Die Biene Maja und ihre Abenteuer: Der Grashüpfer (5/17)

Das war einmal ein Tag! Morgens ganz früh hatte es getaut, dann war die Sonne über dem Wald aufgegangen und hatte ihre Strahlen schräg über den grünen Graswald geschickt, so daß ein Glitzern und Funkeln begann, daß man vor Seligkeit und Entzücken über einen Anblick von solcher Pracht nicht wußte, was man sagen oder tun sollte.

Die kleine Maja hatte schon gleich beim Erwachen lauter helle Jubelrufe um sich her vernommen. Teils kamen sie hoch aus den Bäumen von den gefürchteten Vögeln, deren Stimmen doch so lieblich erklingen konnten, oder aus der Luft von vorüberfliegenden Insekten oder aus Büschen und Gras von Käfern, Schmetterlingen und kleinen und großen Fliegen.

Maja hatte es sich in einem Baumloch recht behaglich eingerichtet. Es war sicher und trocken und blieb auch nachts recht lange warm, da den Tag über die Sonne auf den Eingang schien. Zwar hatte sie einmal in aller Frühe den Specht am Stamm ihres Baums klopfen hören und sich schleunigst davon gemacht. Denn den Specht klopfen zu hören, das ist für ein kleines Insekt, das sich in der Baumrinde verborgen hält, so schlimm, als wenn unsereins nachts die Geräusche eines Einbrechers hört, der die Fensterläden aufbricht. Aber in der Nacht war sie sicher, dann suchte niemand sie in ihrem hohen Versteck.

In einem zurückliegenden Spältchen, in dem es dunkel und kühl war, hatte sie sich ein kleines Honiglager angelegt, um für Regentage mit Nahrung versorgt zu sein; und den Eingang zu ihrer Waldburg hatte sie mit Wachs ein wenig zugeklebt, so daß er nicht größer als eben nötig war, um bequem hineinschlüpfen zu können.

Und mit einem hellen Jubel voll Lebensfreude schwang sich die kleine Maja an diesem Morgen in den Sonnenschein hinaus, um zu erfahren, was dieser neue schöne Tag ihr bringen würde.

Sie segelte gradaus durch das goldene Licht der Luft, so daß sie wie ein kleines rasches Pünktchen aussah, das der Wind dahintrieb.

Maya de bij

„Heute werde ich einem Menschen begegnen,“ rief sie, „an solchen Tagen sind sicher auch die Menschen unterwegs, um sich in der hellen Natur zu erfreuen.“ Es waren ihr noch niemals so viele Insekten begegnet, es war ein Kommen und Treiben, ein Summen, Lachen und Jubeln in der Luft, daß man unwillkürlich mit einstimmen mußte.

Die kleine Maja ließ sich endlich in einem Graswald nieder, in dem vielerlei Blumen und Pflanzen wuchsen. Die höchsten waren die weißlichen Blütenbüschel der Schafgarbe und Mohnblumen, die knallrot und leuchtend eine große Anziehungskraft ausübten. Als Maja ein wenig Honig aus einer Akeleiblume genommen hatte und eben im Begriff war, weiterzufliegen, begegnete ihr auf einem Grashalm, der sich zu ihrer Blume hinüberbog, ein ganz seltsamer Geselle. Anfangs erschrak sie sehr, weil sie nicht für möglich gehalten hatte, daß solch ein grünes hageres Ungetüm vorkommen könnte, aber dann wurde doch ihr ganzes Interesse in so hohem Maße wach, daß sie wie angewurzelt sitzenblieb und den langbeinigen Fremdling anstarrte. Es sah aus, als habe er Hörner, aber es war nur seine seltsam vorgerückte Stirn, die es so erscheinen ließ. Zwei unendlich lange, fadendünne Fühler waren daran, er erschien sehr schlank und hatte zierliche Vorderbeinchen und ganz dünne unauffällige Flügelchen, mit denen sich nach Majas Meinung nicht viel anfangen ließ. Das Merkwürdigste aber waren seine zwei großen, hohen Hinterbeine, die ihn wie zwei riesige geknickte Stelzen weit überragten. Er war über und über grün, und seine listigen Augen hatten etwas Freches und Erstauntes zugleich, aber man konnte wohl sagen, daß sie nicht boshaft, sondern viel eher gutmütig waren.

„Nun, Mamsell,“ sagte er zu Maja, offenbar durch ihren verwunderten Gesichtsausdruck geärgert, „Sie haben wohl noch keinen Grashüpfer gesehn? Oder legen Sie Eier?“

„Was fällt Ihnen ein“, rief Maja zornig. „Wie sollte ich auf diesen Gedanken kommen? Auch wenn ich es könnte, würde ich es niemals tun. Wie sollte ich den heiligen Pflichten der Königin in so leichtsinniger Weise vorgreifen?“

Der Grashüpfer duckte sich etwas zusammen und machte ein ganz unbeschreiblich komisches Gesicht, so daß Maja trotz ihres Verdrusses laut lachen mußte.

„Mamsell“, rief er, aber dann mußte er selber lachen und sagte nur noch: „Nein so was! Sie sind aber Eine!“

Maja wurde ganz ungeduldig durch das Benehmen dieses seltsamen Gesellen. „Warum lachen Sie denn?“ fragte sie nicht grade freundlich, „Sie können doch nicht im Ernst verlangen, daß ich Eier legen soll, und noch dazu hier auf den Rasen.“

Da knackte es, der Grashüpfer sagte: „Hoppla“, und fort war er.

afbeelding maya de bij

Maja war ganz verdutzt. Hoch in die Luft hatte er sich geschwungen, ohne seine Flügel zu brauchen, in einem riesigen Bogen und, wie es Maja erschien, in einer an Wahnsinn grenzenden Tollkühnheit.

Aber da war er schon wieder. Sie hatte nicht sehen können, woher er kam, aber nun saß er neben ihr auf dem Blatt der Akeleiblume.

Er betrachtete sie von allen Seiten, von hinten und von vorn:

„Nein,“ sagte er dann schnippisch, „Sie können allerdings keine Eier legen, Sie sind nicht darauf eingerichtet. Sie haben keinen Legestachel.“

„Was,“ sagte Maja, „keinen Legestachel?“ Sie deckte sich etwas mit ihren Flügeln zu und drehte sich so um, daß der Fremde nur ihr Gesicht sehn konnte.

„Ja natürlich. Fallen Sie nur nicht von Ihrem Podium, Mamsell. Sie sind eine Wespe, nicht wahr?“

Etwas Schlimmeres hätte nun der kleinen Maja in aller Welt nicht begegnen können.

„Schockschwerenot!“ rief sie.

„Hoppla!“ antwortete der Grashüpfer und fort war er.

„Ich werde ganz nervös über so einer Person“, sagte Maja und beschloß fortzufliegen. Solange sie denken konnte, war ihr eine solche Beleidigung noch nicht widerfahren. Mit einer Wespe verwechselt zu werden, bedeutete ihr die größte Schmach, mit diesem nutzlosen Raubgesindel, mit diesem Diebsvolk, diesen Landstreichern. Es war in der Tat empörend.

Aber da war der Grashüpfer plötzlich wieder da.

„Mamsell“, rief er, und drehte sich langsam ein wenig, wobei seine langen Hinterbeine aussahen wie Uhrzeiger, wenn es fünf Minuten vor halb sieben ist, „Mamsell, Sie müssen entschuldigen, daß ich zuweilen das Gespräch unterbreche. Aber plötzlich packt es mich. Ich muß springen, um die Welt muß ich springen, wohin es immer sei. Kennen Sie das nicht auch?“

Er zog seinen Mund von einem Ohr zum anderen, indem er Maja anlächelte. Sie konnte nicht anders, sie mußte lachen.

„Nicht wahr?“ sagte der Grashüpfer und nickte ermutigend.

„Wer sind Sie denn nur?“ fragte Maja, „Sie sind schrecklich aufregend.“

„Aber man kennt mich doch überall“, sagte der Grüne und grinste wieder, so erschöpfend, wie Maja noch niemals jemanden hatte grinsen sehn. Sie wußte nie recht, ob er etwas im Ernst oder im Scherz meinte.

„Ich bin in dieser Gegend fremd,“ sagte sie freundlich, „sonst würde ich Sie sicher kennen, aber ich bitte Sie, sich zu merken, daß ich zur Familie der Bienen gehöre, und daß ich durchaus keine Wespe bin.“

„Ach Gott,“ sagte der Grashüpfer, „das ist doch dasselbe.“

Maja konnte vor Aufregung kaum sprechen.

„Sie sind ungebildet“, stieß sie endlich hervor. „Schaun Sie sich doch einmal eine Wespe an.“

„Was könnte mich wohl dazu veranlassen?“ antwortete der Grüne. „Wohin würde es führen, wenn ich mir Unterschiede merkte, die nur in der Einbildung existieren? Sie fliegen in der Luft herum, stechen alles, was in Ihre Nähe kommt, und können nicht springen. Genau so ist es mit den Wespen. Wo liegt also der Unterschied? Hoppla!“ Und fort war er.

Jetzt flieg ich aber, dachte Maja.

Da war er wieder.

„Mamsell,“ rief er, „morgen ist Wettspringen im Garten des Pfarrers Sündepiek. Wollen Sie eine Freikarte, um zuschauen zu können? Meine Alte hat deren noch zwei, gegen ein Kompliment gibt sie eine her. Ich hoffe den bestehenden Rekord zu schlagen.“

„Ich interessiere mich nicht für so ein Gehüpfe“, sagte Maja nicht ohne Verdruß. „Wer fliegen kann, hat höhere Interessen.“

Der Grashüpfer grinste, daß man es förmlich zu hören glaubte.

„Überschätzen Sie sich nicht, Mamsell. Die meisten Tiere der Welt können fliegen, aber springen können die wenigsten. Sie haben keinen Überblick über die Interessen der Mitwelt. Den Wunsch nach einem hohen, eleganten Sprung finden Sie sogar bei den Menschen. Kürzlich sah ich den Pfarrer Sündepiek fast einen Meter hoch springen, um einer kleinen Schlange zu imponieren, die vor ihm über den Weg lief. Seine Verachtung gegen alles, was nicht Springen war, ging dabei so weit, daß er seine Pfeife fortschleuderte, ohne die kein Pfarrer leben kann. Begreifen Sie diesen Ehrgeiz! — Ich habe Grashüpfer gekannt, und sie gehörten zu meiner Familie, die dreihundertmal so hoch sprangen, als sie selbst groß waren. Ja, nun staunen Sie und sagen kein Wort mehr, und bereuen innerlich alles, was Sie eben vorgebracht haben, und was Sie eventuell noch hätten behaupten wollen. Dreihundertmal so hoch, als er groß war! Muten Sie so etwas mal jemandem zu! Selbst das größte Tier der Welt, der Elefant, ist nicht in der Lage, einen solchen Sprung auszuführen. Nun? Da schweigen Sie! Habe ich nicht gesagt, daß Sie schweigen würden?“

„Aber wie soll ich denn reden, wenn Sie nicht einen Augenblick still sind“, rief Maja.

„Reden Sie also“, sagte der Grashüpfer freundlich, und dann rief er „Hoppla“ und war fort.

Da mußte die kleine Maja trotz ihres Verdrusses doch lachen. So etwas war ihr noch niemals begegnet. So sehr der Grashüpfer sie durch sein scherzhaftes Benehmen in Erstaunen setzte, so bewunderte sie doch seine Welterfahrenheit und seine großen Kenntnisse. Wenn sie es auch mit dem Springen nicht hielt wie er, so war sie doch verwundert über alle die Neuigkeiten, die sie in der kurzen Unterhaltung erfahren hatte. Wenn der Grüne nur etwas zuverlässiger gewesen wäre, sie hätte ihn gar zu gern nach diesem oder jenem gefragt. Oft erleben wirklich diejenigen am meisten, dachte sie, die am wenigsten damit anzufangen wissen.

Ob er die Sprache der Menschen verstehen konnte, da er doch ihre Namen wußte? Danach wollte sie ihn fragen, wenn er noch einmal zurückkam, und auch danach, wie er über eine Annäherung dachte und über den Versuch, den Menschen in seiner Behausung aufzusuchen.

„Mamsell!“ rief es neben ihr, und ein Grashalm schwankte.

„Mein Gott,“ sagte Maja, „wo kommen Sie nur immer her?“

„Aus der Umgegend“, sagte der Grashüpfer.

„Aber ich bitte Sie,“ rief Maja, „springen Sie denn so aufs Geratewohl in die Welt, ohne zu wissen, wohin es Sie führt, ohne den Ort zu kennen, wo Sie ankommen?“

„Natürlich“, sagte der Grüne. „Was denn sonst? Können etwa Sie in die Zukunft sehn? Das kann niemand. Nur der Laubfrosch kann es, aber er sagt nicht wie.“

„Was Sie alles wissen,“ rief die kleine Maja, „das ist einfach großartig. Verstehn Sie auch die Sprache der Menschen?“

„Das ist eine Frage, die schwer zu beantworten ist, Mamsell, denn es ist noch nicht nachgewiesen, ob die Menschen eine Sprache haben. Sie stoßen zuweilen Laute aus, deren abscheuliche Klanglosigkeit mit nichts zu vergleichen ist. Offenbar verständigen sie sich dadurch. Was man ihnen lassen muß, ist ein aufrichtiges Verlangen nach erträglichen Stimmen. Ich beobachtete zwei Knaben, die Grashalme zwischen ihre Finger nahmen und mit ihrem Mund Luft darauf bliesen, so daß ein surrender Ton entstand, der dem Zirpen einer Grille vielleicht verglichen werden könnte. Aber er blieb weit dahinter zurück. Jedenfalls tun sie, was sie können. Wollen Sie sonst noch etwas wissen? Ich weiß immerhin mancherlei.“

Und er grinste die kleine Maja an, daß man es förmlich hörte.

Aber als er nun das nächste Mal unversehens davonsprang, blieb er aus, und die Biene wartete eine Weile vergeblich auf ihn. Sie suchte ringsumher im Gras und in den Blumen, aber es war unmöglich, ihn wiederzufinden.


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