- Kapitel 1: Majas Flucht aus der Heimatstadt
- Kapitel 2: Peppis Rosenhaus
- Kapitel 3: Der Waldsee und seine Leute
- Kapitel 4: Iffi und Kurt
- Kapitel 5: Der GrashĂźpfer
- Kapitel 6: Puck
- Kapitel 7: Majas Gefangenschaft bei der Spinne
- Kapitel 8: Die Wanze und der Schmetterling
- Kapitel 9: Hannibals Kampf mit dem Menschen
- Kapitel 10: Die Wunder der Nacht
- Kapitel 11: Die Elfenfahrt
- Kapitel 12: Der Dichter Alois Siebenpunkt
- Kapitel 13: Die Räuberburg
- Kapitel 14: Die Flucht
- Kapitel 15: Die Heimkehr
- Kapitel 16: Die Schlacht der Bienen und Hornissen
- Kapitel 17: Die Freundin der KĂśnigin
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Kapitel 1: Majas Flucht aus der Heimatstadt
Die ältere Bienendame, die der kleinen Biene Maja behilflich war, als sie zum Leben erwachte und aus ihrer Zelle schlĂźpfte, hieĂ Kassandra und hatte groĂes Ansehen im Stock. Es waren damals sehr aufgeregte Tage, weil im Volk der Bienen eine EmpĂśrung ausgebrochen war, die die KĂśnigin nicht unterdrĂźcken konnte.
Während die erfahrene Kassandra der kleinen Maja, deren Erlebnisse ich erzählen werde, die groĂen blanken Augen trocknete und ihr die zarten FlĂźgel etwas in Ordnung zu bringen suchte, brummte der groĂe Bienenstock bedrohlich, und die kleine Maja fand es sehr warm und sagte es ihrer Begleiterin.
Kassandra sah sich besorgt um, aber sie antwortete der Kleinen nicht gleich. Sie wunderte sich darĂźber, daĂ das Kind schon so frĂźh etwas auszusetzen fand, aber im Grunde war es richtig, die Wärme und das Gedränge waren beinahe unerträglich. Maja sah ununterbrochen Biene auf Biene an sich vorĂźbereilen, das Geschiebe und die Eile waren so groĂ, daĂ zuweilen die eine Ăźber die andere fortkletterte und wieder andere sich wie zu Klumpen geballt vorĂźberwälzten.
Einmal war die KÜnigin in ihrer Nähe gewesen. Kassandra und Maja wurden etwas beiseitegedrängt, aber eine Drohne, ein freundlicher junger Bienenherr von gepflegtem Aussehen, war ihnen behilflich. Er nickte Maja zu und strich sich etwas erregt mit dem Vorderbein, das bei den Bienen als Arm und Hand gebraucht wird, ßber seine glänzenden Brusthaare.
âDas Unheil wird hereinbrechenâ, sagte er zu Kassandra. âDer Schwarm der Revolutionäre wird die Stadt verlassen. Sie haben schon eine neue KĂśnigin ausgerufen.â
Kassandra beachtete ihn fast gar nicht. Sie hatte sich nicht einmal fßr die Hilfe bedankt, und Maja empfand deutlich, daà die alte Dame recht unfreundlich gegen den jungen Herrn war. Sie wagte nicht recht zu fragen, die Eindrßcke kamen alle so rasch hintereinander und drohten sie zu ßberwältigen. Die Erregung teilte sich ihr mit, und sie begann ein feines helles Summen.
âWas fällt dir einâ, sagte Kassandra. âIst nicht schon Lärm genug?â
Maja war sofort still und richtete ihre Augen fragend auf ihre ältere Freundin.
âKomm hierher,â sagte diese zu Maja, âwir wollen versuchen, uns hier etwas zu sammeln.â
Sie schob Maja bei ihrem schÜnen glänzenden Flßgel, der noch weich und ganz neu und wundervoll durchsichtig war, in eine wenig besuchte Ecke vor ein paar Wabenschränke, die mit Honig gefßllt waren.
Maja blieb stehn und hielt sich an einem der Schränke fest.
âHier riecht es ausgezeichnetâ, sagte sie zu Kassandra.
Die Alte wurde wieder ganz nervĂśs:
âDu muĂt warten lernenâ, antwortete sie. âKind, ich habe in diesem FrĂźhling schon viele hundert junge Bienen erzogen und fĂźr ihre erste Ausfahrt unterrichtet, aber mir ist noch keine vorgekommen, die so naseweis gewesen wäre. Du scheinst eine Ausnahmenatur zu sein.â
Maja errĂśtete und fuhr mit den beiden zarten Fingerchen ihrer Hand in den Mund:
âWas ist das?â fragte sie schĂźchtern, âeine Ausnahmenatur.â
âO, das ist etwas durchaus Unschicklichesâ, rief Kassandra, die allerdings die Handbewegung der kleinen Biene meinte und ihre Frage nicht beachtet hatte. âJetzt merke genau auf alles, was ich dir sage, denn ich kann dir nur kurze Zeit widmen, es sind schon wieder neue Junge ausgeschlĂźpft und meine einzige Gehilfin in dieser Etage, Turka, ist ohnehin aufs äuĂerste Ăźberarbeitet und klagte in den letzten Tagen Ăźber Ohrensausen. Setz dich hier.â
Maja gehorchte und schaute mit ihren groĂen braunen Augen auf ihre Lehrerin.
âDie erste Regel, die eine junge Biene sich merken muĂ,â sagte Kassandra und seufzte, âist, daĂ jede in allem, was sie denkt und tut, den anderen gleichen und an das Wohlergehn aller denken muĂ. Es ist bei der Staatsordnung, die wir seit undenkbar langer Zeit als die richtige erkannt haben und die sich auch aufs beste bewährt hat, die einzige Grundlage fĂźr das Wohl des Staates. Morgen wirst du ausfliegen. Eine ältere Gefährtin wird dich begleiten. Du darfst zuerst nur kleine Strecken fliegen und muĂt dir die Gegenstände genau merken, an denen du vorĂźberkommst, damit du immer zurĂźckfliegen kannst. Deine Begleiterin wird dir die hundert Blumen und BlĂźten beibringen, die den besten Honig haben, die muĂt du auswendig lernen, das bleibt keiner Biene erspart. Die erste Zeile kannst du dir gleich merken: âHeidekraut und LindenblĂźte.â Sag es nach.â
âDas kann ich nicht,â sagte die kleine Maja, âdas ist furchtbar schwer. Ich werde es ja später auch schon sehn.â
Die alte Kassandra riĂ die Augen auf und schĂźttelte den Kopf.
âMit dir wird es schlecht hinausgehn,â seufzte sie, âdas sehe ich schon jetzt.â
âSoll ich denn später den ganzen Tag Honig sammeln?â fragte die kleine Maja.

Kassandra seufzte tief und sah die kleine Biene einen Augenblick ernst und traurig an. Es erschien, als erinnerte sie sich ihres eigenen Lebens, das von Anfang bis zu Ende voll Mßhe und Arbeit gewesen war. Und dann sagte sie mit veränderter Stimme und sah Maja liebreich an:
âMeine kleine Maja, du wirst den Sonnenschein kennenlernen, hohe grĂźne Bäume und blĂźhende Wiesen voller Blumen, Silberseen und schnelle glitzernde Bäche, den strahlenden blauen Himmel, und zuletzt vielleicht sogar den Menschen, der das HĂśchste und Vollkommenste ist, was die Natur hervorgebracht hat. Ăber allen diesen Herrlichkeiten wird dir deine Arbeit zur Freude werden. Sieh, dies alles steht dir ja noch bevor, mein Herzelein, du hast Grund, glĂźcklich zu sein.â
âGut,â sagte die kleine Maja, âdas will ich denn auch.â
Kassandra lächelte gĂźtig. Sie wuĂte nicht recht, woher es kam, aber sie hatte plĂśtzlich eine ganz besondere Liebe zur kleinen Maja gefaĂt, wie sie sich kaum erinnerte jemals fĂźr eine andere junge Biene gefĂźhlt zu haben. Und so mag es denn wohl gekommen sein, daĂ sie der kleinen Maja mehr sagte und erzählte, als fĂźr gewĂśhnlich die Bienen an ihrem ersten Lebenstag hĂśren. Sie gab ihr vielerlei besondere Ratschläge, warnte sie vor den Gefahren der argen Welt drauĂen und nannte ihr die gefährlichsten Feinde, die das Volk der Bienen hat. Endlich sprach sie auch lange von den Menschen und legte in das Herz der keinen Biene die erste Liebe zu ihnen und den Keim einer groĂen Sehnsucht, sie kennenzulernen.
âSei hĂśflich und gefällig gegen alle Insekten, die dir begegnen,â sagte sie zum SchluĂ, âdann wirst du mehr von ihnen lernen, als ich dir heute sagen kann, aber hĂźte dich vor den Hornissen und Wespen. Die Hornissen sind unsere mächtigsten und bĂśsesten Feinde, und die Wespen sind ein unnĂźtzes Räubergeschlecht ohne Heimat und Glauben. Wir sind stärker und mächtiger als sie, aber sie stehlen und morden, wo sie kĂśnnen. Du kannst deinen Stachel gegen alle Insekten brauchen, um dir Achtung zu verschaffen und um dich zu verteidigen, aber wenn du ein warmblĂźtiges Tier stichst oder gar einen Menschen, so muĂt du sterben, weil dein Stachel in ihrer Haut hängenbleibt und zerbricht. Steche solche Wesen nur im Falle der hĂśchsten Not, aber dann tu es mutig und fĂźrchte den Tod nicht, denn wir Bienen verdanken unser groĂes Ansehen und die Achtung, die wir Ăźberall genieĂen, unserem Mut und unserer Klugheit. Und nun leb wohl, kleine Maja, hab GlĂźck in der Welt und sei deinem Volk und deiner KĂśnigin treu.â
Die kleine Biene nickte und erwiderte den KuĂ und die Umarmung ihrer alten Lehrerin. Sie legte sich mit heimlicher Freude und Erregung zum Schlaf nieder und konnte vor Neugierde kaum einschlummern, denn mit dem kommenden Tag sollte sie die groĂe weite Welt kennenlernen, die Sonne, den Himmel und die Blumen.
In der Bienenstadt war es inzwischen ruhig geworden. Ein groĂer Teil der jĂźngeren Bienen hatte das Reich verlassen, um einen neuen Staat zu begrĂźnden. Lange hĂśrte man den groĂen Schwarm im Sonnenschein brausen. Es war nicht aus Ăbermut oder bĂśser Gesinnung gegen die KĂśnigin geschehn, sondern das Volk hatte sich so stark vermehrt, daĂ die Stadt nicht mehr Raum genug fĂźr alle Bewohner bot und daĂ unmĂśglich so viel Honigvorräte eingebracht werden konnten, daĂ alle Ăźber den Winter ihr Auskommen hatten. Denn ein groĂer Teil des Honigs, der im Sommer gesammelt wurde, muĂte an den Menschen abgetreten werden. Das waren alte Staatsverträge, dafĂźr sicherten die Menschen das Wohlergehn der Stadt, sorgten fĂźr Ruhe und Sicherheit und im Winter fĂźr Schutz gegen die Kälte.
Am anderen Morgen hĂśrte Maja an ihrem Lager den frĂśhlichen Ruf:
âDie Sonne ist aufgegangen!â
Sofort sprang sie empor und schloà sich einer Honigträgerin an.
âGut,â sagte diese freundlich, âdu kannst mit mir fliegen.â

Am Tor hielten die Wächter sie an. Es war ein rechtes Gedränge. Einer der Torhßter sagte der kleinen Maja das Losungswort ihres Volkes, ohne das keine Biene in die Stadt gelassen wird.
âMerk es dirâ, sagte er, âund viel GlĂźck auf deinen ersten Weg.â
Als die kleine Biene vor das Stadttor trat, muĂte sie die Augen schlieĂen vor der FĂźlle von Licht, die ihr entgegenstrĂśmte. Es war ein Leuchten von Gold und GrĂźn, so Ăźber alles reich und warm und strahlend, daĂ sie vor Seligkeit nicht wuĂte, was sie tun oder sagen sollte.
âDas ist aber wirklich groĂartigâ, sagte sie zu ihrer Begleiterin. âFliegt man da hinein?!â
âNur zu!â sagte die andere.
Da hob die kleine Maja ihr KĂśpfchen, bewegte ihre schĂśnen neuen FlĂźgel und empfand plĂśtzlich, daĂ das Flugbrett, auf dem sie saĂ, zu versinken schien. Und zugleich war ihr, als glitte das Land unter ihr fort, nach hinten hin fort, und als kämen die groĂen grĂźnen Kuppeln vor ihr auf sie zu.
Ihre Augen glänzten, ihr Herz jubelte.
âIch fliege,â rief sie, âdas kann nur Fliegen sein, was ich tue! Das ist aber in der Tat etwas ganz Ausgezeichnetes.â
âJa, du fliegstâ, sagte die Honigträgerin, die MĂźhe hatte, an Majas Seite zu bleiben. âDas sind die Linden, auf die wir zufliegen, unsere SchloĂlinden, daran kannst du dir die Lage unserer Stadt merken. Aber du fliegst wirklich sehr schnell, Maja.â
âDas kann man gar nicht rasch genugâ, sagte Maja. âO, wie duftet der Sonnenschein!â
âNein,â sagte die Trägerin, die etwas auĂer Atem war, âdas sind die BlĂźten. Aber nun fliege langsamer, sonst bleibe ich zurĂźck, und du kannst dir auch auf diese Art die Gegend nicht fĂźr den RĂźckweg merken.â
Aber die kleine Maja hĂśrte nicht. Sie war wie in einem Rausch von Freude, Sonne und DaseinsglĂźck. Ihr war, als glitte sie pfeilgeschwind durch ein grĂźnleuchtendes Meer von Licht, einer immer grĂśĂeren Herrlichkeit entgegen. Die bunten Blumen schienen sie zu rufen, die stillen beschienenen Fernen lockten sie und der blaue Himmel segnete ihren jauchzenden Jugendflug. So schĂśn wird es nie mehr, wie es heute ist, dachte sie, ich kann nicht umkehren, ich kann an nichts denken, als an die Sonne.
Unter ihr wechselten die bunten Bilder, langsam und breit zog das friedliche Land im Licht dahin. Die ganze Sonne muĂ aus Gold sein, dachte die kleine Biene.
Als sie Ăźber einem groĂen Garten angelangt war, der in lauter blĂźhenden Wolken von Kirschbäumen, Rotdorn und Flieder zu ruhn schien, lieĂ sie sich zu Tode erschĂśpft nieder. Sie fiel in ein Beet von roten Tulpen und hielt sich an einer der groĂen BlĂźten fest, preĂte sich an die Blumenwand, atmete tief und beseligt und sah Ăźber den schimmernden Lichträndern der Blume den strahlend blauen Himmel.
âO, wie tausendmal schĂśner ist es in der groĂen Welt drauĂen,â rief sie, âals in der dunklen Bienenstadt. Niemals werde ich nach dort zurĂźckkehren, um Honig zu tragen oder Wachs zu bereiten. O nein, niemals werde ich das tun. Ich will die blĂźhende Welt sehen und kennenlernen, ich bin nicht, wie die andern Bienen sind, mein Herz ist fĂźr Freude und Ăberraschungen, fĂźr Erlebnisse und Abenteuer bestimmt. Ich will keine Gefahren fĂźrchten, habe ich nicht Kraft und Mut und einen Stachel?â
Sie lachte vor Ăbermut und Freude und nahm einen tiefen Schluck Honigsaft aus dem Kelch der Tulpe.
GroĂartig, dachte sie, es ist wirklich herrlich, zu leben.
Ach, wenn die kleine Maja geahnt hätte, wie vielerlei an Gefahren und Not ihrer wartete, hätte sie sich sicherlich besonnen. Aber sie ahnte es nicht und blieb bei ihrem Vorsatz. Ihre MĂźdigkeit Ăźberwältigte sie bald, und sie schlief ein. Als sie erwachte, war die Sonne fort, und das Land lag in Dämmerung. Ihr Herz schlug doch ein wenig, und sie verlieĂ zĂśgernd die Blume, die im Begriff war, sich fĂźr die Nacht zu schlieĂen. Unter einem groĂen Blatt, hoch im Wipfel eines alten Baums, versteckte sie sich, und im Einschlafen dachte sie zuversichtlich:
Ich will nicht gleich am Anfang den Mut verlieren. Die Sonne kommt wieder, das ist bestimmt, Kassandra hat es gesagt, man muĂ nur fest und ruhig schlafen.

Kapitel 2: Peppis Rosenhaus
Als die kleine Maja erwachte, war es schon hell geworden. Sie fror ein wenig unter ihrem groĂen grĂźnen Blatt, und die ersten Bewegungen, die sie machte, gelangen ihr nur schwerfällig und langsam. Sie hielt sich an einem Ăderchen des Blattes fest und lieĂ ihre FlĂźgel zittern und flimmern, damit sie geschmeidig und frei von Staub werden mĂśchten. Dann glättete sie ihre blonden Haare und wischte sich die groĂen Augen blank. Vorsichtig kroch sie etwas weiter, bis an den Rand des Blattes, und schaute sich um.
Sie war ganz geblendet von der Pracht und dem Glanz der Morgensonne umher. Die Blätter leuchteten wie grĂźnes Gold hoch Ăźber ihr, da wo sie selbst saĂ, war es noch kĂźhl im Schatten.
O du herrliche Welt, dachte die kleine Biene.
Nur langsam entsann sie sich aller Erlebnisse des vergangenen Tags, aller Gefahren und aller SchĂśnheiten, die sie gesehn hatte. Aber sie blieb entschlossen, nicht in den Stock zurĂźckzukehren. Freilich, wenn sie an Kassandra dachte, klopfte ihr Herz. Aber es war ja unmĂśglich, daĂ Kassandra sie jemals finden wĂźrde. Nein, es war nun einmal ihre Freude nicht, immer ein und ausfliegen zu mĂźssen, Honig zu tragen oder Wachs zu bereiten. Sie wollte glĂźcklich und frei sein und das Leben auf ihre Art genieĂen, mochte kommen was wollte, sie wĂźrde es ertragen. So leichtsinnig dachte Maja, jedenfalls auch deshalb, weil sie keine rechte Vorstellung von allem hatte, was ihrer noch wartete.
Irgendwo fern in der Sonne schimmerte es rot. Maja sah es glänzen und leuchten, und eine heimliche Ungeduld befiel sie. Sie verspĂźrte auch, daĂ sie hungrig war. Da schwang sie sich mutig mit einem hellen frohen Summen aus ihrem Versteck, weit hinein in die helle flimmernde Luft und in den warmen Sonnenschein. Sie steuerte in ruhigem Flug grade auf das rote Blumenlicht zu, das ihr zu winken schien, und als sie in die Nähe kam, spĂźrte sie den Hauch eines so sĂźĂen Duftes, daĂ sie beinahe betäubt wurde und die groĂe rote Blume nur mit MĂźhe erreichte. Sie schwang sich auf das äuĂerste, gewĂślbte Blumenblatt und hielt sich fest. Da rollte ihr, mit der leisen Bewegung, in die das Blatt geraten war, eine funkelnde silberne Kugel entgegen, fast so groĂ wie sie selbst, durchsichtig und flimmernd in allen Farben des Regenbogens. Maja erschrak furchtbar, obgleich die Pracht dieser kĂźhlen Silberkugel sie entzĂźckte. Der durchsichtige Ball rollte vorĂźber, neigte sich Ăźber den Rand des Blattes, sprang in den Sonnenschein und fiel nieder ins Gras.
Maja stieĂ einen leisen Ruf des Schreckens aus, als sie sah, daĂ die schĂśne Kugel unten in viele winzige Perlchen zersprungen war. Aber es flimmerte nun im Gras so belebt und frisch, rann in zitternden TrĂśpflein an den Halmen nieder und funkelte, wie Diamanten im Lampenlicht blitzen. Maja hatte erkannt, daĂ es ein groĂer Wassertropfen gewesen war, der sich im Kelch der Blume in der feuchten Nacht gebildet hatte.
Als sie sich dem Kelch wieder zuwandte, sah sie einen Käfer mit braunen Flßgeldecken und einem schwarzen Brustschild am Eingang zum Blumenkelch sitzen. Er war etwas kleiner als sie, behauptete seinen Platz ruhig und sah sie ernst, aber durchaus nicht unfreundlich an.
Maja begrĂźĂte ihn hĂśflich.

âGehĂśrte die Kugel Ihnen?â fragte sie. Und als der Käfer nicht antwortete, fĂźgte sie hinzu. âEs tut mir sehr leid, sie hinabgeworfen zu haben.â
âMeinen Sie den Tautropfen?â fragte der Käfer und lächelte etwas Ăźberlegen. âDeswegen brauchen Sie sich keine Sorge zu machen. Ich hatte bereits getrunken, und meine Frau trinkt niemals Wasser, weil sie mit den Nieren zu tun hat. Was wollen Sie hier?â
âWas ist dies fĂźr eine herrliche Blume?â sagte Maja, ohne auf seine Frage zu antworten. âWĂźrden Sie so gĂźtig sein, mich zu unterrichten, wie sie heiĂt?â
Sie erinnerte sich der Ratschläge Kassandras und war so hÜflich als mÜglich.
Der Käfer bewegte seinen blanken glänzenden Kopf im RĂźckenschild. Dies lieĂ sich leicht und angenehm bewerkstelligen, da er ganz prächtig hineinpaĂte und lautlos hin und her glitt.
âSie sind wohl erst von gestern?â fragte er und lachte, nicht grade hĂśflich, Ăźber Majas Unkenntnis. Ăberhaupt hatte er etwas, was Maja als unfein auffiel, die Bienen waren gebildeter und wuĂten sich besser zu benehmen. Aber gutmĂźtig schien der Käfer doch zu sein, denn als er sah, wie Majas Wangen sich mit einer feinen RĂśte der Verlegenheit Ăźberzogen, wurde er nachsichtiger gegen ihre Unwissenheit.
âEs ist eine Rose,â sagte er, âdamit Sie es denn also nun wissen. Wir haben sie vor vier Tagen bezogen und sie ist inzwischen unter unsrer Pflege auf das prächtigste gediehen. Darf ich Sie bitten näher zu treten?â
Maja zÜgerte, aber sie ßberwand ihre Besorgnis und machte ein paar Schritte. Der Käfer drßckte ein helles Blättchen beiseite, und sie betraten nebeneinander die schmalen Gemächer mit ihren hellroten, duftenden Wänden und ihrem gedämpften Licht.
âSie haben es wirklich reizendâ, sagte Maja, die ehrlich entzĂźckt war. âUnd dieser Duft hat etwas gradezu BetĂśrendes.â
Dem Käfer machte es Freude, daà Maja Gefallen an seiner Wohnstätte fand.
âMan muĂ wissen, wo man sich aufhältâ, sagte er und lächelte wohlwollend. ââSage mir, wo du umgehst, und ich werde dir sagen, wieviel du wert bistâ, sagt ein altes Sprichwort. Ist etwas Honig gefällig?â
âAch,â platzte Maja heraus, âdas wäre mir wirklich sehr angenehm.â
Der Käfer nickte und verschwand hinter einer der Wände. Maja sah sich glĂźcklich um. Sie schmiegte ihre Wange und ihre Händchen an die zarten rotleuchtenden Vorhänge, atmete den kĂśstlichen Duft tief ein und war beseligt vor Freude, sich in einer so schĂśnen Wohnung aufhalten zu dĂźrfen. Es ist doch wirklich ein groĂer GenuĂ zu leben, dachte sie, und diese Behausung ist den dumpfen und ĂźberfĂźllten Etagen nicht zu vergleichen, in denen wir leben und arbeiten. Schon diese Stille ist ganz herrlich.
Da hĂśrte sie den Käfer hinter den Wänden in ein lautes Schelten ausbrechen. Er brummte erregt und bĂśse, und es war Maja, als packte er jemanden, den er unsanft vor sich herstieĂ. Dazwischen vernahm sie ein helles Stimmchen voll Angst und VerdruĂ und sie verstand die Worte:
âNatĂźrlich, wenn ich allein bin, dĂźrfen Sie sich herausnehmen, mir zu nahe zu treten; aber warten Sie, wie es Ihnen ergehn wird, wenn ich meine Gefährten hole. Sie sind ein Grobian. Gut, ich gehe. Aber Sie werden die Bezeichnung, die ich Ihnen gegeben habe, niemals vergessen.â
Maja war sehr erschrocken Ăźber die eindringliche Stimme des Fremden, die scharf und bĂśse klang. Sie hĂśrte dann noch, wie jemand sich eilig entfernte.
Der Käfer kam zurßck und warf mßrrisch ein Klßmpchen Honig hin.
âEs ist ein Skandal,â sagte er, ânirgends hat man Ruhe vor diesem Gesindel.â
Maja vergaà vor Hunger zu danken, sie nahm rasch einen Mund voll und kaute, während der Käfer sich den Schweià von der Stirn trocknete und seinen oberen Brustring etwas lockerte, um leichter atmen zu kÜnnen.
âWer war denn da?â fragte Maja mit vollem Mund.
âEssen Sie bitte erst den Mund leer, schlucken Sie erst herunter,â sagte der Käfer, âso versteht man Sie nicht.â
Maja gehorchte, aber der erregte Hausbesitzer lieĂ ihr keine Zeit zu einer neuen Frage. Ărgerlich fuhr er heraus:
âEine Ameise war es. Glauben denn diese Leute, man sparte und sorgte sich Stunde fĂźr Stunde nur fĂźr sie. Und so ohne GruĂ und Anstand in die Vorratskammern zu dringen! Es empĂśrt mich. Wenn ich nicht wĂźĂte, daĂ es bei diesen Tieren in der Tat Mangel an Lebensart ist, wĂźrde ich keinen Augenblick anstehen, sie als Diebe zu kennzeichnen.â â Er besann sich plĂśtzlich und wandte sich Maja zu:
âSie verzeihen, ich vergaĂ mich Ihnen vorzustellen, ich heiĂe Peppi, von der Familie der Rosenkäfer.â
âIch heiĂe Maja,â sagte die kleine Biene schĂźchtern, âes freut mich sehr, Sie kennengelernt zu haben.â Sie betrachtete den Käfer Peppi genau. Er verbeugte sich wiederholt und breitete dabei seine FĂźhler wie zwei kleine braune Fächer aus. Das gefiel Maja auĂerordentlich.
âSie haben entzĂźckende FĂźhler,â sagte sie, âeinfach sßà …â
âNun ja,â meinte Peppi geschmeichelt, âdarauf hält man. Wollen Sie auch die RĂźckseite sehn?â
âWenn ich bitten darfâ, sagte Maja.
Der Käfer drehte die gefächerten Fßhler zur Seite und lieà einen Sonnenstrahl darßber gleiten.
âFamos, nicht?â fragte er.
âIch hätte so was nicht fĂźr mĂśglich gehaltenâ, entgegnete Maja. âMeine eigenen FĂźhler sind sehr unscheinbar.â
âNun ja,â meinte Peppi, âjedem das Seine. DafĂźr haben Sie zweifellos schĂśne Augen und die goldene Färbung Ihres KĂśrpers hat viel fĂźr sich.â
Die kleine Maja strahlte vor GlĂźck. Es hatte ihr noch niemand gesagt, daĂ etwas an ihr schĂśn sei. Sie wurde ganz ĂźbermĂźtig vor Lebensfreude und nahm rasch noch ein KlĂźmpchen Honig.
âEs ist eine ausgezeichnete Qualitätâ, sagte sie.
âBitte nehmen Sie nur noch,â sagte Peppi, etwas erstaunt Ăźber den Appetit seines Gastes, âes ist Rosenhonig erster Ernte. Man muĂ sich etwas in acht nehmen, damit man sich nicht den Magen verdirbt. Es ist auch noch Tau da, wenn Sie vielleicht Durst verspĂźren.â
âVielen Dankâ, sagte Maja. âIch mĂśchte nun fliegen, wenn Sie erlauben.â
Der Käfer lachte.

âFliegen und immer fliegen,â sagte er, âdas liegt euch Bienen im Blut. Ich begreife diese ruhlose Art nicht recht. Es hat doch viel fĂźr sich, am Platze zu bleiben, finden Sie nicht?â
âAch, ich fliege so gernâ, sagte die kleine Maja.
Der Käfer Üffnete ihr hÜflich den roten Vorhang.
âIch will Sie noch hinausbegleiten. Ich fĂźhre Sie zu einem Aussichtsblatt, von dem Sie bequem abfliegen kĂśnnen.â
âO, danke,â sagte Maja, âich kann abfliegen, wo ich will.â
âDas haben Sie vor mir voraus,â sagte Peppi, âich habe etwas MĂźhe mit der Entfaltung der unteren FlĂźgel.â
Er drĂźckte ihr die Hand und schob den letzten Vorhang zur Seite.
âO Gott, der blaue Himmel,â jubelte Maja, âleben Sie wohl.â
âAuf Wiedersehnâ, sagte Peppi und blieb eine Weile auf dem hĂśchsten Rosenblatt sitzen, um der kleinen Maja nachzusehn, die schnell in einer geraden Linie hoch in den Himmel hinaufflog, in den goldenen Sonnenschein und in die reine Morgenluft.
Dann seufzte er heimlich auf und zog sich nachdenklich wieder in den kßhlen Rosenkelch zurßck. Es wurde ihm etwas warm, obgleich es noch frßh war. Er summte sein Morgenlied vor sich hin, das im roten Schein der Rosenblätter und im warmen Sonnenglanz erklang:
Alles steht in gold und grĂźn
warm und sommerlich.
Nur solang die Rosen blĂźhn,
ist es schĂśn fĂźr mich.
Meine Heimat weiĂ ich nicht,
kĂśstlich ist mir dies:
daĂ ich so im Rosenlicht
meinen Tag genieĂâ.
Wenig weiĂ ich von der Welt,
wo ich glĂźcklich bin.
Wenn die Rose welkt und fällt,
muĂ auch ich dahin.
Und drauĂen zog langsam der strahlende FrĂźhlingstag Ăźber die blĂźhende Erde herauf.

Kapitel 3: Der Waldsee und seine Leute
Ach, dachte die kleine Maja im Dahinfliegen, nun habe ich vergessen, Peppi nach den Menschen zu fragen. Ein so erfahrener Mann, wie er, hätte mir sicherlich die beste Auskunft geben kÜnnen. Aber vielleicht wßrde sie heute noch selbst einem Menschen begegnen. Voll Unternehmungslust und Frohsinn lieà sie ihre blanken Augen ßber das weite bunte Land schweifen, das sich unter ihr in seiner sommerlichen Pracht ausbreitete.
Sie kam an einem groĂen Garten vorĂźber, in dem es von tausend Farben leuchtete. Es begegneten ihr vielerlei Insekten, die ihr WandergrĂźĂe zuriefen und frohe Fahrt und gute Ernte wĂźnschten. Jedesmal wenn sie einer Biene begegnete, schlug anfänglich ihr Herz ein wenig, denn sie fĂźhlte sich in ihrer Untätigkeit doch etwas schuldig und fĂźrchtete sich, Bekannte zu treffen. Aber sie merkte bald, daĂ die Bienen sich weiter nicht um sie kĂźmmerten.
Da sah sie plĂśtzlich den blauen Himmel in unendlicher Tiefe unter sich leuchten. Sie dachte zuerst in groĂem Schrecken, sie wäre vielleicht viel zu hoch geflogen und hätte sich im Himmel verirrt, aber da sah sie, daĂ sich am Rande dieses unterirdischen Himmels die Bäume spiegelten, und sie erkannte zu ihrem EntzĂźcken, daĂ es ein groĂes, stilles Wasserbecken war, das blau und klar im ruhigen Morgen dalag. Sie lieĂ sich voll Freude bis dicht auf die Oberfläche nieder und konnte nun sich selbst im Spiegelbild im Wasser fliegen sehen, sie sah ihre hellen FlĂźgel wie reines flimmerndes Glas blinken, gewahrte, daĂ ihre Beinchen richtig am KĂśrper lagen, wie Kassandra es sie gelehrt hatte, und sah die schĂśne Goldfarbe ihres KĂśrpers im Wasser scheinen.

Es ist wirklich eine Wonne, so Ăźber eine Wasserfläche dahinzufliegen, jubelte sie. Sie erblickte groĂe und kleine Fische, die in der hellen Flut dahinschwammen, oder ganz ruhig darin zu schweben schienen. Maja hĂźtete sich wohl, ihnen zu nahe zu kommen, denn sie wuĂte, daĂ ihr vom Geschlecht der Fische Gefahr drohte.
Als sie am andern Ufer des Sees anlangte, lockte das warme Schilf sie und die riesengroĂen Blätter der Seerosen, die wie grĂźne Teller auf dem Wasser lagen. Sie wählte eines der verborgensten Blätter, Ăźber dem die hohen blanken Schilfhalme sich in der Sonne wiegten, und das selbst beinahe ganz im Schatten lag. Nur ein paar runde Sonnenflecke lagen darauf, wie GoldmĂźnzen.
âHerrlich,â sagte die kleine Biene, âalso wirklich ganz herrlich.â Sie begann sich ein wenig zu säubern, indem sie mit beiden Armen hinter ihren Kopf griff und ihn etwas nach vorn zog, als ob sie ihn abreiĂen wollte. Aber sie hĂźtete sich, zu fest zu ziehn, es handelte sich nur darum, den Staub zu entfernen. Dann strich sie mit den Hinterbeinchen Ăźber die FlĂźgeldecken, so daĂ sie sich nach unten bogen und wundervoll blank wieder in ihre alte Lage zurĂźckschnellten.
Da kam ein kleiner stahlblauer Brummer zu ihr, lieĂ sich neben ihr auf dem Blatt nieder und schaute sie erstaunt an.
âWas wollen Sie hier auf meinem Blatt?â fragte er.
Maja erschrak.
âMan wird sich doch wohl einen Augenblick ausruhen dĂźrfenâ, sagte sie. Sie erinnerte sich, daĂ Kassandra ihr mitgeteilt hatte, daĂ das Volk der Bienen Ăźberall in der Insektenwelt in groĂem Ansehen stehe. Nun wollte sie einmal eine Probe machen, ob es ihr gelänge, sich in Respekt zu setzen. Aber ihr Herz klopfte doch etwas, weil sie sehr laut und entschieden geantwortet hatte.
Der Brummer erschrak in der Tat sichtlich, als er merkte, daĂ Maja nicht willens war, sich etwas vorschreiben zu lassen. Mit verdrossenem Summen schwang er sich auf einen Schilfhalm, der sich Ăźber das Blatt neigte, auf dem Maja saĂ, und sagte um vieles hĂśflicher von oben herunter aus dem Sonnenschein:
âSie sollten lieber einiges arbeiten, wie es sich fĂźr Sie gehĂśrt, aber wenn Sie der Ruhe bedĂźrfen ⌠immerhin. Ich werde hier warten.â
âEs sind doch wirklich Blätter genug daâ, meinte Maja.
âAlles vermietetâ, sagte er. âMan ist heutzutage froh, wenn man ein kleines GrundstĂźck sein eigen nennt. Wäre mein Vorgänger nicht vor zwei Tagen vom Frosch gefangen worden, so hätte ich heute noch keine rechte Unterkunft. Immer bald hier, bald dort zu Ăźbernachten, hat viel gegen sich. Es hat halt nicht jeder ein so geordnetes Staatswesen, wie Sie es pflegen. Ăbrigens mein Name ist Hans Christoph, mit Verlaub mich Ihnen vorzustellen.â
Maja schwieg und dachte mit Schrecken darĂźber nach, wie furchtbar es sein mĂźsse, in die Gewalt des Frosches zu geraten.

âGibt es in diesem Gewässer viele FrĂśsche?â fragte sie den Brummer und setzte sich genau in die Mitte des Blattes, damit man sie vom Wasser aus nicht erblickte.
Der Brummer lachte.
âGeben Sie sich keine MĂźhe,â spottete er, âder Frosch kann Sie von unten sehn, wenn die Sonne leuchtet, weil das Blatt dann durchscheint. Er sieht ganz genau, wie Sie auf meinem Blatt sitzen.â
Maja, die von der bĂśsen Vorstellung befallen wurde, dicht unter ihrem Blatt säĂe vielleicht ein groĂer Frosch und schaute sie mit seinen vorquellenden, hungrigen Augen an, wollte rasch auffliegen, als etwas ganz Furchtbares geschah, worauf sie in der Tat in keiner Weise vorbereitet war. Anfangs konnte sie in der ersten Verwirrung nicht genau unterscheiden, was eigentlich vor sich ging, sie hĂśrte nur ein helles, klirrendes Sausen Ăźber sich, das so klang, als schwirrte der Wind in welken Blättern; dazu hĂśrte sie ein singendes Pfeifen, einen hellen zornigen Jagdruf, und ein feiner, durchsichtiger Schatten huschte Ăźber ihr Blatt. Und dann erkannte sie, und ihr Herz stand still vor Angst, daĂ eine groĂe, schillernde Libelle sich des armen Hans Christophs bemächtigt hatte und den verzweifelt Schreienden in ihren groĂen, messerspitzen Fängen hielt. Sie lieĂ sich mit ihrer Beute auf dem Schilfhalm nieder, der sich unter ihrer Last etwas niederbeugte, so daĂ Maja die beiden Ăźber sich schweben sah und zugleich das Spiegelbild im klaren Wasser. Hans Christophs Geschrei zerriĂ ihr Herz. Ohne Besinnen rief sie laut:
âLassen Sie sofort den Brummer los, wer immer Sie sein mĂśgen. Sie haben nicht das geringste Recht, in so eigenmächtiger Weise in die Gewohnheiten anderer einzugreifen.â
Die Libelle lieĂ den Brummer aus ihren Fängen, hielt ihn aber sorgfältig mit den Armen fest und drehte den Kopf nach Maja um. Maja erschrak sehr Ăźber die groĂen ernsten Augen der Libelle und Ăźber die bĂśsen BeiĂzangen, die sie hatte, aber das Glitzern ihrer FlĂźgel und ihres Leibes entzĂźckte sie. Es blitzte wie Wasser, Glas und Edelsteine. Nur die ungeheure GrĂśĂe der Libelle entsetzte sie, sie begriff ihren Mut nicht mehr und begann auf das heftigste zu zittern.
Aber die Libelle sagte ganz freundlich:
âKind, was ist denn mit Ihnen?â
âLassen Sie ihn los,â rief Maja und in ihre Augen kamen Tränen, âer heiĂt Hans Christoph …â
Die Libelle lächelte.
âWeshalb denn, Kleine?â fragte sie und machte ein interessiertes Gesicht, das aber einen Ausdruck von groĂer Herablassung hatte.
Maja stotterte hilflos:
âAch, er ist doch ein so netter, sauberer Herr und hat Ihnen, soviel ich weiĂ, nichts zuleide getan.â
Die Libelle sah Hans Christoph nachdenklich an:
âJa, er ist ein lieber, kleiner Kerlâ, antwortete sie zärtlich und biĂ ihm den Kopf ab.
Maja glaubte die Besinnung zu verlieren, so sehr erschĂźtterte sie dieser Vorgang. Sie konnte lange kein Wort hervorbringen und muĂte nun, voll Grauen, die krachenden und knuspernden Laute hĂśren, unter denen der KĂśrper des stahlblauen Hans Christoph Ăźber ihr zerlegt wurde.
âStellen Sie sich doch nicht an,â sagte die Libelle mit vollem Mund und kaute weiter, âIhre Empfindsamkeit macht nur geringen Eindruck auf mich. Machen Sie es denn besser? Augenscheinlich sind Sie noch sehr jung und haben sich im eigenen Hause nur wenig umgesehn. Wenn im Sommer das Drohnenmorden in Ihrem Stock beginnt, empĂśrt sich die Umwelt nicht weniger, und ich meine, mit mehr Recht.â

Maja fragte: âSind Sie fertig da oben?â Sie konnte sich nicht entschlieĂen hinaufzusehen.
âEin Bein ist noch daâ, sagte die Libelle.
âSchlucken Sie es bitte herunter, dann werde ich Ihnen antwortenâ, rief Maja, die genau wuĂte, weshalb die Drohnen im Sommer im Bienenstock getĂśtet werden muĂten, und die sich Ăźber die Dummheit der Libelle ärgerte. âAber unterstehen Sie sich nicht, mir auch nur um einen Schritt näher zu treten. Ich wĂźrde mich nicht besinnen, unverzĂźglich von meinem Stachel Gebrauch zu machen.â
Die kleine Maja war wirklich sehr ärgerlich geworden. Zum erstenmal erwähnte sie ihren Stachel und zum erstenmal freute sie sich dieser Waffe.
Die Libelle machte bÜse Augen. Sie hatte ihre Mahlzeit beendet und saà nun, etwas geduckt, da, schaute Maja lauernd an und sah aus wie ein Raubtier, das im Begriff ist, sich auf seine Beute zu stßrzen. Aber die kleine Biene blieb nun ganz ruhig. Sie konnte nicht recht begreifen, woher ihr Mut kam, aber sie empfand keine Furcht mehr. Sie lieà ein ganz feines helles Summen hÜren, wie sie es einmal im Stock vom Wächter gehÜrt hatte, als eine Wespe sich dem Flugloch näherte.
Die Libelle sagte drohend und langsam:
âDie Libellen leben in bestem Einvernehmen mit dem Volk der Bienen.â
âSie tun auch gut daranâ, sagte Maja rasch.
âMeinen Sie etwa, ich hätte Furcht vor Ihnen, ich â vor Ihnen?â fragte die Libelle. Sie lieĂ mit einem Ruck den Schilfhalm los, der in seine alte Lage zurĂźckschnellte, und sauste mit einem klirrenden, blitzenden FlĂźgelschlag bis dicht auf die Oberfläche des Wassers nieder. Es sah ganz herrlich aus, wie sie sich im See spiegelte, man glaubte zwei Libellen zu sehn, und beide bewegten ihre gläsernen FlĂźgel so rasch und fein, daĂ es aussah, als flieĂe ein heller Silberschein um sie her. Es sah so herrlich aus, daĂ die kleine Maja ihren ganzen VerdruĂ um den armen Hans Christoph und jede Gefahr vergaĂ. Sie klatschte in die Hände und rief ganz begeistert:
âWie wunderschĂśn. Wie wunderschĂśn!â
âMeinen Sie mich?â fragte die Libelle ganz erstaunt. Aber dann fĂźgte sie rasch hinzu: âJa, ich kann mich sehn lassen, das ist wahr. Sie hätten die Begeisterung erleben sollen, in die gestern einige Menschen gerieten, die mich am Bach sahn, wo sie sich hingelegt hatten.â
âMenschen?â fragte Maja, âach, Menschen haben Sie gesehn?â
âNatĂźrlich,â sagte die Libelle, âaber es wird Sie zweifellos auf das lebhafteste interessieren, wie ich heiĂe, mein Name ist Schnuck, von der Familie der NetzflĂźgler, im besonderen der Libellen.â
âAch, erzählen Sie von den Menschenâ, bat Maja, nachdem sie ihren Namen genannt hatte.
Die Libelle schien versĂśhnt. Sie setzte sich neben Maja auf das Blatt, und die kleine Biene lieĂ es zu. Sie wuĂte, daĂ Schnuck sich hĂźten wĂźrde, ihr zu nahe zu treten.
âHaben die Menschen einen Stachel?â fragte Maja.
âMein Gott,â sagte Schnuck, âwas sollten sie wohl damit anfangen. Nein, sie haben schlimmere Waffen gegen uns und sie sind uns sehr gefährlich. Es gibt niemand, der nicht Angst vor ihnen hätte, besonders vor den kleinen, bei denen man die beiden Beine deutlich unterscheiden kann. Diese heiĂen Knaben.â
âStellen sie Ihnen nach?â fragte Maja, ganz atemlos vor Erregung.
âJa, ist Ihnen denn das nicht verständlich?â fragte Schnuck mit einem Blick Ăźber ihre FlĂźgel. âIch bin nur selten einem Menschen begegnet, der nicht den Versuch gemacht hätte, mich zu greifen.â
âWeshalb denn nur?â fragte Maja ängstlich.
âWir haben eben etwas sehr Anziehendesâ, sagte Schnuck mit einem bescheidenen Lächeln und sah schräg vor sich nieder. âEinen andern Grund weiĂ ich nicht. Es ist vorgekommen, daĂ Leute unserer Familie, die sich haben greifen lassen, die furchtbarsten Qualen und zuletzt den Tod haben erleiden mĂźssen.â
âSind sie aufgefressen worden?â
âNein, nein,â sagte Schnuck beruhigend, âdas grade nicht. Soviel bekannt ist, nährt sich der Mensch nicht von Libellen. Aber im Menschen leben zuweilen MordgelĂźste, die wohl ewig unaufgeklärt bleiben. Es mag Ihnen unglaublich erscheinen, aber in der Tat sind Fälle vorgekommen, in denen sogenannte Knabenmenschen Libellen gefangen haben und ihnen aus purem VergnĂźgen die FlĂźgel oder die Beine ausgerissen haben. Sie zweifeln?â
âNatĂźrlich zweifle ich daranâ, rief Maja entrĂźstet.
Schnuck zuckte die glitzernden Achseln, ihr Gesicht sah ganz alt aus vor Erkenntnis.
âAch, wenn man einmal offen sein dĂźrfte,â sagte sie, ganz blaĂ vor Traurigkeit, âich hatte einen Bruder, er berechtigte zu den besten Hoffnungen, nur war er etwas leichtsinnig und leider sehr neugierig. Er fiel in die Hände eines Knaben, der ihm unversehens ein Netz Ăźberwarf, das an einer langen Stange befestigt war. Sagen Sie selbst, wer denkt an so was?â
âNein,â antwortete die kleine Maja, âan so etwas habe ich niemals gedacht.â
Die Libelle sah sie an.
âEs ist ihm dann ein schwarzes Seil um die Brust gebunden worden, mitten zwischen seinen FlĂźgeln, so daĂ er wohl auffliegen, aber niemals entrinnen konnte. Jedesmal, wenn mein armer Bruder glaubte, seine Freiheit zurĂźckgewonnen zu haben, sah er sich auf die grausamste Weise an jenem bereits erwähnten Seil wieder in das Bereich des Knaben zurĂźckgezerrt.â
Maja schĂźttelte nur den Kopf.
âMan darf es sich gar nicht vorstellenâ, flĂźsterte sie traurig.
âWenn ich einmal einen Tag nicht daran gedacht habe, so träume ich sicher davonâ, fuhr Schnuck fort. âEs kam damals sehr viel zusammen. SchlieĂlich starb mein Bruder.â Schnuck seufzte tief auf.
âWoran starb er?â fragte Maja in aufrichtiger Teilnahme.
Schnuck konnte nicht gleich antworten, groĂe Tränen brachen aus ihren Augen und liefen langsam Ăźber die Wangen:
âEr ist in die Tasche gesteckt worden,â schluchzte sie, âdas hält niemand aus …â
âWas ist das?â fragte Maja ängstlich, die kaum in der Lage war, so viel Neues und BĂśses auf einmal zu verstehn und zu bewältigen.
âDie Tascheâ, erklärte ihr Schnuck, âist eine Vorratskammer, die die Menschen in ihrem äuĂeren Fell haben. Aber was glauben Sie, das sonst noch darin war? O, in welch furchtbarer Gesellschaft muĂte mein armer Bruder seine letzten AtemzĂźge tun. Sie werden niemals darauf kommen!â
âNein,â sagte Maja mit bebendem Atem, âich werde es nicht … vielleicht Honig?â
âNein, neinâ, meinte Schnuck, sehr wichtig und sehr traurig zugleich. âHonig werden Sie selten in den Taschen der Menschen finden. Ich will Ihnen sagen, was darin war: es war ein Frosch, ein Taschenschwert und eine gelbe RĂźbe. Nun?â
âSchaurig,â flĂźsterte Maja, âwas ist ein Taschenschwert?â
âEs ist gewissermaĂen der kĂźnstliche Stachel des Menschen. Da ihm die Natur diese Waffe versagt hat, sucht er sie nachzubilden. Der Frosch war gottlob bereits im Begriff, das Zeitliche zu segnen. Er hatte ein Auge verloren, ein Bein gebrochen und sein Unterkiefer war ausgerenkt. Aber sobald mein Bruder in der Tasche erschien, zischte der Frosch aus seinem schiefen Maul:
âWenn ich genesen bin, werde ich Sie unverzĂźglich verschlingen.â Dabei schielte er mit dem Ăźbriggebliebenen Auge auf den bedauernswerten AnkĂśmmling. Dieser Blick muĂ in der Dämmerung des Gefängnisses auf das furchtbarste gewirkt haben. Mein Bruder hat die Besinnung verloren, als er gleich darauf durch eine unerwartete ErschĂźtterung so gegen den Frosch gepreĂt wurde, daĂ seine FlĂźgel an dem kalten nassen Leib des Sterbenden kleben blieben. O, man kann keine Worte finden, um dies Elend in der treffendsten Weise zu kennzeichnen.â
âWoher wissen Sie das alles?â stotterte Maja aufs äuĂerste entsetzt.
âSpäter warf der Knabe meinen Bruder und den Frosch fort, als er Hunger bekam und die RĂźbe suchte, um sie zu verzehren. Ich fand sie nebeneinander im Gras liegen, angelockt durch die Hilferufe meines Bruders. Aber ich kam nur noch zeitig genug, um alles zu hĂśren und ihm die Augen zuzudrĂźcken. Er legte seinen Arm um meinen Hals und kĂźĂte mich zum Abschied. Dann starb er tapfer und ohne Klage, als ein kleiner Held. Als das letzte Beben seiner zerknitterten FlĂźgel aufgehĂśrt hatte, legte ich Eichblätter Ăźber ihn und suchte ein erblĂźhtes Männertreu, dessen blaue Blume zu seiner Ehre auf dem HĂźgel verwelken sollte. âLeb wohl,â rief ich, âschlaf gut, mein kleiner Bruderâ, und flog in den stillen Abend hinaus, den beiden roten Sonnen entgegen, denn man sah die Sonne zweimal, am Abendhimmel und im See. So traurig und feierlich ist noch niemandem zumut gewesen. â Ist Ihnen auch schon etwas Trauriges passiert? Dann erzählen Sie es mir vielleicht ein andermal.â
âNein,â sagte Maja, âich bin eigentlich bis jetzt immer froh gewesen.â
âDa kĂśnnen Sie Gott dankenâ, meinte Schnuck, etwas enttäuscht.
Maja fragte nach dem Frosch.
âAch so, derâ, sagte Schnuck. âEr erlitt voraussichtlich den Tod, den er verdiente. Wie konnte er nur die Herzenshärtigkeit aufbringen, einen Sterbenden zu ängstigen? Er versuchte damals zu entkommen, aber da sein eines Bein sowohl als auch sein eines Auge vĂśllig auĂer Tätigkeit gesetzt waren, hĂźpfte er ununterbrochen im Kreise herum. Es sah auĂerordentlich komisch aus. âSo wird der Storch Sie bald gefunden habenâ, rief ich ihm zu, bevor ich davonflog.â
âDer arme Froschâ, sagte die kleine Maja.
âNun, ich muĂ doch bitten,â meinte die Libelle nicht ohne EntrĂźstung, âSie gehn zu weit. Einen Frosch bedauern, heiĂt sich in den eigenen FlĂźgel schneiden. Sie sind eine gewissenlose Person, wie mir scheint.â
âDas kann ja sein,â antwortete Maja, âaber es wird mir sehr schwer, jemanden leiden zu sehn.â
âO,â trĂśstete sie Schnuck, âdas liegt an Ihrer Jugend, Sie werden es lernen, nur Mut, meine Freundin. Aber ich muĂ nun fort in die Sonne. Es ist hier reichlich kĂźhl. Leben Sie wohl!â
Es klirrte leise, und tausend helle Farben blitzten auf, blasse, liebliche Farben, wie rinnendes Wasser sie hat und klare Edelsteine. Schnuck schwang sich durch die grĂźnen Schilfhalme bis auf die Oberfläche des Wassers, und Maja hĂśrte sie in der Morgensonne singen. Sie lauschte dem feinen Gesang, der etwas von der schwermĂźtigen SĂźĂigkeit eines Volksliedes hatte und das Herz der kleinen Maja frĂśhlich stimmte und traurig zugleich. Es klang zu ihr herĂźber:
Lieblich ist der stille FluĂ,
wenn der Morgensonne GruĂ
seine Flut getroffen.
Wo der grĂźne Schilfhalm weht
und die Wasserrose steht,
weiĂ und gelb und offen.
Warmer Duft und Wind und Flut,
auf den FlĂźgeln Sonnenglut
und im Herzen Freude.
Ach, das Leben ist nicht lang,
goldner Sommer, habe Dank,
herrlich ist es heute.
âHorch, das Lied der Libelle erschalltâ, rief ein weiĂer Schmetterling seiner Freundin zu. Sie schaukelten sich dicht an Maja vorĂźber durch das strahlende Blau des schĂśnen Tags. Da hob auch die kleine Biene ihre FlĂźgel, und mit leisem Summen begrĂźĂte sie den silbernen See zum Abschied und flog landeinwärts davon.
Kapitel 4: Iffi und Kurt
Als die kleine Maja am anderen Morgen im Kelch einer blauen Glockenblume erwachte, hĂśrte sie, daĂ die Luft von einem feinen leisen Rauschen erfĂźllt war, und sie spĂźrte, daĂ die Blume sich bewegte, als bekäme sie heimlich kleine StĂśĂe. Durch ihren geĂśffneten Kelch zog ein feuchter Geruch von Gras und Erde, und es war sehr kĂźhl.
Maja nahm ängstlich ein wenig BlĂźtenstaub von den gelben StaubgefäĂen der Blume, machte dann sorgfältig Morgentoilette und wagte sich vorsichtig Schritt fĂźr Schritt bis an den äuĂersten Rand des hängenden Kelches. Da sah sie, daĂ es regnete. Ein feiner kĂźhler Regen ging mit leisem Rauschen nieder und bedeckte alles umher mit Millionen heller Silberperlen. Sie lagen auf den Blättern und Blumen, rollten im Gras die schmalen grĂźnen Wege der Halme nieder und erfrischten den braunen Erdboden.
Maja sah mit groĂem Erstaunen und voll tiefer Verwunderung diese Veränderung der Welt, es war der erste Regen, den sie in ihrem jungen Dasein erlebte. Aber obgleich es ihr wohl gefiel und sie beglĂźckte, stellte sich doch eine leichte Besorgnis bei ihr ein, denn sie erinnerte sich der Warnung Kassandras, niemals im Regen auszufliegen. Sie begriff, daĂ es schwer sein muĂte, die FlĂźgel 42im Tropfenfall zu bewegen, auch tat ihr die Kälte weh, und sie vermiĂte den ruhigen goldenen Sonnenschein, der die ganze Erde heiter und sorglos stimmte.

Es muĂte noch sehr frĂźh sein, denn das Leben im Gras unter ihr nahm erst seinen Anfang. Unter ihrer blauen Glocke war sie wohlgeborgen und konnte den erwachenden Verkehr unter sich prächtig beobachten. DarĂźber vergaĂ sie fĂźr eine Weile ihren Kummer und das Heimweh, das sich in ihrem Herzen einstellte. Es war gar zu unterhaltend, so von einem sicheren Versteck aus, von oben her, auf das Leben und Treiben der Grasbewohner herabzuschaun. Aber allmählich zog es ihre Gedanken doch nach ihrer verlassenen Heimat, nach dem Schutz und der starken Gemeinschaft des Bienenstocks. Dort saĂen sie nun beieinander, des Ruhetags froh, bauten vielleicht hier und da ein wenig an den Zellen, oder fĂźtterten die kleinen Maden. Aber im allgemeinen war es recht ruhig und beschaulich im Stock an Regentagen. Nur zuweilen flogen Kundschafter aus, sahen nach dem Stand des Wetters und erforschten, von welcher Seite der Wind kam. Die KĂśnigin ging im Reiche umher, von Etage zu Etage, prĂźfte alles, lobte oder tadelte, legte wohl hin und wieder ein Ei und beglĂźckte alle durch ihre kĂśnigliche Gegenwart. Wie froh machte es, einen Blick von ihr aufzufangen oder ein huldvolles Wort. Es kam vor, daĂ sie den jĂźngeren Bienen, die ihre ersten Leistungen hinter sich hatten, freundlich Ăźber die KĂśpfchen strich oder sich nach ihren Erlebnissen erkundigte.
43Ach, wie glĂźcklich machte es, sich dazu rechnen zu dĂźrfen, sich von allen geachtet zu wissen und den starken Schutz der Gemeinschaft genieĂen zu kĂśnnen. Hier an ihrem einsamen und ausgesetzten Platz war sie gefährdet und fror. Und wenn der Regen anhielt, was sollte sie dann beginnen und wodurch sollte sie sich ernähren? Honigsaft war kaum in der Glockenblume zu finden, und der BlĂźtenstaub wĂźrde auch nicht allzulange vorhalten. Sie empfand zum ersten Male, wie notwendig zu allem Wanderleben und zum Vagabundentum der Sonnenschein war. Ohne den Sonnenschein wäre wohl niemand leichtsinnig, dachte sie.
Aber, wenn sie sich nur des Sonnenscheins erinnerte, erfĂźllte es sie schon wieder mit Freude und heimlichem Stolz, daĂ sie so mutig gewesen war, ihr Leben auf eigene Faust zu beginnen. Was hatte sie in der kurzen Zeit ihres Wanderns nicht schon alles gesehn und erfahren! Davon wuĂten die andern wohl ihr Leben lang nur wenig. Erfahrung ist doch das hĂśchste Lebensgut und ihrer Opfer wert, dachte sie.
Unten zog ein Trupp Wanderameisen im Gras vorĂźber. Sie schritten singend durch den kĂźhlen Graswald und schienen Eile zu haben. Ihr frisches Morgenlied erklang im Marschtakt und stimmte das Herz der kleinen Maja wehmĂźtig und nachdenklich.
Bald ist unsre kurze Frist
auf der Erde aus.
Was ein rechter Räuber ist,
macht sich nichts daraus.
44Sie waren auĂerordentlich gut bewaffnet und sahen keck und gefährlich aus. Ihr Lied verklang unter den Huflattichblättern. Aber dort schienen sie mit ihrem Gesang etwas Rechtes angerichtet zu haben, denn es erklang nun eine rauhe heisere Stimme, und die kleinen Blättchen eines jungen LĂśwenzahns wurden energisch auseinandergedrängt. Maja sah einen groĂen blauen Käfer hervordringen, der wie eine Halbkugel aus glänzendem, dunklem Metall aussah und bald bläulich, bald grĂźnlich, zuweilen auch ganz schwarz schimmerte. Er war wohl zwei- oder dreimal so groĂ wie sie. Sein harter Panzer schien ihr von unzerstĂśrbarer Festigkeit, und seine tiefe Stimme hatte etwas gradezu EinschĂźchterndes. Er schien durch den Gesang der Soldaten erwacht und bei sehr schlechter Laune zu sein. Sein Haar war noch nicht geordnet, und er rieb sich den Schlaf aus den blauen listigen Ăuglein.
âIch komme,â schrie er, âdas genĂźgt fĂźr alle, um Platz zu machen.â
Gottlob stehe ich ihm nicht im Wege, dachte Maja, die sich in ihrem hohen schwebenden Versteck sicher fĂźhlte. Aber ihr Herz klopfte doch ein wenig, und sie zog sich leise einen Schritt weiter in die BlĂźtenglocke zurĂźck.
Der Käfer bewegte sich schwerfällig und schaukelnd durch das nasse Gras. Eine sehr elegante Erscheinung war er eben nicht. Bei einem welken Blatt, grade unter ihrer Blßte, machte er halt, schob es zur Seite und trat etwas 45zurßck. Da erkannte Maja darunter den Eingang zu einer HÜhle.
Nein, was es nicht alles gibt, dachte sie neugierig, davon habe ich mir keine Vorstellung gemacht. Man kann gar nicht lange genug leben, um alles zu erfahren, was auf der Welt mÜglich ist. Sie verhielt sich ganz still. Nur der Regen rieselte leise nieder. Da hÜrte sie den Käfer in die HÜhle hineinrufen:
âWenn Sie mit mir auf die Jagd wollen, mĂźssen Sie sich schon entschlieĂen aufzustehn. Es ist heller Tag.â Weil er zuerst erwacht war, fĂźhlte er sich so Ăźberlegen, daĂ es ihm schwer wurde, freundlich zu sein.
Es dauerte eine Weile, bis Antwort kam, dann hĂśrte Maja eine dĂźnne zirpende Stimme aus dem Loch schallen:
âUm Gottes willen, machen Sie oben zu, es regnet herein.â
Der Käfer gehorchte, neigte abwartend den Kopf etwas zur Seite und schielte durch die Spalte.
âEilen Sie sich, wenn ich bitten darfâ, sagte er mĂźrrisch.
Maja war sehr gespannt, wer herauskommen wĂźrde. Sie kroch so weit vor, daĂ ein groĂer Regentropfen auf ihre Schulter fiel. Sie erschrak sehr und trocknete sich ab. Unten hob sich das welke Blatt, und langsam kroch ein braunes Tier hervor, das ihr im hohen MaĂe absonderlich vorkam. Es hatte einen plumpen Leib und einen ganz ungewĂśhnlich dicken Kopf mit kleinen aufrechten FĂźhlhĂśrnern. Die Beinchen waren sehr dĂźnn und bewegten 46sich langsam, und der Ausdruck des Gesichts war sorgenvoll.
âGuten Morgen, meine Iffiâ, sagte der Käfer und wurde vor HĂśflichkeit ganz schlank. âWie haben Sie geschlafen?â und dann fĂźgte er hinzu: âmein alles!â
Iffi nahm seine Hand etwas gleichgĂźltig.
âEs geht nicht, Kurt,â sagte sie, âich kann nicht mit. Die Leute reden zu viel.â
Der arme Käfer schien wirklich sehr zu erschrecken.
âIch verstehe wohl nicht richtig,â stammelte er, âsollte das junge GlĂźck unserer Freundschaft an so gleichgĂźltigen Dingen scheitern? Bedenken Sie doch, Iffi, was kĂźmmern die Leute Sie? Sie haben Ihr Loch, kĂśnnen hineinkriechen, wenn Sie wollen, und wenn Sie tief genug steigen, hĂśren Sie nichts.â
Iffi lächelte wehmßtig und ßberlegen.

âKurt, davon verstehn Sie nichts. Ich habe da meine eigene Anschauung. Ăbrigens kommt noch etwas hinzu: Sie haben meine Unkenntnis in sehr wenig feiner Weise ausgebeutet, Sie haben sich fĂźr einen Rosenkäfer ausgegeben, und gestern sagte mir die Wegschnecke, Sie seien ein Mistkäfer. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Die Wegschnecke hat Sie bei einer Tätigkeit beobachtet, die ich hier nicht weiter kennzeichnen will; Sie werden verstehen, daĂ ich mich zurĂźckziehe.â
Als Kurt sich von seinem Schreck erholt hatte, wurde er ärgerlich:
47âNein, das verstehe ich nicht,â rief er heftig, âich wĂźnsche um meiner selbst willen geliebt zu sein, und nicht um meiner Beschäftigung willen. Wie kĂśnnen Sie einen Mann danach beurteilen, wo er sich aufhält!â
âWenn es nicht grade der Mist wäre, wĂźrde ich ein Auge zudrĂźckenâ, sagte Iffi zurĂźckhaltend. âSie mĂźssen auch bedenken, daĂ eine junge Witwe, deren Gatte erst vor drei Tagen von der Spitzmaus gefressen worden ist, sich die denkbar grĂśĂte ZurĂźckhaltung auferlegen muĂ. Also â leben Sie wohl.â
Und Iffi war plĂśtzlich mit einem Ruck in ihrer HĂśhle verschwunden, so rasch, daĂ es erschien, als habe ein WindstoĂ sie davongerissen. Maja hatte nicht fĂźr mĂśglich gehalten, daĂ jemand so rasch in einem Loch verschwinden kĂśnnte. Jetzt war Iffi fort, und der Käfer starrte mit verblĂźfftem Gesicht in die leere dunkle Ăffnung und sah so dumm dabei aus, daĂ Maja lachen muĂte.
Endlich besann er sich und begann betrßbt und zornig seinen kleinen rundlichen Kopf zu schßtteln, und die Fßhler hingen traurig nieder, wie zwei verregnete Fächer.
âFĂźr Charakter und gediegene LebensfĂźhrung hat heute niemand mehr Sinnâ, seufzte er. âIffi ist herzlos, ich habe nicht gewagt, es mir einzugestehn, aber es ist der Fall. Aber wenn sie in der Tat nicht das Herz hat, meine Freundin zu sein, so sollte sie wenigstens den Verstand dazu haben.â
Maja sah, wie Tränen in seine Augen traten, und ihr Herz wurde von Mitleid ergriffen.
48Aber plĂśtzlich kam Bewegung in Kurt. Er wischte die Tränen aus den Augen und trat vorsichtig hinter einen Erdhaufen, den seine Freundin wahrscheinlich aus ihrer Wohnung geschaufelt hatte, und Maja sah einen kleinen rĂśtlichen Regenwurm durch die Gräser kommen. Er hatte eine sehr ungewĂśhnliche Art der Fortbewegung, bald machte er sich lang und dĂźnn, dann wieder kurz und dick, und seine rote KĂśrperspitze bestand aus lauter zarten Ringen, die sich lautlos verschoben und vorantasteten. Sie erschrak sehr, als Kurt plĂśtzlich einen Schritt aus seinem Versteck hervor machte, den Wurm ergriff und ihn in zwei Hälften zerbiĂ. Er begann gelassen die eine Hälfte zu verzehren und kĂźmmerte sich wenig um die verzweifelten Windungen, die die beiden Wurmhälften am Boden und in seinen Armen ausfĂźhrten. Es war ein ganz kleiner Wurm.
âNur Geduld,â sagte Kurt, âgleich ist es vorĂźber.â
Aber während er kaute, schien er wieder an Iffi zu denken, die er fĂźr alle Zeit verloren hatte, und groĂe Tränen rollten Ăźber seine Backen.
Die kleine Maja in ihrem Versteck bedauerte ihn herzlich. Es gibt doch sehr viel Trauriges in der Welt, dachte sie. Da sah sie, daà die eine Wurmhälfte, die Kurt in seiner Bekßmmernis zur Seite gelegt hatte, sich eilig entfernte.
âNein, so was!â rief sie, und sie tat es vor Schrecken so laut, daĂ Kurt sich verwundert umschaute.
49âMachen Sie Platz!â rief er, als er es hĂśrte.
âAber ich sitze Ihnen ja gar nicht im Wegâ, antwortete Maja.
âWo sitzen Sie denn?â fragte er, âSie mĂźssen doch irgendwo sitzen.â
âHier oben,â rief Maja, âĂźber Ihnen in der Blume.â
âIch will es Ihnen glauben,â sagte Kurt, âaber ich bin kein GrashĂźpfer, ich kann mich unmĂśglich so weit nach oben umdrehn, daĂ ich Sie sehe. Weshalb haben Sie denn geschrien?â
âDie eine Hälfte vom Wurm läuft fortâ, rief Maja.
âJa, ja,â sagte Kurt und sah dem halben WĂźrmchen nach, âdiese Tiere sind sehr regsam. Ich habe keinen Appetit mehr.â Damit warf er den Rest des Wurms fort, den er noch in seinen Händen gehalten hatte, und dieser Ăźbriggebliebene Teil entfernte sich nach der andern Seite.
Maja wurde ganz verwirrt, aber Kurt schien mit dieser Eigenart des Wurms vertraut zu sein.
âSie mĂźssen nicht denken, daĂ ich immer Wurm esse,â sagte er, âaber es finden sich nicht Ăźberall Rosen.â
âSagen Sie doch wenigstens dem Kleinen, wo seine andere Hälfte hingelaufen istâ, antwortete Maja in groĂer Erregung.
Kurt schĂźttelte ernst den Kopf. âWas das Schicksal trennt, soll man nicht wieder zusammenfĂźgenâ, meinte er. âWer sind Sie?â
50âIch bin Maja, vom Volk der Bienen.â
âDas ist mir angenehm,â sagte Kurt, âich habe nichts gegen die Bienen. Weshalb sitzen Sie denn da herum? Das tun doch sonst Bienen nicht. Sitzen Sie da schon lange?â
âIch habe hier geschlafen.â
âSoâ, machte Kurt miĂtrauisch. âHoffentlich haben Sie einen tiefen und gesunden Schlaf. Sie sind wohl eben erst erwacht?â
Maja bestätigte es, denn sie merkte, daà Kurt nicht gerne gesehn hätte, wenn sein Gespräch mit der Grille Iffi belauscht worden wäre, und sie wollte ihn nicht noch einmal betrßben.
Kurt lief hin und her und versuchte hinaufzuschaun. âWarten Sie,â sagte er, âwenn ich mich etwas an jenem Grashalm aufrichte, werde ich Sie sehn kĂśnnen, und Sie kĂśnnen mir in die Augen schaun. Das wollen Sie doch jedenfalls gern.â
âDoch,â sagte Maja, âdas wäre mir sehr angenehm.â
Kurt fand einen geeigneten Halm, es war der Stiel einer Butterblume, und da die BlĂźte sich etwas zur Seite neigte, konnte Maja ihn ansehn, als er sich nun auf die Hinterbeinchen stellte und zu ihr emporschaute. Sie fand, daĂ er ein freundliches und liebes Gesicht hatte; ganz jung schien er nicht mehr zu sein; und er war etwas voll in den Backen. Nun verbeugte er sich, so daĂ die Blume ein wenig schaukelte, und stellte sich vor:
âKurt, von der Familie der Rosenkäfer.â
51Die kleine Maja muĂte heimlich lachen, denn sie wuĂte nur zu gut, daĂ Kurt ein Mistkäfer war, aber da sie ihn nicht kränken wollte, sagte sie nichts darĂźber.
âMacht Ihnen der Regen nichts aus?â fragte Maja.
âO nein, das bin ich von den Rosen her gewohnt, da regnet es meistens.â
Maja dachte: ein wenig muĂ ich ihn doch fĂźr seine dreisten LĂźgen strafen, er ist doch ein recht eitler Geselle.
âKurt,â sagte sie und lächelte vorsichtig, âwas ist das da eigentlich fĂźr ein Loch unter dem Blatt?â
Kurt erschrak.
âEin Loch?â fragte er, âsprechen Sie von irgendeinem Loch? Es gibt sehr viele LĂścher, es wird so ein Loch sein, irgendsoeins. Sie machen sich keine Vorstellung, wie viele ErdlĂścher es gibt.â
Aber in der heimlichen BestĂźrzung, in die er geraten war, ereignete sich etwas ganz Furchtbares. Kurt hatte in seinem Eifer und in seinem BemĂźhen, sich mĂśglichst gleichgĂźltig zu stellen, das Ăbergewicht verloren. Maja hĂśrte ihn verzweifelt aufschreien und gleich darauf sah sie ihn auf dem RĂźcken liegen und mit Armen und Beinen hilflos und kläglich in der Luft zappeln.
âEs ist aus mit mir!â schrie er, âich bin nicht in der Lage, mich wieder aufzurichten. Ich werde sterben mĂźssen. Ein bejammernswerteres Geschick ist nie vorgekommen.â
Er klagte so laut, daĂ er Majas Trostworte nicht verstand. Dabei versuchte er mit seinen FĂźĂen den Boden zu 52gewinnen, aber jedesmal, wenn er sich festzuhalten glaubte, gaben die kleinen Erdballen nach, die er mĂźhsam ergriffen hatte, und er fiel wieder auf seinen hohen, runden RĂźcken zurĂźck. Es war wirklich ein auĂerordentlich trostloser Anblick, und die kleine Maja hatte ehrlich Angst um ihn, zumal er schon ganz bleich im Gesicht war und sein Geschrei in der Tat herzzerreiĂend klang.
âIch halte diese Lage nicht aus,â rief er, âschauen Sie wenigstens fort. Quälen Sie nicht einen Sterbenden durch zudringliche Blicke. Ach wenn ich wenigstens einen der Grashalme erreichen kĂśnnte, oder den Stiel der Butterblume. Wer kann sich an der Luft festhalten? Das kann niemand.â
Das Herz der kleinen Maja zitterte vor Erbarmen.
âWarten Sie,â rief sie, âich will versuchen Sie aufzurichten. Es muĂ doch gehn, wenn ich mich anstrenge. Oder Kurt, lieber Kurt, schreien Sie doch nicht so, hĂśren Sie mich an: Wenn ich einen kleinen Grashalm niederbiege und reiche Ihnen das äuĂerste Ende, wĂźrden Sie sich dann helfen kĂśnnen?â
Kurt jammerte nur und verstand sie nicht, er war vor Todesangst ganz von Sinnen. Da flog die kleine Maja trotz des rieselnden Regens aus ihrem Versteck nieder, suchte einen schmalen grĂźnen Grashalm, der in Kurts Nähe wuchs, und klammerte sich an der äuĂersten dĂźnnen Spitze fest. Sie jubelte vor Freude, als der Halm sich unter ihrer Last so niederbog, daĂ er grade quer Ăźber den zappelnden Kurt sank.
53âHalten Sie sich festâ, schrie Maja.
Kurt fßhlte etwas ßber seinem Gesicht und griff hastig zu, erst mit einer Hand, dann mit beiden und endlich auch mit den Beinchen, die prächtige scharfe Krallen hatten, jedes zwei. Langsam zog er sich immer weiter daran hin, bis er die Wurzel des Halms erreicht hatte, und dort, wo er stärker und dicker war, konnte er sich aufrichten.
Er atmete tief auf.
âMein Gottâ, sagte er. âDas war ganz schrecklich. Ohne meine Geistesgegenwart wäre ich zweifellos ein Opfer Ihrer Geschwätzigkeit geworden.â
âGeht es Ihnen besser?â fragte die kleine Maja.
Kurt hielt seine Stirn.
âDanke, danke, wenn dieses SchwindelgefĂźhl weicht, werde ich Ihnen genaue Auskunft geben.â
Aber Maja erfuhr die Antwort auf ihre Frage nicht mehr, denn es kam eine Grasmßcke durch die Halme geflattert, die auf der Jagd nach Insekten war. Die kleine Biene drßckte sich fest an den Boden und verhielt sich ganz still, bis der Vogel vorßber war. Als sie sich später nach Kurt umsah, war er verschwunden, und da machte auch sie sich auf und flog davon, denn es hatte aufgehÜrt zu regnen, und der Tag war hell und warm.

Kapitel 5: Der GrashĂźpfer
Das war einmal ein Tag! Morgens ganz frĂźh hatte es getaut, dann war die Sonne Ăźber dem Wald aufgegangen und hatte ihre Strahlen schräg Ăźber den grĂźnen Graswald geschickt, so daĂ ein Glitzern und Funkeln begann, daĂ man vor Seligkeit und EntzĂźcken Ăźber einen Anblick von solcher Pracht nicht wuĂte, was man sagen oder tun sollte.
Die kleine Maja hatte schon gleich beim Erwachen lauter helle Jubelrufe um sich her vernommen. Teils kamen sie hoch aus den Bäumen von den gefĂźrchteten VĂśgeln, deren Stimmen doch so lieblich erklingen konnten, oder aus der Luft von vorĂźberfliegenden Insekten oder aus BĂźschen und Gras von Käfern, Schmetterlingen und kleinen und groĂen Fliegen.
Maja hatte es sich in einem Baumloch recht behaglich eingerichtet. Es war sicher und trocken und blieb auch nachts recht lange warm, da den Tag ßber die Sonne auf den Eingang schien. Zwar hatte sie einmal in aller Frßhe den Specht am Stamm ihres Baums klopfen hÜren und sich schleunigst davon gemacht. Denn den Specht klopfen zu hÜren, das ist fßr ein kleines Insekt, das sich in der Baumrinde verborgen hält, so schlimm, als wenn unsereins nachts die Geräusche eines Einbrechers hÜrt, der die Fensterläden aufbricht. Aber in der Nacht war sie sicher, dann suchte niemand sie in ihrem hohen Versteck.
In einem zurĂźckliegenden Spältchen, in dem es dunkel und kĂźhl war, hatte sie sich ein kleines Honiglager angelegt, um fĂźr Regentage mit Nahrung versorgt zu sein; und den Eingang zu ihrer Waldburg hatte sie mit Wachs ein wenig zugeklebt, so daĂ er nicht grĂśĂer als eben nĂśtig war, um bequem hineinschlĂźpfen zu kĂśnnen.
Und mit einem hellen Jubel voll Lebensfreude schwang sich die kleine Maja an diesem Morgen in den Sonnenschein hinaus, um zu erfahren, was dieser neue schĂśne Tag ihr bringen wĂźrde.
Sie segelte gradaus durch das goldene Licht der Luft, so daĂ sie wie ein kleines rasches PĂźnktchen aussah, das der Wind dahintrieb.

âHeute werde ich einem Menschen begegnen,â rief sie, âan solchen Tagen sind sicher auch die Menschen unterwegs, um sich in der hellen Natur zu erfreuen.â Es waren ihr noch niemals so viele Insekten begegnet, es war ein Kommen und Treiben, ein Summen, Lachen und Jubeln in der Luft, daĂ man unwillkĂźrlich mit einstimmen muĂte.
Die kleine Maja lieĂ sich endlich in einem Graswald nieder, in dem vielerlei Blumen und Pflanzen wuchsen. Die hĂśchsten waren die weiĂlichen BlĂźtenbĂźschel der Schafgarbe und Mohnblumen, die knallrot und leuchtend eine groĂe Anziehungskraft ausĂźbten. Als Maja ein wenig Honig aus einer Akeleiblume genommen hatte und eben im Begriff war, weiterzufliegen, begegnete ihr auf einem Grashalm, der sich zu ihrer Blume hinĂźberbog, ein ganz seltsamer Geselle. Anfangs erschrak sie sehr, weil sie nicht fĂźr mĂśglich gehalten hatte, daĂ solch ein grĂźnes hageres UngetĂźm vorkommen kĂśnnte, aber dann wurde doch ihr ganzes Interesse in so hohem MaĂe wach, daĂ sie wie angewurzelt sitzenblieb und den langbeinigen Fremdling anstarrte. Es sah aus, als habe er HĂśrner, aber es war nur seine seltsam vorgerĂźckte Stirn, die es so erscheinen lieĂ. Zwei unendlich lange, fadendĂźnne FĂźhler waren daran, er erschien sehr schlank und hatte zierliche Vorderbeinchen und ganz dĂźnne unauffällige FlĂźgelchen, mit denen sich nach Majas Meinung nicht viel anfangen lieĂ. Das MerkwĂźrdigste aber waren seine zwei groĂen, hohen Hinterbeine, die ihn wie zwei riesige geknickte Stelzen weit Ăźberragten. Er war Ăźber und Ăźber grĂźn, und seine listigen Augen hatten etwas Freches und Erstauntes zugleich, aber man konnte wohl sagen, daĂ sie nicht boshaft, sondern viel eher gutmĂźtig waren.
âNun, Mamsell,â sagte er zu Maja, offenbar durch ihren verwunderten Gesichtsausdruck geärgert, âSie haben wohl noch keinen GrashĂźpfer gesehn? Oder legen Sie Eier?â
âWas fällt Ihnen einâ, rief Maja zornig. âWie sollte ich auf diesen Gedanken kommen? Auch wenn ich es kĂśnnte, wĂźrde ich es niemals tun. Wie sollte ich den heiligen Pflichten der KĂśnigin in so leichtsinniger Weise vorgreifen?â
Der GrashĂźpfer duckte sich etwas zusammen und machte ein ganz unbeschreiblich komisches Gesicht, so daĂ Maja trotz ihres Verdrusses laut lachen muĂte.
âMamsellâ, rief er, aber dann muĂte er selber lachen und sagte nur noch: âNein so was! Sie sind aber Eine!â
Maja wurde ganz ungeduldig durch das Benehmen dieses seltsamen Gesellen. âWarum lachen Sie denn?â fragte sie nicht grade freundlich, âSie kĂśnnen doch nicht im Ernst verlangen, daĂ ich Eier legen soll, und noch dazu hier auf den Rasen.â
Da knackte es, der GrashĂźpfer sagte: âHopplaâ, und fort war er.

Maja war ganz verdutzt. Hoch in die Luft hatte er sich geschwungen, ohne seine FlĂźgel zu brauchen, in einem riesigen Bogen und, wie es Maja erschien, in einer an Wahnsinn grenzenden TollkĂźhnheit.
Aber da war er schon wieder. Sie hatte nicht sehen kĂśnnen, woher er kam, aber nun saĂ er neben ihr auf dem Blatt der Akeleiblume.
Er betrachtete sie von allen Seiten, von hinten und von vorn:
âNein,â sagte er dann schnippisch, âSie kĂśnnen allerdings keine Eier legen, Sie sind nicht darauf eingerichtet. Sie haben keinen Legestachel.â
âWas,â sagte Maja, âkeinen Legestachel?â Sie deckte sich etwas mit ihren FlĂźgeln zu und drehte sich so um, daĂ der Fremde nur ihr Gesicht sehn konnte.
âJa natĂźrlich. Fallen Sie nur nicht von Ihrem Podium, Mamsell. Sie sind eine Wespe, nicht wahr?â
Etwas Schlimmeres hätte nun der kleinen Maja in aller Welt nicht begegnen kÜnnen.
âSchockschwerenot!â rief sie.
âHoppla!â antwortete der GrashĂźpfer und fort war er.
âIch werde ganz nervĂśs Ăźber so einer Personâ, sagte Maja und beschloĂ fortzufliegen. Solange sie denken konnte, war ihr eine solche Beleidigung noch nicht widerfahren. Mit einer Wespe verwechselt zu werden, bedeutete ihr die grĂśĂte Schmach, mit diesem nutzlosen Raubgesindel, mit diesem Diebsvolk, diesen Landstreichern. Es war in der Tat empĂśrend.
Aber da war der GrashĂźpfer plĂśtzlich wieder da.
âMamsellâ, rief er, und drehte sich langsam ein wenig, wobei seine langen Hinterbeine aussahen wie Uhrzeiger, wenn es fĂźnf Minuten vor halb sieben ist, âMamsell, Sie mĂźssen entschuldigen, daĂ ich zuweilen das Gespräch unterbreche. Aber plĂśtzlich packt es mich. Ich muĂ springen, um die Welt muĂ ich springen, wohin es immer sei. Kennen Sie das nicht auch?â
Er zog seinen Mund von einem Ohr zum anderen, indem er Maja anlächelte. Sie konnte nicht anders, sie muĂte lachen.
âNicht wahr?â sagte der GrashĂźpfer und nickte ermutigend.
âWer sind Sie denn nur?â fragte Maja, âSie sind schrecklich aufregend.â
âAber man kennt mich doch Ăźberallâ, sagte der GrĂźne und grinste wieder, so erschĂśpfend, wie Maja noch niemals jemanden hatte grinsen sehn. Sie wuĂte nie recht, ob er etwas im Ernst oder im Scherz meinte.
âIch bin in dieser Gegend fremd,â sagte sie freundlich, âsonst wĂźrde ich Sie sicher kennen, aber ich bitte Sie, sich zu merken, daĂ ich zur Familie der Bienen gehĂśre, und daĂ ich durchaus keine Wespe bin.â
âAch Gott,â sagte der GrashĂźpfer, âdas ist doch dasselbe.â
Maja konnte vor Aufregung kaum sprechen.
âSie sind ungebildetâ, stieĂ sie endlich hervor. âSchaun Sie sich doch einmal eine Wespe an.â
âWas kĂśnnte mich wohl dazu veranlassen?â antwortete der GrĂźne. âWohin wĂźrde es fĂźhren, wenn ich mir Unterschiede merkte, die nur in der Einbildung existieren? Sie fliegen in der Luft herum, stechen alles, was in Ihre Nähe kommt, und kĂśnnen nicht springen. Genau so ist es mit den Wespen. Wo liegt also der Unterschied? Hoppla!â Und fort war er.
Jetzt flieg ich aber, dachte Maja.
Da war er wieder.
âMamsell,â rief er, âmorgen ist Wettspringen im Garten des Pfarrers SĂźndepiek. Wollen Sie eine Freikarte, um zuschauen zu kĂśnnen? Meine Alte hat deren noch zwei, gegen ein Kompliment gibt sie eine her. Ich hoffe den bestehenden Rekord zu schlagen.â
âIch interessiere mich nicht fĂźr so ein GehĂźpfeâ, sagte Maja nicht ohne VerdruĂ. âWer fliegen kann, hat hĂśhere Interessen.â
Der GrashĂźpfer grinste, daĂ man es fĂśrmlich zu hĂśren glaubte.
âĂberschätzen Sie sich nicht, Mamsell. Die meisten Tiere der Welt kĂśnnen fliegen, aber springen kĂśnnen die wenigsten. Sie haben keinen Ăberblick Ăźber die Interessen der Mitwelt. Den Wunsch nach einem hohen, eleganten Sprung finden Sie sogar bei den Menschen. KĂźrzlich sah ich den Pfarrer SĂźndepiek fast einen Meter hoch springen, um einer kleinen Schlange zu imponieren, die vor ihm Ăźber den Weg lief. Seine Verachtung gegen alles, was nicht Springen war, ging dabei so weit, daĂ er seine Pfeife fortschleuderte, ohne die kein Pfarrer leben kann. Begreifen Sie diesen Ehrgeiz! â Ich habe GrashĂźpfer gekannt, und sie gehĂśrten zu meiner Familie, die dreihundertmal so hoch sprangen, als sie selbst groĂ waren. Ja, nun staunen Sie und sagen kein Wort mehr, und bereuen innerlich alles, was Sie eben vorgebracht haben, und was Sie eventuell noch hätten behaupten wollen. Dreihundertmal so hoch, als er groĂ war! Muten Sie so etwas mal jemandem zu! Selbst das grĂśĂte Tier der Welt, der Elefant, ist nicht in der Lage, einen solchen Sprung auszufĂźhren. Nun? Da schweigen Sie! Habe ich nicht gesagt, daĂ Sie schweigen wĂźrden?â
âAber wie soll ich denn reden, wenn Sie nicht einen Augenblick still sindâ, rief Maja.
âReden Sie alsoâ, sagte der GrashĂźpfer freundlich, und dann rief er âHopplaâ und war fort.
Da muĂte die kleine Maja trotz ihres Verdrusses doch lachen. So etwas war ihr noch niemals begegnet. So sehr der GrashĂźpfer sie durch sein scherzhaftes Benehmen in Erstaunen setzte, so bewunderte sie doch seine Welterfahrenheit und seine groĂen Kenntnisse. Wenn sie es auch mit dem Springen nicht hielt wie er, so war sie doch verwundert Ăźber alle die Neuigkeiten, die sie in der kurzen Unterhaltung erfahren hatte. Wenn der GrĂźne nur etwas zuverlässiger gewesen wäre, sie hätte ihn gar zu gern nach diesem oder jenem gefragt. Oft erleben wirklich diejenigen am meisten, dachte sie, die am wenigsten damit anzufangen wissen.
Ob er die Sprache der Menschen verstehen konnte, da er doch ihre Namen wuĂte? Danach wollte sie ihn fragen, wenn er noch einmal zurĂźckkam, und auch danach, wie er Ăźber eine Annäherung dachte und Ăźber den Versuch, den Menschen in seiner Behausung aufzusuchen.
âMamsell!â rief es neben ihr, und ein Grashalm schwankte.
âMein Gott,â sagte Maja, âwo kommen Sie nur immer her?â
âAus der Umgegendâ, sagte der GrashĂźpfer.
âAber ich bitte Sie,â rief Maja, âspringen Sie denn so aufs Geratewohl in die Welt, ohne zu wissen, wohin es Sie fĂźhrt, ohne den Ort zu kennen, wo Sie ankommen?â
âNatĂźrlichâ, sagte der GrĂźne. âWas denn sonst? KĂśnnen etwa Sie in die Zukunft sehn? Das kann niemand. Nur der Laubfrosch kann es, aber er sagt nicht wie.â
âWas Sie alles wissen,â rief die kleine Maja, âdas ist einfach groĂartig. Verstehn Sie auch die Sprache der Menschen?â
âDas ist eine Frage, die schwer zu beantworten ist, Mamsell, denn es ist noch nicht nachgewiesen, ob die Menschen eine Sprache haben. Sie stoĂen zuweilen Laute aus, deren abscheuliche Klanglosigkeit mit nichts zu vergleichen ist. Offenbar verständigen sie sich dadurch. Was man ihnen lassen muĂ, ist ein aufrichtiges Verlangen nach erträglichen Stimmen. Ich beobachtete zwei Knaben, die Grashalme zwischen ihre Finger nahmen und mit ihrem Mund Luft darauf bliesen, so daĂ ein surrender Ton entstand, der dem Zirpen einer Grille vielleicht verglichen werden kĂśnnte. Aber er blieb weit dahinter zurĂźck. Jedenfalls tun sie, was sie kĂśnnen. Wollen Sie sonst noch etwas wissen? Ich weiĂ immerhin mancherlei.â
Und er grinste die kleine Maja an, daĂ man es fĂśrmlich hĂśrte.
Aber als er nun das nächste Mal unversehens davonsprang, blieb er aus, und die Biene wartete eine Weile vergeblich auf ihn. Sie suchte ringsumher im Gras und in den Blumen, aber es war unmÜglich, ihn wiederzufinden.

Kapitel 6: Puck
Die Mittagshitze dieses schĂśnen Sommertags machte die kleine Maja recht mĂźde, sie flog gemächlich an grell beschienenen GartenbĂźschen vorĂźber, bis die groĂen Blätter eines riesigen Kastanienbaums ihr Schutz und KĂźhle boten. Es standen Tische und Bänke unter der Kastanie auf dem zertretenen Rasen; offenbar war es eine Sommerwirtschaft, die unter der Baumkrone aufgeschlagen war. In der Nähe schimmerte das rote Ziegeldach eines Bauernhauses, aus dessen Schornsteinen ein bläulicher Rauch in den Sonnenschein emporzog.
Nun schien es der kleinen Maja ganz unvermeidlich, daĂ sie endlich einem Menschen begegnen mĂźĂte, war sie nicht bis unmittelbar in sein Machtbereich vorgedrungen? Sicherlich war dieser Baum sein Eigentum, und die seltsamen Holzgeräte im Schatten drunten gehĂśrten zu seinem Stock.
Da summte es neben ihr, und eine Fliege lieĂ sich auf ihrem Blatt nieder. Sie lief eine Weile auf dem grĂźnen Geäder herum, immer in kleinen StĂśĂen, so daĂ man die Bewegungen ihrer Beine nicht sah und fast glauben konnte, sie rutschte rasch und aufgeregt hin und her. Dann flog sie von einem Teil des groĂen gefingerten Blattes zum andern, aber so schnell und unversehens, daĂ jeder geglaubt hätte, sie wäre gesprungen statt geflogen. Aber es sah nur so aus. Offenbar war ihr daran gelegen, herauszubekommen, auf welchem Teil des Blattes es am angenehmsten war. Zuweilen schwang sie sich fĂźr ein ganz kleines StĂźckchen urplĂśtzlich in die Luft, brummte dabei geradezu leidenschaftlich, als sei etwas UnerhĂśrtes geschehen, oder als bewegte sie das grĂśĂte Vorhaben der Welt, lieĂ sich aber dann wieder nieder und machte wieder ihre sprunghaften Laufstrecken, als sei nichts geschehn, dann wieder saĂ sie ganz still, als ob sie plĂśtzlich erstarrt wäre.

Maja sah zu, was die Fliege da in der Sonne tat. Endlich näherte sie sich ihr und sagte hÜflich:
âIch wĂźnsche guten Tag und heiĂe Sie auf meinem Blatt willkommen; soviel ich weiĂ, sind Sie eine Fliege.â
âWas denn sonst?â fragte die Kleine, âich heiĂe Puck, ich bin sehr beschäftigt. Wollen Sie mich vertreiben?â
âO nein. Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machenâ, entgegnete Maja.
âDas glaubâ ichâ, sagte Puck nur, und versuchte sich den Kopf abzureiĂen.
âUm Gottes willen,â rief Maja, âschonen Sie sich!â
âDas muĂ sein, davon verstehn Sie nichtsâ, entgegnete Puck gelassen, und fuhr sich mit den Beinen Ăźber die FlĂźgel, so daĂ sie sich hinten tief um den Leib bogen. âIch bin Ăźbrigens eine Stubenfliege,â fĂźgte sie nicht ohne Stolz hinzu, âich weile hier nur in der Sommerfrische.â
âWie interessant,â rief die kleine Maja glĂźcklich, âda kennen Sie sicherlich den Menschen?â
âDen kenne ich wie meine Hosentasche,â warf Puck geringschätzig ein, âich sitze täglich darauf. Ja, aber wissen Sie denn das nicht? Ihr Bienen seid doch sonst so gescheit, ihr glaubt es wenigstens zu sein.â
âIch heiĂe Majaâ, antwortete die kleine Biene etwas schĂźchtern. Sie begriff nicht recht, wo die andern Insekten ihr SelbstbewuĂtsein, ihre Sicherheit und oft sogar ihre Frechheit hernahmen.
âEs ist schon gut,â wehrte Puck ab, âheiĂen Sie, wie Sie wollen, dumm sind Sie jedenfalls.â
Puck saĂ da, wie eine Kanone, die grade abgefeuert werden soll, der Kopf und die Brust ragten empor, und die unterste Spitze ihres Leibes berĂźhrte das Blatt. Dann plĂśtzlich duckte sie sich zusammen, so daĂ es aussah, als habe sie keine Beine.
âVorsichtig muĂ man sein,â sagte sie, âdarauf kommt es an.â
Aber in der kleinen Maja wallte es nach der Kränkung, die Puck ausgesprochen hatte, zornig empor. Ohne daĂ sie recht wuĂte, was sie eigentlich trieb, schwang sie sich blitzschnell auf Puck zu, ergriff sie beim Kragen und hielt sie fest.
âIch werde Sie lehren, gegen eine Biene hĂśflich zu seinâ, rief sie.
Puck fing ein fĂźrchterliches Geschrei an.
âStechen Sie nicht,â schrie sie, âdas ist das einzige, was Sie kĂśnnen, aber es schadet. Bitte nehmen Sie Ihren Hinterleib weg, soweit als mĂśglich, darin sitzt der Stachel. Und lassen Sie mich los, wenn es Ihnen mĂśglich ist, ich will alles tun, was Sie wollen. Verstehen Sie denn keinen Scherz!? Es weiĂ doch jeder, daĂ Ihr Bienen unter den Insekten die angesehensten seid, die mächtigsten und die zahlreichsten. Nur nicht tĂśten, wenn ich bitten darf, es wäre nachher nicht mehr gutzumachen. Herrgott, daĂ niemand fĂźr meinen Humor Verständnis hat.â
âGut,â sagte Maja, nicht ohne ein wenig Verachtung im Herzen, âich werde Sie leben lassen, wenn Sie mir vom Menschen alles sagen, was Sie wissen.â
âGern,â rief Puck, âich hatte es ohnehin vor, aber jetzt lassen Sie los.â
Maja tat es. Es war ihr plĂśtzlich gleichgĂźltig geworden, sie hatte Vertrauen und Achtung vor der Fliege verloren. Was so ein Gesindel in Erfahrung bringt, dachte sie, hat fĂźr ernste Leute wenig Wert, ich werde wohl doch selbst sehen mĂźssen, welche Beschaffenheit es mit dem Menschen hat.
Aber die kleine Fliege Puck wurde doch um vieles erträglicher, nachdem sie diese ernste Lehre empfangen hatte. Zu Anfang ordnete sie unter Gebrumm und Schelten ihre Fßhler, Flßgel und die Härchen ihres schwarzen KÜrpers. Alles war sehr in Unordnung geraten, denn die kleine Maja hatte fest zugepackt. Zum Schluà lieà Puck seinen Rßssel ein und aus fahren, etwas, das Maja noch niemals gesehn hatte.
âVerstaucht! Total verstaucht ist der RĂźssel,â rief sie schmerzlich, âdas kommt von dieser Erregtheit, mit der Sie vorgehen. Sehen Sie selbst, unten die Saugplatte sieht aus wie ein verbogener Blechteller!â
âHaben Sie eine Saugplatte?â fragte Maja.
âAch Gott, selbstverständlich! Was wollen Sie also Ăźber den Menschen wissen? Das mit dem RĂźssel wird sich schon geben. Ich denke, am besten erzähle ich Ihnen aus meinem Leben. Da ich unter Menschen groĂ geworden bin, werden Sie schon erfahren, was Sie wissen wollen.â
âSie sind unter Menschen groĂ geworden?â
âAber ja doch. In ihre Stubenecke legte meine Mutter das Ei, aus dem ich gekrochen bin, auf ihren Gardinen habe ich die ersten Gehversuche gemacht, und von Schiller bis Goethe probierte ich die Kraft meiner FlĂźgel zum erstenmal.â
Maja fragte, was Schiller und Goethe seien, und Puck erklärte es ihr ßberlegen. Das seien die Statuen zweier Menschen, die sich offenbar besonders ausgezeichnet hätten. Sie stßnden unter dem Spiegel, rechts und links, und wßrden von niemand beachtet.

Nun wollte Maja wissen, was ein Spiegel sei und warum diese beiden Statuen darunter stĂźnden.
âIm Spiegel sieht man sich an seinem Bauch, wenn man darauf kriechtâ, erklärte Puck. âEs ist sehr amĂźsant. Wenn die Menschen vor ihn hintreten, fahren sie sich entweder in die Haare, oder sie reiĂen an ihrem Bart. Wenn sie allein sind, lächeln sie hinein, aber wenn noch jemand im Zimmer ist, so machen sie ernste Angesichter. Den Zweck weiĂ ich nicht, ich habe ihn nie ergrĂźnden kĂśnnen, er scheint eine unnĂśtige Spielerei der Menschen zu sein. Ich selbst habe in meinen ersten Lebenstagen sehr darunter gelitten, weil ich hineinflog und natĂźrlich auf das heftigste zurĂźckgeschleudert wurde.â
Es war der kleinen Puck sehr schwer, Maja weitere Fragen Ăźber den Spiegel genau zu beantworten. âSehen Sie,â sagte sie endlich, âSie sind doch sicher einmal Ăźber eine blanke Wasserfläche geflogen? So etwa ist ein Spiegel, nur aufrecht und hart.â
Die kleine Fliege wurde um vieles freundlicher, nun da sie merkte, daĂ Maja ihr zuhĂśrte und daĂ ihre Erfahrungen Beachtung fanden. Und wenn Maja auch keineswegs alles glaubte, was sie von der Fliege hĂśrte, so bereute sie es doch, so gering von ihr gedacht zu haben. Andere sind oft um vieles gescheiter, als wir anfangs glauben, dachte sie.
Und Puck fuhr fort zu erzählen:
âEs dauerte lange, bis ich die Sprache der Menschen verstehen lernte. Man lernt sie schwer, ohne gewissermaĂen mit den Menschen auf du zu stehen. Jetzt weiĂ ich endlich, was sie wollen. Viel ist es nicht, fĂźr gewĂśhnlich sagen sie jeden Tag dasselbe.â
âAber das kann ich mir gar nicht denkenâ, sagte Maja. âDie Menschen haben doch so vielerlei Interessen, sie sind reich an Gedanken und groĂ an Taten. Ich habe von Kassandra gehĂśrt, daĂ sie Städte bauen, die grĂśĂer sind, als daĂ man sie an einem Tag umfliegen kann, TĂźrme, die so hoch sind wie der Brautflug unserer KĂśnigin, Häuser, die auf dem Wasser schwimmen, und andere, die schneller als ein Vogel Ăźber das Land dahingleiten, auf zwei schmalen silbernen StraĂen.â
âHalt!â sagte Puck energisch, âwer ist denn Ăźberhaupt Kassandra? Wer ist das, wenn ich fragen darf? Nun?â
âAch so,â sagte Maja, âes ist meine Erzieherin gewesen.â
âEine Erzieherin,â wiederholte Puck geringschätzig, âwahrscheinlich also eine Biene. Wer anders kĂśnnte zu solcher Ăberschätzung des Menschen kommen. Dieses Fräulein Kassandra, oder wie sie sich rufen läĂt, hat keine geschichtliche Kenntnis. Die Einrichtungen der Menschen, von denen Sie eben gesprochen haben, sind sämtlich ohne besonderen Wert fĂźr uns. Wer wird die Welt so unpraktisch sehen, wie Sie es tun. Wenn Sie nicht von der Voraussetzung ausgehen, daĂ die Erde von den Fliegen beherrscht wird, daĂ die Fliegen das verbreitetste und wichtigste Geschlecht sind, werden Sie die Welt kaum richtig erkennen lernen.â
Puck machte ein paar aufgeregte Zickzackwege auf dem Blatt und riĂ an ihrem Kopf, so daĂ Maja ganz besorgt wurde. Aber die kleine Biene hatte nun doch gemerkt, daĂ sie nicht gar zuviel Gescheites von der Fliege erfahren wĂźrde.
âWissen Sie, woran Sie sehen kĂśnnen, daĂ ich recht habe?â fragte Puck, und rieb sich die Hände, als ob sie sie miteinander verknoten wollte, âzählen Sie in einer Stube die Menschen und die Fliegen. Das Resultat wird Sie in ungeahnter Weise in Erstaunen setzen.â
âVielleicht haben Sie recht,â sagte Maja, âaber darauf kommt es nicht an.â
âGlauben Sie Ăźbrigens, ich sei diesjährig?â fragte Puck plĂśtzlich.
âIch weiĂ es nichtâ, antwortete Maja.
âIch habe Ăźberwintertâ, berichtete Puck stolz. âMeine Erfahrungen gehen bis in die Eiszeit. Sie fĂźhren gewissermaĂen mitten hindurch. Darum weile ich hier jetzt zur Erholung.â
âMut haben Sie jedenfallsâ, meinte Maja.
âO jaâ, rief Puck und machte einen kleinen Luftsprung in die Sonne. âDie Fliegen sind das kĂźhnste Geschlecht, das die Erde bevĂślkert. Sie werden Ăźberall sehen, daĂ wir stets nur dann flĂźchten, wenn es besser ist, aber wir kommen immer wieder. Haben Sie schon einmal auf einem Menschen gesessen?â

Maja verneinte und sah schräg und miĂtrauisch auf die Fliege. Sie wuĂte immer noch nicht recht, was sie von ihr halten sollte.
âNein,â sagte sie nun, âich habe kein Interesse daran.â
âWeil Sie es nicht kennen, meine Liebe! Wenn Sie einmal das muntere Spiel beobachtet hätten, das ich daheim mit dem Menschen treibe, so wĂźrden Sie vor Neid auswandern. Trotzdem will ich es Ihnen erzählen. In meinem Zimmer wohnt ein älterer Mensch, der die Farbe seiner Nase durch ein eigenartiges Getränk pflegt, das in einem Eckschrank verborgen ist. Es duftet betäubend und sĂźĂ; wenn er darauf zugeht, um es sich zu holen, lächelt er, und die Augen werden klein. Er nimmt ein Gläschen, und wenn er trinkt, schaut er zur Decke herauf, ob ich schon da bin. Ich nicke ihm zu, und er fährt sich mit der Hand Ăźber Stirn, Nase und Mund, um mir anzudeuten, wo ich später sitzen soll. Dann blinzelt er und reiĂt den Mund auf, so weit er kann, und zieht die Vorhänge am Fenster zu, damit die Nachmittagssonne uns nicht stĂśrt. Endlich legt er sich auf ein Ruhebett, das Sofa genannt wird, und stĂśĂt nach kurzer Zeit dumpfe krächzende Laute aus, die er sicher fĂźr schĂśn hält. DarĂźber wollen wir ein andermal reden, es ist der Schlummergesang des Menschen. FĂźr mich ist es das Zeichen, mich zu nähern. Zunächst nehme ich meinen Anteil aus dem Glase, den er fĂźr mich zurĂźckgelassen hat. Solch ein TrĂśpflein hat etwas auĂerordentlich Belebendes, ich verstehe den Menschen. Dann fliege ich hinzu und nehme auf der Stirn des Ruhenden Platz. Sie liegt zwischen der Nase und dem Haar und dient zum Denken. Man sieht es an den langen Falten, die sich wie Furchen von rechts nach links ziehen, und die beim Denken bewegt werden mĂźssen, wenn etwas Rechtes dabei herauskommen soll. Auch wenn der Mensch verdrieĂlich ist, zeigt es sich dort, aber dann laufen die Furchen von oben nach unten und Ăźber der Nase bildet sich eine runzelige ErhĂśhung.
Sobald ich sitze und in den Furchen hin und her laufe, fängt der Mensch an, mit der Hand in die Luft zu greifen. Er meint, ich sei dort irgendwo. Weil ich auf seinen Denkfalten sitze, kann er nicht so rasch herausbringen, wo ich mich eigentlich befinde. Aber endlich kommt er dahinter. Er knurrt und greift nach mir. Na, wissen Sie, Fräulein Maja, oder wie Sie sich rufen lassen, da muĂ man sich vorsehen. Ich sehe die Hand kommen, aber ich warte bis zuletzt, dann mache ich rasch einen geschickten Flug zur Seite, setze mich und schau zu, wie er nachfĂźhlt, ob ich noch da bin. So geht es oft eine halbe Stunde lang, Sie haben keine Ahnung, welch eine Ausdauer der Mensch hat. Endlich springt er auf und läĂt allerlei Worte hĂśren, die von seiner Undankbarkeit Zeugnis ablegen. Aber was wollen Sie? Ein edles Herz rechnet nicht auf Entgelt. Ich bin dann schon wieder oben an der Zimmerdecke und hĂśre zu, wie er undankbar ist.â
âIch kann nicht eben sagen, daĂ mir das sonderlich gefälltâ, meinte Maja. âIst es nicht recht unnĂźtz?â
âSoll ich etwa eine Honigwabe auf seiner Nase anbauen?â rief Puck. âSie haben keinen Humor, meine Liebe. Was tun Sie denn NĂźtzliches?â
Die kleine Maja wurde Ăźber und Ăźber rot. Aber sie faĂte sich schnell, um Puck ihre Verlegenheit nicht merken zu lassen.
âEs wird ein Tag kommen, an dem ich etwas SchĂśnes und GroĂes tue, das gut und nĂźtzlich ist,â sagte sie schnell, âaber erst will ich sehn, was in der Welt vorgeht. Ich fĂźhle es tief im Herzen, daĂ es so kommen muĂ!â
Und als die kleine Maja dies ausrief, fĂźhlte sie, wie es heiĂ in ihr emporwallte vor Hoffnung und Begeisterung, aber Puck schien gar nicht zu verstehn, wie ernst es ihr war und was sie innerlich bewegte. Sie machte ihre aufgeregten kurzen Laufstrecken hin und her und meinte endlich:
âHaben Sie vielleicht etwas Honig bei sich, meine Gute?â
âEs tut mir sehr leid,â antwortete Maja, âich wĂźrde Ihnen gern etwas geben, zumal Sie mich so freundlich unterhalten haben, aber ich habe nichts. DĂźrfte ich vielleicht noch eine Frage stellen?â
âSchieĂen Sie los,â sagte Puck, âich antworte immer.â
âIch mĂśchte von Ihnen wissen, wie ich in die Behausung des Menschen gelangen kann.â
âSie mĂźssen hineinfliegenâ, sagte Puck weise.
âAber wie gelingt es mir ohne Gefahr?â
âWarten Sie, bis eins der Fenster geĂśffnet ist, aber merken Sie sich den Ausgang. Sollten Sie ihn nicht wiederfinden, so fliegen Sie später am besten dem Licht nach. Fenster finden Sie an jedem Haus genug, Sie brauchen nur darauf zu achten, wo die Sonne sich spiegelt. Wollen Sie denn schon fort?â
âJaâ, antwortete Maja und gab Puck die Hand. âLeben Sie wohl und erholen Sie sich recht. Ich habe noch allerlei vor.â
Und mit ihrem vertrauten leisen Summen, das immer ein wenig sorgenvoll klang, hob die kleine Maja ihre glänzenden Flßgel und flog in den Sonnenschein hinaus auf die Blumenwiesen, um ein wenig Nahrung zu sich zu nehmen.
Puck sah ihr nach, Ăźberlegte alles vorsichtig, was man etwa noch äuĂern kĂśnnte, und sagte dann nachdenklich:
âNun, schlieĂlich, also! â Warum auch nicht?â
Kapitel 7: Majas Gefangenschaft bei der Spinne
Nach dieser Begegnung mit der Fliege Puck war der kleinen Maja nicht sonderlich froh zumute. Sie konnte sich unmĂśglich denken, daĂ Puck in allem recht haben sollte, was sie Ăźber den Menschen gesagt hatte und wie sie sich zu ihm stellte. Maja dachte so ganz anders vom Menschen. Sie hatte ein hohes und schĂśnes Bild von ihm und sträubte sich dagegen, etwas Geringes und Lächerliches von ihm zu glauben. Aber sie wagte es doch nicht, sich in seine Behausung zu begeben. Wie sollte sie wissen, ob es ihm angenehm war, und um alles in der Welt wollte sie niemandem zur Last fallen. Sie dachte noch einmal Ăźber alles nach, was Kassandra ihr erzählt hatte: âDie Menschen sind gut und weiseâ, hatte sie ihr gesagt. âSie sind sehr stark und mächtig, aber sie miĂbrauchen ihre Kräfte nicht, sondern Ăźberall, wo sie hinkommen, entsteht Ordnung und Wohlstand. Sie sind dem Volk der Bienen wohlgesinnt, darum vertrauen wir Bienen uns ihrem Schutz an und teilen unseren Honig mit ihnen. Sie lassen uns genug fĂźr den Winter und sorgen dafĂźr, daĂ der Frost und die groĂe Schar der Feinde, die wir unter den Tieren haben, uns nicht stĂśren oder vernichten. Es gibt wenig freie Tiere in der Welt, die solch ein Verhältnis von Freundschaft und freiwilliger Dienstbarkeit mit den Menschen eingegangen sind. Du wirst immer wieder unter den Insekten Stimmen hĂśren, die dem Menschen BĂśses nachsagen. HĂśre nicht auf sie. Wenn ein betĂśrtes Bienenvolk sich einmal in die Wildnis begibt und sein Heil ohne den Menschen versucht, geht es rasch zugrunde. Es gibt zu viele Wesen, die Verlangen nach unserm Honig tragen, und oft ist ein ganzer Staat ruchlos vernichtet worden, mit seinen Bauten und seiner Brut, nur weil ein unvernĂźnftiges Tier seine Begierde nach dem Honig stillen wollte.â So hatte ihr Kassandra damals erzählt, und solange sich Maja nicht vom Gegenteil Ăźberzeugt hatte, wollte sie an die Wahrheit dieser Worte glauben.
Es war schon Nachmittag geworden, und die Sonne stand hinter den Obstbäumen eines groĂen GemĂźsegartens, den Maja durchflog. Die Bäume waren längst verblĂźht, aber die kleine Biene entsann sich noch gut, sie alle in ihrem leuchtenden Glanz von unzähligen BlĂźten gesehen zu haben, die sich heller als das Licht und betĂśrend rein und lieblich gegen den blauen Himmel emporgehoben hatten. Der sĂźĂe Duft und der lichte Schimmer hatten sie zu einer Seligkeit berauscht, die sie in ihrem Leben niemals vergessen wollte.
Sie dachte nun im Dahinfliegen darĂźber nach, daĂ das alles wiederkommen sollte, und ihr Herz wurde weit vor GlĂźck Ăźber die Herrlichkeit der groĂen Erde, auf der sie leben durfte.
Am Ende des Gartens schimmerten die weiĂen SternenbĂźschel des Jasmin, mit ihren zarten gelben Angesichtern, mitten im Strahlenkranz von reinem WeiĂ. Der sanfte Wind trug ihr den sĂźĂen Duft entgegen. Und gab es nicht auch noch Linden, die in dieser Jahreszeit in voller BlĂźte standen? Und Maja dachte beglĂźckt an die groĂen, ernsten Linden, in deren Wipfel bis zuletzt das rĂśtliche GlĂźhen der Abendsonne stand.
Sie flog zwischen Brombeerranken hindurch, die schon grĂźne Beeren angesetzt hatten, aber auch noch BlĂźten trugen. Als sie wieder empor wollte, um zum Jasmin zu gelangen, legte sich plĂśtzlich etwas Fremdartiges Ăźber ihre Stirn und Ăźber ihre Schultern, ebenso rasch bedeckte es die FlĂźgel, so daĂ sie wie gelähmt wurden und Maja in dem seltsamen Wunder dieser fremden Erscheinung das BewuĂtsein hatte, plĂśtzlich in ihrem Flug gehemmt zu sein und das GefĂźhl, zu fallen, kraftlos niederzufallen, als hielte eine heimliche, bĂśse Gewalt ihre FĂźhler, ihre Beine und ihre FlĂźgel in unsichtbarer Gefangenschaft. Aber sie fiel nicht. Obgleich sie ihre FlĂźgel nicht mehr bewegen konnte, schwebte sie doch, wunderbar weich und zart und nachgiebig hielt es sie, hob sie ein wenig, senkte sie wieder und trieb sie hin und her, als spielte ein sanfter Wind mit einem gelĂśsten Blatt.

Die kleine Maja ßberkam ein Gefßhl von Beängstigung, aber recht fßrchten konnte sie sich noch nicht, da sie weder Schmerzen empfand, noch eigentlich ein Unbehagen verspßrte. Nur seltsam war es, ganz seltsam, und dahinter lauerte etwas BÜses. Sie wollte doch sehn, daà sie weiter kam. Wenn sie sich recht anstrengte, so wßrde es ihr sicher gelingen.
Da sah sie quer Ăźber ihrer Brust einen unendlich feinen, dehnbaren Silberfaden, und als sie rasch und in heiĂem Schreck danach griff, blieb er an ihrer Hand hängen, klebte fest und lieĂ sich nicht mehr lĂśsen. Und dort lief ein zweiter Silberfaden Ăźber ihre Schulter, zog sich Ăźber die FlĂźgel hin und verband sie miteinander, so daĂ sie sie nicht mehr heben konnte. Und dort und dort, Ăźberall in der Luft und Ăźber ihren KĂśrper hin liefen diese hellen, glitzernden, klebrigen Fäden.
Die kleine Maja schrie laut auf vor Entsetzen, denn nun hatte sie erkannt, was ihr geschehn war und wo sie sich befand. Sie war im Netz der Spinne.
Ihr Weinen und Rufen scholl laut und angstvoll in die stille sommerliche Runde, in der der Sonnenschein auf goldgrßnen Blättern blinkte, in der Insekten hin und her flogen und VÜgel sich durch die Luft warfen. Ganz nah duftete der Jasmin im Blau. Dorthin hatte sie gewollt, nun war es mit ihr zu Ende.
Ein kleiner bläulicher Schmetterling, der braune Pßnktchen, die wie Kupfer schimmerten, auf seinen Flßgeln hatte, kam ganz dicht an Maja vorßber.
âAch Armeâ, rief er, als er das Jammern der kleinen Maja hĂśrte und sie verzweifelt im Netz der Spinne zappeln sah. âMĂśchte Ihnen der Tod leicht werden, Sie Liebe. Ich kann Ihnen nicht helfen. Auch mich trifft es einmal, vielleicht schon diese Nacht. Aber noch ist es schĂśn fĂźr mich. Leben Sie wohl, vergessen Sie die Sonne nicht in Ihrem tiefen Todesschlaf.â

Und er schaukelte weiter, ganz betäubt vom Blßhn und von der Sonne und von seiner Lebensseligkeit.
Der kleinen Maja stĂźrzten die Tränen aus den Augen, und sie verlor allen Halt und jede GefaĂtheit. Hin und her stieĂ sie sich mit ihren gefesselten FlĂźgeln und Beinchen, schrie und summte, so laut sie konnte, und rief um Hilfe und wuĂte nicht wen. Und dabei verwickelte sie sich immer fester in das Netz. Ach, nun gingen ihr in ihrer groĂen Angst die Warnungen Kassandras durch den Sinn: âHĂźte dich vor dem Netz der Spinne, in ihrer Gewalt erleiden wir den grausamsten Tod. Sie ist herzlos und tĂźckisch und läĂt niemanden wieder frei.â
Ihre Todesangst wurde zur Verzweiflung, mit ihren letzten Kräften machte sie eine gewaltige Anstrengung, aber obgleich sie die Empfindung hatte, als risse irgendwo eines der langen, stärkeren Tragseile, in denen das Netz hing, so spßrte sie doch das furchtbare Verhängnis des Spinnennetzes, das darin bestand, daà es um so gefährlicher wirkte, je mehr man sich darin bewegte.
Als sie in vĂślliger ErschĂśpfung einen Augenblick innehielt, sah sie unter einem groĂen Brombeerblatt, ganz in ihrer Nähe, die Spinne sitzen. Ihr Entsetzen war unbeschreiblich, als sie das groĂe Ungeheuer ganz ernst und still wie zu einem Sprung geduckt unter dem Blatt hocken sah. Die Spinne sah mit bĂśsen funkelnden Augen auf die kleine Maja, in einer boshaften Geduld und grauenhaft kaltblĂźtig.
Maja stieĂ einen lauten Schrei aus. Ihr war, als habe sie noch niemals so voller Angst aufgeschrien. Schlimmer konnte auch der Tod selbst nicht aussehen, als dieses graue, behaarte UngetĂźm mit seinem bĂśsen GebiĂ und den hochstehenden Beinen, in denen der plumpe KĂśrper wie in einem Gestell hockte. Und nun gleich wĂźrde sie zustĂźrmen, und mit ihrem Leben war es zu Ende.
Da befiel Maja ein furchtbarer Zorn, wie sie ihn niemals gefĂźhlt hatte. Sie stieĂ ihren hellen, bĂśsen Kampfruf aus, den alle Tiere kennen und fĂźrchten, und vergaĂ ihre Angst und ihr Herzeleid und war nur noch darauf aus, ihr Leben so teuer als mĂśglich zu verkaufen.
âSie werden Ihre Hinterlist mit dem Tode bĂźĂenâ, schrie sie der Spinne entgegen. âKommen Sie nur her, um mich zu tĂśten, Sie werden erfahren, was eine Biene vermag.â
Die Spinne rĂźhrte sich nicht. Es war wirklich auĂerordentlich unheimlich und hätte sicher auch grĂśĂere Tiere geängstigt, als die kleine Maja eines war.
Mit der Kraft ihres Zorns machte sie eine letzte verzweifelte Anstrengung. Knack! Da riĂ Ăźber ihr ein langer Faden, der das Netz an einer Seite hielt. Es war sicher fĂźr kleine MĂźcken oder Fliegen berechnet und nicht fĂźr so groĂe Insekten, wie es Bienen sind. Aber Maja verwickelte sich nur noch ärger.
Da glitt die Spinne mit einem Ruck näher, ganz dicht bis an die kleine Maja heran, auf einem einzigen Faden, an dem sie mit den beweglichen Beinen heranturnte, so daà ihr KÜrper nach unten hing.
âWas berechtigt Sie dazu, mir mein Netz zu zerstĂśren?â sagte sie mit krächzender Stimme zu Maja. âWas wollen Sie hier? Ist die Welt nicht groĂ genug? Was stĂśren Sie eine friedliche Einsiedlerin?â
Das hatte die kleine Maja nicht erwartet. Nein, das wirklich nicht.
âEs war ein Versehenâ, rief sie, und zitterte vor GlĂźck und Hoffnung. So häĂlich die Spinne auch war, so schien sie doch keine bĂśsen Absichten zu haben. âIch habe leider Ihr Netz nicht beachtet und habe mich verwickelt. Ach, entschuldigen Sie.â
Die Spinne kam etwas näher.
âSie sind ja eine ganz dralle kleine Personâ, sagte sie, und lieĂ sich abwechselnd erst mit dem einen, dann mit dem andern Bein etwas los. Der Faden schwankte. Es war wirklich erstaunlich, daĂ ein so dĂźnner Faden die groĂe Spinne trug.
âAch, helfen Sie mir los,â bat Maja, âich will mich erkenntlich zeigen, so gut ich kann.â
âDeshalb bin ich gekommenâ, sagte die Spinne und lächelte merkwĂźrdig. Trotz dieses Lächelns sah sie heimtĂźckisch und bĂśse aus. âSie zerstĂśren mir ja mit Ihrem Gezappel das ganze Netz. Wenn Sie einen Augenblick stillhalten, will ich Sie befreien.â
âVielen, vielen Dankâ, rief Maja.
Die Spinne war nun ganz dicht neben ihr. Sie Ăźberzeugte sich genau, wie fest Maja sich schon verwickelt hatte.
âWie ist es mit dem Stachel?â fragte sie.
Nein, wie bĂśse und garstig sah sie aus. Maja schĂźttelte es ordentlich vor Entsetzen, wenn sie daran dachte, daĂ die Spinne sie nun berĂźhren wollte. Aber sie sagte so freundlich, als sie vermochte:
âMachen Sie sich wegen meines Stachels keine Sorge. Ich werde ihn einziehn und dann verletzt sich niemand daran.â
âDas bitte ich mir ausâ, sagte die Spinne. âAlso! AufgepaĂt! Still gehalten! Es ist wirklich schade um mein Netz.â
Die kleine Maja hielt still. Sie fĂźhlte sich plĂśtzlich herumgewirbelt, immer auf demselben Fleck, so daĂ ihr ganz schwindlig zumute wurde. Sie muĂte die Augen schlieĂen, und ihr wurde Ăźbel. â Aber was war das?! Entsetzt riĂ sie die Augen auf. Sie war Ăźber und Ăźber eingewickelt von einem ganz frischen klebrigen Faden, den die Spinne bei sich gehabt haben muĂte.
âO du lieber Gottâ, sagte die kleine Maja leise und mit bebender Stimme. Mehr sagte sie nicht. Nun war es zu Ende. Nun erkannte sie die Hinterlist der Spinne. Nun erst war sie gefangen, nun gab es kein Entrinnen mehr. Sie konnte keinen FlĂźgel, kein Glied ihres KĂśrpers mehr bewegen.
Ihr Zorn und ihre Wut waren verflogen, nur eine groĂe Traurigkeit kam Ăźber ihr Herz. Ich habe nicht gewuĂt, daĂ es soviel Schlechtigkeit und Bosheit in der Welt gibt, dachte sie. Nun kommt meine tiefe Todesnacht, lebâ wohl, helle Sonne, lebt wohl, meine lieben Gefährten, warum habâ ich euch verlassen? Lebt alle wohl. Ich muĂ sterben.

Die Spinne saĂ vorsichtig ein wenig beiseit. Sie fĂźrchtete sich immer noch vor dem Stachel der kleinen Maja.
âNun?â fragte sie spĂśttisch, âwie befinden Sie sich, meine Kleine?â
Maja war zu stolz, dieser Falschen noch zu antworten. Nur nach einer Weile, als sie glaubte, ihre Traurigkeit nicht mehr ertragen zu kĂśnnen, sagte sie:
âTĂśten Sie mich bitte gleich.â
âI wo,â sagte die Spinne und verknotete ein paar zerrissene Fäden, âmeinen Sie, ich wäre so dumm wie Sie? Sterben tun Sie sowieso, wenn man Sie nur lange genug hängen läĂt, und ich kann Ihnen Ihr Blut auch noch aussaugen, wenn Sie nicht mehr stechen kĂśnnen. Es ist nur schade, daĂ Sie nicht mehr sehen kĂśnnen, wie Sie mein schĂśnes Netz zugerichtet haben, dann wĂźrden Sie Ihren Tod wenigstens als gerecht empfinden.â
Sie lieĂ sich blitzschnell bis an die Erde nieder, legte das Ende des neugesponnenen Fadens um einen kleinen Stein und zog es fest an.
Dann kam sie wieder herauf, ergriff das feste Seil, an dem die eingewickelte Maja hing, und schleppte es langsam mit ihrer Gefangenen fort.
âSie kommen in den Schatten, meine Liebe,â sagte sie, âdamit die Sonne Sie nicht austrocknet. Da oben wirken Sie mir auch zu abschreckend auf andere Leutchen, die nicht aufpassen kĂśnnen. Und die GrasmĂźcken kommen auch zuweilen auf den Gedanken, mein Netz zu plĂźndern. Und damit Sie wissen, mit wem Sie zu tun haben: Ich heiĂe Thekla, von der Familie der Kreuzspinnen. Ihren Namen brauchen Sie mir nicht zu nennen, er ist gleichgĂźltig, ein fetter Bissen sind Sie jedenfalls.â
Da hing nun die kleine Maja tief im Schattendunkel des Brombeerbusches dicht Ăźber der Erde, der Grausamkeit der Spinne hilflos Ăźberliefert, die vorhatte, sie langsam verhungern zu lassen. Da sie mit dem KĂśpfchen nach unten hing, fĂźhlte sie bald, daĂ sie diese schreckliche Lage nicht lange aushalten wĂźrde. Sie wimmerte leise vor sich hin, und ihre Hilferufe wurden immer schwächer. Wer auch sollte ihr helfen? Die Ihren daheim wuĂten nichts von dem Leid, das ihr widerfahren war, und konnten nicht zu ihrer Befreiung herbeieilen.
Da hĂśrte sie plĂśtzlich unter sich im Gras jemanden miĂmutig brummen, und sie verstand die Worte:
âIch komme, das genĂźgt fĂźr alle, um Platz zu machen!â
Ihr geängstigtes Herz begann stßrmisch zu klopfen, denn sie erkannte an der Stimme sogleich den Mistkäfer Kurt, den sie damals bei der Grille Iffi belauscht hatte, und dem sie geholfen hatte, sich aus seiner bÜsen Lage wieder aufzurichten.
âKurt,â rief sie, so laut sie konnte, âlieber Kurt!â
âMachen Sie Platzâ, rief der blaue Kurt, der es in der Tat war.
âIch bin Ihnen ja nicht im Weg, Kurt,â rief Maja, âach, ich hänge hier Ăźber Ihnen, die Spinne hat mich gefangen.â
âAber wer sind Sie denn?â fragte Kurt. âIch bin sehr bekannt, Ăźberall, das werden Sie jetzt voraussichtlich zugeben?â
âIch bin die Biene Maja. O bitte, bitte, helfen Sie mir!â
âMaja? Maja? â Ach, ich erinnere mich. Sie lernten mich vor einigen Wochen kennen. Sapperlot, Sie sind allerdings in einer fatalen Lage, das muĂ ich zugeben, da ist freilich meine Hilfe nĂśtig. Da ich augenblicklich Zeit habe, werde ich sie Ihnen nicht verweigern.â
âO lieber Kurt! KĂśnnen Sie diese Fäden zerreiĂen?â
âDiese Fäden? Wollen Sie mich beleidigen?â Kurt schlug mit der Hand auf die Muskeln seines Arms. âSehen Sie her, Kleine, das ist so gut wie reinster Stahl! So was an Kraft finden Sie so leicht nicht wieder. Ich nehme andere Dinge auf mich, als ein paar Spinnweben zu zerschmettern. Sie werden Ihr Wunder erleben.â
Er kroch an dem Blatt empor, ergriff den Faden, an dem die kleine Maja hing, hielt sich daran fest und lieĂ dann das Blatt los. Der Faden riĂ und beide fielen zu Boden.
âDas wäre der Anfangâ, sagte Kurt. âAber Sie zittern ja, kleine Maja, ach Arme, wie blaĂ Sie sind. Wer wird sich denn so vor dem Tode fĂźrchten? Dem Tod muĂ man ruhig ins Auge sehn, wie ich es zu tun pflege. So, nun werde ich Sie auspacken.â
Es war der kleinen Biene unmÜglich, ein Wort zu sprechen. Helle Freudentränen liefen ihr ßber die Wangen. Sie sollte frei werden, sie sollte wieder im Sonnenschein fliegen, wohin sie wollte, sie sollte leben.
Da sah sie Ăźber sich die Spinne die Brombeerranke herunterkommen.
âKurt,â schrie sie, âdie Spinne kommt!â
Kurt lieĂ sich nicht stĂśren, er lachte nur vor sich hin. Er war allerdings ein auĂerordentlich starker Käfer.
âDie Ăźberlegt es sich nochâ, sagte er ruhig.
Aber da erklang schon die bÜse krächzende Stimme ßber ihnen:
âRäuber! Zu Hilfe! Man beraubt mich. Was haben Sie dicker LĂźmmel mit meiner Beute zu schaffen?!â
âRegen Sie sich nicht auf, Madameâ, sagte Kurt. âIch werde mich wohl noch mit meiner Freundin unterhalten dĂźrfen. Wenn Sie noch ein Wort sagen, was mir nicht gefällt, so zerreiĂe ich Ihnen Ihr ganzes Netz. Nun? Warum sind Sie denn plĂśtzlich so schweigsam?â
âIch bin eine geschlagene Frauâ, antwortete die Spinne.
âDas tut nichts zur Sacheâ, meinte Kurt. âJetzt machen Sie, daĂ Sie weiterkommen!â
Die Spinne warf einen haĂerfĂźllten und giftigen Blick auf Kurt, aber dann sah sie zu ihrem Netz empor und Ăźberlegte sich die Sache. Langsam kehrte sie um und schalt leise und grimmig vor sich hin. Da nĂźtzte allerdings kein BiĂ und kein Stich, gegen einen solchen Panzer, wie Kurt ihn trug, war nicht anzukommen.
Sie klagte auf das heftigste ßber die Ungerechtigkeit der Umwelt und versteckte sich fßr alle Fälle vorläufig in einem welken Blatt, von dem aus sie ihr Netz ßbersehen konnte.
Inzwischen war Kurt unten mit der Befreiung der kleinen Maja zu Ende. Er hatte die Gewebe zerrissen, ihre Flßgel und Beinchen befreit, und den Rest konnte sie nun selbst ßbernehmen. Sie putzte sich froh und glßcklich, wenn auch nur langsam, weil sie sehr geschwächt war von ihrer Angst und immer noch zitterte.
âSie mĂźssen es vergessen,â sagte Kurt, âdann hĂśrt das Zittern auf. Versuchen Sie mal, ob Sie fliegen kĂśnnen.â
Maja erhob sich mit leisem Summen, es ging vortrefflich, und sie erkannte zu ihrer Freude, daĂ keins ihrer Glieder beschädigt war. Sie flog langsam bis zu den JasminbĂźschen hinauf, trank gierig von dem duftenden Honigsaft, den sie in groĂer FĂźlle fand, und kehrte dann zu Kurt zurĂźck, der das BrombeergebĂźsch verlassen hatte und im Gras saĂ.
âIch danke Ihnen von ganzem Herzenâ, sagte Maja, tief ergriffen vom GlĂźck ihrer neuen Freiheit.
âEs ist schon sehr dankenswert, was ich getan habe,â meinte Kurt, âaber ich bin immer so. Nun fliegen Sie nur weiter. Ich wĂźrde Ihnen raten, sich heute abend frĂźh aufs Ohr zu legen. Haben Sie weit bis nach Haus?â
âNein,â antwortete Maja, ânur ein paar Minuten, ich wohne am Buchenwald. Leben Sie wohl, Kurt, ich werde Sie nie vergessen. Nie will ich Sie vergessen in meinem ganzen Leben.â
Kapitel 8: Die Wanze und der Schmetterling
Die Gefangenschaft bei der Spinne hatte der kleinen Maja doch zu denken gegeben. Sie beschloĂ vorsichtiger zu werden, und sich kĂźnftig nicht mehr allzu rasch einzulassen. Wenn Kassandra sie auch Ăźber die grĂśĂten Gefahren, die den Bienen drohen, unterrichtet hatte, so war doch die Welt zu groĂ, und es gab zu vielerlei MĂśglichkeiten, als daĂ man nicht allen Grund gehabt hätte, nachdenklich zu werden. Besonders des Abends, wenn die Dämmerung Ăźber das Land niedersank, kamen der kleinen Biene mancherlei Erwägungen in ihrer Einsamkeit; schien aber am andern Morgen die Sonne, so vergaĂ sie fĂźr gewĂśhnlich die Hälfte ihrer Besorgnisse und lieĂ sich durch ihr Verlangen nach Erlebnissen aufs neue in den bunten Lebensstrudel hinaustreiben.
Eines Tages begegnete ihr in einem HimbeergebĂźsch ein merkwĂźrdiges Tier. Es war eckig und seltsam platt, hatte aber eine hĂźbsche Zeichnung auf seinem RĂźckenschild, von dem man nicht recht sagen konnte, ob es FlĂźgel waren oder nicht. Das seltsame kleine Ungeheuer saĂ ganz still mit halbgeschlossenen Augen auf einem Blatt im Schatten im Duft der Himbeeren und schien nachzudenken.
Maja wollte wissen, was das fĂźr ein Tier war. Sie flog ganz in die Nähe, setzte sich auf ein benachbartes Blatt und grĂźĂte. Die Fremde antwortete nicht.
89âSie!â sagte Maja und stieĂ das Blatt der Fremden an, so daĂ es etwas wackelte. Da Ăśffnete das platte GeschĂśpf langsam ein Auge, schaute Maja damit an und sagte:
âEine Biene. Nun ja, es gibt viele Bienen.â Und dann machte es sein Auge wieder zu.

Wie eigenartig, dachte die kleine Maja, aber sie beschloĂ doch, hinter das Geheimnis der Fremden zu kommen. Nun war sie ihr erst recht interessant geworden, wie Leute es oft werden, die nichts von uns wissen wollen. Maja versuchte es mit etwas Honig. âIch habe reichlich,â sagte sie, âwenn ich Ihnen vielleicht etwas anbieten darf?â
Die Fremde machte ihr Auge wieder auf und schaute Maja eine Weile sinnend an. Was wird sie diesmal sagen, dachte die Biene. Aber es kam keine Antwort, nur das Auge schloĂ sich wieder, und die Fremde blieb still sitzen, ganz fest an das Blatt geschmiegt, so daĂ man nichts von ihren Beinen sah und fast glauben konnte, es hätte sie jemand mit dem Daumen so fest an das Blatt gepreĂt, daĂ sie darĂźber platt geworden war.
Maja merkte nun wohl, daà die Fremde nichts von ihr wissen wollte, aber wie es einem so geht, man mÜchte nicht gern so unhÜflich verabschiedet werden, am wenigsten ohne zu seinem Ziel gelangt zu sein. Das wäre ja gradezu eine Blamage gewesen, und die erlebt niemand gern.
âWer immer Sie sein mĂśgen,â rief Maja, âmerken Sie sich, daĂ man in der Insektenwelt einen GruĂ zu erwidern 90pflegt, ganz besonders aber dann, wenn er von einer Biene geboten wird.â
Es blieb ganz still, und nichts rĂźhrte sich. Die Fremde machte ihr Auge nicht mehr auf.
Dies Tier ist krank, dachte sich Maja. Wie unangenehm, an einem so schĂśnen Tage krank zu sein, darum sitzt es auch im Schatten. Sie flog auf das Blatt der Fremden und setzte sich neben sie.
âMeine Liebe,â fragte sie freundlich, âwas fehlt Ihnen?â
Da begann das fremde Tier sich fortzubewegen, auf ganz absonderliche Art, als ob es von einer unsichtbaren Hand geschoben wßrde. Es hat keine Beine, dachte Maja, deshalb ist es so verstimmt. Am Stiel des Blattes machte es halt, und nun sah Maja zu ihrer Verwunderung, daà es einen kleinen braunen Tropfen zurßckgelassen hatte. Wie apart, dachte sie, aber da verbreitete sich plÜtzlich ein furchtbarer Geruch in der Luft, der von diesem braunen Tropfen ausging. Die Biene wurde beinahe betäubt, so eindringlich und widerwärtig war dieser Geruch, und so rasch sie konnte, flog sie empor und setzte sich auf eine Himbeere, hielt sich die Nase zu und schßttelte sich vor Aufregung und Entsetzen.
âJa, warum lassen Sie sich mit einer Wanze ein,â sagte jemand Ăźber ihr und lachte.
âLachen Sie nicht!â rief Maja.

Sie sah sich um. Ăber ihr auf einem feinen schaukelnden Trieb des Himbeerbusches saĂ ein weiĂer Schmetterling. 91Er klappte seine groĂen FlĂźgel langsam auf und wieder zu, lautlos und von der Sonne beglĂźckt. Seine FlĂźgel hatten schwarze Ecken, auch waren mitten darauf runde schwarze Punkte, auf jedem FlĂźgel einer, so daĂ es zusammen vier waren. Maja hatte schon viele Schmetterlinge gesehen, aber sie hatte noch keinen kennengelernt. Vor EntzĂźcken Ăźber seine SchĂśnheit vergaĂ sie ihren VerdruĂ.
âAch,â sagte sie, âSie haben vielleicht ganz recht, wenn Sie lachen. War das eine Wanze?â
Der Schmetterling nickte. âAber sicher war es eine,â sagte er, immer noch lächelnd, âmit denen läĂt man sich nicht ein. Sie sind wohl noch sehr jung?â
âNun,â meinte Maja, âdas will ich nicht grade behaupten. Ich habe groĂe Erfahrungen gemacht. Aber so ein Tier ist mir noch nicht vorgekommen. Wer tut denn so was?â
Der Schmetterling muĂte wieder lachen.
âDie Wanzenâ, erzählte er, âsind gern allein, und weil sie im allgemeinen nicht sehr beliebt sind, versuchen sie sich auf diese Art bemerkbar zu machen. Man wĂźrde sie sonst wahrscheinlich bald vergessen, aber auf diese Art denkt man an sie. Das wollen sie jedenfalls.â
âWie schĂśn Ihre FlĂźgel sind,â sagte Maja, âso leicht und weiĂ. Darf ich mich Ihnen vorstellen? Ich heiĂe Maja, vom Volk der Bienen.â
Der Schmetterling legte seine FlĂźgel zusammen, so daĂ es aussah, als habe er nur einen, sie standen grade in die 92Luft empor. Er verbeugte sich ein wenig und sagte nur ganz kurz:
âFritz.â
So hieĂ er. Maja konnte sich nicht satt sehen an seinen FlĂźgeln. âFliegen Sie malâ, sagte sie.
âSoll ich fortfliegen?â
âO nein,â antwortete Maja, âich mĂśchte nur sehen, wie Ihre groĂen weiĂen FlĂźgel sich in der blauen Luft bewegen, aber ich kann es ja auch später noch sehen. Wo wohnen Sie?â
âIch habe keine bestimmte Wohnung,â sagte Fritz, âman hat zu viel Umstände damit. Seit ich ein Schmetterling bin, ist das Leben erst wirklich schĂśn. FrĂźher, als ich eine Raupe war, kam man den ganzen Tag nicht von den Kohlblättern herunter, fraĂ und zankte sich.â
âWie meinen Sie das?â fragte Maja erstaunt.
âFrĂźher war ich eine Raupeâ, sagte Fritz.
âAusgeschlossenâ, rief Maja.
âNa, hĂśren Sie mal,â meinte Fritz und richtete seine beiden FĂźhler grade auf Maja, âdas weiĂ doch jeder, das weiĂ sogar der Mensch.â
Die kleine Maja wurde ganz befangen. Ob so etwas in der Welt mĂśglich war?
âDa mĂźssen Sie sich erst deutlicher erklären,â sagte sie zweifelnd, âso ohne weiteres werde ich das nicht glauben. Das kĂśnnen Sie nicht verlangen.â
Der Schmetterling setzte sich neben die Biene auf den kleinen schwankenden Zweig des Busches, und sie schaukelten 93nebeneinander im Morgenwind. Er erzählte ihr, wie er eines Tages als Raupe begonnen habe sich einzuspinnen, bis nichts mehr kenntlich war als eine unscheinbare braune HĂźlle, die Puppe genannt wĂźrde. âUnd nach wenig Wochenâ, fuhr er fort, âerwachte ich aus meinem dunklen Schlaf und zerbrach meine HĂźlle. Ich kann Ihnen niemals schildern, Maja, wie einem nach so einer Zeit zumute ist, wenn man plĂśtzlich die Sonne wieder sieht. Mir war zumute, als verginge ich in einem warmen goldenen Meer, und ich habe mein Leben so geliebt, daĂ ich Herzklopfen bekam.â
âDas kann ich verstehn,â sagte Maja, âes ist mir ebenso gegangen, als ich zum erstenmal aus unserer dĂźsteren Stadt in den hellen BlĂźtenduft hinausflog.â Und die kleine Biene wurde einen Augenblick ganz still, weil sie an ihren ersten Ausflug denken muĂte. Aber dann wollte sie wissen, wie die groĂen FlĂźgel des Schmetterlings in der kleinen HĂźlle hätten wachsen kĂśnnen.
Fritz erklärte es ihr.
âSie sind leicht und fein zusammengelegt, wie die BlĂźtenblätter einer Blume in einer Knospe. Wenn es hell und warm wird, muĂ die Blume sich Ăśffnen, sie kann nicht anders, und ihre Blätter entfalten sich. So ist es auch mir mit meinen FlĂźgeln gegangen. Niemand kann widerstehn, wenn die Sonne scheint.â
âDoch,â sagte Maja, âdas ist wahr.â Nachdenklich betrachtete sie den weiĂen Schmetterling, wie er im goldenen Morgenlicht saĂ, gegen den blauen Himmel.
94âMan sagt uns oft nach, wir seien leichtsinnig,â sagte Fritz, âaber im Grunde sind wir nur glĂźcklich. Sie glauben nicht, wie ernst ich oft Ăźber das Leben nachdenke.â
âWas haben Sie alles ausgedacht?â fragte Maja.
âĂber die Zukunft denke ich nach,â sagte der Schmetterling, âsie ist sehr interessant. Aber nun will ich fliegen, die Wiesen am Berghang stehn voll Glockenblumen und Schafgarbe, alles blĂźht dort; ich mĂśchte dabei sein, wissen Sie.â
Maja verstand das gut, und sie verabschiedeten sich und flogen nach verschiedenen Seiten davon, der weiĂe Schmetterling lautlos und schaukelnd, als trĂźge ihn der sanfte Wind, und die kleine Maja mit ihrem sorgenvollen Summen, das wir an schĂśnen Tagen Ăźber den Blumen hĂśren und nie vergessen kĂśnnen, wenn wir an den Sommer denken.

Kapitel 9: Hannibals Kampf mit dem Menschen
In der Nähe der BaumhÜhle, in der die kleine Maja ihre Sommerwohnung aufgeschlagen, hatte sich in der Rinde der Kiefer der Borkkäfer Fridolin mit seiner Familie angesiedelt. Er war ein arbeitsamer und ernster Mann, der viel Sorgfalt auf die Fortpflanzung seiner Familie legte und es auf diesem Gebiet zu hßbschen Erfolgen gebracht hatte. Er sah mit Stolz auf etwa fßnfzig regsame SÜhne zurßck, die alle zu den besten Hoffnungen berechtigten. Sie gruben sich unter der Baumrinde jeder seinen kleinen gewundenen Kanal und fßhlten sich darin wohl.
âMeine Frau hat es so eingerichtet, daĂ keiner dem anderen in die Quere kommtâ, sagte Fridolin zu Maja. âMeine SĂśhne kennen sich noch nicht, ihre Lebenswege gehn alle nach verschiedenen Richtungen.â
Maja kannte Fridolin schon lange. Sie wuĂte wohl, daĂ die Menschen ihn und sein Geschlecht nicht eben liebten, aber sie selbst fand sein Wesen und seine Gesinnungsart sehr liebenswĂźrdig und hatte bisher nicht Grund gehabt, ihn zu meiden. Morgens, wenn der Wald noch schlief und die Sonne noch nicht aufgegangen war, hĂśrte sie oft sein feines Pochen und Bohren, ganz leise klang es wie ein feines Rieseln, oder als atmete der Baum im Schlaf. Später fand sie dann den dĂźnnen braunen Staub, den er aus seinem Gang geschafft hatte.
Eines Morgens kam er frĂźh zu ihr, wie er es oft tat, und erkundigte sich danach, ob Maja gut geschlafen habe.
âFliegen Sie heute nicht?â fragte er.
âNein,â sagte Maja, âes ist zu windig.â
Das war es in der Tat. Der Wald brauste und schĂźttelte seine Ăste wild und aufgeregt, und die Blätter an seinen Zweigen sahen aus, als ob sie fortflattern wollten. Jedesmal, wenn wieder ein WindstoĂ kam, wurde es etwas heller umher, und man hatte den Eindruck, als wären die Bäume um vieles kahler. In der Kiefer, auf der Fridolin und Maja lebten, pfiffen die Stimmen des Windes mit ganz hellem Sausen, es klang, als ob der Baum erregt und zornig sei.
Fridolin seufzte. âIch habe die ganze Nacht gearbeitet,â erzählte er, âwas bleibt einem Ăźbrig? Man muĂ sehn, daĂ man etwas erreicht. Ich bin auch mit dieser Kiefer nicht recht zufrieden, ich hätte mich an eine Tanne heranmachen sollen.â Er trocknete sich die Stirn und lächelte nachsichtig.
âWie geht es Ihren Kindern?â fragte Maja freundlich.
Fridolin dankte. âIch Ăźberseh die Sache nicht mehr recht,â sagte er zĂśgernd, âaber ich gebe mich der Hoffnung hin, daĂ alle gedeihn.â
Wie er so dasaĂ, ein kleiner brauner Mann, mit seinem Brustschild, das aussah wie ein viel zu groĂer Kopf, und seinen kurzen, etwas gestutzten FlĂźgeldecken, fand Maja, daĂ er beinahe etwas komisch wirkte, aber sie wuĂte wohl, daĂ er ein gefährlicher Käfer war und den mächtigen Waldbäumen groĂen Schaden tun konnte. Fiel sein Volk in groĂen Scharen Ăźber einen Baum her, so war es bald um seine grĂźnen Nadeln geschehen, er muĂte welken und sterben und hatte keine Mittel, sich gegen die kleinen Räuber zu wehren, die ihm seine Rinde zerstĂśrten, durch die der Saft in die Wipfel steigt. Man erzählte, daĂ seinem Volke schon ganze Wälder zum Opfer gefallen seien. Maja betrachtete ihn nachdenklich, und ihr ward ganz feierlich zumute, wenn sie bedachte, wie bedeutungsvoll und mächtig dies kleine Tier werden konnte.
Da seufzte Fridolin und sagte bekĂźmmert. âAch, das Leben wäre schĂśn, wenn es keine Spechte gäbe.â
âJa, ja,â nickte Maja, âder Specht, das ist wahr, er friĂt auf, was er findet.â
âWenn es nur das wäre,â meinte Fridolin, âwenn leichtsinnige Leute, die sich auĂen auf der Rinde umhertreiben, ihm als Beute zufielen, wĂźrde ich sagen: Gut, schlieĂlich will auch ein Specht leben. Aber ich finde es unverantwortlich, daĂ dieser Vogel einen bis unter die Rinde verfolgt, bis in die Schlupfwinkel und bis tief in unsere Gänge hinein.â
âNein,â sagte Maja, âdas kann er nicht. Dazu ist er zu groĂ, soviel ich weiĂ.â
Fridolin sah Maja mit hochgezogenen Brauen an und nickte ein paarmal gewichtig mit dem Kopf. Es machte ihm offenbar SpaĂ, daĂ er etwas besser wuĂte.
âZu groĂ?â fragte er, âwer spricht von seiner GrĂśĂe? Nein, meine Liebe, seine GrĂśĂe ist es nicht, die uns besorgt macht, sondern seine Zunge.â
Maja machte groĂe Augen, und nun erfuhr sie von Fridolin, daĂ der Specht eine lange dĂźnne Zunge hat, rund wie ein Wurm, und spitz und klebrig. âZehnmal so lang, wie ich es bin, kann er sie mindestens herausstreckenâ, rief der Borkkäfer und schwenkte den Arm. âMan denkt, jetzt ist sie zu Ende, da wird sie noch länger. Er schiebt sie, gewissenlos wie er ist, tief in alle Spalten und Risse der Rinde und denkt: vielleicht sitzt jemand darin. Sogar in unsere Kanäle dringt diese Zunge ein, Gott weiĂ es, und was mit ihr in BerĂźhrung kommt, klebt daran fest und wird herausgezogen.â
âIch bin nicht feige,â sagte Maja, âbestimmt nicht, aber diese Tatsache macht mich doch recht besorgt.â
âAch, Sie mit Ihrem Stachel haben es gutâ, meinte Fridolin nicht ohne Neid. âJeder besinnt sich, eh er sich in die Zunge stechen läĂt, fragen Sie, wen Sie wollen. Aber was soll unsereiner sagen? Meine Cousine hat es durchgemacht. Wir hatten vorher einen kleinen Streit wegen meiner Frau gehabt, ich weiĂ noch alles genau, sie war bei uns auf Besuch und kannte die Wohnungsverhältnisse noch nicht so recht. Mit einmal hĂśren wir den Specht scharren und klopfen, es war einer von den kleineren Sorten. Er muĂ grade bei unserem Bau angefangen haben, sonst hĂśrt man ihn gewĂśhnlich schon vorher und bringt sich in Sicherheit. PlĂśtzlich hĂśre ich meine bedauernswerte Cousine aus dem Dunkel schrein: âFridolin, ich klebe!â Ich vernahm noch ein verzweifeltes Zappeln, dann wurde es still, und der Specht hämmerte schon nebenan. Um meine Cousine war es geschehn, sie war bereits verschlungen. Sie hieĂ Agathe.â
âFĂźhlen Sie mal, wie mein Herz klopft,â sagte Maja leise, âSie hätten es nicht so rasch erzählen sollen. Was doch alles passiert in der Welt!â Und die kleine Biene dachte an ihre eigenen Erlebnisse, die zurĂźcklagen, und an alles, was ihr vielleicht noch begegnen kĂśnnte.
Da fing plĂśtzlich Fridolin an zu lachen.
Maja sah sich Ăźberrascht nach ihm um.
âPassen Sie auf,â rief er, âjetzt kommt der Richtige den Baum herauf, das ist einer, sage ich Ihnen. Nun, Sie werden ja sehn.â
Maja folgte seinen Blicken und sah ein merkwĂźrdiges Tier langsam den Baum emporklimmen. Sie hatte niemals fĂźr mĂśglich gehalten, daĂ es solche Tiere gab. Aber grĂśĂer als ihr Erstaunen war anfangs ihre Angst, und sie fragte Fridolin hastig, ob man sich verbergen mĂźĂte.
âKein Gedanke,â sagte der Borkkäfer, âbleiben Sie getrost sitzen und begrĂźĂen Sie den Herrn hĂśflich. Er ist sehr gelehrt und hat wirklich ernste Kenntnisse, dabei ist er gutherzig und bescheiden und wie alle Leute, die so beschaffen sind, etwas komisch. Schauen Sie, was er tut!â
âWahrscheinlich denkt er nachâ, meinte Maja, die nicht aus dem Erstaunen herauskam.
âEr kämpft gegen den Wind,â sagte Fridolin und lachte, âwenn ihm nur seine Beine nicht durcheinandergeraten.â
âSind denn diese langen Fäden wirklich seine Beineâ, fragte Maja mit groĂen Augen. âSo was habâ ich nie gesehn.â
Inzwischen war der Fremde näher gekommen, und Maja sah ihn genauer. Eigentlich sah es aus, als käme er durch die Luft, so hoch hing sein kleiner, rundlicher KÜrper in den ungeheuer langen Beinen, die wie ein fadendßnnes, bewegliches Gestell, weit von ihm ab, nach allen Seiten hin Halt suchten. Er schritt vorsichtig und tastend voran, dabei schwankte das braune Kßgelchen seines KÜrpers bald hÜher hinauf, bald wieder hinab. Die Beine waren so lang und dßnn, daà ein einzelnes sicher den KÜrper nicht hätte tragen kÜnnen, er brauchte sie unbedingt alle zusammen, und da sie in der Mitte geknickt waren, ßberragten sie ihn hoch bis in die Luft hinein.
Maja schlug die Hände zusammen.
âNein so was!â rief sie. âAber hätten Sie fĂźr mĂśglich gehalten, daĂ so zarte Beine, dĂźnn wie Haare, so beweglich und nĂźtzlich sein kĂśnnen, daĂ man sie wirklich gebrauchen kann, und daĂ sie wissen, was sie tun sollen? Ich finde, das ist ein Wunder, Fridolin.â
âAch was,â sagte der Borkkäfer, âwenn etwas komisch ist, so lacht man, damit basta.â
âIch habe aber keine Lust dazu,â antwortete Maja, âoft lacht man Ăźber etwas, und später stellt sich heraus, daĂ man es nur nicht verstanden hat.â
Da war der Fremde herangekommen, er schaute von der HĂśhe seiner Beine, aus all den spitzen Dreiecken heraus, auf Maja nieder und sagte: âGuten Morgen! Ein rechter Brausewind, meine zwei Herrschaften, ein ZuglĂźftlein recht derber Art, nicht wahr, oder â wie? Meinten Sie vielleicht etwas anderes?â Und er hielt sich fest, so gut er konnte.
Fridolin verbarg sein Lachen, aber die kleine Maja antwortete hĂśflich, das sei auch ihre Meinung, deshalb sei sie heute nicht ausgeflogen. Dann stellte sie sich vor. Der Fremde schielte durch seine Knie hindurch auf sie nieder.
âMaja, vom Volk der Bienen,â wiederholte er, âdas freut mich aufrichtig, ich habe viel von den Bienen gehĂśrt. Ich muĂ Ihnen gestehn, daĂ ich immer etwas in Verlegenheit gerate, wenn ich mich jemandem vorstellen soll, denn unsere sehr verbreitete Familie ist unter den verschiedensten Namen bekannt. Man nennt uns Weberknechte, Schneider oder Schuster. Jedenfalls gehĂśre ich zur Gattung der Spinnen, und mein Rufname ist Hannibal.â
Die Namen der Spinnen haben einen bĂśsen Klang bei allen kleineren Insekten, Maja konnte ihren Schreck nicht ganz verbergen, zumal sie ihrer Gefangenschaft bei der Spinne Thekla gedachte; aber Hannibal schien nichts davon zu merken. Sie dachte, wenn es sein muĂ, fliegâ ich, da kann er mir nachschauen, FlĂźgel hat er nicht, und sein Netz ist anderswo.
âIch bin in Gedanken, sehr in Gedanken,â sagte Hannibal, âwenn Sie erlauben, trete ich etwas näher, dort hinter dem groĂen Ast bin ich geschĂźtzt.â
âBitte schĂśnâ, sagte Maja und machte Platz. Fridolin verabschiedete sich, aber die kleine Biene wollte nun doch gerne wissen, was es mit Hannibal fĂźr eine Bewandtnis hätte. Was es doch alles fĂźr Tiere in der Welt gibt, dachte sie, immer wieder entdeckt man irgendein neues.
Der Wind hatte etwas nachgelassen, und die Sonne schien durch die Baumzweige. Irgendwo unten im Buschwerk stimmte ein Rotkehlchen sein Lied an und erfĂźllte den Wald mit GlĂźck. Maja konnte es auf einem Zweig sitzen sehen, sie sah, wie die Kehle sich beim Singen bewegte, und der Vogel hatte sein KĂśpfchen emporgerichtet gegen das Licht.
âWenn ich doch singen kĂśnnte,â sagte die kleine Maja, âso wie dort das Rotkehlchen, ich setzte mich auf eine Blume und täte es den ganzen Tag.â
âDabei wĂźrde etwas Nettes herauskommen,â meinte Hannibal, âSie mit Ihrem Gesumm.â
âDer Vogel sieht so glĂźcklich ausâ, sagte die Biene.
âSie sind eine phantastische Personâ, meinte der Weberknecht. âWenn alle Tiere sich etwas anderes wĂźnschten, als sie kĂśnnen, so wĂźrde bald die Welt auf dem Kopf stehen. Denken Sie sich, ein Rotkehlchen glaubte, es mĂźĂte partout einen Stachel haben, oder eine Ziege wollte herumfliegen und Honig sammeln. Dann käme am Ende noch der Frosch und wĂźnschte sich solche Beine, wie ich sie habe.â
Maja lachte.
âNein, das meine ich nicht,â sagte sie, âaber ich denke es mir wunderschĂśn, alle Wesen so glĂźcklich machen zu kĂśnnen, wie dieser Vogel es durch seinen Gesang kann. Aber was ist denn das,â rief sie plĂśtzlich in groĂer Verwunderung, âHerr, Sie haben ja ein Bein zuviel. Sie haben sieben Beine.â
Hannibal runzelte die Stirn und schaute unwillig vor sich hin.
âJetzt haben Sie es also glĂźcklich doch gemerktâ, sagte er verstimmt. âAllerdings habe ich kein Bein zuviel, sondern eins zuwenig.â
âJa, haben Sie denn sonst acht Beine?â fragte Maja erstaunt.
âWenn Sie erlauben,â meinte Hannibal, âwir Spinnen haben acht Beine. Wir brauchen sie, und auch sonst â es ist vornehmer. Mir ist eins abhanden gekommen, schade um das Bein, aber schlieĂlich hilft man sich, so gut man kann.â
âEs muĂ sehr unangenehm sein, ein Bein zu verlierenâ, sagte Maja teilnehmend.
Hannibal stßtzte das Kinn in die Hand und stellte seine Beine so, daà es schwer war, sie zu ßberzählen.
âIch werde Ihnen mitteilen,â sagte er, âwie es gekommen ist. NatĂźrlich ist der Mensch dabei im Spiel, wie gewĂśhnlich, wenn etwas passiert. Unsereiner sieht sich vor, aber der Mensch ist unvorsichtig und greift mitunter zu, als ob man ein StĂźck Holz wäre. Soll ich Ihnen erzählen, wie sich dieser beklagenswerte Vorfall zugetragen hat?â
âAch bitte,â sagte Maja und setzte sich zurecht, âdas wäre mir sehr interessant. Sie haben sicher ungemein viel erfahren.â

âDas ist richtig,â sagte Hannibal, âjetzt passen Sie auf. Unser Geschlecht gehĂśrt zu den NachtvĂślkern, darĂźber werden Sie unterrichtet sein. Ich lebte damals in einem grĂźnen Gartenhaus, das auĂen mit Efeu bewachsen war und in dem sich manche zerbrochene Fensterscheibe befand, so daĂ ich bequem ein und aus konnte. Wenn es dunkel wurde, kam der Mensch durch den Garten, trug seine kĂźnstliche Sonne, die er Lampe nennt, in der einen Hand, in der anderen eine Flasche und unter dem Arm Papier, auĂerdem hatte er noch eine kleine Flasche in der Tasche. Er stellte alles auf den Tisch und fing an nachzudenken, weil er seine Ansichten auf das Papier schreiben wollte. Sie werden sicher schon Papier gefunden haben, im Wald oder im Garten. Das Schwarze darauf hat der Mensch sich ausgedacht.â
âFabelhaftâ, sagte Maja ganz glĂźcklich, daĂ sie so viel erfahren sollte.
âZu diesem Zweckâ, erklärte Hannibal weiter, âbraucht der Mensch seine beiden Flaschen. In die kleine steckt er einen Holzstab, aus der groĂen trinkt er. Je mehr er trinkt, um so besser geht es voran. Er schreibt natĂźrlich Ăźber uns, alles was er weiĂ, und ist sehr eifrig, aber viel kommt nicht dabei heraus, denn der Mensch hat bisher Ăźber uns Insekten nur recht wenig in Erfahrung gebracht. Ăber unser Seelenleben weiĂ er fast nichts, und auf unser Herz und seine Ăngste nimmt er nicht die kleinste RĂźcksicht. Sie werden hĂśren.â
âDenken Sie nicht gut vom Menschen?â fragte Maja.
âDoch, doch,â antwortete der Weberknecht und schaute schräg vor sich nieder, âaber mit sieben Beinen wird man bitter.â
âAch soâ, sagte Maja.
âEines Abendsâ, fuhr Hannibal fort, âwar ich wie gewĂśhnlich in den Fensterwinkeln auf der Jagd, und der Mensch saĂ vor seinen beiden Flaschen und versuchte etwas zustande zu bringen. Ich ärgerte mich schon darĂźber, daĂ eine groĂe Anzahl der kleinen Fliegen und MĂźcken, von deren Fang ich zu meinem Lebensunterhalt abhängig bin, sich auf die kĂźnstliche Sonne des Menschen gesetzt hatte und hineinglotzte, ungebildet, wie solche Tiere nun einmal sind.â
âNa,â meinte Maja, âansehen wĂźrde ich mir so was schlieĂlich auch mal.â
âAnsehen, meinetwegen. Aber ansehen ist etwas ganz anderes wie glotzen. Schauen Sie sich doch einmal die Torheiten an, die dies Gesindel bei einer Lampe treibt. DaĂ sie zwanzigmal mit dem Kopf dagegenrennen, ist noch eine Kleinigkeit, manche tun es so lange, bis sie sich ihre FlĂźgel verbrannt haben. Dabei glotzen sie ununterbrochen das Licht an.â
âDie armen Tiere,â meinte Maja, âoffenbar kĂśnnen sie sich nicht mehr zurechtfinden.â
âDann bleiben sie besser in den Fensternischen oder unter den Blättern sitzen,â sagte Hannibal, âdort sind sie vor der Lampe sicher und dort kann ich sie fangen. In jener verhängnisvollen Nacht nun sah ich von der Fensternische aus vereinzelte MĂźcken neben der Lampe in den letzten ZĂźgen liegen. Ich beobachtete, daĂ dem Menschen scheinbar nichts daran gelegen war, und beschloĂ, sie mir zu holen. Ist etwas in der Welt begreiflicher?â
âNeinâ, sagte Maja.
âUnd doch, es wurde mein UnglĂźck. Leise und vorsichtig kroch ich am Tischbein empor, bis ich Ăźber den Rand schauen konnte. Der Mensch erschien mir fĂźrchterlich groĂ, und ich betrachtete, was er tat. Langsam setzte ich ein Bein vor das andere und näherte mich der Lampe. Solange ich Deckung hinter der Flasche hatte, ging alles gut, aber kaum trat ich hinter dem Glas hervor, als der Mensch auch schon aufblickte und nach mir griff. Er nahm eins meiner Beine zwischen seine Finger, hob mich daran empor bis dicht vor seine groĂen Augen und sagte: âEi, sieh da!â Und dabei grinste dieser Grobian Ăźber das ganze Gesicht, als ob es sich um ein VergnĂźgen handelte.â
Hannibal seufzte und die kleine Maja war ganz still. Endlich fragte sie mit heiĂem Kopf.
âHat der Mensch so groĂe Augen?â
âDenken Sie jetzt gefälligst an mich und an meine Lageâ, rief Hannibal erregt. âVersuchen Sie, sich meinen GemĂźtszustand vorzustellen. Wer hängt gerne an einem Bein vor Augen, die etwa zwanzigmal so groĂ sind, wie sein eigener KĂśrper? Jeder der Zähne, welcher aus dem Mund des Menschen weiĂ hervorblitzte, war doppelt so groĂ wie ich. Nun, was denken Sie?â
âSchrecklich,â sagte Maja, âalso entsetzlich!â
âDa riĂ gottlob mein Bein. Es ist nicht abzusehen, was alles geschehen wäre, wenn es gehalten hätte. Ich fiel und lief, so rasch mich meine Ăźbrigen Beine trugen, und versteckte mich hinter der Flasche, in deren Schutz ich die furchtbarsten Drohungen gegen den Menschen ausstieĂ. Deshalb verfolgte er mich weiter nicht. Ich sah, wie er mein Bein auf das weiĂe Papier legte und zusah, wie es fortlaufen wollte, was es aber ohne mich nicht kann.â
âBewegte es sich noch?â fragte Maja erschrocken.
âJa,â erklärte ihr Hannibal, âdas tun unsere Beine immer, nachdem sie ausgerissen worden sind. Mein Bein lief, aber weil ich nicht dabei war, wuĂte es nicht wohin. So zappelte es nur planlos auf demselben Fleck herum, und der Mensch sah zu, faĂte seine Nase an und lächelte dabei, herzlos wie er ist, Ăźber das PflichtbewuĂtsein meines Beins.â
âDas ist unmĂśglich,â sagte die kleine Biene ganz eingeschĂźchtert, âein abbes Bein kann nicht krabbeln.â
âWas ist ein abbes Bein?â fragte Hannibal.
Maja sah ihn an. âDas ist ein Bein, das ab ist,â erklärte sie, âbei uns zu Haus sagte man so.â
âIhre AusdrĂźcke aus der Kinderstube gewĂśhnen Sie sich im groĂen Leben und vor gebildeten Leuten besser abâ, forderte Hannibal mit Strenge. âMan sagt ein ausgerissenes Bein. Jedenfalls ist es wahr, daĂ unsere Beine noch lange zappeln, nachdem sie ausgerissen sind.â
âNein,â sagte Maja, âdas glaubâ ich nicht ohne Beweis.â
âMeinen Sie, ich risse mir Ihretwegen ein Bein aus?â fragte Hannibal bĂśse. âIch merke schon, daĂ man mit Ihnen nicht verkehren kann. So etwas hat mir noch niemand zugemutet, hĂśren Sie.â
Maja wurde ganz befangen, sie begriff nicht, weshalb der Weberknecht so verdrieĂlich wurde und wo ihre Schuld lag. Es ist gar nicht so leicht, mit fremden Leuten zu verkehren, dachte sie, sie denken anders und begreifen oft nicht, daĂ man es nicht bĂśse meint. Sie wurde traurig und sah bekĂźmmert auf die groĂe Spinne mit ihren langen Beinen und ihrem grämlichen Gesichtsausdruck.
âEigentlich sollte man den Versuch machen, Sie zu fressenâ, sagte da plĂśtzlich der Weberknecht, der offenbar die GutmĂźtigkeit Majas fĂźr Schwäche gehalten hatte. Aber da geschah es der kleinen Biene ganz seltsam, ihre Trauer war plĂśtzlich verflogen, und an Stelle von Schreck oder Furcht stieg ein ruhiger Mut in ihrem Herzen empor. Sie richtete sich ein wenig auf, und während sie ihr hohes helles Summen ausstieĂ, fast ohne zu wissen, daĂ sie es tat, sagte sie mit glänzenden Augen und hob ihre schĂśnen durchsichtigen FlĂźgel ein wenig:
âIch bin eine Biene, mein Herr.â
âPardonâ, sagte Hannibal, drehte sich ohne GruĂ um und lief den Stamm so rasch hinunter, wie man nur irgend mit sieben Beinen laufen kann.
Maja muĂte lachen, ob sie wollte oder nicht. Unten begann Hannibal laut zu schelten.
âSie haben einen schlechten Charakter,â rief er aufgeregt, âSie gehen mit Ihrem Stachel gegen Leute vor, die durch harte Schicksalsschläge daran behindert sind, sich in gewohnter Weise von der Stelle zu bewegen. Aber Ihre Stunde wird schlagen, und sobald Sie in Bedrängnisse geraten, werden Sie an mich denken und alles bereuen.â
Er verschwand unter den Huflattichblättern am Boden. Die kleine Biene hatte nicht mehr alles verstanden, ihr war wohl zumut, zumal der Wind fast ganz nachgelassen hatte und der Tag schĂśn zu werden versprach. Hoch am Himmel zogen weiĂe Wolken im tiefen Blau, sie sahen still und glĂźcklich aus, wie gute Gedanken Gottes. Und heiĂ und unwiderstehlich Ăźberfiel die kleine Biene die Sehnsucht nach dem satten Schattengrund der Waldwiesen und nach den besonnten Hängen jenseits des groĂen Sees, dort muĂte längst ein frohes Leben begonnen haben. Sie sah die schlanken Gräser schaukeln, und am Waldrand wuchsen in den schmalen Wassergräben hohe gelbe Schwertlilien. Von ihren Kelchen sah man hinĂźber in die geheimnisvolle Nacht des Tannenwaldes, aus dem es kĂźhl und traurig wehte. Sie wuĂte, in seiner finstern Stille, die den Sonnenschein in ein rĂśtliches Schlummerlicht verwandelte, lag das Heimatland der Märchen.
Da flog sie schon durch die Luft. Es war ihr gar nicht recht zum BewuĂtsein gekommen, daĂ sie aufgeflogen war. Die Waldwiesen und ihre Blumenhänge hatten sie gerufen. O du lieber Gott, dachte sie, wie herrlich ist es, zu leben.

Kapitel 10: Die Wunder der Nacht
So verlebte die kleine Maja unter den Insekten die Tage und Wochen ihres jungen Lebens. Wohl vermiĂte sie bei ihrem Umhertreiben, bei allen Freuden und Gefahren, in der schĂśnen sommerlichen Welt oft die Gefährten ihrer ersten Kindheit, und zuweilen Ăźberfiel sie ein schmerzvolles Heimweh nach dem verlassenen KĂśnigreich ihres Volkes. Auch kannte sie Stunden, in denen sie sich nach einer geordneten Tätigkeit sehnte, nach nĂźtzlicher Beschäftigung und nach Gesellschaft unter ihresgleichen. Aber sie hatte im Grunde eine ruhlose Natur, die kleine Maja, und sie wĂźrde sich wohl kaum schon dauernd in der Gemeinschaft der Bienen wohlgefĂźhlt haben. Bei allen Tieren, wie auch unter den Menschen, kommt es vor, daĂ einzelne Charaktere sich nicht in die Gewohnheiten aller schicken kĂśnnen, und man muĂ vorsichtig sein und ernstlich prĂźfen, bevor man solch ein Wesen verurteilt. Denn es ist keineswegs immer nur Trägheit oder Eigensinn, sondern häufig verbirgt sich hinter solchem Drang eine tiefe Sehnsucht nach HĂśherem oder Besserem, als der Alltag zu bieten vermag, und aus jungen Durchgängern sind oft erfahrene und kluge Männer geworden oder verständige und gĂźtige Frauen. Und die kleine Maja hatte im Grunde ein reines und empfängliches Herz, und ihre Stellung zur schĂśnen weiten Welt, in der sie zum Leben erwacht war, war getragen von aufrichtiger WiĂbegier und groĂer Freude an den Herrlichkeiten der SchĂśpfung.
Aber selbst im GlĂźck schĂśner Erlebnisse ist das Alleinsein schwer, und je erfahrener die kleine Maja wurde, um so häufiger sehnte sie sich nach Gemeinschaft und Liebe. Sie war nun keine ganz junge Biene mehr, sondern ein prächtiges, starkes Bienentier, begabt mit blanken, gesunden FlĂźgeln, einem spitzen und gefährlichen Stachel und einem ausgebildeten Sinn fĂźr die Gefahren und Freuden ihres Lebens. Sie hatte Erfahrungen gemacht und Kenntnisse gesammelt und wĂźnschte sich nun oft, sie auf rechte Art verwenden zu kĂśnnen. Vielleicht wäre sie eines Tages in den Stock zurĂźckgekehrt, hätte sich der KĂśnigin zu FĂźĂen geworfen und ihre Verzeihung erfleht, um wieder in Ehren aufgenommen zu werden. Aber ein brennendes Verlangen hielt sie davon zurĂźck: sie wĂźnschte sich, den Menschen kennenzulernen. Sie hatte so viel Widersprechendes Ăźber die Menschen gehĂśrt, daĂ sie eher verwirrter als klĂźger geworden war, und doch ahnte sie, daĂ es in der ganzen SchĂśpfung nichts Mächtigeres, KlĂźgeres und Erhabeneres als den Menschen gäbe.
Aus hoher Luft, aus weiter Entfernung hatte sie auf ihren Irrfahrten wohl zuweilen Menschen gesehen, schwarze, weiĂe und rote, auch solche, die vielfarbig und bunt bekleidet waren, kleine und groĂe. Aber sie hatte sich niemals in die Nähe getraut. Einmal sah sie es rot am Bach schimmern, und da sie den Schein der Farbe fĂźr ein Blumenbeet hielt, war sie hinzugeflogen. Da fand sie einen Menschen mit goldenen Haaren und rosigem Angesicht. Er schlief in einem roten Kleid in den Blumen am Bach und sah trotz seiner furchtbaren GrĂśĂe so gut und lieblich aus, daĂ ihr vor EntzĂźcken Tränen in die Augen traten. Sie hatte alles um sich her vergessen und nur immer den schlummernden Menschen betrachten mĂźssen. Was sie jemals an BĂśsem darĂźber gehĂśrt hatte, erschien ihr unmĂśglich, es war ihr, als mĂźĂte alles Schlechte LĂźge gewesen sein, was man ihr jemals Ăźber solch liebliche Wesen berichtet hatte, wie dort eines im Schatten der flĂźsternden Birken schlief.
Später kam eine MĂźcke zu ihr und grĂźĂte.
âMein Gott,â rief Maja, ganz heiĂ vor Erregung und Freude, âsehen Sie dort den Menschen, wie schĂśn, wie gut. Begeistert es Sie nicht?â
Die MĂźcke sah erst Maja sehr erstaunt an und drehte sich dann langsam nach dem Gegenstand ihrer Bewunderung um:
âJa,â sagte sie, âer ist gut, gewiĂ, ich habe ihn eben angebohrt. Schauen Sie, mein Leib schimmert rot von seinem Blut.â
Maja muĂte ihrem Herzen mit der Hand zur Hilfe kommen, so sehr erschrak sie Ăźber die KĂźhnheit der MĂźcke.
âWird er sterben?â rief sie. âWo haben Sie ihn verletzt? Wie kĂśnnen Sie nur den erforderlichen Mut und zugleich eine so unwĂźrdige Gesinnung aufbringen? Sie sind ja ein Raubtier!â
Die MĂźcke lachte und antwortete mit ihrem hohen hellen Stimmchen sichtlich amĂźsiert:
âDies ist doch nur ein ganz kleiner Mensch. Diese GrĂśĂe wird Mädchen genannt, sobald die Beine bis zur Hälfte von einem abstehenden farbigen Panzer bedeckt sind. Ich kann natĂźrlich hindurchstechen, aber in der Regel erreicht man die Haut nicht. â Sie haben ja eine ganz fabelhafte Unkenntnis, glauben Sie denn, die Menschen seien gut? Ich habe niemals einen gefunden, der mir freiwillig auch nur das kleinste TrĂśpfchen Blut gegĂśnnt hätte.â
âVom Menschen weiĂ ich allerdings noch nicht sehr vielâ, sagte Maja kleinlaut.
âAber Sie geben sich doch von allen Insekten am meisten mit den Menschen ab, Sie lassen sich am weitesten mit ihnen ein, das ist doch bekannt.â
âIch habe das KĂśnigreich verlassenâ, gestand Maja schĂźchtern. âEs gefiel mir nicht, ich wollte die Welt kennenlernen.â
âI, da sieh einer anâ, sagte die MĂźcke und trat einen Schritt näher. âWie bekommt Ihnen denn Ihr Umhertreiben? Ich muĂ sagen, daĂ es mir gefällt, Sie so unabhängig zu sehen. Ich fĂźr mein Teil wĂźrde mich niemals entschlieĂen, den Menschen zu dienen.â
âSie dienen auch unsâ, sagte Maja, die es nicht ertragen konnte, daĂ man ihr Volk herabsetzte.
âMag sein,â antwortete die MĂźcke, âzu welchem Volk gehĂśren Sie?â
âIch stamme vom Volk der Bienen im SchloĂpark. Die regierende KĂśnigin ist Helene die Achte.â
âSo, so,â machte die MĂźcke und verbeugte sich, âdas ist eine beneidenswerte Abstammung. Alle Achtung. Sie hatten kĂźrzlich Revolution, nicht wahr? Ich hĂśrte das durch die Kundschafter des Schwarms, der ausgebrochen war. Habe ich recht?â
âJaâ, sagte Maja stolz. Es erfĂźllte sie mit Genugtuung und Freude, daĂ die Ihren so hohes Ansehen genossen und weit bekannt waren. Tief im Herzen wachte wieder das Heimweh nach ihrem Volke auf, sie wĂźnschte sich, etwas GroĂes und Gutes fĂźr ihre KĂśnigin und zum Wohl ihres Staates tun zu kĂśnnen. DarĂźber vergaĂ sie nach dem Menschen zu fragen. Vielleicht fragte sie auch deshalb nicht mehr, weil sie von der MĂźcke nichts Gutes zu hĂśren hoffte. Sie empfand die Kleine als frech und naseweis, und solche Leute wissen gewĂśhnlich Ăźber andere nur Schlechtes zu sagen.
Die MĂźcke war damals auch bald weitergeflogen.
âIch nehme noch einen Schluckâ, hatte sie gerufen. âSpäter werde ich mit den Gefährten in der Abendsonne fliegen, damit wir morgen gutes Wetter bekommen.â
Maja hatte sich davongemacht, weil es ihr unmĂśglich war, mit anzusehen, wie die MĂźcke dem schlafenden Kind BĂśses zufĂźgte. Sie wunderte sich, daĂ die MĂźcke nicht daran zugrunde ging. Kassandra hatte ihr gesagt. âWenn du einen Menschen stichst, muĂt du sterben.â
Maja erinnerte sich dieses Vorfalls noch sehr genau, aber ihr Verlangen danach, vom Menschen soviel als mĂśglich kennenzulernen, war keinesfalls befriedigt, sie beschloĂ, kĂźhner zu werden und keine Anstrengungen zu scheuen, um zu ihrem Ziel zu gelangen.
Diese WĂźnsche Majas sollten sich auf wunderbare Art erfĂźllen und viel schĂśner, als sie es erwartet hatte. Die kleine Biene war an einem warmen Sommerabend frĂźher als gewĂśhnlich zur Ruhe gegangen, und plĂśtzlich erwachte sie mitten in der Nacht, das war ihr noch niemals geschehen. Ihr Erstaunen war unbeschreiblich, als sie die Augen Ăśffnete und ihren kleinen Schlafraum Ăźber und Ăźber in ein stilles blaues Licht getaucht sah. Es sank vom Eingang nieder, dessen Ăffnung wie unter einem silberblauen Vorhang strahlte. Sie wagte sich anfangs kaum zu rĂźhren, aber sie fĂźrchtete sich nicht, denn mit diesem Schein kam ein seltsam schĂśner Friede zu ihr hineingezogen. Und es klang etwas drauĂen in der Luft, was sie so fein und so voller Harmonie noch niemals vernommen hatte. Endlich trat sie schĂźchtern und ganz benommen vom Glanz dieser ungewĂśhnlichen Stunde an den Ausgang ihrer BaumhĂśhle und sah hinaus. Ihr war, als sei die ganze Welt durch ein Wunder verzaubert. Ăberall glitzerte und funkelte es von reinstem Silber, tausend helle Perlen leuchteten matt und selig im Gras, das in der Ferne wie unter feinen Schleiern lag, die Stämme der Birken und die schlafenden Blätter waren mit Silber Ăźbermalt. Und alles umher, und in der stillen, seligen Weite, war in ein sanftes blaues Licht gehĂźllt.
âDas ist die Nacht, das kann nur die Nacht seinâ, flĂźsterte die kleine Maja und faltete die Hände.
Am hohen Himmel, ein wenig verhĂźllt durch die Blätter eines Buchenastes, stand eine volle, klare Silberscheibe, von der das Licht niedersank, das die ganze Welt verschĂśnte. Erst nun erkannte Maja, daĂ um den Mond her eine unzählige Menge heller harter Lichtlein am Himmel brannten, schĂśner und stiller als alles, was sie jemals an Glanz gesehen hatte. Sie wuĂte nicht, was sie tun sollte vor GlĂźck, daĂ sie die Nacht, den Mond und die Sterne und ihre lieblichen Wunder erlebte. Sie hatte von alledem nur gehĂśrt und niemals recht daran geglaubt.
Da vernahm sie wieder in ihrer Nähe ganz laut und weithin schallend den seltsamen Nachtgesang, der sie geweckt haben muĂte. Es war ein schwingendes Zirpen in einem hellen Silberton, fast hätte man glauben kĂśnnen, daĂ das Licht vom Mond im Niederrieseln dies Klingen mit sich brachte. Sie schaute sich um und suchte nach der Ursache, aber im heimlichen Widerspiel von Licht und Schatten war es sehr schwer, etwas deutlich zu erkennen; alles war geheimnisvoll verhĂźllt und doch so wahr und heldenhaft schĂśn.
Es hielt die kleine Maja nicht länger in ihrem Versteck, sie muĂte hinaus in diese neue Pracht der Welt. Der liebe Gott wird mich behĂźten, dachte sie, ich habe ja nichts BĂśses vor.
Eben wollte sie davonfliegen, um in das blaue Licht ßber der Wiese zu kommen, auf die der volle Mond schien, als sie dicht in ihrer Nähe auf einem Buchenblatt ein kleines geflßgeltes Tier ankommen sah, das sie noch niemals gesehen hatte. Und unmittelbar nachdem es angelangt war, richtete es sich auf gegen den Mond, hob den einen schmalen Flßgel ein wenig und zog dann mit raschen Strichen sein Beinchen am Rand des Flßgels auf und nieder. Es sah aus, als geigte es auf einer versteckten Geige, und richtig entstand jener zirpende Silberton, der die ganze Mondnacht fßllte.
âEntzĂźckend,â flĂźsterte Maja, ânein, so was ist einfach himmlisch.â
Sie flog rasch hinĂźber. Die Sommernacht war lau und milde, so daĂ die kleine Biene nicht spĂźrte, daĂ es kĂźhler als am Tage war. Als sie auf dem Blatt bei der Fremden anlangte, brach diese jählings ihr Spiel ab, es schien Maja, als sei es noch nie so still gewesen wie nun. Es war gradezu unheimlich. Durch die dunklen Blätter rieselte das weiĂe, kĂźhle Licht.
âGute Nachtâ, sagte die kleine Maja sehr hĂśflich, denn sie dachte, man mĂźĂte ebenso in der Nacht grĂźĂen, wie man es am Tage tut, und sie fĂźgte rasch hinzu. âEntschuldigen Sie, bitte, daĂ ich stĂśre, aber Ihr Spiel hat etwas so Anziehendes, wenn man es hĂśrt, muĂ man dem Klang nachgehen.â
Die Fremde schaute Maja mit groĂen Augen an:
âWas sind denn Sie fĂźr ein Krabbeltier?â fragte sie endlich. âSo was hab ich noch nie gesehen.â
âIch bin durchaus kein Krabbeltier,â sagte die Biene ernst, âich bin Maja vom Volk der Bienen.â
âAch, vom Volk der Bienen, so, so âŚâ, sagte die Fremde. âSie leben am Tage, nicht wahr? Ich habe durch den Igel von Ihrem Geschlecht gehĂśrt. Er erzählte mir, daĂ er am Abend die Toten fräĂe, die aus Ihrem Stock geworfen werden.â
âJa,â sagte Maja mit leisem Bangen, âdas ist wahr, Kassandra hat mir davon erzählt, der Igel kommt in der Abenddämmerung, er schmatzt und sucht die Toten. Die Wächter haben es erzählt. Aber verkehren Sie denn mit dem Igel? Der Igel ist doch ein gradezu fĂźrchterliches Untier.â
âDas finde ich nichtâ, sagte die Fremde. âWir Nachtgrillen stehen uns eigentlich ganz gut mit ihm. NatĂźrlich, er versucht es immer wieder, uns zu greifen, aber es gelingt ihm nie. So necken wir ihn oft und treiben unser Spiel mit ihm. Wir nennen ihn Onkel. Leben muĂ schlieĂlich jeder, nicht wahr? Und solange einer nicht von mir lebt, kann es mir ja gleichgĂźltig sein.â
Maja schĂźttelte das KĂśpfchen, sie dachte anders darĂźber, sie aber wollte die Fremde nicht durch Widerspruch verletzen. So fragte sie freundlich:
âSie sind also eine Grille?â
âJa, eine Nachtgrille. Aber Sie dĂźrfen mich nicht länger stĂśren, ich muĂ spielen. Es ist Vollmond, und die Nacht ist wundervoll.â
âAch, machen Sie eine Ausnahme,â bat Maja, âerzählen Sie mir von der Nacht.â
âDie Sommernacht ist das SchĂśnste in der Welt,â antwortete die Grille, âsie fĂźllt das Herz mit Seligkeit. Was Sie nicht aus meinem Spiel hĂśren, werde ich Ihnen auch nicht erklären kĂśnnen. Warum muĂ man immer alles wissen? Wir armen Wesen wissen vom Dasein nur ein kleines Teil, aber fĂźhlen kĂśnnen wir die ganze Herrlichkeit der Welt.â
Und sie begann ihr helles, jubelndes Silberspiel, es klang laut und Ăźbermächtig, wenn man es so nah hĂśrte, wie Maja saĂ. Und die kleine Biene saĂ ganz still in der blauen Sommernacht und hĂśrte zu und dachte sehr tief Ăźber das Leben nach.
Da wurde es neben ihr still. Es klirrte leise, und sie sah die Grille in den Mondschein hinausfliegen.
Die Nacht macht so traurig, dachte die kleine Maja.
Sie wollte nun hinunter auf die Blumenwiese. Am Bachrand standen Wasserlilien, sie spiegelten sich in der raschen Flut, die den Mondschein mit sich trug. Es war herrlich anzuschauen. Das Wasser flĂźsterte und blinkte und die geneigten Lilien schienen zu schlafen. Sie sind eingeschlafen vor lauter GlĂźck, dachte die kleine Biene. Sie lieĂ sich auf einem weiĂen Blumenblatt, mitten im Mondschein nieder und konnte den Blick nicht von dem lebendigen Wasser des Baches wenden, das in zitternden Funken aufblitzte und wieder erlosch. DrĂźben am Ufer schimmerten Birken, und es sah aus, als hingen die Sterne darin.
Wohin flieĂt nur all dies Wasser, dachte sie. Die Grille hat recht, wir wissen so wenig von der Welt.
Da hĂśrte sie dicht neben sich im Kelch einer Lilie ein feines singendes Stimmchen, so rein und glockenhell, wie sie noch niemals einen irdischen Klang vernommen hatte; ihr Herz begann laut zu klopfen, und ihr Atem stockte.

O, was wird geschehen, dachte sie, was werde ich zu sehen bekommen.
Die Lilie schwankte leicht, dann sah sie, daĂ eines der Blätter sich am Rande ein wenig nach innen bog und sie erblickte eine ganz kleine, schneeweiĂe Menschenhand, die sich mit winzigen Fingerchen daran festhielt. Dann tauchte ein blondes KĂśpfchen auf und ein lichtes, zartes KĂśrperchen in einem weiĂen Kleid. Es war ein ganz kleiner Mensch, der aus der Lilie emporkam.
Den Schreck und das EntzĂźcken der kleinen Maja kann niemand schildern. Sie saĂ wie erstarrt da und konnte ihre Augen nicht von dem Anblick wenden, der sich ihr darbot.
Das winzige Menschenwesen erklomm den Rand der BlĂźte, hob die Ărmchen gegen das Mondlicht und sah mit einem seligen Lächeln in die helle Nacht der Menschenerde. Dann kam ein leises Zittern in das durchscheinende KĂśrperchen, und plĂśtzlich entfalteten sich von den Schultern herab zwei helle FlĂźgel, weiĂer als das Mondlicht und so rein wie Schnee. Sie Ăźberragten das blonde Haupt und sanken bis an die FĂźĂe nieder. Nie, nie hat die kleine Maja in ihrem Leben wieder etwas so Liebliches gesehen. Und während das lichte kleine Menschlein so dastand und seine Hände gegen den Himmel reckte, erhob es seine Stimme wieder, und Maja verstand das Lied, das in die Nacht hinausklang:
Meine Heimat ist das Licht.
Heller Himmel meine Freude.
Tod und Leben wechseln beide,
aber meine Seele nicht.
Meine Seele ist der Hauch,
der aus aller SchĂśnheit bricht,
wie aus Gottes Angesicht,
so aus seiner SchĂśpfung auch.
Die kleine Maja ßberkam ein heftiges Schluchzen, sie konnte sich nicht erklären, was sie so traurig machte und sie gleichzeitig so beglßckte.
Da wandte sich das kleine Menschenwesen nach ihr um:
âWer weint denn da?â fragte es mit seiner klaren Stimme.
âAch, das bin nur ichâ, stammelte Maja. âEntschuldigen Sie, daĂ ich gestĂśrt habe.â
âWarum weinst du denn?â
âIch weiĂ es nicht,â sagte Maja, âvielleicht nur, weil Sie so schĂśn sind. Wer sind Sie, ach sagen Sie es mir, wenn ich nicht zuviel verlange. Sie sind sicher ein Engel.â
âO nein,â sagte das kleine Wesen und blieb ganz ernst, âich bin nur ein Blumenelf. Aber du kannst ruhig du zu mir sagen. Was machst denn du kleine Biene in der Nacht drauĂen auf der Wiese?â
Der Elf flog zu Maja hinĂźber, setzte sich auf ein gebogenes Lilienblatt, das ihn sanft schaukelte und betrachtete die kleine Biene ernst und freundlich. Und während Maja ihm erzählte, alles was sie wuĂte und wollte und was sie getan hatte, sahen immer die groĂen dunklen Augen aus dem weiĂen Elfengesicht sie an, unter dem goldenen Haar hervor, das im Mond zuweilen wie Silber glänzte.
Der Blumenelf strich Maja Ăźber das KĂśpfchen, als sie ihre Geschichte erzählt hatte und sah sie so innig und liebevoll an, daĂ die kleine Biene vor GlĂźck die Blicke senken muĂte. Und dann erzählte er ihr:
âWir Elfen leben sieben Nächte, aber wir mĂźssen in der Blume bleiben, in der wir geboren sind. Wenn wir die Blume verlassen, so mĂźssen wir im Morgenrot sterben.â
Maja riĂ vor Angst und Schrecken die Augen weit auf.
âO rasch, rasch, flieg in deine Blume zurĂźck!â rief sie.
Der Elf schĂźttelte traurig den Kopf.
âNun ist es zu spät,â sagte er, âaber hĂśre weiter. Die meisten Elfen verlassen ihre Blumen, denn es verbindet sich ein groĂes GlĂźck damit. Wer seine Blume verläĂt und so einen frĂźhen Tod erleidet, der hat zuvor eine wunderbare Macht. Er kann dem ersten Wesen, das ihm begegnet, seinen liebsten Wunsch erfĂźllen. Wenn er ernstlich den Willen hat, die Blume zu verlassen, um andere zu beglĂźcken, so wachsen ihm zugleich seine FlĂźgel.â
âAch, wie herrlich,â rief Maja, âda wĂźrde ich auch die Blume verlassen. Das muĂ wunderschĂśn sein, den liebsten Wunsch eines anderen zu erfĂźllen.â Die kleine Biene dachte gar nicht daran, daĂ sie das erste Wesen war, dem der Elf auf seinem Flug aus der Blume begegnet war.
âUnd dann,â fragte sie, âmuĂt du dann sterben?â
Der Elf nickte, aber diesmal gar nicht traurig.
âWir sehen noch das Morgenrot,â sagte er, âaber wenn der Tau fällt, dann zieht es uns zu den feinen Schleiern hinĂźber, die Ăźber dem Gras der Wiesen schweben. Hast du nicht oft gesehen, daĂ diese Schleier ganz weiĂ leuchten, als wäre Licht darin? Das sind die Elfen, ihre FlĂźgel und ihre Kleider. Und mit dem heraufsteigenden Licht verwandeln wir uns in Tautropfen. Die Pflanzen trinken uns und nehmen uns in ihr BlĂźhen und Wachsen auf, bis wir nach Zeiten wieder als Elfen aus ihren Blumenkelchen steigen.â
âSo warst du frĂźher schon einmal ein anderer Elf?â fragte Maja in atemloser Spannung.
Die ernsten Augen nickten ihr zu:
âJa, aber ich habe es vergessen. Wir vergessen alles in unserm Blumenschlaf.â
âO, dein Los ist lieblichâ, rief die kleine Maja.
âEs ist das Los aller Erdenwesen,â sagte der Elf, âwenn man es weit und groĂ betrachtet. Auch wenn es nicht immer Blumen sind, in denen sie aus ihrem Todesschlaf erwachen. Aber davon wollen wir heute nicht sprechen.â
âO, ich bin glĂźcklichâ, rief Maja.
âSo hast du keinen Wunsch?â fragte der Elf. âWeiĂt du denn nicht, daĂ du das erste Wesen bist, das mir begegnet und daĂ ich deinen liebsten Wunsch erfĂźllen soll?â
âIch?â rief Maja, âaber ich bin doch nur eine Biene. Nein, das ist zuviel Freude fĂźr mich, ich habe nicht verdient, daĂ man so gut gegen mich ist.â
âNiemand verdient das Gute und SchĂśne,â sagte der Elf, âes kommt zu uns wie der Sonnenschein.â
Majas Herz klopfte stĂźrmisch. O, sie hatte seit lange einen heiĂen Wunsch, aber sie wagte es nicht, ihn vorzubringen. Aber der Elf schien es zu ahnen, denn er lächelte so, daĂ man ihm nichts verschweigen konnte.
âNun?â fragte er und strich sich das goldene Haar aus der reinen Stirn.
âIch mĂśchte die Menschen kennenlernen, wie sie am schĂśnsten sindâ, sagte die kleine Biene heiĂ und rasch und fĂźrchtete, sie wĂźrde hĂśren, daĂ man einen so groĂen Wunsch nicht erfĂźllen kĂśnnte.
Aber der Elf erhob sich ernst und ruhig, und seine Augen bekamen einen Glanz von Zuversicht, er nahm die zitternde Hand der kleinen Maja und sagte:
âKomm, wir fliegen zusammen, dein Wunsch soll in ErfĂźllung gehen.â
Kapitel 11: Die Elfenfahrt
So flogen der Blumenelf und die kleine Maja durch die Sommernacht dicht Ăźber den blĂźhenden Blumen dahin. Als sie Ăźber den Bach kamen, blinkte das weiĂe Spiegelbild des Elfen im Wasser auf, als zĂśge ein Stern hindurch.
Mit wieviel Beglßcktheit vertraute die kleine Biene sich diesem holden Wesen an! Sie hätte gar zu gern eine Menge wichtiger Fragen gestellt, aber sie wagte es nicht. Der Elf wßrde es schon gut hinausfßhren, das fßhlte sie zuversichtlich.
Als sie miteinander durch eine hohe Pappelallee flogen, surrte es Ăźber ihnen, und ein dunkler Schmetterling, groĂ und stark wie ein Vogel, kreuzte ihren Weg. Der Blumenelf rief ihn an:
âWarte einen Augenblick, ich bitte dich!â rief er.
Maja war sehr erstaunt, wie bereitwillig der dunkle Falter dem Ruf gehorchte. Sie lieĂen sich auf einem Ast der hohen Pappel nieder. Neben ihnen flĂźsterte das bewegliche Laub im Mond, und man sah weit in die stille, beschienene Nachtlandschaft. Der Falter saĂ Maja grade gegenĂźber mitten im Mondlicht. Er hob seine ausgebreiteten FlĂźgel langsam und senkte sie wieder sanft, als wollte er jemandem KĂźhlung zufächeln. Maja sah, daĂ quer Ăźber die FlĂźgel breite Streifen liefen von einem hellen, herrlichen Blau. Sein schwarzer Kopf war wie mit dunklem Samt gedeckt, und sein Gesicht, darin ein schwarzes Augenpaar glĂźhte, sah aus, als trĂźge er eine seltsam geheimnisvolle Maske. Wie wunderbar waren die Tiere der Nacht. Maja frĂśstelte ein wenig, ihr war zumut, als träumte sie den sonderbarsten Traum ihres Lebens.
âSie sind sehr schĂśn,â sagte sie zu dem Fremden, âalso wirklich âŚâ Ihr war ganz feierlich zu Sinn.
âWen hast du denn da bei dir?â fragte der Nachtfalter den Elf.
âEs ist eine Bieneâ, antwortete der Elf. âIch bin ihr begegnet, als ich den Blumenkelch verlieĂ.â
Der Falter schien zu wissen, was sich damit verband, denn er sah Maja beinahe ein wenig neidisch an und nickte ihr ernst und gedankenvoll zu.
âSie GlĂźcklicheâ, sagte er dann leise.
âSind denn Sie vielleicht traurig?â fragte Maja herzlich.
Der Falter schĂźttelte den Kopf.
âNein, das nichtâ, sagte er freundlich und dankbar und sah Maja so lieb an, daĂ sie gern gleich Freundschaft mit ihm geschlossen hätte. Aber dazu war er zu groĂ.
Nun fragte der Blumenelf den Falter, ob die Fledermaus schon zur Ruhe gegangen sei.
âO ja,â antwortete der Falter, âschon längst. Du meinst wohl wegen deiner Begleiterin?â fĂźgte er hinzu.
Der Elf nickte, und Maja hätte gern gewuĂt, was eine Fledermaus ist, aber der Elf schien es eilig zu haben. In holder Ruhlosigkeit warf er sein schimmerndes Haar zurĂźck. âEine Nacht ist so kurz,â sagte er, âkomm, Maja, wir mĂźssen eilen.â

âSoll ich dich ein StĂźckchen tragen?â fragte der Nachtfalter.
Der Elf dankte. âEin andermal!â rief er.
So wird es nie mehr sein, dachte die kleine Biene, als sie weiterflogen, denn im Morgenrot muĂ der Blumenelf sterben.
Der Nachtfalter blieb noch sitzen und sah den beiden nach, bis der Schein des Elfenkleides immer kleiner und kleiner wurde und endlich ganz in den Tiefen der blauen Ferne versank. Dann drehte er sich langsam auf seinem Blatt etwas herum, wandte den Kopf und betrachtete seine groĂen dunklen FlĂźgel mit den breiten blauen Bändern darauf. Er wurde dabei sehr nachdenklich.
Ich habe so oft gehĂśrt, sann er, daĂ ich grau und häĂlich bin und daĂ mein Kleid den prächtigen Gewändern der Tagesfalter nicht zu vergleichen wäre. Die kleine Biene hat an mir nur das gesehen, was schĂśn ist. â Und dann dachte er darĂźber nach, ob er nicht vielleicht doch traurig sei, Maja hatte ihn danach gefragt. âNein,â sagte er endlich, âich bin es jetzt nicht mehr, so viel ist sicher.â â
Indessen flogen Maja und der Blumenelf durch das dichte GebĂźsch eines Gartens. Das war eine Pracht im gedämpften Mondglanz, wie kein irdischer Mund sie nennen kann. Ein betĂśrend sĂźĂer Hauch von TaukĂźhle und schlummernden Blumen verzauberte alles zu unaussprechlichen Wohltaten der Natur. Die lila Trauben der Akazien funkelten vor Frische, und der Junirosenbusch sah wie ein kleiner blĂźhender Himmel voller roter Lampen aus. Bleich und traurig glommen die weiĂen Sterne des Jasmin, sie strĂśmten einen Duft aus, als wollten sie noch in dieser Stunde alles verschenken, was ihr eigen war. Maja wurde ganz verwirrt und preĂte die Hand des Elfen, dessen Augen verklärt und selig schimmerten.
âWer hätte das gedacht,â sagte die kleine Maja, ânein, wer hätte das fĂźr mĂśglich gehalten.â Aber da erblickte sie etwas, das sie von Herzen traurig stimmte.
âO,â rief sie, âsieh, ein Stern ist gefallen! Nun irrt er umher und kann seinen Platz am Himmel nicht wiederfinden.â
âEs ist ein GlĂźhkäferchenâ, sagte der Blumenelf ernst.
Da merkte Maja trotz ihres Erstaunens zum erstenmal, warum ihr der Elf so liebevoll erschien. Er lachte niemals Ăźber ihre Unkenntnis, sondern er half ihren armen Gedanken, wenn sie sich nicht zurechtfinden konnten.
âEs sind seltsame Tierchenâ, fuhr der Elf fort. âSie tragen ihr eigenes Licht durch die laue Nacht umher, so beleben sie das Dunkel unter den Kuppeln der BĂźsche, wohin der Mond nicht dringt und finden einander leicht. Später sollst du einen kennenlernen, wenn wir zu den Menschen kommen.â
Maja wollte wissen weshalb.
âGleich wirst du es sehenâ, sagte der Blumenelf.
Sie waren inzwischen an einer Laube angekommen, die Ăźber und Ăźber von Jasmin und Gaisblatt bewachsen war. Sie lieĂen sich dicht am Boden nieder, ganz in der Nähe der Laube, aus der ein leises FlĂźstern klang. Der Blumenelf winkte einem GlĂźhkäferchen. âSei so gut,â bat er den Kleinen, âleuchte ein wenig, wir mĂźssen hier durch die dunklen Blätter hindurch, um in das Innere der Jasminlaube zu dringen.â
âAber dein Schein ist ja viel heller als meinerâ, sagte der GlĂźhkäfer.
âDas finde ich auchâ, meinte Maja, eigentlich nur um ihre Erregung zu verbergen.
âIch muĂ mich in ein Blatt einhĂźllen,â erklärte der Elf, âsonst sehen die Menschen mich und sie wĂźrden erschrecken. Wir Elfen erscheinen den Menschen nur in ihren Träumen.â
âDas ist etwas anderesâ, sagte der GlĂźhkäfer. âMach gĂźtigst Gebrauch von mir. Ich werde tun, was ich kann. Wird das groĂe Tier, das du bei dir hast, mir nichts zu leide tun?â
Der Elf schßttelte den Kopf, und der Glßhkäfer glaubte ihm gleich.
Nun nahm der Blumenelf ein Blatt und wickelte sich sorgfältig hinein, so daĂ sein weiĂes Kleid nirgends durchschimmerte. Dann pflĂźckte er eine kleine blaue Glockenblume, die er im Gras fand, und setzte sie wie einen Helm auf sein leuchtendes Haar. Nun war nur sein weiĂes Gesicht zu sehen, das so klein war, daĂ sicher niemand es entdeckt hätte. Er bat den GlĂźhkäfer, sich auf seine Schulter zu setzen und sein Lämpchen an der einen Seite mit dem FlĂźgel ein wenig abzudämpfen, damit es die Augen nicht blendete. Dann nahm er Majas Hand und sagte:
âNun komm. Am besten klettern wir hier empor.â
Die kleine Maja dachte an das, was der Elf vorhin erzählt hatte, und fragte, während sie in den Ranken aufwärtsstiegen:
âTräumen die Menschen, wenn sie schlafen?â
âNicht nur dann,â sagte der Elf, âsondern sie träumen zuweilen auch, wenn sie wachen. Dann sitzen sie da, etwas in sich zusammengesunken, ihr Kopf neigt sich ein wenig, und ihre Augen suchen in der Ferne, als ob sie bis in den Himmel schauen mĂśchten. Immer sind ihre Träume schĂśner als das Leben, deshalb erscheinen wir ihnen darin.â
Aber da legte der Elf rasch das winzige Fingerchen auf seine Lippen, bog einen keinen blĂźhenden Jasminzweig zur Seite und schob dann Maja ein wenig vor.
âSieh nun hinab,â sagte er leise, âdort findest du, was du dir gewĂźnscht hast.â
Da sah die kleine Biene im Mondschatten auf einer Bank zwei Menschen sitzen. Es waren ein Mädchen und ein JĂźngling. Sie hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt, und sein Arm hielt sie umschlungen, als ob er sie schĂźtzen wollte. Sie saĂen ganz still da und schauten mit groĂen Augen in die Nacht. Es war so ruhig, als wären sie beide eingeschlafen, nur in der Ferne hĂśrte man die Grillen und langsam, langsam wanderte das Mondlicht in den Blättern.

Die kleine Maja sah voll EntzĂźcken in das Gesicht des Mädchens. Obgleich es bleich und traurig erschien, lag doch ein Schimmer von groĂem GlĂźck darĂźber, der wie ein heimliches Leuchten war. Ăber den groĂen Augen ruhte goldenes Haar, wie auch der Elf es hatte, und auf dem Haar lag der Himmelsschein der Sommernacht. Von ihren roten Lippen, die ein klein wenig geĂśffnet waren, ging ein Hauch von Wehmut und Seligkeit, als ob sie alles, was ihr eigen war, zum GlĂźck des Mannes dahingeben wollte der an ihrer Seite saĂ. Und nun wandte sie sich ihm zu und zog sein Haupt zu sich nieder und sagte etwas, das ein Lächeln in sein Gesicht zauberte, wie Maja nie geglaubt hatte, daĂ ein Wesen der Erde lächeln kĂśnnte. In seinen Augen strahlten ein GlĂźck und eine Kraft, als ob die ganze, groĂe Erde sein Eigentum wäre und als wären Leid und Ungemach fĂźr immer aus der Welt verbannt.
Es verlangte Maja nicht danach zu wissen, was er dem Mädchen antwortete. Ihr Herz zitterte, als sei die Seligkeit, die von den Menschen unter ihr ausging, auch ihr Eigentum. âNun habe ich das Herrlichste gesehen,â flĂźsterte sie bebend, âwas meine Augen jemals schauen werden. Ich weiĂ nun, daĂ die Menschen am schĂśnsten sind, wenn sie einander liebhaben.â
Sie wuĂte nicht, wie lange sie so still und in Schaun versunken hinter den Blättern gesessen hatte. Als sie sich umwandte, war der Schein des GlĂźhkäfers erloschen, und der Elf war fort.
Da erblickte sie durch den Ausgang der Laube fern Ăźber der Landschaft einen schmalen, roten Lichtstreif am Horizont.
Kapitel 12: Der Dichter Alois Siebenpunkt
Die Sonne war schon hoch ßber die Kronen der Buchen emporgestiegen, als Maja am anderen Morgen in ihrer Waldburg erwachte. Anfangs glaubte sie, das ganze Erlebnis der letzten Nacht sei ein schÜner Traum gewesen, aber dann entsann sie sich, daà sie in der kßhlen Morgendämmerung in ihrer Behausung angelangt war, und nun war es fast schon Mittag. Nein, es war Wirklichkeit gewesen, sie hatte die Nacht mit dem Elfen verbracht und die Menschen gesehen, die sich in der Jasminlaube im Mondschein umschlungen gehalten hatten.
DrauĂen brannte die Sonne heiĂ auf den Blättern, es zog ein warmer Wind, und sie hĂśrte die vielerlei Stimmen der Insekten. Ach, was wuĂten die anderen, und was wuĂte sie! Sie war so stolz auf ihr Erlebnis, daĂ sie gar nicht rasch genug hinauskommen konnte, sie meinte, alle mĂźĂten es ihr ansehen, was ihr geschehen war.
Aber drauĂen in der Sonne nahm alles den gewohnten Gang. Nichts war verändert, und nichts erinnerte an die blaue Nacht. Die Insekten kamen, grĂźĂten und zogen, drĂźben auf der Wiese war Ăźber den hohen bunten Sommerblumen, im Flimmern der heiĂen Luft, ein groĂer Verkehr. Maja ward plĂśtzlich ganz traurig zumut. Sie fĂźhlte, daĂ es niemand in der Welt gab, der an ihrem GlĂźck oder an ihrer BetrĂźbnis teilnahm. Sie konnte sich nicht entschlieĂen, zu den anderen hinĂźberzufliegen. Ich will in den Wald, dachte sie, der Wald ist ernst und feierlich, er paĂt zu dem Zustand, in welchem mein Herz sich befindet.

Wieviel Geheimnisvolles und wie viele Wunder das Waldesdunkel birgt, ahnt wohl niemand, der rasch und gedankenlos auf den gebahnten Wegen dahingeht. Dazu muà man die Zweige der Bßsche auseinandergebogen haben, oder seine Blicke zwischen den Brombeerranken hindurch in die hohen Gräser und ßber das dichte Moos schweifen lassen. Unter schattigen Blättern der Pflanzen, in ErdlÜchern und BaumhÜhlen, zwischen den morschen Rinden verwitterter Holzstßmpfe und im krausen Schlingwerk der Wurzeln, die sich wie Schlangenleiber ßber den Erdboden dahinwinden, ist Tag und Nacht ein reges und vielgestaltiges Leben, voller Freuden und Gefahren, voller Kampf und Leid und Vergnßgen.
Die kleine Maja ahnte von alledem nur wenig, als sie zwischen den braunen Stämmen und dem grßnen Blätterdach dahinflog. Sie erkannte unter sich im Gras eine schmale Spur, die als ein deutlicher Weg durch Dickicht und Lichtungen fßhrte. Zuweilen schien es ihr, als verschwände die Sonne hinter Wolken, so tief wurden die Schatten unter den hohen Kronen und im dichten Buschwerk; dann wieder flog sie in lauter goldgrßnem Glänzen dahin, unter sich die breitblätterigen kleinen Wälder der Waldfarren und blßhende Brombeerranken.
Endlich Ăśffnete der Wald seine Ăźberdachten Säulentore, und vor Majas Blicken lag ein weites Kornfeld in der goldenen Sonne. In den Ăhren leuchteten Kornblumen und Mohn. Die kleine Biene lieĂ sich in den Zweigen einer Birke nieder, die am Rand des Feldes stand, und betrachtete entzĂźckt das goldene Meer, das sich im Frieden des stillen Tags vor ihr ausbreitete. Es erschien ihr unabsehbar weit, und es gingen sanfte Wogen darĂźber hin; das tat der schĂźchterne Sommerwind, der so liebreich wehte, um nirgends die Ruhe der schĂśnen Welt zu stĂśren.
Ein paar kleine braune Schmetterlinge spielten unter der Birke Ăźber dem Korn âVon Mohn zu Mohnâ. Das ist unter jungen Schmetterlingen ein sehr beliebtes Gesellschaftsspiel. Jeder Schmetterling setzt sich auf eine Blume, und es muĂ ein Spieler mehr da sein, als Blumen in der Nähe stehen. Dieser eine sitzt in der Mitte des Kreises und ruft. Wenn sein Ruf erklingt, mĂźssen alle auffliegen und die Blumen wechseln. Wer zu spät kommt und keine Blume mehr findet, wird in die Mitte geschickt und muĂ abrufen. Das war sehr unterhaltend.
Maja sah eine Weile zu, es machte ihr viel VergnĂźgen. Das kĂśnnte man auch die kleinen Bienen im Stock lehren, dachte sie, da nennen wir es dann âVon Zelle zu Zelleâ. Aber Kassandra wird wahrscheinlich zu streng sein.
Die kleine Maja wurde plĂśtzlich traurig gestimmt, das kam sicher durch ihre Erinnerung an die Heimat. Als sie darĂźber nachdenken wollte, sagte neben ihr jemand:
âGuten Morgen. Sie sind eine Bestie, wie mir scheint.â

Die kleine Maja erschrak sehr und drehte sich rasch um.
âNein,â sagte sie, âbestimmt nicht!â
Neben ihr saĂ eine kleine braune Halbkugel mit sieben schwarzen Punkten darauf. Unter dieser rotbraunen Kuppel, die Ăźbrigens prächtig glänzte, sah man ein winziges schwarzes KĂśpfchen, in dem zwei helle Ăuglein funkelten, und nun erkannte Maja auch die dĂźnnen Beinchen, die, fein wie Fäden, unter der punktierten Kuppel hervorschauten und sie so gut trugen als sie eben konnten. Dieser kleine Dicke war es, der Maja angerufen hatte. Trotz seiner seltsamen Gestalt gefiel er der Biene ausgezeichnet, er hatte etwas gradezu Anmutiges.
âWer sind Sie nur?â fragte sie, âich selbst bin Maja, vom Volk der Bienen.â
âWollen Sie mich beleidigen?â fragte der Kleine. âDazu liegt kein Grund vor, das merken Sie sich.â
âAber wie sollte ich dazu kommen?â fragte die kleine Maja ganz erschrocken, âich kenne Sie in der Tat nicht.â
âDas kann jeder sagenâ, meinte der Dicke. âNun, ich will Ihrem Gedächtnis nachhelfen. Zählen Sie.â Und der Kleine begann sich langsam umzudrehn.
âSoll ich Ihre Punkte zählen?â
âJa, bitte schĂśnâ, sagte der Käfer.
âEs sind sieben Punkteâ, sagte Maja.
âNun?â fragte der Käfer, âalso? Sie wissen es immer noch nicht? So will ich es Ihnen sagen. Ich heiĂe genau so, wie sich nachzählen läĂt. Ich gehĂśre zur Familie der Siebenpunkte, heiĂe Alois und bin meines Zeichens Dichter. Die Menschen nennen mich auch Marienkäfer. Das ist ihre Sache. Aber das wissen Sie ja jedenfalls.â
Maja wagte nicht nein zu sagen, denn sie fßrchtete Alois zu kränken.
âO,â sagte Alois, âich lebe vom Sonnenschein, vom Frieden des Tages und von der Liebe der Menschen.â
âAber essen Sie denn nichts?â fragte Maja Ăźberrascht.
âDoch, Blattläuse. Sie nicht?â
âNein,â sagte Maja, âdas ist doch âŚâ
âWas ist es denn? Wie?â
âEs ist nicht Ăźblichâ, sagte Maja schĂźchtern.
âNatĂźrlich!â rief Alois und versuchte die eine Schulter hochzuziehen, was ihm aber wegen seiner festen Kuppel nicht gelang, âSie tun als BĂźrgerliche selbstverständlich nur das, was Ăźblich ist. Damit kämen wir Dichter nicht weit. Haben Sie Zeit?â
âDoch,â sagte Maja, âgewiĂ.â
âDann werde ich Ihnen eine Dichtung vortragen. Sitzen Sie still und schlieĂen Sie die Augen, damit die Umgebung Sie nicht stĂśrt. Das Gedicht heiĂt âDer Menschenfingerâ. Es ist ein persĂśnliches Erlebnis und von mir. HĂśren Sie?â

âJa,â sagte Maja, âjedes Wort.â
âAlso:
Der Menschenfinger
Einmal hast du mich entdeckt,
als ich GlĂźck im Leben hatte.
Du bist rund und langgestreckt.
Oben hast du eine glatte,
zugespitzte Panzerplatte,
welche sich bewegen läĂt,
aber unten sitzt du fest!
Nun?â fragte Alois nach einem kleinen Schweigen. Er hatte Tränen in den Augen und seine Stimme zitterte.
âDer Menschenfinger hat mich sehr ergriffenâ, meinte Maja, die etwas verlegen geworden war. Eigentlich kannte sie schĂśnere Lieder.
âWie finden Sie die Form?â fragte Alois und lächelte wehmĂźtig. Er war sichtlich durch die Wirkung Ăźberwältigt, die er hervorgebracht hatte.
âRund und langgestrecktâ, antwortete Maja. âSie haben es ja selbst gedichtet.â
âIch meine die kĂźnstlerische Form, ich meine die Form meiner Dichtung.â
âAh,â sagte Maja, âach so. Ja, die finde ich gut.â
âNicht wahr?â rief Alois. âSie wollten sagen, daĂ dies Lied dem besten eingereiht werden kann, was Sie kennen, daĂ man weit zurĂźckgreifen muĂ, ehe man etwas Verwandtes findet. Die Kunst muĂ zunächst Neuigkeiten enthalten, das ist es, was die meisten Dichter Ăźbersehen. Und dann GrĂśĂe, nicht wahr?â
âDoch,â sagte Maja, âich glaube âŚâ
âIhr zuversichtlicher Glaube an meine Bedeutung, den Sie ausgesprochen haben,â sagte Alois, âbeschämt mich gradezu. Haben Sie Dank. Ich muĂ nun weiter, denn die Einsamkeit ist die Zierde des KĂźnstlers. Leben Sie wohl.â
âAdieuâ, sagte Maja, die gar nicht recht wuĂte, was der Kleine eigentlich gewollt hatte. Nun, er selbst wird es schon wissen, dachte sie. GroĂ ist er ja eigentlich nicht, aber vielleicht wächst er noch. Sie sah ihm nach, wie er eifrig den Zweig hinaufkrabbelte. Man konnte seine winzigen Beinchen kaum unterscheiden, so daĂ es aussah, als schĂśbe er sich auf kleinen Rollen davon.
Dann sah Maja wieder auf das goldene Kornfeld nieder, Ăźber dem die Schmetterlinge spielten. Das gefiel ihr weit besser als das Werk des Alois Siebenpunkt.
Kapitel 13: Die Räuberburg
Ach, wie froh hatte dieser Tag begonnen, und wie voller Angst und Schrecken sollte er enden. Maja hatte zuvor noch eine sehr merkwĂźrdige Bekanntschaft gemacht, es war am Nachmittag gewesen, in der Nähe einer groĂen alten Wassertonne. Sie saĂ in den duftenden HolunderblĂźten, die sich in der stillen, schwarzen Wasserfläche der Tonne spiegelten. Ăber ihr sang ein Rotkehlchen so lieblich und froh, daĂ die kleine Maja es gradezu trostlos fand, daĂ man sich mit den VĂśgeln nicht befreunden konnte. Sie waren zu groĂ und fraĂen einen auf, das war die Sache. Sie hatte sich in der weiĂen BlĂźtendolde des Holunder versteckt und lauschte und blinzelte dabei mit den Augen, so daĂ der Sonnenschein ihr spitze Pfeile schickte, als neben ihr jemand seufzte. Als sie sich umdrehte, sah sie das sonderbarste Tier, das ihr jemals begegnet war. Auf den ersten Blick glaubte sie, daĂ es mindestens hundert Beine an jeder Seite hatte. Es war wohl dreimal so 140lang wie sie selbst, aber schmal und niedrig und ohne FlĂźgel.
âHimmel noch mal!â rief Maja ganz erschrocken, âSie mĂźssen aber laufen kĂśnnen.â
Der Fremde sah sie nachdenklich an.
âIch zweifle daran,â meinte er, âes kĂśnnte besser sein. Ich habe zu viele Beine. Wissen Sie, ehe man sie alle bewegt hat, vergeht zu viel Zeit. Es gab Zeiten, in denen ich das nicht gewuĂt habe, da ist mir oft der Wunsch gekommen, ich hätte ein paar Beine mehr. Aber wie Gott will. Wer sind denn Sie?â
Maja stellte sich vor.
Der andere nickte und bewegte einige Beine.
âIch bin Hieronymus,â sagte er, âvon der Familie der TausendfĂźĂler. Wir sind ein altes Geschlecht und erregen Ăźberall Bewunderung. Es gibt keine Tiere, die annähernd unsere Beinzahl aufzuweisen haben. Acht ist das HĂśchste bei den andern, soviel ich weiĂ.â
âSie sind fabelhaft interessant,â sagte die kleine Maja, âund sehr eigenartig in der Farbe. Haben Sie Familie?â
âAber nein! Wieso denn?â fragte der TausendfĂźĂler. âWohin sollte das fĂźhren? Wir kriechen aus dem Ei und damit basta. Wenn nicht einmal wir auf eigenen FĂźĂen stehen kĂśnnten, wer sollte es dann kĂśnnen?â
âDas ist ja richtig,â meinte Maja nachdenklich, âaber haben Sie gar keinen AnschluĂ?â
âNein, meine Gute. Ich ernähre mich und zweifle.â
141âAch, woran zweifeln Sie denn?â
âEs ist mir angeboren,â entgegnete der Fremde, âich muĂ immer zweifeln.â
Maja sah ihn mit groĂen, erstaunten Augen an. Sie verstand nicht, wie er das meinte, und wollte doch nicht allzu neugierig in seine Angelegenheiten eindringen.
âIch zweifle daran,â sagte nach einer Weile Hieronymus, âdaĂ Sie sich hier einen gĂźnstigen Ort zum Aufenthalt ausgesucht haben. Wissen Sie nicht, was drĂźben in der groĂen Weide liegt?â
âNein.â

âSehen Sie, ich habe gleich bezweifelt, daĂ Sie es wissen. Dort liegt die Hornissenstadt.â
Maja wäre fast von der BlĂźtendolde gefallen, so furchtbar erschrak sie. Sie wurde totenblaĂ, und zitternd fragte sie, wo die Stadt läge.
âSehen Sie dort den alten Starenkasten im GebĂźsch am Stamm der Weide? Er ist so ungeschickt angebracht, daĂ ich gleich daran gezweifelt habe, daĂ er jemals von Staren bezogen wird. Wenn so ein Kasten nicht gegen Sonnenaufgang geĂśffnet ist, besinnt sich jeder anständige Vogel, ehe er einzieht. Die Hornissen haben nun darin ihre Stadt angelegt und befestigt. Es ist die grĂśĂte Hornissenburg im Land. Das sollten Sie eigentlich wissen, denn soviel ich beobachtet habe, stellen diese Räuber euch Bienen nach.â
Maja hĂśrte kaum noch zu. Sie unterschied deutlich die braunen Mauern der Burg im GrĂźn, und ihr Atem stockte.
142âIch muĂ fort,â rief sie, âso rasch als mĂśglich.â
Aber da klang hinter ihr ein lautes, bÜses Lachen, und gleich darauf fßhlte die kleine Maja sich so energisch am Kragen gepackt, daà sie meinte, ihr Genick sei gebrochen. Nie in ihrem Leben hat sie dies Lachen vergessen kÜnnen. Es klang wie ein Hohngelächter aus der Finsternis, und ein grauenerregendes Klirren von einem Panzer mischte sich hinein.
Hieronymus lieĂ sich mit allen seinen Beinen zugleich los und purzelte durch die Zweige in die Wassertonne.
âIch zweifle daran, daĂ es gut gehtâ, rief er, aber das hĂśrte die arme kleine Biene nicht mehr.

Sie konnte sich anfangs kaum umkehren, so fest wurde sie gehalten. Sie sah einen goldgepanzerten Arm und dann plĂśtzlich Ăźber sich einen ungeheuren Kopf mit fĂźrchterlichen Zangen. Zuerst glaubte sie, es sei eine riesengroĂe Wespe, aber dann erkannte sie, daĂ sie sich in den Fängen einer Hornisse befand. Das schwarz und gelb getigerte Ungeheuer war wohl viermal so groĂ wie sie selbst.
Endlich lĂśste sich ihre Stimme, und sie schrie so laut um Hilfe, als sie konnte.
âLaĂ doch, Kerlchenâ, meinte die Hornisse mit einer ganz unausstehlichen Freundlichkeit und lächelte Maja bĂśse an. âEs dauert nur so lange, bis es vorĂźber ist.â
âLassen Sie mich los,â schrie Maja, âoder ich steche Sie ins Herz.â
143âGleich ins Herz?â lachte der Räuber, âdas ist ja sehr mutig. Aber es hat noch Zeit, meine Kleine.â
Maja geriet in furchtbare Wut. Mit Aufwendung aller ihrer Kräfte drehte sie sich herum, stieà ihren hellen, hohen Kampfruf aus und richtete ihren Stachel der Hornisse mitten auf die Brust. Aber da geschah das angsterregende Wunder, daà ihr Stachel sich umbog, ohne einzudringen. Er prallte am Panzer des Räubers ab.
Die Augen der Hornisse funkelten vor Zorn.
âIch kĂśnnte dir jetzt deinen Kopf abbeiĂen, Kleine, um dich fĂźr diese Unverschämtheit zu strafen,â sagte sie grimmig, âund ich wĂźrde es auch tun, wenn die KĂśnigin nicht lieber frische Biene äĂe, als tote Biene. So einen fetten Bissen, wie du es bist, bringt man der KĂśnigin, wenn man ein guter Soldat ist.â
Und sie flog mit Maja in die Luft empor und grade auf die Räuberburg zu.
Nein, das ist zuviel, dachte die arme Biene, das hält niemand aus. Und sie verlor die Besinnung.
Als sie nach längerer Zeit aus ihrer Betäubung erwachte war es um sie her schwßl und dämmerig, und die Luft war von einem scharfen durchdringenden Geruch erfßllt, der ihr schrecklicher erschien, als alles was sie kannte. Langsam besann sie sich, und eine lähmende Traurigkeit sank in ihr Herz. Sie wollte weinen und konnte nicht.
144âNoch bin ich nicht gefressen,â sagte sie zitternd, âaber es kann jeden Augenblick stattfinden.â
Durch die Wände ihres Kerkers vernahm sie deutlich Stimmen. Nun sah sie auch, daĂ ein wenig Licht durch eine schmale Spalte fiel. Die Hornissen bauten ihre Mauern nicht aus Wachs, wie die Bienen, sondern aus einer trockenen Masse, die wie lockeres graues Papier aussah. Im schmalen Lichtstreifen, der in ihren Kerker drang, erkannte sie nun auch langsam ihre Umgebung, und sie erstarrte beinahe vor Schreck, als sie rings umher Tote liegen sah. Grade zu ihren FĂźĂen lag ein kleiner Rosenkäfer auf dem RĂźcken, und etwas weiter zur Seite erkannte sie das GerĂźst eines groĂen Laufkäfers, zur Hälfte durchbrochen, und Ăźberall lagen FlĂźgel und Panzerdecken hingemordeter Bienen.
âAch, daĂ mir dies geschehn muĂteâ, wimmerte die kleine Maja. Sie wagte sich nicht mehr zu rĂźhren und preĂte sich frierend vor Entsetzen und Angst in die äuĂerste Ecke der schrecklichen Kammer.
Da hĂśrte sie durch die Wand wieder deutlich die Stimmen der Hornissen, und von Todesangst getrieben kroch sie an den kleinen Spalt und schaute hindurch.
Da sah sie einen groĂen Saal, der ganz mit Hornissen angefĂźllt war und der von einer groĂen Anzahl von gefangenen GlĂźhkäfern auf das prächtigste erleuchtet wurde. Auf einem Thron inmitten der Ihren saĂ die KĂśnigin. Es schien eine wichtige Beratung stattzufinden, Maja verstand jedes Wort.
145Wenn ihr nur diese glitzernden Ungeheuer nicht solch unsägliches Entsetzen eingeflĂśĂt hätten, sie wĂźrde sicher Ăźber ihre Kraft und Pracht in EntzĂźcken geraten sein. Zum erstenmal erkannte sie jetzt deutlich, wie die Räuber aussahen. Mit Staunen und Zittern sah sie den Prunk der goldenen Panzer, die den ganzen Leib hinunter mit herrlichen schwarzen Schienen verziert waren, so daĂ man einen Eindruck von ihnen hatte, wie wohl ein Kind ihn haben mag, das zum erstenmal einen Tiger erblickt.
Ein Wächter ging an den Wänden des Saals umher und forderte die Glßhkäfer auf, aus Leibeskräften zu leuchten. Er tat es leise und drohend, um die Beratung nicht zu stÜren, stieà mit einer langen Stange nach ihnen und zischte jedesmal.
âLeuchte, sonst freĂ ich dich!â
Es war ganz fĂźrchterlich, wie es in der Hornissenburg zuging.
Da hĂśrte Maja die HornissenkĂśnigin sagen:
âAlso bleibt es bei unserer Abmachung: Morgen, eine Stunde vor Sonnenaufgang, versammeln sich die Krieger. Die Stadt der Bienen im SchloĂpark wird Ăźberfallen. Der Stock wird ausgeraubt und mĂśglichst viele Gefangene werden gemacht. Wer Helene die Achte, die BienenkĂśnigin, gefangennimmt und mir lebendig Ăźberliefert, wird in den Ritterstand erhoben. Haltet euch tapfer und bringt mir gute Beute heim. Und hiermit hebe ich die Versammlung auf. Begebt euch zur Ruhe!â

Sie erhob sich nach diesen Worten und verlieĂ mit ihrem Gefolge den Saal.
Die kleine Maja hätte beinahe laut aufgeweint.
âMein Volk,â schluchzte sie, âmeine Heimat!â Sie preĂte ihre Hände in den Mund, um nicht zu schreien, ihre Verzweiflung war grenzenlos. âAch, wäre ich gestorben, ehe ich dies hĂśren muĂteâ, wimmerte sie. âNiemand wird die Meinen warnen. Sie werden im Schlaf Ăźberfallen und ermordet. O lieber Gott, tu ein Wunder, hilf mir, hilf mir und meinem Volk aus unserer Not.â
Im Saal wurden die Glßhkäferchen ausgelÜscht und aufgefressen. Es wurde langsam still in der Burg. An Maja schien niemand mehr zu denken.
Langsam kam ein schwaches Dämmerlicht in ihrem Kerker auf, und ihr war, als klänge von auĂen her das Nachtlied der Grillen. Nie war der Biene etwas furchtbarer erschienen, als dies BurgverlieĂ mit seinen Totengerippen.
Kapitel 14: Die Flucht
Aber die Verzweiflung der kleinen Biene machte bald einer entschlossenen Besinnung Platz. Es war, als erinnerte sie sich wieder daran, daà sie eine Biene war. Hier sitze ich nun und weine und klage, dachte sie plÜtzlich, als ob ich nicht Gedanken und Kräfte hätte. O, ich mache meinem 147bedrohten Volk und meiner KÜnigin wenig Ehre. Sterben muà ich doch, da will ich es wenigstens stolz und mutig tun und nichts unversucht lassen, die Meinen zu retten.
Es war, als vergäĂe sie ganz die lange Zeit der Trennung von den Ihren und der Heimat, sie fĂźhlte sich ihnen zugehĂśriger als je, und die groĂe Verantwortung, die plĂśtzlich auf ihr ruhte, weil sie den Plan der Hornissen kannte, verlieh ihr groĂe Entschlossenheit und viel Mut.
MĂźssen die Meinen unterliegen und sterben, so will ich es auch, dachte sie, aber vorher will ich nichts ungetan lassen, sie zu retten.
âEs lebe meine KĂśnigin!â rief sie.
âRuhe da drinnen!â scholl es barsch von auĂen.
Hu, war das eine fĂźrchterliche Stimme. Es muĂte der Wächter gewesen sein, der die Runde machte. Offenbar war es längst Nacht.
Als der Schritt drauĂen verhallt war, begann Maja sogleich damit, den Spalt zu erweitern, der in den Saal fĂźhrte. Es gelang ihr leicht, die mĂźrbe Wand zu zerbeiĂen, wenn sie auch lange Zeit brauchte, bevor die Ăffnung groĂ genug war. Endlich konnte sie sich hindurchzwängen. Sie tat es vorsichtig und mit pochendem Herzen, sie wuĂte, daĂ es ihr Leben kosten wĂźrde, wenn man sie entdeckte. Aus unbekannten GrĂźnden der Burg scholl ein tiefes Schnarchen.
Der Saal lag in gedämpftem blauen Licht, das vom Eingang hineinsank. Das ist Licht vom Mond, wuĂte 148Maja und schritt vorsichtig dahin, wobei sie sich stets in den tiefen Schatten an den Wänden hielt. Vom Saal fĂźhrte ein schmaler hoher Flur zum Ausgang, von dort kam das Himmelslicht der Nacht. Maja seufzte tief auf, sie sah ganz fern in unendlicher Weite einen Stern am Himmel schimmern. Ach Freiheit, dachte sie.

Der Gang war ganz hell. Leise, Schritt fĂźr Schritt, schlich sie voran, das Tor kam immer näher. Wenn ich jetzt auffliege, dachte sie, so bin ich drauĂen. Ihr Herz schlug in der Brust, als ob es sie zersprengen wollte.
Da sah sie im Schatten des Tores an einer Säule den Wächter lehnen.
Wie angewurzelt blieb sie stehen, alle ihre Hoffnung sank dahin. Dort war kein VorĂźberkommen. Was sollte sie tun? Das Beste wird sein, ich kehre um, dachte sie, aber der Anblick des Riesen am Tor hielt sie im Bann. Es schien, als schaute er ganz in Gedanken versunken in die beleuchtete Nachtlandschaft hinaus. Er hatte sein Kinn in die Hand gestĂźtzt, und sein Kopf war ein wenig geneigt. Wie der goldene Panzer im Mond glänzte! In seiner Haltung war etwas, das die kleine Maja bewegte. Er sieht so traurig aus, dachte sie, wie schĂśn er ist, wie edel ist seine Haltung und wie stolz funkelt seine RĂźstung. Tag und Nacht legt er sie nicht ab, er ist immer bereit zu rauben, zu kämpfen und zu sterben âŚ
Die kleine Maja vergaĂ ganz, daĂ es ihr Feind war, den sie vor sich sah. Ach, wie oft war es ihr so gegangen, 149daĂ ihr Herz und seine Freude am SchĂśnen sie alle Gefahr vergessen lieĂ.
Da schoĂ ein goldener Lichtblitz vom Helm des Räubers, er muĂte den Kopf bewegt haben.
âLieber Gott,â flĂźsterte die kleine Maja, âjetzt ist es aus.â
Da sagte der Wächter ganz ruhig:
âKomm nur näher, Kleine.â
âWas?â rief Maja, âwie? Sie haben mich gesehen?â
âDoch, Kind, schon lange. Du hast ein Loch in die Wand gebissen, und hast dich dann, immer hĂźbsch im Schatten, bis hierher bewegt. Dann hast du mich gesehen und mit deinem Mut war es zu Ende. Ist es so?â
âJa,â sagte Maja, âSie haben ganz recht.â Sie zitterte vor Grauen am ganzen KĂśrper. Also die ganze Zeit Ăźber hatte der Wächter sie beobachtet. Sie erinnerte sich nun, davon gehĂśrt zu haben, wie scharf die Sinne dieser klugen Räuber sind.
âWas willst du denn hier?â fragte der Wächter gutmĂźtig. Maja fand immer noch, daĂ er traurig aussah, er schien an ganz andere Dinge zu denken, ihm war dies alles gar nicht so wichtig wie ihr selbst.

âHinaus mĂśchte ichâ, antwortete sie. âIch habe auch nicht den Mut verloren, sondern ich war nur erschrocken Ăźber Ihre Kraft und SchĂśnheit und Ăźber den goldenen Glanz Ihrer RĂźstung. Jetzt werde ich mit Ihnen kämpfen.â
Der Wächter beugte sich erstaunt ein wenig vor und sah Maja an und lächelte. Es war gar nicht bÜse, dies Lächeln, 150die kleine Biene hatte dabei ein Empfinden, das sie noch niemals im Leben gekannt hatte. Ihr war zumute, als ob dieses Lächeln des jungen Kriegers eine heimliche Gewalt ßber ihr Herz ausßbte.
âKleine,â sagte er beinahe herzlich, ânein, kämpfen werden wir nicht. Ihr seid ein mächtiges Volk, aber wir sind stärker. Am wenigsten aber wird je eine einzelne Hornisse mit einer einzelnen Biene kämpfen. â Wenn du magst, kannst du gern ein wenig hierbleiben und mit mir plaudern. Aber nur noch kurz, bald werde ich die Soldaten wecken und dann muĂt du in deine Zelle zurĂźck.â
Seltsam, diese Ăźberlegene Freundlichkeit der Hornisse entwaffnete Maja mehr, als Zorn oder HaĂ es gekonnt hätten. Es war beinahe etwas wie Bewunderung, das sie empfand. Sie sah mit groĂen traurigen Augen zu ihrem Feind auf, und da sie immer dem Zug ihres Herzens folgen muĂte, sagte sie:
âIch habe stets nur BĂśses von den Hornissen gehĂśrt, aber Sie sind nicht bĂśse. Ich kann nicht glauben, daĂ Sie bĂśse sind.â
Der Krieger sah Maja ruhig an:
âEs gibt Ăźberall bĂśse und gute Leuteâ, sagte er ernst. âAber wir sind eure Feinde, das vergiĂ nicht. Es wird immer so bleiben.â
âMuĂ denn ein Feind immer schlecht sein?â fragte Maja. âAls Sie vorhin in die Nacht hinausschauten, habe ich vergessen mĂźssen, daĂ Sie hart und mir feindlich sind. Mir 151war zumute, als ob Sie traurig wären, und ich habe immer gemeint, Wesen, die traurig sind, kĂśnnen unmĂśglich bĂśse sein.â
Und als der Wächter schwieg, fuhr Maja um vieles mutiger fort:
âSie sind mächtig. Wenn Sie wollen, kĂśnnen Sie mich wieder in meine Zelle schaffen und ich muĂ sterben, aber wenn Sie wollen, so kĂśnnen Sie mir auch meine Freiheit schenken.â
Da richtete der Krieger sich auf. Sein Panzer klirrte ein wenig, und der Arm, den er hob, blinkte im Mondlicht, das verblassend auf dem Tor lag. Kam schon der Morgen?
âDu hast ganz recht,â sagte er, âdiese Macht habe ich. Diese Macht ist mir von meinem Volk und meiner KĂśnigin anvertraut worden. Der Befehl lautet, daĂ keine Biene je wieder die Burg lebendig verlassen darf, die sie einmal betreten hat. Ich werde meinem Volk Treue halten.â Und nach einer Weile des Schweigens fĂźgte er leiser hinzu, als spräche er zu sich selbst: âIch habe zu bitter erfahren, wie weh die Untreue tun kann, als Schnuck mich verlieĂ âŚâ
Die kleine Maja stand erschĂźttert und wuĂte nichts zu antworten. Ach, sie selber trieb das gleiche GefĂźhl, die Liebe zu den Ihren, die Treue gegen ihr Volk. Sie fĂźhlte, hier gab es kein anderes Mittel mehr als List oder Gewalt, es tat jeder seine Pflicht und doch blieben sie einander 152fremd und feind. â Aber hatte der Krieger nicht zuletzt einen Namen genannt? Hatte er nicht von einer Untreue gesprochen, die jemand gegen ihn begangen hatte? Schnuck kannte sie ja, war das nicht die schĂśne Libelle gewesen, die am Seeufer bei den Wasserrosen wohnte? Sie bebte vor Aufregung, vielleicht lag hier eine Rettung fĂźr sie, aber sie wuĂte noch nicht, inwiefern. Vorsichtig fragte sie:
âWer ist denn Schnuck, wenn ich fragen darf?â

âAch, das kĂźmmert dich nicht, Kleine,â antwortete der Wächter, âsie ist fĂźr mich verloren und ich werde sie nie mehr finden.â
âIch kenne Schnuck,â sagte Maja und zwang sich zur Gelassenheit, âsie gehĂśrt zur Familie der Libellen und ist wahrscheinlich die schĂśnste, die es unter ihnen gibt.â
Maja hatte den Krieger noch nicht so gesehen, wie nach diesen Worten, er schien alles um sich her vergessen zu haben und sprang stĂźrmisch auf sie zu.
âWie?â rief er, âdu kennst Schnuck? Sofort sagst du, wo sie ist.â
âNeinâ, sagte die kleine Maja, ganz still und fest. Aber innerlich glĂźhte sie vor Freude.
âIch beiĂe dir den Kopf ab, wenn du nicht sprichstâ, rief der Wächter. Er kam ganz nahe.
âDer wird mir ja sowieso abgebissen. Tun Sieâs nur! Ich werde doch nicht die liebliche Libelle verraten, mit der ich eng befreundet bin! Jedenfalls wollen Sie sie gefangennehmen.â
153Der Krieger atmete schwer. Da es drauĂen zu dämmern begann, sah Maja, daĂ seine Stirn bleich war und seine Augen voll Angst und Unfrieden.
âMein Gott,â sagte er verstĂśrt, âes ist Zeit, ich muĂ die Krieger wecken. â Nein, nein, kleine Biene, ich will Schnuck nichts BĂśses tun. Ich liebe Schnuck mehr als mein Leben. Sag mir, wo ich sie wiederfinde!â
âIch liebe mein Leben auchâ, sagte die kleine Maja klug und zĂśgernd.
âWenn du mir den Aufenthalt der Libelle Schnuck verrätst,â sagte der Wächter und Maja sah, daĂ er mĂźhsam sprach und am ganzen KĂśrper zitterte, âso werde ich dich freigeben, dann kannst du fliegen, wohin du willst.â
âWerden Sie Wort halten?â
âMein Ehrenwort als Räuberâ, sagte der Wächter stolz.
Die kleine Maja konnte kaum sprechen. Kam es nicht auf jede einzelne Minute an, wenn sie die Ihren noch rechtzeitig vor dem Ăberfall warnen wollte? Aber ihr Herz jubelte.
âGutâ, sagte sie. âIch glaube Ihnen. So hĂśren Sie: Kennen Sie die alten Linden beim SchloĂ? Hinter ihnen ziehen sich viele Blumenwiesen hin und endlich kommt ein groĂer See. Im Seewinkel im SĂźden, wo der Bach einmĂźndet, stehen in der Sonne die weiĂen Seerosen im Wasser. Dort im Schilf wohnt Schnuck, Sie finden sie jeden Mittag dort, wenn die Sonne hoch steht.â
154Der Krieger hatte beide Hände an seine blasse Stirn gedrßckt. Er schien schwer mit sich selbst zu kämpfen.
âDu hast rechtâ, sagte er leise und stĂśhnte so, daĂ man nicht sagen konnte, ob er Schmerz oder Freude empfand. âSie hat mir erzählt, sie wollte zu weiĂen schwimmenden Blumen. Das werden die Blumen sein, von denen du gesprochen hast. So flieg denn, und habâ Dank!â
Und wirklich trat er vom Eingang zurĂźck. DrauĂen dämmerte der Tag herauf.
âEin Räuber hält sein Wortâ, sagte er. Er wuĂte nicht, was die kleine Maja in dieser Nacht in der Burg gehĂśrt hatte, und so dachte er: Was liegt an einer kleinen Biene, gibt es nicht genug andere?
âLeben Sie wohlâ, rief Maja und flog davon, atemlos vor Hast und ohne ein Wort des Dankes. Es war wirklich keine Zeit mehr dazu.
Kapitel 15: Die Heimkehr
Die kleine Maja nahm ihre ganzen Kräfte zusammen, alles an Willen und Tatkraft, was ihr geblieben war. Wie eine Kugel aus dem Lauf einer Jagdbßchse flog sie blitzschnell schnurgrade durch die bläuliche Morgenluft dahin, grade auf den Wald zu. Die Bienen kÜnnen rascher fliegen als die meisten anderen Insekten. Dort war sie zunächst sicher, dort konnte sie sich verstecken, falls die Hornisse bereuen sollte, sie freigegeben zu haben, und ihr folgte.
Aus den Bäumen fielen schwere Tropfen in die welken Blätter des Waldbodens. Es war so kalt, daĂ der Biene die FlĂźgel zu erstarren drohten. Ăberall lagen feine Schleier in der Ebene, und vom Morgenrot war nichts zu sehen. Dabei war es so still in der Runde, als habe die Sonne die Erde vergessen und als hätten alle Wesen sich zu einem Todesschlaf niedergelegt. Da flog Maja so hoch empor in die Luft als sie konnte. Es galt fĂźr sie nur eines: sie muĂte so rasch als ihre Kräfte und Sinne zulieĂen, den Stock der Ihren finden, ihr Volk, ihre bedrohte Heimat. Sie muĂte die Ihren warnen, daĂ sie sich gegen den Ăberfall rĂźsten konnten, den die furchtbaren Räuber an diesem Morgen planten. O, das Volk der Bienen war stark und wohl befähigt, den Kampf mit den Ăźberlegenen Gegnern aufzunehmen, wenn sie sich wappnen konnten und zur Verteidigung vorbereiten. Niemals aber, wenn sie Ăźberrumpelt und im Erwachen Ăźberfallen wurden. Wenn die KĂśnigin und die Soldaten noch schliefen, dann wĂźrde es ein furchtbares Morden geben und viele Gefangene, und der Erfolg der Hornissen war gewiĂ. Und nun, da die kleine Biene an die Kraft und die Stärke der Ihren dachte, an ihre Todesbereitschaft und ihre Treue gegen die KĂśnigin, Ăźberkam sie ein hoher Zorn gegen die Feinde und zugleich ein beseligter Opferwille und ein beglĂźckender Mut ihrer begeisterten Liebe.
156Es war nicht leicht fĂźr sie, sich in der Umgegend zurechtzufinden. Sie hatte sich schon seit lange nicht mehr auf jene Art das Land gemerkt, wie die anderen Bienen es gewohnt waren, die immer von weiten AusflĂźgen mit ihrer Honigtracht zum Stock zurĂźckfinden muĂten.
Ihr war, als sei sie noch niemals so hoch in der Luft gewesen, wie nun, die KĂźhle tat ihr weh, und sie konnte die einzelnen Gegenstände drunten kaum noch deutlich unterscheiden. Worauf soll ich mich verlassen, dachte sie, ich habe keinen Anhalt und werde den Meinen keine Hilfe bringen kĂśnnen. âAch, hier war nun die beste Gelegenheit, alles gutzumachen,â seufzte sie in ihrer Angst, âwas soll ich tun?â Aber plĂśtzlich trieb es sie mit heimlichen Mächten unwiderstehlich nach einer bestimmten Richtung hin. Was ist es nur, das mich drängt und zieht, dachte sie, es muĂ mein Heimweh sein, das mich fĂźhrt. Und sie ĂźberlieĂ sich diesem GefĂźhl und flog so rasch sie konnte gradeaus. Und plĂśtzlich brach sie in helles Jubeln aus, dort schimmerten fern wie graue Kuppeln aus der Dämmerung die Baumkronen der groĂen Linden des SchloĂparks. Nun wuĂte sie sich zurechtzufinden und augenblicklich lieĂ sie sich bis dicht Ăźber die Erde nieder. Sie sah auf den Wiesen zur Seite die hellen Nebelstriche wieder dichter und dachte an die Blumenelfen, die dort getrost und selig ihren frĂźhen Tod starben. Das fĂźllte ihr das Herz aufs neue mit Zuversicht, und ihre Angst verlor sich. Mochten die Ihren sie wegen ihrer Flucht aus dem Reiche verachten, mochte die 157KĂśnigin sie strafen, wenn nur ihr Volk von dem furchtbaren Unheil verschont blieb, das ihm drohte.
Dort schimmerte schon dicht an der langen Steinmauer die Blautanne, die die Bienenstadt der Ihren gegen den Westwind schĂźtzte, und nun sah sie die bekannten FluglĂścher, die roten, blauen und grĂźnen Tore ihrer Heimat leuchten. Ihr Herz schlug so stĂźrmisch, daĂ sie glaubte, ihr Atem mĂźĂte ihr vergehn, aber sie hielt aus und steuerte grade auf den Eingang des roten Tors zu; dort fĂźhrte es zu ihrem Volk und zu ihrer KĂśnigin.
Als sie sich auf dem Flugbrett vor dem Tore niederlieĂ, vertraten ihr die beiden Wächter den Eingang und ergriffen sie sogleich. Maja konnte in ihrer Atemlosigkeit anfangs kein Wort hervorbringen, und die Wachen machten Miene, sie zu tĂśten. Denn es ist den Bienen bei Todesstrafe verboten, in eine fremde Stadt zu dringen ohne den Willen der KĂśnigin.
âZurĂźck!â rief der Wächter und stieĂ sie rauh vor sich her, âwas kommt Ihnen in den Sinn?! Wenn Sie nicht augenblicklich umkehren, ist es um Sie geschehen.â Und dem anderen Wächter zugewandt, sagte er: âIst dir schon einmal so etwas vorgekommen, und noch dazu vor Tagesanbruch?â

Da rief Maja das Losungswort ihres Volks, woran alle Bienen die Ihren erkannten, und die Wächter lieĂen sie augenblicklich los.
âWas ist das?!â riefen sie, âdu bist eine der Unsrigen, und wir kennen dich nicht?â
158âLaĂt mich vor die KĂśnigin,â stĂśhnte die kleine Maja, âgleich, rasch, es droht groĂes Unheil.â
Die Wächter zÜgerten noch, sie verstanden nicht, was vor sich ging.
âDie KĂśnigin darf nicht vor Sonnenaufgang geweckt werdenâ, sagte der eine von ihnen.
Da schrie Maja so laut und leidenschaftlich, wie die beiden wohl niemals eine Biene haben schreien hĂśren:
âSo erwacht die KĂśnigin vielleicht nie mehr zum Leben! Der Tod folgt mir auf dem FuĂ.â Und sie fĂźgte so wild und zornig hinzu: âIhr sollt mich vor die KĂśnigin fĂźhren!â daĂ die Wächter ganz erschrocken und tief ergriffen gehorchten.
Nun eilten sie miteinander durch die warmen, vertrauten StraĂen und Gänge, die Maja alle wiedererkannte, und obgleich ihre Erregung und Hast sie fast Ăźberwältigten, zitterte doch ihr Herz vor Wehmut unter den Wohltaten ihrer Heimat.
âIch bin zu Hauseâ, stammelte sie mit blassen Lippen.
Im Empfangssaal der KĂśnigin brach sie beinahe zusammen. Einer der Wächter stĂźtzte sie, während der andere mit der ungewĂśhnlichen Botschaft in die Gemächer der KĂśnigin eilte. Sie hatten nun beide erkannt, daĂ etwas ganz AuĂerordentliches im Anzuge war, und der Bote lief so rasch, als seine FĂźĂe ihn trugen.
Die ersten Wachsbereiterinnen waren schon auf, neugierig schaute hier und da ein KÜpfchen durch die Eingänge, die Nachricht dieses Vorfalls verbreitete sich schnell.
159Da kamen zwei Offiziere aus den Gemächern der KĂśnigin. Maja erkannte sie sogleich, sie nahmen ernst und schweigend am Eingang ihre Stellungen ein, ohne Maja anzureden; nun muĂte gleich die KĂśnigin erscheinen.
Sie kam ohne ihren Hofstaat, nur in Begleitung zweier Dienerinnen und ihres Leibadjutanten. Als sie Maja sah, trat sie schnell auf sie zu, und da sie den argen Zustand und die groĂe Erregung der kleinen Biene sah, verlor sich der Zug von Ernst und Strenge ein wenig, der in ihrem Gesicht gelegen hatte.
âDu kommst mit einer wichtigen Botschaft?â fragte sie ruhig. âWer bist du?â
Maja konnte nicht gleich sprechen. Endlich brachte sie mĂźhsam nur die Worte hervor:
âDie Hornissen!â
Die KĂśnigin erbleichte, aber sie blieb gefaĂt, und das beruhigte auch Maja ein wenig.
âGroĂmächtige KĂśnigin,â rief sie, âvergib mir, daĂ ich die Pflichten nicht beachte, die deine Hoheit und WĂźrde erheischen, ich will später alles sagen, was ich getan habe und was ich von Herzen bereue. Ich bin in dieser Nacht wie durch ein Wunder der Gefangenschaft der Hornissen entronnen, und das letzte, was ich von ihnen gehĂśrt habe, ist, daĂ in der Morgendämmerung dieses Tages unser Reich Ăźberfallen und ausgeraubt werden soll!â
Das Entsetzen, das diese Worte der kleinen Maja bei allen Anwesenden hervorriefen, läĂt sich kaum schildern. 160Die beiden Dienerinnen, die die KĂśnigin begleiteten, brachen in lautes Jammern aus, und die Offiziere am Eingang machten Miene, bleich vor Schreck, davonzufliegen und Alarm zu schlagen. Der Adjutant sagte: âJa Herrgott âŚâ, und drehte sich einmal um sich selbst, weil er sich nach allen Seiten zugleich umsehen wollte.
Es war wirklich ein ganz auĂerordentlicher Anblick, zu sehen, mit welcher Ruhe und Geisteskraft die KĂśnigin die furchtbare Nachricht aufnahm. Sie reckte sich ein wenig empor, und in ihre Haltung kam etwas, was alle einschĂźchterte und ihnen zugleich ein grenzenloses Vertrauen einflĂśĂte. Die kleine Maja zitterte vor Erhobenheit, so etwas Bedeutungsvolles an Ăberlegenheit glaubte sie noch niemals gesehen zu haben. Und die KĂśnigin winkte die Offiziere an ihre Seite und sprach laut und gefaĂt ein paar rasche Sätze zu ihnen. Maja hĂśrte zum SchluĂ noch die Worte: âIch gebe euch eine Minute zur AusfĂźhrung meines Befehls, wenn es länger dauert, kostet es euren Kopf.â Aber die beiden Offiziere sahen gar nicht so aus, als ob man sie anfeuern mĂźĂte; sie stĂźrmten davon, daĂ es eine Freude zu sehen war.

âO, meine KĂśniginâ, sagte die kleine Maja.
Da neigte sich die KĂśnigin noch fĂźr einen kleinen Augenblick zu Maja nieder, noch einmal fĂźr kurze Zeit sah die kleine Biene das Angesicht ihrer FĂźrstin milde und voll Liebe erstrahlen.
âHabâ Dank,â sagte sie zu Maja, âdu hast uns alle 161gerettet, was immer vorher geschehen sein mag, du hast es tausendfältig gut gemacht. Aber nun geh und ruh dich aus, mein Herzchen, du siehst elend aus, und deine Hände zittern.â
âIch mĂśchte fĂźr dich sterbenâ, stammelte Maja bebend.
Da antwortete die KĂśnigin:
âSei nun ohne Sorge um uns. Unter all den Tausenden, die diese Stadt bewohnen, ist nicht eine einzige, die nicht ohne Besinnen ihr Leben fĂźr das Wohl der anderen und fĂźr mein Wohl hingeben wĂźrde. Du kannst ruhig schlafen.â
Sie beugte sich zu der kleinen Maja nieder und kĂźĂte sie auf ihre Stirn, dann winkte sie ihren Dienerinnen und befahl ihnen, fĂźr das Wohl und die Ruhe Majas Sorge zu tragen.
Die kleine Biene lieà sich willenlos und tief von Herzen beglßckt davonfßhren. Ihr war zumute, als habe ihr das Leben nun nichts SchÜneres mehr zu geben. Sie hÜrte wie im Traum noch in der Ferne hohe helle Signalrufe, sah wie die Wßrdenträger des Staates sich um die Eingänge der KÜnigsgemächer drängten, und dann vernahm sie ein dumpfes, weithinhallendes DrÜhnen, das den ganzen Stock erschßtterte.
âDie Soldaten! Unsere Soldaten!â flĂźsterte neben ihr die Dienerin.
Das letzte, was sie in der kleinen stillen Kammer hĂśrte, in der ihre Begleiterinnen sie zur Ruhe betteten, war 162dicht unter ihrer TĂźr der Marschschritt vorbeieilender Truppen. Sie vernahm eine klare Kommandostimme, die froh und zuversichtlich klang, und in ihren ersten Traum hinein tĂśnte das alte Soldatenlied der Bienen, und sie hĂśrte, verklingend wie aus weiter Ferne:
Sonne, goldne Sonne du
leuchte unserm Treiben.
Segne unsere KĂśnigin,
laĂ uns einig bleiben.
Kapitel 16: Die Schlacht der Bienen und Hornissen
Es herrschte eine ungeheuere Erregung im Reich der Bienen. Selbst in den Tagen der Revolution war der Aufruhr nicht so groĂ gewesen. Der Stock brauste. Es war nicht eine Biene, die nicht von einem heiligen Zorn der EmpĂśrung befallen war und von glĂźhendem Verlangen, den alten Todfeinden mit ganzer Kraft zu begegnen. Und doch traten weder Verwirrung noch Unordnung ein, es war gradezu erstaunlich, wie rasch die Regimenter sich gesammelt hatten und wie gut jeder wuĂte, was seine Pflicht war und wodurch er sich nĂźtzlich machen konnte.
Allerdings war es die hĂśchste Zeit. Als auf den Ruf der KĂśnigin die Freiwilligen vortraten, die sich als erste zu der Verteidigung des Eingangs hergaben, kamen rasch wie sausende PĂźnktchen die ersten Botschafter zurĂźck, die ausgesandt worden waren und nun meldeten, daĂ die Hornissen nahten. Es trat eine furchtbare Ruhe der Erwartung ein. Mit gefaĂtem Ernst und bleich vor Stolz, standen die ersten Soldaten hart am Eingang in drei geschlossenen Reihen. Keiner sprach mehr, es war totenstill umher. Nur im Hintergrund hĂśrte man die leisen Kommandorufe der Offiziere, die die Reserven ordneten. Es schien, als schliefe der Stock. Nur am Tor arbeiteten leise und fieberhaft noch etwa ein Dutzend Wachsbereiterinnen, die den Befehl erhalten hatten, den Eingang mit Wachs zu verengen. Wie durch ein Wunder waren in den wenig Minuten zwei dicke Wachswände entstanden, die auch die stärkste Hornisse nicht ohne Zeitverlust zerstĂśren konnte. Das Flugloch war fast um die Hälfte verkleinert worden.
Die KĂśnigin hatte einen Posten inne, von dem aus sie in der Lage war, den Kampf zu Ăźberblicken. Ihre Adjutanten eilten und flogen hin und her. Nun war schon der dritte Kundschafter zurĂźck. Er sank vĂśllig erschĂśpft vor der KĂśnigin nieder.
âIch bin der Letzte, der zurĂźckkommt,â schrie er mit äuĂerster Anstrengung, âdie andern sind tot.â
âWo sind die Hornissen?â fragte die KĂśnigin.
âBei den Lindenâ, rief er, und dann stammelte er in Todesangst: âHĂśrt, hĂśrt! die Luft saust von den FlĂźgeln der Riesen!â
Es war nichts zu hĂśren. Es muĂte seine Angst sein, daĂ er immer noch glaubte, verfolgt zu werden.
âWie viele sind es?â fragte die KĂśnigin streng, âsprich leise.â
âIch habe vierzig gezähltâ, flĂźsterte der Botschafter, und obgleich die KĂśnigin Ăźber die Stärke des Feindes erschrak, sagte sie doch laut und zuversichtlich:
âEs wird keine von ihnen ihre Heimat wiedersehen.â

Die Worte der KĂśnigin wirkten auf die Soldaten und Offiziere wie eine furchtbare Wahrsagung zum Unheil des Feindes, und der Mut aller hob sich.
Als aber nun drauĂen in der stillen Morgenluft erst leise und dann lauter und lauter ein scharfes unheilvolles Surren entstand, als der Eingang sich verdunkelte und alle deutlich die schrecklichen FlĂźsterstimmen dieser grausamsten Räuber und MĂśrder vernahmen, die es in der Welt der Insekten gibt, da erbleichten die Angesichter der kleinen mutigen Bienen, als ob ein fahler Lichtschein Ăźber die Reihen sänke. Sie sahen einander mit Augen an, in denen der Tod wartete, und die ersten wuĂten, daĂ keine Minute mehr vergehen wĂźrde, bis sie ihr Leben gelassen hatten.
Da klang die gefaĂte Stimme der KĂśnigin ruhig und klar aus der HĂśhe:
âLaĂt die Räuber eindringen, einen nach dem andern, bis ihr meinen Befehl hĂśrt, dann stĂźrzen die ersten Reihen, je hundert zugleich, sich auf die Eingedrungenen, und die hinteren Reihen decken den Eingang. Auf diese Art teilen wir die Streitmacht des Feindes. Bedenkt ihr Ersten, von eurer Kraft und Ausdauer und von eurem Mut hängt das Wohl des ganzen Staates ab. Aber seid getrost, die Feinde werden im Dämmerlicht nicht sogleich erkennen, wie wohl wir gerĂźstet sind und arglos eindringen âŚâ
Sie brach ihre Worte ab, denn im Tor erschien der Kopf des ersten Räubers. Tastend und vorsichtig spielten die FĂźhler, die Zangen Ăśffneten und schlossen sich, daĂ einem das Blut erstarren konnte, und langsam schob der ungeheure getigerte Leib mit seinen starken FlĂźgeln sich nach. Der Panzer funkelte im Licht, das von auĂen eindrang.
Es ging wie ein Zittern durch die Reihen der Bienen, aber kein Laut war vernehmbar.
Die Hornisse trat leise zurĂźck, und man hĂśrte ihre Meldung:
âDer Stock schläft! Aber der Eingang ist halb vermauert und es sind keine Wächter da. Ich weiĂ nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist.â
âEin gutes!â klang es von auĂen, âvorwärts!â
Da sprangen zwei Riesen nebeneinander hinein, lautlos drängte es flimmernd, getigert und gepanzert nach. Es war fĂźrchterlich anzuschauen. Nun waren schon acht der Räuber im Stock und immer noch erklang kein Befehl der KĂśnigin. War sie vor Entsetzen erstarrt, daĂ ihre Stimme versagte? Sahen denn die Räuber immer noch nicht, daĂ zur Rechten und zur Linken dicht gedrängt und todesbereit im Schatten die glitzernden Reihen der Soldaten standen âŚ
Da klang es laut aus der HĂśhe:
âIm Namen eines ewigen Rechts und im Namen der KĂśnigin, verteidigt das Reich!â
Da erhob sich ein Brausen und fßllte die Luft, wie noch kein Kriegsgeschrei die Stadt erschßttert hatte. Es erschien, als mßsse der ganze Stock durch dies tobende Brummen zersprengt werden, und wo eben noch klar gesondert die einzelnen Hornissen kenntlich gewesen waren, wälzten sich nun in dichten, dunklen Knäueln brausende Haufen. Ein junger Offizier der Bienen hatte kaum das Ende des Kommandos abgewartet. Er wollte der erste sein, der angriff, und er war der erste, der starb. Er hatte schon eine Weile bebend vor Kampfeslust, zum Sprung bereit dagestanden, und als ßber ihm das erste Wort des Befehls laut wurde, stßrmte er vor, gerade dem vordersten Räuber in die Fänge, und sein feiner, unendlich spitzer Stachel fand den Weg zwischen dem Kopf und dem Brustring in den Hals seines Gegners. Er sah noch, wie die Hornisse sich mit einem wßtenden Aufschrei zusammenkrßmmte, so daà sie fßr einen Augenblick wie eine gelbschwarze, glitzernde Kugel erschien, dann drang der furchtbare Stachel des Räubers dem jungen Offizier durch die Brustringe ins Herz, und sterbend sah er sich und den tÜdlich getroffenen Feind in einer Wolke der Seinen versinken. Sein kßhner Soldatentod hatte allen die wilde Seligkeit einer hohen Todesbereitschaft ins Herz gesenkt, und der Ansturm der Bienen wurde zu einer furchtbaren Not fßr die Eindringlinge.
Aber die Hornissen sind ein altes, kampfgewohntes Räubervolk, und Morden und Rauben ist ihnen längst zum grausigen Handwerk geworden. Wenn auch der erste Anprall der Bienen sie verwirrt und versprengt hatte, so bedeutete er nicht so viel an Schaden, als es anfangs erscheinen mochte. Denn die Stachel der Bienen drangen nicht durch die Panzer der Riesen, und die Kraft und GrĂśĂe der Hornissen gab ihnen eine Ăberlegenheit, derer sie sich wohl bewuĂt waren. Ihre durchdringenden, surrenden Kampfrufe, vor denen alle Wesen in Entsetzen geraten, die sie hĂśren, Ăźberhallten das Kriegsgeschrei der Bienen. FĂźrchten doch sogar die Menschen diesen Warnruf der Hornissen und weichen ihnen lieber aus, ehe sie ungewappnet den Kampf mit ihnen wagen.

Die Ăźberfallenen Hornissen, die bereits in den Stock eingedrungen waren, erkannten rasch, daĂ sie vor allen Dingen vordringen muĂten, um den Ihren drauĂen nicht selbst den Eingang zu sperren. Und so wälzten sich die kämpfenden Knäuel voran in die dunklen StraĂen und Gänge. Wie richtig war der Befehl der KĂśnigin gewesen, denn kaum war ein wenig Platz am Eingang entstanden, da stĂźrzten die hinteren Reihen der Soldaten vor, um ihn zu verteidigen. Es war eine altbewährte und furchtbare Kampfweise, die befolgt wurde. Kaum hatte eine Hornisse sich am Eingang im Kampfe ermĂźdet, so taten die Bienen, als seien sie selbst erschĂśpft, und lieĂen den Räuber eindringen. Aber stets gelang es nur dieser einen Hornisse in die Stadt zu gelangen, denn kaum drängte die zweite nach, so stĂźrzte sich auch schon ein dichter Schwarm neuer Soldaten auf das scheinbar unverteidigte Tor. Und der eingedrungene Gegner, der vom Kampf ermĂźdet war, sah sich plĂśtzlich den glitzernden Reihen ganz neuer Bienenkrieger gegenĂźber, die noch kein Glied im Kampf gerĂźhrt hatten, und meist erlag er schon im ersten Ansturm ihrer Ăbermacht.
Aber in die Kampfrufe mischten sich nun schon seit lange das Todesgeschrei der Sterbenden, das Jammern der Verwundeten und ein wildes, schmerzvolles StĂśhnen voll Todesangst und Abschiedsweh. Die furchtbaren Stachel der Hornissen hatten in der entsetzlichsten Weise unter den Bienen gewĂźtet. Die wälzenden Haufen der Kämpfenden im Stock lieĂen eine ganze Bahn von Toten zurĂźck. Die eingeschlossenen Hornissen hatten erkannt, daĂ ihnen der Ausweg abgeschnitten war, und daĂ wohl keine von ihnen das Tageslicht wieder erblicken wĂźrde. So kämpften sie einen furchtbaren Verzweiflungskampf. Aber langsam erlagen sie doch, eine nach der anderen, denn es trat ein Umstand ein, der den Bienen sehr zugunsten kam, erschĂśpfte sich auch die Kraft der Riesen nicht so rasch, so erschĂśpfte sich doch das Gift ihrer Stachel und ihre Stiche wirkten nicht mehr tĂśdlich. Die verwundeten Bienen wuĂten jetzt, daĂ sie sich erholen wĂźrden, das gab ihnen ein ganz neues SiegesbewuĂtsein, zu dem der Schmerz um ihre Toten kam, der ihnen hĂśchste Kräfte des Zorns verlieh.
Langsam wurde es stiller. Die lauten Zurufe der Hornissen vor dem Stock fanden keinen Widerhall mehr bei den eingedrungenen Gefährten.
âSie sind alle totâ, sagte die FĂźhrerin der Hornissen in grimmigem Schmerz und rief die Kämpfenden vom Tor zurĂźck. Ihre Schar war auf die Hälfte zusammengeschmolzen. Bis zu ihnen hinaus tĂśnte das DrĂśhnen des zornigen Bienenstocks.
âEs muĂ Verrat vorliegen,â sagte die FĂźhrerin wieder, âdie Bienen waren vorbereitet.â
Sie hatten sich auf der Blautanne versammelt. Es war langsam immer heller geworden, und das Morgenrot vergoldete schon die Wipfel der Linden. Die Vogelrufe wurden laut, und der Tau fiel. Bleich und vor Kampfeswut zitternd standen die Krieger um ihre FĂźhrerin, die innerlich mit sich rang, ob sie ihrer Raublust oder ihrer Klugheit gehorchen sollte. Nein, sie sah ein, es ging nicht an, der ganze Stamm der Ihren war in Gefahr, aufgerieben zu werden. Und mit Widerwillen und vor beleidigtem Ehrgeiz bebend, beschloĂ sie, einen Boten an die Bienen zu senden, um die Eingeschlossenen zu retten.
Sie wählte den klßgsten ihrer Offiziere, den sie kannte, und rief seinen Namen.
Ein bedrĂźcktes Schweigen war die Antwort. Er war unter den Eingeschlossenen.
Da wählte sie einen andern, rasch und angstvoll, plÜtzlich ßberkam sie eine Todesangst um die Ihren, die nicht zurßckkehrten. Das Toben der Bienenstadt war weithin vernehmbar.
âEile dich!â rief sie und gab dem Friedensboten ein weiĂes Jasminblatt in die Hand, âsonst kommen am Ende noch die Menschen, und wir sind verloren. Sag ihnen, wir wĂźrden davonziehen und ihren Stock fĂźr immer verschonen, wenn sie die Eingeschlossenen ausliefern wĂźrden.â
Der Bote stĂźrzte davon, schwenkte vor dem Tor sein weiĂes Blatt und lieĂ sich am Flugbrett nieder.
Sofort wurde der BienenkĂśnigin die Nachricht gebracht, es sei ein Abgesandter da, der verhandeln wollte, und die Herrscherin schickte ihm ihre Adjutanten. Als ihr die Kunde gebracht wurde, lieĂ sie die Antwort sagen:
âWir Bienen liefern die Toten aus, wenn ihr sie mit euch nehmen wollt. Gefangene sind nicht gemacht. Die Euren, die eingedrungen sind, sind alle tot. Euerm Versprechen, nicht wiederzukommen, glauben wir nicht. Ihr kĂśnnt wiederkommen, wann ihr wollt, es wird euch niemals besser gehen als heute, und wenn ihr jetzt fortkämpfen wollt, so findet ihr uns bis auf den letzten Mann bereit.â
Die Fßhrerin der Hornissen erbleichte, als sie diese Kunde vernahm. Mit geballten Fäusten kämpfte sie einen schweren inneren Kampf. Gar zu gern hätte sie dem Wunsch ihrer Krieger Folge geleistet, die um Rache schrien. Aber ihre Vernunft siegte.
âWir kommen wiederâ, knirschte sie. âWie konnte uns dies geschehen? Sind wir nicht stärker und mächtiger, als das Volk der Bienen? Noch ist mir jeder Feldzug zu unserm Ruhm geglĂźckt. Wie soll ich nach dieser Niederlage vor unsere KĂśnigin treten?â Und wutbebend wiederholte sie: âWoran liegt das, was ist hier geschehen? Das kann nur Verrat sein.â
Da antwortete eine ältere Hornisse, die als eine Freundin der KÜnigin galt:
âWir sind wohl stärker und mächtiger, aber das Volk der Bienen ist einig und treu. Das ist eine groĂe Macht, der niemand widerstehen kann. Keine wĂźrde ihr Volk verraten, jede dient zuerst dem Wohl aller.â
Die FĂźhrerin hĂśrte kaum zu.
âMein Tag wird kommenâ, knirschte sie. âWas schert mich die Weisheit dieser KleinbĂźrger. Ich bin ein Räuber und will als Räuber sterben. Aber hier wäre kämpfen Wahnsinn. Was nĂźtzt es uns, wenn wir den ganzen Bienenstock vernichten und keiner von uns käme zurĂźck?â Und an den Boten gewandt, rief sie:
âVerlange die Toten. Wir ziehen.â
Es antwortete ihr ein dumpfes Schweigen. Der Wächter flog davon. â
âWir mĂźssen mit einer neuen TĂźcke rechnen, obgleich ich nicht glaube, daĂ die Hornissen noch groĂe Kampfeslust habenâ, sagte die BienenkĂśnigin, als sie diesen EntschluĂ der Feinde hĂśrte. Sie befahl, daĂ zwei neue Abteilungen Krieger den Eingang zu decken hätten und daĂ die Wachsbereiterinnen und Trägerinnen und die Nachhut die Toten aus der Stadt schaffen sollten.
Und so geschah es. Ăber Berge von Toten hin wurde eine Räuberleiche nach der andern langsam zum Eingang geschafft und hinabgeworfen. In dĂźsterem Schweigen verharrte drĂźben die Schar der Hornissen auf der Blautanne und sah die KĂśrper der Gefallenen einen nach dem anderen zu Boden sinken. Es war ein Bild von grenzenloser Trauer, das die heraufsteigende Sonne beschien. Einundzwanzig Gefallene, die einen ruhmvollen Tod gestorben waren, häuften sich im Gras unter der geretteten Stadt. Kein TrĂśpflein Honig und keine Gefangenen gingen in die Hände des Feindes Ăźber. Die Hornissen ergriffen ihre Toten und flogen davon, die Schlacht war beendet, und das Volk der Bienen hatte gesiegt.
Aber welche Opfer hatte dieser Sieg gekostet! Ăberall lagen Tote umher, in den StraĂen und Gängen und den dämmerigen Plätzen vor den Brut- und Honigschränken. Es gab eine traurige Arbeit im Stock an diesem schĂśnen Sommermorgen voll BlumenblĂźhen und Sonnenschein. Die Toten muĂten hinausgeschafft und die Verwundeten verbunden und gepflegt werden. Aber bevor der Mittag heraufzog, begann schon wieder die gewohnte Arbeit im Stock. Denn die Bienen feierten weder ihren Sieg, noch trauerten sie lange Zeit um ihre Toten. Ein jeder trug seinen Stolz und seinen Schmerz still mit sich herum und ging seiner Pflicht und Arbeit nach. Es ist ein seltsames Volk, das Volk der Bienen.

Kapitel 17: Die Freundin der KĂśnigin
Die kleine Maja war aus ihrem kurzen Schlaf der Betäubung erwacht, als der Kampfeslärm losbrach. Augenblicklich richtete sie sich auf und wollte hinausstßrmen, um sich an der Verteidigung der Stadt zu beteiligen, aber da merkte sie, daà ihre Kräfte versagten und daà sie keine Hilfe leisten konnte.
Eine Gruppe der Kämpfenden wälzte sich in ihre Nähe. Es war eine junge, starke Hornisse, ihres Abzeichens ein Offizier, wie es Maja schien, die sich gegen eine gewaltige Ăbermacht von Bienen ganz allein verteidigte. Langsam wälzte das Knäuel sich näher. Maja sah mit Entsetzen, wie eine Biene nach der andern sterbend zurĂźckblieb. Aber der Riese war zu sehr behindert. An seinen Armen, Beinen und FĂźhlern hingen Scharen von Soldaten, die sich eher tĂśten lieĂen, ehe sie ihn freigaben. Und schon drangen die ersten Bienenstiche ihm zwischen die Panzerringe in die Brust. Maja sah ihn ermatten und niedersinken. Stumm, ohne Klage und kämpfend bis zuletzt, starb er seinen Räubertod. Er bat nicht um Gnade, und keine Schmähung kam Ăźber seine Lippen.
Kaum war er gefallen, als die Bienen zum Eingang zurßckeilten, um sich aufs neue in den Kampf zu werfen. Der kleinen Maja hatte das Herz heià und heftig gepocht, als sie dies gesehen hatte. Leise schlich sie zu dem Sterbenden. Gekrßmmt lag er still im Dämmerlicht, aber er atmete noch. Maja zählte wohl zwanzig Stiche, aber die meisten waren vorn und sein goldener Panzer war unversehrt. Da Maja sah, daà er noch lebte, eilte sie fort und holte Wasser und Honig, um den Sterbenden noch einmal zu erfreuen, aber er schßttelte den Kopf und wehrte mit der Hand ab.
âWas ich haben will, nehme ich mir selbst,â sagte er stolz, âgeschenkt will ich nichts.â
âO,â sagte die kleine Maja, âaber ich dachte nur, Sie hätten vielleicht Durst.â

Da lächelte der junge Offizier die kleine Maja an und sagte ganz eigenartig ernst und fast ohne Traurigkeit:
âIch muĂ sterben.â
Die kleine Biene konnte nicht antworten. Ihr war, als begriffe sie zum erstenmal, was es hieĂ, sterben zu mĂźssen. Ihr schien, als sei ihr der Tod viel näher, nun wo ein anderer ihn erleiden muĂte, als damals, wo sie selbst im Netz der Spinne ihn erwartet hatte.
âWenn ich doch etwas tun kĂśnnteâ, sagte sie und weinte.
Der Sterbende antwortete ihr nicht mehr. Er schlug noch einmal seine Augen auf und atmete noch einmal tief, und beides tat er zum letztenmal.
Eine halbe Stunde später wurde er mit seinen erschlagenen Gefährten aus dem Stadttor nieder ins Gras geworfen. Aber die kleine Maja vergaĂ nicht mehr, was sie durch diesen kurzen Abschied erfahren hatte. Sie wuĂte nun fĂźr alle Zeit, daĂ auch ihre Feinde Wesen waren wie sie selbst. DaĂ sie ihr armes Leben liebten, wie sie selbst, und den schweren Tod sterben muĂten ohne Hilfe. Sie muĂte an den Blumenelf denken, der ihr von seiner Wiederkehr in jedem neuen ErblĂźhen der Natur erzählt hatte, und sie wĂźnschte sich sehr zu wissen, ob auch die anderen Wesen, die den Tod der Erde starben, zum Licht zurĂźckkehrten.
âIch will glauben, daĂ es so istâ, sagte sie leise. Da kam ein Bote und rief sie vor die KĂśnigin.
Maja fand den Hofstaat versammelt, als sie den Empfangssaal der KĂśnigin betrat. Ihre FĂźĂe zitterten und sie wagte kaum den Blick zu heben, in Gegenwart ihrer FĂźrstin und so vieler WĂźrdenträger. Unter den Offizieren, die den Stab der KĂśnigin bildeten, fehlte so mancher der tapfersten, und die Stimmung im Saal war sehr ernst und auĂerordentlich feierlich. Aber auf den Stirnen aller lag ein Glanz von Erhobenheit, es war, als ob das BewuĂtsein ihres Siegs und ihres neuen Ruhms alle wie ein heimliches Leuchten umgab.
Da erhob sich die KĂśnigin, trat ganz allein inmitten aller auf die kleine Maja zu und schloĂ sie in die Arme.
Ach, das hatte sie nicht erwartet, das ganz gewiĂ nicht, und ihre Freude war so groĂ, daĂ sie weinte. Es ging eine tiefe Bewegung durch die Reihen, und wahrscheinlich war niemand darunter, der das GlĂźck der kleinen Maja nicht teilte und der ihr nicht von Herzen dankbar dafĂźr war, fĂźr ihre Entschlossenheit und fĂźr den Wagemut ihrer raschen Warnung.
Und dann muĂte sie erzählen. Jeder wĂźnschte zu wissen, wie es gekommen war, daĂ sie die Pläne der Hornissen in Erfahrung gebracht hatte, wie es ihr gelungen war, dieser schrecklichen Gefangenschaft zu entrinnen, aus der noch keine Biene entkommen war.
Und sie erzählte von Anfang bis zu Ende alles Wichtige und Bedeutsame, was sie erlebt und erfahren hatte. Von Schnuck mit den glitzernden Flßgeln, vom Grashßpfer, von der Spinne Thekla, von Puck und von Kurts liebevoller Hilfe. Als sie vom Elfen erzählte und von den Menschen, war es so still im Saal, daà man durch die Wände hÜren konnte, wie hinten die Trägerinnen im Stock Wachs kneteten.
âAch nein,â sagte die KĂśnigin, âwer hätte gedacht, wie lieblich die Elfen sind.â
Und sie lächelte vor sich hin, wehmßtig und voll Sehnsucht, wie Leute lächeln, die Verlangen nach der SchÜnheit haben.
Und alle Wßrdenträger lächelten auf dieselbe Art mit.
âWie war doch das Lied des Elfen?â fragte die KĂśnigin, âsag es uns noch einmal, man sollte es wirklich behalten.â

Und die kleine Biene sagte noch einmal das Lied der Elfen:
Meine Seele ist der Hauch,
der aus aller SchĂśnheit bricht,
wie aus Gottes Angesicht,
so aus seiner SchĂśpfung auch.
Es war eine kleine Weile still, nur im Hintergrund tĂśnte ein verhaltenes Schluchzen. Wahrscheinlich dachte dort jemand an einen gefallenen Freund.
Als Maja dann fortfuhr zu berichten und von den Hornissen sprach, wurden alle Augen groĂ und still und dunkel. Jede versetzte sich in die Lage, in der eine der Ihren sich noch vor ganz kurzer Zeit befunden hatte, und ein leises Zittern und tiefe AtemzĂźge gingen durch die Reihen.
âEntsetzlich,â sagte die KĂśnigin, âalso schrecklich âŚâ
Die WĂźrdenträger sagten leise etwas Ăhnliches.
âUnd so bin ich denn endlich wieder angelangt,â schloĂ Maja, âund ich bitte vielmals um Verzeihung.â
O, es wird allen verständlich sein, daà niemand der kleinen Maja ihre Flucht aus dem Stock nachtrug. Die KÜnigin legte den Arm um ihren Hals und sagte gßtig:
âDu hast deine Heimat und dein Volk nicht vergessen, und im Herzen warst du treu. So wollen auch wir dir Treue halten. FĂźr die Zukunft sollst du an meiner Seite bleiben und mich in der Leitung der Staatsgeschäfte unterstĂźtzen, ich glaube, daĂ deine Erfahrungen und alles, was du gelernt hast, auf diese Art am besten allen zustatten kommen werden und dem Wohl des Staates.â
Diese Bestimmung der KĂśnigin wurde von den Anwesenden mit groĂem Jubel aufgenommen, und es ist dabei geblieben.
So endet die Geschichte von den Abenteuern der kleinen Biene Maja. Man hÜrte, daà ihre Wirksamkeit der Bienenstadt zum Wohl und Nutzen gereichte, daà sie zu hohem Ansehen kam und von ihrem Volk geliebt wurde. Zuweilen suchte sie an ruhigen Abenden fßr ein Stßndchen der Unterhaltung das stille Kämmerchen auf, in dem immer noch Kassandra lebte, Gnadenhonig aà und alterte. Dort erzählte sie den jungen Bienen, die ihr gerne lauschten, die Geschichten, die wir mit ihr erlebt haben.
