Die kleine Maja war aus ihrem kurzen Schlaf der Betäubung erwacht, als der Kampfeslärm losbrach. Augenblicklich richtete sie sich auf und wollte hinausstürmen, um sich an der Verteidigung der Stadt zu beteiligen, aber da merkte sie, daß ihre Kräfte versagten und daß sie keine Hilfe leisten konnte.
Eine Gruppe der Kämpfenden wälzte sich in ihre Nähe. Es war eine junge, starke Hornisse, ihres Abzeichens ein Offizier, wie es Maja schien, die sich gegen eine gewaltige Übermacht von Bienen ganz allein verteidigte. Langsam wälzte das Knäuel sich näher. Maja sah mit Entsetzen, wie eine Biene nach der andern sterbend zurückblieb. Aber der Riese war zu sehr behindert. An seinen Armen, Beinen und Fühlern hingen Scharen von Soldaten, die sich eher töten ließen, ehe sie ihn freigaben. Und schon drangen die ersten Bienenstiche ihm zwischen die Panzerringe in die Brust. Maja sah ihn ermatten und niedersinken. Stumm, ohne Klage und kämpfend bis zuletzt, starb er seinen Räubertod. Er bat nicht um Gnade, und keine Schmähung kam über seine Lippen.
Kaum war er gefallen, als die Bienen zum Eingang zurückeilten, um sich aufs neue in den Kampf zu werfen. Der kleinen Maja hatte das Herz heiß und heftig gepocht, als sie dies gesehen hatte. Leise schlich sie zu dem Sterbenden. Gekrümmt lag er still im Dämmerlicht, aber er atmete noch. Maja zählte wohl zwanzig Stiche, aber die meisten waren vorn und sein goldener Panzer war unversehrt. Da Maja sah, daß er noch lebte, eilte sie fort und holte Wasser und Honig, um den Sterbenden noch einmal zu erfreuen, aber er schüttelte den Kopf und wehrte mit der Hand ab.
„Was ich haben will, nehme ich mir selbst,“ sagte er stolz, „geschenkt will ich nichts.“
„O,“ sagte die kleine Maja, „aber ich dachte nur, Sie hätten vielleicht Durst.“
Da lächelte der junge Offizier die kleine Maja an und sagte ganz eigenartig ernst und fast ohne Traurigkeit:
„Ich muß sterben.“
Die kleine Biene konnte nicht antworten. Ihr war, als begriffe sie zum erstenmal, was es hieß, sterben zu müssen. Ihr schien, als sei ihr der Tod viel näher, nun wo ein anderer ihn erleiden mußte, als damals, wo sie selbst im Netz der Spinne ihn erwartet hatte.
„Wenn ich doch etwas tun könnte“, sagte sie und weinte.
Der Sterbende antwortete ihr nicht mehr. Er schlug noch einmal seine Augen auf und atmete noch einmal tief, und beides tat er zum letztenmal.
Eine halbe Stunde später wurde er mit seinen erschlagenen Gefährten aus dem Stadttor nieder ins Gras geworfen. Aber die kleine Maja vergaß nicht mehr, was sie durch diesen kurzen Abschied erfahren hatte. Sie wußte nun für alle Zeit, daß auch ihre Feinde Wesen waren wie sie selbst. Daß sie ihr armes Leben liebten, wie sie selbst, und den schweren Tod sterben mußten ohne Hilfe. Sie mußte an den Blumenelf denken, der ihr von seiner Wiederkehr in jedem neuen Erblühen der Natur erzählt hatte, und sie wünschte sich sehr zu wissen, ob auch die anderen Wesen, die den Tod der Erde starben, zum Licht zurückkehrten.
„Ich will glauben, daß es so ist“, sagte sie leise. Da kam ein Bote und rief sie vor die Königin.
Maja fand den Hofstaat versammelt, als sie den Empfangssaal der Königin betrat. Ihre Füße zitterten und sie wagte kaum den Blick zu heben, in Gegenwart ihrer Fürstin und so vieler Würdenträger. Unter den Offizieren, die den Stab der Königin bildeten, fehlte so mancher der tapfersten, und die Stimmung im Saal war sehr ernst und außerordentlich feierlich. Aber auf den Stirnen aller lag ein Glanz von Erhobenheit, es war, als ob das Bewußtsein ihres Siegs und ihres neuen Ruhms alle wie ein heimliches Leuchten umgab.
Da erhob sich die Königin, trat ganz allein inmitten aller auf die kleine Maja zu und schloß sie in die Arme.
Ach, das hatte sie nicht erwartet, das ganz gewiß nicht, und ihre Freude war so groß, daß sie weinte. Es ging eine tiefe Bewegung durch die Reihen, und wahrscheinlich war niemand darunter, der das Glück der kleinen Maja nicht teilte und der ihr nicht von Herzen dankbar dafür war, für ihre Entschlossenheit und für den Wagemut ihrer raschen Warnung.
Und dann mußte sie erzählen. Jeder wünschte zu wissen, wie es gekommen war, daß sie die Pläne der Hornissen in Erfahrung gebracht hatte, wie es ihr gelungen war, dieser schrecklichen Gefangenschaft zu entrinnen, aus der noch keine Biene entkommen war.
Und sie erzählte von Anfang bis zu Ende alles Wichtige und Bedeutsame, was sie erlebt und erfahren hatte. Von Schnuck mit den glitzernden Flügeln, vom Grashüpfer, von der Spinne Thekla, von Puck und von Kurts liebevoller Hilfe. Als sie vom Elfen erzählte und von den Menschen, war es so still im Saal, daß man durch die Wände hören konnte, wie hinten die Trägerinnen im Stock Wachs kneteten.
„Ach nein,“ sagte die Königin, „wer hätte gedacht, wie lieblich die Elfen sind.“
Und sie lächelte vor sich hin, wehmütig und voll Sehnsucht, wie Leute lächeln, die Verlangen nach der Schönheit haben.
Und alle Würdenträger lächelten auf dieselbe Art mit.
„Wie war doch das Lied des Elfen?“ fragte die Königin, „sag es uns noch einmal, man sollte es wirklich behalten.“
Und die kleine Biene sagte noch einmal das Lied der Elfen:
Meine Seele ist der Hauch,
der aus aller Schönheit bricht,
wie aus Gottes Angesicht,
so aus seiner Schöpfung auch.
Es war eine kleine Weile still, nur im Hintergrund tönte ein verhaltenes Schluchzen. Wahrscheinlich dachte dort jemand an einen gefallenen Freund.
Als Maja dann fortfuhr zu berichten und von den Hornissen sprach, wurden alle Augen groß und still und dunkel. Jede versetzte sich in die Lage, in der eine der Ihren sich noch vor ganz kurzer Zeit befunden hatte, und ein leises Zittern und tiefe Atemzüge gingen durch die Reihen.
„Entsetzlich,“ sagte die Königin, „also schrecklich …“
Die Würdenträger sagten leise etwas Ähnliches.
„Und so bin ich denn endlich wieder angelangt,“ schloß Maja, „und ich bitte vielmals um Verzeihung.“
O, es wird allen verständlich sein, daß niemand der kleinen Maja ihre Flucht aus dem Stock nachtrug. Die Königin legte den Arm um ihren Hals und sagte gütig:
„Du hast deine Heimat und dein Volk nicht vergessen, und im Herzen warst du treu. So wollen auch wir dir Treue halten. Für die Zukunft sollst du an meiner Seite bleiben und mich in der Leitung der Staatsgeschäfte unterstützen, ich glaube, daß deine Erfahrungen und alles, was du gelernt hast, auf diese Art am besten allen zustatten kommen werden und dem Wohl des Staates.“
Diese Bestimmung der Königin wurde von den Anwesenden mit großem Jubel aufgenommen, und es ist dabei geblieben.
So endet die Geschichte von den Abenteuern der kleinen Biene Maja. Man hörte, daß ihre Wirksamkeit der Bienenstadt zum Wohl und Nutzen gereichte, daß sie zu hohem Ansehen kam und von ihrem Volk geliebt wurde. Zuweilen suchte sie an ruhigen Abenden für ein Stündchen der Unterhaltung das stille Kämmerchen auf, in dem immer noch Kassandra lebte, Gnadenhonig aß und alterte. Dort erzählte sie den jungen Bienen, die ihr gerne lauschten, die Geschichten, die wir mit ihr erlebt haben.