźĂte, um dann in ihm einen FĂźrsprecher bei seinen Kindern zu haben.
Eines Tages, die Sonne leuchtete goldig auf den farbigen Blättern, die allenthalben den Boden bedeckten, und schien noch einmal dem Auge den Sommer vortäuschen zu wollen, traten Safie, Felix und Agathe einen längeren Spaziergang an, während der Greis seinem Wunsche entsprechend zu Hause gelassen wurde. Als er allein war, nahm er seine Zither und spielte einige ernste, ergreifende Weisen, ernster und schÜner, als ich sie je von ihm gehÜrt. Zuerst lag ein Schimmer heller Freude auf seinem Angesicht, dann aber nahm es einen immer traurigeren, schmerzlicheren Ausdruck an. Er legte sein Instrument zur Seite, stßtzte das Haupt auf die Hände und schien in tiefes Nachsinnen versunken zu sein.
Mein Herz klopfte stĂźrmisch; der Augenblick war gekommen, wo es sich entscheiden muĂte, ob meine Hoffnungen begrĂźndet waren oder meine Furcht. Die Dienstboten waren alle zu einem Fest gegangen. Still war es im Hause und ringsum. Die Gelegenheit war gĂźnstig. Aber als ich zur AusfĂźhrung meiner Absicht schritt, versagten mir die Glieder den Dienst und ich sank zu Boden. Dann richtete ich mich wieder auf, und all meine Kraft und meinen Mut zusammennehmend entfernte ich die Bretter, die ich zu meinem Schutze an den Eingang des Schuppens gelehnt hatte. Die frische Luft tat mir wohl und mit froher Zuversicht näherte ich mich dem Eingangstore.
Ich klopfte. ÂťWer ist da?ÂŤ ertĂśnte die Stimme des alten Mannes aus dem Inneren ÂťTretet ein!ÂŤ
Ich folgte der Aufforderung. ÂťEntschuldigt, daĂ ich hier eindringe,ÂŤ sagte ich. ÂťIch bin ein Wanderer, der etwas Ruhe bedarf. Ihr wĂźrdet mich zu groĂem Dank verpflichten, wenn Ihr mir einige Minuten Rast an Eurem gastlichen Herde gĂśnnen mĂśchtet.ÂŤ
ÂťKommen Sie nur,ÂŤ sagte de Lacey, Âťich will Ihnen gern zu Diensten sein. Aber leider sind meine Kinder nicht hier, und da ich blind bin, wird es mir schwer fallen, einen ImbiĂ fĂźr Euch herbeizuschaffen.ÂŤ
Macht Euch deshalb keine Sorge, lieber Gastfreund, Hunger habe ich nicht; nur Ruhe und Wärme suche ich bei Euch.
Ich lieĂ mich nieder und es entstand eine Pause. Ich wuĂte, daĂ jeder Augenblick kostbar war, wuĂte aber nicht, wie ich die Unterhaltung beginnen sollte. Da sagte der Alte:
ÂťAn Eurer Sprache, Fremdling, meine ich zu erkennen, daĂ Ihr ein Landsmann von mir seid. Seid Ihr Franzose?ÂŤ
ÂťNein, das nicht, aber ich wurde bei einer franzĂśsischen Familie erzogen und lernte nur ihre Sprache kennen. Ich habe nun die Absicht, den Schutz einiger Freunde zu suchen, die ich herzlich lieb habe und auf deren Gunst ich meine ganze Hoffnung setze.ÂŤ
ÂťSind es Deutsche?ÂŤ
ÂťNein, es sind Franzosen. Aber wollen wir von etwas anderem sprechen. Ich bin ein armes, verlassenes GeschĂśpf. Wenn ich mich auf Erden umsehe, habe ich keinen Verwandten, keinen Freund. Die liebenswĂźrdigen Leute, zu denen ich will, haben mich noch nie gesehen und wissen nichts von mir. Ich bin voll Angst, denn wenn ich bei ihnen meinen Zweck verfehle, dann bin ich ausgestoĂen aus der ganzen Welt.ÂŤ
ÂťNur nicht verzweifeln! Freundlos sein ist ja ein UnglĂźck. Aber die Herzen der Menschen sind, wenn nicht der Egoismus von ihm Besitz ergriffen hat, gut und mitleidig. LaĂt also der Hoffnung Raum, daĂ diese Freunde, wenn sie wirklich gut und edel sind, Euch nicht verstoĂen werden.ÂŤ
ÂťSie sind gut, sie sind die besten GeschĂśpfe, die ich kenne; aber unglĂźcklicherweise haben sie ein Vorurteil gegen mich. Ich habe bis jetzt ein sehr harmloses Leben gefĂźhrt und bin auch gewissermaĂen wohltätig gewesen. Aber ein Schleier liegt vor ihren Augen; denn anstatt in mir einen treuen, aufrichtigen Freund zu sehen, halten sie mich fĂźr ein verabscheuungswĂźrdiges UngetĂźm.ÂŤ
ÂťDas ist allerdings traurig. Aber ist es Euch, wenn Ihr wirklich so unschuldig seid, nicht mĂśglich, sie von der Wahrheit zu Ăźberzeugen?ÂŤ
Das eben mÜchte ich, und wenn ich daran denke, ergreift mich eine entsetzliche Angst. Ich liebe diese Menschen zärtlich, ich bin unerkannt schon Monate lang mit ihnen in freundschaftlichem Verkehr gestanden; aber sie meinen, ich wolle ihnen schaden, und diese Meinung will ich ihnen nehmen.
ÂťWo wohnen denn diese Leute?ÂŤ
ÂťNicht weit von hier.ÂŤ
Der Alte schwieg einen Moment, dann sagte er: Wenn Ihr mir rßckhaltlos Eure ganze Geschichte erzählen wollt, kann ich Euch vielleicht in diesem Bestreben helfen. Ich bin blind und erkenne Euer Gesicht nicht, aber es liegt in Eurer Rede etwas, das mir sagt, Ihr seid ein guter Mensch. Ich bin arm und lebe hier in der Verbannung; aber es macht mir Freude, einem Anderen in jeder Weise dienstbar zu sein.
ÂťEdler Mann, wie danke ich Euch! Ich nehme Euer hochherziges Anerbieten an. Ihr erhebt mich mit Eurer GĂźte aus dem Staube und ich hoffe, daĂ es Euch gelingen wird, mich so wirksam zu schĂźtzen, daĂ ich nicht mehr aus der Gesellschaft Eurer Mitmenschen vertrieben werde.ÂŤ
Davor bewahre Euch der Himmel! Und wenn Ihr ein Verbrecher wäret, denn das ist das einzige, was Euch verzweifeln lassen kann. Auch ich bin unglßcklich; ich bin, vollkommen unschuldig, mit meiner ganzen Familie aus der Heimat verbannt worden. Ihr werdet dann begreifen, daà ich Eurem Unglßck nicht gefßhllos gegenßberstehe.
Wie kann ich Euch danken, mein einziger, liebster Wohltäter? Von Euren Lippen habe ich das erstemal Worte der Gßte gehÜrt, die mir galten. Das werde ich Euch nimmer vergessen. Und die Freunde, denen ich ja nun bald gegenßbertreten werde, hoffe ich, werden mir auch barmherzig sein.
ÂťDarf ich den Namen und den Wohnort dieser Freunde wissen?ÂŤ
Ich schwieg. Das war der Augenblick, der mir das GlĂźck auf immer bringen oder rauben muĂte. Ich rang nach Worten, um ihm alles einzugestehen, aber ich fand nicht die Kraft. Ich sank auf einen Stuhl und stĂśhnte laut. DrauĂen hĂśrte ich die Schritte der jungen Leute. Zeit war keine mehr zu verlieren. Ich ergriff die Hand des Greises und schrie: ÂťNun ist es Zeit, daĂ ich es sage. Helft mir und schĂźtzt mich! Ihr und die Euren sind die Freunde, die ich suche. VerlaĂt mich nicht in meiner Not!ÂŤ
ÂťGroĂer Gott!ÂŤ rief der alte Mann. ÂťWer seid Ihr?ÂŤ
In diesem Augenblick Ăśffnete sich die TĂźr des Zimmers und Safie, Felix und Agathe kamen herein. VerstĂśrt und entsetzt starrten sie mich an. Agathe sank um und Safie rannte aus dem Zimmer, unfähig, der Ohnmächtigen HĂźlfe zu leisten. Felix stĂźrzte auf mich zu und riĂ mich mit Ăźbermenschlicher Kraft von seinem Vater weg, an dessen Kniee ich mich geklammert hatte. Im ĂbermaĂ der Wut warf er mich zu Boden und schlug wie ein Rasender mit einem Stock auf mich ein. Ich hätte ihm ja leicht die Glieder auseinanderreiĂen kĂśnnen, wie es der LĂśwe mit der Gazelle tut. Aber das unendliche Leid nahm mir die Kraft. Ich sah, wie er den Arm zu einem neuen Schlag erhob, da sprang ich auf und rannte aus dem Hause. In der allgemeinen Verwirrung vergaĂ man mich zu verfolgen.

Kapitel 16
Verfluchter, doppelt verfluchter SchĂśpfer! Warum muĂte ich auch leben? Warum erlosch damals nicht der Funke, den du leichtfertig und frevelhaft entfachtest? Ich weiĂ nicht, wie es kam, daĂ ich nicht verzweifelte, sondern daĂ die GefĂźhle der Wut und der Rachsucht Ăźberwogen. Ich hätte am liebsten das Haus und seine Inwohner vernichtet und mich an deren Todesangst und Schmerzgeheul ergĂśtzt.
Als es Nacht wurde verlieĂ ich mein Asyl und wanderte in den Wald. Und nun, da ich die Entdeckung nicht mehr fĂźrchtete, machte ich meinem Weh in lautem BrĂźllen Luft. Ich war wie ein wildes Tier, das die Stäbe seines Käfigs zerbrochen hat. Ich rannte wie ein StĂźck Wild durch den Wald und zerstĂśrte alles, was mir in den Weg kam. Es war eine entsetzliche Nacht, die ich da drauĂen verbrachte. Die eiskalten Sterne funkelten, als wollten sie mich verhĂśhnen, und die Bäume schĂźttelten ihre nackten Arme Ăźber mir. Zuweilen ertĂśnte der Schrei eines Vogels durch die Stille. Alles war ruhig und friedlich auĂer mir selbst, denn ich trug, wie der bĂśse Feind, eine ganze HĂślle in meiner Brust. Und da ich nirgends Liebe finden konnte, so sehnte ich mich danach, ZerstĂśrung und VerwĂźstung rings um mich zu verbreiten und mich dann, auf den TrĂźmmern sitzend, darĂźber zu freuen.
Aber diese Gefßhle waren zu mächtig, als daà sie von allzulanger Dauer hätten sein kÜnnen; ich war auch kÜrperlich zu sehr ermßdet. Ich sank auf den feuchten Boden nieder und grßbelte ßber mein Elend nach. Unter den Millionen Menschen war nicht einer, auch nicht einer, der mir geholfen oder auch nur Mitleid mit mir gehabt hätte, und ich sollte gegen meine Feinde mild und gut sein? Nein! In diesem Augenblick erklärte ich dem ganzen verruchten Geschlecht Krieg bis aufs Messer, und besonders dem, der mich gebildet und an all dem unsäglichen Leid Schuld trug.
Nach Sonnenaufgang hĂśrte ich Menschenstimmen in der Nähe des Hauses und ich wuĂte, daĂ ich diesen Tag wohl nicht mehr in meinen Schuppen wĂźrde zurĂźckkehren kĂśnnen. Ich versteckte mich deshalb in ein wirres Dickicht und beschloĂ, die kommenden Stunden mich ganz der Betrachtung meiner Lage hinzugeben.
Der helle Sonnenschein und die reine Luft gaben mir einigermaĂen wieder das GefĂźhl der Ruhe. Und wenn ich mir so Ăźberlegte, was in de Laceys Hause vorgefallen war, konnte ich mir den Vorwurf nicht ersparen, daĂ ich zu voreilig mit meinen SchlĂźssen gewesen war. Jedenfalls hatte ich recht unklug gehandelt. Offenbar hatte die Unterhaltung mit mir dem alten Manne gefallen und es hätte gar keine Eile gehabt, mich den Blicken der Jungen auszusetzen. Ich hätte erst versuchen sollen, den alten de Lacey an mich zu fesseln und mich dann den jungen Leuten zu entdecken, wenn sie genĂźgend auf mein Kommen vorbereitet waren. Aber ich meinte, daĂ der Fehler wieder gut zu machen wäre, und beschloĂ nach reiflicher Ăberlegung, zu dem Hause zurĂźckzukehren, den Alten aufzusuchen und ihn durch meine eindringlichen Worte mir geneigt zu machen.
Diese Gedanken beruhigten mich und am Nachmittag versank ich in tiefen Schlaf. Friedliche Träume wollten mir allerdings nicht nahen, dazu war mein Blut noch zu erregt. Die schrecklichen Bilder des vorhergehenden Tages schwebten mir immer noch vor Augen. Ich sah, wie die Frauen flĂźchteten und Felix mich vom Vater wegriĂ. Ich erwachte, von Grauen geschĂźttelt. Da es schon Nacht geworden war, kroch ich aus meinem Versteck und begab mich auf die Nahrungssuche.
Nachdem ich meinen Hunger gestillt, lenkte ich meine Schritte auf wohlbekannten Pfaden zu dem Hause de Laceys. Dort war es still. Ich kroch in den Schuppen und erwartete mit Bangen die Stunde, zu der die Familie sich gewĂśhnlich zu erheben pflegte. Diese Stunde war nun längst vorĂźber. Die Sonne stieg hĂśher und hĂśher, aber von den Hausbewohnern lieĂ sich niemand blicken. Ich zitterte an allen Gliedern und die bange Frage quälte mich, ob denn da kein UnglĂźck geschehen sei. Im Hause war es finster und nicht das geringste Geräusch war zu vernehmen. Die UngewiĂheit verursachte mir gräĂliche Qualen.
PlĂśtzlich kamen zwei Landleute des Weges. Sie blieben vor dem Hause stehen und begannen, heftig gestikulierend, eine aufgeregte Unterhaltung. Ich konnte sie nicht verstehen, da sie sich in der Sprache des Landes unterhielten, die ja eine ganz andere war, als die meiner Freunde. Einige Zeit später kam Felix mit einem Begleiter. Ich war darĂźber sehr erstaunt, denn ich wuĂte, daĂ er das Haus heute noch nicht verlassen hatte, und konnte es kaum erwarten, aus seinem Gespräche zu erfahren, was da eigentlich vorgegangen sei.
ÂťBedenkt Ihr denn nicht,ÂŤ sagte sein Begleiter zu ihm, ÂťdaĂ Ihr die Miete fĂźr drei Monate umsonst zu zahlen habt und auĂerdem aller Eurer GartenfrĂźchte verlustig geht? Ich will mich nicht ungerecht bereichern und bitte Euch, noch ein paar Tage die Sache zu Ăźberlegen.ÂŤ
ÂťEs ist ganz zwecklos,ÂŤ erwiderte Felix, Âťwir kĂśnnen nie und nimmermehr dieses Haus bewohnen. Das Leben meines Vaters ist seit jenem schrecklichen Ereignis, von dem ich Euch berichtet, in äuĂerster Gefahr, und mein Weib und meine Schwester haben sich noch nicht von ihrem Entsetzen erholt. Ich bitte Euch, nicht weiter in mich zu dringen. Ergreift wieder Besitz von Eurem Eigentum und laĂt uns von diesem Platze fliehen.ÂŤ
Felix zitterte an allen Gliedern, während er so sprach. Er und sein Begleiter begaben sich in das Innere des Hauses. Ganz kurze Zeit blieben sie darin und gingen dann zusammen fort. Seitdem habe ich niemand mehr von der Familie de Lacey gesehen.
Den Rest des Tages verbrachte ich in meinem Schuppen und gab mich der tiefsten Verzweiflung und dumpfem Schmerze hin. Meine BeschĂźtzer waren fort und hatten so das einzige Band zerrissen, das mich an die Welt fesselte. Es war das erste Mal, daĂ GefĂźhle der Rachsucht und des Hasses in meiner Brust Raum fanden, und ich gab mir keine MĂźhe sie zu unterdrĂźcken. Ich lieĂ mich von dem Strome tragen, der mich zu Verbrechen und Mord hinfĂźhrte. Der Gedanke an meine Freunde, an die milde Stimme des Greises, die schĂśnen Augen Agathes und an den Liebreiz Safies verdrängte immer wieder auf kurze Zeit meine bĂśsartigen GefĂźhle. Aber wenn ich mir Ăźberlegte, daĂ sie mich vertrieben, mich geschlagen hatten, dann kehrte die Wut wieder, eine maĂlose Wut; und da kein menschliches Wesen da war, an dem ich meine Raserei hätte austoben kĂśnnen; stĂźrzte ich mich auf Unbelebtes. Als es Nacht wurde schleppte ich alles Brennbare, dessen ich habhaft werden konnte, in der Nähe des Hauses zusammen und zerstĂśrte im Garten jede Spur der pflegenden Menschenhand. Dann wartete ich, bis der Mond unterging, um mein Werk zu vollenden.
Ein frischer Wind kam aus dem nächtlichen Walde und zerstreute die Wolken, die am Himmel hingen. Ich ergriff einen trockenen Ast, zßndete ihn an und tanzte dann wie ein Toller um das dem Verderben geweihte Haus. Immer wieder blickte ich nach dem westlichen Horizont, hinter dem der Mond schon zum Teil versunken war. Und als der glutrote Ball gänzlich untergetaucht war, warf ich mit lautem Schrei den Brand in die aufgehäufte Streu. Prasselnd schlugen die Flammen auf, umfluteten bald das ganze Gebäude und leckten, gepeitscht vom rauschenden Winde, mit ihren spitzen, zerstÜrenden Zungen an den Wänden hinauf.
Ich wartete nur so lange, bis ich erkannt hatte, daĂ keine Macht der Erde auch nur das Geringste noch zu retten vermochte, und verkroch mich dann in den Tiefen des Waldes.
Die weite Welt lag nun wieder vor mir, aber wohin sollte ich meine Schritte lenken? Jedenfalls wollte ich weit, weit fort von der Stätte meines MiĂgeschickes, denn fĂźr mich, den AusgestoĂenen und GehaĂten, war es ja gleich, welches Land mich aufnahm. SchlieĂlich aber dachte ich an dich. Ich wuĂte aus deinen Papieren, daĂ du mein Erzeuger, mein SchĂśpfer seist, und wem konnte ich mich wohl mit mehr Vertrauen nähern als dem, der mir das Leben gegeben? Der Unterricht, den Felix an Safie erteilt hatte, hatte sich auch auf Geographie erstreckt, und so hatte ich erfahren, welche Lage die Länder der Erde zu einander einnahmen. Ich hatte in deinen Aufzeichnungen gelesen, daĂ deine Heimatstadt Genf sei, und beschloĂ, zunächst dorthin die Wanderung anzutreten.
Es war sehr schwer fĂźr mich, mich zurechtzufinden. Ich kannte weder die Namen der Städte und Ortschaften, die ich zu passieren hatte, und durfte auch nicht damit rechnen, von einem menschlichen Wesen unterwegs Auskunft zu erhalten. Aber ich wuĂte ja, daĂ ich immer nach SĂźdwesten zu gehen hätte, und die Sonne war meine FĂźhrerin. Du warst der Einzige, von dem ich noch HĂźlfe erwarten konnte, wenn ich auch gegen dich nichts empfand als den bittersten HaĂ. Herzloser! Grausamer! Du hast mich mit GefĂźhlen und Empfindungen ausgestattet und dann warfst du mich auf die StraĂe, jedermann zum Spott und Entsetzen. Von dir allein hatte ich Mitleid und HĂźlfe zu erwarten und du allein konntest mir das geben, was ich von jedem anderen Wesen in Menschengestalt umsonst gefordert hätte.
Meine Reise war lang und Schweres hatte ich zu erdulden. Die Jahreszeit war schon weit fortgeschritten, als ich dem Erdenfleck, wo ich so lange gehaust, den RĂźcken wandte. Ich wanderte nur zur Nachtzeit, um keinem Menschen zu begegnen. Die Natur hatte sich schon zur Ruhe begeben und die Sonne hatte keine Kraft mehr. Regen und Schnee fielen nieder und die Bäche waren zu Eis erstarrt. Die Erde war hart, kalt und nackt und bot nichts, um mein mĂźdes Haupt hinzulegen. O Erde, wie oft habe ich dir geflucht und dem, der mich schuf! Meine natĂźrliche GutmĂźtigkeit war dahin und hatte sich in Gift und Galle verwandelt. Je näher ich deiner Heimat kam, desto heiĂer erwachte die Sehnsucht nach furchtbarer Rache. Schnee und Eis hielten meinen Schritt nicht auf. Im groĂen und ganzen war es wohl nur Zufall, daĂ ich mich zurechtfand. Mein Wunsch, dir gegenĂźberzutreten, ward immer heftiger und beschleunigte meine Schritte, und jedes Hindernis, das sich mir in den Weg stellte, gab meiner Wut und meinem Zorn nur noch mehr Nahrung. Und ein Abenteuer, das ich erlebte, als ich die Schweizer Grenze erreichte â es war schon wieder warm geworden und die Erde hatte ihr grĂźnes Kleid angelegt â war besonders geeignet, meine Bitterkeit und meine Wut aufs hĂśchste zu steigern.
Wie ich schon erwähnte, pflegte ich nur des Nachts zu wandern und des Tages zu ruhen, um ungesehen zu bleiben. Eines Morgens aber entschloĂ ich mich doch, meinen Weg weiter fortzusetzen, da er, wie ich bemerkte, durch dichtes Holz fĂźhrte, so daĂ ich das Antlitz des Tages nicht zu scheuen hatte. Es war ein herrlicher FrĂźhlingstag und selbst ich empfand wohltuend den warmen Sonnenschein und die milde Luft. Und ich fĂźhlte sogar Freude und Behagen, die ich in mir vollkommen gestorben wähnte. Halb Ăźberrascht davon, gab ich mich ihrem Zauber hin und wagte es, meine Einsamkeit und HäĂlichkeit vergessend, glĂźcklich zu sein. Lindernde Tränen rannen mir die Wangen herab und ich erhob dankend meinen Blick zu der lachenden Sonne, die das Wunder in mir gewirkt hatte.
Ich wand mich vorsichtig auf den Waldwegen dahin, bis ich an eine Schlucht kam, durch die ein wilder Bach dahinbrauste. Die Uferbäume hingen ihre sprossenden Zweige in die klare, frische Flut. Ich blieb einen Augenblick stehen, um mir zu Ăźberlegen, wie ich weiter käme als ich Stimmen vernahm. Rasch verbarg ich mich unter einem dichten Baum. Kaum war das geschehen, als ein junges Mädchen in vollem Laufe dahereilte. Sie lachte laut und herzlich, als spotte sie eines Verfolgers. Sie lief dann am Ufer entlang. PlĂśtzlich glitt sie aus und stĂźrzte in die Fluten. Ich sprang aus meinem Versteck ihr nach und brachte sie mit groĂer MĂźhe aufs Trockene. Sie war bewuĂtlos und ich bemĂźhte mich, sie wieder ins Leben zurĂźckzurufen, als sich ein Landmann näherte, wahrscheinlich der, vor dem sie geflohen war. Kaum hatte er mich erblickt, so drang er schon auf mich ein, riĂ das Mädchen aus meinen Armen und zog sich eilig mit ihr tiefer ins GehĂślz zurĂźck. Ich rannte ihm nach, warum weiĂ ich heute noch nicht. Als der Mann bemerkte, daĂ ich ihm folgte, riĂ er seine Flinte von der Schulter, zielte auf mich und schoĂ. Ich sank zu Boden und sah meinen Gegner gerade noch im dichten Walde verschwinden.
Das also war der Lohn fĂźr das Gute, was ich getan! Ich hatte einen Menschen vor dem sicheren Tode gerettet; dafĂźr hatte ein GeschoĂ mein Fleisch durchbohrt und einen Knochen zerschmettert. Die Schmerzen, die meine Wunde verursachte, lieĂen mich rasch die frohen GefĂźhle vergessen, die ich noch kurz vorher gehegt, und in mir erwachte wieder eine hĂśllische Wut, die meine Zähne knirschend aufeinanderpreĂte. Gepeinigt von gräĂlichen Schmerzen schwor ich dem ganzen verhaĂten Geschlecht der Menschen ewige Rache.
Einige Wochen fĂźhrte ich ein elendes Dasein in den Wäldern, bemĂźht, meine Wunde zu kurieren. Die Kugel war in die Schulter eingedrungen und ich wuĂte nicht, saĂ sie da noch fest oder war sie hindurchgegangen. Jedenfalls hatte ich keine MĂśglichkeit sie zu entfernen. Am meisten schmerzte es mich, daĂ es Undank und Ungerechtigkeit waren, denen ich diese Leiden zu verdanken hatte. Mein Wunsch nach Rache, nach furchtbarer, tĂśdlicher Rache wuchs von Tag zu Tag. Umsonst wollte ich diese Kränkungen und Qualen nicht erduldet haben.
Es dauerte einige Wochen, bis meine Wunde geheilt war; dann setzte ich meine Wanderung fort. Auch die liebliche Sonne und das milde Wehen des FrĂźhlingswindes waren nicht mehr imstande, die Glut meiner RachegefĂźhle zu besänftigen. Alles Liebliche schien mir wie ein Hohn, der mich mit Verzweiflung erfĂźllte und mich nur noch mehr fĂźhlen lieĂ, daĂ ich nicht zur Freude auf dieser Erde war.
Allmählich näherte ich mich meinem ersehnten Ziele. Nach etwa zwei Monaten hatte ich Genf erreicht.
Es war Abend, als ich ankam, und ich suchte mir sogleich ein Versteck, in dem ich darĂźber nachdachte, wie ich mich dir am besten bemerkbar machen kĂśnnte. Ich litt Hunger und Durst und war viel zu mĂźde und elend, um mich an dem schĂśnen Abend und der Pracht des Sonnenunterganges zu erfreuen.
Ein wohltuender Schlummer hatte sich meiner bemächtigt und mich von meinen qualvollen Gedanken erlĂśst, als ich plĂśtzlich wieder aufgeschreckt wurde. Ein hĂźbsches Kind kam auf den Platz zugelaufen, wo ich mich verborgen hielt. Als ich es erblickte, tauchte in mir eine Idee auf. Das Kind war noch ohne Vorurteil und hatte noch zu kurz gelebt, um meine MiĂgestalt als etwas Schreckliches aufzufassen. Wenn es mir also gelänge, den Kleinen zu ergreifen und ihn mir als Genossen und Freund heranzuziehen, wĂźrde mein Dasein nicht mehr so traurig und ich nicht mehr so allein sein auf der Erde.
Ich ergriff deshalb den Knaben, als er an meinem Versteck vorbeiging, und zog ihn an mich. Kaum hatte er mich erblickt, schlug er die Hände vor das Gesicht und stieà einen schrillen Schrei aus. Ich rià ihm die Hände mit Gewalt von den Augen und sagte: Mein Kind, was soll das bedeuten? Ich will dir nichts tun; hÜre mich an!
Doch er wehrte sich aus Leibeskräften. ÂťLaĂ mich, du Ungeheuer!ÂŤ schrie er. ÂťDu häĂlicher Mann! Du willst mich auffressen und mich in StĂźcke zerreiĂen, du bist ein Menschenfresser laĂ mich, oder ich sage es Papa!ÂŤ
ÂťAber, mein Liebling, du wirst deinen Vater nie wieder sehen, du kommst mit mir.ÂŤ
ÂťDu greulicher Mensch, laĂ mich. Papa ist Richter. Er heiĂt Frankenstein. Er wird dich bestrafen. Du muĂt mich loslassen!ÂŤ
ÂťFrankenstein heiĂt du? Dann gehĂśrst du also zu meinen Feinden, zu dem, dem ich ewige Rache geschworen. Du wirst mein erstes Opfer sein.ÂŤ
Das Kind wehrte sich verzweifelt und schleuderte mir Schimpfnamen ins Gesicht, daĂ mein Herz erstarrte. Ich drĂźckte ihm die Kehle zu, um es zum Schweigen zu bringen, und im nächsten Augenblick taumelte es tot zu meinen FĂźĂen nieder.
Ich sah auf mein Opfer und mein Herz klopfte in hÜllischem Triumph. Ich klatschte in die Hände und rief: Auch ich kann Verzweiflung säen; meine Feinde sind nicht unverletzlich. Dieser Mord wird ihnen nahe gehen und mit tausend anderen Dingen werde ich sie quälen und vernichten.
Ich blickte noch einmal auf den kleinen Leichnam und sah an seinem Halse etwas Glitzerndes hängen. Ich griff danach. Es war das Bildnis eines wunderschĂśnen Weibes, dessen Liebreiz mich trotz meiner Wut bestrickte. Einige Augenblicke starrte ich auf die dunklen Augen, die von langen Wimpern beschattet wurden, und auf die frischen, roten Lippen. Ich wuĂte, daĂ ich fĂźr immer des GlĂźckes entbehren muĂte, das solch liebliche GeschĂśpfe gewähren, und daĂ das reizende Gesicht, hätte die Trägerin mich sehen kĂśnnen, im nächsten Augenblick den Ausdruck der Angst und des Ekels angenommen hätte.
Brauche ich dir zu sagen, daĂ dieser Gedanke meinen Zorn von neuem anstachelte? Ich wundere mich selbst, daĂ ich nicht, anstatt meinen Schmerz durch lautes BrĂźllen hinauszuschreien, mich auf die Menschheit stĂźrzte, um sie zu vernichten.
Ich verlieĂ die Stelle, auf der der Mord geschehen war, und suchte nach einem anderen Versteck, wo ich vor Entdeckung sicher war. Ich kam zu einem Stall, der mir leer schien. Als ich eintrat, erblickte ich ein Mädchen, das auf einem Strohhaufen schlief. Sie war jung und schĂśn, wenn auch nicht so schĂśn wie das Weib, dessen Bild ich noch in der Hand trug. Aber sie blĂźhte in der ganzen SchĂśnheit und Frische der Jugend. Hier lag eines der beglĂźckenden GeschĂśpfe, beglĂźckend fĂźr alle auĂer mir. Ich beugte mich Ăźber sie und flĂźsterte: ÂťWach auf, SĂźĂe, dein Liebster ist da, dein Liebster, der sein Leben dafĂźr gäbe, um einen Liebesblick aus deinen Augen zu empfangen, â wach auf.ÂŤ
Die Schläferin bewegte sich und ein Schauer Ăźberrieselte meinen Leib. Sollte ich sie wirklich wecken? Sie hätte jedenfalls bei meinem Anblick furchtbar geschrieen und man hätte den MĂśrder gefaĂt. Der Gedanke machte mich rasend; nicht ich sollte leiden, sondern sie. Ich habe den Mord begangen, weil ich das fĂźr immer missen muĂte, was sie zu gewähren hatte. Sie selbst ist an meinem Verbrechen mitschuldig und soll die gerechte Strafe dafĂźr erleiden! Aus Felix’ Unterricht an seine Geliebte hatte ich von den blutigen Gesetzen der Menschen erfahren und wuĂte, wie ich Unheil säen konnte. Ich steckte der Schläferin vorsichtig das Porträt in eine ihrer Kleidertaschen, und als sie sich bewegte, floh ich.
Einige Tage trieb ich mich noch in der Umgebung des Platzes umher, wo sich das alles ereignet hatte. Ich wuĂte nicht, sollte ich es noch versuchen mit dir zusammenzukommen oder meinem elenden Dasein ein Ende bereiten. SchlieĂlich suchte ich Zuflucht in diesen Bergen und durchstreifte ihre tiefsten Schluchten, verzehrt von einer brennenden Leidenschaft, die nur du allein befriedigen kannst. Du wirst diesen Platz nicht verlassen, ehe du mir versprochen hast, meine Bitte zu erfĂźllen. Ich bin allein und unglĂźcklich. Mit Menschen werde ich nie verkehren kĂśnnen, das habe ich gesehen; aber ein Wesen, das ebenso häĂlich und miĂgestaltet ist wie ich, wird mir seine Neigung nicht versagen. Meine Genossin muĂ von derselben Art sein wie ich und dieselben Mängel haben. Dieses Wesen muĂt du mir schaffen.

Kapitel 17
Der Dämon schwieg und heftete seine furchtbaren Augen auf mich, meine Antwort erwartend. Ich war so erstaunt und erschreckt, daà ich zuerst gar nicht imstande war, die Tragweite seines Wunsches zu ermessen. Er fuhr fort:
ÂťDu muĂt mir ein Weib schaffen, mit dem ich zusammen leben kann. Du allein kannst das und ich fordere es von dir; es ist mein Recht, das du mir nicht versagen darfst.ÂŤ
Der letzte Teil seiner Erzählung hatte in mir wieder den Haà gegen ihn erweckt, der bei der Schilderung seiner Erlebnisse mit der Familie de Lacey etwas eingeschlummert war und sogar einem gewissen Gefßhl der Teilnahme Platz gemacht hatte, dann aber brach ich wßtend los:
Das werde ich nicht, und keine Qual wird je ein Zugeständnis aus mir herauspressen. Du kannst mich verstßmmeln und tÜten, du kannst mich zum elendesten der Menschen machen, aber du wirst es nie so weit bringen, daà ich in meinen eigenen Augen wie ein Schurke dastehe. Ich soll ein solches Wesen schaffen, damit ihr vereint eure verruchte Bosheit auf die Welt loslassen kÜnnt? Aus meinen Augen! Meine Antwort hast du. Martere mich, aber glaube nicht, daà ich deinen Wunsch erfßlle.
ÂťDu bist im IrrtumÂŤ, erwiderte der Dämon. ÂťUnd anstatt dir zu drohen, bitte ich dich, meinen VernunftgrĂźnden dein Ohr zu leihen. Ich bin nur schlecht, weil ich elend bin. Verfolgen und hassen mich nicht alle, die mich erblicken? Du, mein SchĂśpfer, du wĂźrdest mich frohlockend in StĂźcke reiĂen. Sage mir, warum soll ich mit den Menschen mehr Mitleid haben als sie mit mir? Du wĂźrdest dich keines Mordes schuldig fĂźhlen, wenn du mich, das Werk deiner Hände, in eine dieser Eisspalten werfen und zerschmettern kĂśnntest. Soll ich jemand achten, der mich verachtet? Glaube mir, wenn jemand sich entschlieĂen kĂśnnte, gut gegen mich zu sein, ich wĂźrde es ihm mit Tränen der Dankbarkeit in den Augen danken und ihm alles Gute tun, was in meiner Macht stĂźnde. Aber das wird ja nie geschehen; die menschlichen Sinne bilden unĂźberwindliche Hindernisse. Doch gedenke ich nicht, mich ohne weiteres zu fĂźgen. Ich will mich fĂźr das Erlittene rächen. Wenn ich nicht Liebe einflĂśĂen kann, dann will ich Furcht und Entsetzen verbreiten. Und ganz besonders dir, meinem SchĂśpfer, meinem Erzfeind, schwĂśre ich unauslĂśschlichen HaĂ. HĂźte dich! Ich will an deinem Verderben arbeiten und nicht enden, ehe ich dich so unglĂźcklich gemacht, daĂ du der Stunde deiner Geburt fluchst.ÂŤ
Teuflische Wut leuchtete aus seinen Augen, als er dies sagte. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer unbeschreiblich schrecklichen Grimasse; aber rasch beherrschte er sich und fuhr ruhiger fort:
ÂťDoch ich hatte ja die Absicht, vernĂźnftig mit dir zu reden. Diese Leidenschaftlichkeit hat keinen Zweck, denn du bist dir ja doch nicht im klaren, daĂ du alles verschuldet hast. Ein einziger Mensch nur sollte mir sein Wohlwollen beweisen, und um dieses Einen willen wĂźrde ich Frieden schlieĂen mit seinem ganzen Geschlecht. Aber ich will nicht in Träumen schwelgen, die doch nie zur Wirklichkeit werden. Was ich von dir fordere ist gerechtfertigt und bescheiden. Ich verlange ein Wesen, das von mir geschlechtlich verschieden, aber ebenso häĂlich ist wie ich. Es ist nur wenig, was ich von dir erbitte, aber es ist mir genug. Wahr ist ja, daĂ wir Ungeheuer sind, die mit der Welt nichts zu schaffen haben; aber umso lieber werden wir einander sein. Wir werden kein glĂźckliches Leben fĂźhren, aber wir werden niemand etwas zu Leide tun. O mein SchĂśpfer, tu mir das zu Liebe; ich will dir fĂźr diese eine Wohltat unbegrenzt dankbar sein. LaĂ mich sehen, daĂ wenigstens ein lebendes Wesen Mitleid mit mir hat und schlage mir meine Bitte nicht ab.ÂŤ
Ich war erschĂźttert; dabei graute mir vor dem Gedanken an die etwaigen Folgen meiner Zustimmung. Aber ich fĂźhlte, daĂ in seinen Worten eine gewisse Logik lag. Aus seiner Erzählung und aus den GefĂźhlen, die er mir geoffenbart, konnte ich entnehmen, daĂ er ursprĂźnglich ein zartes Innenleben besaĂ. Schuldete ich ihm nicht, nachdem ich ihn einmal geschaffen, auch all das GlĂźck, das ich ihm bescheren konnte? Er merkte, daĂ ich schwankte, und fuhr fort:
Wenn du tust, um was ich dich bitte, sollst weder du noch irgend ein anderes menschliches Wesen fßrderhin noch etwas von mir hÜren. Ich will in die weiten Urwälder Sßdamerikas gehen. Meine Nahrung ist nicht die blutige der Menschen. Ich vernichte nicht Lämmer und Ziegen, um meinen Hunger zu stillen; Nßsse und Beeren genßgen mir. Da meine Genossin ebenso beschaffen sein wird wie ich, wird auch sie mit der gleichen Nahrung vorlieb nehmen. Wir werden uns unser Lager aus trockenen Blättern bereiten und die Sonne wird uns ebenso warm scheinen wie den Menschen. Das Bild, das ich dir von unserem kßnftigen Leben entwarf, ist gewià ein friedliches und harmloses, und nur in verbohrter Grausamkeit und starrem Eigensinn kannst du mir die Gewährung meiner Bitte versagen. Erbarmungslos warst du bisher gegen mich, aber nun sehe ich deine Augen in einem Schimmer von Mitgefßhl leuchten. Laà diesen Augenblick nicht vorßbergehen, ohne mir zu versprechen, daà du das tun wirst, um was ich dich bat.
ÂťDu hast mir ja allerdings versprochen, mit deiner Genossin die Wohnstätten der Menschen zu fliehen und dich in jenen Gegenden niederzulassen, wo nur die Tiere der Wildnis deine Wege kreuzen. Aber wer gibt mir GewiĂheit, daĂ du, der du dich doch so sehr nach der Liebe der Menschen sehnst, es in deinem Asyl aushalten wirst? Du wirst zurĂźckkehren und dich wieder den Menschen zu nähern versuchen und wieder auf ihre Abneigung stoĂen. Dein HaĂ wird von neuem auflodern und du wirst dann nicht mehr allein sein bei deinem ZerstĂśrungswerke. Und das darf nicht sein; gib dir keine MĂźhe mehr, ich darf nicht ja sagen.ÂŤ
ÂťWie unverlässig sind doch eure GefĂźhle! Eben noch warst du fast gewonnen und nun verschlieĂest du dich plĂśtzlich wieder meinen Bitten. Ich schwĂśre dir bei der Erde die mich trägt, bei dir selbst, mein SchĂśpfer, daĂ ich mit meiner Genossin weit, weit fortgehen werde von den Plätzen, wo Menschen wohnen. Mein HaĂ wird dann verlĂśschen, wenn ich einmal nur Wohlwollen gegen mich sehe. Mein Leben wird in Ruhe dahinflieĂen, und wenn ich sterben muĂ, dann kann ich dankbar dessen gedenken, der mich geschaffen.ÂŤ
Seine Worte hatten eine merkwßrdige Wirkung. Er tat mir leid und ich hatte das Bedßrfnis ihm zu helfen. Aber wenn ich ihn ansah, diese sprechende und wandelnde Fleischmasse, dann ergriff Ekel und Entsetzen mein Herz. Ich versuchte diese Gefßhle der Abneigung zu unterdrßcken. Dann sagte ich mir, daà ich ihn ja nicht zu lieben brauchte, aber die Verpflichtung hätte, ihn nach meinen Kräften glßcklich zu machen. Und es war ja wenig genug, was er forderte.
ÂťDu hast geschworen, niemand mehr etwas zu Leide zu tun,ÂŤ sagte ich. ÂťAber hast du denn nicht schon so viel Bosheit gezeigt, daĂ ich dir mit Recht miĂtrauen darf? Kann das nicht eine Vorspiegelung sein, um deine Grausamkeiten nur noch in erhĂśhtem MaĂe ausĂźben zu kĂśnnen?ÂŤ
ÂťWas soll das heiĂen? Ich will nicht mit mir scherzen lassen, sondern ich verlange eine strikte Antwort. Wenn ich nicht Liebe finde, ist HaĂ und Verbrechen mein gutes Recht. Liebe allein vermag das Schlimme, das in mir lauert, zu verhĂźten, und ich werde ein GeschĂśpf werden, von dessen Existenz niemand eine Ahnung hat. Meine Verbrechen sind nur FrĂźchte der verhaĂten Einsamkeit und meine Tugenden werden dann zur vollen Geltung kommen, wenn ich mit einem Anderen mein Leben teilen kann. Ich werde mit einem fĂźhlenden Wesen zusammen sein und meine Existenz wird ein Glied bilden in der Kette der Existenzen und Ereignisse, wie ich es mir erhofft.ÂŤ
Ich dachte noch eine Zeitlang Ăźber alles nach, was er mir erzählt hatte, und erwog das FĂźr und Wider. Ich war mir klar, daĂ sein ursprĂźnglich gutmĂźtiges Wesen durch die schlechte Behandlung von Seiten aller, die ihm begegneten, verdorben worden war. Und in meinen Erwägungen spielten seine auĂergewĂśhnliche Kraft und die Drohungen, die er ausgestoĂen, eine bestimmende Rolle. Ein Wesen, das, wie er, in den EishĂśhlen der Gletscher wohnen und sich vor allen Verfolgungen in die unzugänglichsten Schroffen der Gebirge flĂźchten konnte, durfte nicht unterschätzt werden. Nach längerem ZĂśgern stand dann mein EntschluĂ fest, mit RĂźcksicht auf ihn selbst und besonders meine Mitmenschen seinen Wunsch zu erfĂźllen. Ich wandte mich zu ihm und sagte:
ÂťIch werde also deinen Willen tun. Aber du muĂt mir feierlich versprechen, daĂ du Europa und Ăźberhaupt jede von Menschen bewohnte Gegend sofort verläĂt, sobald ich dir das Weib Ăźbergebe, das dir in die Verbannung folgen soll.ÂŤ
ÂťIch schwĂśre es dir bei der Sonne, bei dem blauen Himmel und bei der heiĂen Glut, die in meinem Herzen lodert, daĂ du mich nimmer sehen sollst, wenn du mein Flehen erhĂśrt hast. Geh heim und beginne mit der Arbeit. Ich werde mit Sehnsucht ihren Fortschritt beobachten und erst dann mich wieder bei dir sehen lassen, wenn das Werk vollendet ist.ÂŤ
Nachdem er das gesagt, eilte er davon, so rasch er konnte, weil er vielleicht eine Sinnesänderung bei mir befĂźrchtete. Er sprang in groĂen Sätzen zu Tal und verschwand bald in den Schrunden des Eismeeres.
Seine Erzählung hatte den ganzen Tag in Anspruch genommen und die Sonne näherte sich schon dem Horizont, als er mich verlieĂ. Ich wuĂte, daĂ ich mich sehr zu beeilen hatte, wenn ich noch vor Einbruch vĂślliger Dunkelheit das Tal erreichen wollte. Aber mein Herz war schwer und meine Schritte langsam. Meine Kniee schmerzten beim Hinuntersteigen auf dem schmalen, gewundenen Gebirgspfad und meine Gedanken beschäftigten sich unaufhĂśrlich mit den seltsamen Ereignissen des Tages. Es war schon Nacht geworden, als ich zu einer Ruhebank neben einer Quelle kam. Ich lieĂ mich dort nieder, um ein wenig zu rasten. Die Wolken zogen eilends am Himmel dahin und zwischen ihnen blickten freundlich die Sterne. Dunkle Fichten, zwischen denen da und dort zerbrochene Stämme am Boden lagen, erhoben sich vor mir in die klare Nachtluft. Eine feierliche Ruhe herrschte rings um mich und ich fieberte fast vor Erregung. Bitterlich weinend rang ich die Hände und rief aus: ÂťO, ihr Sterne und Wolken und Winde, ihr seid nur da, um mich zu verhĂśhnen. Wenn ihr wirklich Mitleid mit mir habt, dann raubt mir GefĂźhl und Gedächtnis; laĂt mich zu Nichts werden. Aber wenn ihr das nicht kĂśnnt, dann laĂt mich allein, ganz allein!ÂŤ
Wilde Gedanken waren es, die mir mein Elend eingab. Ich kann es gar nicht sagen, wie das Glitzern der ewigen Sterne auf mich einwirkte, und auf jedes leise Säuseln des Windes lauschte ich angstvoll und gespannt, als sei es das Brausen eines glßhenden Sirocco, der mich hinwegfegen wollte.
Der Morgen dämmerte herauf, als ich Chamounix erreichte. Ich hielt mich nicht mehr auf, sondern setzte gleich meinen Weg nach Genf fort. Meine GefĂźhle lasteten mit furchtbarer Schwere auf mir. So kehrte ich heim und begrĂźĂte meine Familie. Mein verstĂśrtes und wildes Aussehen erschreckte sie. Aber ich gab auf alle Fragen keine Antwort; ich konnte nicht sprechen, denn ich stand wie unter einem unheimlichen Banne. Mir war, als hätte ich kein Recht mehr auf ihre Liebe, als dĂźrfte ich nimmer ihrer Gesellschaft froh werden. Und ich liebte sie doch so sehr; nur um sie zu retten hatte ich beschlossen, mich der abstoĂenden Arbeit noch einmal hinzugeben. Alles andere war mir wie ein Traum, und nur der Gedanke an das Grauenvolle, was mir bevorstand, starrte mich an wie ein Medusenhaupt.

Kapitel 18
Tag um Tag, Woche um Woche verflossen nach meiner Ankunft in Genf, und immer fand ich den Mut nicht, an mein Werk zu gehen. Ich fĂźrchtete mich vor dem verhaĂten Dämon, war aber nicht imstande, das Grauen zu Ăźberwinden, das ich gegen die mir aufgezwungene Arbeit empfand. Ich hatte unterdessen erfahren, daĂ ein englischer Philosoph Studien gemacht hatte, deren Kenntnis fĂźr das Gelingen meines Werkes wesentlich war, und hoffte ich von meinem Vater die Erlaubnis zu erhalten, zu diesem Zwecke England zu besuchen. Ich klammerte mich an jede Gelegenheit, die Sache hinauszuschieben, und zĂśgerte den ersten Schritt zur ErfĂźllung meines Versprechens zu tun. An mir selbst hatte sich eine wesentliche Ănderung vollzogen. Mein Gesundheitszustand, der bisher nicht der beste gewesen war, war bedeutend gĂźnstiger und mein GemĂźt war wieder heiterer geworden, wenn mich nicht gerade die Erinnerung an mein unseliges Vorhaben quälte. Mein Vater schien diese Veränderung mit Freuden zu bemerken und sann auf Mittel, meine trĂźben Gedanken, die hier und da wiederkehrten und wie dĂźstere Schatten sich vor mein kommendes GlĂźck stellten, gänzlich zu vertreiben. In diesen Augenblicken der Niedergeschlagenheit suchte ich in vollkommenster Einsamkeit meine Zuflucht. Ich verbrachte ganze Tage allein in einem Boote auf dem See, sah dem Fluge der Wolken zu und lauschte dem leisen Plätschern der Wellen am Kiel. Die frische Luft und der warme Sonnenschein verfehlten auch nie ihre Wirkung auf mein GemĂźt und ich konnte dann bei meiner Heimkehr die BegrĂźĂung der Meinen immer mit leichterem Herzen und mit froherem Sinne entgegennehmen.
Als ich wieder einmal von einem solchen Ausflug zurĂźckkehrte, nahm mich mein Vater auf die Seite und sagte:
ÂťIch habe mit groĂer Freude gemerkt, mein lieber Sohn, daĂ dein frĂźherer Frohsinn zurĂźckkehrt und du wieder der wirst, der du einst warst. Und dennoch bist du noch immer nicht ganz glĂźcklich und meidest unsere Gesellschaft. Längere Zeit konnte ich mir keinen Grund dafĂźr denken. Gestern aber kam mir eine Idee, und wenn etwas daran ist, so beschwĂśre ich dich, es mir zu gestehen. RĂźcksichtnahme in dieser Sache ist gar nicht angebracht, sondern wĂźrde nur noch mehr Unheil Ăźber uns bringen.ÂŤ
Ich zitterte bei dieser Einleitung, und mein Vater fuhr fort:
Ich muà dir ja gestehen, lieber Viktor, daà ich deine Verbindung mit unserer lieben Elisabeth stets als die KrÜnung unseres Glßcks anzusehen pflegte, als die Freude meines herannahenden Alters. Ihr habt einander von frßhester Jugend an gern gehabt, habt mit einander gelernt und scheint nach Anlagen und Geschmack wie fßr einander bestimmt. Aber so blind sind wir Menschen. Das, was ich fßr das beste hielt, um meine Zukunftspläne zu fÜrdern, war vielleicht am meisten geeignet ihnen entgegenzuarbeiten. Du hast sie jedenfalls nur als Schwester lieben gelernt und hegst gar nicht den Wunsch, sie als deine Frau zu besitzen. Ich glaube eher, daà du eine andere liebgewonnen hast und daà dich der Kampf deiner Liebe gegen die von dir bereits ßbernommene Pflicht so elend macht.
Du befindest dich im Irrtum, lieber Vater. Ich liebe Elisabeth herzlich und aufrichtig. Ich habe nie ein Weib kennen gelernt, das meine Bewunderung und Zuneigung so erregt hätte, wie es Elisabeth tut. Der Gedanke an meine Zukunft hängt eng mit dem an meine Verbindung mit ihr zusammen.
ÂťDas, was du mir sagst, macht mir mehr Freude, als ich sie seit langem empfunden. Wenn es so ist, dann werden wir sicherlich glĂźcklich werden, wenn auch Ăźber der Gegenwart noch die dĂźsteren Schatten der jĂźngsten Ereignisse lagern. Der Kummer hat uns alle so in seinen Bann gezogen, daĂ ich mit allen Mitteln ihn zu zerstreuen suchen muĂ. Sage mir also, ob du gegen die baldige Hochzeit etwas einzuwenden hast. Die unseligen Ereignisse lassen mich vorzeitig alt und schwach werden; und wenn ich das GlĂźck noch erleben soll, darfst du nicht mehr lange zĂśgern, es sei denn, daĂ irgendwelche Dispositionen bestehen, die dir zunächst die Heirat noch unerwĂźnscht erscheinen lassen. Nicht als ob ich dich drängen wollte. Nimm meine Worte so auf, wie sie gemeint sind, und antworte mir frei und offen.ÂŤ
Ich hatte meinem Vater schweigend zugehĂśrt und war lange nicht imstande, irgendetwas zu erwidern. In rasender Eile schossen mir alle mĂśglichen Gedanken durch den Kopf und ich war unfähig, zu einem endgĂźltigen EntschluĂ zu kommen. Die Idee meiner sofortigen Verbindung mit Elisabeth muĂte mir unter den obwaltenden Verhältnissen natĂźrlich Sorge und Unbehagen einflĂśĂen. Ich war durch ein feierliches Versprechen gebunden, das noch nicht eingelĂśst war, aber auch nicht gebrochen werden durfte. Oder wenn ich dies dennoch wagte, was stand alles mir und meinen Lieben bevor? Konnte ich das Freudenfest begehen mit der furchtbaren Last, die mir den Nacken beugte und mich zu Boden drĂźckte? Ich muĂte zuerst meiner Verpflichtung nachkommen und den Dämon mit seiner Genossin weit in die Welt hinausgesandt haben, ehe ich daran denken konnte, in der ersehnten Verbindung den lang entbehrten Frieden zu finden.
Ich Ăźberlegte, ob es notwendig sei, selbst nach England zu reisen, oder ob es genĂźge, brieflich mit jenem Philosophen in Verbindung zu treten, dessen Entdeckungen fĂźr das Gelingen meines Werkes von Bedeutung war. Die letztere Art, mir die gewĂźnschten AufschlĂźsse zu verschaffen, erschien mir ungenĂźgend und langwierig; auĂerdem hatte ich eine unĂźberwindliche Scheu davor, die gräĂliche Arbeit in meines Vaters Hause vorzunehmen, wo ich tagtäglich mit meinen Lieben zusammen war. Ich wuĂte, daĂ tausend kleine Zufälligkeiten mein Geheimnis aufdecken konnten und daĂ meinen AngehĂśrigen all die Erregungen und GemĂźtsbewegungen nicht entgehen wĂźrden, die meine grauenerregende Beschäftigung unbedingt im Gefolge haben muĂte. Es war also unumgänglich nĂśtig fortzugehen, um mein Versprechen zu erfĂźllen. Wenn ich einmal angefangen hatte, dann ging es ja rasch vorwärts und ich konnte ruhig und zufrieden in den SchoĂ meiner Familie zurĂźckkehren. Denn dann war auch der unheimliche Dämon Ăźber alle Berge oder aber â das wäre mir das Liebste gewesen â er war durch irgend einen Zufall vernichtet worden und ich meiner Sklaverei fĂźr immer ledig.
Das waren die Gesichtspunkte, die mir die Antwort an meinen Vater diktierten. Ich äuĂerte den Wunsch, vorher noch England besuchen zu dĂźrfen. Ich verbarg ja meine wahren BeweggrĂźnde sorgfältig, wuĂte aber mein Anliegen doch so dringend vorzubringen, daĂ mein Vater sich einverstanden erklärte. Er freute sich, daĂ ich nach einer so langen Periode tiefster Schwermut, die bereits an Irrsinn grenzte, wieder die Kraft gefunden hatte, eine solche Reise zu planen, und gab der Hoffnung Ausdruck, daĂ die immer wechselnden Bilder und die mannigfachen Zerstreuungen imstande sein wĂźrden, mich gänzlich wiederherzustellen.
Wie lange ich fortbleiben wollte, blieb vollkommen mir Ăźberlassen; man hielt einige Monate, hĂśchstens aber ein Jahr fĂźr ausreichend. In seiner groĂen GĂźte hatte mein Vater auch schon fĂźr einen Reisegenossen gesorgt. Ohne mich vorher zu benachrichtigen, hatte er in Ăbereinstimmung mit Elisabeth es so eingerichtet, daĂ Clerval in StraĂburg mit mir zusammentraf. Allerdings stĂśrte das insofern meine Pläne, als ich mir zur ErfĂźllung meiner Aufgabe vollkommene UngestĂśrtheit gewĂźnscht hätte. Jedenfalls konnte im Anfang meiner Reise die Anwesenheit meines Freundes keine StĂśrung bedeuten und hatte das Gute, daĂ mir Ăźber manche Stunde trĂźben NachgrĂźbelns hinweggeholfen wurde. Und dann war ja Henry ein Schutz gegen Einmischung meines Feindes. WĂźrde dieser nicht mein Alleinsein Ăśfters benĂźtzt haben, um mir seine verhaĂte Gesellschaft aufzudrängen, um mich anzuspornen und die Fortschritte meiner Arbeit zu kontrollieren?
Es stand also fest, daà ich nach England reisen sollte, und ebenso fest stand es, daà ich sofort nach meiner Rßckkehr Elisabeth heimfßhrte. Mein Vater war nicht mehr so jung, um VerzÜgerungen gleichmßtig hinzunehmen. Es wartete meiner die Entschädigung fßr all das Unbeschreibliche, was ich erlitten, und in den Armen meines Weibes durfte ich dann meiner drßckenden Sklaverei vergessen.
Während ich meine Reisevorbereitungen traf, erfĂźllte mich der Gedanke mit Angst und Sorge, daĂ ich meine Lieben den Angriffen des unbekannten Feindes ĂźberlieĂ, der vielleicht durch meine Abreise gereizt, deren GrĂźnde er nicht wuĂte, sich an mir wĂźrde rächen wollen. Andererseits hatte er mir versprochen, mir Ăźberallhin zu folgen. Sollte er vor einer Reise nach England zurĂźckschrecken? Der Gedanke daran war an sich schrecklich, aber es lag fĂźr mich eine gewisse Beruhigung darin, da ich ihn aus der Nähe der Meinen gerĂźckt wuĂte. Ich mochte gar nicht daran denken, daĂ das Gegenteil meiner Kombinationen eintreten kĂśnnte. Jedenfalls lieĂ ich mich von der Eingebung des Augenblicks leiten, die mir Ăźberzeugend zuflĂźsterte, daĂ der Dämon mir folgen und meine Familie unbehelligt lassen werde.
Es war in den letzten Tagen des September, als ich aufs neue mein Vaterhaus verlieĂ. Die Reise war mein eigener Wille gewesen und deshalb fĂźgte sich Elisabeth darein. Aber sie litt unter dem Gedanken, daĂ ich, fern von ihr, wieder eine Beute des Kummers und des Grames werden kĂśnnte. Ihre Idee war es gewesen, mir Clerval als Reisebegleiter zuzugesellen, denn wo eines Mannes Verstand schon lange zu Ende ist, findet eine kluge Frau immer noch Wege. Sie flehte mich an, recht rasch wieder heimzukehren, und sagte mir dann mit tränenerstickter Stimme Lebewohl.
Ich stieg in den Wagen, der mich entfĂźhren sollte. Ich vergaĂ, wohin ich ging, und lieĂ gleichgĂźltig alles Ăźber mich ergehen. Das Einzige, was mir noch einfiel, war die Anordnung, daĂ meine chemischen Apparate eingepackt und mir nachgesandt werden sollten. In trauriges Nachdenken versunken durchfuhr ich die herrliche Gebirgslandschaft; meine Augen waren starr und nicht fähig, irgend welche EindrĂźcke zu vermitteln. Ich dachte nur an das Ziel meiner Reise und das Werk, das meiner wartete.
Einige Tage vergingen so in trostloser GleichgĂźltigkeit. Endlich erreichte ich StraĂburg, woselbst ich zwei Tage auf Clerval zu warten hatte. Und er kam. Aber was fĂźr ein Unterschied bestand zwischen uns beiden. Er freute sich der Natur und war glĂźcklich, wenn er die Sonne glĂźhend untergehen oder sie rosig emporsteigen sah. Er machte mich auf die wechselnden Farben in der Landschaft und am Himmel aufmerksam. ÂťNun weiĂ ich, wie schĂśn das Leben ist! Und ich freue mich dieses Lebens!ÂŤ rief er aus. ÂťAber du, lieber Frankenstein, warum siehst du so traurig und besorgt in die Welt?ÂŤ Tatsächlich erfĂźllten mich quälende Gedanken und ich hatte keinen Sinn fĂźr das Aufleuchten des Abendsterns oder das goldige Blinken der Sonne in den Wellen des Rheins.

Kapitel 19
Unser nächstes Reiseziel war London. Wir hatten uns vorgenommen, einige Monate dort zu verbringen. Clerval war es sehr darum zu tun, mit all den Männern von Ruf zusammenzukommen; fßr mich allerdings standen andere Dinge im Vordergrunde. Ich wollte mir vor allem die nÜtigen Informationen holen, um dann unverzßglich ans Werk gehen zu kÜnnen. Ich beeilte mich deshalb, von den Empfehlungsbriefen an die namhaftesten Naturphilosophen, die man mir mitgegeben, Gebrauch zu machen.
Hätte ich diese Reise zur Zeit meiner ersten Studien, wo ich noch glßcklich war, unternommen, sie wäre mir sicherlich zu einer reich sprudelnden Quelle der Freude geworden. Aber nun lag ein dßsterer Schatten auf meinem Leben und ich besuchte die Leute nur deshalb, um mÜglichst viel von dem zu erfahren, war mir fßr die rasche Ausfßhrung meines Planes not tat. Fremde Gesichter waren mir eine Qual. Zwischen mir und meinen Nebenmenschen sah ich eine unßbersteigliche Schranke aufgerichtet, und diese Schranke war vom Blute Wilhelms und Justines befleckt. Die Erinnerung an die mit diesen Namen verknßpften Ereignisse erfßllten meine Seele mit namenloser Angst. Nur Henrys Stimme vermochte beruhigend auf mich einzuwirken und mir vorßbergehend Frieden zu verschaffen.
Das kam daher, daĂ ich in Clerval ein Abbild dessen sah, was ich frĂźher gewesen; er war wiĂbegierig und unermĂźdlich in seinem Streben nach Erfahrung und Belehrung. Auch er hatte einen Plan, er wollte nämlich Indien kennen lernen, weil er glaubte, daĂ er mit seinen Kenntnissen der Sprache und Kultur jenes Landes der europäischen Kolonisation und dem europäischen Handel nĂźtzlich sein kĂśnne. Nur in England, meinte er, sei es ihm mĂśglich, diesen Plan seiner Verwirklichung zuzufĂźhren. Er war viel beschäftigt, und das Einzige, was ihn stĂśrte, war mein bekĂźmmertes und trauriges Wesen. Ich versuchte allerdings, es mĂśglichst vor ihm zu verbergen, um ihm nicht den LebensgenuĂ zu verbittern, der ja so natĂźrlich ist fĂźr einen Mann, der in neue Verhältnisse kommt und den keine Sorgen und trĂźben Gedanken quälen. Ich vermied es Ăśfter ihn zu begleiten, indem ich andere Verabredungen vorschĂźtzte, um allein sein zu kĂśnnen. Ich begann allmählich das notwendige Material fĂźr meine neue SchĂśpfung zu sammeln und jede einzelne Tätigkeit in dieser Richtung bereitete mir Torturen, wie einzelne Wassertropfen, die unaufhĂśrlich auf jemandes Kopf herabfallen. Jeder Gedanke an mein Vorhaben erregte mein Grauen und jedes Wort, das ich darĂźber zu sprechen hatte, kam nur zĂśgernd von den zitternden Lippen, während mein Herz ängstlich klopfte.
Nachdem wir schon mehrer Monate in London geweilt hatten, erhielten wir einen Brief von einem Herrn aus Schottland, den wir frßher einmal in Genf kennen gelernt hatten. Er pries die SchÜnheiten seines Heimatlandes und frug an, ob diese nicht imstande seien, uns zu einer Ausdehnung unserer Reise in nÜrdlicher Richtung zu veranlassen, bis Perth, wo er seinen Wohnsitz hatte. Clerval redete mir eifrig zu, dieser Einladung Folge zu leisten, und ich selbst sehnte mich danach, wieder einmal Berge und Wasserfälle und all das SchÜne zu sehen, mit dem Mutter Natur ihre Lieblingsplätze zu schmßcken pflegt. So packte ich meine chemischen Apparate und das angesammelte Material zusammen, um meine Arbeiten dann in irgend einem entlegenen Winkel im Norden des schottischen Hochlandes zu vollenden.
Eine Woche später verlieĂen wir London. Mir tat der Aufbruch nicht leid. Hatte ich doch mein Vorhaben so lange hinausgeschoben, daĂ ich die Rache des enttäuschten Dämons zu fĂźrchten begann. Er konnte ja in der Schweiz zurĂźckgeblieben sein und nun seine Wut an den Meinen auslassen, die meines Schutzes entbehrten. Diese Vorstellung marterte mich und raubte mir Ruhe und Frieden. Mit fiebernder Ungeduld erwartete ich die Nachrichten von zu Hause. Wenn sie länger auf sich warten lieĂen, ergriff mich entsetzliche Angst und ich malte mir alles in den schwärzesten Farben aus. Und wenn dann wirklich ein Brief kam, wagte ich es kaum ihn zu Ăśffnen, weil ich fĂźrchtete, meine dĂźsteren Ahnungen bestätigt zu finden. Ăfter kam mir auch der Gedanke, daĂ mein Todfeind vielleicht in meiner nächsten Nähe sein kĂśnne und nur auf eine Gelegenheit wartete, meinen Freund zu ermorden, um sich fĂźr meine Säumigkeit zu rächen. Deshalb wollte ich auch Henry keinen Augenblick allein lassen, sondern folgte ihm wie sein Schatten, um ihm helfen zu kĂśnnen, wenn der Dämon sich auf ihn stĂźrzte. Mir war, als hätte ich ein furchtbares Verbrechen begangen, denn wenn ich auch tatsächlich unschuldig war, so hatte ich mir doch einen Fluch auf mein Haupt herabbeschworen, der vielleicht ebenso schwer auf mir lastete wie ein Verbrechen.
In Perth erwartete uns unser Gastfreund schon. Ich war nicht in der Laune, mit Fremden zu lachen und zu plaudern und brachte nicht den guten Humor mit, den man von seinen Gästen wohl erwarten darf. Ich bat deshalb Clerval, mich noch die Tour durch Schottland machen zu lassen, selbst aber hier zu bleiben, wo wir uns nach einem oder zwei Monaten wieder treffen wßrden. Sei vergnßgt und lasse mich allein mit meinen Gefßhlen, ich bitte dich darum. Nur kurze Zeit bedarf ich der Ruhe und der Einsamkeit; und wenn ich dann, wie ich hoffe, mit leichterem Herzen zurßckkehre, werde ich besser zu dir passen.
Henry versuchte mir meinen Plan auszureden; als er aber sah, daĂ ich fest blieb, gab er es auf. Er bat mich nur, ihm recht oft Nachricht zu geben. ÂťLieber ginge ich mit dir, mein Freund, und begleitete dich auf deinen einsamen Spaziergängen, als daĂ ich hier mit Leuten zusammenbleibe, die ich gar nicht kenne. Also beschleunige deine RĂźckkehr, damit ich mich einigermaĂen zu Hause fĂźhle, was ich ja ohne dich nicht kann.ÂŤ
Nachdem ich mich von meinem Freunde verabschiedet hatte, nahm ich mir vor, mich in irgend einen versteckten Winkel des schottischen Hochlandes zurĂźckzuziehen und dort in der Einsamkeit mein Werk zu vollenden. Ich rechnete bestimmt darauf, daĂ mein bĂśser Dämon sich stets in meiner Nähe hielt, um den Fortgang meiner Arbeit zu Ăźberwachen und seine Genossin schlieĂlich aus meinen Händen in Empfang zu nehmen.
Ich durchwanderte die nĂśrdlichen Teile des Hochlandes und wählte mir endlich eine der äuĂersten Orkneyinseln als Schauplatz meiner kommenden Tätigkeit aus. Dieses StĂźck Erde war fĂźr meinen Zweck wie geschaffen, denn die Insel war nur ein StĂźck Fels, aus dessen Rändern ewig brandende Wogen emporschlugen. Die Scholle war mager und kaum das Futter fĂźr ein paar dĂźrftige KĂźhe und das Mehl fĂźr die fĂźnf Bewohner, deren schlotternde, dĂźnne Glieder einen SchluĂ auf ihr armseliges Dasein zulieĂen. GemĂźse und Brot â falls einmal Bedarf nach solchen Luxusgegenständen vorhanden war â und selbst frisches Wasser muĂten auf dem fĂźnf Meilen entfernten Festland geholt werden.
Drei armselige Hßtten standen auf der Insel, von denen die eine unbewohnt war. Diese mietete ich. Sie enthielt nur zwei Zimmer, die verwahrlost und schmutzig waren. Das Dach war eingefallen, die Wände waren nicht verputzt und die Tßr hing aus den Angeln. Ich lieà alles reparieren, sorgte fßr einige Einrichtungsgegenstände und bezog mein neues Heim; ein Ereignis, das sicherlich einiges Aufsehen hätte erregen mßssen, wären diese armen Menschen nicht vor Elend und Schmutz vÜllig verdummt gewesen. Jedenfalls konnte ich auf diese Weise unbeobachtet und ungestÜrt leben, kaum daà man mir fßr die Almosen, die ich an Nahrungsmitteln und Kleidern gab, dankte.
In diesem meinen Versteck widmete ich den Morgen der Arbeit, den Abend verbrachte ich, wenn es das Wetter zulieĂ, mit einem Spaziergang an der steinigen KĂźste, um dem BrĂźllen und Tosen der Wogen zu meinen FĂźĂen zuzuhĂśren. Die Szenerie war monoton, aber immer anziehend. Ich gedachte meiner Schweizer Heimat, die sich so sehr von dieser Ăśden, trostlosen Landschaft unterschied. Dort waren die HĂźgel mit Wein bewachsen, und dichtbevĂślkert sind die Täler. Die schĂśnen Seen spiegeln einen reinen, blauen Himmel wieder, und wenn StĂźrme sie aufwĂźhlen, so ist das wie ein Kinderspiel gegen das Rasen des riesigen Ozeans.
In dieser Weise beschäftigte ich mich, nachdem ich mich auf der Insel häuslich niedergelassen hatte. Aber je weiter meine Arbeit fortschritt, desto schrecklicher und ekelhafter wurde sie mir. Tagelang war ich oft nicht imstande mein Laboratorium zu betreten, und dann arbeitete ich manchmal wieder Tage und Nächte unausgesetzt, um mein Werk zu Ende zu bringen. Als ich das Experiment zum ersten Male ausfĂźhrte, hatte mich ein fanatischer Eifer Ăźber all das HäĂliche hinweggetäuscht; mein Geist war erfĂźllt von dem brennenden Wunsche, etwas GroĂes zu schaffen, und das Auge Ăźbersah dabei die schrecklichen Dinge. Nun aber, als ich mit klarem Verstande und vorurteilsfrei ans Werk ging, glaubte ich oft des Ekels nicht mehr Herr werden zu kĂśnnen.
Es ist nicht zu verwundern, daĂ ich in dieser Lage, gefesselt an eine verhaĂte Aufgabe, in der entsetzlichen EinĂśde, die mich nicht zu zerstreuen vermochte, nervĂśs und unruhig wurde. Jeden Augenblick meinte ich mit meinem Dämon zusammentreffen zu mĂźssen. Manchmal saĂ ich da, und heftete den Blick auf den Boden, in steter Angst, daĂ ich beim Erheben der Augen die gefĂźrchtete Kreatur vor mir auftauchen sehen werde. Ich hielt mich immer mĂśglichst in der Nähe der Menschen, weil ich hoffte, daĂ er sich dann nicht heranwagen werde, um seine Genossin von mir zu fordern.
Unterdessen arbeitete ich weiter und mein Werk war schon ziemlich gediehen. Ich sah seiner Vollendung voll zitternder Hoffnung entgegen, die aber untermischt war mit einer Vorahnung kommenden Leides, so daĂ mir das Blut im Herzen stockte.

Kapitel 20
Eines Abends saĂ ich in meinem Laboratorium. Die Sonne war untergegangen und der Mond stieg aus der See empor. Ich hatte nicht mehr genĂźgend Licht, um weiter zu arbeiten, und saĂ da, die Hände im SchoĂ, indem ich darĂźber nachdachte, ob ich mein Werk fĂźr heute liegen lassen oder noch einen Anlauf nehmen und es vollenden sollte. Dabei gingen mir allerlei seltsame Gedanken durch den Kopf und ich ward mir eigentlich zum ersten Male bewuĂt, welche Folgen mein Beginnen haben kĂśnnte. Drei Jahre frĂźher hatte ich mich ja schon in der gleichen Weise beschäftigt und ein Wesen geschaffen, dessen barbarische Grausamkeit mich tief unglĂźcklich gemacht und mein Gewissen fĂźr immer aufs Furchtbarste belastet hatte. Ich war nun daran, ein zweites GeschĂśpf zu bilden, von dessen Eigenschaften ich im voraus ja auch nichts wissen konnte. Es konnte noch viel tausendmal schlimmer werden als sein Vorgänger und ebenfalls an Mord und Grausamkeit seine Freude haben. Jener hatte ja geschworen, daĂ er sich aus dem Angesicht der Menschheit zurĂźckziehen und sich in irgend einer WĂźste verbergen werde. Aber wer bĂźrgte mir dafĂźr, daĂ die neue Kreatur sich dem Pakt, der vor ihrer Entstehung geschlossen ward, fĂźgen wĂźrde? Es war auch nicht unmĂśglich, daĂ die beiden Ungeheuer sich gegenseitig miĂfielen, denn mein Dämon hatte schon seinen eigenen Anblick hassen gelernt und war vielleicht enttäuscht, wenn ihm seine HäĂlichkeit in weiblicher Gestalt gegenĂźbertrat. Auch das neugeschaffene Weib konnte sich vielleicht entsetzt von der MiĂgestalt seines Genossen abwenden und an der menschlichen SchĂśnheit Gefallen finden. Mein Dämon war dann wieder allein, nur daĂ ihn das BewuĂtsein, sogar von seinesgleichen verabscheut zu werden, noch rasender machte.
Und wenn sie nun wirklich aneinander Gefallen fanden und zusammen Europa verlieĂen, war es da nicht selbstverständlich, daĂ ihrer Verbindung Nachkommenschaft entsprang? Und war dieses Geschlecht von Teufeln nicht ganz geeignet, die Existenz des Menschengeschlechts zu gefährden, sie zumindest aber zu einer schreckensvollen zu machen? Durfte ich um meinetwillen einen solchen Fluch auf die kommenden Generationen laden? Ich hatte mich durch die Sophismen des Dämons bestimmen lassen und seine fĂźrchterlichen Drohungen hatten meinen Widerstand gebrochen. Nun kam mir zum ersten Male die ganze Verruchtheit meines Versprechens zum BewuĂtsein. Ich schauderte bei dem Gedanken, daĂ man in späteren Zeiten meinem Andenken fluchen werde, als dem eines Mannes, der um seines eigenen Friedens willen die ganze Existenz der Menschheit verkauft hatte.
Ich zitterte und mein Herzschlag stockte, und als ich aufsah, stand am Fenster â mein Dämon! Ein teuflisches Grinsen verzerrte sein Antlitz, wie er mich an der Arbeit sah, die er mir aufgezwungen. Also war er mit tatsächlich gefolgt. Er hatte sich in Wäldern und HĂśhlen versteckt gehalten und auf den weiten, trostlosen Haiden Zuflucht gesucht. Und nun war er da, um zu sehen, wie weit ich war, und um mich an die ErfĂźllung meines GelĂźbdes zu erinnern.
Als ich dieses Gesicht voll Bosheit und Grausamkeit erblickte, ergriff mich bei dem Gedanken, daà ich mich verpflichtet hatte, ein ihm ähnliches Wesen zu schaffen, eine furchtbare Raserei und ich zertrßmmerte das Werk meiner Hände. Der Dämon sah, wie ich das vernichtete, auf dessen kßnftige Existenz er seine ganzen Glßckshoffnungen aufgebaut hatte, und verschwand mit einem Geheul satanischer Rachsucht vom Fenster. Ich verlieà das Laboratorium, verschloà dessen Tßr und legte mir selbst das Gelßbde ab, diese Arbeit nie wieder aufzunehmen. Dann suchte ich mit schwankenden Schritten mein Schlafgemach auf. Ich war allein. Niemand in meiner Nähe, der sich bemßht hätte, das Dunkel zu lichten, das meine Seele umgab, und mir die quälenden Gesichte zu verscheuchen.
Einige Stunden stand ich so am Fenster und starrte auf die See hinaus. Sie war fast regungslos, denn unter dem sanften Schein des Mondes hatte sich der Wind wie die ganze Ăźbrige Natur schlafen gelegt. Auf der dunklen Wasserfläche lagen, noch um eine Nuance dunkler, einige Fischerboote, und zuweilen tĂśnten aus der Ferne die Rufe der Fischer herĂźber. Die tiefe Stille tat mir wohl, wenn ich mir dessen vielleicht auch nicht ganz bewuĂt wurde. PlĂśtzlich hĂśrte ich Ruderschläge am Ufer und Jemand landete in der Nähe meines Hauses.
Wenige Augenblicke später hÜrte ich ein Geräusch an meiner Tßr, als wenn man versuchte sie leise zu Üffnen. Ich zitterte am ganzen Leibe, denn ich hatte schon eine Ahnung, wer da Einlaà begehrte, und hätte am liebsten einen der Landleute gerufen, die nicht weit von mir wohnten. Aber ich hatte ein Gefßhl der Ohnmacht, das man zuweilen in schweren Träumen empfindet. Man mÜchte gern einem unheimlichen Verfolger entfliehen, kann aber nicht von der Stelle, als sei man festgewurzelt.
Dann hĂśrte ich schwere Tritte auf dem Flur. Die TĂźr Ăśffnete sich und herein trat der GefĂźrchtete. Er schloĂ hinter sich ab, kam auf mich zu und sagte mit sanfter Stimme:
Warum hast du dein begonnenes Werk zerstÜrt; was soll das bedeuten? Hast du im Sinne, dein Wort zu brechen? Ich habe Not und Elend erduldet. Ich bin mit dir von der Schweiz fortgegangen; ich wanderte verstohlen an den Ufern des Rheines entlang und ßberkletterte mßhsam die steilen Hßgel. Ich habe mich monatelang auf den Haiden Englands und den schottischen Steinwßsten verborgen gehalten. Ich habe keine Mßhsal, keinen Hunger, keine Kälte gescheut, um in deiner Nähe zu bleiben. Darfst du da meine ganzen Hoffnungen vernichten?
ÂťVerfluchter! NatĂźrlich breche ich mein Wort. Niemals werde ich mich dazu hergeben, ein Wesen zu schaffen, das dir an HäĂlichkeit und Verruchtheit gleicht!ÂŤ
ÂťElender Sklave! Darum also habe ich mich herbeigelassen, mit dir zu verhandeln? Aber vergiĂ nicht, daĂ ich dich in der Gewalt habe. Du meinst wirklich, du seist schon elend? Ich kann dich so unglĂźcklich machen, daĂ du den Tag verfluchst, an dem du das erste Mal das Licht der Welt sahest. Du bist mein SchĂśpfer, aber ich bin dein Gebieter. Du hast zu gehorchen!ÂŤ
Die Zeit meiner Unentschlossenheit ist nun vorßber und du kannst tun, was du willst. Deine Drohungen helfen gar nichts. Ich werde das Verbrechen nicht begehen, das du von mir forderst. Im Gegenteil, je mehr du drohst, desto fester bin ich entschlossen, dir keine Genossin zu schaffen. Soll ich kalten Blutes einen Dämon mehr auf die arme Welt loslassen, dessen Dasein Mord und Verderben bedeutet? Geh! Ich bleibe fest und deine Worte kÜnnen hÜchstens mich noch zornig machen!
Das Ungeheuer sah, daĂ ich festen Willens war, und knirschte in hilfloser Wut mit den Zähnen. ÂťSoll denn jeder Mensch,ÂŤ schrie er, Âťein Weib finden, das er in die Arme schlieĂen kann, und jedes Tier sein Weibchen haben? Und soll ich allein bleiben? Ich hatte das Beste gewollt und das vergilt man mir mit HaĂ und Abscheu. Meinetwegen hasse mich; aber sei auf der Hut! Dein Leben soll in Gram und Leid dahinflieĂen, und bald wird der Riegel fallen, der dich von aller Freude abschlieĂen soll. Du sollst nicht glĂźcklich sein, während ich nach einem biĂchen Licht und Freude schmachte. Du kannst alle meine WĂźnsche unterdrĂźcken, aber nicht meine Rache; die Rache soll mir heilig sein und mir vorgehen vor Sonne und Nahrung. Und wenn ich untergehe, dann muĂt vorher du, mein Tyrann, mein Quäler, dem Lichte geflucht haben, das deinem Elend geleuchtet. HĂźte dich! Ich fĂźrchte nichts und deshalb bin ich stark. Ich will listig wie eine Schlange warten, bis ich dir den Giftzahn ins Fleisch schlagen kann. Du sollst das Unrecht bereuen, das du an mir getan!ÂŤ
ÂťGeh, Satan, und vergifte nicht weiter die Luft mit dem Atem deiner Bosheit! Ich habe dir gesagt, was mein Wille ist, und nichts soll mich mehr zu einem Schurken machen, der an seinem Worte rĂźtteln läĂt. Geh! Ich bin unerbittlich!ÂŤ
ÂťNun gut; ich gehe. Aber verlasse dich darauf: in deiner Brautnacht werde ich bei dir sein.ÂŤ
Ich sprang auf ihn zu und schrie: ÂťElender! Ehe du mein Todesurteil sprichst, sieh zu, daĂ du selbst heil bist!ÂŤ
Ich wollte ihn ergreifen. Aber er entwand sich leicht meinen Händen und stßrzte eilig aus dem Hause. Ich sah ihn einige Augenblicke später in seinem Boote, das pfeilschnell durch die Wellen dahinschoà und sich bald im Dunkel verlor.
Nun war es wieder still um mich her, aber in meinen Ohren klangen seine Worte. Ich brannte vor Begierde, den Räuber meines Friedens zu verfolgen und ihn ins Meer zu stĂźrzen. In grĂśĂter Erregung eilte ich in meinem Zimmer auf und nieder und allerlei Gedanken fuhren mir wirr durch den Kopf. Warum war ich ihm nicht gleich nachgelaufen, um mich mit ihm im Kampfe auf Leben und Tod zu messen? Aber nun war es geschehen; er war mir entkommen und hatte sein Schiff dem Festland zugesteuert. Dann fielen mir wieder seine Worte ein: ÂťIch werde in deiner Brautnacht bei dir sein.ÂŤ Das also war der Tag, an dem sich mein Geschick entscheiden muĂte. Dann sollte ich sterben, ein Opfer seines Hasses. Ich empfand nicht die geringste Furcht; aber als ich daran dachte, wie meine arme Elisabeth leiden muĂte, wenn ihr der Geliebte von grausamer Hand hinweggerafft wurde, da flossen die Tränen â die ersten, die ich seit langer Zeit wieder geweint â Ăźber meine Wangen und ich schwor mir, nicht ohne erbitterten Kampf zu fallen.
Auch diese Nacht ging vorßber und leuchtend stieg die Sonne aus dem Meere empor. Ich wurde wieder ruhiger, wenn man den Zustand als Ruhe bezeichnen kann, in dem rasende Erregung der tiefsten Verzweiflung Platz macht. Ich verlieà das Haus, in dem sich die schreckliche Unterredung mit meinem Dämon abgespielt hatte, und begab mich an den Strand. Ich hatte den Wunsch, daà ich mein weiteres Leben auf dieser Üden Steinklippe hinbringen dßrfte; ein hartes Leben, das ist wahr, aber frei von jedem unerwarteten Schicksalsschlag. Wenn ich in meine Heimat zurßckkehrte, dann geschah es nur, um meinem Ende entgegenzugehen oder die meinen unter den grausamen Fingern des Dämons, dem ich selbst das Dasein gegeben, verbluten zu sehen.
Rastlos eilte ich am Ufer hin und her. Als es Mittag wurde und die Sonne schon hoch stand, warf ich mich ins Gras und verfiel in einen tiefen Schlaf. Ich hatte die ganze vorige Nacht gewacht; meine Nerven schmerzten und meine Augen waren entzßndet. Doch der Schlaf erquickte mich, und als ich wach wurde, fßhlte ich wieder, dass ich ein Mensch war wie die anderen. Das gab mir meine Fassung wieder, wenn auch die Worte meines Todfeindes noch in meinen Ohren klangen wie Grabgeläute, fern aber deutlich.
Die Sonne stand bereits tief am Horizont. Ich stillte eben meinen rasenden Hunger mit einigen BrĂśtchen, als ich ein Boot herankommen sah. Ein Mann der Besatzung sprang ans Land und Ăźbergab mir ein Paket. Es enthielt Briefe von Genf und einen weiteren von Clerval, der mich bat, zu ihm zu kommen. Er schrieb mir unter anderem auch, daĂ die Zeit, die er an seinem jetzigen Aufenthaltsort verbringe, fĂźr ihn nutzlos sei und daĂ die Freunde, die er in London gewonnen, ihm nahelegten, zurĂźckzukehren und die Vorbereitungen fĂźr die Reise nach Indien zu treffen. Er kĂśnne seine Abfahrt nicht länger hinausschieben; und da er seine groĂe Reise mĂśglichst rasch nach seiner Ankunft in London antreten wolle, mĂśchte ich mich beeilen, damit er noch recht viel mit mir zusammen sein kĂśnne. Er schlug mir vor, meinen Aufenthalt auf der Felseninsel sofort zu unterbrechen und in Perth mit ihm zusammenzutreffen, von wo aus wir dann die Fahrt nach London gemeinschaftlich machen wĂźrden. Dieser Brief erweckte meine Lebensgeister wieder vollständig und ich beschloĂ, spätestens in zwei Tagen der einsamen Insel Valet zu sagen.
Eine Aufgabe stand mir allerdings bevor, an die ich nur mit Schaudern denken konnte, nämlich die Verpackung meiner chemischen Utensilien. Zu diesem Zwecke war ich gezwungen, das Zimmer zu betreten und all die schauerlichen Dinge nochmals zu berĂźhren, deren Anblick mich schon krank machen wĂźrde. Am nächsten Morgen kurz nach Tagesanbruch raffte ich mich auf und Ăśffnete die TĂźr meines Laboratoriums. Die Reste des fast fertigen GeschĂśpfes, das ich zerstĂśrt hatte, lagen zerstreut auf der Diele umher und ich hatte das GefĂźhl, als hätte ich ein lebendes Wesen zerstĂźckelt. Ich muĂte einen Augenblick innehalten, um Mut zu fassen, und trat dann ein. Mit zitternden Händen trug ich die Instrumente aus dem Zimmer. Ich durfte aber auch die Ăberbleibsel meines Werkes nicht liegen lassen, um nicht den Schrecken und den Argwohn der Inselbewohner zu erregen. Ich legte deshalb alles in einen Korb und einige schwere Steine darauf, weil ich beabsichtigte, in der Nacht das Ganze ins Meer zu versenken. Dann setzte ich mich an den Strand, wo ich meine Instrumente reinigte und verpackte.
In meinem Inneren hatte sich, seit der Dämon mich heimgesucht, ein vollkommener Wandel vollzogen. Vorher hatte ich in dĂźsterer Resignation das Versprechen, das ich gegeben, als etwas angesehen, das unbedingt gehalten werden mĂźsse. Nun aber war es wie ein Schleier von meinen Augen gefallen und ich meinte, seit langer Zeit zum ersten Male wieder ganz klar zu sehen. Der Gedanke, mein Werk nochmals von vorn zu beginnen, war mir dabei gar nicht gekommen. Die Drohungen des Dämons lasteten zwar auf meinem GemĂźt, aber es fiel mir gar nicht ein, daĂ es in meiner Macht lag, diese gegenstandslos zu machen. Es stand in mir unerschĂźtterlich fest, daĂ ich mit der SchĂśpfung eines zweiten Wesens mir eine durchaus egoistische und grausame Handlungsweise hätte zuschulden kommen lassen, und ich wies jeden, auch den leisesten Gedanken zurĂźck, der mich in meiner Ăberzeugung hätte wankend machen kĂśnnen.
Morgens zwischen zwei und drei Uhr ging der Mond auf. Ich bestieg mit meinem Korbe ein kleines Boot und fuhr etwa vier Meilen weit in die See hinaus. Es war totenstill. Einige Schiffe segelten landwärts, aber ich hielt mich mĂśglichst weit von ihnen entfernt. Ich mied so ängstlich das Antlitz meiner Mitmenschen, als sei ich daran, ein schweres Verbrechen zu begehen. Als der Mond einige Zeit hinter einer dicken, schwarzen Wolke verschwand, hielt ich den richtigen Augenblick fĂźr gekommen und schleuderte den Korb mit seinem unheimlichen Inhalt in das dunkle Wasser. Gurgelnd sank er in die Tiefe und ich ruderte dann eilends davon. Der Himmel hatte sich unterdessen Ăźberzogen, aber die Luft war rein und kalt, da sich eine steife Nordostbrise erhob. Die Frische tat mir wohl und erfĂźllte mich mit Behagen, so daĂ ich beschloĂ, noch einige Zeit auf dem Wasser zu bleiben. Ich zog die Ruder ein und legte mich auf den Boden des Schiffes. Es war ganz finster geworden und das Plätschern der Wellen am Kiel tĂśnte beruhigend an mein Ohr, sodaĂ ich bald in tiefen Schlaf versank.
Wie lange ich mich da drauĂen hatte treiben lassen, weiĂ ich nicht. Jedenfalls stand die Sonne schon hoch am Himmel, als ich die Augen Ăśffnete. Der Wind war stärker geworden und schwere Wellen mit weiĂen Kämmen drohten mein kleines Boot zum Kentern zu bringen. Ich orientierte mich nach der Sonne und stellte fest, daĂ der Nordost noch anhielt und mich weit von der KĂźste abgetrieben zu haben schien. Zuerst beabsichtigte ich meinen Kurs zu ändern, erkannte aber, daĂ das unmĂśglich sei, weil bei diesem Versuch sofort mein Boot vollaufen muĂte. Ich muĂte mich also vor dem Winde treiben lassen. Ich muĂ gestehen, daĂ mir ziemlich unbehaglich zu Mute war. Ich hatte keinen KompaĂ bei mir, und da ich mit der Geographie jener Landstriche nicht sehr vertraut war, bildete die Orientierung nach der Sonne nur einen sehr unzuverlässigen Notbehelf. Wenn es mich hinaustrieb auf den Atlantischen Ozean, dann war mir der Hungertod sicher, wenn nicht vorher schon die Wogen, die sich rings um mich auftĂźrmten und an mein Boot klatschten, mich verschlangen. Ich war bereits ziemlich lange unterwegs und ein brennender Durst quälte mich. Ich starrte zum Himmel, Ăźber den in fliegender Hast Wolke auf Wolke dahineilte; ich starrte auf die WasserwĂźste, die Ăźber kurz oder lang mein Grab werden muĂte. ÂťNun bleibst du doch Sieger, du, mein Feind!ÂŤ rief ich in die Ăde hinaus. Ich dachte an Elisabeth, an meinen Vater, an Clerval, die ich schutzlos zurĂźcklieĂ und an denen der Dämon seinen Blutdurst und seine unerbittliche Rachsucht stillen wĂźrde. Der Gedanke erfĂźllte mich mit so furchtbarer Angst und mit solchem Entsetzen, daĂ noch jetzt, da sich schon der Vorhang Ăźber meiner TragĂśdie zu senken beginnt, mein Blut erstarrt.
Stunde um Stunde kroch so in tÜdlicher Langeweile dahin. Die Sonne näherte sich dem Horizont; der Wind flaute ab und die See begann sich zu glätten. Aber an die Stelle der rollenden Wogen trat eine starke Dßnung. Mir ward so ßbel, daà ich nicht mehr imstande war die Ruder zu fßhren. PlÜtzlich tauchte vor meinen Augen eine hohe Steilkßste auf.
Trotz meiner tiefen ErschĂśpfung rann mir bei dem BewuĂtsein meiner nahen Rettung frischer Lebensmut durch die Adern und Freudentränen flossen Ăźber meine Wangen herab.
Wie rasch sich doch unsere GefĂźhle ändern und wie seltsam es ist, daĂ wir selbst im äuĂersten Elend so sehr am Leben hängen! Aus meinem Mantel konstruierte ich mir ein Segel und steuerte auf das Land zu. Es war eine wilde FelsenkĂźste, die da vor mir lag; aber als ich näher kam, erkannte ich, daĂ ich in der Nähe menschlicher Wohnstätten war. Boote lagen am Ufer. Aufmerksam suchte ich mit den Augen die KĂźste ab und stieĂ einen Freudenschrei aus, als ich hinter einer felsigen Landzunge die Spitze eines Kirchturmes emporragen sah. Ich beschloĂ, direkt auf die Ansiedelung loszufahren, da ich hoffen konnte, dort am ehesten Speise und Trank zu erhalten. GlĂźcklicherweise hatte ich genug Geld bei mir. Als ich die Landzunge umfahren hatte, lag ein kleines, hĂźbsches Städtchen vor mir, und innige Freude zog durch mein Herz, wie ich in dem geschĂźtzten Hafen landete.
Ich war damit beschäftigt, mein Boot festzumachen und das Notsegel abzunehmen, als ich bemerkte, daĂ sich eine Anzahl Menschen herandrängte. Sie schienen sehr erstaunt Ăźber meine Ankunft. Aber anstatt mir behĂźlflich zu sein, flĂźsterten sie einander zu und machten Geberden, die mich unter anderen Umständen ernstlich beunruhigt hätten. Immerhin bemerkte ich, daĂ sie sich englisch unterhielten, und rief ihnen deshalb in dieser Sprache zu: ÂťHalloh, meine Freunde, wollt ihr so gut sein und mir sagen, wie die Stadt hier heiĂt?ÂŤ
ÂťDas werdet Ihr noch bald genug erfahren,ÂŤ entgegnete mir ein Mann mit rauher Stimme. ÂťEs kann recht gut sein, daĂ ihr an einem Platze gelandet seid, der nicht nach eurem Geschmack ist. Und man wird euch sicherlich nicht fragen, wo ihr wohnen wollt!ÂŤ
Ich war aufs äuĂerste Ăźberrascht, so ungastlich aufgenommen zu werden, und die dĂźsteren, wilden Gesichter der umherstehenden Menschen brachten mich aus der Fassung. ÂťWarum gebt ihr mir eine so grobe Antwort?ÂŤ fragte ich. ÂťEs ist doch sonst keine Gewohnheit der Engländer, Fremde in dieser Weise zu empfangen.ÂŤ
Ich weià nicht, was die Engländer fßr Gewohnheiten haben, sagte der unfreundliche Mann wieder. Aber die Iren haben die Gewohnheit, jeden Fremden zu hassen!
Während dieser unerquicklichen Auseinandersetzung bemerkte ich, daà sich immer mehr Leute ansammelten. Ihre Gesichter zeigten ein Gemisch von Neugierde und Wut, was mich unangenehm berßhrte und mich mit Sorge erfßllte. Ich fragte nach dem Gasthause, erhielt aber keine Antwort. Ich ging deshalb auf die Stadt zu, um mich allein zurechtzufinden, und die Menge schloà sich mir murmelnd und grollend an. PlÜtzlich kam ein unheimlich aussehender Kerl auf mich zu, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: Kommen Sie mit, Herr, zu Herrn Kirwin; Sie mßssen sich ßber Ihre Person ausweisen.
ÂťWer ist Herr Kirwin? Warum habe ich mich Ăźber meine Person auszuweisen? Ist das nicht ein freies Land?ÂŤ
ÂťJa, Herr, frei fĂźr ehrliche Leute. Herr Kirwin ist BĂźrgermeister, und Sie werden sich wegen des Todes eines Mannes zu verantworten haben, den man heute Nacht ermordet hier vorfand.ÂŤ
Diese Antwort erschreckte mich, aber ich faĂte mich rasch. Ich war unschuldig, das konnte ich mĂźhelos beweisen. Deshalb folgte ich der Aufforderung ohne weiteres und wurde nach einem der schĂśnsten Häuser der Stadt gebracht. Ich war am Umsinken vor Schwäche und Hunger. Aber in Anbetracht der Menge, die mich umgab, hielt ich es fĂźr geraten, meine ganze Kraft aufzubieten, damit mir nicht die Schwäche als ein Beweis der Schuld ausgelegt werde. Ich hatte ja keine Ahnung von dem Entsetzlichen, das mir die nächsten Augenblicke bringen muĂten und gegen das alle Schande und der Tod selbst ein Kinderspiel sind.
Ich muà einen Moment aussetzen, denn ich bedarf all meiner Kraft, um die schrecklichen Ereignisse, die nun folgten, geordnet erzählen zu kÜnnen.

Kapitel 21
Man fĂźhrte mich vor den BĂźrgermeister, einen alten, wohlwollenden Mann, dem Ruhe und Milde auf dem Gesicht geschrieben standen. Er sah mich zuerst streng an und fragte dann, wer sich als Zeuge in der Angelegenheit melden wolle.
Etwa ein Dutzend Männer traten vor. Der BĂźrgermeister befahl einem von ihnen, zu beginnen. Er erzählte, daĂ er in der vergangenen Nacht mit seinem Sohne und seinem Schwager Daniel Nugent etwa um zehn Uhr vor einer drohenden Nordbrise Schutz im Hafen gesucht habe. Es sei sehr dunkel gewesen, da der Mond noch nicht am Himmel stand. Sie seien nicht im Hafen selbst an Land gegangen, sondern, wie es ihre Gewohnheit war, in einer kleinen Bucht etwa zwei Meilen davon entfernt. Sie seien dann mit den Fischereigeräten ausgestiegen und am Strande entlang gegangen. PlĂśtzlich sei er mit dem FuĂe an etwas angestoĂen und der Länge nach in den Sand gefallen. Seine Begleiter wären dann mit den Laternen herbeigeeilt, um ihm zu helfen. Bei näherem Zusehen hätten sie dann entdeckt, daĂ ein Leichnam am Boden lag. Sie hätten zuerst vermutet, daĂ es ein Ertrunkener sei, den das Meer hier angeschwemmt; aber nach einer kurzen Untersuchung hätten sie festgestellt, daĂ die Kleider des Mannes gar nicht naĂ und der KĂśrper noch warm sei. Sie hätten ihn dann in die nahe gelegene HĂźtte einer alten Frau getragen und dort, allerdings vergebens, versucht, ihn ins Leben zurĂźckzurufen. Der Tote sei ein hĂźbscher Mann von etwa 25 Jahren gewesen. Er sei offenbar erwĂźrgt worden, denn auĂer schwarzen FingereindrĂźcken am Halse habe er kein Zeichen einer geschehenen Gewalttat finden kĂśnnen.
Der erste Teil der Darstellung interessierte mich keineswegs; als aber der FingereindrĂźcke Erwähnung getan wurde, dachte ich an die Ermordung meines Bruders und wurde auĂerordentlich erregt. Meine Kniee schwankten und vor den Augen wurde mir schwarz, so daĂ ich mich an einem Stuhle festhalten muĂte. Der BĂźrgermeister beobachtete mich sehr scharf und zog jedenfalls ungĂźnstige SchlĂźsse aus meinem Verhalten.
Der Sohn des Fischers bestätigte die Aussage des Alten. Als David Nugent aufgerufen ward, fßgte er hinzu, daà er beschwÜren kÜnne, gerade ehe sein Schwager zu Boden fiel, ein einzelnes Boot, nur mit einem Mann besetzt, nahe der Kßste gesehen zu haben. Das karge Licht hätte ja die Gegenstände nicht genau erkennen lassen, aber er mßsse sich sehr täuschen, wenn es nicht das gleiche Boot gewesen sei, mit dem ich vor kurzem angekommen war.
Eine Frau, die in der Nähe der KĂźste wohnte, gab an, daĂ sie etwa eine Stunde, ehe sie von der Auffindung des Leichnams hĂśrte, unter der TĂźr ihres Hauses gestanden sei, um nach den Fischern Ausschau zu halten, und daĂ sie ein Boot mit nur einem Mann Besatzung von dem gleichen Punkt der KĂźste hätte abstoĂen sehen, wo man später den Toten fand.
Eine andere Frau bestätigte die Angabe der Fischer, daà der KÜrper, den man ihr ins Haus gebracht, noch nicht kalt gewesen sei. Sie hätten ihn in ein Bett gelegt und abgerieben, und Daniel sei nach der Stadt zu einem Arzt gelaufen. Aber es sei zu spät gewesen.
Einige Leute wurden wegen meiner Landung vernommen. Sie sagten Ăźbereinstimmend aus, daĂ der heftige Nordwind mich recht gut wieder an die Stelle hätte zurĂźcktreiben kĂśnnen, von wo ich in See gestochen sei. AuĂerdem gaben sie an, sie hätten den Eindruck gehabt, als sei der Leichnam von einer anderen Stelle aus herbeigebracht worden, und daĂ ich wahrscheinlich, weil ich die KĂźste nicht kannte, keine Ahnung hatte, daĂ die Stadt so nahe am Tatort liege, und deshalb unbedenklich im Hafen gelandet sei.
Nachdem Kirwin das VerhĂśr beendet hatte, ordnete er an, daĂ ich in den Raum gefĂźhrt wĂźrde, wo der Leichnam aufgebahrt lag, um zu sehen, welchen Eindruck dieser Anblick auf mich machen wĂźrde. Wahrscheinlich war er auf diese Idee gekommen, weil er bemerkt hatte, wie sehr mich die Schilderung der Ereignisse angriff. Ich konnte nicht umhin zu fĂźhlen, daĂ sich die Beweiskette mĂźhelos schlieĂen lieĂ. Aber da ich ja an dem Abend, an dem man die Leiche gefunden hatte, noch mit mehreren Bewohnern meiner Insel gesprochen hatte, konnte ich verhältnismäĂig ruhig den Ereignissen ins Auge sehen.
Ich trat in das Zimmer, wo der Tote lag, und begab mich an den Sarg. Wie kĂśnnte ich die GefĂźhle schildern, die mich da ergriffen? Noch heute denke ich mit Entsetzen und Verzweiflung an diesen Augenblick. Das VerhĂśr, die Anwesenheit des BĂźrgermeisters und der Zeugen war mir wie ein Traum, als ich da vor mir den leblosen KĂśrper Clervals liegen sah. Ich rang nach Atem und warf mich schluchzend Ăźber den Leichnam. ÂťHat mein Wahnwitz nun auch dir das Leben gekostet, mein liebster Henry? Zwei fielen dem WĂźrger schon zum Opfer und der anderen wartet noch ihr grauenhaftes Schicksal; aber du, mein Freund, mein Wohltäter âŚÂŤ
Ich konnte das Leid nicht mehr ertragen und brach zusammen.
Ein heftiges Fieber war die Folge dieser tiefen Erregung. Zwei Monate lag ich zwischen Leben und Tod, und meine Fieberrasereien waren, wie man mir nachher erzählte, schrecklich. Ich beschuldigte mich selbst, Wilhelm und Justine und Clerval hingemordet zu haben. Ich flehte meine Wärter an, mir bei der Vernichtung des Dämons, der mich verfolgte, behßlflich zu sein. Dann fßhlte ich wieder den harten Griff des Ungeheuers an meinem Halse und brßllte in wahnsinniger Todesangst. Herr Kirwin war der einzige, der meine Muttersprache und damit auch das verstand, was ich in meinen Fieberphantasien sprach; die anderen mochten schon an meinen Krämpfen und meinem Geschrei genug haben.
Warum konnte ich nicht sterben? Elender als ich war nie ein Menschenkind gewesen. Warum ward mir nicht Vergessenheit und Ruhe zuteil? Welche ungeheure Widerstandskraft muĂte ich haben, um all das ertragen zu kĂśnnen, mit dem mich das Schicksal bedachte?
Aber ich war verdammt weiterzuleben und zwei Monate später erwachte ich zum BewuĂtsein. Ich fand mich auf einem schlechten Bett liegend; das Fenster war stark vergittert, die TĂźren doppelt und dreifach verriegelt und um mich brĂźtete das trostlose Halbdunkel einer Kerkerzelle. Es war Morgen, wenn ich mich recht erinnere. Ich hatte all die traurigen Ereignisse vergessen; aber als ich mich umsah, kam mir alles wieder ins Gedächtnis und ich weinte bitterlich.
Das Geräusch weckte eine alte Frau, die neben meinem Bette in einem Schaukelstuhl geschlafen hatte. Es war eine Wärterin, die Frau eines der Aufseher, und ihr Gesicht wies unverkennbar die charakteristischen Zßge dieser Menschenklasse auf. Es war hart und roh, wie abgestumpft von dem immerwährenden Anblick des Elendes. In gleichgßltigem Tone sprach sie mich auf englisch an, und mir war, als hätte ich diese Stimme während meiner Krankheit schon Üfter gehÜrt.
ÂťSind Sie wieder gesund, Herr?ÂŤ
Ich antwortete mit schwacher Stimme: Ich glaube, ich bin es. Aber wenn das, was mich umgibt, Wirklichkeit ist und kein bÜser Traum, dann wäre es mir bei Gott lieber, ich wäre nicht mehr zum Dasein erwacht.
Allerdings, sagte die Alte, glaube ich auch, daà es besser wäre, Sie wären abgefahren; denn es wird Ihnen nicht gut gehen. Aber das geht mich ja nichts an. Ich bin als Pflegerin Ihnen zugewiesen und habe mein MÜglichstes fßr Sie getan. Ich habe ein gutes Gewissen. Wenn nur Jeder ein solches hätte.
Ich wandte mich empĂśrt von der Frau ab, die mit einem kaum dem Tode entronnenen Menschen so herzlos sprechen konnte. Ich fĂźhlte mich schwach und niedergeschlagen und konnte mich nicht aufraffen, Ăźber das Geschehene nachzudenken. Mein ganzes Leben war wie mit einem Schleier bedeckt, so daĂ ich nicht glauben konnte, es sei Wirklichkeit.
Als ich dann imstande war, mir Rechenschaft abzulegen, wurde ich unruhig. Die Dunkelheit bedrĂźckte mich. Niemand war da, der mir die Hand gedrĂźckt oder ein liebevolles Wort mit mir gesprochen hätte. Der Arzt kam und verschrieb mir etwas, das die Wärterin zubereitete. Jener trug die äuĂerste GleichgĂźltigkeit gegen mich zur Schau, während das brutale Gesicht der letzteren Verachtung zum Ausdruck brachte. Wer konnte auch ein Interesse am Leben eines MĂśrders haben als der Henker, der seines Lohnes nicht verlustig gehen wollte?
Das waren meine Gedanken. Aber bald bemerkte ich, daĂ Herr Kirwin wirklich gĂźtig, fast väterlich fĂźr mich gesorgt hatte. Er hatte den besten Raum im ganzen Gefängnis â er war ja auch noch armselig genug â fĂźr mich herrichten lassen und mich in die Obhut eines Arztes und einer Wärterin gegeben. Er kam allerdings selten zu mir; denn wenn es auch sein Bestreben war, die Leiden der Menschen zu lindern, so scheute er sich doch, den Rasereien eines wahnsinnigen MĂśrders zuzuhĂśren. Er sah ja oft nach, ob ich nicht vernachlässigt wĂźrde; aber mich selbst besuchte er nur kurz und in langen Zwischenräumen.
Es war unterdessen etwas besser mit mir geworden. Ich saĂ in einem Lehnstuhl, die Augen halb geschlossen und mit totenfarbenem Gesicht. Tiefste Niedergeschlagenheit hatte sich meiner bemächtigt und ich Ăźberlegte mir Ăśfter, ob es nicht besser sei, den Tod zu suchen, als sich an ein Leben anzuklammern, das mir doch nur mehr unermeĂliches Leid zu geben hatte. Ich hatte weiter nichts zu tun, als mich schuldig zu bekennen, um, unschuldiger noch als damals Justine, dem Gesetz zu verfallen. Das waren meine Gedanken, als sich die TĂźre meiner Zelle Ăśffnete und Herr Kirwin eintrat. Sein Gesicht drĂźckte Mitleid und GĂźte aus. Er zog einen Stuhl neben den meinen und begann auf FranzĂśsisch:
ÂťIch glaube, Ihr Aufenthalt schadet Ihnen. Kann ich etwas fĂźr Ihre Bequemlichkeit tun?ÂŤ
ÂťIch danke Ihnen. Aber es hat ja doch keinen Zweck fĂźr mich, wie sollte ich mich auf Erden je noch wohl fĂźhlen kĂśnnen?ÂŤ
ÂťIch weiĂ, daĂ das Mitleid eines anderen Ihnen nur wenig Erleichterung bringen kann, nachdem Sie ein seltsames Geschick so tief niedergebeugt hat. Aber ich hoffe, daĂ Ihr GemĂźt bald wieder froher sein wird, denn es liegen unzweideutige Anzeichen vor, daĂ Sie von der Schuld freigesprochen werden mĂźssen.ÂŤ
ÂťDas ist meine geringste Sorge! Ich bin einmal durch eine Reihe ungewĂśhnlicher, schrecklicher Ereignisse zum elendesten Menschen geworden. Wem das Leben so mitgespielt, dem kann der Tod nichts FĂźrchterliches mehr bedeuten.ÂŤ
ÂťIch gebe zu, daĂ es nichts Schlimmeres geben kann als dieses seltsame Zusammentreffen von allerlei Umständen, die Sie aufregen und betrĂźben muĂten. Erst trägt Sie ein merkwĂźrdiger Zufall an eine KĂźste, deren Bewohner sonst weit und breit wegen ihrer Gastfreundlichkeit bekannt sind; man ergreift Sie und legt Ihnen einen Mord zur Last. Der erste Anblick, der sich Ihnen bietet, ist der Leichnam Ihres Freundes, der in so unbegreiflicher Weise ermordet wurde und den eine unbekannte Hand gerade dahingelegt haben muĂ, wo Sie landeten.ÂŤ
Bei all der Erregung, die ich empfand, als mir Herr Kirwin nochmals das Geschehene auffĂźhrte, fiel es mir doch auf, daĂ er so genau Ăźber mich informiert war. Er mochte mir diesen Gedanken vielleicht vom Gesicht abgelesen haben, denn er fĂźgte eilig hinzu:
ÂťKurz nachdem Sie erkrankt waren, brachte man mir Ihre Papiere. Ich suchte darin nach Angaben Ăźber Ihre Familie, damit ich diese von Ihrem MiĂgeschick und Ihrer Erkrankung benachrichtigen kĂśnnte. Ich fand auch einige Briefe, aus deren Anrede ich entnahm, daĂ sie von Ihrem Vater geschrieben waren. Ich schrieb sofort nach Genf â es sind nun fast zwei Monate. Aber Sie sind noch krank und zittern; ich darf Ihnen also keine Aufregung bereiten.ÂŤ
ÂťDie UngewiĂheit ist viel schlimmer als die grausamste Wirklichkeit. Erzählen Sie mir, wer ermordet wurde, wessen Tod ich nun zu beweinen habe.ÂŤ
ÂťIhre ganze Familie ist wohlauf,ÂŤ sagte Herr Kirwin gĂźtig, Âťund es ist jemand da, Sie zu besuchen.ÂŤ
Ich weià nicht wie es kam, aber ich glaubte, daà mein Dämon da sei, um sich ßber mein Unglßck zu freuen und mir Clervals Tod vorzuhalten; vielleicht in der Hoffnung, daà ich seinen satanischem Wßnschen nun entsprechen werde. Ich legte deshalb die Hand vor die Augen und schrie in furchtbarer Todesangst:
ÂťO schaffen Sie ihn fort! Ich kann ihn nicht sehen; um Gottes willen lassen Sie ihn nicht herein!ÂŤ
Herr Kirwin sah mich bekĂźmmert an. Er schien diesen GefĂźhlsausbruch fĂźr einen Beweis meiner Schuld zu halten und sagte in ernstem Tone:
ÂťIch hätte gedacht, junger Mann, daĂ Ihnen Ihr Vater sehr willkommen sein mĂźĂte; Sie aber weigern sich so heftig, ihn zu sehen?ÂŤ
ÂťMein Vater?ÂŤ rief ich, indem sich meine Angst in hohe Freude verwandelte. ÂťWirklich, mein Vater? Wie gut von ihm, daĂ er kommt. Aber wo ist er, warum läĂt man ihn nicht ein?ÂŤ
Der Bßrgermeister wurde nun wieder freundlicher und erhob sich, indem er der Wärterin einen Wink gab, die Zelle zu verlassen. Während sie beide hinausgingen, trat mein Vater ein.
Wie glĂźcklich war ich, das alte, liebe Gesicht zu sehen! Ich streckte meinem Vater die Hand entgegen und sagte:
ÂťAlso bist du gesund? Und wie geht es Elisabeth? Wie geht es Ernst?ÂŤ
Die Antwort meines Vaters beruhigte mich und ein schwacher Schimmer von Freude zog in mein gequältes Herz. Wo muà ich dich antreffen, mein armes Kind! sagte mein Vater, indem er traurig auf das vergitterte Fenster und die armselige Einrichtung blickte. Du hast uns verlassen, um dein Glßck zu suchen, aber es scheint kein Glßcksstern ßber dir zu leuchten. Und der arme Clerval!
Schwach, wie ich noch war, wurde ich vom Schmerz Ăźberwältigt, als ich diesen Namen hĂśrte, und aus meinen Augen floĂ ein heiĂer Tränenstrom.
Es ist leider wahr, lieber Vater, entgegnete ich, daà ein Unstern ßber mir schwebt, und ich scheine fßr ein ganz besonderes Schicksal bestimmt zu sein, sonst wäre ich am Sarge Henrys sicherlich gestorben.
Allzulange war es uns nicht vergĂśnnt beisammen zu bleiben, denn meine noch sehr schwache Gesundheit gebot äuĂerste Vorsicht. Herr Kirwin trat ein und riet mir, mich nicht allzusehr anzustrengen. Aber mein Vater war mein guter Engel gewesen und seiner Anwesenheit hatte ich meine Genesung zu verdanken.
Wenn auch meine Krankheit gewichen war, so konnte ich doch einer tiefen Melancholie nicht Herr werden. Ich sah immer noch Clerval vor mir, tot und bleich. Oftmals erregte mich die Erinnerung so stark, daà meine Freunde einen Rßckfall befßrchteten. Warum auch sorgten sie so fßr mein zerstÜrtes, elendes Dasein? Sicherlich nur deswegen, daà ich meinem Schicksal nicht entgehen konnte, das sich nun seiner Erfßllung näherte. Bald, sehr bald wird der Tod kommen und mich von der Qual befreien, die mich zu Boden drßckt. Damals war die Aussicht zu sterben sehr gering, und oft sehnte ich mich nach einem elementaren Ereignis, das mich und meinen Feind zu Staub zermalmte.
Unterdessen kam der Tag der Verhandlung näher. Ich war schon drei Monate im Gefängnis, und wenn ich mich auch vor Schwäche kaum auf den Beinen halten konnte, so muĂte ich doch eine Reise von nahezu hundert Meilen unternehmen, um die Hauptstadt der Grafschaft zu erreichen, wo der Gerichtshof tagte. Herr Kirwin hatte sich alle erdenkliche MĂźhe gegeben, Entlastungszeugen fĂźr mich beizubringen und mir einen tĂźchtigen Verteidiger zu besorgen. Allerdings blieb es mir erspart, als Angeklagter vor dem Gericht zu erscheinen, das Ăźber Leben und Tod entschied. Die vorsitzenden Richter hatten die Anklage fallen lassen, da erwiesen war, daĂ ich zu der Zeit, als der Leichnam meines Freundes gefunden ward, mich auf einer der Orkneyinseln aufhielt. Vierzehn Tage später war ich frei.
Mein Vater war ĂźberglĂźcklich, daĂ ich den Qualen eines VerhĂśrs entgangen war, daĂ ich wieder frische Luft atmen und bald in mein Heimatland zurĂźckkehren durfte. Ich konnte mich nicht in gleichem MaĂe freuen, denn in meinem GemĂźtszustande war mir das Leben verhaĂt, ob mich die Mauern eines Gefängnisses oder eines Palastes umgaben. Mein Dasein war auf ewig vergiftet; und wenn mir auch die Sonne leuchtete, wie all den frohen, glĂźcklichen Menschen um mich her, so umgab mich doch ein undurchdringliches Dunkel, durch das mir zwei Augen entgegenstarrten. Einmal waren es Henrys ausdrucksvolle Augen mit den langen, dunklen Wimpern, die im Tode gebrochen waren, ein andermal meinte ich die wässerigen Augen meines bĂśsen Dämons zu erkennen.
Mein Vater suchte mich auf jede Weise zu zerstreuen. Er erzählte mir von Genf, das ich nun bald wiedersehen sollte, von Elisabeth und von Ernst. Aber meine einzige Antwort waren tiefe, bange Seufzer. Zuweilen empfand ich wieder etwas wie Sehnsucht nach GlĂźck und dachte in schmerzlicher Freude an meine Geliebte; oder ich verlangte in furchtbarem Heimweh den blauen See und den reiĂenden Rhon wiederzusehen, die mir von meiner Kinderzeit her lieb und vertraut waren. Meistens aber befand ich mich in einem Zustande starrer GleichgĂźltigkeit, der nur selten mit AusbrĂźchen wilder Verzweiflung abwechselte. Oftmals faĂte ich in solchen Augenblicken den EntschluĂ, meinem verhaĂten Dasein ein Ende zu machen, und es bedurfte fortgesetzter Ăberwachung, um mich von dem letzten Schritt abzuhalten.
Nur das BewuĂtsein einer Pflicht hielt mich schlieĂlich davon ab, in meinem Egoismus den Qualen mich zu entziehen. Ich muĂte unverweilt nach Genf zurĂźckkehren, um Ăźber das Leben derer zu wachen, die mir lieber waren als alles auf der Welt. Ich muĂte dem MĂśrder auflauern, denn ich wollte unbedingt das häĂliche Gebilde, dem ich eine noch häĂlichere Seele eingehaucht, zerstĂśren, wenn es mir gelang, seinen Aufenthalt ausfindig zu machen oder wenn es wagte, mir noch einmal gegenĂźber zu treten. Mein Vater allerdings wĂźnschte mit der Abreise noch zu warten, weil er fĂźrchtete, daĂ ich den Anstrengungen der Reise nicht gewachsen sei. Denn ich war tatsächlich ein Wrack, nur ein Schatten meiner selbst, ein Skelett. Und heftige Fieber rĂźttelten immer wieder an meinem schwachen KĂśrper.
Da ich aber so sehr drängte, Irland zu verlassen, hielt es mein Vater schlieĂlich doch fĂźr das beste, nachzugeben. Wir machten die Reise an Bord eines Seglers, der nach Havre gehen sollte, und gingen vor einer frischen Brise in See, fort von der irischen KĂźste. Es war Mitternacht. Ich lag auf Deck, sah in die Sterne Ăźber mir und lauschte dem Plätschern der Wellen an den Schiffsplanken. Ich war froh, daĂ das Dunkel bald die Gestade Irlands meinen Blicken entzog, und mein Herz pochte stĂźrmisch, wenn ich daran dachte, daĂ die Heimat vor mir lag. Das Vergangene erschien mir dann wie ein dĂźsterer Traum; aber das Schiff, auf dem ich mich befand, der Wind, der von dem verwĂźnschten Irland her wehte, die Wasser rings um mich erzählten mir mit zwingender Sprache, daĂ alles Wahrheit sei, daĂ mein geliebter Clerval, mein treuester Freund, meiner wahnwitzigen SchĂśpfung und damit mir zum Opfer gefallen war. Mein ganzes Leben lieĂ ich in meinen Gedanken vor mir vorĂźberziehen: mein stilles GlĂźck, als ich noch im SchoĂe meiner Familie in Genf weilte; den Tod meiner Mutter und meine Abreise nach Ingolstadt. Ich erinnerte mich mit Schrecken des ĂźbernatĂźrlichen Eifers, der mich immer wieder anstachelte, meinen schlimmsten Feind zu schaffen, und der Nacht, in der das UngetĂźm Leben gewann. Weiter vermochte ich nicht mehr zu denken, sondern ich weinte bittere Tränen.
Seit ich von meinem Fieber einigermaĂen wiederhergestellt war, hatte ich mir angewĂśhnt, jeden Abend eine Dosis Laudanum zu mir zu nehmen, um auf diese Weise den zur Erhaltung meines Lebens nĂśtigen Schlaf zu ermĂśglichen. Da ich durch die Erinnerung an das Vergangene besonders erregt war, hatte ich an jenem Abend die doppelte Dosis eingenommen und schlief einen tiefen, bleiernen Schlaf. Von meinen Gedanken und Ăngsten vermochte er mich ja nicht ganz zu befreien, denn auch im Traume quälten mich alle erdenklichen Dinge. Gegen Morgen legte es sich auf mich wie ein Alb. Ich fĂźhlte den harten Griff meines Dämons an der Kehle und hatte nicht die Kraft, mich loszumachen; Weinen und Seufzen klang in meinen Ohren. Mein Vater, der mich bewachte, hatte gemerkt, daĂ ich unruhig war, und weckte mich. EintĂśnig schlugen die Wogen an den hĂślzernen Leib des Schiffes; der Himmel Ăźber uns war bedeckt. Mein Dämon war nicht hier. Das BewuĂtsein, daĂ jetzt in meinen Schicksalen eine Ruhepause eingetreten sei, gab mir ein GefĂźhl der Sicherheit, das ich schon lange nicht mehr kannte. Auf meine Seele senkte sich der Zustand friedlichen Vergessens hernieder, dem der Mensch ja besonders zugänglich ist.

Kapitel 22
Als wir gelandet waren, setzten wir die Reise nach Paris fort. Doch bald merkte ich, daĂ ich meine Kräfte doch Ăźberschätzt hatte und daĂ ich einige Tage Ruhe haben mĂźĂte, ehe ich imstande war weiterzufahren. UnermĂźdlich war mein Vater fĂźr mich besorgt; aber er wuĂte ja nicht, wo das Leiden herrĂźhrte, und versuchte es deshalb mit ganz ungeeigneten Heilmethoden. Er meinte, daĂ ich vielleicht in Gesellschaft mich zerstreuen wĂźrde, aber ich scheute die Menschen. Nicht daĂ ich sie verabscheut hätte, nein. Ich wuĂte, sie alle seien meine BrĂźder, und selbst fĂźr die Elendsten und Verworfensten unter ihnen hegte ich warme Liebe. Aber ich wuĂte, daĂ ich nicht wert war, unter ihnen zu weilen. Ich hatte einen Feind auf sie losgelassen, dessen Freude es war, ihr Blut zu vergieĂen und sich an ihren Schmerzen und Leiden zu ergĂśtzen. Entsetzt und empĂśrt mĂźĂten sie mich alle von sich stoĂen, wenn sie wĂźĂten, welches Verbrechen ich begangen und welche Greuel ich verursacht hatte.
Mein Vater gab schlieĂlich nach, als er sah, daĂ mir auf diese Weise auch nicht zu helfen war, und besann sich auf andere Mittel, um meine verzweifelte Stimmung zu vertreiben. Einmal fragte er mich, ob ich denn darunter so leide, daĂ man mich eines Mordes fĂźr schuldig gehalten habe, und suchte mich zu Ăźberzeugen, daĂ das eine ĂźbergroĂe Empfindlichkeit sei.
ÂťAch Gott, Vater,ÂŤ sagte ich, Âťwie wenig kennst du mich doch. Die ganze Menschheit wäre nichts mehr wert, wenn ein Verruchter, wie ich, empfindlich wäre. Justine, die arme, unglĂźckliche Justine war ebenso unschuldig wie ich und hatte dasselbe zu erleiden; und sie muĂte dafĂźr sogar auf das BlutgerĂźst steigen. Daran bin ich schuld! Ich habe sie so weit gebracht. Wilhelm, Justine und Henry â sie alle fielen durch meine Hand!ÂŤ
Schon während meiner Gefangenschaft hatte mein Vater dieses Geständnis Ăśfter gehĂśrt und hielt diese Selbstbeschuldigungen fĂźr eine Ausgeburt meiner immer noch kranken Phantasie. Ich vermied es, eine Erklärung zu geben, um nichts von dem Ungeheuer erwähnen zu mĂźssen, das ich geschaffen. Man hätte mich sicher fĂźr irrsinnig erklärt, und diese Aussicht allein band mir die Zunge. AuĂerdem wollte ich mein Geheimnis nicht offenbaren, das die Meinen mit ewiger Angst und tiefstem Grauen erfĂźllen muĂte. Ich unterdrĂźckte deshalb meine Sehnsucht nach MitgefĂźhl und schwieg, wenn ich am meisten das BedĂźrfnis fĂźhlte, das in die Welt hinauszuschreien, was mich so unglĂźcklich machte. Manchmal konnte ich nicht widerstehen, Worte, wie die erwähnten, auszusprechen und mir dadurch etwas Erleichterung zu verschaffen; aber ich hĂźtete mich, Erklärungen dazu zu geben.
Bei einer solchen Gelegenheit sagte mein Vater, aufs äuĂerste erstaunt: ÂťMein Junge, was sind das fĂźr Einbildungen? Ich bitte dich, lieber Viktor, sage doch so etwas nicht mehr.ÂŤ
Ich bin nicht wahnsinnig, rief ich energisch, der Himmel und die Sonne haben gesehen, was ich tat, und sind dessen Zeugen. Ich bin der MÜrder der armen Opfer; durch meine Hand fielen sie. Tausendmal lieber hätte ich mein Blut Tropfen um Tropfen hergegeben, wenn ich damit ihr Leben hätte retten kÜnnen. Aber ich konnte nicht, Vater, ich konnte nicht, wenn ich nicht das ganze menschliche Geschlecht verderben wollte.
Mein Vater konnte sich der Ăberzeugung nicht verschlieĂen, daĂ ich doch geistesgestĂśrt sein muĂte, und wechselte rasch das Gesprächsthema, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Er versuchte die Erinnerung an die Ereignisse, die sich in Irland abgespielt hatten, in meiner Erinnerung zu verwischen, indem er selbst nie davon sprach und auch nicht erlaubte, daĂ ich ihrer Erwähnung tat.
Mit der Zeit aber wurde ich doch etwas ruhiger. Nicht, als ob meine Seele von dem schweren Druck befreit gewesen wäre, aber ich vermochte mich so weit zu beherrschen, daĂ ich nicht mehr in so leidenschaftlicher Weise von meinem Verbrechen sprach. Ich hatte schon genug darunter zu leiden, daĂ ich mir seiner vĂśllig bewuĂt war. Mit dem Aufgebot äuĂerster Willenskraft unterdrĂźckte ich die Stimme in mir, die forderte, daĂ ich alles der ganzen Welt verkĂźndete, und ich war ruhiger und gefaĂter als je einmal seit dem Augenblick, der mich inmitten des Ăśden Eismeeres mit meinem Dämon zusammenfĂźhrte.
Wenige Tage, ehe wir Paris verlieĂen, um unsere Reise nach der Schweiz fortzusetzen, erhielt ich folgenden Brief von Elisabeth:
Genf, den 18. Mai 17..
Mein lieber Viktor! Mit der grĂśĂten Freude erfĂźllte mich Deines Vaters Brief aus Paris; denn nun weiĂ ich, daĂ Du nicht mehr allzuweit entfernt bist und in weniger als vierzehn Tagen bei mir sein wirst. Mein Geliebter, was muĂt Du gelitten haben! Jedenfalls siehst Du noch viel elender aus als damals, da Du Genf verlieĂest. Ich habe einen schlechten Winter hinter mir; denn Du kannst Dir denken, daĂ ich in der schrecklichsten Sorge um Dich war. Aber ich hoffe wenigstens, daĂ jetzt Friede und Ruhe in Deinem Herzen Einkehr gehalten haben.
Allerdings befĂźrchte ich, daĂ die GefĂźhle, die Dich schon vor einem Jahre so niederdrĂźckten, immer noch vorhanden sind, vielleicht noch vergrĂśĂert. Ich mĂśchte Dich nicht aufregen, da so viel Unheil auf Dir lastet. Aber eine Unterredung, die ich kurz vor Deiner Abreise mit Deinem Vater hatte, zwingt mich, Dich um eine Erklärung zu bitten, ehe wir uns wieder in die Augen sehen.
Erklärung, wirst Du sagen; was kann Elisabeth fĂźr eine Erklärung meinen? Nun, wenn Du so sagst, ist meine Frage ohnehin schon beantwortet, und meine Zweifel sind gelĂśst. Aber trotzdem muĂ auch ich Dir eine Erklärung geben, die sich nicht länger mehr hinausschieben läĂt. Nur hatte ich bisher nicht den Mut dazu.
Du weiĂt, geliebter Viktor, daĂ unsere Verbindung eine Lieblingsidee Deiner Eltern war, schon als wir noch in den Kinderschuhen steckten. Wir wuĂten es von Anfang nicht anders und lernten es als etwas Selbstverständliches betrachten. Wir waren treue Spielkameraden und gute Freunde, als wir älter wurden, wie oft Bruder und Schwester sich innig lieb haben, ohne je an eine Vereinigung zu denken, kĂśnnte dies nicht auch zwischen uns der Fall sein? Sage mir, lieber Viktor, antworte mir, ich beschwĂśre Dich bei unserem GlĂźck, offen und ehrlich â liebst Du nicht eine andere?
Du bist weit in der Welt herumgekommen, Du bist mehrere Jahre in Ingolstadt gewesen, und ich gestehe Dir, mein Freund, als ich Dich im letzten Herbst so unglĂźcklich, so menschenscheu sah, da drängte sich mir der Gedanke auf, Du kĂśnntest unsere Verbindung doch nicht als etwas WĂźnschenswertes betrachten und fĂźgtest Dich gegen Deine Meinung nur dem Willen Deines Vater. Aber ich weiĂ, es ist anders. Ich habe Dich ja so lieb und in meinen Träumen bist stets Du der Mittelpunkt gewesen, mein ständiger Begleiter. Da ich aber um Dein GlĂźck ebenso besorgt bin wie um mein eigenes, erkläre ich Dir unumwunden, daĂ unsere Ehe mich auf ewig unglĂźcklich machen mĂźĂte, wenn ich nicht der Ăberzeugung sein kĂśnnte, daĂ der EntschluĂ dazu Deinem freien Willen entsprang. Ich muĂ weinen, wenn ich daran denke, daĂ Du, nur um einer Pflicht zu genĂźgen, aller Hoffnung auf Liebe und GlĂźck entsagst, die Dir so bitter not tun. Ich, die ich Dich doch so uneigennĂźtzig liebe, wĂźrde mir mein Leben lang VorwĂźrfe machen, wenn ich mir sagen mĂźĂte, daĂ ich Deinen Plänen im Wege stand. Sei Ăźberzeugt, Viktor, daĂ Deine Freundin und Spielgenossin eine zu tiefe Liebe zu Dir im Herzen trägt, als daĂ sie nicht bei dieser Vorstellung leiden mĂźĂte. Sei glĂźcklich, mein Geliebter; und wenn ich weiĂ, daĂ Du es bist, dann soll nichts auf Erden meine Ruhe mehr stĂśren.
Dieser Brief soll Dir keine unangenehmen Verpflichtungen auferlegen. Antworte nicht, weder morgen noch in den nächsten Tagen, sondern erst, wenn Du hier bist. Ăber Dein Befinden hält mich Dein Vater auf dem Laufenden. Und wenn ich nur ein schwaches Lächeln um Deinen Mund sehe, wenn wir uns wieder gegenĂźbertreten, will ich zufrieden sein,
Deine Elisabeth Lavenza.
*
Dieser Brief erweckte in mir wieder den Gedanken an die Drohung meines Dämons: ÂťIch werde in deiner Brautnacht bei dir sein!ÂŤ Das war mein Todesurteil; in jener Nacht wĂźrde er sicherlich alle Mittel anwenden, um mich zu vernichten und mir so die MĂśglichkeit zu nehmen, in den Armen des GlĂźcks wieder zu genesen. In jener Nacht also wollte er mit meiner Ermordung seinen Greueltaten die Krone aufsetzen. Nun gut, sollte es so sein! Aber ohne ein verzweifeltes Ringen sollte es nicht abgehen. Blieb er Sieger, nun, dann hatte ich Frieden fĂźr immer und seine Macht Ăźber mich war zu Ende. WĂźrde er aber besiegt, dann war ich ein freier Mann. Allerdings was fĂźr eine Freiheit? Eine Freiheit, deren sich der Landmann erfreut, nachdem er gesehen hat, wie seine Familie hingeschlachtet, seine HĂźtte verbrannt, seine Felder verwĂźstet werden, und dann heimatlos, verarmt und allein, aber frei seines Weges zieht. Solcher Art wĂźrde dann meine Freiheit sein, nur daĂ ich an Elisabeth noch einen Schatz besaĂ, dessen Wert vielleicht in all den Gewissensbissen, in all dem SchuldbewuĂtsein, das mich bis zu meinem Ende bedrĂźckte, gar nicht zur Geltung kam.
SĂźĂe, heiĂgeliebte Elisabeth! Ich las ihren Brief, und las ihn immer wieder, und einige sanftere, frohere GefĂźhle schlichen sich in mein verarmtes Herz und gaukelten mir paradiesische Träume von GlĂźck und Liebe vor. Aber der Apfel war bereits gegessen und der Engel stand mit dem flammenden Schwert vor der Pforte. Gern hätte ich mein Leben hingegeben, um sie glĂźcklich zu machen. Wenn der Dämon seine Drohung ausfĂźhrte, so bedeutete das fĂźr mich, menschlichem Ermessen nach, den Tod, und meine Verheiratung muĂte also die ErfĂźllung meines Schicksals beschleunigen. Meine Vernichtung mochte meinetwegen ein paar Monate frĂźher kommen; denn wenn mein Peiniger merkte, daĂ ich, erschreckt durch seine Drohungen, meine Hochzeit hinausschob, fand er sicher bis dahin andere Mittel, um sich an mir zu rächen, viel grausamere vielleicht noch. Er hatte mir geschworen, in meiner Brautnacht bei mir zu sein, aber das verpflichtete ihn keineswegs, bis dahin sich untätig zu verhalten. Denn vielleicht um mir zu zeigen, daĂ sein Blutdurst noch lange nicht gesättigt sei, hatte er kurze Zeit, nachdem er die Drohung ausgestoĂen, meinen Freund Clerval erwĂźrgt. Ich war also fest entschlossen, daĂ die Anschläge meines Feindes auf mein Leben meine Vereinigung mit Elisabeth keine Stunde lang aufhalten durften, wenn diese oder mein Vater sie wĂźnschten.
In dieser Verfassung schrieb ich an Elisabeth. Mein Brief war ruhig und liebevoll. ÂťIch fĂźrchte, meine Geliebte,ÂŤ schrieb ich, ÂťdaĂ fĂźr uns nur wenig GlĂźck mehr auf Erden blĂźht. Dennoch aber ist all mein Sehnen und Hoffen auf Dich gerichtet. Deine BefĂźrchtungen sind grundlos. Du allein bist es, die mein Leben heiligt und meine Hoffnung auf Frieden zu erfĂźllen vermag. Ich habe ein Geheimnis, Elisabeth, ein entsetzliches Geheimnis! Wenn ich es Dir anvertrauen dĂźrfte, es wĂźrde Dich eiskalt Ăźberlaufen, und, statt Ăźber mein Elend Ăźberrascht zu sein, Dich nur wundern, daĂ ich das alles ertragen habe. An unserem Hochzeitsmorgen will ich Dir das Geheimnis anvertrauen, denn es soll vollkommene Klarheit zwischen uns herrschen. Und bis dahin, Geliebte, bitte ich Dich, weder darĂźber zu sprechen, noch auch irgend eine Andeutung zu machen. Darum bitte ich Dich ernstlich, und ich weiĂ, daĂ ich Dich nicht vergebens gebeten habe.
Eine Woche, nachdem Elisabeths Brief mich erreicht hatte, kamen wir in Genf an. Das teuere Mädchen begrĂźĂte mich mit heiĂer Freude. Aber Tränen standen in ihren Augen, als sie meine abgemagerten Hände drĂźckte und mich auf die fieberheiĂen Wangen kĂźĂte. Auch sie war etwas verändert. Sie war schmaler geworden und hatte viel von der Lebhaftigkeit eingebĂźĂt, die ihr vordem so gut gestanden hatte. Aber ihre Milde und ihr sanftes Mitleid machten sie zu einer geeigneten Genossin fĂźr einen Mann, der elend und gebrochen ist.
Die Ruhe, deren ich damals genoĂ, war nicht von langer Dauer. Die Erinnerungen tauchten wieder in aller Frische auf und machten mich fast wahnsinnig. Manchmal raste ich, manchmal war ich still und nachdenklich. Ich sprach mit niemand und sah auch niemand an, sondern saĂ regungslos in einer Ecke, erdrĂźckt von den Qualen, die auf mich einstĂźrmten.
Nur Elisabeth vermochte mich einigermaĂen aufzuheitern. Ihre sanfte Stimme milderte meine Rasereien und flĂśĂte mir Lebensmut ein, wenn ich in trostloses GrĂźbeln verfiel. Sie weinte mit mir und um mich. Wenn ich dann wieder vernĂźnftig geworden war, bemĂźhte sie sich, mir Mut zu machen. Ja, dem UnglĂźcklichen kann man wohl Mut zusprechen, aber nicht dem Schuldigen.
Bald nach unserer Heimkehr sprach mein Vater mit mir Ăźber die bevorstehende Hochzeit. Ich verhielt mich schweigend.
ÂťDu hast also keine andere Verpflichtung?ÂŤ
ÂťKeine! Ich liebe Elisabeth und sehe unserer Vereinigung mit Freuden entgegen. Bestimme den Tag, und dieser Tag soll es sein, an dem ich mich fĂźr Leben und Tod dem GlĂźck der Geliebten weihe!ÂŤ
ÂťLieber Viktor, so darfst du nicht sprechen! Wir haben sehr viel Schweres zu tragen gehabt, das ist wahr; aber wir wollen fest zusammenhalten, wir, die noch Ăźbrig geblieben sind, und unseren Lebenden die Liebe schenken, die wir fĂźr die Toten hatten. Unser Kreis wird nur mehr ein kleiner sein, aber die GefĂźhle treuer Liebe und das gemeinsam erlebte MiĂgeschick wird uns unlĂśslich aneinander ketten. Und bis die Zeit dein Leid gemildert hat, werden wieder neue Wesen da sein, die die ersetzen sollen, die uns auf so grauenhafte Weise genommen worden sind.ÂŤ
Aber die Trostworte meines Vaters waren doch nicht imstande, mich die Drohungen des Dämons vergessen zu machen, denn ich hielt diesen nach all den blutigen Siegen, die er bisher Ăźber mich errungen, fĂźr unĂźberwindlich. Und nachdem er einmal die Worte ausgesprochen: ÂťIch werde in deiner Brautnacht bei dir sein,ÂŤ hielt ich auch mein Schicksal fĂźr unabwendbar. Aber der Tod war kein Ăbel fĂźr mich, wenn ich daran dachte, daĂ er mir ja auch meine Elisabeth hätte wegnehmen kĂśnnen. Ich gab deshalb fast freudig meine Zustimmung, daĂ die Hochzeit in zehn Tagen gefeiert werden sollte, wenn auch damit mein Geschick besiegelt war.
GroĂer Gott, wenn mir auch nur einmal eine Ahnung gekommen wäre, welche Absichten mein tĂźckischer Feind hatte, ich hätte mich lieber in die wildesten Landstriche geflĂźchtet und wäre als ruheloser Wanderer auf Erden umhergezogen, als daĂ ich zu dieser unseligen Heirat mein Einverständnis erteilt hätte. Aber es war, als hätte mich das Ungeheuer mittels magischer EinflĂźsse Ăźber seine wahren Absichten im Dunkeln gehalten, und indem ich mich auf mein eigenes Ende gefaĂt machte, beschleunigte ich nur den Tod des Ăźber alles geliebten Weibes.
Je näher der Tag kam, desto mutloser wurde ich; entweder weil ich feig war oder weil mich trĂźbe Ahnungen erfaĂten. Ich heuchelte aber eine gewisse Heiterkeit, die ein glĂźckliches Lächeln auf das Gesicht meines Vaters zauberte, während die schärfer blickende Elisabeth sich nicht täuschen lieĂ. Sie sah hoffnungsvoll unserer Vereinigung entgegen. In diese Hoffnung aber mischte sich eine leise Furcht, daĂ das, was uns jetzt wirkliches, greifbares GlĂźck bedeutete, bald in Schaum zerflieĂen kĂśnne.
Alle Vorbereitungen fßr das Fest waren getroffen und wir hatten mit freudigen Gesichtern die Gratulationsbesuche empfangen. Ich verbarg, so gut ich konnte, die quälende Angst und ging scheinbar mit Interesse auf die Pläne meines Vaters ein. Den Bemßhungen meines Vaters war es gelungen, bei der Üsterreichischen Regierung durchzusetzen, daà Elisabeth ein Teil ihres väterlichen Erbteiles wieder zurßckerstattet wurde. Ein kleines Besitztum am Ufer des Comersees gehÜrte hierzu. Es wurde bestimmt, daà wir unsere Flitterwochen in der direkt am Ufer des herrlichen Sees gelegenen Villa Lavenza verbringen sollten.
Unterdessen hatte ich alle VorsichtsmaĂregeln getroffen, um mich gegen einen offenen Angriff meines Dämons zu schĂźtzen. Ich trug ständig zwei Pistolen und einen Degen bei mir, was mir das GefĂźhl einer gewissen Sicherheit verlieh. Je näher der Tag der Trauung kam und je Ăśfter man von dieser sprach, wie von einer Sache, die sicher kommen muĂte, desto mehr war ich geneigt, die Drohung des Dämons leichter zu nehmen.
Elisabeth sah sehr glßcklich aus, wozu meine Ruhe ein gut Teil beitragen mochte. Nur an dem Tage, der uns vereinigen sollte, war sie traurig und dßstere Vorahnungen quälten sie. Vielleicht lastete auch der Gedanke auf ihr, daà der kommende Tag ihr die Enthßllung meines furchtbaren Geheimnisses bringen wßrde. Mein Vater war ßberglßcklich und sah in der Traurigkeit Elisabeths nichts anderes als die erwartungsvolle Unruhe der Braut.
Nachdem die Zeremonie vorĂźber war, versammelte sich eine groĂe Gesellschaft im Hause meines Vaters. Elisabeth und ich sollten zu Schiffe nach Evian fahren, wo wir die Nacht verbringen und die Reise am nächsten Tage fortsetzen wollten. Es war ein herrlicher Tag und der Himmel lächelte auf unser junges GlĂźck herab.
Das waren die Augenblicke meines Lebens, in denen ich zum letztenmal das GefĂźhl des GlĂźckes hatte. Rasch ging die Reise von statten. Die Sonne brannte heiĂ auf uns hernieder, aber wir waren durch eine Art Sonnendach vor ihren Strahlen geschĂźtzt und freuten uns der wundervollen Landschaftsbilder, die an uns vorĂźberzogen.
Ich hielt Elisabeths Hand: ÂťDu bist sorgenvoll, Geliebte? O wenn du wĂźĂtest, was ich alles zu tragen hatte, und was ich noch zu ertragen haben werde, du lieĂest mich die Ruhe und den Frieden genieĂen, die ich nur diesen einen Tag zu genieĂen imstande sein werde.ÂŤ
ÂťSei unbesorgt, lieber Viktor,ÂŤ antwortete sie, Âťich wĂźĂte nicht, was dich traurig stimmen sollte; und sei Ăźberzeugt, wenn ich auch äuĂerlich mein GlĂźck noch nicht so ganz zur Schau tragen kann, so fĂźhle ich es doch tief im innersten Herzen. Irgend etwas raunt mir jedoch geheimnisvoll zu, mich nicht allzufreudig auf das Kommende zu verlassen, aber ich will mich bemĂźhen, dieser dĂźsteren Stimme kein GehĂśr zu geben. Sieh, wie rasch wir dahinfliegen und wie die Wolken, die um das Haupt des Montblanc wehen, das Landschaftsbild beleben. Und sieh die unzähligen Fische, die sich in der klaren Flut tummeln, in der wir jedes Steinchen am Boden unterscheiden kĂśnnen. Welch herrlicher Tag! Wie glĂźcklich und heiter die ganze Natur aussieht!ÂŤ
In dieser Weise versuchte Elisabeth meine und ihre dßsteren Gedanken zu verscheuchen. Aber ihre Stimmung wechselte immer wieder; eine Zeit lang leuchteten ihre Augen freudig, allmählich aber nahmen sie wieder einen traurigen Ausdruck an.
Tiefer und tiefer sank die Sonne. Wir passierten die Mßndung des Drance, der sich seinen Weg durch die Schluchten und Klßfte des Gebirges bahnt. Die Alpen treten hier nahe an den See heran und wir näherten uns dem mächtigen Amphitheater, das den Üstlichen Abschluà des Sees bildet. Schon sahen wir die Kirchturmspitze leuchtend ßber die Baumwipfel emporragen, die sich deutlich von den schwarzen Bergwänden abhob.
Der Wind, der uns bisher mit beträchtlicher Schnelligkeit ßber den See dahingetragen, legte sich und nur mehr eine leichte Brise kräuselte das Wasser zu zierlichen Wellen. In den Uferbäumen flßsterte es leise und vom Lande her schwebte ein feiner Duft von Blumen und frischem Heu herßber. Als wir landeten, versank gerade die Sonne hinter den Bergen, und in dem Augenblick, da mein Fuà den festen Boden betrat, stßrmten Sorge und Angst wieder auf mich ein und ich meinte den kalten Griff des Schicksals zu fßhlen.

Kapitel 23
Eben hatte es acht Uhr geschlagen. Wir gingen noch kurze Zeit am Ufer spazieren und freuten uns des warmen Abendscheines. Dann begaben wir uns in das Gasthaus, von wo aus wir noch beobachteten, wie die Nacht leise ßber Wasser, Wälder und Berge herankroch.
Unterdessen hatte sich ein starker Westwind erhoben. Der Mond stand hoch am Himmel und schickte sich zum Niedergang an. Die NachtvÜgel strebten eilends Wolken dahin und verhßllten zeitweise sein Licht, und unter dem belebenden Hauch des Windes hob und senkte sich das Wasser des Sees. Nicht lange währte es, dann strÜmte Regen reichlich hernieder.
Den Tag ßber war ich ja ruhig gewesen, nun aber, da die Nacht die Umrisse aller Dinge verwischte, stieg eine unbestimmte Angst in mir auf, so daà ich bei jedem Geräusch zusammenfuhr. Meine rechte Hand hielt unter dem Anzug den Kolben einer Pistole umspannt, denn ich beabsichtigte nicht, mein Leben so leichten Kaufes hinzugeben, sondern ich wollte kämpfen, bis mein Leben oder das meines Feindes erlosch.
Elisabeth hatte schon einige Zeit in ängstlichem Schweigen mich beobachtet. In meinem Blicke mochte etwas liegen, das sie mit Schrecken erfßllte, und sie fragte zitternd: Was ist dir, Viktor? Was regt dich so auf? Und warum fßrchtest du dich?
ÂťFriede, Liebste, Friede â nur diese eine Nacht, dann kann alles noch gut werden. Aber heute noch ist es schrecklich, wir mĂźssen auf der Hut sein.ÂŤ
Eine Stunde blieben wir noch so beisammen. Dann kam mir der Gedanke, wie gefährlich unter Umständen der Kampf fßr mein geliebtes Weib werden kÜnne, und bat sie sich zur Ruhe zu begeben, fest entschlossen, erst dann zu ihr zu kommen, wenn ich sicher sein konnte, daà der Feind fern war.
Sie ging. Ich suchte alle Ecken und Winkel des Hauses ab, in denen sich das Ungeheuer hätte verbergen kĂśnnen. Aber keine Spur von ihm, und ich wagte zu hoffen, daĂ irgend ein unerwarteter Zwischenfall ihn an der AusfĂźhrung seiner Drohung verhindert haben kĂśnne. PlĂśtzlich hĂśrte ich einen schrillen, angsterfĂźllten Schrei. Er kam aus dem Zimmer, in das sich Elisabeth zurĂźckgezogen hatte. Kaum hatte ich diesen Schrei vernommen, als mir auch schon das Furchtbare zum BewuĂtsein kam. Meine Arme sanken schlaff herab. Das Blut trat aus meinem Herzen zurĂźck; ich fĂźhlte, wie es in meinen Adern zu stocken begann und wie es in all meinen Gliedern prickelte. Nur einen Moment währte dieser Zustand. Ich stĂźrzte nach der Richtung, aus der der Schrei zum zweitenmale ertĂśnte.
GroĂer Gott im Himmel, warum lieĂest du mich damals nicht tot zusammenbrechen; warum zerstĂśrtest du mir meine einzige Hoffnung, warum vernichtetest du das beste GeschĂśpf, das auf Erden wandelte? Dort lag sie, quer Ăźber das Bett, leblos und bleich. Ihr Haupt hing herab und ihr Haar bedeckte zum Teil ihr verzerrtes Antlitz. Wohin ich mich auch wende, Ăźberall verfolgt mich dieses Bild. Konnte ich das ansehen und doch noch weiterleben? Ja, das Leben ist zäh und klammert sich gerade da am hartnäckigsten an, wo man es am meisten haĂt. Nur einen Augenblick verlor ich die Besinnung und sank zu Boden.
Als ich die Augen aufschlug, umstanden mich Gäste und Personen des Gasthofes. Die Gesichter drĂźckten Entsetzen aus. Ich flĂźchtete vor ihnen in das Zimmer, wo Elisabeth lag, meine Geliebte, mein Weib. Man hatte sie anders gelegt; ihr Kopf ruhte auf einem Arm und Ăźber Gesicht und Hals hatte man ein Tuch geworfen. Man hätte meinen kĂśnnen, sie schliefe. Ich eilte auf sie zu und schlang meine Arme um den Leichnam. Aber die Schlaffheit und Kälte der Glieder lieĂ mich fĂźhlen, daĂ das, was ich in den Armen hielt, nicht mehr die Elisabeth war, die ich geliebt und angebetet hatte. An ihrem Halse waren die FingerabdrĂźcke des MĂśrders zu erkennen und kein Atem kam mehr von den weiĂen Lippen.
Während ich sie so umklammert hielt, sah ich zufällig auf. Die Fenstervorhänge waren zurßckgezogen und das Mondlicht flutete herein, und am Fenster sah ich, starr vor Entsetzen, die gräuliche Gestalt meines Feindes. Ein hÜhnisches Grinsen verzerrte sein Gesicht. Er schien zu triumphieren, denn er deutete mit dem Finger auf den Leichnam meines Weibes. Ich sprang ans Fenster, rià meine Pistole aus dem Gßrtel und feuerte; aber er entkam und stßrzte sich blitzschnell in den See.
Auf den Knall der Pistole kamen mehrere Leute in mein Zimmer. Ich zeigte ihnen die Stelle, wo das Gespenst verschwunden war, und wir machten uns sofort in Booten auf die Suche. Sogar Netze lieà ich auswerfen, aber vergebens. Nach einigen Stunden kehrten wir enttäuscht zurßck, und einige meiner Begleiter mochten sich wohl im stillen denken, daà das Ganze vielleicht nur eine Ausgeburt meiner Phantasie sei. Nachdem wir wieder an Land waren, begaben sich die meisten auf den Weg in die Waldungen und Weinberge, um dort nach dem Dämon zu fahnden.
Auch ich wollte mich anschlieĂen und ging ein StĂźck weit mit; aber in meinem Kopf wirbelte es und ich wankte wie ein Trunkener hin und her. SchlieĂlich verfiel ich in einen Zustand vĂślliger ErschĂśpfung; vor den Augen ward es mir dunkel und meine Haut bedeckte sich mit FieberschweiĂ. Man brachte mich in den Gasthof zurĂźck und legte mich zu Bett. Meine Augen wanderten ruhelos umher, als suchten sie etwas.
Nach einiger Zeit erhob ich mich wieder, fast instinktiv, und schleppte mich in das Zimmer, wo man mein Weib aufgebahrt hatte. Eine Anzahl weinender Frauen stand herum und ich vereinigte meine Klagen mit den ihren, indem ich den Leib der geliebten Toten umschlungen hielt. Rastlos irrten meine Gedanken umher. Vom Tode Wilhelms zur Hinrichtung Justines, von der Ermordung Clervals zu der meines Weibes, und selbst in diesem Zustande kam mir der Gedanke, daĂ die mir noch gebliebenen Lieben der Bosheit meines Feindes ausgesetzt waren. Vielleicht rĂśchelte mein Vater gerade unter dem grausamen Griff des Ungeheuers, während Ernst schon tot am Boden lag. Ich schauderte und raffte mich auf. Unter allen Umständen muĂte ich unverzĂźglich nach Genf zurĂźck.
Pferde konnte ich nicht bekommen und es blieb mir also nur der Wasserweg. Allerdings war der Wind ungĂźnstig und der Regen fiel in StrĂśmen. Ich mietete mir Ruderer und ergriff auch selbst ein Ruder. Denn ich hatte mir bei seelischer Depression stets mit kĂśrperlicher Betätigung wieder aufgeholfen. Aber die furchtbaren Leiden, die ich erduldet, hatten mir dermaĂen zugesetzt, daĂ ich meine Absicht nicht auszufĂźhren vermochte. Ich warf das Ruder von mir und legte weinend das Gesicht auf den Arm. Wenn ich einen Augenblick um mich sah, erblickte ich Naturszenen, die mir von Jugend an lieb und vertraut waren und die ich noch Tags vorher mit der betrachtet hatte, die nun nur mehr ein Schatten, eine Erinnerung war. Ich wehrte meinen Tränen nicht. Der Regen hatte aufgehĂśrt und ich sah die Fische in der Flut spielen, wie ich es wenige Stunden vorher auch gesehen, und auch Elisabeths Augen hatten noch auf ihren geruht.
Aber warum soll ich noch lange bei den Ereignissen verweilen, die nach diesem letzten, schwersten Schlag eintraten. Ich habe Ihnen eine grausige Geschichte erzählt und der HÜhepunkt ist erreicht. Das, was noch nachkommt, kÜnnte sie hÜchstens langweilen. Nur das eine mÜchte ich noch sagen, daà auch alle meine noch ßbrig gebliebenen AngehÜrigen hinweggerafft wurden, so daà ich jetzt ganz allein stand. Ich bin mit meiner Kraft ziemlich am Ende und ich kann Ihnen nur mehr in kurzen Worten den Rest meiner entsetzlichen Geschichte berichten.
Ich kam in Genf an. Mein Vater und Ernst waren noch am Leben; aber der erstere brach unter dem Eindruck dessen zusammen, was ich ihm zu berichten hatte. Ich sehe ihn noch vor mir, den schĂśnen, ehrwĂźrdigen Greis, wie seine Augen ins Leere starrten, denn er hatte seinen Stolz, sein GlĂźck, seine Elisabeth verloren, die ihm mehr war als eine Tochter, an der er mit seiner ganzen Liebe hing. Tausendmal verflucht sei der Dämon, der so viel Leid auf das graue Haupt meines Vaters häufte und ihm alles GlĂźck nahm. Er muĂte sich niederlegen, und das Erlebte drĂźckte ihn so schwer, daĂ er sich nimmer erhob. Einige Tage später starb er in meinen Armen.
Was dann mit mir geschah? Ich weiĂ es nicht mehr. Ich hatte die Besinnung verloren, und wenn ich hier und da wieder etwas empfand, so waren es Dunkelheit und Ketten. Oftmals träumte mir, ich wandere auf grĂźnen Wiesen mit den Gespielen meiner Kindheit; aber wenn ich erwachte, merkte ich, daĂ ich in einem Gefängnis war. Es trat zunächst ein Zustand tiefster Melancholie ein und dann ward ich mir nach und nach meiner ganzen Situation bewuĂt. Man hatte mich fĂźr wahnsinnig erklärt und mich mehrere Monate, wie ich nachher erfuhr, in einer engen Zelle gefangen gehalten. Nun aber fielen meine Ketten.
Die Freiheit hätte fĂźr mich freilich nicht viel Wert gehabt, wäre nicht zugleich mit meinem BewuĂtsein der glĂźhende Wunsch nach Rache erwacht. Niemand anderes war schuld an all dem Leid und UnglĂźck, das Ăźber mich hereingebrochen war, als der Dämon, den ich selbst geschaffen, den ich mutwillig auf die Welt gehetzt hatte. Rasender Zorn packte mich bei dem Gedanken an ihn und ich wĂźnschte, ja ich betete darum, daĂ es mir vergĂśnnt sein mĂśge, an dem verruchten Ungeheuer eine furchtbare, unerhĂśrte Rache zu nehmen.
Aber nicht lange gab ich mich nur mit fruchtlosen Wßnschen ab. Ich begann sofort auf Mittel und Wege zu sinnen, wie ich den Erfolg auf meine Seite zu bringen vermÜchte. Kaum ein Monat, nach dem ich wieder genesen war, stand auch mein Entschluà fertig da. Ich begab mich zu einem der Richter der Stadt und erhob Anklage gegen den MÜrder meiner Familie; ich gab an, ihn zu kennen und forderte, daà mit aller Strenge gegen den Täter vorgegangen werde.
Aufmerksam und freundlich hĂśrte mir der Richter zu. ÂťSeien Sie Ăźberzeugt, Herr Frankenstein,ÂŤ sagte er, ÂťdaĂ ich keine MĂźhe und Arbeit scheuen werde, um des Schurken habhaft zu werden.ÂŤ
ÂťIch bin Ihnen sehr zu Dank verbunden,ÂŤ entgegnete ich, Âťund bitte Sie, gleich jetzt meine Aussagen machen zu dĂźrfen. Es ist allerdings eine so merkwĂźrdige Geschichte, daĂ Sie nicht daran glauben wĂźrden, wenn nicht einige fest bestimmbare Daten vorlägen. FĂźr einen Traum ist zu viel Zusammenhang darin, und auĂerdem habe ich ja gar keinen Grund, Unwahres vorzubringen.ÂŤ Ich sprach eindringlich, aber vollkommen ruhig. Ich hatte mir fest vorgenommen, meinen Peiniger zu Tode zu hetzen. Diese Absicht gab mir Ruhe und machte mir das Leben noch lebenswert. Ich erzählte ihm also meine ganze Geschichte, kurz aber bestimmt und klar, indem ich auch die Daten zweifellos angab und es vermied, in Klagen auszubrechen oder von dem einfachen Gang der Erzählung abzuweichen.
Anfangs schien der Richter meinen Aussagen wenig Glauben beizumessen, im weiteren Verlaufe aber wurde er aufmerksam. Ich konnte sogar bemerken, wie ihn manchmal das Grauen packte; zuweilen drĂźckte sein Gesicht Erstaunen und Ăberraschung aus.
Als ich geendet hatte, fĂźgte ich hinzu: ÂťDies also ist das Wesen, das ich des Mordes anklage und zu dessen Ergreifung ich Sie bitte Ihren ganzen EinfluĂ aufzuwenden. Es ist Ihre Pflicht als Richter, und ich hoffe und glaube, daĂ Sie als Mensch meinen Wunsch begreifen und nicht vor der Aufgabe zurĂźckschrecken.ÂŤ
Diese Aufforderung rief eine gewaltige Ănderung im Verhalten des Beamten hervor. Er hatte mir zugehĂśrt mit dem halb gutmĂźtigen Glauben, den man solchen Geschichten von Gespenstern und ĂźbernatĂźrlichen Vorgängen zu schenken pflegt. Als er aber sich in dieser Weise aufgefordert sah offiziell einzuschreiten, wurde es wesentlich anders. ÂťIch mĂśchte ja,ÂŤ sagte er milde, ÂťIhnen gern in jeder Hinsicht behĂźlflich sein, aber das Wesen, von dem Sie sprachen, scheint mit Kräften und Eigenschaften ausgestattet zu sein, die alle meine BemĂźhungen vereiteln wĂźrden. Wer kĂśnnte diese Bestie fangen, die mĂźhelos Gletscher Ăźberquert und sich in HĂśhlen und Schluchten versteckt, die kein Mensch zu betreten wagen darf? AuĂerdem sind ja Monate verflossen, seit sich das alles ereignet hat, und wer kĂśnnte sagen, wohin er sich gewendet hat, wo er sich jetzt aufhält?ÂŤ
Ich hege nicht den geringsten Zweifel, daà er sich in allernächster Nähe aufhält; und wenn er tatsächlich sich in den Gebirgsschluchten verbirgt, so muà man ihn eben verfolgen wie eine Gemse und ihn zur Strecke bringen. Aber ich errate Ihre Gedanken; Sie schenken mir nicht vollen Glauben und haben nicht die Absicht, meinen Feind der Strafe zuzufßhren, die er verdient hat.
Während ich so sprach, mochte es in meinen Augen zornig geblitzt haben, denn der Richter sagte eingeschßchtert: Sie irren sich. Ich werde bestrebt sein, so weit es in meiner Macht steht, das Ungeheuer zu fangen und es nach seinen Verbrechen zu bestrafen. Aber nach allem, was Sie mir berichtet haben, glaube ich nicht, daà es sich wird ermÜglichen lassen, und Sie werden enttäuscht sein.
ÂťDas ist undenkbar; aber mein brennender Rachedurst läĂt Sie ja kalt. Jetzt kann ich es Ihnen ja eingestehen: es ist mein einziger, leidenschaftlicher Wunsch, meinen Feind zu vernichten. In mir empĂśrt sich alles, wenn ich daran denke, daĂ der MĂśrder, den ich schuf, noch unter uns Menschen weilt. Sie verweigern mir also die ErfĂźllung meiner Bitte? Gut, ich werde mir dann auch allein zu helfen wissen und mich mit Leib und Seele meiner Aufgabe widmen.ÂŤ
Ich zitterte vor Erregung. Leidenschaftlich wallte mein Blut und in meinem Verhalten mag etwas von der fanatischen Wildheit gelegen haben, das vor Zeiten den Märtyrern innegewohnt haben soll. Aber fßr einen Genfer Richter, dessen Seele ja so unendlich weit von dem entfernt ist, was mit Heroismus zusammenhängt, hatte mein Verhalten nichts anderes bedeutet als die Wutausbrßche eines Irren. Er gab sich Mßhe, mich zu beruhigen und sprach sanft auf mich ein, wie eine Wärterin auf ein Kind.
ÂťMensch,ÂŤ schrie ich, ÂťIhr seid tĂśricht in eurer eingebildeten Weisheit. â ÂťSchweigen Sie, Sie wissen ja nicht, was Sie reden!ÂŤ antwortete er.
WĂźtend stĂźrmte ich aus dem Hause und zog mich in die Einsamkeit zurĂźck, um Ăźber mein weiteres Vorgehen nachzudenken.

Kapitel 24
Ich war meiner selbst nicht mehr mächtig. Ich hatte nicht Ruhe, nicht Rast. Der Gedanke, mich zu rächen, erfĂźllte mich mit Mut und Tatkraft und gab meinem Sinnen die Richtung; er allein lieĂ mich gefaĂt und Ăźberlegend erscheinen.
Vor allem muĂte ich Genf verlassen, das stand fest. Das Land, das ich in Zeiten des GlĂźcks und des Friedens so heiĂ geliebt, war mir nun in meinem Jammer verhaĂt. Ich nahm eine Summe Geldes und einige Wertsachen, die meiner Mutter gehĂśrt hatten, zu mir und reiste ab.
Und nun begann meine Wanderschaft, die erst mit meinem Leben zu Ende gehen wird. Ich habe weite Erdstriche durchzogen und alle Leiden erduldet, die jeder zu ertragen hat, der Wßsten und unbewohnte Länder durchreist. Wie ich gelebt habe, weià ich heute nicht mehr. Oftmals habe ich meine mßden Glieder im Wßstensand gebettet und Gott angefleht, daà er mich zu sich nehme. Aber immer wieder trieb mich der Rachedurst auf und weiter. Ich durfte nicht leben und meinen Feind auf der Erde zurßcklassen.
Als ich Genf verlieĂ, war es mein erstes, Anhaltspunkte zu suchen, wohin sich der Dämon gewendet haben kĂśnnte. Aber ich hatte keinen Erfolg. Viele, viele Stunden streifte ich in der Umgebung der Stadt umher, unentschlossen, welchen Weg ich gehen sollte. Am Abend stand ich am Eingang des Friedhofes, wo Wilhelm, Elisabeth und mein Vater ruhten. Ich trat ein und näherte mich ihrem Grabstein. Alles war still, nur die Blätter der Bäume flĂźsterten im Winde. Es war schon sehr dunkel. Die Geister der Verstorbenen schienen sich aus den GrĂźften erhoben zu haben und unsichtbar, aber wohl fĂźhlbar, das Haupt des einsam Trauernden zu umschweben.
Die tiefe Ergriffenheit wich bald heftigem Zorn und furchtbarer Verzweiflung. Sie waren tot, die da unten schliefen, und ich lebte noch. Aber auch den MĂśrder trug noch die Erde, und nur, um ihn zu vernichten, muĂte ich mein Leben weitertragen. Ich kniete vor dem HĂźgel nieder, kĂźĂte die heilige Erde und rief mit bebenden Lippen: ÂťBei dem geweihten Boden, auf dem ich kniee, bei den geliebten Schatten, die mich umschweben, bei meinem ewigen, tiefen Leide schwĂśre ich, und bei dir, du stille Nacht: ich will den Dämon verfolgen und nicht rasten, bis einer von uns beiden im erbitterten Kampfe fällt. Darum allein will ich mein Leben erhalten; und nur um der Rache willen werde ich noch das Licht der Sonne schauen. Und ich rufe euch, selige Geister, und euch, ihr geheimnisvollen Diener der Rache, helft mir und unterstĂźtzt mich in meinem schweren Werke. Das verfluchte, hĂśllische Ungeheuer soll in Todesnot rĂścheln und Verzweiflung soll es erdrĂźcken; eine tiefere Verzweiflung, als sie je mich marterte.ÂŤ
Feierlich war mir zu Mute nach diesem Schwur und ich wuĂte, daĂ die Schatten der Gemordeten ihn gehĂśrt hatten.
Durch die Nacht aber erscholl ein grelles, hĂśhnisches Lachen, laut und schrill, daĂ es an den Bergwänden widerhallte. Als es dann wieder ruhig wurde, vernahm ich die wohlbekannte, verhaĂte Stimme nahe an meinem Ohr: ÂťIch bin nun zufrieden, elender Zwerg. Du kannst weiterleben, wenn du willst, aber ich bin zufrieden.ÂŤ
Rasend vor Wut sprang ich auf die Stelle zu, von der her die Stimme ertÜnte; blitzschnell jedoch hatte sich der Unhold meinem Griffe entwunden. Im Scheine des Vollmondes, der sich gerade ßber den Horizont erhob, erkannte ich die gespenstische, gräuliche Gestalt, wie sie in ßbernatßrlicher Geschwindigkeit dahinfloh.
Ich verfolgte ihn, und seit Monaten nun ist das mein Zweck und Ziel. In den Windungen der Rhone entlang ging sein Weg und ich war ihm auf den Fersen. Bald leuchtete mir das tiefe Blau des Mittelmeeres entgegen und durch einen seltsamen Zufall entdeckte ich meinen Feind, wie er sich gerade auf ein Schiff begab und sich dort versteckte. Das Schiff sollte nach dem Schwarzen Meer in See gehen. Trotzdem ich mit dem gleichen Schiffe fuhr, entkam er mir doch auf rätselhafte Weise.
Durch die Wildnisse der Tartarei und RuĂlands fĂźhrte seine Spur, der ich unermĂźdlich folgte. Manchmal zeigten mir Landleute, noch erschreckt von seiner HäĂlichkeit, den Weg, den er gegangen. Zuweilen aber hinterlieĂ er selbst absichtlich ein Zeichen, vielleicht weil er befĂźrchtete, ich kĂśnnte die Jagd aufgeben und mich zum Sterben niederlegen. Als dann dichter Schnee niederfiel und die Erde verhĂźllte, konnte ich leicht die ungefĂźgen FuĂstapfen des Fliehenden erkennen.
Sie treten ja erst ins Leben ein, und Sorge und Leid ist Ihnen fremd; daher werden Sie auch kaum verstehen, was ich fĂźhlte und heute noch fĂźhle. Kälte, Entbehrungen und ErschĂśpfung waren meine geringsten Leiden; ich war einem bĂśsen Geiste verfallen und trug eine HĂślle in meiner Brust. Aber auch gute Engel schwebten um mich und meine Wege. Und gerade, wenn ich am meisten murrte, halfen sie mir Ăźber die scheinbar unĂźberwindlichen Schwierigkeiten hinweg. Oftmals, wenn ich von Hunger gepeinigt niedersinken wollte, ward mir in der WĂźste eine Mahlzeit bereitet, die mich stärkte und erfrischte. Einfach war sie ja, so wie sie eben die Landleute essen; aber ich hege keinen Zweifel, daĂ dabei die guten Geister ihre Hand im Spiele hatten, deren Hilfe ich angerufen. Und wenn alles trocken, der Himmel wolkenlos war, dann erschien auf mein heiĂes Flehen eine kleine Wolke, erfrischte mich mit ihrem NaĂ und zerfloĂ wieder.
Wenn irgend mĂśglich, hielt ich mich am Ufer von FlĂźssen; aber gerade diese vermied der Dämon, weil sich hier die BevĂślkerung dichter angesiedelt hatte. Die Wege, die er suchte, fĂźhrten fernab von menschlichen Wohnstätten. Die Tiere des Waldes und des Feldes, die meine Pfade kreuzten, muĂten mir dazu dienen, mein Leben zu fristen. Ich hatte Geld bei mir und gewann mir das Zutrauen der wenigen Menschen, die mir begegneten, durch meine Freigebigkeit. Oftmals auch verfuhr ich in der Weise, daĂ ich getĂśtetes Wild, nachdem ich meine kleine Portion davon genossen, denen ĂźberlieĂ, die mir Herd und Obdach gewährt hatten.
Es war wirklich ein elendes Dasein, das ich da fristete, und nur im Schlafe empfand ich zuweilen noch etwas wie GlĂźck. Gesegneter Schlaf! Wenn ich auch noch so elend war, brauchte ich mich nur zur Ruhe zu legen, um in glĂźcklicheren Sphären zu schweben. Die Schatten meiner Lieben waren es sicherlich, die mir diese glĂźcklichen Augenblicke, oder besser gesagt Stunden, verschafften, damit ich aus ihnen die Kraft schĂśpfte, die ich zur DurchfĂźhrung meiner Absicht bedurfte. Wäre mir dieser Trost versagt geblieben, ich wäre sicher unter den unsäglichen MĂźhsalen zusammengebrochen. Den ganzen Tag schon freute ich mich auf die Nacht, denn dann sah ich wieder mein Weib und meine teure Heimat und das liebe Gesicht meines Vaters. Ich hĂśrte die silberne Stimme meiner Elisabeth und sah meinen Freund Clerval in seiner ganzen Kraft bei mir. Oftmals redete ich mir ein, daĂ die MĂźhsale, die ich unterwegs ertrug, nur ein schwerer Traum, die Gesichte der Nacht aber freundliche Wirklichkeit seien. In solchen Momenten erstarb die Rachsucht fast ganz in meinem Herzen und ich folgte dem mir gewiesenen Pfade mehr wie einem mir von oben gegebenen unbewuĂten Impulse, als einem inneren BedĂźrfnis.
Was der empfand, den ich verfolgte, weià ich nicht. Mehreremale fand ich Inschriften von ihm auf Baumrinden oder Steinen, die mir den Weg wiesen und meine Wut von neuem anstachelten. Meine Herrschaft ist noch nicht vorßber, so las ich z. B. einmal auf einem Felsblock, du lebst, und das ist es, was ich will. Komm; ich gehe zu den Regionen des ewigen Eises, wo du unter dem furchtbaren Frost leiden wirst, gegen den ich unempfindlich bin. Du wirst nicht weit von hier einen toten Hasen finden, aber beeile dich; ià ihn, und du wirst dich wieder neu gestärkt fßhlen. Komm, mein Feind, wir haben noch um unser Leben zu wßrfeln, aber noch viel Schmerz und Trßbsal wird dir bis dahin zuteil werden.
SpÜttischer Teufel! Wieder schwor ich mir, mein Rachewerk nicht aufzugeben, sondern meinen Peiniger einem grausamen Tode zu ßberliefern. Lieber wollte ich zu Grunde gehen als meinen Plan aufgeben. Mit welcher Freude werde ich mich mit denen vereinigen, die mir im Tode vorausgegangen waren, und mich entschädigen fßr all das Leid meines Lebens und die Qualen meiner letzten Fahrt!
Je weiter ich nach Norden kam, desto tiefer wurde der Schnee, desto schärfer die Kälte, sodaĂ ich oft nicht mehr glaubte sie ertragen zu kĂśnnen. Die wenigen Bewohner dieser Landstriche hielten sich in ihren HĂźtten verborgen, und nur die kĂźhnsten von ihnen wagten es dem Froste zu trotzen, um das Wild zu fangen, das, von der Kälte erstarrt aus seinen Schlupfwinkeln kam, um Futter zu suchen. Die FlĂźsse waren von einer festen Eisdecke Ăźberspannt, und Fische, von denen ich sonst zum grĂśĂten Teil lebte, waren nicht zu haben.
Je grĂśĂer die MĂźhseligkeiten wurden, die ich zu Ăźberwinden hatte, desto lauter triumphierte mein Feind. Eine seiner Inschriften lautete: ÂťMache dich auf Schweres gefaĂt; deine Leiden beginnen ja jetzt erst. HĂźlle dich vorsorglich in Pelze und sorge, daĂ dir die Vorräte nicht ausgehen; denn bald kommen wir in Landstriche, wo du so Furchtbares zu dulden haben wirst, daĂ selbst meine unauslĂśschliche Rachsucht zufriedengestellt sein wird.ÂŤ
Durch diese hĂśhnischen Aufforderungen wurde mein Mut und meine Ausdauer immer wieder neu belebt. Ich bat den Himmel um Kraft und durchzog die unendlichen Ebenen, bis der Ozean am Horizont erschien wie eine graue Barriere. O wie anders ist doch das Meer, das im SĂźden blaut! Mit Eis bedeckt, unterschied es sich vom festen Land nur durch seine Zerrissenheit und Wildheit. Die Griechen weinten einst vor Freude, als sie von der HĂśhe des Gebirges aus das Mittelmeer erblickten, und jubelten, weil endlich ihre MĂźhsalen zu Ende gingen. Ich weinte nicht, aber ich sank auf die Kniee und dankte meinem guten Geiste, daĂ er mich so weit gefĂźhrt, meinem Feinde zum Trotz, den ich nun bald fassen und niederringen durfte.
Schon einige Wochen war es her, daà ich mir einen Schlitten und Hunde angeschafft hatte, mit denen ich in fliegender Hast die Schneewßsten durchquerte. Ich weià nicht, ob mein Feind sich derselben Mittel bediente; aber wenn ich bisher immer weiter hinter ihm zurßckgeblieben war, so kam ich ihm jetzt doch wieder näher. Als ich den Ozean schaute, war er mir mehr als eine Tagesreise voraus, und ich hoffte, mit ihm zugleich den Strand zu erreichen. Ich spannte deshalb alle meine Kräfte an und kam nach zwei Tagen an einen einsamen Weiler in der Nähe der Kßste. Ich fragte die Bewohner nach dem, den ich verfolgte, und erhielt genaue Auskunft. Ein gigantisches Ungeheuer, erzählten sie mir, sei in der vorhergehenden Nacht angekommen. Es sei mit einer Flinte und Pistolen bewaffnet gewesen und habe durch sein schreckliches Aussehen alle in Furcht versetzt, sodaà sie aus ihren einsamen Hßtten flohen. Er hatte ihnen ihre ganzen Wintervorräte weggenommen und sie auf einen Schlitten verladen, der mit einer Menge Hunde bespannt war. In der gleichen Nacht sei er dann zur Freude der geängstigten Bewohner in das zugefrorene Meer hinausgefahren, und zwar in einer Richtung, in der kein Land lag. Sie seien der Ansicht, daà er von den berstenden Schollen verschlungen werden oder in der grimmigen Kälte zu Grunde gehen mßsse.
Als ich das vernahm, packte mich, wenn auch nur einen Moment lang, die Verzweiflung. Er war mir entwischt und eine endlose Jagd durch die Eisschollen des Meeres stand mir bevor, die sicherlich meinen Tod herbeifĂźhren muĂte, denn ich, als Kind eines freundlichen, sonnigen Landes, durfte nicht hoffen, der Kälte Trotz bieten zu kĂśnnen, die selbst jene rauhen Menschen, die diese Gegenden als Pelzjäger aufsuchten, nur kurze Zeit zu ertragen vermochten. Aber der Gedanke, daĂ mein Feind noch lebte, brachte jedes Bedenken zum Schweigen. Nach einer knappbemessenen Ruhepause machte ich mich wieder auf den Weg, nachdem ich meinen Landschlitten mit einem fĂźr die Fahrt Ăźber Eis mehr geeigneten vertauscht und mich mit hinreichenden Vorräten versehen hatte.
Wie lange ich seitdem unterwegs bin, weiĂ ich nicht. Aber die furchtbaren MĂźhseligkeiten hielt ich nur aus, weil mich der Gedanke an die baldige Rache aufpeitschte. Ungeheure Eisberge versperrten mir oftmals den Weg und unter mir rauschte das Wasser des Ozeans, das mich zu verschlingen drohte. Aber der Frost hielt sie in Banden, sodaĂ ich sicher darĂźber hinwegglitt.
Nach dem Verbrauch an Lebensmitteln zu urteilen, war ich etwa drei Wochen unterwegs, und die Verlängerung meiner Qualen preĂte mir manchmal heiĂe Tränen aus den Augen. Ich begann schon die Hoffnung aufzugeben, meine einzige StĂźtze in all dem Elend. Eines Tages hatten meine treuen Tiere eben den Schlitten einen steilen Abhang hinaufgezogen; eines von ihnen war dann tot zusammengebrochen und ich starrte hinaus in die endlose Weite. Da plĂśtzlich sah ich am dämmerigen Horizont einen dunklen Fleck, der sich rasch vorwärts bewegte. Ich strengte meine Augen an und stieĂ dann einen wilden Freudenschrei aus. Ich hatte einen Schlitten erkannt und in ihm die mir so wohlbekannte, verhaĂte Ungestalt. Wie ein Sonnenstrahl drang es in mein Herz. HeiĂe Tropfen rannen mir aus den Augen, die ich hastig wegwischte, damit sie mir den Ausblick nach meinem Feind hin nicht verschleierten. Aber immer wieder wurden mir die Augen feucht und schlieĂlich konnte ich mich nicht mehr halten und weinte laut.
Aber jede Minute war kostbar. Ich befreite die Hunde von ihrem toten Genossen und gab ihnen reichlich Futter; und nach einer Stunde Rast, die uns so bitter not tat und doch so verderblich sein sollte, setzte ich die Jagd fort. Der Schlitten war immer noch sichtbar und ich verlor ihn nicht aus den Augen, auĂer wenn er gerade einmal hinter einer der hohen Eisschollen verschwand. Ich gewann sichtlich an Terrain, und als ich nach weiteren zwei Tagen meinen Feind nur mehr eine Meile von mir entfernt erblickte, jubelte ich.
Aber jetzt, da ich meinte, nur die Hand nach ihm ausstrecken zu mĂźssen, wurden meine Hoffnungen plĂśtzlich vollkommen vereitelt und ich verlor die Spur des Dämons grĂźndlicher als je zuvor. Ich vernahm das gewaltige BrĂźllen der See unter mir, das immer mehr anschwoll. Ich wuĂte, was das zu bedeuten hatte, und setzte die letzten Kräfte meiner Tiere ein. Aber vergebens! Ein starker Wind erhob sich, die Eisfläche zitterte wie unter einer mächtigen ErschĂźtterung und mit einem grellen, lauten Klang barst die blendende Fläche. Und wenige Minuten später rollten dunkle Wogen zwischen mir und meinem Feinde. Ich trieb auf einem losgerissenen EisstĂźck, das zusehends kleiner wurde, davon und machte mich auf mein baldiges grausiges Ende gefaĂt.
Schlimme Stunden habe ich da verlebt. Mehrere von meinen Hunden erlagen der grimmigen Kälte und auch ich selbst gab langsam die Hoffnung auf. PlÜtzlich sah ich Ihr Schiff, das da vor Anker lag. Neuer Lebensmut rieselte mir durch die Adern und zugleich dachte ich freudig daran, daà ich mit Ihrer Hßlfe vielleicht mein Werk zu Ende fßhren kÜnnen wßrde. Ich hatte ja nie daran gedacht, daà ich so hoch da oben einem Schiff begegnen kÜnnte. Schnell zerschlug ich meinen Schlitten und konstruierte mir ein paar Ruder, mit deren Hilfe ich meine Eisscholle dem Kutter entgegensteuerte. Ich hatte mir aber fest vorgenommen, falls Sie nach Sßden abfahren sollten, mich wieder dem Eise anzuvertrauen und keinesfalls meinen Plan aufzugeben. Ich hegte die Hoffnung, daà Sie mir ein Boot zur Verfßgung stellen wßrden, in dem ich die Verfolgung meines Peinigers wieder aufnehmen kÜnnte. Aber Sie fuhren nach Norden, und hier gehe ich meinem Ende entgegen, das ich nur fßrchte, weil meine Aufgabe noch nicht erfßllt ist.
Wann wird wohl mein guter Engel mich zur Ruhe betten, der ich so sehr bedarf, wenn ich meinen Dämon vernichtet habe; oder soll ich sterben, wenn er noch lebt? Wenn das eintreten sollte, so schwĂśren Sie mir, Walton, daĂ Sie die Verfolgung aufnehmen und ihn nicht lebend entkommen lassen. Rächen Sie mich an ihm! Und dennoch, darf ich es Ihnen denn zumuten, das alles zu erdulden, was ich erduldet? Nein! Aber ich bitte Sie, wenn ich tot bin und er kreuzt irgendwo Ihre Wege, geleitet von den Geistern der Rache, ihn zu tĂśten; schwĂśren Sie mir das! Er soll nicht triumphieren Ăźber mein Weh und seinen Schandtaten noch neue hinzufĂźgen. Er ist beredsam und seine Worte sind einschmeichelnd; sie hatten ja einst sogar mich betĂśrt. Aber trauen Sie ihm nicht; seine Seele ist ebenso häĂlich wie sein Leib, voll von Bosheit und fanatischer TĂźcke. HĂśren Sie nicht auf ihn; nennen Sie die Namen: Wilhelm, Justine, Clerval, Elisabeth, meines Vaters und den des armen Viktor, und stoĂen Sie ihm dann Ihren Degen in die Brust. Mein Geist wird in Ihrer Nähe sein und Ihnen die Klinge fĂźhren.
*
- August 17..
Du hast diesen seltsamen und furchtbaren Bericht gelesen, und fĂźhlst Du nicht Dein Blut erstarren? Oftmals ergriff den Erzähler die Todesangst, sodaĂ er aufhĂśren muĂte. Dann fuhr er wieder fort mit bebender Stimme das Weh zu schildern, das sein Teil geworden auf Erden. Bald glĂźhten seine schĂśnen Augen vor Zorn, bald wurden sie trĂźb oder schwammen in Tränen, wenn er so seine Hoffnungslosigkeit und sein Elend schilderte. Zumeist war er Herr seiner Stimme und seiner Geberden; manchmal aber kam doch seine Wut zum Ausbruch und er schleuderte mit dem Ausdrucke des wildesten Hasses furchtbare VerwĂźnschungen gegen seinen Feind.
Die Geschichte ist zusammenhängend und wurde mit aller Schlichtheit, wie sie nur der Wahrheit innewohnt, erzählt. Ich gestehe Dir aber, daà mir die Briefe von Felix und Safie und der Anblick des Ungeheuers, das wir ja vom Schiffe aus gesehen hatten, mehr fßr die Wahrheit bewiesen als alle seine Beteuerungen, denen ich unter anderen Umständen ohne weiteres Vertrauen geschenkt hätte. Also ein solches Ungeheuer trug wirklich die Erde? Ich kann nicht mehr daran zweifeln. Aber staunen muà ich darßber. Oftmals versuchte ich, von Frankenstein Details ßber seine Entdeckung zu erfahren, aber in dieser Hinsicht war er unerbittlich.
ÂťSie sind ja wahnsinnig, mein Freund,ÂŤ sagte er, Âťoder sind Sie so neugierig? Wollen Sie auch sich und der Welt einen solchen satanischen Feind schaffen? Denken Sie daran, was ich darunter zu leiden hatte, und versuchen Sie nicht, sich selbst solches Elend aufzubĂźrden.ÂŤ
Frankenstein hatte bemerkt, daà ich mir Aufzeichnungen ßber seine Erzählung machte. Er bat mich, sie ihm zu zeigen und verbesserte und ergänzte sie an manchen Stellen, besonders wo es sich um das Leben des Dämons und um seine Gespräche mit ihm handelte. Ich mÜchte nicht, sagte er, nachdem Sie nun doch einmal meine Geschichte der Nachwelt ßberliefern wollen, daà sie verstßmmelt an diese gelangt.
Eine Woche hatte es gedauert, bis diese Geschichte, die seltsamste, die ich je gehĂśrt, ganz erzählt war. Mein Gast hatte mir mit seinen Worten, aber auch durch sein vornehmes Wesen hohes Interesse eingeflĂśĂt und ich versuchte ihn zu beruhigen. Doch was half das, wenn ich einem tief UnglĂźcklichen und jeglicher Hoffnung Beraubten Freude am Leben predigte? Nichts; er hatte auch gar keinen anderen Wunsch mehr, als sich in Ruhe und Frieden auf den Tod vorzubereiten. In seinen Träumen hält er Zwiesprache mit seinen lieben Toten und ist fest Ăźberzeugt, daĂ sie selbst es sind, die aus den unsichtbaren Welten herĂźberschweben und ihm Trost zusprechen. Dies gibt seinen Phantasien einen Schimmer von Wahrheit, der zugleich erhebt und rĂźhrt.
Unsere Gespräche beschränken sich aber nicht auf seine Lebens- und Leidensgeschichte. Er ist auf allen Gebieten auĂergewĂśhnlich bewandert und von hoher Intelligenz. Er spricht Ăźberzeugend und klar. Was fĂźr ein prächtiger Mensch muĂ er in den Tagen des GlĂźckes und der Jugend gewesen sein! Er scheint sich seines einstigen Wertes und der Tiefe seines Sturzes wohl bewuĂt zu sein.
ÂťAls ich noch jung war,ÂŤ sagte er, Âťglaubte ich fĂźr etwas Hohes, Erhabenes ausersehen zu sein. Ich hatte eine tiefe Empfindung, dabei aber doch eine Ruhe des Urteils, wie sie nicht alltäglich ist. Dieses GefĂźhl meines eigenen Wertes stĂźtzte mich da, wo andere längst unterlegen waren. Und ich hielt es fĂźr ein Verbrechen, in fruchtlosem GrĂźbeln die Talente verkĂźmmern zu lassen, die meinen Mitmenschen vielleicht von Nutzen sein konnten. Wenn ich darĂźber nachdachte, was ich vollbracht, nämlich die SchĂśpfung eines lebenden, denkenden Wesens, dann glaubte ich ein Recht zu haben, mich Ăźber den groĂen Haufen der sogenannten Entdecker zu erheben. Aber gerade dieser Umstand ist es, der mich heute am tiefsten niederdrĂźckt. All mein Sinnen und Hoffen war umsonst; und wie jener Erzengel, der dem Allmächtigen Trotz zu bieten wagte, bin ich in eine brennende, ewige HĂślle verbannt. Ich trug den Himmel in mir, ich jubelte Ăźber meine Erfolge und glĂźhte vor Eifer, noch weiter zu schreiten auf der einmal betretenen Bahn. Von meiner Kindheit an war ich voll stolzer Hoffnungen und voll zĂźgellosen Ehrgeizes. Wie tief aber bin ich heute gesunken! Mein Freund, wenn Sie mich noch gekannt hätten, wie ich frĂźher war, Sie wĂźrden mich nicht mehr erkennen. Verzweiflung war mir fremd, und ein groĂes, hohes Geschick schien mir FlĂźgel zu verleihen, bis ich tief, so tief fiel, daĂ ich mich nicht mehr erheben kann.ÂŤ
MuĂ ich also wirklich dieses liebenswerte GeschĂśpf verlieren? Ich habe mich so lange nach einem Freunde gesehnt, nach einem Menschen, der mir in Liebe zugetan ist und mich versteht. Sieh, in diesen endlosen EiswĂźsten habe ich ihn gefunden; aber ich fĂźrchte, ich habe ihn nur gefunden, um seinen Wert zu erkennen und ihn dann zu verlieren. Ich habe alles versucht, um ihn das Leben wieder lieben zu lehren, aber er will nichts davon wissen.
ÂťIch danke Ihnen, Walton,ÂŤ sagte er, ÂťfĂźr Ihre freundlichen BemĂźhungen um mich Armen. Aber glauben Sie nicht, daĂ mir neue Bande und neue Liebe das zu ersetzen vermĂśchten, was ich verloren. Kann mir ein Mann je noch das sein, was mir Clerval, oder mein Weib das, was mir Elisabeth war? An den Genossen unserer Jugend hängen wir so fest, daĂ die Neigungen späterer Jahre sie nicht aus unseren Herzen zu verdrängen vermĂśgen. Und ich habe Freunde gehabt, die mir nicht nur durch Gewohnheit lieb geworden waren, sondern um ihrer selbst willen. Wo immer ich weile, flĂźstern mir die Stimmen Elisabeths und Clervals an das Ohr. Sie sind tot, und nur eines ist es, was mich in dieser Ăde noch an das Leben kettet. Hätte ich noch ein Ziel, das, hoch und erhaben, der Menschheit von Nutzen sein kĂśnnte, dann, ja dann kĂśnnte ich mich entschlieĂen weiter zu leben. Aber das ist mir nicht beschieden! Ich habe nichts mehr weiter zu tun, als das Ungeheuer, das ich schuf, zu verfolgen und zu vernichten. Dann ist mein Erdenzweck erfĂźllt und ich kann mich schlafen legen.ÂŤ
*
- September 17..
Liebste Schwester!
Heute schreibe ich Dir, umgeben von den schlimmsten Gefahren, und weià nicht, ob ich je wieder mein geliebtes England und die teuren Menschen, die mir dort noch leben, erblicken werde. Ringsum tßrmen sich Eisberge von ungeheurer HÜhe, die ein Entkommen ganz unmÜglich erscheinen lassen und jeden Augenblick mein Schiff zermalmen drohen. Die braven Burschen, die ich ßberredet habe, an meinem Unternehmen sich zu beteiligen, schauen stumm und hßlfesuchend auf mich. Aber ich kann ihnen keinen Trost gewähren! Es ist ein furchtbar niederdrßckendes Gefßhl, aber mein Mut und meine Hoffnung sind noch ungebrochen. Es tut mir in der Seele weh, zu wissen, daà ich, wenn wir zu Grunde gehen mßssen, mit meinen ehrgeizigen Plänen allein die Schuld trage.
Und wie wird Dir zu Mute sein, Margarethe? Du wirst von meinem Untergange ja nichts erfahren und sehnsĂźchtig meiner RĂźckkehr harren. Jahre werden dann vergehen, in denen Du zwischen Hoffen und Verzweifeln schwankst. O liebe Schwester, Dein Leid betrĂźbt mich mehr als mein eigenes Ende. Aber Du hast ja Deinen Mann und Deine lieben Kinder, mit denen Du glĂźcklich sein kannst. Der Himmel segne Dich und sie alle.
Mein unglĂźcklicher Gast fĂźhlt tiefes Mitleid mit mir. Er versucht mich aufzumuntern und spricht, als habe das Leben auch fĂźr ihn noch Wert. Er erinnert mich oft daran, wie das Gleiche auch schon anderen Seefahrern vor mir geschehen sei, die in diese ungastlichen Meere kamen, und erweckt in mir Hoffnungen, von denen ich sicher weiĂ, daĂ sie trĂźgerisch sind. Auch die Mannschaft unterliegt der Macht seiner Beredsamkeit, ihre Zaghaftigkeit weicht frischer Energie, und er redet ihnen ein, diese Eisberge seien Maulwurfhaufen, die vor der Macht des Menschen in nichts zerfallen. Aber lange hält die gute Stimmung nicht an. Jeder Tag vergeblicher BemĂźhungen wirkt deprimierend auf ihre GemĂźter ein und ich habe mich schon auf eine Meuterei gefaĂt gemacht, wenn das noch lange so weiter geht.
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- September 17..
Eben hat sich etwas ereignet, das ich fĂźr Dich niederschreiben muĂ, wenn ich auch nicht hoffen darf, daĂ dich diese Zeilen je erreichen.
Wir sitzen immer noch fest mitten in den Eisbergen und mßssen immer damit rechnen, von ihnen zermalmt zu werden. Die Kälte ist furchtbar, und mancher meiner treuen Genossen hat schon sein Grab unter diesem dßsteren Himmel gefunden. Frankenstein wird von Tag zu Tag elender. Fieberglut leuchtet aus seinen Augen. Er ist vÜllig erschÜpft, und wenn er sich auch zuweilen aufrafft, so versinkt er wenige Augenblicke danach wieder in Apathie.
Ich habe schon frĂźher meinen BefĂźrchtungen, es kĂśnnte eine Meuterei ausbrechen, Ausdruck gegeben. Heute morgen, als ich am Bett meines armen Freundes saĂ, der mit halb geschlossenen Augen und schlaffen Gliedern dalag, hĂśrte ich drauĂen Lärm und Stimmengewirr. Es war ein halbes Dutzend meiner Matrosen, die mich zu sprechen verlangten. Sie traten ein und einer von ihnen ergriff das Wort. Er sagte mir, daĂ er und die, die mit ihm gekommen waren, von den Ăźbrigen Matrosen als Deputation zu mir geschickt worden seien, um eine Bitte vorzutragen, die ich gerechterweise nicht abschlagen kĂśnne. Wir seien vom Eis umschlossen und wĂźrden ja wohl nie wieder frei werden. Aber sie fĂźrchteten, daĂ ich, wenn wider Erwarten dieser Fall eintreten sollte, kĂźhn genug wäre, noch weiter nach Norden vorzudringen und sie in neue Gefahren brächte. Sie verlangten deshalb, daĂ ich ihnen das feierliche Versprechen gebe, meinen Kurs sĂźdwärts zu richten, wenn ein gĂźtiges Schicksal uns aus diesen Eismassen befreite.
Diese Worte verwirrten mich. Ich hatte die Hoffnung noch lange nicht aufgegeben; auch hatte ich nie daran gedacht umzukehren, wenn ich wieder freies Fahrwasser hätte. Aber konnte ich es wagen, mich der Forderung meiner Leute zu widersetzen? Ich zÜgerte noch zu antworten, da erhob sich Frankenstein, der bisher teilnahmslos dagelegen hatte, im Bett. Seine Augen funkelten und ßber seine Wangen huschte ein flßchtiges Rot. Zu den Mannschaften gewendet, sagte er:
Was wollt ihr hier? Was verlangt ihr von eurem Kapitän? Seid ihr so wankelmßtig? Und das nennt ihr dann eine ruhmreiche Expedition? Und warum war sie ruhmreich? Nicht weil ihr ruhig und friedlich in einem stillen Meere gekreuzt habt, sondern weil sie gefahrvoll und schrecklich war; weil bei jedem neuen Hindernis euer Mut gestiegen ist; weil Not und Tod euch umgaben, denen ihr wacker die Stirn geboten habt. Das ist ein ruhmreiches, ein lobenswertes Unternehmen. Man wird euch preisen als Helden und wird euch verehren, weil ihr zum Nutzen der Menschheit die Ehre dem Tode abgerungen habt. Und nun, bei der ersten ernstlichen Gefahr, bei der ersten Prßfung eures Mutes wollt ihr verzagen und schämt euch nicht als Leute zurßckzukehren, die nicht Kraft genug hatten, der Kälte und der Gefahr zu trotzen. Arme, ängstliche Seelen seid ihr, die am liebsten hinter dem warmen Ofen hocken. Dazu hätte es nicht dieser Vorbereitungen bedurft; Schurken seid ihr, wenn ihr euren Kapitän zwingen wollt, unverrichteter Dinge umzukehren. Ich bitte euch, seid doch Männer, stark und unbezwinglich wie Felsen, und bleibt eurem Vorsatze getreu. Dieses Eis ist nicht so fest wie euer Wille und kann euch nicht widerstehen, wenn ihr nur ernstlich wollt. Kehrt nicht zu euren Familien zurßck mit der Schande beladen. Kehrt zurßck als Helden, die gekämpft und gesiegt und die niemals dem Feinde den Rßcken gekehrt haben.
Er sprach dies so ausdrucksvoll und begeistert, daĂ die Leute schwankend wurden. Sie sahen einander an und wuĂten nicht, was sie antworten sollten. Dann ergriff ich das Wort. Ich befahl ihnen, sich zurĂźckzuziehen und sich die Sache zu Ăźberlegen. Ich versprach ihnen, nicht weiter nach Norden vorzudringen, wenn sie darauf bestĂźnden; aber ich hoffe, daĂ nach einigem Nachdenken auch ihr bewährter Mut zurĂźckkehren werde.
Sie gingen und ich wandte mich zu meinem Kranken; aber dieser war ohnmächtig.
Wie das alles enden soll, weiĂ ich nicht. Aber das weiĂ ich, daĂ ich lieber stĂźrbe, als schmählich den RĂźckzug anzutreten, ohne meine Aufgabe erfĂźllt zu haben. Aber ich fĂźrchte beinahe, daĂ es doch so wird kommen mĂźssen. Die Leute, denen die hohen Begriffe von Ruhm und Ehre mangeln, werden sich kaum freiwillig dazu entschlieĂen, neue MĂźhen und Gefahren auf sich zu nehmen.
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- September 17..
Der WĂźrfel ist gefallen. Ich habe versprochen umzukehren, wenn wir nicht zu Grunde gehen. So sind also meine schĂśnsten Hoffnungen der Schurkerei und Verzagtheit zum Opfer geworden. Ich trete unwissend und enttäuscht die Heimfahrt an. Es bedarf grĂśĂerer Resignation, als ich sie besitze, um diese Ungerechtigkeit des Schicksals gefaĂt zu ertragen
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- September 17..
Alles ist vorbei! Ich bin auf der Heimkehr nach England. Ich habe meine Hoffnungen auf Ruhm und Ehren begraben und habe meinen Freund verloren. Aber ich will Dir noch schildern, wie das letztere kam; und da mich die Winde wieder der Heimat zutragen und ich Dich bald in meine Arme schlieĂen werde, will ich nicht verzweifeln.
Am 9. September begann sich das Eis zu bewegen. Es hĂśrte sich an wie fernes Donnern, als die mächtigen Schollen allenthalben barsten. Die Gefahr war groĂ. Da wir uns doch nur passiv verhalten konnten, widmete ich mich ganz meinem kranken Gaste, der sichtlich dahinschwand und nicht mehr imstande war das Bett zu verlassen. Das Eis krachte auf allen Seiten und wurde mit unwiderstehlicher Gewalt nordwärts getrieben. Eine Westbrise machte sich auf und am 11. war die Passage nach SĂźden frei. Als die Matrosen dies bemerkten und wuĂten, daĂ nun der Heimkehr nichts mehr im Wege stĂźnde, machte sich ihre Freude in einem lauten, langgezogenen Geschrei Luft. Frankenstein, der geschlummert hatte, erwachte und frug mich nach der Ursache dieses Lärmes. ÂťSie jubeln,ÂŤ antwortete ich, Âťweil sie nun bald wieder in England sein werden.ÂŤ
ÂťKehren Sie also wirklich zurĂźck?ÂŤ
ÂťLeider muĂ ich es. Ich konnte ihren Bitten nicht mehr widerstehen. Ich darf sie nicht gegen ihren Willen weiteren Gefahren und MĂźhsalen aussetzen.ÂŤ
Nun also, wenn Sie nicht anders wollen! Aber ich will nicht! Sie kÜnnen Ihre Pläne aufgeben, aber die meinigen sind mir vom Himmel vorgezeichnet. Ich bin ganz schwach und elend, aber die Geister der Rache werden mir wieder Kraft verleihen. Kaum hatte er das gesagt, bemßhte er sich, das Bett zu verlassen. Jedoch sein KÜrper versagte und er brach ohnmächtig zusammen.
Es dauerte sehr lange, bis ich ihn wieder zum Leben zurĂźckrufen konnte; manchmal meinte ich, es sei ohnehin schon zu Ende. SchlieĂlich Ăśffnete er seine Augen, atmete schwer und versuchte zu sprechen. Der Arzt gab ihm ein anregendes Medikament und ordnete an, daĂ der Kranke nicht gestĂśrt werden dĂźrfe. Mir sagte er leise, daĂ dieses schwache Lebenslichtlein nur noch wenige Stunden zu flackern haben werde.
Als ich das wuĂte, blieb mir nichts anderes Ăźbrig, als mich in Trauer zu fĂźgen. Ich setzte mich ans Bett und wachte Ăźber dem erlĂśschenden Leben. Die Augen des Kranken waren geschlossen und ich meinte, er schliefe; aber plĂśtzlich bat er mich mit ganz schwacher Stimme, mich näher zu ihm niederzubeugen und begann: ÂťLeider ist die Kraft, auf die ich mich verlieĂ, nicht Ăźber mich gekommen. Ich fĂźhle, daĂ ich bald sterben muĂ, und er, mein Peiniger, mein Feind, weilt noch auf Erden. Glauben Sie nicht, Walton, daĂ ich jetzt, in den letzten Stunden meines Daseins, noch diesen glĂźhenden HaĂ, diese brennende Rachsucht empfinde, die mich bis vor kurzem beseelten. Aber ich weiĂ, daĂ ich erst gerächt bin, wenn mein Feind auch tot ist. Diese paar Tage habe ich mein ganzes Verhalten noch einmal geprĂźft und finde nichts Tadelnswertes daran. In einem Rausch wissenschaftlichen Wahnsinns schuf ich ein wirkliches Wesen, und meine Pflicht wäre es gewesen, ihm so viel GlĂźck zukommen zu lassen, als in meinen Kräften stand. Das war eine Pflicht; aber eine andere stand diametral gegenĂźber. Die Pflicht meinen Mitmenschen gegenĂźber. Von diesem Standpunkt aus habe ich mich geweigert, zu meinem ersten GeschĂśpf noch ein zweites zu schaffen, und ich tat wohl daran. Denn mein Feind war von ausgesuchter TĂźcke und Bosheit; er vernichtete alle meine Lieben; er hatte es sich vorgenommen, alle die Wesen zu tĂśten, die mir nahestanden. Und es ist gar nicht abzusehen, wann seine Rache endlich gestillt sein wird. Er selbst war elend, und damit er andere nicht auch elend machen konnte, sollte er sterben. Ihn zu vernichten, war meine Aufgabe, aber ich bin ihr nicht gerecht geworden. Wenn ich allein von Egoismus und Rachsucht geleitet wĂźrde, mĂźĂte ich Sie anflehen, mein begonnenes Werk zu Ende zu fĂźhren; und nun, da mich nur die Vernunft und das PflichtbewuĂtsein regieren, muĂ ich die gleiche Bitte an Sie stellen.ÂŤ
ÂťIch kann ja nicht fordern, daĂ Sie, um meinen Wunsch zu erfĂźllen, Heimat und Freunde im Stiche lassen, und da Sie nach England zurĂźckkehren, besteht wenig Aussicht, daĂ Sie zufällig mit ihm zusammentreffen. Die Erwägungen darĂźber und die Beurteilung dessen, was Sie fĂźr Ihre Pflicht ansehen, muĂ ich Ihnen selbst Ăźberlassen. Mein Urteil und meine Ansichten sind schon von der Nähe des Todes beeinfluĂt. Ich darf Ihnen nicht sagen, was ich fĂźr das Richtige halte, denn meine Sinne sind vielleicht schon verwirrt.ÂŤ
ÂťDer Gedanke quält mich, daĂ er am Leben bleiben soll und allerlei Ăbeltaten begehen kann. Im Ăźbrigen ist dieser Augenblick, da ich meine AuflĂśsung kommen fĂźhle, der schĂśnste, den ich seit Jahren erlebe. Die Gestalten meiner Lieben stehen vor mir und ich beeile mich, in ihre Arme zu fliegen. Leben Sie wohl, Walton! Suchen Sie Ihr GlĂźck in der Ruhe und lassen Sie sich nicht vom Ehrgeiz hinreiĂen; sei es auch nur der harmlose Ehrgeiz, mehr zu wissen und mehr entdeckt zu haben als andere. Aber wie komme ich dazu Sie zu warnen? Ich selbst bin an diesen Hoffnungen zu Grunde gegangen, mĂśgen andere folgen.ÂŤ
Seine Stimme war immer leiser und schwächer geworden; schlieĂlich versank er erschĂśpft in Schweigen. Eine halbe Stunde später versuchte er noch einmal zu sprechen, aber es war unmĂśglich. Er drĂźckte mir noch zärtlich die Hand und dann schlossen sich seine Augen fĂźr immer, während ein sanftes Lächeln Ăźber sein Gesicht huschte.
Margarete, wie soll ich Dir schildern, was ich fĂźhlte, als dieses Leben erlosch? Wie kann ich Dir die Tiefe meines Grames begreiflich machen? Die Sprache ist zu arm dazu. Meine Tränen flieĂen und mein GemĂźt ist bedrĂźckt von Trauer. Aber der Gedanke trĂśstet mich, daĂ mein Kiel heimwärts zeigt.
Ich werde unterbrochen. Was bedeutet der Lärm? Es ist Mitternacht; eine leise Brise kräuselt die Wellen und reglos steht der Posten auf Deck. Dann eine menschliche Stimme, aber viel rauher als eine solche. Sie dringt aus der Kajßte, in der Frankensteins Irdisches ruht. Ich muà hinauf und sehen, was los ist.
GroĂer Gott! Welcher Anblick bot sich mir. Es schaudert mich, wenn ich daran denke. Ich werde es Dir vielleicht gar nicht schildern kĂśnnen, aber die Geschichte wäre unvollständig, wollte ich Dir die seltsame SchluĂkatastrophe vorenthalten.
Ich eilte in die KajĂźte, wo mein armer Freund von seinem Erdenleid ausruhte. Ăber ihn gebeugt eine Gestalt! â Worte, sie zu beschreiben, finde ich nicht. Sie war gigantisch, aber miĂgestaltet. Ăber sein Gesicht hing langes, verwirrtes Haar; eine Hand hielt er gegen mich ausgestreckt, und diese war braun und runzelig wie die einer Mumie. Und dann sprang er schreiend zum KajĂźtenfenster. Niemals noch habe ich etwas auch nur Ăhnliches an grauenhafter, widerlicher ScheuĂlichkeit gesehen, wie dieses Antlitz. Ich schloĂ unwillkĂźrlich die Augen und besann mich, wie ich dem Ungeheuer am raschesten den Garaus machen kĂśnnte. Ich befahl ihm, stehen zu bleiben.
Er sah mich erstaunt an, dann wendete er sich, scheinbar ohne weiter von mir Notiz zu nehmen, dem Leichnam zu, und seine ZĂźge und Gesten trugen den Ausdruck wildester Leidenschaft.
ÂťAuch du bist mir zum Opfer gefallen!ÂŤ schrie er. ÂťUnd mit deinem Tode ist die Reihe meiner Greueltaten zu Ende; ich habe meine grausige Aufgabe erfĂźllt. O Frankenstein, du edles, hingebendes GeschĂśpf! Was hilft es, daĂ ich dich jetzt um Verzeihung bitte? Ich, der dich unerbittlich zu Grunde richtete, indem ich dir alles nahm, was dir ans Herz gewachsen war. Leider bist du nun tot und kannst mir nicht mehr antworten.ÂŤ
Seine Stimme erstickte in Schluchzen, und meine anfängliche Absicht, den Wunsch meines sterbenden Freundes zu erfĂźllen, wich einem seltsamen GefĂźhl von Neugierde und Mitleid. Ich näherte mich dem UnglĂźcklichen, aber ich wagte es nicht ihn anzusehen, so sehr hatte mich sein erster Anblick bestĂźrzt und entsetzt. Ich versuchte zu sprechen, aber die Worte wollten mir nicht Ăźber die Lippen. Unterdessen erging sich der Dämon in schrecklichen, wilden SelbstvorwĂźrfen. SchlieĂlich aber zwang ich mich doch, ihn anzureden: ÂťEure Reue kommt zu spät! Hättet Ihr frĂźher auf die Stimme des Gewissens gehĂśrt, statt in sinnloser, blutiger Rache zu schwelgen, dann wäre Frankenstein heute noch unter den Lebenden.ÂŤ
Bilden Sie sich ein, glauben Sie wirklich, erwiderte das Ungeheuer, daà ich nicht besseren Regungen zugänglich war? Er, dabei deutete es auf den Toten, er litt nicht so viel wie ich, nicht den zehntausendsten Teil davon. Aber es drängte mich unaufhaltsam vorwärts auf der eingeschlagenen Bahn, trotzdem mich die Gewissensbisse unsäglich peinigten. Glauben Sie, daà mir das GerÜchel Clervals Musik war? Mein Herz war geschaffen fßr Liebe und Mitleid und es litt schwer darunter, daà ich von einem grausamen Schicksal dazu verdammt ward, meinen Weg durch Blut und Tränen zu gehen.
ÂťNach dem Tode Clervals kehrte ich in die Schweiz zurĂźck, gebrochen und elend. Ich bemitleidete Frankenstein, und dieses Mitleid wurde zum Entsetzen, zum Entsetzen Ăźber mich selbst. Aber als ich bemerkte, daĂ er, der Urheber meines Lebens und damit meiner unbeschreiblichen Leiden, es wagte, an ErdenglĂźck zu denken; daĂ er, der Schmerz und Verzweiflung Ăźber mich gebracht hatte, nun daran ging, Liebe und Seligkeiten zu genieĂen, die mir auf ewig versagt waren, da ergriff mich von neuem grimmiger HaĂ und brennender Rachedurst. Ich erinnerte mich meiner Drohung und beschloĂ, sie auch wahr zu machen. Ich wuĂte, daĂ ich mir selbst wieder neue Qualen schuf; aber ich war der Sklave meiner Leidenschaft, die ich selbst verabscheute, der ich aber gehorchen muĂte. Wie, wenn sie stĂźrbe, dann wäre mein Durst gestillt! Ich hatte alles Mitleid vergessen, ich unterdrĂźckte meine Angst, um ganz in der Grausamkeit meiner Verzweiflung schwelgen zu kĂśnnen. Und von da an machte mir das Grausame Freude. Nachdem ich einmal so weit war, gab ich mich willenlos der Leidenschaft hin. Die ErfĂźllung meiner teuflischen Bestimmung ward mir eine Genugtuung. Und nun ist es zu Ende; hier liegt mein letztes Opfer.ÂŤ
Zuerst rĂźhrten mich diese AusbrĂźche seiner Reue, diese Schilderungen seines Elends; aber dann erinnerte ich mich dessen, was Frankenstein von der Beredsamkeit und dem bestechenden Wesen des Dämons mir gesagt hatte. Und als meine Blicke auf die irdischen Reste meines Freundes fielen, ergriff mich Groll und HaĂ. ÂťVerfluchter,ÂŤ sagte ich, Âťnun kommt Ihr und klagt Ăźber das Unheil, das Ihr angerichtet. Ihr habt eine brennende Fackel in das Haus geworfen, und nun sitzt Ihr auf den TrĂźmmern und weint Ăźber die ZerstĂśrung. Heuchlerischer Teufel! Wenn dieser hier wieder aufstĂźnde, so wĂźrde er von neuem das Ziel eurer grausamen Rachsucht sein. Es ist nicht Mitleid, was Ihr fĂźhlt; Ihr jammert nur darĂźber, daĂ euch euer Opfer aus den Krallen geglitten ist.ÂŤ
ÂťNein, nein â so ist es nicht, wenn auch der Augenschein gegen mich spricht. Ich erhoffe mir jetzt keine Genossin mehr in meinem Elend, und Liebe wird mir nimmermehr zuteil werden. Ja, als ich noch gut war, sehnte ich mich danach, dadurch glĂźcklich zu werden, daĂ ich selber glĂźcklich machte. Aber mit der GĂźte ist es vorbei und die Hoffnung auf GlĂźck hat sich in bittere Verzweiflung gewandelt, in der ich keines MitgefĂźhls mehr bedarf. Ich bin zufrieden, wenn ich mein Leid allein tragen kann; lange wird es ja ohnehin nicht mehr dauern. Einst schwoll mein Herz in stolzen Hoffnungen von Ruhm, Ehre und Freude. Ich war so tĂśricht zu glauben, daĂ ich Wesen finden kĂśnnte, die, Ăźber meine äuĂerliche HäĂlichkeit hinwegsehend, das Gute lieben wĂźrden, das ohne Zweifel in mir wohnte. Aus den lichten HĂśhen ward ich herabgestĂźrzt und das Verbrechen hat mich zum Tier gemacht. Keine Schuld, keine Missetat, keine Bosheit, keine Schlechtigkeit, die ich mir nicht zu eigen gemacht hätte. Wenn ich das gräĂliche Register meiner Verbrechen im Geiste aufrolle, kann ich mich selbst nicht mehr erkennen. Aber es ist eben so: gefallene Engel werden zu Teufeln. Nur hat der Erzfeind Gottes und der Menschen Genossen seiner Schmach â und ich bin allein.ÂŤ
ÂťSie, der Sie Frankenstein Ihren Freund nannten, scheinen Ăźber sein UnglĂźck und meine Ăbeltaten unterrichtet zu sein. Aber mochte er Ihnen alles noch so eingehend erzählen, Ăźber die qualerfĂźllten Stunden, Tage und Monate, die ich durchleben muĂte, gab er Ihnen wahrscheinlich ebensowenig Rechenschaft, wie sich selbst. Denn während ich sein GlĂźck, seine Hoffnungen eine nach der anderen vernichtete, blieben meine eigenen WĂźnsche unbefriedigt. Sie brannten noch lichterloh in mir; immer noch sehnte ich mich nach einer Genossin, nach Liebe und Freundschaft. Lag darin nicht eine grausame Ungerechtigkeit? Warum bin ich der einzige Schuldige, da doch alle sich an mir versĂźndigten? Warum hassen Sie denn nicht Felix, der den Armen mit Schlägen von seiner Schwelle vertrieb? Warum suchen Sie nicht den Bauern, der den Retter seines Kindes mit der Mordwaffe schwer verwundete? Nein, das sind reine, edle, makellose Wesen, und ich, der UnglĂźckliche, Verlassene, bin eine MiĂgeburt, die man stoĂen und schlagen und treten darf. Noch heute kocht mein Blut, wenn ich dieser Ungerechtigkeit, dieser Schmach gedenke.ÂŤ
ÂťIch weiĂ, ich bin ein Verbrecher. Ich habe liebliches, unschuldiges Leben hingemordet; ich habe die harmlosen Menschen gewĂźrgt, während sie schliefen, und ihnen die Kehle zugedrĂźckt, daĂ sie starben; und sie hatten doch weder mir noch anderen ein Leid getan. Ich habe mir geschworen gehabt, meinen SchĂśpfer, eine Zier seines Geschlechtes, einen lieben, anbetungswĂźrdigen Menschen, dem Verderben zu weihen; ich habe ihn verfolgt bis an die Pforten des Todes. Hier liegt er nun, bleich und kalt und starr. Sie hassen mich, aber Ihr HaĂ, Ihr Abscheu kann lange nicht mit dem verglichen werden, den ich selbst gegen mich empfinde. Ich sehe die Hände an, die das Verruchte getan; ich hĂśre das Herz klopfen, in dessen Tiefen die grausamen Pläne reiften, und ich sehne mich nach der Zeit, da diese Augen nicht mehr die blutigen Hände sehen und die dĂźstren Gedanken schlafen gegangen sein werden.ÂŤ
ÂťSeien Sie unbesorgt; ich werde nicht länger mehr ein Werkzeug des BĂśsen sein. Meine Aufgabe ist nahezu vollendet. Weder Ihr Leben noch das eines anderen Menschen brauche ich mehr, um den Ring meiner Verbrechen zu schlieĂen. Mein eigens Leben ist es, das zum Opfer fallen muĂ. Glauben Sie auch nicht, daĂ ich noch lange damit warten werde. Ich werde Ihr Schiff verlassen und mich auf meinem Schlitten dahin begeben, wo der Pol ins eisige Weltall hinausragt. Dort will ich mir aus den TrĂźmmern meines Schlittens und aus angespĂźlten Schiffsplanken einen Scheiterhaufen bauen und diesen elenden Leib verbrennen zu Asche, so daĂ kein sterbliches Auge mich mehr sieht; daĂ kein Verwegener aus meinen Ăberresten erraten kann, wie man solche Wesen schafft, wie ich eines bin. Ich werde sterben und frei werden von den namenlosen Qualen, die mir auf Erden beschieden waren. Auch er ist tot, der mich ins Leben rief, und dann wird die Erinnerung an uns bald erloschen sein. Nicht länger mehr darf ich in die Sonne und in die funkelnden Sterne schauen, nicht länger mehr den Hauch des Windes um die Wangen säuseln lassen. Licht, GefĂźhl und Denken werden dahinschwinden, und dieser Zustand des Nichtmehrseins ist meine Hoffnung. Vor einigen Jahren noch, als sich mir die Augen Ăśffneten fĂźr die SchĂśnheiten dieser Welt, als ich den wärmenden Strahl der Sommersonne empfand, das Rauschen der Blätter und das Singen der VĂśglein vernahm, da wäre ich nur mit Schmerzen geschieden. Heute ist der Tod mein einziger Trost. Befleckt mit verabscheuungswĂźrdigen Verbrechen, gepeitscht von wahnsinnigen Gewissensbissen, finde ich nirgends anders Ruhe.ÂŤ
ÂťLeben Sie wohl! Ich gehe von Ihnen, und Sie sind das letzte Menschenwesen, auf dem meine Augen ruhten. Schlafe sanft, Frankenstein. Wärest du noch am Leben und mĂśchtest mich in deiner Rachsucht am bittersten quälen, dann gingest du an mir vorĂźber, ohne mich zu tĂśten. Aber du wuĂtest nicht, daĂ du mir damit eine Wohltat erwiesen hättest. Du warst verflucht, aber die grĂśĂeren Leiden hatte ich zu tragen; denn die Reue nagt an meinem Herzen und wird nicht eher ruhen, als bis dieses zu schlagen aufgehĂśrt hat.ÂŤ
Aber bald, rief er mit feierlichem, ernsten Tone, werde ich tot sein und das, was ich empfand, nicht mehr länger empfinden mßssen. Und dann ist es vorbei mit diesen entsetzlichen Qualen. Jubelnd werde ich meinen Scheiterhaufen besteigen und mich freuen an den lodernden Flammen, die mich umzßngeln. Und die Flamme wird in sich zusammenbrechen und der brausende, frische Wind wird meine Asche weithin ßber das endlose Meer tragen. Ich werde Frieden finden; und wenn mein Geist noch weiter lebt und denkt, dann werden es andere Gedanken sein als die, die mir das Erdenleben verbittert haben. Lebt wohl!
Rasch sprang er aus dem Fenster der Kajßte in den Kahn, der längsseits am Schiffe befestigt war. Die Wogen trugen ihn davon, immer weiter und weiter, bis er in der Dämmerung verschwand.
